von Swami Sivananda
Ein Lehrbuch mit Techniken zur spirituellen Vollkommenheit
Sadhana
von Swami Sivananda Vorwort und Einleitung
Vorwort
Om! Gegrüßt sei der anbetungswürdige Gott Hari, der
das Großartigste von allem ist und dieses ganze Universum überragt.
Der Begriff „Sadhana“ kommt aus der Wurzel „Sadh“ und bedeutet „sich
anstrengen“, „auf ein bestimmtes Ergebnis, eine Siddhi, hinarbeiten“.
Der Übende oder Strebende ist ein „Sadhaka“. Hat er das gewünschte
Resultat, die „Siddhi“, erlangt, ist er ein „Siddha“. Ein voll entwickelter
Siddha ist jemand, der umfassendes Wissen über Brahman erlangt
hat. Selbstverwirklichung oder der Darshan Gottes ist ohne Sadhana nicht
möglich. Jede spirituelle Übung wird Sadhana genannt. Sadhana
und Abhyasa sind gleichbedeutende Begriffe. Das, was durch Sadhana erreicht
wird, ist „Sadhya“, das Ziel - die Verwirklichung von Gott oder Brahman.
Das vorliegende Buch präsentiert in höchst umfassender Weise
praktisch jede bekannte Form von Sadhana, durch die das Göttliche,
Brahman, erfahren werden kann.
Wer sich rasch entwickeln will, muß das richtige Sadhana haben.
Ein Schüler, der auf dem Pfad auf sich selbst vertraut, kann das
Sadhana für die tägliche Praxis selbst auswählen. Ein
Schüler auf dem Pfad der Selbsthingabe muß die richtige Art
von Sadhana von einem Guru bekommen und mit unerschütterlichem
Vertrauen praktizieren.
Warum die Gefangenschaft unnötig verlängern? Warum nicht sein
göttliches Geburtsrecht jetzt sofort wahrnehmen? Warum nicht die
Fesseln jetzt zerbrechen? Verzögern bedeutet Verlängern des
Leidens. Es kann in jedem Moment zerbrochen werden. Es liegt in deiner
Macht. Tue es jetzt. Erhebe dich. Schürze dein Lendentuch. Praktiziere
entschlossen und kraftvoll Sadhana und erlange die Freiheit, die Unsterblichkeit
und immerwährende Wonne ist.
Mache die niedere Natur zum Diener der höheren durch Disziplin,
Tapas, Selbstbeherrschung und Meditation. Das ist der Beginn der Freiheit.
Das Göttliche in dir ist stärker als alles, was außerhalb
von dir ist. Deshalb fürchte nichts. Vertraue deinem inneren Selbst,
der Göttlichkeit in dir. Durch Innenschau zapfe die Quelle an.
Ohne Entsagung kann man niemals glücklich sein. Ohne Entsagung
kann man sich niemals wohlfühlen. Deshalb entsage allem. Mache
dir das Glück zueigen. Betrachte Entsagung als das Allerdringlichste.
Verbessere dich. Schule den Charakter. Reinige dein Herz. Entwickle
göttliche Tugenden. Beseitige schlechte Eigenschaften. Erobere
alles, was wertvoll und ehrenhaft ist.
Nur wenn das Herz gereinigt ist, der Geist schweigt, die Gedanken und
die aufbrechenden Gefühle schweigen, die nach außen gerichteten
Sinne nach innen gebracht worden sind und die Vasanas ausgedünnt
wurden, kann der glorreiche Atman in tiefer Meditation wahrgenommen
werden.
Es gibt fünf Mittel, um vollkommene Ruhe und Befreiung zu erlangen.
Sie stellen das höchste Glück dar. Sie sind Satsanga, Zusammensein
mit Weisen, Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen,
Leidenschaftslosigkeit, das Fragen ‚Wer bin ich‹ und Meditation. Man
nennt sie Himmel. Sie stellen das höchste Glück dar.
Werde zuerst ein guter Mensch. Dann kontrolliere die Sinne. Dann unterwirf
den niederen Geist unter den höheren Geist. Dann wird sich das
göttliche Licht herabsenken. Erst dann wird das Gefäß
das göttliche Licht empfangen und bewahren können.
