Erfahrungsberichte: Morbus Crohn

Dr. Anja Hasse

Tränen in den Augen

Meine erste Yogastunde endete mit Tränen in den Augen. Tränen der Freude, des Staunens und der Trauer. Noch nie hatte ich bewusst einen solchen Zustand der Entspannung gespürt. Wie konnte ich leben, ohne dieses Hochgefühl überhaupt kennen gelernt zu haben? Oder hatte ich dieses Gefühl einfach nur vergessen?

Ich weiß es nicht und werde es nicht mehr ergründen. Jedenfalls bin ich dankbar für die Erfahrung Yoga. Eine Kraft, die mich immer wieder fasziniert und bei der ich mich immer wieder auftanken kann.

Ich bin erst spät und in einer Phase körperlicher und geistiger Erschöpfung zum Yoga gekommen. Seit der Kindheit bin ich an Morbus Crohn und Depressionen erkrankt. Medizinisch heißt es, ich hätte Schübe (Morbus Crohn) und Episoden (Depressionen). Morbus Crohn ist eine chronische Darmkrankheit, die sich nicht auf den Darm beschränkt, sondern den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht. So habe ich Hautausschläge, Augenentzündungen, schlechte Leberwerte und Nierenprobleme.

Trotz allem habe ich mein Leben wenig auf die Krankheit ausgerichtet. Ich bin noch als Schülerin ausgezogen, habe an verschiedenen Universitäten studiert, mehrere Auslandaufenthalte eingeschoben und bin dazu immer wieder umgezogen.

Während der Schulzeit hatte ich ein starkes soziales Netz. Während meines Studiums konnte ich mich noch mit stützenden Kontakten einrichten. Während des Referendariats schmerzten schon Lücken und räumliche Entfernungen von Menschen, die mir nahe standen. Yoga gibt mir gegen diese Erfahrung Halt.

Die Rishikesh-Reihe wird überall auf der westlichen Welt gelehrt. Sobald ich einen Yoga-Lehrer in der Tradition von Swami Sivananda gefunden habe, bin ich angekommen. Dann wiederholen sich die Tränen in den Augen und ich verspüre eine große Erleichterung.

Yoga ist etwas, was meine Lebensqualität hebt. Mein Allgemeinbefinden ist besser und Körper und Geist befinden sich im Einklang. Fühle ich mich wohl, bekomme ich weder Schübe noch Episoden.

Der Haken an der Sache ist, dass ich für Yoga Zeit investieren muss. Ich behaupte mal, könnte ich jeden Tag 30 min. meditieren und eine 90-minütige Yogastunde besuchen, wäre ich beschwerdefrei.

Leider habe ich mir ein anderes Leben ausgesucht und versuche permanent, meinen Lebensentwurf mit Yoga zu harmonisieren. Seit ich selbst Yoga unterrichte, bin ich diesem Ziel einen großen Schritt näher gekommen. Andererseits kostet auch das Zeit und muss in den Alltag integriert werden.

Yoga hat mir geholfen, mich besser anzunehmen und besser zu verstehen. Habe ich gerade eine depressive Phase, so muss ich mich danach verhalten. Merke ich beispielsweise erst in der Anfangsentspannung, dass mein Körper eher Bewegung als lang gehaltene Asanas braucht, so rechtfertigt das für mich, aufzustehen und zu gehen. Nach einer Stunde Walking an der frischen Luft wäre dann die Yogastunde ideal. Leider ist sie dann schon vorbei.

Mit jeder Yoga-Praxis komme ich zur Ruhe. Das gilt insbesondere für meinen Darm. Auch hier gibt es einen Haken. Wenn die Schmerzen zu stark sind, tut jede Bewegung weh. Selbst Meditation funktioniert dann nicht. Ich könnte mich nur auf den Schmerz konzentrieren und ihn damit vielleicht transzendieren. So weit bin ich in meiner yogischen Entwicklung aber noch lange nicht.

Nach einem schweren Schub von Morbus Crohn kann ich einzelne Asanas nicht ausüben. Am extremsten ist die Heuschrecke. Sobald ich mit beiden Beinen nach oben gehe, spüre ich einen stechenden Schmerz. Das ist zu akzeptieren. Auch vom Unterrichtenden. Asanas für den Bauchraum sind ansonsten sehr gut. Am schönsten ist es, wenn ich in einer Yogastunde bin, in der jemand einfühlsam unterrichtet.

Ohne Yoga wäre mein Leben ärmer.

Dr. Anja Hasse