3. Utpatti Prakarana - Über die Schöpfung

Die Geschichte eines Siddha

Vasishtha sagte: „Der Geist existiert nicht unabhängig. Genau so abhängig wie die Wellen vom Meerwasser sind, hängt der Geist vom Höchsten Selbst ab. Der Geist ändert sich ständig. Er verwechselt Freund und Feind und Feind und Freund. Er reißt Großes nieder und bauscht das Niedrige riesig auf. Momentan kennt er ein Gefühl oder einen Zustand und ein andermal ein anderes Gefühl oder einen anderen Zustand. Er hält die Wahrheit für unwahr und das Unwahre für wahr. Freude und Leid, Vergnügen und Kummer, Glück und Sorge sind nur Geschöpfe des Geistes. Nur der Geist erntet die Früchte guter und schlechter Taten. Es gibt keinen vom Geist unabhängig wahrgenommenen Gegenstand. Der Geist ist die Ursache aller Gefühle. Du hörst, fühlst, siehst, schmeckst und riechst nur durch den Geist. Der Geist bewegt den Körper. Zeit, Entfernung, Ort; Länge, Breite und Höhe; Schnelligkeit, Langsamkeit, groß und klein; zu viel oder zu wenig; schwarz oder rot - all diese Dinge entstehen nur im Geist.

Der Gedanke an Gegenstände führt zur Verhaftung. Der Verzicht auf Gedanken führt zur Befreiung. Dieses Universum ist nichts anderes als die Ausdehnung der Gedanken. Diese Welt ist wie eine große Show. Diese Show läuft nur durch den Geist weiter. Genauso wie die Jahreszeiten die Veränderungen in den Bäumen hervorrufen, so löst der Geist Unterschiede in der menschlichen Befindlichkeit aus. Es gibt so viele Geister wie es Menschen in der Welt gibt. Es ist schwierig zwei Menschen mit demselben Geist zu finden.

Der Geist spielt mit den Gegenständen. Er verursacht Täuschung. Durch das Spiel des Geistes erscheint die Nähe fern und die Ferne nah. Ein Kalpa scheint ein Moment zu sein und andersherum. Um dir diese Vorstellung zu verdeutlichen, werde ich dir nun eine interessante Geschichte erzählen. Oh Rama! Lausche mit verzückter Aufmerksamkeit!

Lavana, ein Nachkomme von König Harishchandra, regierte über das Land Uttar Pandava. Er war ein glorreicher und tugendhafter König. Einmal saß er in Gegenwart all seiner Minister und Offiziere auf dem Thron. Da erschien ein Siddha oder ein Magier. Er verbeugte sich vor dem König und rief aus: „Oh mein Herr! Gönne es dir, meine wunderbaren Großtaten zu vernehmen.“ Der Siddha wedelte mit seinem Pfauenfedernstrauß. Der König machte die folgenden Erfahrungen: Ein Bote des Königs von Sindhu betrat den Hof mit einem Pferd so wie das von Indra und sprach: „Oh Herr! Mein Meister bietet dir dieses Pferd als Geschenk.“

Der Siddha bat den König, das Pferd zu besteigen und zu seinem Vergnügen zu reiten. Der König starrte auf das Pferd und verfiel für zwei Stunden in Trance. Anschließend sah man, wie sein steifer Körper sich entspannte. Etwas später fiel sein Körper zu Boden. Die Höflinge richteten den Körper auf. Dann gelangte der König wieder zu normalem Bewusstsein. Die Minister und Höflinge wurden sehr besorgt und befragten den König: „Was ist geschehen Ihre Majestät?“

Der König antwortete: „Der Siddha wedelte mit dem Pfauenfedernstrauß. Vor mir sah ich ein Pferd, das ich bestieg und in der heißen Sonne in die Wüste ritt. Meine Zunge war ausgetrocknet. Ich war sehr ermüdet. Dann erreichte ich einen wunderschönen Wald. Während ich ritt, umwickelte eine Schlingpflanze meinen Nacken und das Pferd lief weg. Ich schaukelte während der ganzen Nacht mit der Schlingpflanze um den Hals in der Luft hin und her. Ich zitterte vor lauter Kälte.

Als der Tag dämmerte, sah ich die Sonne. Ich durchtrennte die Schlingpflanze um meinen Hals. Dann nahm ich ein kastenloses Mädchen wahr, das Essen und Wasser in den Händen trug. Ich war sehr hungrig und bat sie um etwas zu essen. Sie gab mir nichts. Ich blieb eine lange Zeit dicht hinter ihr. Dann drehte sie sich zu mir um und sagte: „Ich bin Chandala seit Geburt. Wenn du mir versprichst, mich in meinem Ort vor meinen Eltern zu heiraten und mit mir dort zu leben, dann gebe ich dir sofort, was ich in der Hand halte.“ Ich willigte ein, sie zu heiraten. Dann gab sie mir die Hälfte des Essens. Ich aß es und trank das Getränk aus der Jambufrucht.