Übe beharrlich und ruhig Meditation, ohne Hast. Bald wirst du Samadhi,
den Nirvikalpa Zustand erreichen.
Spirituelles Leben ist mühsam und anstrengend. Es erfordert dauernde
Achtsamkeit und große Ausdauer, bevor ein wesentlicher Fortschritt
gemacht wird.
Durch Unwissenheit hast du die Mauern deines Gefängnisses selbst
errichtet. Durch Unterscheidung und das Fragen ‚Wer bin ich?‹
kannst du diese Mauern zerstören.
Leiden reinigen die Seele. Sie verbrennen Grobstoffliches, Sünden
und Unreinheiten. Das Göttliche wird immer offenbarer. Sie verleihen
innere spirituelle Kraft und entwickeln Willenskraft und Ausdauer. Deshalb
sind Leiden verkleidete Gnaden.
Bereits ein einziger Strahl des inneren Lichts während der Meditation
wird den Weg erhellen. Er gibt sehr viel Mut und innere Kraft. Er wird
dazu anstacheln, mehr Sadhana zu machen. Diesen Lichtstrahl erlebt man,
wenn die Meditation tiefer wird und man sich über das Körperbewußtsein
erhebt.
Leben ist die Entfaltung der in der Seele verborgenen Fähigkeiten.
Lebe das göttliche Leben. Schaffe erhabene göttliche Gedanken
im Geist durch Meditation, Japa, Kirtan und das Studium heiliger Schriften.
Bade im Strom des ewigen Lebens. Springe hinein. Tauche ein. Schwimme
darin. Treibe darin. Genieße es.
Sonne den Körper im physischen Sonnenlicht. Sonne die Seele im
Sonnenlicht des Ewigen. Du wirst Gesundheit und ewiges Leben haben.
Gottesverehrung ist das sich Entfalten der Knospe der Seelenblume. Gottesverehrung
ist Leben. Gottesverehrung gibt ewiges Leben. Du besiegst vielleicht
Millionen Menschen in einer Schlacht, aber du wirst nur dann zum größten
Herrscher, wenn du dein niedriges Selbst, den Geist, besiegen
kannst.
Solange die Sinne nicht unterworfen oder geschwächt sind, müssen
Tapas (Selbstdisziplin) und Dama (Pratyahara) geübt werden.
Wenn eine Glühbirne von vielen Stoffschichten umhüllt ist,
ist das Licht nicht hell. Wenn eine Hülle nach der anderen entfernt
wird, wird das Licht immer heller. Genauso, wenn der aus sich selbst
strahlende Atman, der von den fünf Hüllen umgeben ist, durch
Meditation über das reine Selbst und die Praxis der Lehre von ›Neti-Neti‹
von seinen Hüllen befreit wird, enthüllt sich der aus sich
selbst strahlende Atman dem Meditierenden.
Setze dich mit gesammeltem Geist hin. Behaupte deine Herrschaft über
Körper und Geist. Tauche tief ein in die innersten Kammern des
Herzens und betritt den phantastischen Ozean der Stille. Lausche der
geräuschlosen Stimme.
Reinige zuerst das Herz und steige mit mutigem und unerschrockenen Geist
stetig höher auf der Leiter des Yoga. Klettere flink weiter. Erlange
Ritambara Prajna und erreiche die Spitze der Leiter, den Tempel der
Weisheit, wo die Wolke der Tugend, der Nektar, aus Dharmamegha Samadhi
träufelt.
Errichte dein spirituelles Leben auf einem sicheren Fundament, auf dem
Felsen von göttlicher Gnade und Charakterstärke. Nimm Zuflucht
zum Herrn und seinem ewigen Gesetz. Es gibt keine Kraft im Himmel oder
auf der Erde, die dir nun den Weg versperren kann. Erfolg in der Selbstverwirklichung
ist dir gewiß. Mißerfolge gibt es nicht für dich. Licht
erhellt deinen Weg. Alles strahlt.
