6. Kapitel - Friedensmissionen

Swamiji war ein großer Aktivist für den Weltfrieden. Von 1950 an suchte er ständig nach Wegen, die Aufmerksamkeit der Menschen auf den Weltfrieden zu lenken und praktische Wege aufzuzeigen, diesen Frieden zu erreichen. Er war immer auf der Suche nach einer Möglichkeit für eine neue Friedensmission.

Sein häufigster Weg, die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen, waren die Friedensmissionen in seinem „Friedensflugzeug“ – erst eine Doppeldecker Piper Apache und später eine Ultraleichtmaschine. Er flog über die Unruheherde der Welt, oft unter großem Risiko für ihn selbst und „bombardierte“ diese Orte mit Flugblättern und Blumen. Durch diese Flüge wurde er als „Der fliegende Swami“ bekannt.

Warum tat er das? Was brachte ihn wiederholt dazu, sein Leben und seinen Ruf zu riskieren? Er erklärte es folgendermaßen.

Im ashram in Nassau hatte ich eine machtvolle Vision. Sie erschütterte mich und noch Stunden nach dieser Vision konnte ich nicht klar denken. Ich erkannte, dass es die schwierigste Sache meines Lebens werden würde, wenn diese Vision Wirklichkeit würde. Ich hatte keine Ahnung, wie und wann es passieren würde. Eine Stimme sagte mir, dass ich fliegen würde. Ich hatte keine Ahnung warum, aber die Stimme sagte ja. Also flog ich einige Jahre trotz der ganzen Kritik („der Swami fliegt“). Besonders viel kritisiert wurde der Luxus eines privaten Flugzeugs. Immer noch verstand ich nicht wirklich, warum ich fliegen sollte. Ich dachte, vielleicht für Freiheit, vielleicht gegen den Krieg. Aber jetzt sehe ich, dass all die Jahre der Fliegerei nur einen Zweck verfolgten: die Begrenzungen von Pässen und Visa zu durchbrechen. Am Boden können die Posten dich an der Grenze stoppen, aber wenn du hoch oben in der Luft bist, kann dich niemand stoppen. Entweder müssen sie dich abschießen oder sie müssen dich landen lassen. Keine Regierung hat da eine andere Wahl.

Und so kam die Mission, Grenzen zu überwinden. Es zeigte der Welt symbolisch, dass unser Planet klein ist. Entweder wir leben zusammen oder wir sterben zusammen. Es war die Zeit gekommen, dass Nationalismus und Patriotismus verschwanden und nur noch Einheit existierte.

Swamiji bereitete seine Friedensmission in den ersten Monaten des Jahres 1971 vor, indem er seinen Flieger, eine Piper Apache, mit zusätzlichen Benzintanks und speziellen technischen Geräten für Langwellen ausstattete. Auch die Außenseite des Flugzeugs wurde vorbereitet. Peter Max, ein Künstler seiner Zeit, gab dem Äußeren einen hellen, poppigen Anstrich. Swamiji kreierte für sich und seine Reisegefährten einen „Planet Erde“ Pass, als Symbol dafür, dass sie nicht aus einem speziellen Land waren oder einer besonderen Nationalität angehörten.

Der Inhalt seines Passes las sich wie folgt:
Name – Swami Vishnu-devananda, zufällig auf der Erde geboren
Geburtsdatum– unsterblich
Wohnort – Erde
Gewicht – nicht messbar
Größe – kurz so gut wie lang, groß so gut wie klein
Haar – schneeweiß
Augen – intuitiv
Momentaner Wohnort: Straße – Planet Erde; Stadt – Vaikuntha;
Staat – Gott.

Sein erster Stop sollte Belfast in Nordirland sein, also mitten in einem unerklärten Bürgerkrieg, besetzt von britischen Truppen. Der Schauspieler Peter Sellers hatte versprochen, ihn in Dublin zu treffen.

Am 5. September kam Peter Sellers in das Hotel in Dublin. Wir hatten ein erstes Gespräch darüber, wie wir unsere Mission des Auflösens von Grenzen beginnen sollten. Der 8. September war dafür bereits ausgewählt. Es war ein besonderer Tag, der Geburtstag von Meister Sivananda. Deshalb wollte ich die Friedensmission am 8. September beginnen.

