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Klassische Upanishaden

- Die Weisheit des Yoga -

Klassische Upanishaden
- Die Weisheit des Yoga -

Auszüge aus dem Werk
„Sechzig Upanishads des Veda“
von Paul Deussen
Originalausgabe F.A. Brockhaus, Leipzig, 1897
Neuauflage B. Kleine Verlag GmbH, Bielefeld, 1980

Copyright dieser Ausgabe
Alle Rechte vorbehalten
Yoga Vidya Verlag
Yoga Vidya GmbH
Wällenweg 42
32805 Bad Meinberg


weitere Exemplare sind zu beziehen bei:
Yoga Vidya Verlag, Gut Hoffnungstal, D-57641 Oberlahr
Tel 02685-8002-0, Fax 02685-20
Email: shop@yoga-vidya.de
Internet: www.yoga-vidya.de

 

Inhaltsverzeichnis:


Vorwort des Herausgebers


Die Upanishaden, die oft als „Geheimlehre der Inder“ bezeichnet wer-den, bilden den metaphysischen, philosophischen Teil der Veden. Hier hat die Vedanta-Philosophie, der monistischen Philosophie des Non-Dualismus, ihren Ursprung und ihre Quelle. Die zentrale Aussage der Upanishaden ist: Du bist nicht dieser Körper, du bist nicht der Verstand, du bist nicht die Emotionen und Gedanken, du bist Atman, das Selbst, und dieser Atman ist in seiner Essenz nichts anderes als Brahman, das Absolute, das Urprinzip oder Gott, wie immer der Einzel-ne es nennen will. Brahman – und damit auch Atman, also die individu-elle Seele – ist unvergänglich, unsterblich, unendlich, ewig, rein, unbe-rührt von allen äußeren Veränderungen, ohne Anfang, ohne Ende, un-begrenzt durch Zeit, Raum und Kausalität, ist reines Sat-Chid-Ananda, reines Sein, Bewusstheit an sich (Sat), vollumfängliches intuitives Wis-sen (chid) und immerwährende Wonne und Glückseligkeit (ananda). Dieses Sat-Chid-Ananda zu erfahren und zu verwirklichen ist das Ziel des Yoga, ja, im Grunde genommen aller spirituellen Praktiken, denn letztlich ist diese mystische Erfahrung in allen Traditionen dieselbe. Aus den Texten der Upanishaniden spricht diese mystische, archaische Er-fahrung. Damit berühren und erreichen sie unmittelbar eben diesen göttlichen Kern in uns und bringen uns in Kontakt mit dem „Göttlichen im Lotus unseres Herzens“, wie es die Narayana Suktam ausdrückt.
Um die Urkraft dieser Texte wirken zu lassen, haben wir auf Erläute-rungen verzichtet und stellen in diesem Buch nur die Originaltexte der 11 bedeutendsten klassischen Upanishaden in der sehr schönen lyri-schen Übersetzung von Paul Deussen vor .
Ebenso haben wir um der Einfachheit und leichteren Lesbarkeit willen nicht die wissenschaftliche Transkription der Sanskritworte gewählt. Aussprachehinweise zum Sanskrit:
a, i, u sind kurze Vokale
a, i, u, e, o sind lange Vokale
sh ist wie „sch“ zu sprechen
j wie „dsch“
h wird immer deutlich gehaucht.
Die Herausgabe dieses Buches wurde möglich dank des selbstlosen eh-renamtlichen Einsatzes vieler fleißiger Mithelfer, die mit viel Engage-ment und Enthusiasmus die Texte abgetippt und neu erfasst haben. Ih-nen allen möchten wir an dieser Stelle herzlich danken: Patricia Gdowska, Christine Assenbrunner, Ute Ringleben, Percy Leonhardt, In-geborg Wittler und Gudula Ziemer für die Neuerfassung der Texte sowie Anita Daschner, Simone Haslinger und Anne-Kathrin Uckrow für die Überarbeitung, die Korrekturen und das Layout.
Ich wünsche der Leserin/dem Leser viel Freude und Inspiration mit die-sem Buch.
Oberlahr im Mai 2003

Suguna Langer
Yoga Vidya Verlag

zum Inhaltsverzeichnis


Einleitung


Klassische indische Schriften und ihre Bewandtnis für den Yoga
Die Upanishaden sind Teil der Veden, der wichtigsten der klassischen indischen Schriften. Über ihre Entstehung und ihr Alter gibt es unter-schiedliche Theorien und Zeitangaben, die teilweise erheblich voneinan-der abweichen. Ich möchte deshalb hier zunächst einen allgemeinen Überblick über die über die indischen Schriften und die damit zusam-men hängende Kultur geben.

Theorien der westlichen Orientalistik über die Entstehung der Schriften
Die Ursprünge des Yoga selbst liegen im Dunkeln. Die ältesten archäo-logischen Zeugnisse der indischen Hochkultur stammen aus der soge-nannten Induskultur, die ihre Blütezeit zwischen 3500 und 1500 v.Chr. hatte. Es existierte auch eine Schrift, die allerdings noch nicht entziffert ist, denn sie scheint nach einer anderen Logik aufgebaut zu sein als alle anderen bisher bekannten Schriften. Sie hat auch keine Ähnlichkeit mit Sanskrit. Archäologischen Ausgraben zufolge handelte es sich um eine großartige Hochkultur mit schachbrettartig angelegten blühenden Städ-ten, die über Kanalisation und fließendes Wasser verfügten. Die größten heute bekannten Städte dieser Hochkultur sind Harapa und Mojendra.
Um 2000 herum werden die Ausgrabungsfunde geringer und schon um 1500 v.Chr. gibt es keine Zeugnisse mehr von der Induskultur. Aus un-bekannten Gründen hat sie sich irgendwann aufgelöst, ohne Anzeichen größerer Schlachten oder sonstiger Katastrophen. Nach einer Theorie westlicher Orientalisten war der Landbau eventuell nicht sehr ökolo-gisch war, so dass das Land allmählich ausgelaugt war und die Bewoh-ner die Böden deshalb verlassen mussten.
Eine zweite Theorie beruht auf der Einwanderung der Indogermanen um 1500 v.Chr. Diese sogenannten Arier – der Ausdruck hat zwar in Deutschland einen eigenartigen Klang, aber er kommt auch in der Bha-gavad Gita (ind. Nationalepos) vor; Arier heißt eigentlich stark, mutig - kamen aus der südrussischen Steppe, zwischen Kaspischen Meer und Baikalsee, und sollen von dort in mehreren Wellen ausgewandert sein. Ein Teil von ihnen zog nach Persien, das wurden dann die Iranoarier, ein anderer Teil nach Indien, die sogenannten Indoarier. Bis heute ha-ben Sanskrit und Persisch eine enge Verbindung. Wenn man Sanskrit kann, versteht man viele persische Ausdrücke und die Bedeutung persi-scher Namen, wenn sie nicht arabischen Ursprungs sind.
So wird angenommen, dass die Arier zwischen 1500 und 1200 v.Chr. erst das Industal eroberten, dann die Ganges-Tiefebene und schrittweise den nordindischen Subkontinent. In Südindien dagegen blieben die so-genannten Drawiden. Sie gelten als Ureinwohner und hatten auch eine eigene Kultur. Manche Wissenschaftler mutmaßen, die Drawiden könn-ten dasselbe Volk sein, das auch die Induskultur gegründet hatte. Bis heute gibt es in Indien zwei ethnische Hauptgruppen, eben die eher hellhäutigen Arier im Norden und die dunkelhäutigen Drawiden im Sü-den. Die höheren Kasten sind auch im Süden oft mit hellhäutigen a-rischstämmigen Menschen besetzt. Daneben gibt es in Indien natürlich noch sehr viele anderen Völker, sogar mongoloide Völker, gerade in Nord- und Nordostindien, die ebenfalls nach Indien eingewandert sind. Dann gibt es die sogenannten Awinashis, die Stämme, die bis heute im Wald leben und nie sesshaft geworden sind.
Um die Zeit der arischen Einwanderung sollen dieser Theorie zufolge auch die indischen Schriften entstanden sein. Es sollen ursprünglich rein arische Schriften gewesen sein, die die Indogermanen mitbrachten und die sich später allmählich mit dem drawidischen Gedankengut vermischten. Auf die indogermanische, abendländische Kultur gehen die Vorstellungen von Brahman (das Absolute), Atman (das Selbst) und die vedischen Götter wie Indra , Varuna , Agni und so weiter, zurück. Von der drawidischen Religion nimmt man an, dass es sich ursprünglich mehr um eine Mutterreligion mit Verehrung der Göttin, eine tantrische Kultur, gehandelt hat, die sich im Gegenzug in den ersten Jahrhunder-ten nach Christus wieder über ganz Indien ausgebreitet hat und auch von der sogenannten Brahmanischen Kultur absorbiert wurde.
In indologischen und zum Teil auch in Yogabüchern liest es sich immer so, als sei das historisch klar bewiesen. Es gibt aber keine archäologi-sche Beweisführung dafür, dass die Indogermanen tatsächlich die In-dusbewohner besiegt haben. Die Theorie stützt sich hauptsächlich auf die Sprachwissenschaft und die Ethnologie.
Die zeitliche Bestimmung ist deshalb so schwierig, weil die Inder auf Palmblätter geschrieben haben, die nach ein paar hundert Jahren voll-ständig zerfallen waren und immer wieder kopiert, also abgeschrieben, wurden. Man findet keine uralten Originale.