Dann führte sie mich zu ihrem Vater und bat um seine Einwilligung, mich zu heiraten. Sie brachte mich zu ihrer Bleibe. Der Vater des Mädchens tötete Affen, Krähen und Schweine, um deren Fleisch an Nervensträngen zu trocknen. Ein kleiner Schuppen wurde errichtet. Ich hatte meinen Platz auf einem großen Kochbananenblatt. Dann schaute mich meine schielende Schwiegermutter mit ihren blutunterlaufenen Augäpfel an und sagte: „Ist dies unser zukünftiger Schwiegersohn?“

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Die Hochzeitsfeierlichkeiten begannen mit einem großen Brimborium. Mein Schwiegervater überreichte mir Kleider und andere Gegenstände. Der Palmwein Toddy und Fleisch wurden großzügig verteilt. Die Fleisch essenden Chadalas begannen, ihre Trommeln zu schlagen. Das Mädchen wurde mir zur Frau gegeben. Ich bekam den Namen Pushta. Die Hochzeitsfeier dauerte sieben Tage. Aus dieser Beziehung entstammte zuerst eine Tochter. Innerhalb dreier Jahre wurde wiederum ein schwarzen Junge geboren. Dann kam wieder eine Tochter zur Welt. Ich wurde ein alter Chandala mit einer großen Familie und lebte lange Zeit.

Kinder sind eine Quelle des Kummers. Das Unheil der Menschheit, das aus der Leidenschaft entsteht, nimmt die Gestalt eines Kindes an. Der Körper altert und wird aufgrund des Erhalts und der Sorgen um die Familie verbraucht. Ich sah mich der Qual von Hitze und Kälte in jenem trostlosen Wald ausgesetzt. Ich trug alte und verrissene Kleider. Ich bürdete mir Brennholz auf mein Haupt. Ich war den frostigen Winden ausgesetzt. Ich ernährte mich von Wurzeln. So verbrachte ich sechzig Jahre meines Lebens, als ob es so viele langewährende Kalpas gäbe. Dann kam eine schlimme Hungersnot. Viele verhungerten. Einige meiner Verwandten zogen weg.

Meine Frau und ich verließen dieses Land und marschierten in der heißen Sonne. Ich trug zwei Kinder auf meinen Schultern und das dritte auf meinem Kopf. Nachdem wir eine lange Strecke gingen, kam ich am Rande eines Waldes an. Wir alle rasteten ein wenig unter einem Palmyrabaum. Meine Frau verstarb aufgrund der langen Reise in der heißen Sonne. Pracheka, mein jüngerer Sohn, erhob sich vor mir und sagte unter Tränen: „Papa, ich habe Hunger, gib mir sofort Fleisch und etwas zu trinken, sonst werde ich sterben.“ Er wiederholte mit Tränen in den Augen, dass er vor Hunger stürbe.

Väterliche Liebe regte sich in mir. Mein Herz zog sich zusammen. Unfähig den Kummer zu ertragen, entschloss ich mich, meinem Leben ein Ende zu setzen, indem ich mich ins Feuer fallen ließe. Ich sammelte Holz, stapelte es auf und entzündete es. Als ich mich erhob, um ins Feuer zu springen, fiel ich vom Thron und erwachte zu den Klängen der Musikinstrumente und sah, wie ihr mich aufrichtete und die Worte rieft: „Jaya, jaya (der Sieg sei dein). Nun erkenne ich mich als König Lavana und nicht als Chandal. Jetzt verstehe ich, dass es der Siddha war, der mich so lange durch all dies eingebildete Ungemach geführt hatte.“

Die Minister erkundigten sich nach den Vorfahren des Siddhas. In der Zwischenzeit fand man heraus, dass Sambrika, der Siddha, verschwunden war. Vasishtha erklärte dann: „Oh Rama! Dieser Siddha ist niemand anderes als die göttliche Maya. Diese Geschichte zeigt deutlich, dass das Universum nichts anderes als der Geist selbst ist. Parabrahman Selbst erscheint als der Geist. Und die Welt, alles, was du siehst, ist nur eine Manifestation von Chit. Die Zeit ist nur eine Spielart des Geistes. Im Traum erlebst du die Ereignisse eines Jahrhunderts in fünf Minuten. Ist der Geist konzentriert, dann wirkt eine Stunde wie fünf Minuten. Ohne Konzentration erscheinen zehn Minuten wie drei Stunden. Alle haben dies schon in dieser Welt erfahren. König Lavana erfuhr sechzig Jahre innerhalb zweier Stunden.

Dieses Universum ist eine Schöpfung des Geistes. Der Geist oder Maya ist der größte Spieler oder Zauberer. Der Geist oder Maya stellt den Siddha oder den Zauberer der obengenannten Geschichte dar. Der Geist ist Maya. Der Geist ist das Instrument der Maya. Die Erfahrungen des Königs Lavana stellen die erbärmliche Situation der Menschheit dar, die Sklave ihrer Wünsche, Sehnsüchte und dem Zustand der Welt ist. Diese trügerische Welt ist nur eine Abbild der unbegrenzten Macht oder des allmächtigen Herrn – alle Menschen gehen vollkommen verblendet durch diese Welt. Sie glauben an die Wirklichkeit des Unwirklichen. Das Wirkliche ist ihnen unwirklich. Genauso wie ein Baum sich durch seine Zweige und Äste ausdehnt, so dehnt der Geist sich durch den vielfältigen Erfindungsreichtum seiner Vorstellungskraft aus.

Wenn du die Sankalpas oder die Vorstellungen des Geistes zerstörst, wenn du den Geist vollkommen disziplinierst, wenn du den Geist allmählich durch die Unterscheidungskraft, Befragung, Leidenschaftslosigkeit und regelmäßige Meditation auf Atman unter deine Kontrolle bringst, dann wird dich Maya nicht überwältigen. Du erreichst Unsterblichkeit und genießt die ewige Wonne des Unendlichen.