Die Ishavasya-Upanishade ist eine wunderschöne Upanishade. Schon die erste Zeile „Ishavasyamidam sarvam – dieses ganze Universum ist umhüllt, erfüllt, von Gott“ weckt eine tiefe, sofortige Inspiration im Leser. Meditation allein schon darüber führt zur Erkenntnis des Selbst. Wer über dieses Mantra meditiert erkennt die Einheit hinter allem. Er erlangt intuitive Sicht der Wirklichkeit und Erleuchtung. Obwohl sie auf den ersten Blick einfach und leicht verständlich erscheint, ist diese Upanishade in Wirklichkeit eine der am schwersten verständlichen in ihrer tiefen Bedeutung

Der Aspirant sollte diese Upanishade bei einem erfahrenen Lehrer, einem Brahma-Shrotri,einem Brahma-Nishtha, mit einpünktigem, reinem Geist studieren. Dann wird ihm alles klar werden. Der Leser sollte versuchen, die Bedeutung der Begriffe „Vidya“ (Wissen, Erkenntnis), „Avidya“ (metaphysische Unwissenheit), Sambhuti (das Manifeste), Asambhuti (das Unmanifeste), Tod, Unsterblichkeit, Krato (der „Genießer aller Opfer“, der, für den alle Taten vollendet sind). Unsterblichkeit bedeutet hier im Zusammenhang häufig die relative Unsterblichkeit, nicht die absolute Unsterblichkeit.

Diese Upanishade beschreibt zwei Übungswege, nämlich den Pfad der Entsagung respektive des Jnana Yoga für Sannyasins (Nivritti Marga) und den Pfad der Handlung, des Karma Yoga, für jene, die der Welt nicht ohne weiteres entsagen können (Pravritti Marga). Die wünschenswerte Verbindung von Karma Yoga mit Bhakti Yoga im Sinne der Verehrung der Gottheit bzw. der kombinierten Verehrung von Hiranyagarbha (kosmischer Geist) mit der Verehrung von Avyaktam (der unmanifesten Schöpfung) wird erläutert. Lebe im Geist dieser Upanishade. Verwirkliche das Selbst. Erfreue dich im Sat-Chit-Ananda Atman (im Selbst, das reines Sein-Wissen-Wonne ist). Möge der Segen der Seher der Upanishaden auf Euch allen sein!

Einleitendes Shanti Mantra

Iishopanishat

Om Puurnamadah puurnamidam puuraatpuurnamudachyate Puurnasya puurnamaadaaya puurnamevaavashishyate Om shaantih shaantih shaantih

Das Ganze ist all Jenes. Das Ganz ist all Dies. Das Ganze wurde aus dem Ganzen geboren., Wenn man das Ganze vom Ganzen wegnimmt, bleibt immer noch das Ganze. Om Frieden, Frieden, Frieden. Jeder Veda hat sein eigenes Friedensmantra für seine Upanishaden. Sie werden am Anfang und am Ende der Upanishade rezitiert, Hier, in diesem Friedensmantra, wird die Einheit des Universums mit Brahman, dem Absoluten, auf wunderschöne Weise beschrieben.

1. Vers

Om ishaavaasyamidam sarvam yatkincha jagatyam jagat Tena tyaktena bhunjithaah maa gridhah kasya sviddhanam

All dies – was immer sich in diesem Universum bewegt (und alles, was sich nicht bewegt) ist erfüllt (beseelt, durchdrungen, eingehüllt) von Isha, Gott. Nachdem Du all diesem entsagst hast, erfreue dich. Begehre nicht das Gut irgendeines Menschen.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Im 1. Vers geht es um Jnana-nishtha (festes Verankertsein in Jnana, metaphysischem Wissen). Er richtet sich an jene, die nach Erkenntnis Brahmans, nach dem Wissen um Atma Jnana (Wissen um das Selbst) streben. Das ist der Nivritti Marga der Sannyasins, der Weg der Entsagung.

Das Wort Isha kommt vom Verb ishte, herrschen. Es bedeutet „von Gott“. Gott, Ishvara, regiert die Welt. Er ist der Höchste Herrscher. Vaasyam bedeutet „eingehüllt“, „bedeckt“, „bewohnt“ von. Shankara erklärt in seinem Kommentar, man sollte die Wahrnehmung dieser unrealen Welt überwinden, indem man Brahman verwirklicht durch die Vorstellung „Ich allein bin all dies, als das innere Selbst von allem“.