Klassische indische Theorie über die Entstehung der Schriften
Nach klassischer Chronologie sind die Schriften zu Beginn des Kali Yu-ga (das „eiserne Zeitalter, in dem wir jetzt leben) entstanden, also um 3500 v.Chr. Die mündliche Überlieferung geht noch erheblich weiter zu-rück.
Zu Beginn des Kali Yuga, des Eisernen Zeitalters, erkannte Vyasa, ein großer Yogi und Rishi (Seher, Weiser), dass die Menschen sich nicht mehr so viel merken können, dass außerdem die Lebensspanne abneh-men und die ganze Zivilisation materialistischer werden wird. Er erhielt innerlich den Auftrag, das Wissen in den Veden festzuhalten. So hat er die Veden aufgeschrieben, unterteilt und anschließend auch die ande-ren Schriften geschrieben.
Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem amerikanischer Ori-entalisten, liefern einige Beweise, die für die indische Zeitangabe spre-chen.
Beispielsweise gibt es eine Analyse des Sternenhimmels zur vedischen Zeit. Der in den Veden beschriebene Sternenhimmel war ein anderer als heute. Da die Erde leicht schief im Weltraum kreist, verschiebt sich der Sternenhimmel von der Erde aus gesehen etwa alle 2000 Jahre um 30 Grad. Aus den in den Veden beschriebenen Konstellationen der Haupt-sterne, der Sternbilder, ihrem Verhältnis zueinander, lässt sich eindeu-tig nachweisen, dass es sich dabei um den Sternenhimmel der Zeit vor 3500 v.Chr. handelt – und nicht um den von 1500 v.Chr.
Des weiteren wurde das Flussbett des Saraswati-Flusses entdeckt, der um 2000 v.Chr. ausgetrocknet ist und an dem die Orte liegen, die in den Veden beschrieben werden. Also müssen die Veden zu einer Zeit entstanden sein, als der Fluss noch existierte.
Demnach hätten die Veden zur Zeit der Induskultur schon bestanden und die Indogermanen hätten sie nicht mitgebracht, sondern mehr oder weniger übernommen.

Weitere Theorien
Und es gibt noch eine andere interessante Theorie, die Swami Vishnu, mein spiritueller Lehrer, gelegentlich erzählt hat. Sie ist in den Schriften erwähnt, es gibt aber – wie für die der westlichen Orientalistik - keine archäologische Beweisführung dafür. Danach wären wir die Nachfahren der Induskultur.
Krishnas nordindischer Volksstamm der Yadavas war besonders hel-denhaft. Krishna wollte aber nicht in die Politik und die Kämpfe seiner Zeit hineingezogen werden. Deshalb schuf er aus seiner Yoga Maya, seiner Yogakraft heraus, einen Kontinent namens Dvaraka vor Indien, auf den er mit seinem Volk auswanderte, um dort ein ideales Staatswe-sen zu gründen. Aber selbst Krishna ist an den Menschen gescheitert. Er schuf ein gut funktionierendes Wirtschaftssystem, so dass es allen gut ging. Aber wie es so ist, wenn es einem sehr gut geht, man wird schnell korrupt und materialistisch. Daher bestimmte Krishna, dass der Kontinent nach seinem Tod untergehen sollte und beauftragte seinen Schüler Arjuna, nach seinem Tod die Yadavas nördlich der großen Schneeberge zu führen. Und so geschah es dann auch. Krishna starb, damit begann das Kali Yuga, Arjuna erfüllte Krishnas Wunsch und zog mit den Yadavas - zumindest mit denen, die ihm glaubten, was nicht die Mehrheit war -, nördlich des Himalaya, ließ sie dort zurück und kehrte selbst nach Indien zurück. Danach wären wir Nachfahren des Volksstammes der Yadhavas.
Man könnte die Geschichte von Dvaraka auch deuten als Geschichte von einem untergegangenen Kontinent, von dem die Menschen ihre Zivi-lisation mitgebracht haben.
Und es gibt die Theorien, wonach die ganze irdische Zivilisation nicht hier begonnen hat, sondern auf anderen Planeten. Und wenn man die Bücher von Däniken liest oder die indischen Schriften oder die Bibel, dann spricht durchaus einiges dafür. Man findet sehr oft Hinweise auf fliegende Gefährte, zum Beispiel im Ramayana. Dort werden Flugzeuge beschrieben, die großen Lärm machen, Feuer speien und bei einer be-stimmten Geschwindigkeit – also beim Durchbrechen der Schallmauer – gibt es einen fruchtbaren Knall. Manche fliegen nur durch die Kraft der Gedanken und sind noch erheblich schneller. Sie fliegen zu anderen Planeten und kehren zurück. Die Devas, die Engelswesen der hinduisti-schen Mythologie wären bei Von Däniken Wesen von anderen Planeten, die hierher gekommen sind und die Kultur gebracht haben.
Swami Vishnu meinte, wir seien nicht die erste Raumfahrtkultur und die Zivilisation habe nicht auf der Erde angefangen, denn die Zeit seit der Entstehung des Lebens auf der Erde sei zu kurz gewesen, um sich so schnell so weit zu verändern und zu entwickeln.

Einteilung der indischen Schriften
Als die Menschen ursprünglich die Schriften geschaffen haben, haben sie sich natürlich nicht an irgendwelchen Kriterien orientiert. Alle Ein-teilungen sind erst nachträglich entstanden, als man sich später über-legt hat, wie man die Schriften logisch aufgliedern könnte. Die Eintei-lungen sind auch in verschiedenen Schulen unterschiedlich.
Die indischen Hauptschriften gliedern sich in vier Teile:
Veden
Smritis
Puranas
Itihasas

Die Veden
Sie sind die ältesten, ursprünglichen indischen Schriften und werden auch als Shrutis bezeichnet. Shruti heißt wörtlich das Gehörte, wobei damit nicht gemeint ist, dass man es mit den Ohren gehört hat – son-dern im Sinne einer Enthüllung, Schau oder Offenbarung. Shrutis sind das Gehörte, das man als Offenbarung empfangen hat.
Veda heißt Wissen - Wissen, das den Rishis, den Sehern, enthüllt, of-fenbart worden ist. Es heißt, das gesamte Wissen der Menschheit sei in den Veden enthalten. Brahma, der Schöpfer, soll vor der Erschaffung der Welt erst die Veden geschaffen haben. Natürlich hat er sie nicht zu-erst aufgeschrieben – wo und wie hätte er sie auch aufschreiben sollen! – aber Veda als das Wissen um die Gesetze des Universums braucht man zuerst, um anschließend die Welt zu erschaffen. Und aus welchem Material hat er sie geschaffen? Er hat Tapas (Askese, spirituelle Prakti-ken) geübt, daraus Energie gewonnen und mit dieser Energie und sei-nen Gedanken die Welt geschaffen. Das ist einer der vielen Schöp-fungsmythen, die man in Indien findet.
Die Veden sind Sammlungen einzelner Enthüllungen, die verschiedenen Rishis gemacht wurden, von ihnen an ihre Schüler weiter gegeben und von Vyasa gesammelt und aufgeschrieben wurden. Zusammengefasst würden sie viele Bände ausmachen. Diese Schriftensammlung ist in vier Hauptteile gegliedert:
Rigveda
Samaveda
Yajurveda
Atharvaveda
Man kann nicht so genau sagen, was das Hauptthema jedes Veda ist. Man liest zwar manchmal, Rig behandle die Schöpfung, Sama die Mu-sik, Yajur die Opferzeremonien und Atharva magische Praktiken, aber so ganz stimmt das nicht. Sie unterscheiden sich letztlich in der Melo-die, mit der sie gesungen werden. Rigveda ist eine bestimmte Singweise, Samaveda ist eine ganz andere und Yajur und Atharva jeweils wieder eine andere.
Jeder dieser vier Hauptveden besteht wiederum aus vier Teilen:
a) Samhitas
b) Aranyakas Karma Kanda
c) BrahManas
d) Upanishaden Jnana Kanda
Die Samhitas sind die Hymnen oder Mantras. Das ist der wichtigste Teil vom mythologischen Gesichtspunkt her. Bei einer Puja (Opferzeremonie) oder Yajna (Feuerritual) rezitiert man Samhitas. Die Aranyakas geben Erklärungen und Erläuterungen dazu. Die Brahmanas beschreiben die rituelle Anwendung und die genaue Ausführung der Rituale. Alle drei zusammen bilden den Karma Kanda-Teil der Veden, wobei Karma hier im Sinn von Ritual zu verstehen ist, nicht als Handlung. Karma Kanda ist der Teil der Veden, der sich mit Ritualen beschäftigt.
Die Upanishaden bilden den Jnana Kanda, den Teil, bei dem es um Wissen und Weisheit geht. Sie stellen den metaphysischen, philosophi-schen Abschnitt der Veden dar, in dem grundlegende Fragen der menschlichen Existenz behandelt werden wie „Wer bin ich, woher kom-me ich, wohin gehe ich, was ist der Sinn des Ganzen, wie erlange ich Befreiung?“. Sie sind der für den Yoga wichtigste Teil mit den Grundla-gen des Jnana Yoga.
Die Inhalte der Upanishaden im engeren Sinne, wie sie in diesem Buch wieder gegeben sind, sind meist unterteilt in Adhyayas (Wortstamm „Lernen“) und Khandas („Teil“) oder Vallis („Ableger“)oder Anuvakas („anu“ = Teilchen“, „vak“ = „Sprache“). Bei manchen Versen wird in Klammern auf Stellen mit ähnlichem Inhalt in einer anderen Upanisha-de hingewiesen, z.B. der Hinweis: „Chand. 6,2,3.“ bezieht sich auf die Chandogya Upanishad, sechster Prapathaka, Zweiter Khanda, dritter Vers.