An diesem Tag war zufälligerweise auch der Geburtstag von Peter Sellers. Er versprach mir: „Swamiji, ich werde alles für Sie und die Friedensmission tun.“ Also sagte ich: „Warum fliegen Sie nicht mit mir nach Belfast? Wir werden dort singen, Blumen und Flugblätter abwerfen und so die ersten sein, die ein Land friedlich bombardieren.“

Er stimmte zu, wollte aber vorher mit seiner Frau, seinem Rechts anwalt, seinen Geschäftsfreunden usw. sprechen. Wenigstens gab er eine vorläufige Antwort: er wolle versuchen, zu helfen. Ich sagte, wir könnten es am nächsten Tag entscheiden. Inzwischen könne er seine Presseagentur in London anrufen, um uns bei der Pressekonferenz in London zu helfen, die am nächsten Tag geplant war.

Am nächsten Tag flog ich von Dublin nach London. Ich kam am Flughafen in London an, wo alle unsere Mitarbeiter warteten. Es war ein wundervoller Tag. Die Pressekonferenz war gut besucht. Zuerst informierten wir vorab Öffentlichkeit und Presse. Die Presse fragte, ob Peter Sellers kommen würde und ich sagte: „Ja, er kommt und er kommt nicht“, weil ich ihn nicht vorzeitig ankündigen wollte. Ich war ziemlich sicher, dass er sich noch mit seiner Frau austauschen wollte und ich wusste, dass etwas nicht stimmte.

Noch während der Pressekonferenz rief Peter mich an: „Swamiji, ich glaube nicht, dass es sich für mich lohnt, nach Belfast zu kommen. Mein Manager und meine Agenten meinen, dass es ein gefährliches Spiel sei, nach Belfast zu gehen, wo sie Leute aus London erschießen.“ 

Er kam aus London und die Iren mögen die Londoner nicht. Sie hatten ihn also erschreckt. Er hatte Angst, erschossen zu werden, wenn er auf die Straße ging, daher hatten ihm seine Agenten davon abgeraten, nach Nordirland zu gehen. Also sagte ich: „O.K., wenn das Ihre Meinung ist, alles klar. Ich sehe Sie auf jeden Fall in Dublin, bevor ich nach Belfast fliege.“

Er wollte eigentlich kommen, aber die anderen hatten ihn so verängstigt, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Ich flog zurück nach Dublin. Peter hatte alles mit dem Hotel arrangiert und alle Kosten übernommen. Er kam ins Hotel und  als er mich sah, sagte er: „Swamiji, ich glaube, ich habe meine Meinung geändert, ich möchte Sie begleiten.“ „Ich glaube, dass Sie das Richtige tun“, sagte ich, „aber denken Sie nochmal darüber nach, wegen der Gefahr auf den Straßen.“ Sie schossen dort tatsächlich auf jeden.

An diesem Abend kam ich von meinem Zimmer herunter in die Hotellobby. Peter Sellers saß dort mit einigen Leuten. Ich fragte: „Was machen Sie hier, Peter?“ „Oh, Swamiji“, sagte er, „ich versuche, mein Testament zu machen.“ Er hatte seine Anwälte und Manager angerufen und sein Testament gemacht, falls ihm etwas passieren sollte. Siehst du, wie ernst er es meinte? Das war das Wesentliche, wirklich. Trotz des Risikos wollte er mitkommen.

Also sagte ich: „Peter, es wird Ihnen nichts passieren. Es ist Ihr Geburtstag und der Meister wird Ihnen auch helfen.“ Dann verabschiedete ich mich bis zum nächsten Morgen. Wir trafen uns am Flughafen. Inzwischen hatte die Presse erfahren, dass Peter Sellers kommen würde, also waren sie auch alle da. Wir präparierten unsere „Bombe“, um Belfast zu bombardieren: viele Blumen und extra gedruckte Flugblätter. Ich hatte einen Schüler voraus nach Belfast geschickt, um sicherzustellen, dass die Leute über unsere Ankunft informiert wurden, falls man uns abschießen würde.

Wir stiegen ins Flugzeug und versuchten, unsere Bombe herzurichten. Es war unsere erste Friedensbombe und wir wussten noch nicht so genau, wie wir alles machen sollten. Wir legten alles neben mein linkes Fenster, so dass ich die Blumen abwerfen konnte. Bren, mein Copilot, saß rechts neben mir. Wir flogen los und erreichten bald Belfast. Es war etwas neblig über der Stadt. Es gab einige Berge vor uns und als wir hinter den Bergen die Flughöhe senkten, konnte ich die Stadt im Halbnebel sehen. Ich hatte vor 2 Jahren an einem Friedensmarsch und einem Satsang in Belfast  teilgenommen, so dass ich das Gebiet um Belfast ein wenig kannte. Aber aus der Luft war es ganz neu.