Sadhana ist jede spirituelle Praxis, die dem Sadhak hilft, Gott zu verwirklichen.
Abhyasa und Sadhana bedeuten dasselbe. Sadhana ist eine Methode, um
das Ziel menschlichen Lebens zu erreichen. Ohne Sadhana kann niemand
den Sinn des Lebens erfüllen. Das Sadhana ist individuell unterschiedlich
je nach Fähigkeiten, Temperament und Geschmack. Jeder muß
ein bestimmtes Sadhana praktizieren, um den Zustand letztendlicher Glückseligkeit
zu erlangen. Sadhya ist das, was durch Sadhana erreicht wird. Es ist
Gott, Atman oder Purusha. Wenn man sich rasch entwickeln will, muß
man das richtige Sadhana praktizieren. Will man sich nur auf sich selbst
verlassen, kann man das Sadhana für die tägliche Praxis wählen.
Wenn man ein Schüler auf dem Pfad der Selbstaufgabe ist, muß
man das richtige Sadhana von einem Guru bekommen und es mit tiefem Vertrauen
praktizieren.
Wer dem Pfad der Hingabe folgt, muß Japa üben und die heiligen
Schriften wie Bhagavata oder Ramayana lesen. Durch die Praxis von Navavidha
Bhakti muß der Bhakta ein sehr hohes Maß an Bhakti entwickeln.
Sravana, Smarana, Kirtana, Vandana, Archana Padasevana, Sakhya, Dasya
und Atma Nivedana sind die neun Methoden, um Bhakti zu entwickeln. Bhaktas
müssen Vrata und Anushthana befolgen, beten und Manasica Pujas
ausführen. Sie müssen anderen dienen und erkennen, daß
der Herr im Herzen aller wohnt. Das ist das Sadhana für Menschen,
die den Pfad von Bhakti Yoga beschreiten.
Menschen, die dem Weg des Karma Yoga folgen, müssen in verschiedener
Weise selbstlosen Dienst für die leidende Menschheit und für
die Gesellschaft tun. Sie müssen die Früchte ihres Handelns
dem Herrn als Ishwarapana überlassen. Sie müssen den Gedanken,
Handelnder zu sein, aufgeben und erkennen, daß sie Werkzeuge in
den Händen Gottes sind. Sie müssen sich ihrer Selbstsucht
entledigen und ihre Indriyas kontrollieren. Sie müssen ihr Leben
gänzlich in den Dienst der Menschheit stellen. Sie müssen
sehen, daß die ganze Welt eine Manifestation Gottes ist. Wenn
sie in solchem Bhav den Menschen dienen, werden ihre Herzen auf lange
Sicht gereinigt. Schließlich erlangen sie Selbsterkenntnis durch
Chitta. Das ist das Sadhana für Karma Yogis. Es ist sehr wichtig
für alle Anfänger auf dem spirituellen Pfad. Es ist nicht
das Ziel selbst. Viele glauben das irrtümlicherweise und vernachlässigen
die höheren Arten von Sadhana. Sie müssen noch weiter vordringen
und durch Dharana, Dhyana und Samadhi das höchste Ziel erreichen.
Ein Raja Yogi steigt langsam die Yogaleiter über die acht Stufen
empor. Am Anfang erhält er durch die Praxis von Yama und Niyama
eine ethische Ausbildung. Dann übt er Pranayama, um den Geist zu
beruhigen und die Nadis zu reinigen. Dann erreicht er Samadhi durch
das Ausführen von Pratyahara, Dharana und Dhyana. Er bringt alle
mentalen Erscheinungsformen, die sich aus dem Geist erheben, zum Stillstand.