Die Smritis
Man nimmt an, dass die Smritis um 1200 v.Chr. bis 500 v.Chr. ge-schrieben wurden. Allerdings findet man auch andere Jahreszahlen. Die Zeitangaben differieren in Büchern und Artikeln über Orientalistik um ein paar Jahrhunderte.
Smriti heißt wörtlich Erinnerung. Die Smritis sind die Gesetzbücher, die Umsetzung der Shrutis, der Weisheit der Veden, in Regeln und Gesetze und deren Anwendung im täglichen Leben. Shrutis sind die ewige Wahrheit, das, was immer bleibt; Smritis sind veränderlich, die Anpas-sung an das tägliche Leben.
Sie ändern sich auch je nach den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen Umständen der Zeit. Ursprünglich waren es sehr kluge ge-sellschaftliche Regeln für das Zusammenleben von Menschen aus ver-schiedenen Kulturen, Religionen, Kasten, Generationen. Im Laufe der Zeit sind sie immer mehr verkrustet und es gab mehr und mehr Vor-schriften.
Die alten Smritis, in denen zum Beispiel die vier Ashramas (Lebenssta-dien) und die vier Varnas (Kasten) idealtypisch beschrieben sind, sind durchaus kunstvoll und faszinierend.
Also Shruti, die hohe Wahrheit und Smriti, die praktische Umsetzung.

Die Puranas und Itihasas
Die Puranas sind Göttergeschichten. Die Itihasas sind die sogenannten Heldenepen, wo zwar auch Götter eine Rolle spielen, es aber in der Hauptsache um Menschen geht, ähnlich wie in den griechischen Götter- und Heldensagen.
Die bekannteste der Puranas ist die Bhagavatam. Sie erzählt Geschich-ten von Vishnu und Krishna. Die bekanntesten Itihasas sind das Ra-mayana und das Mahabharata.
Puranas und Itihasas erklären die spirituellen Prinzipien auf einfache Weise. Denn die Menschen haben immer schon lieber Romane gelesen als philosophische Abhandlungen und sehen heute lieber Liebesfilme und Krimis als Videos über spirituelle Themen oder absolute Wahrhei-ten. Die zwei Dinge, die den Menschen schon immer am meisten faszi-niert haben sind Sex und Gewalt, Liebe und Krieg. Daher sind die Pura-nas und Itihasas voll von Liebesgeschichten, kriegerischen Eroberungen und menschlichen Dramen. Aber dazwischen ist die spirituelle Bot-schaft verpackt. Ab und zu trifft jemand einen Weisen, fragt ihn etwas und der Weise antwortet. Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel die Bhaga-vad Gita, die ja Teil des Mahabharata ist.
Nach der Theorie westlicher Orientalisten sollen die Puranas und Itiha-sas ein paar hundert Jahre vor Christus geschrieben worden sein, wo-bei schon das drawidische Gedankengut eingeflossen ist, so dass die al-ten vedischen Götter wie Indra, Varuna und Agni nicht mehr so vertre-ten waren. Man hat sie mehr als Engelswesen angesehen. Dafür wurden die neuen Götter wie Brahma, Vishnu, Shiva, Durga, Lakshmi, die noch älter waren, wieder bedeutender. Nach indischer Theorie soll Vyasa die meisten selbst geschrieben haben oder sie seinem Sohn Sukadev münd-lich weiter gegeben haben, so dass sie teilweise erst später niederge-schrieben wurden.
Die vier orthodoxen Hauptschriften – die Veden bzw. Shrutis, Smritis, Puranas und Itihasas - werden von allen Hindus als Autorität aner-kannt.

Sutras
Daneben gibt es zahlreiche spätere, nicht-orthodoxe Schriften, die sich jeweils nur auf ein Teilgebiet oder eine bestimmte Glaubensrichtung be-ziehen und nicht von allen Hindus anerkannt werden. Dazu gehören zum Beispiel die Sutras. Ein Sutra ist ein Leitfaden und die kürzeste Weise, etwas auszudrücken, während Puranas und Itihasas die längst-mögliche Weise sind, etwas auszudrücken.
Für den Yoga von größter Bedeutung sind die Yoga Sutras von Patanjali (wahrscheinlich um 600/500 v.Chr.) über den Raja Yoga und die Brah-ma Sutras über das Jnana Yoga. Daneben gibt es noch sehr viel mehr Sutras über verschiedenste Bereiche.

Agamas und Tantras
Das Wort Tantra hat eine vielfältige Bedeutung. Zum einen bezeichnet Tantra neben dem Shaivismus (wo Shiva als höchstes Bewusstsein an-gesehen wird) und dem Vaishnavismus (wo Vishnu als höchste Gottheit verehrt wird) eine der drei Hauptreligionsrichtungen Indiens, wo Shakti, die kosmische Energie oder das Göttliche in seinem Aspekt als „göttliche Mutter“ verehrt wird. Zum zweiten ist Tantra ein bestimmtes Philoso-phiesystem, nämlich die Shiva-Shakti-Philosophie. Und zum dritten ist Tantra der Name für einen bestimmten Schrifttyp, die Agamas, die je-weils nur einer Tradition zugeordnet sind. Es gibt zum Beispiel Vishnu Agamas, Shiva Agamas und Shakti Agamas, wobei die Shakti Agamas als Tantra bezeichnet werden.
Diese Tantras haben eine besondere Bedeutung fürs Yoga, denn die Hatha Yoga-Schriften und auch die Mantra Shastras sind ein Teil da-von.

Hatha Yoga Schriften
Es gibt vier Hauptschriften des Hatha Yoga:
Hatha Yoga Pradipika
Geranda Samhita
Shiva Samhita
Goraksha Sadhaka
In diesen Schriften sind die Mudras („Siegel“, bestimmte Stellungen in Verbindung mit Konzentrationstechniken) beschrieben, die Bandhas („Verschlüsse“, bestimmte Stellungen, um Energie zu bewahren und zu lenken), die Asanas (Yogastellungen), Konzentrationstechniken, Kriyas (yogische Reinigungsübungen) und die Hatha Yoga-Meditations-techniken, zum Teil Theorie über Kundalini Yoga, über Chakras (Ener-giezentren) und Nadis (Energiekanäle).