Wegen des Nebels konnte ich nicht viel sehen. Wie wollten erst das Rathaus bombardieren. Wir hatten keine gute Karte von Belfast, also musste ich mein Gedächtnis von vor 2 Jahren bemühen: „Es muss hier in diesem Gebiet irgendwo sein.“ Ich ging auf 330m hinunter, war mir aber immer noch nicht sicher, also rief ich den Kontrollturm von Belfast. Ich sagte ihnen, dass ich da und da sei und ob sie mir bitte sagen könnten, wie wir das Rathaus finden könnten?

Sie wussten, dass unser Flugzeug kommen würde, aber sie antworteten: „Wir können Ihnen diese Information nicht geben.“ Also rief ich sie erneut an: „Charlie Fox hier. Können Sie uns bitte sagen, wo die Hauptstraße ist?“ Und wieder antworteten sie: „Charlie Fox, wir können Ihnen Ihren genauen Standpunkt nicht angeben. Geben Sie uns bitte Ihre Höhe und Ihre Geschwindigkeit an.“ Ich antwortete: „Wir sind etwa 330m hoch“, weil das die Grenze war, wir durften nicht unter dieser Höhe fliegen. Das ist die Regel. Ich war eigentlich etwas drunter. Ich dachte mir, dass wir momentan genau über dem Verwaltungsgebiet waren. Sie fragten mich weiter, zu welcher Zeit wir etwa wieder am Flughafen ankommen würden. Also sagte ich: „Ich werde mich wieder melden, gehe auf standby.“

Endlich konnte ich die Hauptstraße erkennen. Bren begann, die Flugblätter zu richten. Peter saß rechts von mir. Ich brachte die Maschine etwas mehr in Position und tauchte Richtung Hauptstraße ab. Wir begannen, ganz Belfast zu bombardieren. Die Flugblätter und die Blumen flogen überall herum, sie waren überall! Es war ein wunderbarer Anblick, so als wären überall weiße Tauben.

Nach der Bombardierung riefen wir wieder den Tower: „Charlie Fox. Wir sind hier und hier. Bitte geben Sie uns Lande anweisungen.“ Und er gab uns eine Nummer der Landebahn, wo wir landen konnten. Die Polizei und andere Beamte erwarteten uns schon. Aber plötzlich flogen Flugblätter von überall her auf die Landebahn. Wenn du das erste Mal bombardierst, weißt du nicht, wo die ganzen Bomben landen. Woher kamen diese ganzen Flugblätter? Wir sahen, dass sich einige im Rumpf des Flugzeuges verfangen hatten. Das war ein Verstoß gegen die Flugregeln, es war eine Gefahr für den Verkehr. Ich rief den Tower und sagte: „Nein, Sir, das ist keine Absicht. Einige Flugblätter, die wir abgeworfen haben, haben sich im Rumpf verfangen. Wir haben das nicht gesehen. Bitte melden sie das den Behörden, falls es ein Verstoß ist.“

Die Beamten fragten nach unseren Pässen. Wir zeigten unsere „Planet Erde“-Pässe und sie waren sehr freundlich. Ein Offizier sagte: „Wissen Sie, Sie haben gegen die Regeln verstoßen. Es ist riskant, aus der Luft Flugblätter abzuwerfen.“ Ich antwortete: „Ich weiß, Sir, aber Krieg ist ein größeres Risiko. Wir haben nur Flugblätter und Blumen abgeworfen.“ Er sagte, es sei nur eine Formalität, aber er müsse uns verwarnen. Er musste seine Pflicht tun, das ist klar. Zollbeamte kamen und stempelten unsere Pässe, dann fragten sie nach Autogrammen von Peter Sellers und mir. Sie waren sehr höflich.

Danach mussten wir das Flugzeug etwas näher an den Zaun bringen, weil die Fernsehleute schon draußen warteten. Ich rollte das Flugzeug nahe an sie heran, so dass sie Aufnahmen machen konnten. Peter Sellers und ich berieten uns und entschieden, in die Stadt zu fahren. Also nahmen wir ein Auto und sangen auf der Fahrt in die Stadt Hare Ram und Sita Ram, und „Jesus Krishna ist Dein Name“ und „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“. Das war unser Lied. Das sangen wir und warfen bei der Fahrt Flugblätter aus dem Wagen.

Unser erster Halt war der Ort, wo Soldaten standen, am Berührungspunkt von Katholiken und Protestanten, eine Art Niemandsland. Die Katholiken waren auf der einen Seite, die Protestanten auf der anderen. Vor 2 Jahren hatte ich hier schon gesungen, also hielten wir dort zuerst. Es gab eine große Menschenmenge, aber wir spürten keine Feindschaft. Sie rannten auf Peter Sellers zu und bekamen Autogramme. Es war eine wunderbare Szene. Wir verteilten Flugblätter an alle Leute, einschließlich der Soldaten.