Wer den Pfad von Vedanta oder Jnana Yoga aufnimmt, muß zuerst
der vier Mittel der Erlösung (Sadhana Chatushtaya) - Viveka, Vairagya,
Shat-Sampat und Mumukshutwa - erwerben. Viveka ist die Unterscheidung
zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen. Vairagya ist Gleichgültigkeit
gegenüber Sinnesfreuden. Shat-Sampat sind die sechsfachen Tugenden,
nämlich Sama, Dama, Uparati, Tiriksha, Sradda und Samadhana. Dann
werden sie einen Brahma Nishta Guru aufsuchen, der das höchste
Selbst verwirklicht hat, um von ihm die Srutis zu hören. Dann reflektieren
und meditieren sie über das Selbst und erreichen schließlich
Atma Satshatkar. Dann ruft der Jnani freudig aus: „Atma alleine ist,
eins ohne zweites. Atma ist die Wirklichkeit. Ich bin Brahman, Aham
Brahma Asmi. Sivoham. Sarvam Khalvidam Brahma.“ Der befreite Jivanmukta
sieht das Selbst in allen Wesen und alle Wesen im Selbst.
Hatha Yoga Schüler müssen versuchen, die im Muladhara Chakra schlummernde Kundalini Shakti durch Mudras, Bandhas, Asanas und Pranayamas
zu erwecken. Sie müssen daran arbeiten, Prana und Apana zu vereinigen
und das vereinigte Prana-Apana durch Sushumna Nadi führen. Die
Hitze wird verstärkt durch das Anhalten des Atems, gemeinsam mit
Kundalini steigt Vayu durch die einzelnen Chakras auf zum Sahasrara
Chakra. Wird die Kundalini im Sahasrara Chakra mit Gott Siva vereint,
erlangt der Yogi höchsten Frieden, Wonne und Unsterblichkeit.
GEBETE
I
Oh alles durchdringende, verborgene und einheitliche Substanz! Oh anbetungswürdiger
Herr des Universums! Du beobachtest das Schauspiel dieser Welt hinter
der Leinwand. Du strahlst aus dir selbst. Du bist der Urgrund aller
Namen und Formen. Du bist eins ohne zweites. Dein Ruhm ist unaussprechlich.
Du bist die Quelle aller Wissenschaften, Weisheit und Schönheit.
Ich weiß nicht, in welcher Weise ich Dir huldigen soll. Ich bin
nicht stark genug, irgendein Sadhana auszuführen. Ich bin voller
Schwächen und Doshas. Mein Geist schwankt. Die Indriyas sind mächtig
und ruhelos. Einige sagen: „Du bist Nirakara und Nirguna“. Ich möchte
mich nicht in Kämpfe, Diskussionen und Debatten einlassen. Gib
mir Frieden und Hingabe. Gib mir die Kraft, Versuchungen zu widerstehen
und diesen meinen Feind und Dieb, meinen Geist, zu kontrollieren. Mache,
daß ich meinen Körper zum Dienst für Dich gebrauche.
Laß mich immerfort Deiner gedenken. Laß mich immer Dein
sanftes, liebevolles Angesicht erschauen. Erfülle mir dieses Gebet,
oh Ozean der Liebe!
Gib mir wahres Viveka und bleibendes Vairagya. Vairagya kommt und geht.
Festige mich in Para Vairagya. Auch meine Selbsthingabe ist unvollkommen
und nicht ernsthaft. Ich gestehe meine Fehler ein. Nicht eine Träne
kommt aus meinen Augen. Lasse mich in Einsamkeit weinen, wenn ich alleine
bin. Laß mich keine Krokodilstränen vergießen. Nur
dann kann ich Dich in meinen Tränen erkennen. Mein Herz ist härter
als Feuerstein, Stahl und Diamanten. Wie kann ich es so weich machen
wie Butter? Gib mir das Herz von Prahlada oder Gouranga. Das ist mein
inbrünstiges Gebet. Oh Gott der Liebe! Erfülle mir dieses
bescheidene Gebet. Ich flehe Dich an. Ich bin Dein Schüler. Du
bist mein Guru.
II
Oh Lehrer unendlicher Weisheit, schenke mir den Segen, unermüdlich
Kranken, Armen und Gequälten zu dienen, mich nicht Bösem zuzuwenden,
niemals zu lügen und nicht der Liebe zu Sinnesobjekten zu erliegen.
Oh Gott! Ich bin in Dir, und Du bist in mir.
Ich bin Der, den ich liebe, und Der, den ich liebe, bin ich.
Oh Licht, erhelle meinen Verstand.