Die sechs klassischen indischen Philosophiesysteme
Alle sechs klassischen Philosophiesysteme – die unterschiedliche, teil-weise durchaus widersprüchliche, Standpunkte einnehmen – berufen sich auf die Veden. Die Upanishaden als der metaphysische, philosophi-sche Teil der Veden sind die Grundlage vor allem des Vedanta, der Phi-losophie des Non-Dualismus. Da die Kenntnis dieser Gedankenansätze wesentlich zum besseren Verständnis der indischen Kultur und Gedan-kenwelt beiträgt, geben wir hier einen Überblick über die verschiedenen Philosophiesysteme.
Die sechs Philosophiesysteme werden auch als Darshanas bezeichnet. Darshan heißt wörtlich Sichtweise. Man könnte es auch durchaus mit Weltanschauung übersetzen. Aber es ist eine Sichtweise, es ist nicht die absolute Wahrheit.
Jedes Philosophiesystem ist nur ein Versuch, die Wahrheit zu beschrei-ben. Eigentlich kann man die Wahrheit nicht in Worte fassen. Sie kann nur direkt erfahren werden. Wenn man sie erfahren hat und anderen vermitteln will, muss man erneut Worte oder Bilder gebrauchen, was wiederum begrenzend ist. Daher gibt es auch sechs Darshanas mit un-terschiedlichen Standpunkten, die jedoch aus indischer Sicht keine Wi-dersprüche sind, sondern nur verschiedene Sichtweisen der gleichen Wirklichkeit.
Jedes Darshana ist ein Philosophiesystem, das versucht, Antworten zu geben auf die großen Fragen:
Was ist die Welt? Woher kommt die Welt? Was ist der Mensch? Was ist Glück? Gibt es Gott? Was ist Gott? Was ist Leid? Was ist das Ziel des Lebens? Und wie kommt man dorthin? Wie kommt man zur Befreiung?
Dies sechs Darshanas heißen:
Purva Mimamsa
Vaisheshika
Nyaya
Samkhya (auch Sankhya)
Yoga (im engeren Sinn, bezogen auf das Yoga-System von Patanjali)
Uttara Mimamsa (= Vedanta)

Purva Mimamsa
Purva Mimamsa ist eine theistische Philosophie. Gott hat die Welt ge-schaffen. Das Ziel des Lebens ist es, in den Himmel zu kommen. Zu vermeiden gilt es, in die Hölle zu kommen. Um in den Himmel zu kom-men, muss man Punyas ansammeln, Verdienste, und Papas, Sünden, vermeiden. Durch Papas zieht man erstens schlechtes Karma auf sich, zweitens kommt man in die Hölle und drittens wird man im nächsten Leben sehr schlecht wiedergeboren. Wenn man dagegen Punyas sam-melt, erwirbt man künftiges Vergnügen, kommt in den Himmel und das nächste Leben ist um so besser. Diese Philosophie ist in Indien wohl am verbreitetsten.
Sie ist etwas differenzierter als die christliche Himmel- und Hölle-Philosophie, wo man auf ewig in die Hölle oder in den Himmel kommt.
Man muss natürlich wissen, dass die Christen früher geglaubt haben, die Welt existiere erst seit ein paar Tausend Jahren und würde bald un-tergehen. So gesehen dauert die Ewigkeit auch gar nicht so lange.
Aber die Inder sind schon immer davon ausgegangen, dass es Trillionen von Trillionen von Trillionen von Leben gibt, und da ist die Ewigkeit schon sehr lange.
Purva Mimamsa beschreibt sowohl positive als auch negative Handlun-gen im täglichen Leben und beinhaltet auch ethische Gesichtspunkte. Wenn man anderen hilft, ist es Punya, wenn man andere schädigt, ist es Papa. Darüber hinaus gibt es alle möglichen Reinheitsvorschriften. Be-achtet man sie, erwirbt man Punya, andernfalls Papa. Daneben gibt es einige Handlungen, die man unbedingt ausführen muss und die weder Punya noch Papa sind; unterlässt man sie jedoch, dann führt es zu Pa-pa. Führt man sie hingegen verstärkt aus, gibt es Punya.
Aber es bezieht sich auch noch auf etwas anderes. Wenn man etwas Be-stimmtes erreichen will, kann man vorgeschriebene Rituale dafür ma-chen. Angenommen, man will reich werden -, gut, eine Möglichkeit wä-re, fleißig zu arbeiten -, die andere, bestimmte Rituale dafür zu ma-chen. Dabei würde man Lakshmi (Göttin des Wohlstandes, des Gebens) auf eine bestimmte Weise verehren, eine Yajna (Opferzeremonie), Tapas (Askeseübungen) und so weiter machen, dann wird Lakshmi einen seg-nen und man wird reich.
Oder angenommen man wünscht sich Kind, dann muss man bestimmte Pilgerreisen machen, vorgeschriebene Mantras wiederholen, den Brah-manen eine gewisse Anzahl Kühe schenken, Almosen oder Hospitäler für Arme stiften. Wenn man das auf richtige Weise macht, bekommt man das Kind.
Oder man will heiraten und findet keinen passenden Partner oder der Mann, den man gerne haben will, ist schon vergeben oder möchte nicht oder die Familie weigert sich, dann gibt es bestimmte Rituale, den Mann in sich verliebt zu machen, alle Hindernisse verschwinden zu lassen und schließlich die Heirat herbeizuführen.
Wenn man schlechte Taten vollbracht hat und nach einiger Zeit von Gewissenskonflikten geplagt wird, gibt es bestimmte Bußübungen, die je nachdem, um welche Tat es sich handelt, ganz genau vorgeschrieben und auch recht drastisch sind. Es kann sein, dass man zwei Jahre in die Einöde gehen und 12 Stunden am Tag Askeseübungen machen muss. Oder man muss sein ganzes Vermögen den Armen zur Verfügung stellen oder sich vier Jahre als Diener im Tempel verdingen.
In gewisser Hinsicht ist das durchaus eine kluge Weise, mit Schuld um-zugehen, wenn man die Tat wirklich bereut. Aber es kann auch zu Scheinheiligkeit und Berechnung führen, dann nämlich, wenn wir be-wusst in Kauf nehmen, etwas Unrichtiges zu tun, Nutzen davon haben und anschließend einfach ein paar Bußübungen machen, um kein schlechtes Karma bekommen.
Diese Praxis hat Ähnlichkeit mit bestimmten Formen des katholischen Christentums, wobei die Bußen dort relativ harmlos waren, und am Schluss werden einem die Sünden vergeben.
In der Bhagavad Gita (klassische indische Schrift; Lehrgespräch zwi-schen Krishna als Lehrer und Arjuna als Schüler) liest man oft von Pa-pa, Sünden. Gerade im ersten Kapitel spricht Arjuna davon, denn er hat große Angst, Sünden auf sich zu laden. Und Krishna sagt zum Schluss:
Sarvadarmam parityaja
Mam ekam sharanam vraja
Aham twa sarvapapebhyo
Mokshaishyami ma suksha
Papa ebhyo = ich befreie dich von allen Sünden, sorge dich nicht
Krishna wendet sich in der Bhagavad Gita anfangs noch recht diploma-tisch, später ganz entschieden gegen diese Philosophie, während Arjuna ihr zunächst anhängt. Wörtlich sagt er: „Blumige Worte finden die Wei-sen, die an den rühmenden Worten der Veden Gefallen finden, oh Arju-na, und sagen, es gibt nichts anderes. Sie sind voller Wünsche. Der Himmel ist ihr Ziel und das Ergebnis ihres Tuns ist neuerliche Geburt. Sie schreiben verschiedene Methoden mit einer Überfülle von bestimm-ten Handlungen vor, um Vergnügen und Macht zu erlangen. In Men-schen, die an Vergnügen und Macht hängen und deren Geist durch sol-che Lehren gelenkt wird, bildet sich nicht diese Bestimmtheit, die stets auf Meditation und Samadhi (überbewusster Zustand) ausgerichtet ist.“
Es mag sein, dass die Mimamsa-Philosophie bestimmten Naturgesetzen folgt, aber laut Krishna geht es ihren Anhängern nicht wirklich darum, die Selbstverwirklichung zu erreichen. Sie kommen zwar in den Himmel, erreichen vielleicht Macht und Vergnügen, aber es führt nicht zur Be-freiung, sondern in die Anhaftung hinein. Man hat ja nichts davon – zumindest nicht vom philosophischen und yogischen Standpunkt her -, wenn man reich wird. Ob wir nun reich werden, indem wir vierzehn Stunden am Tag arbeiten, sieben Tagen in der Woche ohne Pause oder ob wir dafür Rituale machen, das Ergebnis ist das gleiche, nämlich Bin-dung.
Trotzdem, das Purva Mimamsa-System hat durchaus auch seine Funk-tion. Es erklärt bestimmte Funktionsweisen von Karma wie Ursache und Wirkung und Kompensation. Die Sühnerituale und Vorschriften können für die Mehrheit der Menschen, die sich unter Befreiung nichts vorstellen können, eine gute Motivation für ein ethisches Leben darstel-len und helfen, mit schwierigen menschlichen Problemen wie Schuld und Sühne, Gerechtigkeit, Ärger, usw., besser umzugehen und fertig zu werden.
Ein paar Sachen könnte man auch durchaus in den Yoga integrieren. Es ist sicher sinnvoll, irgendwie Buße zu tun, wenn man eine schlechte Handlung begangen hat - am besten natürlich gegenüber dem betroffe-nen Menschen. Man kann sich entschuldigen und versuchen, die Sache gutzumachen. Manchmal ist das nicht möglich, entweder weil der Mensch so böse ist, dass er einem nicht erlaubt, etwas zu tun oder weil er nicht in der Nähe ist und man nichts mehr mit ihm zu tun hat. Dann kann man stattdessen irgendeine Sühneübung dafür machen.
Und auch in Bezug auf das Karma können wir von der Mimamsa-Philosophie lernen. Solange wir noch nicht so weit sind, vollständig ego-frei zu handeln, können wir uns wenigstens zu guten Handlungen moti-vieren, indem wir uns sagen, Schlechtes kommt nur auf uns zurück. Und umgekehrt lernen wir auch, nicht an anderen Rache zu üben. Im Alten Testament heißt es: „ ‚Mein ist die Rache‘, spricht der Herr“. Je-mand, der eine schlechte Handlung ausführt, richtet sich selbst zugrunde. So wie Jesus auch in einem der Evangelien sagt: „Es muss ja Übles kommen, aber wehe dem, durch den es kommt!“ Wir müssen un-ser Karma ernten. Wer uns gegenüber schlecht handelt, ist für uns zwar ein Diener des Karmas, aber er selbst wird darunter leiden müssen, wenn er es bewusst macht. Nicht umsonst sagt Jesus noch am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun“. Denn er wusste, für ihn war es vorbestimmt, so zu sterben und er hat es auf sich genom-men. Aber für die anderen, die ihn ans Kreuz nageln, bringt es schlech-tes Karma mit sich. Wir sollten Mitleid mit denjenigen haben, die uns bestehlen oder ungerecht behandeln. Sie richten sich selbst zugrunde und schaffen sich ihr eigenes Leiden. Uns geben sie Gelegenheit zu wachsen und sind das Werkzeug dafür, dass wir unser eigenes Karma ausarbeiten können. Wenn man das verstanden hat, gewinnt man auch eine gewisse Gelassenheit.
Aber vergessen wir nicht die Kritik, die Krishna übt: „Allein danach zu handeln, führt uns nicht weiter.“ Und erinnern wir uns auch daran, was Patanjali (Autor der Yoga Sutras, eine der wichtigsten Raja Yoga-Schriften) gesagt hat: Für den weltlichen Menschen ist Karma dreifach, nämlich weiß, schwarz und grau. Für den spirituellen Menschen ist es nichts davon. Für ihn gibt es einfach nur Aufgaben, die zu erledigen sind. Es gibt weder Gutes und noch Schlechtes, es gibt kein Karma über das wir uns freuen oder über das wir uns zu ärgern brauchen und es gibt auch keine Handlung, die wir ausführen, damit es uns im späteren Leben gut geht, sondern wir tun alles für andere Menschen oder als Diener Gottes.

