5. Upasanti Prakarana - Über die Auflösung

Die Geschichte von Königs Janaka

Wir kennen zwei Wege oder Pfade, die der Rettung der Seelen am besten dienlich sind. Einer davon ist der Pfad, auf dem der Schüler sich strikt an die Anweisungen seines Lehrers hält. Die Rettung erfolgt entweder noch direkt während dieser Geburt und zwar durch die Einweihung durch den Guru oder in einer der folgenden Geburten. Der zweite Weg ist das Erlangen von Wissen über eigene Disziplin. Wissen entsteht plötzlich in einem Menschen. Brahma Jnana dämmert in ihm herauf wie eine Frucht, die unerwartet vom Himmel fällt. Oh Rama! Ich werde dir jetzt eine alte Geschichte erzählen, in der Atma Jnana in einem erwuchs, so wie eine Frucht aus der Akasha fällt, genauso wie auf dem obengenannten zweiten Weg.

Einst regierte ein mächtiger und tugendhafter König über das Land Videha. Sein Name war Janaka. Er war sehr reich, großzügig und edel. Er beschützte seinen Untertanen wie Vishnu. Er besaß viele Tugenden. Eines Tages während der schönen Frühlingszeit betrat er seinen hübschen Garten, der voll verschiedenster duftender Blumen war. Er ließ seine Minister und Diener draußen vor dem Garten und ging alleine in den Garten. Da vernahm er die Gesänge der Siddhas. Ich werde dir nun, oh lotusäugiger Rama, die Gesänge der Siddhas wiedergeben, in denen ihre Erfahrungen geschildert werden.

Der erste Siddha sang: „Der Wissende und das Wissen verschmelzen. Die individuelle Seele verschmilzt mit der Höchsten Seele. Daraus entsteht höchstes Wissen und Wonne. Dies ist Atma Jnana. Danach sollte man streben.“ Ein anderer Siddha sang: „Man soll alle Vasanas ausrotten, alle sichtbaren Dinge aufgeben und dann unablässig über Atman oder Brahman, der das Licht aller Lichter darstellt, meditieren. Ein dritter sang: „Wir sollten unaufhörlich auf das alles durchdringende, ewige Licht meditieren, dass alle anderen Dinge erleuchtet, dass inmitten von allem, das ist oder nicht ist, existiert und welches den freien Raum zwischen Sat (Existenz) und Asat (Nichtexistenz) besiedelt.

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Der vierte Siddha sang: „Wir meditieren auf jenen selbstleuchtenden Atman in allen Jivas oder individuellen Seelen, der sich selbst immer „Ich“ nennt, der mit dem Buchstaben A beginnt und mit H endet, mit dem Punkt M (das heißt Aham), welches wir mit dem Soham-Atem ständig ein- und ausatmen. Einige Siddhas sangen: "Wir verehren jene wirkliche Existenz, die alles ist; der alle Dinge gehören und durch die alle erschaffen sind. Wir verehren das, von dem alles abstammt, für das sie existieren; in dem sie fortbestehen, zu dem sie alle zurückkehren; und in das sie alle absorbiert werden.“ Einige andere Siddhas bemerkten: „Jene, die den Gott innerhalb ihrer Herzen verlassen und den Gott außerhalb suchen, begeben sich wirklich auf die Suche nach Muschelschalen nachdem sie den kostbaren Kaustubha-Keim verließen, der sich direkt in ihren Händen befindet.“

Eine andere Siddhagruppe sang: „Dieser Atman kann nur von jenen erlangt werden, die alle Wünsche vollständig ausgelöscht haben.“ Eine weitere Gruppe sang: „Jene Menschen, die wider besseren Wissens über die Nichtexistenz des Glücks in allen weltlichen Gegenständen, dennoch ihren Geist auf diese richten, sind nur Dummköpfe und keine menschlichen Wesen.“ Die fünfte Gruppe sang: „Die Schlangen des Indriyas (Sinnesorgane), die immer wieder aus den körperlichen Hohlräumen zischend auftauchen, sollten mit der Lanze der Unterscheidungskraft genauso getötet werden, wie Indra mit seinem Vajra (Donnerkeil) die Hügel zerschmetterte.“

Die letzte Gruppe der Siddhas sang: „Wer immer einen ruhigen Geist besitzt und mit einer universellen Sicht ausgestattet ist, wird Atman oder das unsterbliche Selbst, welches die Verkörperung der Wonne, des Wissens und der absoluten Existenz ist, erreichen. Dies ist Moksha oder die letzte Befreiung.“ (Diese Gesänge der Siddhas bilden die Siddha Gita). Janaka war von den Gesängen der Siddhas tief bewegt. Sofort verließ er den Garten, schickte seine Minister und Diener fort und schloss sich in einen Raum im obersten Stockwerk seines Palastes ein. Hier begann er, tief über die wahre Bedeutung, der von den Siddhas interpretierten Gesänge nachzudenken.