Als nächstes fuhren wir zu den Eltern des 3 Monate alten Babys, das durch die Kugel eines Heckenschützen getötet worden war. Das war wirklich eine Tragödie für diese beiden jungen Leute, beide in den Zwanzigern. Zum Zeitpunkt der Schießerei war die 5 Jahre alte Schwester gerade mit dem Baby spazieren gewesen. Sie gingen die Straße entlang, als plötzlich eine Kugel das 5-jährige Mädchen streifte, aber nur an ihrem Kleid. Aber das 3 Monate alte Baby hatte weniger Glück. Es war sofort tot. Die 5-jährige brachte es tot nach Hause zurück.

Wir gingen ins Haus, ohne zu wissen, wie sie uns empfangen würden. Wir erkannten das Paar und sie erkannten uns. Es waren auch noch einige Leute aus der Gegend da. Wir beteten für ihren Frieden.

Der nächste Stop galt Ian Paisley, dem protestantischen Minister. Ich hatte ihn bereits 2 Jahre vorher getroffen, als er mich in seine Kirche eingeladen hatte. Diese Kirche wurde hauptsächlich für politische Zwecke benutzt, es gab dort keine spirituelle Atmosphäre. Einige amerikanische Geschäftsleute unterstützten die Kirche finanziell. Die ganze Kirche war verseucht mit politischen Gedanken. Menschen sind leichtgläubig und Paisley konnte sie manipulieren, ähnlich wie Hitler es gekonnt hatte. So militant. Aber dennoch, beim ersten Mal war er nett zu mir gewesen. Dieses Mal fuhren wir zu seinem Haus, aber seine Frau sagte uns, er sei nicht zu Hause, sondern ins Parlament gefahren.

Also gingen wir ins Parlament: Peter Sellers, ich und die ganze Truppe einschließlich den Zeitungsleuten. Alle rannten. Als wir ankamen, war er nicht da. Wir versuchten, den Premierminister zu erreichen, aber der war auch außerhalb der Stadt. Also setzten wir uns einfach hin und begannen Hare Rama zu singen. Nach 15 Minuten sahen wir Paisley ankommen. Wir gingen hinein, um ihn zu erwischen, aber er hatte ein Meeting mit einem Minister. Das Fernsehen war im Ministerium, also war alles, was er sagte: „Hallo, Auf Wiedersehen“ und verschwand. Er wollte nicht mit uns reden, er hatte Angst. Also verließen wir Dublin am selben Tag. Das war unsere erste Friedensmission.


Den Rest seines Lebens organisierte Swamiji eine Friedensmission nach der anderen. Er sprach vehement gegen fanatische Gewalt und von Menschen gemachte Trennungen. Einige seiner Friedensmissionen wie 1971 der Flug von Tel Aviv nach Kairo oder 1983 der Flug über die Berliner Mauer in einem Ultraleichtflieger fanden ein großes Echo in der Presse. Andere verliefen fast unbemerkt. Es machte für ihn keinen Unterschied, er tat nur seine Pflicht. Die Resultate übergab er Gott.

*Schüler:

Im November 1989 traf Swamiji Vorbereitungen für einen Besuch in Israel. Das war damals immer noch gefährlich. Die aufständige Palästinenserbewegung Intifada setzte in den besetzten Gebieten des Mittleren Ostens ihr tägliches Steinewerfen und ihre Unruhen fort. Aufgrund seiner Liebe zu den Menschen hatte Swamiji überhaupt keine Angst, diese Gebiete zu besuchen und mit seinen unvergleichlichen Blumen und Friedensflugblättern zu „bombardieren“.

Drei Autos mit enthusiastischen (aber ziemlich nervösen) Yogaschülern kamen zusammen mit Swamiji an die Militärwache von Kalkiliya, einer kleinen Stadt am Westufer des Jordan. Die meisten unserer 16 Leute waren Israelis und sie waren nicht sicher, wie die Einwohner der Stadt auf sie reagieren würden. Es kamen schon negative Berichte in den Medien, die dazu aufriefen, diese Gebiete zu meiden. Aber Swamiji war bei uns und seine Gegenwart war wie ein Granitfelsen. Was konnte schon passieren?