Vaisheshika
Vaisheshika ist ein materialistisches Philosophiesystem, welches das Universum als ein Zusammenspiel von Atomen, Kräften und Naturge-setzen ansieht und auf logischem, eindeutigem, naturwissenschaftli-chem Denken beruht. Danach besteht die Welt aus sogenannten Anus, Atomen, und verschiedenen Kräften, den Shaktis oder Energien.
Von dieser Philosophie gibt es mehrere Richtungen. Die extremste sagt, es gibt nur Materie. Auch die Seele ist ein Ausfluss der Materie. Lebens-ziel ist es, sich zu vergnügen, wobei man die Rechte der anderen achten und ihnen nicht schaden sollte, damit die Gesellschaft als Ganzes funk-tioniert. Höheres Ziel gibt es keines. Leiden ist, wenn man körperliche Schäden oder Krankheiten hat, seine Wünsche nicht befriedigen kann oder mit anderen Meinungsverschiedenheiten hat.
Auf dieser Ebene arbeiten weite Teile unserer materialistisch orientier-ten Wissenschaft, obgleich beispielsweise die Physik in letzter Zeit davon abgekommen ist, weil eben die physikalischen Gesetze letztendlich doch nicht so funktionieren. Trotzdem bleiben die meisten anderen Wissen-schaftszweige weitgehend in diesem rein logischen Denken, insbesonde-re solche, bei denen es eigentlich nichts zu suchen hätte, wie die Medi-zin und Psychologie, die den Organismus rein materiell auffassen und alle anderen Gesichtspunkte vernachlässigen.
Dennoch hat die Vaisheshika-Philosophie durchaus auch ihren Platz, zum Beispiel in der Anatomie, beim praktischen Handeln im Alltagsle-ben oder bei den Hatha-Yoga-Übungen und ihren Wirkungen. Man darf die Naturwissenschaft nicht einfach außer acht lassen. Auch als spiri-tueller Mensch sollte man das logische Denken nicht nur auf die Unter-scheidungskraft zwischen dem Wirklichen und Unwirklichen beschrän-ken, sondern sie auch im täglichen Leben einsetzen, zum Beispiel, um ein Haus zu bauen oder den Computer zu reparieren. Jemand hat mir mal gesagt, mit logischem Denken könne man fast alle handwerklichen und technischen Probleme lösen. Das war irgendwie ein Augenöffner für mich. Früher hatte ich nämlich immer großen Respekt vor solchen Sa-chen. Vaisheshika, logisches Denken, ist also hilfreich, sowohl für die Gesundheit als auch im praktischen und beruflichen Leben. Wenn man Erfolg im Beruf haben will, sollte man sich nicht nur darauf beschrän-ken, Lakshmi zu verehren, sondern auch lernen, mit den notwendigen Instrumenten umzugehen, um seine Arbeit gut ausführen zu können.

Nyaya
Unter dem Begriff Nyaya sind zwei Philosophiesysteme zusammen ge-fasst, so das es eigentlich sinnvoller wäre, von sieben statt von sechs Philosophiesystemen zu sprechen.
Eine Variante von Nyaya ist das Philosophiesystem der Logik mit be-stimmten logischen Sätzen wie Schlussfolgerungen, Dialektik, usw., ähnlich der Logik des Aristoteles. Man könnte sie auch als eine Unter-philosophie der Vaisheshika-Philosophie bezeichnen, eine materialis-tisch-rationale Philosophie.
Die zweite Variante von Nyaya ist eine stark Bhakti-orientierte, ausge-sprochen dualistische Philosophie der Hingabe. Gott hat die Welt ge-schaffen, durchdringt sie ganz und macht alles. Gott und Mensch sind auf ewig getrennt. Der Mensch ist in seinem wahren Wesen eine Seele, die niemals eins werden kann mit Gott. Ursache des Leidens ist die Ent-fernung und Trennung von Gott. Ziel des Lebens ist es, Gott möglichst nahe zu kommen. Der Weg dazu ist bedingungslose Hingabe. Um diese Hingabe zu erzeugen, gibt es zahlreiche spirituelle Praktiken.
Das entspricht durchaus einer auch im Christentum verbreiteten Sichtweise.
Bhakti hat im Yoga natürlich auch einen großen Stellenwert, gerade um das Ego zu überwinden und Hingabe zu üben. Man kann öfter versu-chen zu spüren, oh Gott, dein Wille geschehe, du machst alles, ich al-lein kann nichts bewirken.

Samkhya
Samkhya ist eine dualistische und atheistische Philosophie, in der eine ewige Dualität zwischen Purusha und Prakriti postuliert wird und Gott nicht vorkommt. Purusha (höchstes Wesen; Individuum) verhält sich zwar wie Gott, wird aber einfach als Bewusstsein bezeichnet. Purusha ist das Bewusstsein, die Seele, Prakriti ist die Welt. Purusha im Samk-hya entspricht Brahman im Vedanta oder Shiva im Tantra. Prakriti ent-spricht Maya im Vedanta und Shakti im Tantra.
Purusha und Prakriti waren von Anfang an und sind auf ewig getrennt, aber ursprünglich war Purusha in sich selbst zufrieden. Es gab nur eine allumfassende, undifferenzierte Prakriti, eine homogene unmanifestierte Mischung aus Sattwa (Reinheit, Klarheit), Rajas (Aktivität) und Tamas (Trägheit, Dunkelheit) in vollkommenem Gleichgewicht. Solange die drei Gunas (Grundeigenschaften der Natur) in vollkommenem Gleichgewicht sind, gibt es keine Schöpfung.
Nun ist Purusha aus unerfindlichen Gründen nicht mehr in sich selbst zufrieden, sondern sendet die Strahlen seines Bewusstseins in die Prakriti hinein, um die Welt zu erleben. Und in dem Moment fängt Prakriti an, sich zu verändern, aktiv zu werden, und der Schöpfungspro-zess kommt in Gang:

Purusha

Sattwa (Kausalwelt
Prakriti Rajas (höhere, mittlere, untere Astralwelt)
Tamas (Physische Welt)