Diese Welt der Namen, Formen, Handlung und Eigenschaften (Nama, Rupa, Kriya, Guna) ist aufgrund von Avidya, Unwissenheit, dem Atman überlagert. Daher ist die Vorstellung von Dualität entstanden. Es gibt scheinbar einen Handelnden, einen Genießenden/Erfahrenden, einen Erkennenden, etwas Erkanntes, einen Sehenden, das Gesehene, Subjekt, Objekt usw. Wer über das Selbst als Paramatman (höchstes Selbst), reines Brahman (Absolute), meditiert, wird natürlicherweise den drei Kategorien von Wünschen entsagen, nämlich dem Wunsch nach Nachkommenschaft, Wohlstand, Name und Ruf (Putreshana, Vitteshana, Lokeshana).

Tena tyaktena bedeutet: „durch eine solche Einstellung von Entsagung“. Tyaktena heißt Entsagung. Shankara interpretiert das als Substantiv. - Da die Welt unwirklich im Sinne des Vedanta ist und die Objekte somit als wertlos erkannt werden, was sollte der Nutzen sein, den Reichtum anderer zu begehren? Vielmehr wird man durch Selbstverwirklichung den höchsten, unvergänglichen Reichtum des Atman erlangen.

Entsage den Wünschen dieser Welt. Entsage den Wünschen der höheren Welt. Entsage dem Ich denken, Selbstsucht, der Identifikation mit dem Körper (Deha-adhyasa). Entsage sogar dem Wunsch nach Befreiung. Entsage der Entsagung selbst (Tyaga Abhimana). Dann wirst Du Jenes werden. Du wirst in Ihm aufgehen. „Brahmavit Brahmaiva Bhavati“ – „Der Kenner Brahmans wird zu Brahman“. Das Streben nach Befreiung wird alle äußerlichen/weltlichen Wünsche transzendieren. Danach gilt es, sogar dem Wunsch nach Befreiung zu entsagen. „Na karmana na prajaya dhanena tyagenaike amritatvam-anasuh – Weder durch Werke/Handlungen noch durch Nachkommenschaft noch durch Reichtümer, sondern nur durch Entsagung allein erreicht man Unsterblichkeit“.

2. Vers:

Kurvanneveha karmaani jijiivishecchhatam samaah Evam tvayi naanyatheto’sti na karma lipyate nare

Indem man Werke (Anm. des Übersetzers: auch im Sinn von: vorgeschriebene Handlungen/Rituale) ausführt, sollte man sich eine Lebensspanne von 100 Jahren wünschen (Anmerkung des Übersetzers: 100 steht repräsentativ für sehr lange). Das ist die richtige Verhaltensweise, nichts anderes. Wer so handelt, den wird die Handlung nicht binden.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Im 1. Vers wurde die Lehre für höchstes Wissen dargelegt. Dieses Mantra in Vers 2 legt nun die entsprechenden Regeln für das Handeln fest. Es gibt denjenigen Anleitung, die sich von den Bindungen der Welt nicht so einfach frei machen können. Karmanishtha – die tiefe Verankerung im selbstlosen Handeln – wird hier empfohlen für jene, die nicht in der Lage sind, Sannyas zu nehmen. „Kurvanneva“ bedeutet: es muss getan werden; durch das Tun, nicht durch das Verzichten der Handlungen. „Eva“ gibt der Aussage eine definitive Kraft. „Karmani“ bedeutet die Handlungen/Rituale, die von den Veden vorgeschrieben sind wie z.B. Agnihotra (Feuerzeremonie) und andere Rituale. Sie zu unterlassen schafft papa, negatives Karma.

Jijivishet bedeutet „man sollte wünschen zu leben“, satam samah bedeutet „100 Jahre“. 100 Jahre ist die längste Lebensspanne des Menschen im Kali Yuga. (dem jetzigen „Eisernen Zeitalter“). Man sollte danach streben, lange zu leben, um die vorgeschriebenen Handlungen ausführen zu können, nicht für andere Zwecke. Die Idee ist nicht, um ein langes Leben zu bitten für Müßiggang und um zu tun, wozu man gerade Lust hat. Man sollte die vorgeschriebenen Handlungen täglich ausführen und kontinuierlich selbstlosen Dienst für andere, ohne Eigeninteresse, ausüben, mit Atma-Bhava,(der Kultivierung des höchsten Selbst in sich und anderen, bzw. dem Gefühl, dem Einen zu dienen in allem) Nur so erreicht man Chitta-shuddhi, Reinigung des Geistes/des Herzens. Nur dann wird allmählich Atma Jnana (Erkenntnis des Selbst) heraufdämmern. Indem man so Werke/Rituale ausführt ohne jegliches äußeres Motiv, binden einen die Werke nicht. Das ist der Weg der Handlung, Pravritti Marga.