Oh Liebe, erfülle mein Herz.
Oh Macht, gib mir Kraft.
Oh Herr, Du bist Mut! Erfülle mich mit Mut.
Du bist Barmherzigkeit, erfülle mich mit Barmherzigkeit. Du bist
Frieden, erfülle mich mit Frieden. Du bist Glanz, erfülle
mich mit Glanz.
III
Oh Herr! Du bist der Strom, Du bist die Wolke. Du bist der Ozean. Du
bist die Pflanze. Du bist der Kranke. Du bist der Arzt. Du bist die
Krankheit. Du bist die Medizin.
Alle gehören dem Herrn! Ich tue Seine Arbeit. Ich bin ein Werkzeug
in Seinen Händen. Sein Wille geschehe.
Oh Herr! Mache meinen Willen stark genug, allen Versuchungen zu widerstehen,
meine Indriyas und meine niedere Natur zu beherrschen, meine alten,
schlechten Gewohnheiten zu ändern, meine Hingabe umfassend und
wahrhaftig zu machen. Nimm Platz auf dem Thron in meinem Herzen. Verlasse
diesen Ort nicht eine Sekunde. Gebrauche meinen Körper, meinen
Geist und meine Organe als Werkzeuge. Mache mich würdig, für
immer in Dir zu wohnen.
IV
Universelles Gebet
Oh anbetungswürdiger Herr voll Barmherzigkeit und Liebe!
Gruß Dir in Demut gebeugt.
Sein ist Dein Wesen, Wissen und Seligkeit.
Allgegenwärtig bist Du, allmächtig, allwissend.
Im Innern aller Wesen wohnst Du.
Gib uns ein verstehendes Herz, ausgeglichenes Gemüt,
Vertrauen, Hingebung und Weisheit.
Gib uns geistige Kraft, Versuchungen zu widerstehen,
Denken und Wollen zu beherrschen.
Befreie uns von Selbstsucht, Gier, Zorn und Haß.
Erfülle unser Herz mit göttlichen Tugenden.
Laß uns Dich erschauen in all den Namen und Gestalten.
Laß uns Dir dienen in all den Namen und Gestalten.
Laß uns allezeit Deiner gedenken.
Laß uns stets Deine Herrlichkeit singen.
Laß Deinen Namen stets auf unseren Lippen sein.
Laß uns in Dir bleiben allezeit.
Einleitung
Übersicht über die Entwicklung
der alten spirituellen Techniken in Indien
Der Hinduismus wurde im Laufe etlicher Jahrhunderte verschiedentlich
kritisiert, und es gab eine breite Spanne verschiedener Meinungen über
ihn. Ihm wurde in großem Maße Lob zuteil, und auch in großem
Maße Verunglimpfung. Man pries ihn wegen seiner Weisheit, und
genauso oft wird der Hinduismus auch als Mast eines überkommenen
Aberglaubens gesehen, angesammelt von einer Rasse ungebildeter und unkultivierter
Menschen. Und da Religion der hauptsächlich bestimmende Einfluß
für einen Hindu ist, hängt er am Aberglauben und blieb in
der Folge zurück, als andere Völker sich sprunghaft entwickelten.
Dieser Vorwurf wird gestützt von Statistiken über Alphabetismus,
Kenntnisse in Hygiene, Gesundheitspflege, Wissenschaft, Psychologie,
usw. Das Volk der Hindus erhält negative Zensuren bei solchen hochmodernen
›Effizienztests‹, die wissenschaftliche Geiste der heutigen Zeit anstellen.
Es scheint, daß Jahrhunderte von Kultur, Entwicklung, Studium
und Forschung dem Hindu nicht viel gebracht haben, hinsichtlich des
Wissens über dieses große Universum zahlloser Dinge, die
sichtbar vor uns stehen. Ja, das ist weitgehend so, und, was noch erstaunlicher
ist, der wahre Hindu scheint es nicht besonders zu bedauern, daß
es so ist. Das ist soweit eine besondere Überlegung, und eben diese
Überlegung macht das Hindugenie aus, und unterscheidet es völlig
von der aufgeklärten wissenschaftlichen Hierarchie des zwanzigsten
Jahrhunderts. Die Überlegung ist folgende.
