5. Upasanti Prakarana - Über die Auflösung

Die Geschichte von Uddalaka

Der Weise Vasishtha sagte: „Oh Rama! Besiege wie Muni Uddalaka die fünf Bhutas, befreie dich von den Gedanken über Körper und Welt, beginne mit atmischer Befragung, dringe tief ein in den Ursprung aller Dinge und lasse es zu, dass das transzendente Licht über deinem Geist dämmert.“ Rama sagte zu Vasishtha: „Erzähle mir, oh verehrter Guru, wie zerstörte Uddalaka die fünf Bhutas und erlangte den nondualen Zustand?“

Vasishtha erwiderte: „Oh Rama! Ich werde dir nun seine sehr Interesssante und inspirierende Geschichte erzählen. Über die atmische Befragung erreichte er den makellosen Thron Brahmans voll unbeschreiblichem Glanz. Dieser Weise lebte an den Hängen der Gandhamardana-Hügel und deren bezaubernden Landschaft. Er übte strenge Askese, studierte religiöse Bücher und kam tiefgläubig und andächtig regelmäßig seinen täglichen Ritualen und Pflichten nach. Innerlich sann er auf folgende Weise nach:

„Wann werde ich frei von Geburt und Tod sein? Wann werde ich mich meiner Sankalpas entledigen und den beiden Strömungen der Anziehung und der Abneigung? Wann werde ich das reine Nirvikalpa Samadhi genießen und für immer friedvoll in meinem eigenen Swarupa zur Ruhe kommen? Wann werde ich vollkommen wunschlos sein? Wann hört die Sehnsucht nach sinnlichen Gegenständen auf? Wann werde ich so verhaftungslos wie ein Tautropfen auf einem Lotusblatt bleiben? Wann werden die kleinen Waldvögel ihre Grasnester auf meinem Haupthaar bauen, während ich in tiefer Meditation verweile?"

Uddalaka ließ sich in Padmasana nieder und meditierte auf das Höchste Selbst. Es gelang ihm nicht, seinen Geist zu kontrollieren. Er wanderte wie ein Affe von einem Objekt zum nächsten. Er dachte darüber nach und sagte zu seinem Geist: „Du närrischer Geist! Weshalb verrennst du dich in vergänglichen Dingen? Du kannst kein Glück daraus ziehen. Weshalb führst du eigennützige Handlungen aus? Diese Handlungen erzeugen schlimme Schmerzen. Ziehe dich friedlich im Höchsten Selbst zurück. Du wirst ewige Wonne genießen. Weshalb rennst du Klängen, Berührungen, Formen, Geschmäcker und Gerüchen hinterher? Die Vasanas stellen das Spinnennetz dar, das dich fesselt.

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Oh unsinniger Geist! Stirb nicht wie ein Stück Wild durch Klänge, wie ein männlicher Elefant durch die Berührung, wie eine Motte durch die Form, wie ein Fisch durch den Geschmack und wie eine Biene durch den Geruch. Das Wild, der Elefant, die Motte, der Fisch und die Biene - jedes einzelne dieser Tiere stirbt wegen seiner Anhaftung an die Befriedigung eines einzigen Sinnes. Du jedoch bist durch deinen Wunsch, alle fünf Sinne zu befriedigen, größerer Gefahr ausgesetzt. Wie willst du den höchsten Frieden genießen, wenn du von allen fünf Sinnen gleichzeitig beunruhigt wirst? Ganz sicher ist dein Schicksal sehr elend! Du bist wie der Seidenspinner, der sich im eigenen Kokon, welchen er aus seinem eigenen Speichel fertigt, in der Falle der Wünsche gefangen. Befreie dich von allen Wünschen. Dann bist du verhaftungslos.

Ich habe meinen Körper Zelle für Zelle von Kopf bis Fuß analysiert. Was wir als „Ich“ bezeichnen, kann ich nirgendwo im Körper finden. Nur Brahman oder das Höchste Selbst erfüllt das ganze Universum. Es besitzt weder Namen noch Form. Es ist farb- und eigenschaftslos. Weder ist es kurz, noch lang, weder klein, noch groß. Ich selbst bin das alles durchdringende Selbst. Oh Geist! Du hast alle möglichen abgrenzenden Unterscheidungen entwickelt. Du bist die Ursache von allem Kummer, Schmerz, Sorgen und Elend. Ich zerstöre dich jetzt durch Unterscheidungskraft und die Selbstbefragung „Wer bin ich?“.