Spandana


Parinama

Das ganze Universum besteht nur aus Sattwa, Rajas und Tamas. Die erste Vibration ist Spandana, die Urschwingung, durch die Sattwa, Ra-jas und Tamas durcheinandergebracht werden und es entsteht Parina-ma, ständige Veränderung. Obgleich Prakriti ewig von Purusha getrennt ist, ist sie Purusha untergeordnet. Nur weil Purusha Prakriti erfahren will, bewegt sich Prakriti. Aber wenn sie einmal in Bewegung versetzt ist, entspricht es ihrer Natur, sich ständig zu bewegen. Dann entstehen die drei Grundwelten aus Sattwa, Rajas und Tamas. Das kosmische Sattwa wird zum Mahat, zum kosmischen Geist, zum kosmischen Ego, aus dem zahlreiche kleine Chittas entstehen. Rajas ist die Aufsplitterung der Welt und das kosmische Tamas wird zur physischen Welt.
Die sattwigste Welt ist die Kausalwelt, die rajasigste die Astralwelt, die tamasigste die physische Welt. Alles in dieser Welt ist nur eine unter-schiedliche Zusammensetzung von Sattwa, Rajas und Tamas. Überall sind immer alle drei Gunas vorhanden, allerdings in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen.
Samkhya heißt wörtlich Aufzählung, Klassifikation. Die Samkhyas klas-sifizieren alles auf jeder Ebene nach Sattwa, Rajas und Tamas.
Die Astralwelt, die insgesamt relativ rajasig ist, kann man wieder unter-teilen in drei Welten: die höhere Astralwelt, die der Vijnanamaya Kosha im Vedanta entspricht, die mittlere Astralwelt, Manomaya Kosha, und die niedere Astralwelt, Pranamaya Kosha. Die höhere Astralwelt hat ei-nen höheren Anteil an Sattwa, die mittlere mehr Rajas und die nieders-te, welche die Verbindung zur physischen Welt darstellt, die Prana-Ebene, ist die tamasigste davon.
Die mittlere Welt, die Rajasige, ist die emotionell-geistige Welt. Und hier unterscheidet man wieder sattwige, rajasige und tamasige Emotionen. Tamasige Emotionen wären zum Beispiel Angst, Traurigkeit, Depressi-on, rajasige Ärger, Wut, Unruhe. Sattwige Gefühle sind Liebe, Mitgefühl, usw.
Nehmen wir zum Beispiel das rajasige Gefühl Ärger. Nun kann man Är-ger wieder unterteilen in sattwigen Ärger, rajasigen Ärger und tamasigen Ärger. tamasiger Ärger ist, wenn man sich über etwas aufregt, das in Wirklichkeit gar nicht so ist, also aus Täuschung heraus. rajasiger Ärger ist, wenn man sich ärgert, weil man etwas nicht bekommen hat. Sattwi-ger Ärger wäre gerechter Zorn. Man sieht zum Beispiel, dass irgendje-mand ungerecht behandelt wird, ärgert sich darüber und versucht, die-sen Missstand abzustellen.
So hilft Samkhya, alle Dinge immer weiter zu klassifizieren.
Samkhya umfasst auch eine Theorie der Wahrnehmung, eine Theorie des Geistes und differenzierte Beschreibungen, wie die Welt und die in-dividuelle Seele entstanden sind. Der philosophisch-theoretische Teil der Yoga Sutras von Patanjali stammt überwiegend aus dem Samkhya-System.
Sehr wichtig im Samkhya ist, alles befindet sich in Veränderung, in Pa-rinama.
Aus Prakriti entwickeln sich im Zuge der Aufspaltung lauter individuelle Chittas. Um die Welt wirklich sehen zu können, nimmt Purusha ein in-dividuelles Chitta (Gemüt, individuelle Seele) als Instrument an, denn mit einem kosmischen Gemüt würde er sie nicht ausreichend erleben. Das ist genauso, wie wenn man einen Film anschaut. Man identifiziert sich nie mit dem ganzen Film, sondern mit einer oder zwei Rollen be-sonders. Und man bangt mit seinem Helden und freut sich, wenn er am Schluss gewinnt. Wenn wir einen Film erleben wollen, müssen wir ihn aus einer bestimmten Perspektive anschauen. Und so macht es auch Purusha. Er identifiziert sich mit jedem dieser individuellen Gemüter und manifestiert sich durch die einzelnen Chittas. Das Problem ist, das er dabei in Verhaftung und Identifikation gerät. Das individuelle Asmita, Ich-Gefühl, beginnt, das Mögen und Nichtmögen, die Verstrickung in Verhaftungen. Das ist die Ursache des Leidens.
Das, was er eigentlich in sich selbst hat, nämlich Sein, Wissen und Glückseligkeit, Sat-Chid-Ananda, sucht Purusha nun in der äußeren Welt. Er glaubt, die Dinge in der Welt würden ihm Vergnügen, Ananda schenken, er könne über seinen Geist Erkenntnis, Chid, gewinnen und auf der physischen Ebene Dauerhaftigkeit, Sat, erlangen.
Aber all das ist auf der physischen Ebene nicht möglich, weil sie in ständiger Veränderung ist und nichts gleicht bleibt. Das ist ein großes Problem, denn Purusha ist ewig, und deshalb erwartet er auch Bestän-digkeit auf der physischen Ebene. Wenn der Mensch etwas erreicht hat, will er, dass es auch so bleibt. Aber es ist das Gesetz der Veränderung, Parinama, dass nichts beständig bleibt.
Auch dass die Welt Glück schenkt, ist ein Irrtum. Sie kann höchstens ablenken, aber wirklich Glück schenken tut sie nicht.
Wie kommen wir nun wieder aus diesem Leiden heraus? - Durch Nicht-Identifikation. Wodurch erreichen wir das? - Durch Unterscheidungs-kraft, Viveka. Wir lernen, Purusha von Prakriti und Sattwa von Purusha zu unterscheiden. Durch immerwährende Unterscheidungskraft, Viveka Kyati, lernen wir, uns nicht mehr mit Prakriti zu identifizieren. Dazu hat Samkhya auch bestimmte Meditationstechniken entwickelt, zum Bei-spiel Sakshi Bhav: Wir nehmen die Einstellung eines Zeugen an und be-obachten alles, was kommt. In dem Masse, in dem wir beobachten, können wir uns auch von der Identifikation lösen. Wir beobachten nur, verändern nichts und stellen fest, ich bin es nicht.
Weitere Methoden im Samkhya sind natürlich auch die intellektuelle Unterscheidung und Vairagya, Entsagung, Verzicht auf das Weltliche. Denn je mehr wir in die Welt hineingehen, um so mehr hängen wir an etwas und kommen in Anhaftung, Unfreiheit.
Eine schöne Darstellung des Samkhya findet man im 2. Kapitel der Raja Yoga Sutras ab dem 18. Vers:
„Das Universum, das durch die Wechselwirkung zwischen den Elemen-ten und den Wahrnehmungen der Sinnesorgane erfahren wird, wird aus Sattwa, Rajas und Tamas zusammengesetzt und exisitiert einzig zum Zweck der Erfahrung und der Befreiung des Menschen.“
Wir nehmen das Weltall nicht so wahr, wie es wirklich ist, sondern wir nehmen es so wahr, wie es unsere Sinne ins Chitta geben. Purusha wird sich dessen bewusst, was im Chitta ist. Das Chitta ist wie ein Kristall, der die Form und Farbe der äußeren Objekte annimmt.
Purusha will Erfahrungen machen, will die Früchte der Handlungen ge-nießen und will auch wieder zurückkehren. Prakriti hat die Aufgabe, den Menschen – und auch Tieren und allen Wesen - alles zu geben, was sie erfahren wollen. Sie muss dem Menschen alle Wünsche erfüllen, aber die Welt hat auch die Aufgabe, uns wieder zurückzuführen zur Befrei-ung. Prakriti hilft uns also, die Erfahrungen zu machen, die wir machen wollen und brauchen, aber sie hilft auch, dass wir irgendwann die Zu-sammenhänge erkennen und uns aus der Verhaftung in die Prakriti lö-sen.
Denken wir an die Geschichte, wo Indra sich als Schwein inkarniert hat, um einmal volle Sinnesfreuden zu genießen, denn ein Schwein ist nicht durch Ethik oder Moral gebunden. Anschließend wollte er nicht mehr befreit werden, weil er sich in dieser Identifikation so wohlfühlte. Vorher hat er allerdings seine Untertanen instruiert, dass sie ihn zu-rückholen sollen, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu-rück ist. Als die Untertanen dann kamen, wollte er aber nicht zurück, sondern sagte, sie sollen ihn in Ruhe lassen. Da haben sie ihn dann so lange gequält, bis er schließlich doch den Schweinekörper verlassen hat.
So ist es mit dieser Welt. Sie erfüllt uns unsere Wünsche, aber nicht alle und auch nicht dauerhaft und zwischendurch schüttelt sie uns durch. Das ist die zweifache Funktion der Prakriti.
„Die Zustände der drei Gunas sind grob, fein, manifest und unmanifest. Der Sehende, Purusha oder Drashtu, ist reines Bewusstsein. Und ob-wohl er rein ist, scheint er durch Chitta zu sehen, also durch das Ge-müt. Die tatsächliche Existenz des Gesehenen ist für den Sehenden da.“
Das Universum ist für den Purusha da.
„Auch wenn sie, Prakriti, für den, der seinen Zweck erfüllt hat, unwirk-lich wird, fährt sie fort, für andere zu existieren, denn sie ist allen ge-mein.“
Also, angenommen, wir würden jetzt die Selbstverwirklichung erreichen, dann wäre für uns die Prakriti zu Ende. Auch die Teile der Prakriti, mit denen wir uns besonders identifizieren, der physische Körper, Chitta, das Gemüt mit Prana, lösen sich auf, aber für die anderen existiert die Welt weiter. Solange Purusha noch irgendein Chitta hat, durch das er sich die Welt betrachtet, mit dem er sich identifiziert, solange gibt es die Welt. Erst dann, wenn Purusha sich durch kein Chitta hindurch mehr manifestiert, hört sie auf. Dann existiert Prakriti zwar weiter, aber in unmanifestiertem Zustand, im Gleichgewicht.
Zweck der Verbindung (Samyoga) von Purusha und Prakriti ist, das Pu-rusha das Bewusstsein seiner wahren Natur erlangt und die Kräfte er-kennt, die latent in ihm und in Prakriti liegen. Das ist gemäß der Samk-hya-Philosophie der Sinn der Schöpfung. Wenn wir also nach vielen Äo-nen von Leiden und Vergnügen, von spirituellen Praktiken, Kopfständen und Mantrasingen schließlich die Verwirklichung erreichen, sind wir zum Schluss irgendwie klüger als vorher. Es ist zwar nicht sehr logisch, aber irgendwie emotionell befriedigend, zu wissen, dass das Ganze einen gewissen Sinn hat. Aber hier setzt natürlich die Kritik der Vedantins an. Wenn Purusha reines Bewusstsein ist, kann er auch nichts dazulernen. Samkhya macht hier ein paar Abstriche von der Absolutheit des Vedan-ta, weshalb viele Menschen mit der Samkhya-Philosophie besser zu Rande kommen als mit dem Vedanta.
Dass Prakriti und Purusha zusammen kommen, mag zwar den Sinn ha-ben, dass es Purusha ermöglicht, die Welt zu erfahren. Aber die Ursache dieser Vereinigung ist Avidya, Unwissenheit.
„Durch das Ausmerzen der Unwissenheit schwindet die Verbindung von Purusha und Prakriti und der Sehende ist befreit.“
Also wir müssen die Unwissenheit ausmerzen. Und wie merzen wir die Unwissenheit aus? Durch Viveka Kyati. Das Mittel, Avidya zu zerstören, ist ungebrochenes Unterscheidungsvermögen.
Daher beschränkt sich die Samkhya-Praxis auch auf drei Grundprinzi-pien: Unterscheidungskraft, Beobachtung, Entsagung.
Auch Krishna nimmt in der Bhagavad Gita relativ häufig Bezug auf den Samkhya.

