Yoga für Männer

22.02.2012
Den Medien scheint es, als ob Männer die Yoga machen in eine Frauendomäne eindringen. Dabei ist es historisch und philosophisch gerade umgekehrt. Yoga als klassischer Übungsweg ist eine zutiefst männliche Anstrengung. Die „Verbindung“ (Sanskrit: Yug) der individuellen Seele mit dem kosmischen Selbst geschah darin stets durch das Feuer des Tapas – der Ausübung von physischer und geistiger Strenge und Disziplin. Die daraus resultierende Einpünktigkeit und Kraft der Meditation ist das Kennzeichen von Shiva. Shakti, die weibliche Kraft, ist dagegen die allgegenwärtige sich verströmende Energie der Materie und des physischen Reiches.  Beide kommen nicht ohneeinander aus. Das wird heute von manchen Yogis und Yoginis missverstanden. Im Yoga geht es nicht ausschließlich darum, seinen Körper kräftig und flexibel zu halten. Es bedeutet aber auch nicht, ihn und seine Bedürfnisse aus purer Hinwendung zum Göttlichen zu vernachlässigen. Das Ziel des Yoga ist nicht der eine oder andere Pol. Auch nicht ein astraler oder kausaler Gottesbegriff. Es ist das Leben dazwischen, und die Integration beider Aspekte in unsere alltäglichen Handlungen und Entscheidungen. Insofern ist es verständlich, dass sich zum Ende des 20. Jahrhunderts verstärkt Frauen dem Yoga zugewandt haben, und zwar besonders dem Hatha Yoga, was sich recht gut mit „Yoga der Bemühung“ übersetzen lässt. Ich nehme an, dass es für manche Leser gleich sehr schwarz-weiß klingen wird, und sie können gerne entsetzt das Heft aus der Hand legen oder weiterblättern. Aber wie wäre es, einfach anzuschauen, wie sich unsere Gesellschaftsform entwickelt hat, und Frauen nun Aufgaben übernehmen konnten, die vorher Männern vorbehalten waren. Yoga erklärt die beiden Grundenergien des „männlichen“ und „weiblichen“ Weges ohne eine der anderen vorzuziehen. Und ohne auf die traditionelle oder moderne Gesellschaft zu schimpfen, werden beide Formen gute Gründe gehabt haben, warum sie auf ihre Art organisiert waren und sind. Wenn Frauen also zunächst im Hatha Yoga dominierend wurden um ihre männliche Polarität zu stärken (und – ja, natürlich wurden auch hier feminine Formen entwickelt, wie der „Mondgruß“, etc.), dann könnte man annehmen, dass „Yoga für Männer“ beim maskulinen Geschlecht helfen sollte, das defizitäre weibliche Prinzip zu stärken. Und teilweise gelang das auch: indem Männer lernten zu entspannen. Wenn Krishnamacharyas Erben aber heute feststellen, dass Männer immer noch mehr Angst vor der Stille haben als Frauen, dann können wir davon ausgehen, dass sie auf dem Yogaweg noch nicht ihr ganzes Potenzial ausgeschöpft haben. Weil Kraft auch Aggressionspotential beinhaltet haben viele Männer heute Angst vor ihrem eigenen Schneid, und ziehen sich vor Funktionieren und Leistung zurück. Um Yoga zu erreichen, muss ein Mann aber beides können. Loslassen – und die Kraft der Stille halten. Mit dem Eintritt der Postmoderne scheinen viele Männer, zumindest im Yogastudio (und leider auch vermehrt in Beziehungen) letzteres nicht mehr zu wollen oder zu können. Sie mutieren zu dem was weibliche Journalisten heute als „Susis“ bezeichnen. Mann zu sein ist im 21. Jahrhundert ein hartes Brot. Wir müssen auf beiden Klaviaturen spielen können, um mit der Power der Frauen gleichzuziehen. Yoga für Männer ist ein Bekenntnis zur eigenen Kraft – auch wenn das manchmal anstrengend ist. Unsere Partnerinnen danken es uns. Ralf Sturm, Yogalehrer (BYV), Systemischer Berater, lebt als Familienvater in Bad Meinberg. Neben Seminaren zum Thema „Yoga & Partnerschaft“ leitet er dort beim Yoga Vidya e.V. in diesem Jahr u.a. die Ausbildungen zum „Kursleiter für Mentales Training“ (15.-20. Juli 2012) und „Männer Yoga – Wie unterrichtet man Männer?“ (16.-21. September 2012) Kontakt: ralf.sturm@yoga-vidya.de