Die Soldaten brauchten über eine halbe Stunde, alle Formalitäten zu erledigen und bald wurden wir von zwei Militärjeeps in die Stadt geleitet. In der Stadt fühlten wir eine ziemlich unheimliche Schwingung, ungeachtet der Ruhe der kafiya-gekrönten Araber, die langsam herumgingen. Nach einer Linkskurve und einigen Blocks die Straße hinunter parkten wir die Autos und betraten eine unbekannte Umgebung, eine potentielle Todesfalle. Die Straßen waren in kurzen Intervallen mit israelischen Soldaten mit schweren, gefährlichen Waffen besetzt. Uns wurde geraten, uns zu unserem Schutz nicht nur auf die Soldaten zu verlassen, da sie erst am Tag zuvor selbst Opfer von Steinewerfern geworden waren.


Als erstes betrat Swamiji eine Apotheke in der Nähe der geparkten Autos. Seine Überschwenglichkeit überrumpelte die Besitzer völlig und bald wurden Blumen und Flugblätter ausgeteilt. Glücklicherweise konnten sie gut Englisch und so konnte Swamiji seine Botschaft leicht mitteilen, die mit Freude aufgenommen wurde. Es war bereits eine Atmosphäre von Freundschaft und Liebe entstanden. Draußen auf der Straße führte Swamiji (der wegen seiner körperlichen Leiden Schwierigkeiten beim Gehen hatte) seine buntgekleideten Schüler – manche waren Swamis und trugen Orange, andere waren Brahmacharis und trugen Gelb – zu jedem Menschen, den er traf. Persönlich wurden Blumen gereicht und Flugblätter verteilt.


Alle waren völlig überrascht. Aber es war klar, dass wir aufrichtig waren und es war offensichtlich, dass wir nicht die Typen waren, die Ärger verursachen. Nachdem einige Straßenblocks „erobert“ waren, setzte sich Swamiji, gefolgt von seinen Schülern, auf eine kleine Verkehrsinsel mitten auf die Straße und begann laut für den Frieden zu singen. Soldaten schauten lächelnd zu, amüsiert und ungläubig.


Wenn man die Straße hinaufsah, konnte man die kraftvolle Schwingung spüren, die von Swamiji ausging. Man konnte kaum noch glauben, dass hier ein Schlachtfeld war. Als das Singen weiterging, näherten sich scheu zwei junge arabische Mädchen. Eine der beiden, eine Journalistin, beklagte sich, wie schlecht die israelische Regierung sie behandelte. In seiner  liebenswürdigen Art schob Swamiji die Klagen beiseite und gab ihr eine Kopie vom „Großen Illustrierten Yogabuch“. Interessiert begann sie darin zu blättern.

Swami Padmapadananda

In den 1970er und 1980er Jahren sprach Swamiji auch oft über die Bedrohung eines nuklearen Holocaust. Er erinnerte uns ständig daran, dass die Welt und unser Leben jeden Augenblick zu Ende sein konnte. Manche hielten ihn für mürrisch und trübsinnig, wenn er das tat. Aber er wollte uns nur zu mehr kraftvoller spiritueller Praxis anspornen, zu mehr sadhana. „Warte nicht bis morgen. Vielleicht gibt es kein Morgen. Beginne heute. Nutze jeden Augenblick.“


Ich erinnere mich daran, dass ich während eines Yogaretreats bei Swamiji zum Essen eingeladen war. Nachdem wir uns gesetzt und uns gegenseitig begrüßt hatten, fragte ich Swamiji, ob ich ihm 3 Fragen stellen könne. Er brach in lautes Lachen aus und antwortete: „Natürlich.“ Meine erste Frage war: „Werden wir alle in einem nuklearen Krieg untergehen?“ Er gab eine schnelle Antwort: „Wahrscheinlich.“ Die zweite Frage lautete: „Gibt es irgendeine Hoffnung?“ Die Antwort war: „Ja, es gibt immer Hoffnung.“ Die dritte Frage war: „Was können wir tun?“ „Wir können jedem Menschen helfen, der gerade da ist, einem nach dem anderen.“

Bill Forster
Silver Springs, MD USA


1987, am 100. Geburtstag von Sivananda, reisten Swamiji und 60 andere Pilger nach Indien zur Sivananda Jahrhundertfeier. Der Höhepunkt der Reise war die Friedens-Mala, die Swamiji organisiert hatte. Wir wollten mit Tausenden von Menschen eine Menschenkette formen, die von Rishikesh, dem Ort von Meister Sivanandas ashram, bis zur heiligen Stadt Haridwar reichen sollte, eine Entfernung von 30 Meilen. Indem wir dabei das Mantra Om Namo Narayanaya sangen, wollten wir schützende Friedensenergie anrufen und damit den Weltfrieden fördern. Hier einige Erinnerungen an diesen Tag:

Swamiji erzählte uns, der Tag der Friedens-Mala sei der wichtigste Tag in seinem Leben. Er sagte, wenn er erfolgreich verlaufen würde, betrachte er sein Lebenswerk als vollendet. Er hoffte, bald seinen Körper verlassen zu können, wie er uns sagte, aber er versprach, uns in seiner neuen Wohnstätte einen „mietfreien“ Platz zu reservieren.