3. Vers:

Asurya naama te lokaa andhena tamasaa’ ’ vritaah Taam ste pretyaabhigacchanti ye ke chaatmahano janaah

Ohne Sonne (gottlos) sind jene Welten, überzogen von dichter Dunkelheit. Menschen die ihre Seele töten gehen nach dem physischen Tod in jene Welten.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Es gibt zwei Interpretationen: Asuurya = ohne Sonne und asurya = ungöttlich. Verglichen mit dem Zustand des Höchsten Selbst sind selbst die wunderschönsten, erhabensten Welten der Götter/Engelswesen „gottlos“. „Andhena tamasa“ – völlige Dunkelheit, das bedeutet, metaphysische Unwissenheit, die der Erkenntnis des wahren Selbst im Weg steht. „Avritah“ bedeutet „bedeckt/durchdrungen von“. „Pretya“ bedeutet „den Körper verlassen“, „Abhigachhanti“ bedeutet „erlangen“. „Atmahanah“ bedeutet die „Mörder des Atman“, dijenigen, die ihr wahres Selbst töten.

Wer den Schleier der Unwissenheit über den Atman hält, ist nicht in der Lage, das höhere Selbst wahrzunehmen. Solche Seelen bewegen sich getäuscht in dieser Welt und laufen vergänglichen äußeren Sinnesobjekten nach. Ihr Geist/Gemüt ist voller Leidenschaft, Gier, Zorn, Überheblicheit und Ichbezogenheit. Unter dem Einfluss von instinktiven Wünschen, Gier und Ärger begehen sie alle möglichen nicht hilfreiche Taten. Sie sind wieder und wieder gefangen im Rad von Geburt und Tod. Sie verwechseln den Körper mit dem unvergänglichen Selbst wie Virochana und seine Dämonenschar (Anmerkung des Übersetzers: Virochana ist der Herrscher der Dämonen, der zusammen mit Indra über das höchste Selbst belehrt wurde und die Lehre nicht wirklich verstanden hat.). Sie haben die Herrlichkeit und den Glanz des unsterblichen Sat-Chit-Ananda Atman vollkommen vergessen. Deshalb werden sie als Atmahanah, die Mörder des Atman, bezeichnet.

4. Vers:

Anejadekam manaso javiiyo nainaddevaa aapnuvanpurvamarshat Taddhaavato’nyaanatyeti tishthattasminnapo maatarishvaa dadhaati

Es (Atman, das Selbst) ist bewegungslos, eins, flinker als der Geist. Die Devas (Engelswesen, sinnbildlich hier für die Sinne) konnten Es nicht einholen, als Es vor ihnen herlief. Sitzend, bewegt Es sich schneller als jene, die Es verfolgen. Nur durch Es erhält und stützt Matarishvan (die Luft/Prana, der Sutratman, der Feinstoffkörper) die Aktivität aller Lebewesen.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Dies ist eine Beschreibung der Natur des Atman. Aus „na“ und „ejat“ entsteht „anejat“. Die Wurzel „ejri“ bedeutet „erschüttern“. Anejat heißt unerschüttert, d.h., fest, beständig.

„Es ist bewegungslos, aber schneller als der Geist“ – Das scheint ein offensichtlicher Widerspruch, ein Paradox zu sein. Aber das ist es nicht wirklich. Weil der Atman alldurchdringend und Fülle ist (Paripurna), heißt es, der Atman ist geschwinder als der Geist. Bevor der Geist, also die Gedanken, irgendwo ankommen, ist der Atman schon da, da er alldurchdringend ist. So kann der Geist Ihm niemals voraus sein. „Devas“ bedeutet hier die Sinnesorgane wie das Ohr, das Auge,usw. Das Wort kommt von der Wurzel „erleuchten“ „Tishtat“, „sitzend“, bedeutet, dass der Atman Nishkriya ist, nicht-handelnd. Er ist einfach still.

Matarishva ist der Herrscher der Atmosphäre. Er ist die göttliche Lebenskraft in allen Erscheinungsformen. Shankaracharya erklärt das Wort wie folgt: „Matari antarikshe svayati gachhatiti vayu – der sich in der Mutter, der Luft, bewegt; welcher der Erhalter und Träger der ganzen Welt ist, der Sutratman (das höhere Selbst), Hiranyagarbha (kosmisches Gemüt,), die universelle Seele. „Matarishva“ bedeutet wörtlich „Luft“, „Raum“. Diese „Luft“ ist der Träger hinter Feuer, Sonne, Regen, usw.

Apas (Wasser) steht für alle Karmas, Handlungen. Wasser steht symbolisch für Handeln, weil alle Riten mit Wasser ausgeführt werden.