Yoga
Im Rahmen der Darshanas versteht man unter Yoga das durch Patanjali bekanntgewordene Yogasystem, das an sich natürlich weiter zurück-geht. Wenn ein Sutra geschrieben wurde, ist das immer ein Zeichen da-für, dass es das System schon Jahrhunderte lang gegeben hat. Es war schon ausgefeilt genug, um es in diese prägnante Form bringen zu kön-nen.
Yoga basiert auf der Samkhya-Philosophie, mit ein paar einschneiden-den Unterschieden.
Der erste Unterschied ist rein praktischer Art. Laut Samkhya kommen wir über Viveka, Unterscheidungskraft, zur Ruhe des Geistes und zur Befreiung.
Patanjali hat einen etwas anderen Ansatz. Er beginnt gleich am Anfang mit: „Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geist. Dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen.“ Patanjali empfiehlt zwar unter anderem auch, Viveka kyati zu üben, aber es ist nicht seine einzige Me-thode. Wir müssen irgendwie unseren Geist zur Ruhe bringen. Ist unser Geist ruhig, dann ruht Purusha in sich selbst. Und alles, was uns dazu hilft, den Geist zur Ruhe zu bringen, ist Yoga. Und so übernimmt Patan-jali aus den Schriften, den Upanishaden, den Veden, der Mahabharata und anderen Traditionen umfangreiche Übungspraktiken, Abhyasa, die es im Samkhya nicht gibt. Er integriert zusätzlich zu den psychischen auch physische Hatha-Yoga-Praktiken.
Manchmal bezieht sich das Wort Yoga aber auch nicht nur auf das Ra-ja-Yoga-System von Patanjali. Krishna gebraucht den Ausdruck Yoga in der Bhagavad Gita im Sinn von Karma Yoga, dem Yoga des selbstlosen Handelns, in bewusstem Gegensatz zum Samkhya als reinem Jnana Yo-ga. Anstatt allem zu entsagen wie im Samkhya oder zu handeln, um et-was Konkretes zu erreichen wie im Purva Mimamsa-System, handeln wir im Karma Yoga ohne Wünsche und Verhaftungen und kommen so zur Befreiung. Krishna sagt aber auch, nur die Unweisen sprechen von Samkhya und Yoga als getrennt. Im Grunde genommen führt beides zum Ziel und es hat beides seinen Sinn. Auch im Yoga gibt es Entsa-gung und auch ein Samkhya-Anhänger muss Handlungen tun ohne Verhaftung. Denn selbst die Aufrechterhaltung des physischen Körpers bedingt Handlung.
Eigentlich wird jedes Kapitel der Bhagavad Gita als Yoga bezeichnet. Es gibt 18 Kapitel, die zum Beispiel „Yoga der Mutlosigkeit und Verzweif-lung Arjunas“ (1. Kapitel) heißen oder „Yoga der unsterblichen Seele“ (2. Kapitel), usw.
Der zweite Unterschied zum Samkhya ist, dass es im Yoga Ishwara gibt, einen persönlichen Gott. Patanjali lässt sich zwar nicht zu sehr auf ge-naue Details ein; auf diese Weise vermeidet er es, jemandem auf die Fü-ße zu treten, denn bekanntlich entsteht bezüglich religiöser Themen am schnellsten Streit. Patanjali spricht von Ishwara (persönlicher Aspekt des Absoluten, Göttlichen) als einer besonderen Manifestation von Pu-rusha, die frei ist von Verhaftungen, Karma, Kleshas (Leiden), Unwis-senheit und Wünschen. Ishwara ist der ursprüngliche Lehrer. Wenn man sich Ishwara hingibt, ist die Verwirklichung schnell. Man muss al-lerdings zugeben, es passt nicht ganz in die Logik des Yogasystems hin-ein. Aber Patanjali war ein Praktiker. Er hat festgestellt, Menschen, die Gott hingegeben sind, erreichen die Selbstverwirklichung schneller als andere. Wer es allein versucht, ohne Zuflucht zu Gott zu nehmen, ver-wickelt sich in alle möglichen Schwierigkeiten. Irgendwann kommt das Ego ins Spiel, man kommt nicht mehr weiter, Versuchungen, Prüfungen stellen sich ein – ohne Glauben an Gott ist alles schwierig. Glaubt man dagegen an Gott, dann hilft er einem über das Ego hinweg, hilft einem durch Prüfungen, wenn man verzweifelt ist, weint man zu Gott, dann kommt er und hilft einem – es klappt eigentlich alles viel besser.
In Kanada im Ashram von Swami Vishnu, meinem spirituellen Lehrer, ist mir zum erstenmal richtig klargeworden, was eigentlich Ego ist. Und zwar so klar geworden, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, mich je vom Ego zu befreien. Denn das Ego kann sich überall manifes-tieren. Man kann zum Beispiel stolz auf seine Asana-Praxis oder auf seine Meditation sein, man kann sogar stolz darauf sein, dass es einem nichts ausmacht, die Toilette zu putzen, notfalls auch um Mitternacht, wenn es niemand anders macht und sogar, ohne dass es jemand merkt, einfach weil es getan werden muss. Man kann stolz darauf sein, dass man einfach nachgibt. Das Ego kann sich tatsächlich überall hineinset-zen. Nachdem ich also ein paar Wochen lang – in meiner damaligen Nai-vität dachte ich, das sei schon sehr lange – wirklich systematisch ver-sucht hatte, das Ego zu überwinden und es mir nicht gelungen war, ei-ne einzige wirklich egolose Handlung auszuführen - und wenn ich fast dran war, dann war ich stolz darauf, dass sie egolos war und dann war das Ego wieder drin! -, habe ich einem indischen Gastlehrer, der gerade da war, das Problem geschildert. Und er hat gesagt, ich soll mir nicht so viel Sorgen machen. Jeder müsse seine Aufgabe erfüllen. Meine Aufgabe sei Sadhana, spirituelle Praxis und Seva, Dienen. Gottes Aufgabe sei es, mich vom Ego zu befreien. Und vielleicht bin ich dadurch etwas egoloser geworden als durch den ständigen Versuch, mein Ego zu reduzieren, denn das war letztlich nur Egospiel. Es ist sehr wichtig und hilfreich, einfach diese Demut zu entwickeln, sich einzugestehen, ich tue zwar mein Bestes, ich mache Sadhana, Asanas, Pranayama, Meditation, Mantrasingen, Pujas und was auch immer, aber letztlich weiß ich, das, was wesentlich ist auf dem spirituellen Weg, das kann ich nicht selbst machen, dazu brauche ich die Gnade Gottes. Man verehrt Gott, betet zu Gott, versucht, anderen zu dienen, seinen Geist zu schulen und dann wird Gott einen ausreichend durchschütteln, so dass das Ego schritt-weise nachgibt. Wenn man Vertrauen hat und darum betet, geschieht es auch irgendwie.
Eine Ausprägung von Samkhya besagt, das jeder Mensch ein eigener Purusha ist, es also nicht nur einen einzigen Purusha gibt, sondern Tau-sende, Millionen und Milliarden von Einzelpurushas. Und das Ziel ist, zu unserem eigenen Purusha zurückzukehren. Im Yoga hingegen gibt es nur einen Purusha und die einzelnen Seelen sind Auswirkungen des Ra-jas-Prinzips, wo das eine Kosmische in Splittern eines großen Spiegels gespiegelt wird. Das ist der dritte Unterschied zwischen Samkhya und Yoga.