Wie kann das „Ich“ sich auf den Körper, den Geist, das Prana oder die Sinne beziehen? Wie bezieht sich das „Ich“ auf das Netzwerk aus Fleisch und Knochen, oder Augen, Ohren, Nase oder Zunge? Das „Ich“ durchdringt alles, ist unsterblich, unteilbar und selbstleuchtend. Lange bin ich durch dich getäuscht worden. Du bist der Dieb, der den Edelstein Atman von mir geraubt hat. Ich vertraue dir nicht mehr. Du und der Körper interessieren mich nicht. Meine Verbindung mit dir, dem Körper und den Sinnen ist zeitlich begrenzt.

Oh Geist! Kehre zu deinem Ursprung zurück. Wandere nicht durch das Dickicht der weltlichen Wünsche. Werde weise und erreiche den Zustand der ewigen Wonne, von der es keine Rückkehr gibt. Nun bin ich ruhig. Mein Herz ist voller Freude. Ich bin losgelöst von den Fesseln des Geistes, Körpers und der Sinne. Ich bin der Einheit aller Dinge gewahr. Ich bin furchtlos. Ich sehe mich selbst jederzeit und überall als alles und als alles in allem. Ich besitze eine ausgewogene, gleichmäßige Sichtweise. Ich fühle die Erhabenheit meiner Seele. Ich ruhe in mir selbst. Ich ergötze mich an meinem Atman.

Dann ließ sich Uddalaka mit halbgeschlossenen Augenlidern in Padmasana nieder und begann zu meditieren. Er sprach und intonierte das Pranava oder Om richtig, laut und in erhobener Stimmlage, was wie das Läuten einer Glocke klang. Das Pranava (Om) besteht aus dreieinhalb Mantras. Beim Tönen des ersten Teils oder des Akaara des Oms fand der Prozess des Rechaka oder des Ausatmens von Prana statt. Das brennende Feuer seines Herzens durchdrang den ganzen Körper und brannte ihn aus. Dieses Sprechen von Pranava oder dem geheiligten einsilbigen Om war der erste Schritt seiner Yogapraxis.

Dies ist der erste Zustand von Pranava Yoga. Durch keinerlei Praxis des Hatha Yoga erlangte er diesen Zustand (Rechaka). Während des zweiten Zustands, nämlich dem Ukaara des Pranava, fand Kumbhaka oder das Aussetzen des Atems statt. Das Feuer, welches den Körper zuvor verbrannte, wurde auf einmal blitzartig ausgeblasen. Der Körper wurde schneeweiß wie verbrannte weiße Asche. Dies ist der zweite Zustand von Pranava Yoga. Er erreichte diesen Zustand nicht über Hatha Yoga. Dann fand im dritten Zustand, dem Makaara des Pranava, Puraka oder das Einatmen statt. Uddalaka genoss nun vollkommene Ruhe. Dies ist der dritte Zustand von Pranava Yoga. Der Körper Uddalaka wurde so glänzend wie die Gestalt Vishnus.

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Er praktizierte Pranayama und kontrollierte das Prana und Apana. Er verschloss die neun Körperöffnungen bzw. –zugänge, um das Prana im Körper zu halten. Dann zog er seine Sinne unter großer Anstrengung von ihren jeweiligen Objekten ab. Er sperrte seinen unterdrückten Geist in sein Herz. Er zerstörte alle Gedanken in unermüdlicher Anstrengung.

Eine Menge Zweifel tauchten wiederholt und unaufgefordert in seinem Geist auf. Er zerstörte diese mutig mit dem Schwert seiner Vernunft, genauso wie ein Held seine Feinde zerstört. Dann zerstörte er durch Unterscheidungskraft die geistige Dunkelheit. Dann nahm er vor sich wunderbare Lichter wahr. Er überwand diesen Zustand. Dann wurde er schläfrig. Er schüttelte seine Müdigkeit ab. Dann sah er den blauen Himmel oder Akasha sich weit ausbreiten. Dann kam Moha oder das Trugbild. Auch diese verscheuchte er erfolgreich. Er ging durch die Stadien der Dunkelheit, des Lichts, des Schlafes, Akasha und Moha und erreichte schließlich den Zustand des Nivikalpa Samadhi, den keine Sprache beschreiben kann. Alles Sichtbare verschwand. Ein Ozean von Nektar überschwemmte ihn. Er erlangte den unsterblichen Thron Brahmans mit seinem unauslöschbaren Glanz. Er war von jedem Schmerz befreit. Er schwamm wie ein treibender Schwan in einem Meer der Freude.