5. Vers:

Tadejati tannaijati tadduure tadvantike Tadantarasya sarvasya tadu sarvasyaasya baahyatah

Er (der Atman) bewegt sich und bewegt sich nicht. Er ist weit weg und nah. Er ist in alledem und auch außerhalb von allem.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Hier wird der Gedankengang aus dem 4. Vers weiter verfolgt. „ejati“ heißt „bewegt sich“, „naijati - „bewegt sich nicht“. Oberflächlich scheint auch dieses Mantra voller Widersprüche und Paradoxien zu sein. Aber nicht für jemanden, der philosophisch denkt. Die Bedeutung liegt klar auf der Hand. Der Atman ist das primum-mobile, der die ursprüngliche Bewegung auslöst. Er gibt der Prakriti (Urnatur) einen Schub, woraufhin sich die Prakriti bewegt. Der Atman selbst ist ohne jegliche Bewegung, aber er bringt die Prakriti in Bewegung, allein durch sein Bewusstsein („seinen Blick“), allein durch seine Präsenz. Daher wird gesagt: „Er bewegt sich“.

Wenn er alldurchdringend und von allem erfüllt ist, wohin könnte Er sich bewegen? Daher ist Er bewegungslos: „Er bewegt sich nicht.“ Für den Unwissenden ist er fern. Er ist sehr weit entfernt für jene, die in der äußeren Welt aufgehen, die tief in Samsara, das Rad von Geburt und Tod, verstrickt sind. Er ist sehr sehr weit weg für jene, die selbstsüchtig, stolz, egoistisch, aufbrausend, leidenschaftlich sind. Er ist nah für den Suchenden. Er ist sehr sehr nah für diejenigen, die Reinheit des Geistes (Chitta-shuddhi) haben, die die 4 Mittel zur Befreiung besitzen (Anmerkung des Übersetzers: die 4 Voraussetzungen eines spirituellen Aspiranten: Viveka = Unterscheidungskraft, Vairagya = Wunschlosigkeit, Shatsampat = die 6 edlen Tugenden des Gleichmuts, Mumukshutwa = starke Sehnsucht nach Befreiung), und die begonnen haben, sich von einem Guru unterweisen zu lassen, darüber nachdenken und meditieren (sravana = hören, manana = nachdenken, nididhyasana = tief darüber meditieren), denn Er ist ihr inneres Selbst, Antar-Atman. Er ist sehr subtil (Ati-sukshma) Er ist feiner als Äther, Akasa. Er erfüllt und umfasst alles. Er ist Fülle (Paripurna). Daher ist Er innen und außen. „Alles“ bedeutet „diese ganze Welt, die Objekte dieser Welt“. Brahman ist das Substrat, die Stütze (Adhishthana) aller Wesen, da Es in allem ist und alles durchdringt.

6. Vers:

Yastu sarvaani bhutaanyaatmanyevaanupashyati Sarvabhuuteshu chaatmaanam tato na vijugupsate

Wer alle Wesen im Selbst sieht und das Selbst in allen Wesen, schreckt daraufhin vor nichts mehr zurück.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Die Gedanken dieses Mantras finden sich in den Shlokas VI-29 und 30 der Bhagavad Gita: „Das Selbst, welches durch Yoga ausgeglichen wurde, sieht das Selbst innewohnend in allen Wesen und alle Wesen im Selbst; in allem sieht er dasselbe.“ „Wer Mich überall sieht, und alles in Mir, den werde ich nie verlassen und er wird mich nie verlieren.“ Die Verse 6 und 7 beschreiben den Zustand eines voll verwirklichten Weisen (Jnani). „Sarvani Bhutani“ bedeutet normalerweise „alle Geschöpfe“. Wörtlich heißt es: Alles, was geworden ist“, d.h., vom Unmanifestierten, Avyakta, bis hinunter zu unbeweglichen Objekten. In den Schriften (Shruti = Veden) findet man auch: „Wer das Höchste Selbst als alle durchdringend erkennt, und alles im Höchsten Selbst sieht, hat kein Bedürfnis sich zu schützen, denn er hat keine Furcht vor irgend jemandem. Da er furchtlos ist, kümmert er sich nie darum, sein kleines Selbst zu bewahren.“

Der Weise, der den Atman verwirklicht hat, nimmt wahr, dass alle Objekte und alle Wesen nicht getrennt sind von seinem eigenen Selbst,und dass sein Selbst das Selbst aller Wesen ist. Der Atman ist das gemeinsame Bewusstsein aller Wesen. Der Atman ist dem König und dem Bauern gemeinsam, dem Heiligen und dem Spitzbuben, dem Schuster und dem Barbier, der Ameise und dem Elefant, dem Baum und dem Stein. Wie könnte eine solch große Seele, die in ihrem eigenen Selbst ruht und die ein solch erhabenes kosmisches Bewusstsein hat, vor irgendeinem Wesen oder Objekt mit einem Gefühl der Ablehnung zurück schrecken? Wie kann so ein Mensch irgendetwas nicht mögen? Wie kann er irgendjemanden hassen? Das ist völlig unmöglich.