So war es im wahren Gefühl einer Mission, als wir an diesem Morgen früh aufstanden und Richtung Haridwar fuhren, wo wir das Ende der Mala bilden wollten, die in Rishikesh beginnen sollte. Wir erreichten Haridwar um 9.30 Uhr morgens und überquerten ein schmutziges Stück Niemandsland voller Matsch zu der berühmten Brücke über den Ganges. Man kann von dort die heiligen Badeplätze sehen. Während eines früheren Besuchs in Haridwar mussten wir uns an leprösen, verkrüppelten Bettlern vorbei kämpfen, jetzt mussten wir stundenlang mitten unter ihnen auf der Brücke bleiben. Die Aussicht war nicht nur entmutigend sondern geradezu erschreckend. Ich glaube, wir fragten uns alle nachdenklich: „Warum hat uns Swamiji hierhin geschickt? Warum können wir nicht in Rishikesh sein, wo es schön und sauber ist und wir von netten Menschen umgeben sind?“

Um 11 Uhr gaben wir uns die Hände und begannen zu singen. Gerade da kam die Sonne heraus und schien gnadenlos auf uns herab. Ich machte mir Sorgen, wieder einen Hitzschlag zu bekommen. Vorher auf der Reise hatte es mich wirklich umgehauen. Eine Anzahl von Bettlern reichte uns ebenfalls die Hände. Ich hielt die Hand eines kleinen, wunderschönen Mädchens. War sie eine Bettlerin oder einfach eine Streunerin? Und was ist der Unterschied zwischen einer Bettlerin und einer Streunerin? Schließlich bemerkte ich, dass sich uns außer den Bettlern niemand in Haridwar anschloss. Tatsächlich reichte die Kette kaum über die Brücke.

Hieß das, dass die Mala ein Misserfolg war? Wir hatten keine Ahnung. Vielleicht war sie an anderen Stellen erfolgreicher, vielleicht auch nicht. Jedenfalls hatten wir eine gute shakti (spirituelle Energie) beim Singen, trotz der Gruppe Bettler, die uns belästigten. Aber als sich mir eine Gruppe Leprakranker zuwandte und direkt vor mir stehenblieb, um sichmit mir zu unterhalten, wurde ich von Abscheu gepackt. Wie konnte ich für den Weltfrieden beten, wenn ich einfach nur wollte, dass sich diese Leprakranken davonmachten?

Dann um 11.40 Uhr erinnerte ich mich an die Limetten. Swami Sitaramananda hatte mir gesagt, dass ich genug für alle kaufen sollte, so dass wir sie aufschneiden und den Saft trinken konnten, um die Heiserkeit zu lindern. Ich verteilte die Limetten, als Swami Sitaramananda mich und einige andere Teilnehmer packte und uns zu einem Punkt am Ende der Kette brachte, wo die meisten Bettler und sadhus waren und der Gesang eher schwach.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich helfen konnte, den Gesang an diesem Ende der Kette zu verstärken, da ich mittlerweile fast keine Stimme mehr hatte. Und ich wusste, dass ich die Sonne nicht länger ertragen konnte. Aber ich nahm meinen Platz ein. Ich hatte eine halbe Limette in meiner Tasche und presste sie in meinen offenen Mund aus. Ein Strahl Limettensaft traf meine Kehle wie ein Blitz. Plötzlich kam meine Stimme vollständig zurück, alle meine Erkältungssymptome verschwanden und ich sang Om Namo Narayanaya aus vollem Hals mit kristallklarer Stimme. Um mich herum hörte ich meine singenden Begleiter, auch ihre Energie hatte sich intensiviert. Außerdem hatte ich eine deutliche Empfindung von Kühle. Kleine kühle Brisen schienen uns zu umwehen. Das ging einige Zeit so weiter und währenddessen sangen wir mit einer ungeheuren Energie.