Der Hindugeist ist überzeugt, daß das Unsichtbare das Wahre
ist. Seine wissenschaftliche Neugier und sein Wissensdurst (den er in
vollem Ausmaß besitzt) wenden sich ab vom Bereich des Sichtbaren.
Je grobstofflicher und äußerlicher die Dinge sind, desto
geringer ist ihr Wert für den suchenden Hindu. Der Hindu leidet
vielleicht ernstlich an den verhängnisvollen Folgen ›blinden Glaubens‹,
diesen Glauben aber hat er nicht, wenn er sein wertvolles Leben und
seine Fähigkeiten mit der Forschung über Dinge vergeudet,
von denen er überzeugt ist, daß sie absolut vergänglich
und flüchtig sind. Andererseits hat der Hindu aber keine Mühe
gescheut, um an das heranzukommen, was von Bestand und unzerstörbar
ist; das ist wahr. Er wurde dazu angehalten, all seine Weisheit, seine
scharfe Beobachtung, seine machtvolle Logik, seine profunde Forschung
und seine forschende analytische und wissenschaftliche Kalkulation in
den umfassenden Versuch einzubringen, den Schleier der vergänglichen
Scheinbarkeit zu durchstoßen und die Wahrheit, das ewige Faktum,
von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Der Hindu setzte sein Genie ein
für diesen Bereich, den er als der Mühe wert erachtete, da
es sich dabei um ewige Werte handelte. In jedem anderen Bereich hielt
er es für eine sinnlose Verschwendung, viel Mühe darauf zu
verwenden; denn es erschien ihm absurd, in zu ernsthafter Weise Schatten
hinterher zu laufen. Diese Anstrengungen unserer alten Recken führten
zur Entwicklung des wunderbaren Yogasystems zur Verwirklichung der Wahrheit.
Die Yoga Sadhanas stellen die praktischen Methoden dar für diese
großartige Errungenschaft. Diese Sadhanas sind das Ergebnis tiefsten
psychologischen Forschens. Diese Psychologie ist nicht nur die des Geistes,
sondern sie ist mehr. Es ist eine supramentale Psychologie. Spirituelle
Psychologie ist der Begriff, den ich am liebsten dafür verwenden
würde.
Um eine Vorstellung von dieser spirituellen Psychologie zu bekommen,
fassen wir kurz die Grundkonzepte indischer Philosophie zusammen. Der
eigentliche Kern und die Essenz des ganzen wurden in knappsten Worten
dargestellt vom größten Philosophen, Sri Sankara, des ganzen
wurden in knappsten Worten dargestellt vom größten Philosophen,
Sri Sankara, in dem Vers: »Shlokaardhena pravakshyami yaduktam
Granthakotibhih; Brahma Satyam Jaganmithyaa jivo Brahmaiva naarparah.«
Nur das transzendentale Wesen ist wirklich, das Wahrnehmbare ist falsch,
das (scheinbar getrennte) individuelle Selbst ist einzig und allein
das Transzendente, und nichts anderes. Wie kam es also zu dem Gefühl,
etwas anderes zu sein als Das, was ein einziges transzendentes Wesen
ist? Wieso dieses Gefühl eines begrenzten endlichen Seins, mit
der daraus resultierenden irrtümlichen Wahrnehmung einer großen
Vielfalt wahrnehmbarer Dinge? Woher kommt diese kleine begrenzte Individualität
mit ihrem Bewußtsein, getrennt und entfernt zu sein? Das ist in
der Tat Maya. Dieses Gefühl menschlicher Individualität behindert
die Wahrnehmung der Wahrheit. Dieses Ahankara, das Ichbewußtsein,
ist das Ergebnis von Unwissenheit und die eigentliche Ursache aller
Bindung, an der Wurzel dieser getäuschten Wahrnehmung vergänglicher
Erscheinungen. Ahankara, das Ichbewußtsein, ist die Hauptschranke
vor der Erfahrung der inneren Wirklichkeit.