7. Vers:

Yasminsarvaani bhuutaanyaatmaivaabhuudvijaanatah Tatra ko mohah kah shoka ekatvamanupashyatah

Wenn für den Wissenden alle Wesen eins werden mit seinem eigenen Selbst, wie könnte er getäuscht werden, was für eine Sorge könnte da sein, wenn er überall Einheit sieht?

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Dieses Mantra führt den Vers 6 weiter aus. Die Worte „Vijanata“ in Vers 7 und „Anupashyati“ in Vers 6 haben dieselbe Bedeutung. Reine intellektuelle Zustimmung, dass das eine Selbst in allen Wesen wohnt, reicht nicht aus. Tatsächliche Selbstverwirklichung, direkte Wahrnehmung (Aparoksha Anubhuti) ist unverzichtbar. Im Vers 6 heißt es, der Kenner Brahmans wird furchtlos. Hier heißt es, derselbe Kenner überwindet Täuschung und Sorge. Das sind die Früchte, wenn man Brahma-Jnana (Erkenntnis Brahmans) erlangt.

„Tarati shokam atmavit“ – „Der Kenner Brahmans geht über den Kummer hinaus“, erklären uns die Schriften mitfühlend. Die drei Knoten (hridaya granthi) sind Avidya, Kama und Karma – Unwissenheit, Wünsche und Karma, Handlung. Ein weltlicher Mensch ertrinkt in Täuschung und Sorgen aufgrund dieser drei Knoten. Wenn sie durch die Verwirklichung der Einheit aufgelöst werden, durch die Erkenntnis, dass alle Wesen eins mit dem Atman sind, wie kann es Täuschung und Leid im Wissenden geben? – Vollkommen unmöglich. Er erfreut sich immer in der Wonne des Atman. Selbst die schwerste Sorge kann ihn kein bisschen erschüttern. Er bleibt unerschütterlich. Die Bhagavad Gita sagt: „Yasmin sthito na duhkhena gurunapi vichalyate – wenn man darin fest begründet ist, wird man selbst von schwerer Sorge nicht erschüttert.“

8. Vers:

Sa paryagaacchukramakaayamavranam asnaaviram shuddhamapaapaviddham Kavirmaniishii paribhuuh svayambhuuhyaathaatathyato’ rthaan vyadadhaac chhaashvatiibhyah samaabhyah

Er (der Atman) ist alldurchdringend, strahlend, körperlos, unverletzlich, ohne Muskeln, rein, unberührt vonÜbel, weise (sehend), allwissend, transzendent, aus sich selbst entstanden. Er hat den verschiedenen ewigen Schöpfern ihre jeweiligen Funktionen zugewiesen.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Sah“ bezieht sich auf „der Atman, der oben beschrieben wurde.“ „Paryagat“ heißt „der, der in die Fremde gegangen bzw. weit herum gegangen ist“. Die tatsächliche Bedeutung ist: Der Atman, der alldurchdringend ist. „Shukram“ ist rein, strahlend. „Akayam“ = ohne Körper. Hier bedeutet es, der Atman hat auch keinen subtilen Astralkörper. „Avranam“ und „Asnaviram“ weisen darauf hin, dass der Atman keinen physischen Körper hat. Der Ausdruck „Shuddha“ ist so zu interpretieren, dass der Atman auch keinen Kausalkörper hat und frei ist von der ursprünglichen Unreinheit der Unwissenheit. „Apapaviddham“ bedeutet, dass der Atman nicht berührt wird von guten und schlechten Handlungen (Nirlipta = unberührt, Asanga = nicht verbunden, Ashakta = nicht manifest). Shankara geht in seinem Kommentar davon aus, dass das Subjekt hier das Selbst ist und interpretiert die neutralen Adjektive als maskulin, weil Anfang und Ende (Sah und kavih) maskulin sind. Kavih ist ein Seher, der direkte Sicht und Erleuchtung besitzt. Manishi heißt der Herr des Geistes, derjenige, der den Geist steuert. Paribhu heißt „über allem sein“. „Der Atman ist der Beste von allem“. Svayambhu bedeutet „aus sich selbst heraus existierend“. Der Atman hängt von nichts anderem ab. „Jahre“ bezieht sich hier auf die Prajapatis, die Schöpfer, also die Schöpfungszyklen.