Es war mittlerweile 12.20 Uhr. Swamiji wurde jede Minute erwartet, er sollte die Mala von Rishikesh nach Haridwar entlangfahren. Eigentlich hätte er genau um 12 Uhr kommen sollen. Der Gesang endete bis auf eine kleine Gruppe und wir wurden von einigen wütenden Bettlern belästigt, die von uns etwas zu essen wollten. Erschöpft saß ich mit den anderen im Schatten eines nahegelegenen Verkaufsstandes und wir verschlangen gierig Erfrischungsgetränke. Die Moral war auf dem Tiefpunkt. Swamiji kam erst um 2 Uhr.

Weil sich Swamijis Ankunft in Haridwar derart verzögerte, fühlten sich einige von uns missachtet. Aber während der 3 Jahre, in denen ich das Privileg hatte, Swamiji zu kennen, war er noch nie auch nur entfernt pünktlich gewesen. Ich weiß, dass der Segen von heute noch in vielen späteren Leben bei mir sein wird, trotz oder vielleicht gerade wegen der Mühsal, die wir ertragen mussten. Und das ist bestimmt wichtiger, als pünktlich zu sein.

Saraswati
New York, NY

Mir wurde 1987 auf der Jahrhunderttour die Aufgabe des Kameramanns anvertraut. Am Tag der Friedens-Mala sollte ich die gesamte Länge der Mala filmen, vom Startplatz an gegenüber von Sivanandas Mahasamadhi Schrein in Rishikesh bis zum Ende an den Ghats (Treppen zum Ganges) von Haridwar.

Vorher war ich am Morgen in der Haupthalle, wo alle Seniorschüler von Sivananda inklusive Swamiji, eine Pada Puja (Verehrungsritual) mit den silbernen Sandalen Sivanandas zelebrierten. Tausende von Menschen waren versammelt und sangen Om Namo Bhagavate Sivanandaya, während die Sandalen unter einem Berg von Blütenblättern begraben wurden. Mir war klar, dass sie niemals bis 11 Uhr fertig sein würden, wo die Prozession von Rishikesh nach Haridwar beginnen sollte, wenn sie das Mantra tatsächlich 10.008 Mal wiederholen würden. Ich ging, um meine Kamera auf dem Platz vor der Halle aufzustellen, in der Annahme, dass Swamiji bald nachkommen würde.

Ich traf Swami Shanmugananda und ein, zwei andere ältere Schüler, die das Ende der Mala hier in Rishikesh organisierten. Sie hatten eine kleine Menge von Sannyasins versammelt und wir bildeten eine Linie vom Mahasamadhi-Schrein über den Platz und die langen Treppen hinunter zur Hauptstraße. Um 11 Uhr begannen wir mit dem Singen von Om Namo Narayanaya, anfänglich mit einer Menge Energie, aber langsam begann unsere Energie zu schwinden. Ich war erst eine Woche oder so in Indien und hatte meine nordamerikanische Vorstellung von Pünktlichkeit noch nicht aufgegeben. Anstatt einfach loszulassen und zu singen, bis er kam, ärgerte ich mich innerlich und grollte darüber, dass Swamiji mal „wieder zu spät war“.

Um 11.45 Uhr war ich regelrecht außer mir. Wir sollten um 12 Uhr in Haridwar sein. Das war 30 Meilen entfernt, die Straßen nur mittelmäßig und wir waren noch nicht einmal gestartet. Ich hatte schon genug Film material über den Start der Mala und ging die Stufen zur Straße hinunter, um sicher zu gehen, dass ich Swamiji auf jeden Fall erwischen würde. Um 11.50 Uhr kam er schreiend vorbei. Er stand auf einer Platform, die auf einen flachen Lastwagen gebaut war. Er fuhr direkt an mir vorbei, ohne anzuhalten, aber ein Auto mit ein paar Leuten hielt an und ich stieg ein.

Ich filmte aus dem Fenster heraus, als wir die Straße nach Rishikesh entlangfuhren, etwa eine Meile entfernt. Große Gruppen von Schulkindern in  Uniform säumten die Straße und sangen Om Namo Narayanaya. Die Menschen auf dem Lastwagen und wir alle im Auto sangen mit.

Plötzlich stoppten wir am Rande der Stadt an den Toren eines Sikh Ashrams. Swamiji war besonders darauf bedacht, die lokalen Sikhs in alles miteinzubeziehen, was wir in Rishikesh taten. Das war 3 Jahre, nachdem er versucht hatte, zwischen den Sikhs und der indischen Regierung in Amritsar zu vermitteln, direkt vor dem Massaker am Goldenen Tempel. „Dadurch werden wir noch später kommen“, dachte ich, immer noch nicht eingestimmt auf das, was wirklich wichtig war.

