Durga

Im Tantra wird die Göttin in zahllosen Namen und Gestalten verehrt. Im Yoga meiner Tradition sind folgende Namen am gebräuchlichsten:


  • Shakti ist der abstrakte Name und bedeutet „Kosmische Energie“. Viele westliche Aspiranten haben heutzutage gerne ein abstraktes Gottesbild ohne Darstellung der Göttin als Person und beziehen sich gerne auf diese „Kosmische Energie“.
  • Kali ist die schwarze Göttin. Schwarz steht für geheimnisvoll, unergründbar. In vielen Darstellungen tanzt sie auf dem liegenden, lächelnden, unbeweglichen Shiva. Shiva symbolisiert das Bewusstsein, das sich nicht bewegt. Kali ist der Tanz der Energie, in beständiger Bewegung. Kali wird dabei mit verschiedenen Waffen dargestellt. Sie streckt die Zunge heraus, reißt ihre Augen auf und hat eine Girlande aus Schädeln um den Hals hängen. Dies symbolisiert zum einen die Intensität der Erfahrung, mit der wir das Leben erleben können und zum anderen die Vergänglichkeit: Nichts bleibt, alles ist im Fluss. Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Es gilt, mit der Schöpfung mitzutanzen, an nichts zu hängen, nirgends festhalten zu wollen, alles loszulassen. Dann ist der Schöpfungstanz wunderbar und ekstatisch. Andernfalls bringt er uns um.
  • Durga symbolisiert die Muttergöttin in Reinform. Sie reitet auf einem Tiger (oder einem Löwen), lächelt, hat verschiedene Waffen und hebt ihre DurgaHände zum Segen. Dies symbolisiert, dass die Göttin beziehungsweise Kosmische Energie sich wie unsere Mutter um uns kümmert. Sie will uns erziehen, fordert uns auf, stark zu sein wie ein Tiger, zu brüllen wie ein Löwe (und nicht zu blöken wie ein Schaf). Sie schützt uns, tadelt uns aber auch, und macht uns das Leben unangenehm, wenn wir uns ausruhen wollen. Wenn wir uns ihr aber wie ein Kind ganz anvertrauen, hält sie ihre schützende Hand über uns und führt uns bis zur höchsten Verwirklichung. Nicht umsonst heißt es, dass wir aus eigener Kraft die höchste Verwirklichung nicht erreichen können, sondern die Gnade und den Segen der göttlichen Mutter benötigen.
  • Lakshmi ist die Göttin der Fülle, der Schönheit und des Wohlstands. Sie steht auf einem Lotus im Wasser. Um sie herum heben zwei Elefanten ihre Rüssel (was Glück und Wohlstand symbolisiert). Lakshmi hat vier Hände. Zwei davon halten nach oben geöffnete Lotusblüten. Zwei Hände sind in einer Segensgeste nach vorne beziehungsweise unten gehalten. LakshmiAus diesen Händen fallen Goldmünzen (oder auch Blüten) nach unten. Lakshmi symbolisiert die Schönheit der Schöpfung. Sie symbolisiert, dass die Göttin in der Schönheit der Natur und in allen Gaben gegenwärtig ist. Sie steht auch für das Ideal des Karma-Yogis, des uneigennützig Dienenden: Wenn wir anderen helfen wollen, müssen wir uns nach oben hin öffnen, um Kraft und Gaben zu bekommen. Dies wird symbolisiert durch die zwei nach oben zeigenden Hände von Lakshmi beziehungsweise dadurch, dass wir uns für die nach unten zeigenden segnenden Hände Lakshmis öffnen. Diese Kräfte und Gaben wollen wir an andere Menschen weiter geben (symbolisiert durch die nach unten zeigenden Hände und die Münzen beziehungsweise Blüten). Um geben zu können, müssen wir empfangen. Und wenn wir uns zum Instrument machen und nicht unsere eigene Energie, sondern göttliche Kraft weitergeben, werden wir durch Geben niemals arm werden, sondern uns im Gegenteil stets reich beschenkt fühlen.
  • Saraswati ist die Göttin der Künste, der Erkenntnis und der WeisheitSaraswati. Sie sitzt meist auf einem Felsen. Dies symbolisiert, dass wahre Weisheit Festigkeit gibt. Sie trägt einen weißen Sari, der für Reinheit steht. Saraswati spielt eine Vina (Musikinstrument) und hält in den Händen ein Buch und eine Kette. Dies symbolisiert die wichtigsten Künste Musik, Literatur und bildende Kunst. Ein echter Künstler meint nicht, dass er selbst schafft. Vielmehr hat er das Gefühl, dass es durch ihn hindurch wirkt. Wenn wir uns ganz zu Instrumenten der Kosmischen Energie machen, werden wir wahrhaft kreativ und wunderbare Kräfte können durch uns wirken. Schließlich symbolisiert Saraswati aber auch die höchste Erkenntnis und Verwirklichung der Einheit.
  • Gayatri wird im Westen seit ein paar Jahren immer populärer. Zum einen deshalb, weil das Gayatri-Mantra in wunderschönen Vertonungen die „Charts“ spiritueller Musik immer wieder anführt, zum anderen weil Gayatri als Manifestation göttlichen Lichts dem Bedürfnis moderner Aspiranten nach nicht vermenschlichter Gottesvorstellung nachkommt. Das Gayatri Mantra lautet:

    „Om Bhur Bhuvah Swaha
    Tat Savitur Varenyam
    Bhargo Devasya Dhimahi
    Dhiyo Yo Nah Prachodayat“


    (In recht freier Übersetzung: „Wir verehren die Höchste Göttliche Lichtenergie, die die physische, astrale und kausale Welt geschaffen hat. Wir meditieren über diese göttliche Kraft. Möge sie unseren Verstand erleuchten, sodass wir die Wahrheit erfahren.“)
    So können wir in Gayatri die Lichtkraft hinter allem verehren. Die moderne Physik sagt, dass hinter allem die gleiche Energie steckt. Und da Licht das Urbild von Energie ist, ist die Verehrung der Kosmischen Energie als Lichtkraft etwas ganz Wunderbares.

Was bedeuten die Göttinnen im Tantra?

Saraswati, Lakshmi, DurgaMan kann die Symbolik der Göttinnen (insbesondere Kali, Durga, Lakshmi, Saraswati) auf verschiedenen Ebenen interpretieren. Da sie Kosmische Prinzipien darstellen, sind sie vielfältig beobachtbar. Diese vier Göttinnen repräsentieren im Hinduismus vier Ideale der Weiblichkeit. Im Katholizismus ist ein Ideal vorherrschend, das Ideal der Maria, die sich aufopfert, zur Himmelskönigin wird, die Gebete der Gläubigen erhört und an Gottvater oder Gottsohn weitergibt. In Indien gibt es vier Ideale der Weiblichkeit: Kali symbolisiert das Ungestüme, das Unangepasste, das Ungezähmte, die reine Lebenslust, das Dionysische, das aber das Bewusstsein der Vergänglichkeit in sich trägt. Durga symbolisiert das Ideal mütterlicher Liebe. Lakshmi vertritt den Aspekt des Dienens, aber auch der Verantwortung in der Gesellschaft, zudem Macht und Wohlstand. Saraswati symbolisiert die Künste, die Wissenschaften und die Weisheit, die interessanterweise als weiblich angesehen werden. Während in Indien Göttinnenverehrung oft Männersache war, fühlen sich im Westen viele Frauen von den Göttinnen angezogen. Denn gerade selbstbewusste Frauen suchen andere Ideale für Weiblichkeit als die Dienende, Angepasste, Untergeordnete und finden das in den indischen Göttinnen.

Tantra Göttinnen als Stadien der spirituellen Entwicklung

Man kann die Göttinnen auch als drei Stadien der spirituellen Entwicklung ansehen: Zunächst muss der Aspirant seine schlechten Angewohnheiten ablegen, seine negativen Eigenschaften überwinden beziehungsweise transformieren, er muss seinen Schattenseiten ins Auge schauen. Dafür stehen Kali und Durga. Dann muss er gute Eigenschaften und viel Lebensenergie entwickeln, mit anderen teilen, was er hat, und somit anderen dienen. Dies wird symbolisiert durch Lakshmi. Schließlich kommt er zu reiner Erkenntnis und intuitiver Verwirklichung der Wahrheit, was er dann auch anderen weitergeben kann, als Lehre oder als Kunstwerk. Dafür steht Saraswati.

Verehrung Gottes oder der göttlichen Mutter?

Die Verehrung der göttlichen Mutter in der einen oder anderen Form ist im Tantra und damit im Kundalini-Yoga also sehr typisch. Bhakti, Verehrung und Hingabe, ist auf dem Kundalini-Yoga-Weg wichtig. Sie kann sich auch auf Gott, Allah, Jesus, Buddha oder die Kosmische Intelligenz beziehen. Es ist überdies nicht notwendig, zu Beginn des Kundalini-Wegs an Gott zu glauben. Ich erlebe es immer wieder, dass gerade Atheisten oder Agnostiker mit besonderer Intensität die Kundalini-Yoga-Praktiken üben und großartige Erfahrungen machen. Aus diesen Erfahrungen entwickeln sie dann oft ein ganz eigenes Gottesbild beziehungsweise eine Verbindung zu „irgendetwas Höherem“, von dem sie sich dann umgeben und geborgen fühlen. Und manche, die in ihrer Jugend ihren Kindheitsglauben verloren haben, finden durch die spirituelle Erfahrung zu ihrem christlichen Glauben zurück oder vertiefen ihn.