9. Vers:

Andham tamah pravishanti ye’vidhyaamupaasate Tato bhuuya iva te tamo ya u vidyaayaam rataah

Wer einzig und allein Avidya verehrt, stürzt in tiefste Dunkelheit. Wer Vidya (relatives Wissen) allein verehrt, stürzt in noch größere Dunkelheit.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Mit Avidya ist hier gemeint, das alleinige Festhalten und Durchführen von Karmas im Sinn von vedischen Ritualen wie Agnihotra usw., die in Erwartung bestimmter Früchte durchgeführt werden. Wer Rituale in dieser Weise durchführt, verstrickt sich in tiefer Dunkelheit. Nach dem physischen Tod gelangen diese Seelen in die Ebene der Vorfahren, Pitriloka. Wenn die Früchte ihrer Handlungen erschöpft sind, werden sie wieder zurück geschleudert in die Ebene der Sterblichen, Mrityuloka.

Mit Vidya ist hier niederes Wissen gemeint, das Wissen um die Gottheiten, die Vorschriften, etc. Dank solchen Wissens erreicht man nach dem physischen Tod Devaloka, die Ebene der Engelswesen. Wenn die Früchte des Vidya erschöpft sind, kommt auch diese Seele wieder zurück in Samsara, den Kreislauf von Geburt und Tod.

Wer die Karmas (Anm. des Übersetzers: also die in den Veden vorgeschriebenen Rituale), vernachlässigt und nur nach Vidya (also dem Wissen um die Gottheiten, Vorschriften etc.) strebt, endet in noch tieferer Dunkelheit. Karma und Vidya führen zu verschiedenen Ergebnissen, wenn sie voneinander getrennt praktiziert werden. In diesem Vers wird daher eine Kombination von Karma und Vidya empfohlen (Anm. des Übersetzers: (für jene, die nicht die höchste Erkenntnis erreicht haben oder noch nicht bereit sind, nach der höchsten Erkenntnis zu streben). In der Kurma Purana heißt es: „Zweifellos kommen Verehrer von anderen Gottheiten als Vishnu in tiefste Dunkelheit, aber in noch tiefere Dunkelheit fallen jene, die solche Seelen nicht kritisieren und es versäumen, sie von ihrem falschen Weg abzubringen. Diejenigen, die Lord Narayana (Gott als Urwesen, als universelle Kraft hinter allem) in Seiner wahren Form kennen und die Verehrer anderer falscher Gottheiten verurteilen, sind wahrhaft gute Menschen. Solche Menschen, welche die Unwahrheit, deren Natur Sorge und Unwissenheit ist, zurückweisen, überwinden Kummesie die Wahrheit kennen, deren Natur Freude und Wissen ist, erlangen sie eben diese Wonne und dieses Wissen.“

10. Vers:

Anyadevaahurvidyayaa’nyadaahuravidyayaa Iti shushruma dhiiranaam ye nastadvi cha chak shire

Man erhält, so heißt es, etwas Bestimmtes aus Vidya (dem Wissen um die Gottheiten) und etwas anderes aus Avidya (Unwissenheit; hier: dem Ausführen ritueller Handlungen). So haben wir es von den Weisen gehört, die uns beides gelehrt haben.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

„Anyat“ bedeutet etwas Unterschiedliches. Durch Verehrung von Vidya erlangt man Devaloka, die Welt der Engelswesen. Durch Avidya, das Ausführen vorgeschriebener Rituale, erlangt man die Welt der Vorfahren, Pitriloka. Dieser Meinung sind die spirituellen Lehrer, die uns beides, sowohl Vidya wie Karmas (rituelle Handlungen) lehren. So wird es vom Lehrer (Guru) auf den Schüler (Chela) weiter gegeben.

11. Vers:

Vidyaam chaavidyaam cha yastadvedobhayam saha Avidyayaa mriityum tiirtva vidyayaa’mritamashnute

Wer gleichzeitig sowohl Vidya wie auch Avidya kennt, überwindet den Tod durch Avidya (Anm. des Übersetzers: Im Sinne von vorgeschriebene Handlungen ausführen und erlangt Unsterblichkeit (Anm. des Übersetzers: relative, nicht absolute Unsterblichkeit) durch Vidya.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Mrityu, Tod, steht hier metaphysisch für Handlung und weltliches Wissen. Tirtva bedeutet „überwunden haben, ashnute heißt „man erreicht“. Mit den Engelswesen verbunden zu sein, führt zu Amritam, Unsterblichkeit (im relativen Sinn).