Ich sprang aus dem Wagen, um das Treffen zwischen Swamiji und den Sikh-Führern zu filmen, welches hauptsächlich aus Pranams (Verneigungen), Umarmungen und ein paar Worten bestand. Dann kletterte Swamiji wieder auf seinen Lastwagen und forderte mich auf, mich neben ihn zu setzen. Nun fuhren wir die Hauptstraße von Rishikesh entlang, diesmal wegen der Menschenmenge etwas langsamer, und sangen immer noch. Es gab eindeutig Lücken in der Kette und viele Leute stierten uns mit offenem Erstaunen an, als wir vorbeifuhren.

Als wir durch die Stadt fuhren, schloss sich uns ein junger Mann auf einem Motorrad an, der neben uns herfuhr und dabei lächelte und sang. Bevor wir uns versahen, waren wir von 30 oder 40 Motorrädern umgeben, auf denen jeweils ein oder zwei junge Männer saßen. Als wir Rishikesh verließen und schneller wurden, blieben sie zu beiden Seiten des Lastwagens bei uns, fuhren hin und her und sangen laut und freudig.

Es gab lange Strecken auf dem offenen Land, wo es überhaupt keine Kette gab. In jedem Dorf, in das wir auf unserer Strecke kamen, wartete eine neue Kette von Schulkindern mit ihren Lehrern auf uns. Mittlerweile waren wir sehr spät dran, also wurden wir kaum langsamer. Ich überlegte, was sie wohl von uns dachten. Sie hatten gut eine Stunde gewartet und alles, was sie sahen, war ein Lastwagen und ein Auto voller Leute. Swamiji saß auf einem großen Stuhl auf einem Lastwagen, umgeben von wilden jungen Männern auf Motorrädern, die sich heiser sangen.

Als wir Haridwar erreichten, wurde die Straße gerade von einer Zugschranke versperrt und wir mussten anhalten. Die jungen Männer stiegen von ihren Motorrädern und sprangen, immer noch singend, auf Swamijis Lastwagen rauf und runter. Ich bemerkte jetzt, dass sie das Mantra falsch aussprachen, sie ließen die letzte Silbe weg. Da standen wir, hoffnungslos zu spät, umgeben von etwas, das aussah wie eine Teenagerparty. Swamiji saß einfach ruhig da und sang anscheinend völlig unbeeindruckt von dem verrückten Treiben um uns herum.

Endlich ging die Schranke nach oben, wir rasten nach Haridwar, parkten hinter den Ghats und eilten zum Ufer des Flusses. Ich war von der Aufregung, der Hitze und der Feuchtigkeit erschöpft, aber Swamiji ging einfach immer weiter. Er eilte die Stufen des Ghats hinunter, gefolgt von unserer Motorradeskorte, die ziemlich sicher kaum Ahnung hatte, was hier eigentlich vorging. Er stand bis zu den Knien im Ganges und begann, einige Gebete auf Sanskrit aufzusagen. Wir waren nicht nur von den Menschen umgeben, die uns begleitet hatten, sondern auch von denen, die die ganze Zeit auf uns gewartet hatten plus einigen anderen, die rein zufällig hier waren. Jeder drängte und schob nach vorne, um Swamiji nahe zu sein und zu hören und zu sehen, was vor sich ging. Irgendwie bekamen wir eine Aratilampe und vollzogen das Arati (Lichterzeremonie) für Mutter Ganga.

Swamiji saß auf den Stufen des Ghats und begann zu sprechen. Die Motorradjungen wurden ganz still und ruhig und hörten andächtig zu. Als erstes lehrte er sie, wie man Om Namo Narayanaya korrekt aussprach, sprach Silbe für Silbe mit ihnen durch und brachte sie nach und nach dazu, es mit uns anderen richtig zu wiederholen. Dann hielt er einen Vortrag. Ehrlich gesagt kann ich mich an kein Wort erinnern. Ich war total beeindruckt davon, wie unsere wilde Begleitung jetzt so still dasaß und Swamiji zuhörte. Als ob sonst nichts geschehen wäre, hatte Swamiji diese jungen Männer irgendwie auf eine bestimmte Art und Weise erreicht.

War die Friedensmala ein Erfolg? Ich kann es nicht beurteilen. Es war einer der wildesten und verrücktesten Tage meines Lebens. Und mittendrin war Swamiji der ruhende Pol und tat das, was er fühlte, tun zu müssen. Nach dem Vortrag saß er allein auf den Stufen des Ghats und meditierte. Er strahlte Frieden aus.

Gopala Krishna