Er sprach so zu sich selbst: „In welchem Glauben kann ich in dieser Welt Zuflucht finden und wie kann ich mich auf diese Welt verlassen, die nichts Substantielles in sich kennt, weder Freude noch Wirklichkeit? Und dennoch weiß ich nicht, weshalb mein Geist von ihr getäuscht ist. Ständig bin ich Qual und Pein ausgeliefert, obwohl ich unendlichen Reichtum besitze. Meine hundert Lebensjahre sind nichts als ein Moment in der Ewigkeit. Dennoch schätze ich mein Leben sehr. Mein Königreich ist im Vergleich mit dem unendlichen Universum nichts weiter als ein Atom. Ich bin zum Sklaven meiner Wünsche und Sinne geworden. Die Zeit meiner Königsherrschaft währt kurz. Weshalb fühle ich mich als gedankenloser Mensch sicher in seiner Fortdauer? Das momentane Leben ist zerstörungsanfällig und dennoch verlasse ich mich närrisch darauf. Was weit von mir weg liegt, also die Sinnesobjekte, scheint nah zu sein und was mir am nächsten liegt, nämlich meine innerste Seele, scheint aufgrund meines Unwissens am weitesten entfernt zu liegen. Ich muss die sinnlichen Objekte aufgeben, um meine innerste und ewige Seele zu erkennen.

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Alles ist vergänglich. Hier ist nichts von Dauer und von Vorteil. Denn sogar die höchsten Menschen werden im Laufe der Zeit zu den niedrigsten der niederen. Wann hat sich dieses Unwissen meiner Seele bemächtigt? Wozu dienen all diese Besitztümer und zahllosen Beziehungen, wenn ich in Not und Bedrängnis bin? Mein Wohlstand ist nur eine Seifenblase. Er ist eine falsche Erscheinung vor mir. Viele Kaiser und Könige sind samt ihrem Besitz dahingeschieden. Viele Indras sind wie Blasen im Ozean der Ewigkeit verschlungen worden. Daher kann man sich auf nichts verlassen.

Millionen Brahmanen sind dahingegangen. Die Könige der Erde werden zu Staub. Worauf beruht das Vertrauen in mein Leben und seine Stabilität? Die Welt ist nichts als ein langer Traum und der sinnesfreudige Körper eine geistige Fehlvorstellung. Wenn ich mich auf meinen Körper und die Gegenstände verlasse, bin ich wirklich zu tadeln. Zahllose Universen, Brahmas und Jivas kommen und gehen. Oh Geist! Wo also ist die Dauerhaftigkeit deiner Existenz? Die Vorstellung meiner selbst und die Wahrnehmung anderer Gegenstände sind falsche Einbildungen meines Geistes. Mein Egoismus hat von mir Besitz ergriffen. Ich erniedrige mich durch meine Wünsche, meinen Egoismus und meine Verhaftung an den Körper selbst zu diesem unwissenden Zustand. Ich bin ein Narr. Meine Lebensdauer wird jeden Moment gemessen. Tage und Nächte vergehen und dennoch erkenne ich mein wahres, unvergängliches Selbst nicht. Der Gaukler der Zeit spielt mit allen Menschen auf dem Spielplatz der Welt und wirft sie wie Bälle. Ich habe schon genügend Leben gelebt!

Ein Unglück nach dem anderen trifft uns und doch sind wir so schamlos, uns selbst von diesem elenden, weltlichen Leben nicht abgestoßen zu fühlen. Wir erkennen, dass alle Gegenstände vergehen und dennoch suchen wir nicht das Unvergängliche. Unwissende Menschen begehen täglich schmutzige, sündige Taten. In der Jugend versinken sie im Unwissen, im Jugendalter brennen sie vor Leidenschaft und verheddern sich in den Maschen der Frauen; im Alter drückt sie die Sorge um ihre Familien nieder. Sie jammern unter der Bürde Samsaras. Leid und Bedauern überkommt sie und sie sterben. Wann werden sie die Zeit finden, gute Taten zu begehen und Gott zu verehren?

Wir suchen ständig nach dem, was größere Freude bringt und länger währt als alles andere. Nie suchen wir das unsterbliche Selbst, welches jenseits all unserer weltlichen Sorgen liegt. Frauen mit ihren lotusähnlichen Augen und bezaubernden Lächeln welken rasch und sterben. Wenn viele Brahmas und Vishnus mit dem Zwinkern eines Auges erschaffen und zerstört werden, was bin ich – eine mickrige Kreatur - vor ihnen? Bei den Weisen heißt es, dass diese Welt ein endloses Jammertal ist. Wie kann also irgendwer hier Glück erwarten?