12. Vers:

Andham tamah pravishanti ye’sambhuutimupaasate Tato bhuuya iva te tamo ya u sambhuutyaam rataah

Diejenigen stürzen in tiefste Dunkelheit, welche die unmanifestierte Prakriti verehren. In noch tiefere Dunkelheit fallen jene, die den Karya Brahman allein verehren.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Asambhuti ist das, was nicht Sambhuti ist (aus etwas anderem entstanden), die ungeschaffene Natur, d.h., die Natur, die keine Ursache hat. Das ist Avyakta oder Avyakrita, die unmanifeste Natur, wo die drei Gunas in einem Zustand des Gleichgewichts existieren (Guna-samya Avastha). Materie, Energie und Klangschwingungen existieren hier in einem undifferenzierten Zustand. Das ist die Ursache von allem. Das ganze Universum existiert in Samenform in Avyaktam (im Unmanifesten), genau wie der Baum im Samen existiert. Die Verehrung dieser unmanifesten Prakriti wird Avyakta-upasana genannt. Auch Avyakta ist letztlich Unwissenheit. Es enthält die Samen aller Wünsche und Karmas. Hiranyagarbha ist Sambhuti („mit Wesen“, also manifestiert), auch Karya Brahman (verkörpertes Brahman) genannt. Er entsteht aus Avyakta. Er ist die Wirkung der unmanifestierten Prakriti. Hier folgt eine wunderschöne Übersetzung/Interpretation der Verse 12-14 von Dr. Paul Deussen: In blinde Finsternis eingeht, Wer ein Werden zu Nichts geglaubt. In blindere wohl noch jener, Der ein Werden zu Etwas glaubte. Verschieden ist Es von Werdung, Von Nichtswerdung verschieden auch. So haben von den Altmeistern Die Lehre überkommen wir. Wer Werden und Zunichtwerden Beide (als nicht vorhanden) weiß, Der überschreitet durch beides Den Tod und hat Unsterblichkeit.

13. Vers:

Anyadevaahuh sambhavaadanyadaahurasambhavaat Iti shushruma dhiiraanaam ye nastadvi cha chakshire

Es heißt, aus der Verehrung von Hiranyagarbha erhält man etwas Bestimmtes, etwas anderes aus der Verehrung der unmanifesten Prakriti. So haben wir es von den Weisen gehört, die es uns gelehrt haben.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Wer Sambhuti, Hiranyagarbha (Karya Brahman, das verkörperte Absolute) verehrt, erlangt Anima (den Status, wie ein Atom zu werden) und andere Siddhis. Wer die unmanifeste Prakriti verehrt, erlangt Auflösung (Laya) in die Prakriti. Er wird ein Prakriti-laya (siehe Patanjali Yoga Sutras, 1. Kapitel). So haben wir es von den weisen Lehrern gehört, die uns die Früchte der Verehrung von Hiranyagarbha und Prakriti getrennt beschrieben haben.

14. Vers:

Sambhuutim cha vinaasham cha yastadvedobhayam saha Vinaashena mrityum tiirtvaa sambhuutyaa’mritamashnute

Wer die unmanifeste Prakriti und Hiranyagarbha (Zerstörung) gleichzeitig verehrt überwindet den Tod durch die Verehrung von Hiranyagarbha und erlangt Unsterblichkeit durch die Verehrung der unmanifestierten Prakriti.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Hier wird vom Wort Asambhuti das „A“ weggelassen. Dadurch entsteht Sambhuti. Sambhuti wird aber hier im selben Sinn verwandt wie Asambhuti. Vinasha bedeutet Hiranyagarbha (der kosmische Geist). Der abstrakte Begriff wird hier stellvertretend für das Konkrete verwendet. „Tod“ bezeichnet hier begrenzte Kräfte, Wünsche, Laster. Durch Verehrung von Hiranyagarbha erlangt man Aishvarya (göttliche Kräfte = Siddhis). Unsterblichkeit bedeutet hier die Absorption, das Aufgehen in Prakriti. Dieser Vers betont also, dass es wünschenswert ist, Hiranyagarbha und die unmanifestierte Ur-Natur gleichzeitig zu verehren, so wie im Vers 11 die Kombination der Verehrung von Vidya und Avidya empfohlen wird.

15. Vers:

Hiranmayena paatrena satyasyaapihitam mukham Tattvam puushannapaavrinu satyadharmaaya drishtaye

Das Gesicht der Wahrheit ist verhüllt von einem goldenen Gefäß. Entferne, oh Sonne, diese Verhüllung des Gesetzes der Wahrheit, auf dass ich sie wahrnehmen möge.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Hiranmayena bedeutet „durch das Goldene/den Goldenen“, patrena „wie von einer Scheibe oder einem Lid“. Mit der „goldenen Scheibe“ ist die Sonne gemeint. Hiranya heißt „wie ein Goldenes“, d.h., voller Licht, strahlend. Satyasya bedeutet „das Brahman welches innerhalb der Sonnenscheibe ist“. Apihitam bedeutet „bedeckt“, mukham das Gesicht, apavrinu offen. Satyadharmaya – mir, der ich Satya, die Wahrheit (Brahman) verehre oder der ich Satya, Wahrhaftigkeit, praktiziert habe, d.h., Tugenden in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Shastras, der Schriften. „Oh Purushan, du Nährer, entferne den Schleier von Deinem Antlitz, auf dass ich Dich erschauen möge, die Selbstverwirklichung erlangen möge – Ich, der ich ein Satya-Dharma bin – der beständig auf Dich, die Wahrheit, meditiert.“ Pushan heißt der „Nährer“, ein anderer Name für die Gottheit der Sonne.