Nach sechs Monaten erwachte Uddalaka aus den Samadhi. Siddhas, Devas und himmlische Jungfrauen umgaben ihn und begannen, ihn in Versuchung zu führen. Devendra bot ihm sein Devaloka an. Doch Uddalaka schlug das Angebot aus. Die Devas sagten: „Oh verehrenwerter Weiser! Wir warten dir mit freundlichen Grüßen auf. Besteige unser Himmelsgefährt. Es wird dich zu Devaloka leiten. Der Himmel ist der höchste Ort der Wonne, wo all deine Wünsche vollkommen befriedigt werden. Schau dir die himmlischen Jungfrauen an. Sie warten auf dich mit Fächern und Blumengirlanden. Du kannst die himmlischen Freuden bis ans Ende dieses Kalpas genießen. Deine Askese diente nur dem Genuss dieser himmlischen Freuden.“

Aber Uddalaka blieb ob dieser Versuchungen, die die Devas und die raffinierten Reize der himmlischen Jungfrauen ihm anboten, vollkommen ungerührt. Er behandelte sie mit gebührendem Respekt und bat sie, in Frieden zu gehen. Sie begriffen, dass es nutzlos wäre, länger zu warten, da Uddalaka von ihren Versuchungen vollkommen unberührt blieb. So fuhren sie zu ihrer himmlischen Herberge.

Ob der Weise im wonnevollen Zustand des Nivikalpa Samadhi einen Moment lang oder tausend Jahre lang verbleibt, er wird sich danach nie wieder nach sinnlichen Objekten, die Wiedergeburt auslösen, sehnen. Uddalaka streifte frei durch die Wälder, Haine und das Tafelland der Vindya sowie dem Himalayagebiet. Er verbrachte Tage, Monate und Jahre in tiefem Samadhi. Er erreichte den Zustand der absoluten Ruhe und wurde ein Jivanmukta. Er war befreit von Sorgen, Zweifeln, Makel und dem Schmerz, der durch das Rad von Geburt und Tod erzeugt wird.

Durch die lange Übung des Nirvikalpa Samadhis, verband Uddalaka seinen Geist mit dem absoluten Bewusstsein und erreichte Sattva Samanya. Rama sagte nun: „Oh verehrenswürdiger Guru! Was ist Sattva Samanya? Bitte kläre mich diesbezüglich auf.“

Vashishtha erwiderte: „Wenn die Sankalpas oder Gedanken ausgelöscht sind, nimmt der Geist die Natur des absoluten Bewusstseins an. Dieses Bewusstsein selbst ist Sattva Samanya. Sattva Samanya ist universelles „Sein“. Es handelt sich um den Zustand von Turiyateeta. Genau wie Kampfer im Feuer aufgeht, so geht auch der Geist im reinen Bewusstsein auf. Alle äußeren und inneren Objekte sowie alle Erscheinungen verschwinden. Dies ist Sattva Samanya. Die transzendente Sicht eines Jnani oder Jivanmukta ist Sattva Samanya. Der Weise zieht sich, wenn Objekte vor ihm auftauchen, wie eine Schildkröte ihren Kopf und ihre Glieder in ihren Panzer zurückzieht, in sein eigenes Selbst zurück. Er hegt keine Gedanken an die Objekte. Er wird überhaupt nicht von ihnen beeinträchtigt. Dies nennt man Sattva Samanya. Nur der Jivanmukta (nicht der Unwissende), der durch Wissen und Unterscheidungskraft in Nirvikalpa Samdhi bleibt, genießt die höchste Sicht des Sattva Samanya.

Nach langer Zeit dachte Uddalaka daran, ein Videhamukta zu werden, indem er seine sterbliche Hülle auf Erden verlässt. Er setzte sich in Padmasana. Mit halb offenen Augenlidern verschloss er die neun Öffnungen und kontrollierte seine Sinne. Er übte dann Khechari Mudra, indem er seine Zungenspitze ans Gaumendach drückte. Er presste seine Zähne aufeinander. Dadurch stellte er den Atem völlig ein.

Sein Gemüt war gelassen und klar. Er erlangte die höchste Sicht der Einheit. Er tauchte unter im Ozean der brahmanischen Wonne. Sein Gesicht erblühte wie ein frischer Lotus. Er wurde eins mit dem höchsten Licht aller Lichter und erreichte Videhamukti oder die körperlose Erlösung. Wer durch ständige atmische Befragung in den Zustand von Nirvikalpa Samadhi eintritt, wird die ewige Wonne Brahmans genießen und Unsterblichkeit erlangen.