Vom Tabu zum Trend - Kinderyoga auf dem Vormarsch

08.09.2009
Yoga boomt – die altindische Kunst der Körperstellungen bahnt sich mit Macht und Magie ihren Weg in die westliche Welt. Bei Yoga Vidya e.V., Europas grösstem Seminar- und Ausbildungszentrum herrscht regelrechter Ansturm von Gross und immer mehr auch von Klein. In nur wenigen Jahren hat sich das Angebot von Kinderyoga vervielfacht. Im Yoga Vidya-Katalog für 2008 ist nahezu jede Woche ein Seminar für Kinder im Plan.
Noch vor zehn Jahren war Yoga für Kinder ein heikles Thema und für viele Eltern und Pädagogen sogar ein Tabu, berichtet Dr. Marcus Stück von der Universität Leipzig. Doch das ist Makulatur: Kinderyoga ist im Kommen und das mit gewaltigen Schritten.
Damals, 1997 sorgte Marcus Stück mit seiner preisgekrönten Studie „Entspannungstraining mit Yogaelementen in der Schule“ für Aufsehen, denn zum ersten Mal konnte unter Beweis gestellt werden, dass Yoga-Kinder ausgeglichener sind, entspannter, eine bessere Konzentrationsfähigkeit haben und mit Aggressionen besser umgehen können.
Weitere Untersuchungen unterstützen die Forschungsergebnisse von Stück und es wird fleissig weitergeforscht. Deutschland hat sich zum Pionierland der Yogaforschung in der westlichen Welt gemausert und steht mit 20 Prozent weltweit an der Spitze nach Indien (50%). Die gesellschaftliche Relevanz von Yoga wird nachhaltig zementiert.

Die beschleunigte Zeit

Nun ist  in den vergangenen zehn Jahren viel passiert, was vor allem die Kinder zu spüren kriegen. Wir leben in einer Zeit, die einer ständigen Beschleunigung unterliegt. Es gibt immer mehr Informationen, in immer neuen Medienformaten und einer explodierenden Technisierung. Knopf gedrückt und es wird bunt: Handy, Gameboy, Videospiel, TV und PC. Es ist nicht zuviel gesagt von einer audio-visuellen Revolution zu reden und einer Reizüberflutung, die zu verarbeiten für Kinder nicht leicht ist, beziehungsweise regelrecht schädlich.

Die psychotherapeutische Heilpraktikerin und Buchautorin Sabina Pilguj stellt fest, dass schon die Kleinsten unter erhöhtem Stress leiden. Erzieher, Eltern und Pädagogen bestätigen die Konsequenzen: Unruhe, Konzentrationsstörungen, Spannungskopfschmerzen, Ängste, Haltungsschäden. Von Kindern mit starken Entwicklungsstörungen ist die Rede, von Zappelphillippen, ADS- und ADHS-Syndrom. Und woher kommt dies alles:
 Pilguj bringt es auf den Punkt: „Wir haben keine hyperaktiven Kinder, sondern leben in einer hyperaktiven Gesellschaft“. Die Kinder sind nur ein Spiegel der Zeit. Leider kann man einer Gesellschaft keine Pille gegen Stressreduktion geben, da müssen dann die Kinder herhalten. In Deutschland bekommen bereits über 2 Million Kinder das Psychopharmaka Ritalin, zur Beruhigung – Tendenz steigend – Langzeitfolgen unbekannt.


Die Gesellschaft muss umdenken – Yoga statt Ritalin

Kindgerechte Erziehung und Ausbildung sollte für eine Gesellschaft an forderster Stelle stehen – denn die Kinder sind die Zukunft.
Yoga auch schon im fühesten Kindesalter kann einiges bewirken. Das berichtet Lalita Michélle Furrer, die ihre Ausbildung bei Yoga Vidya e.V. gemacht hat und seit vielen Jahren mit Kindern praktiziert. „Kinder lernen intuitiv und spüren was ihnen gut tut. Die Bewegung und Stellungen (Asanas) des Yoga erforschen sie spielerisch und spüren Dinge wie Köperbewusstsein, Konzentration und  Entspannung“. Kinder brauchen das Erfahrbare um etwas geistig zu verankern, sagt sie,  – dass  gelingt auf sanfte und gesunde Art mit Yoga.
Die Mutter zweier Kinder unterrichtet Yoga für Kids im Alter von sechs bis acht an einer Ganztagsschule und sieht die Erfolge. Ihre Kinder sind ruhiger, körperbewusster, ausgeglichener. Ganz automatisch benützen selbst die Kleinen  Methoden aus dem Yoga, wenn sie in Stressstituationen kommen, berichtet Lalita. „Ein paar Mal tief durchgeatmet und an was Schönes denken, schon ist alles wieder im Lot“. Ganz subtil wirken die Atem- und Stellungsübungen auf den Geist und führen zur Entspannung.
Einmal, erzählt Lalita schmunzelnd, wollte eine Mutter ihren siebenjährigen Sohn abholen, war in Eile und drängte ihn. Darauf sagte er nur: “Mutter sei nicht so hektisch, ich komme gerade von meiner Entspannung“.


Yoga in der Schule – eine Vision

Warum soll es nicht möglich sein, Yoga für Kinder dauerhaft in die Schulpläne zu integrieren. Viele Unternehmen machen dies für ihre Arbeitnehmer vor.
Yoga leistet zweierlei: Es steigert die Leistungsfähigkeit und ist gesundheitsfördernd. Nach den aktuellen Ergebnissen einer  bundesweit repräsentativen Studie zur Kinder – und Jugendgesundheit ist der Zustand unseres Nachwuches in motorischer Leistungsfähigkeit, Übergewichtigkeit und psychischer Gesundheit stark bedenklich und verschlechtert sich weiter.
Im Indischen Bundesstaat Madhya Pradesh gehört Yoga und Meditation seit 2005 zum schulischen Pflichtfach. Erklärtes Ziel: Um das Leistungsniveau zu heben.
Nach den bestürzenden Ergebnissen der Pisa-Studie besteht sicherlich auch hierzulande dringender Handlungsbedarf.
Im kommenden Jahr wird der Kinderyoga Dachverband Qualitätsstandarts für die Yogalehrerausbildung festlegen. Immer mehr Yogakundige lassen sich zum Kinderyogalehrer ausbilden.
Und das ist auch wichtig, denn: Es geht um die Kinder und um unsere Zufkunft.


Weitere Informationen unter: www.yoga-vidya.de/kinderyoga
Bei Veröffentlichung können Fotos angefordert werden.

Text: Sven Weishaupt