Goraksha Shataka

 

Vers 71: Dharana über das Element Feuer

 

Man lenke seinen Lebensatem zusammen mit dem Geist auf das in der Gaumengegend befindliche Element Feuer, halte ihn dort zwei Stunden lang (und visualisiere das Element Feuer als) ein karminrot leuchtendes Dreieck, schön wie eine Koralle, zusammen mit (der Keimsilbe) RA(M und) Rudra (als Gottheit). Diese zum (Element) Feuer gehörige Konzentrationsübung verleiht jederzeit die Meisterschaft über das (Element) Feuer.


    यत्तालस्थितमिन्द्रगोपसदृशं तत्त्वं त्रिकोणोज्ज्वलं
    तेजो रेफमयं प्रवालरुचिरं रुद्रेण यत्सङ्गतम् |
    प्राणं तत्र विनीय पञ्चघटिकाश्चित्तान्वितं धारये-
    देषा वह्निजयं सदा विदधते वैश्वानरी धारणा || ७१ ||


    yat tāla-sthitam indra-gopa-sadṛśaṃ tattvaṃ tri-koṇojjvalaṃ
    tejo repha-mayaṃ pravāla-ruciraṃ rudreṇa yat saṅgatam |
    prāṇaṃ tatra vinīya pañca-ghaṭikāś cittānvitaṃ dhārayed
    eṣā vahni-jayaṃ sadā vidadhate vaiśvānarī dhāraṇā || 71 ||

    yat tala-sthitam indra-gopa-sadrisham tattvam tri-konojjvalam
    tejo repha-mayam pravala-ruchiram rudrena yat sangatam |
    pranam tatra viniya pancha-ghatikash chittanvitam dharayed
    esha vahni-jayam sada vidadhate vaishvanari dharana || 71 ||


Wort-für-Wort-Übersetzung

    yat : (dort) wo ("was, welches", Yad)
    tāla-sthitam : sich in der Gaumen(gegend, Tala wörtl.: "Handfläche") befindet (Sthita)
    indra-gopa-sadṛśam : (dem roten Farbstoff) Karmin (Indragopa) gleich (Sadrisha)
    tattvam : das Element, Prinzip (Tattva)
    tri-koṇojjvalam : (in Form eines) Dreiecks (Trikona) glänzend, strahlend, leuchtend (Ujjvala)
    tejaḥ : Feuer (Tejas)
    repha-mayam : versehen mit ("gebildet aus", Maya) dem (Laut) RA(M) (Repha)
    pravāla-ruciram : prächtig, schön (Ruchira) wie eine Koralle (Pravala)
    rudreṇa : mit Rudra (als Gottheit)
    yat : das, welches (Yad)
    saṅgatam : verbunden, in Verbindung (Sangata)
    prāṇam : den Lebensatem, die Lebensenergie (Prana)
    tatra : dort, dorthin (Tatra)
    vinīya : lenkend, richtend ("gelenkt habend", vi + nī)
    pañca-ghaṭikāḥ : für fünf (Pancha) Ghatikas (Zeiteinheiten à 24 min), d.h. zwei Stunden lang (24 min x 5 = 120 min)
    cittānvitam : zusammen (Anvita) mit dem Geist (Chitta)
    dhārayet : man halte fest, halte zurück, konzentriere (dhṛ)
    eṣā : diese (Etad)
    vahni-jayam : die Herrschaft, Meisterschaft ("Sieg", Jaya) über (das Element) Feuer (Vahni)
    sadā : immer, jederzeit (Sada)
    vidadhate : verleiht (vi + dhā)
    vaiśvānarī : die zum (Element) Feuer gehört (Vaishvanara)
    dhāraṇā : Konzentration(sübung), Visualisierungstechnik (Dharana)

Anmerkungen: Dieser Vers wird mit einigen Abweichnungen in der Gheranda Samhita (3.75) überliefert. In dieser Version wird allerdings der Nabel (Nabhi) als der Ort angegeben, wo das Element Feuer im Körper zu visualisieren ist: yan nābhi-sthitam... Das dem Element Feuer (Vahni) zugeordnete Bijamantra ist RAM, das in der Regel mit dem Manipura Chakra in Verbindung gebracht wird. Im Goraksha Shataka heißte es dagegen yat tāla-sthitam, wobei tāla (wörtl.: "Handfläche") vermutlich ein Schreibfehler (in allen bekannten Manuskripten?) ist und wohl richtiger tālu "Gaumen" (Talu) zu lesen wäre. Die Editoren des Textes übersetzen auch in diesem Sinne, geben allerdings im kritischen Apparat keinerlei andere Lesart für tāla an.

In der Gheranda Samhita (3.76) heißt es über die Wirkung dieser Visualsierungstechnik:

    pradīpte jvalite vahnau yadi patati sādhakaḥ |
    etan-mudrā-prasādena sa jīvati na mṛtyu-bhāk || 3.76 ||

"Wenn der Praktizierende (Sadhaka) in ein heißes (Pradipta), loderndes (Jvalita) Feuer (Vahni) fällt, bleibt er durch die Gnade (Prasada) dieser Mudra (in Form der Konzentration auf das Element Feuer) am Leben und erleidet nicht den Tod (Mrityu)." (GhS 3.76)