Der Geist bildet die Baumwurzel von Samsara, das sich in alle Richtungen mit Blüten besteckten Zweigen, Ranken, Früchten usw. verästelt. Wie kam es zu dieser Maya? Der Geist tanzt im Weltentheater, das Sankalpa heißt. Der Geist ist ein Bündel an Sankalpas. Wenn die Sankalpas vernichtet sind, wird auch der Baum von Geburt und Tod zerstört. Nun habe ich den Dieb gefunden, der mich meiner atmischen Perle beraubte. Nun bin ich erwacht. Ich entdeckte den Räuber meiner Seele. Sein Name heißt Geist. Lange habe ich unter diesem betrügerischen Schuft gelitten. Ich erlaube mir nicht länger, von diesem Geist getäuscht zu werden. Ich bin entschlossen, ihn zu töten. Ich werde den Geist mit der Nadel der Unterscheidung aufspießen und ihn mit den Tugenden der Selbstkontrolle und Leidenschaftslosigkeit fesseln. Ich bin nun zum spirituellen Wissen erwacht und verfolge jetzt meine spirituelle Suche. Nun habe ich meine lange verlorene Seele wiedergefunden. Ich werde mich immer in dem reinen, unsterblichen Atman vertiefen und höchsten Frieden erlangen. Ich werde meinen mächtigen Feind, den Geist, unterdrücken und die Vorstellungen aufgeben, dass ich dieser Körper bin und diese Eigenschaften und Besitztümer mir gehören.“

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Ich habe durch das Hören der die Seele bewegenden Gesänge der Siddhas (der Siddha Gita) sämtliche spirituellen Erfahrungen gewonnen. Ich betrachte sie als meine Gurus. Ich habe meinen Geist vollkommen ausgelöscht. Ich genieße nun die Wonne des Ewigen. Ich bin vollkommen frei von Schmerzen. Dualitäten, Unterschiede und Unterscheidungen sind verschwunden. Ich nehme das eine Selbst überall wahr. Ich habe immerwährenden Frieden. Die Vorstellungen des „Ich, Er, Du, Hier, Dort, Nun, und Dann“ sind vergangen. Ich verehre Atma Jnana, der mein Unwissen zerstört und mich in diesen unbeschwerten Zustand erhoben hat.“

Janaka verblieb so lange Zeit in Samadhi oder dem Zustand des Überbewusstseins. Er kehrte aus Samadhi zurück und sagte: „Überall erkenne ich jetzt nur den einen, unteilbaren Brahman. Ich bleibe immer in meinem eigenen Selbst verankert. Nichts kann mich stören. Ich kenne weder Liebe noch Hass. Ich sehne mich nicht nach weltlichen Gegenständen. Ich bin wunschlos. Ich pflege die universelle Sicht der Dinge. Ich besitze Gleichmut.“

Dann kümmerte er sich um die Angelegenheiten des Staates, ohne wirklich zu glauben, der Handelnde zu sein. Er erledigte die königlichen Pflichten, da sie sich ihm ohne Hinblick auf ihren Lohn oder in Erwartung dessen darboten. Er wurde zu Lebzeiten befreit. Er kümmerte sich weder um die Vergangenheit noch um die Zukunft.

Oh Rama! Das Wissen über das Selbst kann nur durch ständige atmische Befragung und nicht durch Handlungen erreicht werden. Der weltlich ausgerichtete Mensch hängt an Sinnesobjekten. Die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung beruht auf den Anstrengungen während der jeweiligen vorhergehenden Geburten. Man sollte das schmutzige Ajnana, das Leid und Wiedergeburt erzeugt, zerstören. Wer immer auch das Höchste Selbst erlangen möchte, sollte zunächst alle Wünsche, Sehnsüchte und den Egoismus zerstören.

Nachdem die Wolke des Egoismus aufgelöst ist, scheint das göttliche Licht so strahlend wie die Sonne. Wer das Selbst erkannt hat, ist von den Gedanken an die äußere Welt befreit. Er unterliegt weder der Freude noch dem Bedauern dieser Welt. Er ist von Liebe und Hass befreit. Die dichte Wolke des Egoismus, die die Sonne Brahmans ausblendete, ist von Atma Jnana aufgelöst worden. Der kostbare Juwel Jnana, der in der Herzhöhle der Jnanis verwahrt ist, bringt augenblicklich wie ein Kalpabaum alles, was sie sich gerade vorstellen.

Nur das Spiel des Chit scheint wie diese Welt. Diese Welt ist von Brahman nicht getrennt. Sie stellt keine davon abgetrennte Einheit dar. Sie existiert nicht aus sich heraus. Die Welt als Welt gibt es überhaupt nicht. Diese Welt ist nichts als Brahman. Brahman erscheint durch den Spiegel des Geistes als dieses Universum.

Leidenschaftslosigkeit in Verbindung mit dem Wissen über die Einheit schmelzt die Substanz des Geistes und bringt den besten und höchsten Zustand des Glücks. Man verweilt im Höchsten Selbst, welches das Hauptziel des Lebens ist.

Nun, oh lotusäugiger Rama! Denke nach und meditiere über das Selbst wie es Janaka tat und erlange Atma Jnana. So schloss Vasishtha.