Yogische Ernährung

15.06.2011
Wie gut funktionieren die klassische Schriften des Yoga im 21. Jahrhundert, wenn es um die Ernährung geht? „Der Yogi sollte nahrhaftes und süßes Essen mit Milch vermischt zu sich nehmen. Es sollte die Sinne erfreuen und den Körperflüssigkeiten Nährstoffe liefern.“ So steht es im ersten Kapitel der Hatha Yoga Pradipika, einer der bekanntesten klassischen Yogaschriften. Neben genauen Anleitungen, für die Übungen die im Yoga zu praktizieren sind, steht dort auch auf welche Weise das geschehen sollte. Und dazu gehört die Frage: Woraus besteht eigentlich der Yogi? Nahrhaft und süß is(s)t er also. Damit es nicht den ganzen Tag über bei Früchten und Milch bleiben muss – falls das in unseren Breitengraden überhaupt passt – hilft eine genauere Betrachtung des Angebots im lokalen Supermarkt oder Bioladen. In der dem Yoga zugrunde liegenden Philosophie besteht alles im Universum aus drei verschiedenen Qualitäten: sattva: Das Prinzip von Klarheit und Leichtigkeit. rajas: Das Aktive; von positiv bewegt bis störend unruhig tamas: Das Feste; von stabilisierend bis träge machend. Jedes Nahrungsmittel trägt diese Qualitäten in unterschiedlichen Anteilen mit sich. Und so beeinflusst die Nahrung die wir zu uns nehmen unser gesamtes Wesen in mehreren Ebenen. Auf der physischen Ebene ist es sehr leicht spürbar, wie mehr oder weniger flexibel wir zum Beispiel nach dem Genuss von bestimmten Nahrungsmitteln sind. Auch unser Energielevel steht und fällt mit der Art der zu uns genommenen Nahrung – und auch mit ihrer Menge. Schließlich haben die Dinge die wir zu uns nehmen direkte Auswirkungen auf unsere emotionalen und geistigen Prozesse. Um im Yoga das Ziel eines klaren Geistes zu erreichen versucht man also möglichst viel sattvige Nahrung zu sich zu nehmen, und rajassige und tamassige Nahrung zu vermeiden. Wie findet man aber heraus, welche Nahrung zu welcher Kategorie gehört? Man kann das am einfachsten sehen, indem man beobachtet wie Nahrung auf uns wirkt, wenn wir uns zur Praxis auf die Yogamatte oder das Meditationskissen setzen. Fällt es Ihnen leicht nach einem Becher Bohnenkaffee einen ruhigen, stillen Geist zu halten? In der Regel greifen wir zum Kaffee ja eher, um uns anzuregen. Das kann durchaus erwünscht sein, wenn man aus einem Zustand der Trägheit kommt. Noch einfacher ist es für den Klein- oder Großstadt-Yogi aber, direkt auf Nahrung zu verzichten, die träge macht. Schwer verdauliches Essen, wie Kartoffelchips oder Fleisch lässt man daher gerne links liegen. Bei letzterem gilt auch ein weiteres yogisches Prinzip: ahimsa (Sanskrit: Gewaltlosigkeit). Hier scheiden sich bei modernen Yogis die Geister: Was ist mit veganer Ernährung? Kann man Milchprodukte in der heutigen Zeit eigentlich noch bedenkenlos zu sich nehmen? Müssen die Yogaschriften eventuell umgeschrieben werden, um der modernen Massentierhaltung Rechnung zu tragen? Die Antwort liegt bei Ihnen. Ernährungsfragen muss heute jeder Yogi selbst für sich beantworten. Es kann Anfangs unbequem werden, auf gewohnte Genüsse zu verzichten. Ein leichteres Körpergefühl, und geistige und emotionale Ausgeglichenheit und Stabilität lohnen aber die Untersuchung des Kühlschranks auf die Frage: Was tut mir wirklich gut? Wichtig ist bei allen Ernährungsfragen jedoch, sich selbst viel Raum für eventuelle Umstellungen zu geben. Gerne sortiert man mit guten Absichten zunächst viele Nahrungsmittel aus – um dann ein paar Wochen oder Monate später wieder alles umzuschmeissen, mit der Bemerkung: „Ich brauche das eben doch“. Oft haben wir uns über viele Jahre an Dinge gewöhnt, die uns eventuell nicht wirklich gut tun. Wir dürfen uns Zeit lassen für das Neue, und müssen nicht über Nacht alles über Bord werden. Denn immer gilt der Satz der Bhagavad Gita: „Yoga ist Geschick im Handeln“.