16. Vers:

Puushannekarshe yama uurya praajaapatya vyuuha rashmiin samuuha Tejah yatte ruupam kalyaanatamam tatte pashyaami Yo’saavasau purushah so’hamasmi Oh Pushan

(Sonne, Nährer), du einziger Seher (einziger Reisender am Firmament), Herrscher aller (Yama), Surya, Sohn des Prajapati, breite deine Strahlen aus und sammle dein brennendes Licht. Ich gewahre deine herrliche Form. Ich bin Er, der Purusha in Dir.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Die Verse 15-18 haben nur wenig Verbindung mit den vorherigen. Es ist das Gebet eines Sterbenden, das am Schluss hinzugefügt wurde. Die vier letzten Mantras geben keine Beschreibung der Natur des Wissens um das Selbst. Pushan ist ein Vokativ, eine Anrufung, im Sinne von „Oh Sonne“. Die Sonne nährt die Welt. Daher wird die Sonne Pushan genannt. Ekarshi heißt einer, der allein reist. Sohamasmi – hier wird die Identität von Jiva (individueller Seele) und Brahman (dem Absoluten) hergestellt. Purusha – weil er alles durchdringt, nimmt er die Stadt Brahmans in Besitz, d.h., den Körper.

17. Vers:

Vaayuranilamamritamathedam bhasmaamtam shariiram Om krato smara kritam smara krato smara kritam smara

Möge mein Prana in die alldurchdringende Luft eingehen, den ewigen Sutratman, und lasse diesen Körper durch das Feuer zu Asche verbrennen. Om! Oh Geist, erinnere Dich, erinnere Dich meiner Taten! O Geist, erinnere Dich, erinnere Dich meiner Taten!

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Der Sterbende, der ein tugendhaftes Leben geführt hat, der heilige Karmas ausgeführt hat, erlangt Wonne in der nächsten Welt, wenn er sich daran erinnert. Er sagt: „Lass mein Prana diesen Körper verlassen und sich dem allumfassenden Sutratman anschließen“. Krato ist eine Anrufung und bedeutet „Oh Geist“! Uvata schreibt in seinem Kommentar, dass Agni, die Wesenheit des Feuers, die in der Jugend und im Mannesalter verehrt wurde, hier angerufen wird in Form des Geistes oder dass Kratu das Opferfeuer bedeutet. „Erinnere Dich! Erinnere Dich an meine Opferhandlungen. Erinnere dich an all die Karmas (Rituale), die ich von Kindheit an vollbracht habe.“ Die Wiederholung derselben Worte „Krato smara“ weist auf Angst und Unsicherheit hin.

18. Vers:

Agne naya supathaa raaye asmaan vishvaani deva vayunaani vidvaan Yuyodhyasmajjuhuraanameno bhuuyishthaam te nama uktim vidhema Oh Agni.

Führe uns zum Wohlergehen (Wonne, Befreiung, Glückseligkeit) über einen guten Pfad, denn Du, oh Gott, kennst alle Wege. Befreie uns von der heimtückischen inwendigen Sünde Wir bringen dir unsere Ehrerbietung dar.

Anmerkungen und Kommentar von Swami Sivananda

Er bittet Agni, ihn auf einen guten Pfad zu führen, d.h., den nördlichen Pfad (Uttarayana – Devayana), von dem es keine Rückkehr gibt. Das ist der Weg des Lichtes. Naya = führe. Supatha = auf einem guten Weg. Raye = Wohlstand, d.h. spiritueller Segen, Segen des Selbst, der Befreiung. Vishvani = alle. Deva = Engelswesen. Vayunaani = Gedanken, Wissen, Bemühen um Erlösung; Vidvan = Wissen; Yuyodhi = zerstöre; Asmat = von uns; Juhuranam = hinunterziehend, trügerisch; enah = Sünde.

Iti Iishopanishat Om Puurnamadah puurnamidam puuraatpuurnamudachyate Puurnasya puurnamaadaaya puurnamevaavashishyate Om shaantih shaantih shaantih