Uttara Mimamsa = Vedanta
Uttara Mimamsa, Vedanta, ist das großartigste aller Philosophiesysteme. Sie beginnen also mit Purva Mimamsa und hören mit Uttara Mimamsa auf.
Vedanta, die höchste aller Philosophien, bedeutet das Ende allen Wis-sens. Antar = Ende, Veda = Wissen. Die Vedanta-Philosophie kommt dem Wissen, das man aus der Verwirklichung gewinnt, am nächsten. Sie ist am schwierigsten zu verstehen und für viele Menschen am schwersten zu akzeptieren.
Vedanta hat durchaus Ähnlichkeit mit dem Samkhya-System. Im Ve-danta gibt es die beiden Hauptpole Brahman (das Absolute) und Maya (Illusion, Täuschung). Nur, der Vedanta sagt, Brahman und Maya sind nichts Unterschiedliches, sondern Maya ist nur eine scheinbare Kraft der Illusion aus Brahman heraus. In Wahrheit gibt es nur Brahman. Nichts existiert, nichts ist geschaffen, ich bin weder Körper noch Geist, ich bin das unsterbliche Selbst.
Das ist in den drei Hauptsätzen postuliert: Brahma satyam = Brahman allein ist wirklich; Jagat mithya = die Welt ist unwirklich; Jivo brahmai-va napara = die individuelle Seele ist nichts anderes als Brahman. Das geht sogar soweit, das Uttara Mimamsa sagt, die Welt ist nicht geschaf-fen worden. Es gibt gar keine Welt. Die Welt ist eine Illusion, sie scheint nur so. Sie ist nur ein Traum. Woraus besteht die Traumwelt? Woraus bestehen die Berge, Flüsse und andere Menschen im Traum? Sie beste-hen nur aus dem Geist, der träumt. Woraus besteht diese Welt? Sie be-steht eigentlich nur aus Brahman. Es gibt nur Brahman. Und die Welt bleibt immer Brahman. Es gibt keine geschaffene Welt. Es erscheint nur so, als ob sie geschaffen sei. Aber es erscheint nur so lange so, wie un-ser Bewusstsein es so erfasst. Genauso wie die Traumwelt nur so lange vorhanden ist, wie wir im Traum sind. Wenn wir in den Tiefschlaf ab-gleiten, sind sowohl Traumwelt als auch Wachwelt verschwunden. Wenn wir in die Wachwelt kommen, verschwindet die Traumwelt und die Tief-schlaferfahrung wird ebenfalls unwirklich für uns. Und wenn wir in Tu-riya, den vierten Bewusstseinszustand kommen (die ersten drei Be-wusstseinszustände sind Wach-, Traum- und Tiefschlafzustand), wa-chen wir auf und erkennen, es war alles nur ein langer Traum. Das ist der Hauptunterschied zwischen Samkhya und Uttara Mimamsa.
Auf der relativen Ebene kann das Uttara Mimamsa-System mit allen in den vorherigen Systemen beschriebenen Aspekten arbeiten. Die Gesetze des Karmas im engeren Sinne werden nicht abgestritten. Dass die mate-rielle Welt ihre Gesetzmäßigkeiten hat, an die man sich halten kann, mag auch sein. Dass es einen Ishwara gibt, der auch ein Produkt der Maya ist, zu dem man beten kann, in dessen Händen man sein kann, wird akzeptiert. Es wird sogar empfohlen, diese Praktiken zu üben, Hin-gabe, Liebe zu entfalten, um uns überhaupt bereit zu machen, Jnana Yoga zu verstehen. Das hilft, den Geist zu reinigen. Auch Viveka, die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und Unwirklichen, spielt im Jnana Yoga natürlich eine wichtige Rolle, ebenso wie Vairagya, die Ent-sagung. Zu einer Ausprägung von Vedanta gehört auch das Mönchtum dazu, zwar nicht notwendigerweise, aber die Hauptbefürworter der Ve-danta-Philosophie waren alle Mönche. Man kann natürlich auch Vedan-ta-Anhänger sein und im Berufs- und Familienleben stehen, aber eine konsequente Vedanta-Philosophie führt durchaus zu einer Abkehr von der Welt. Wenn die Welt unwirklich ist, warum soll man sich hinein-verstricken? Aber Uttara Mimamsa Vedanta als praktisches System sagt eben auch, der Yoga-Weg ist eine Vorbereitung, ein Mittel, um uns ü-berhaupt erst in die Lage zu versetzen, unseren Geist kennen zu lernen, zu kontrollieren, fähig zu machen zur Unterscheidung.
Die verschiedenen Darshanas, so unterschiedlich ihr Ansatz auch ist und so widersprüchlich sie scheinen, ergänzen sich und haben jedes für sich je nach Situation ihre Berechtigung.
Krishna selbst macht übrigens diesen Standpunktwechsel. Er wider-spricht sich ja öfter. Er argumentiert an verschiedenen Stellen aus un-terschiedlichen Gesichtspunkten.
So wie das Licht gleichzeitig Welle und Teilchen ist - obgleich ein physi-kalisches Phänomen eigentlich niemals gleichzeitig Welle und Teilchen sein kann -, so können verschiedene sich augenscheinlich widerspre-chende Gesichtspunkte trotzdem ihre Gültigkeit haben. Man hat die Ge-setze der Welle und die Gesetze der Teilchen analysiert. Anhand der Teilchenphysik kann man Licht zum Beispiel als Laserstrahlen oder Photonentechnologie nutzen. Andere Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich, wenn man Licht als Welle sieht.
Genauso verhält es sich mit unserem spirituellen Sadhana (Praxis, Ü-bung). Für unser spirituelles Leben hilft es manchmal, einen bestimm-ten Standpunkt einzunehmen, ein anderes Mal einen anderen und in einer neuen Situation einen dritten. Scheinbar widersprechen sie sich, aber sie sind praktisch, man kann sich danach richten und dadurch Fortschritte machen.
Man kann auf dem spirituellen Weg keine lineare Logik erwarten. Es ist aber auch nicht unlogisch. Alles hat irgendwo seinen Platz und seinen Sinn. Und es ist nicht beliebig, sondern zu bestimmten Momenten muss man das eine oder das andere anwenden. Manchmal muss man diesen Standortwechsel recht schnell vollziehen.
Krishna widerspricht sich ja in der Bhagavad Gita auch ununterbro-chen. Im 11. Kapitel zum Beispiel nimmt er den Standpunkt des Bhakti ein. Arjuna stellt fest, ich bin nur ein Instrument, ich tue gar nichts, Gott macht alles. Krishna sagt ja sogar, selbst wenn du nichts tun willst, ich werde dich zwingen. Der Mensch hat keinen freien Willen. Man hat im Grunde genommen keine Wahl. Im 18. Kapitel sagt er, die Natur wird dich zwingen. Und kurz danach: „Und jetzt tue, was du willst!“

Sukadev Volker Bretz

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