Der »Ich«-Gedanke ist der Grund für die zerstörerische
Bindung, heißt es in der Yoga Vasishtha. Und dann:
Dann wiederum:
Die Mahabharata sagt: »Zwei Worte bezeichnen Freiheit und Bindung.
Sie sind ›mein‹ und ›nicht mein‹. Durch den Gedanken ›mein‹ erfährt
ein Geschöpf Bindung, und durch den Gedanken ›nicht mein‹ wird
es befreit. Das wird in starker Weise zum Ausdruck gebracht in der Mahopanishad,
wo wir finden:
›Unglück ist auf das Unterworfensein unter Ahamkara zurückzuführen,
schlimmes Leid ist auf Ahamkara zurückzuführen, der Wunsch
ist auf das Unterworfensein unter Ahmakara zurückzuführen,
es gibt keinen größeren Feind als Ahamkara.‹
Sich darauf beziehend, auf die eigentliche Ursache von Samsara und das
Haupthindernis für Selbsterkenntnis, stellt der große Sri
Sankara im Vivekachudamani wiederholt fest, daß der Erzfeind des
Suchenden das »EGO« ist.
Die Wurzel von allen (Hindernissen) ist die erste Erscheinungsform
(von Unwissenheit), genannt Ichdenken. Wenn der Mensch aus den Fängen
des Ichdenkens befreit ist, gelangt er zu seiner wahren Natur. Der wertvolle
Schatz der Wonne Brahmans wird eifersüchtig bewacht von der überaus
tödlichen Schlange des Ichdenkens. Dem Suchenden wird geraten,
zuerst diese Ego-Schlange zu töten, wenn er den Schatz transzendentaler
Wonne zu erlangen wünscht.
Da dies so ist, wurden Methoden entwickelt, um den Erzfeind der Selbstverwirklichung
auszulöschen. Aber dieses Ich-Prinzip ist an und für sich
völlig abstrakt und von einer nicht zu erfassenden Subtilität.
Es ist ein so schwer zu verstehender Faktor, der nicht leicht erfaßt
werden kann. Das brachte den Hindugeist dazu, zu überdenken, zu
beobachten, zu sondieren, zu untersuchen und all seine Verzweigungen,
seine Spielarten, seine Erscheinungsformen und seine grobstofflicheren
Nebenprodukte zu definieren. Die Hindus stellten fest, daß sie
überall in der Persönlichkeit des Menschen überhandnahmen.
Sie stellten fest, daß das Ego mit zahllosen Gesichtern durch
die Gedanken, Gefühle, das Verhalten, das Sprechen und das Handeln
eines Menschen schielte. In der Tat war der Mensch ein einziges Monument
von Ichdenken. Er war erfüllt mit Ichbewußtsein vom Scheitel
bis in die Spitzen seiner Zehennägel. Die Beseitigung des Ego scheint
harte Arbeit zu sein. Diese Entdeckung ließ den Hindu-Genius noch
weiterarbeiten. Ein Aspekt des Menschen nach dem anderen, der intellektuelle,
der geistige, der emotionale und der physische wurde aufgenommen, und
das Spiel des Ego wurde auf jeder Ebene untersucht, klassifiziert und
zugeordnet.
Nachdem dies geschehen war, begann man, wirksame Methoden zu formulieren,
direkte und indirekte, um mit jedem dieser zahlreichen Ego-Aspekte im
Individuum fertigzuwerden, die so viele schreckliche Hürden und
Schranken auf dem Weg der Selbstvervollkommnung des Jiva darstellten.
Sie bilden die zahlreichen Punkte der Hindu Sadhakas, die in Händen
von verständnislosen fremden Beobachtern und, was noch bedauerlicher
ist, in Händen ihrer eigenen engstirnigen Erben zu so viel Spott
führten.
Beginnen wir also mit der Betrachtung der Methoden, die entwickelt wurden,
um mit der Egoschranke fertigzuwerden, die sich im verstandesmäßigen
Bereich, dem Buddhi, ausdrückt. Der Hindu stellte fest, daß
sich dieses überlegende Prinzip an der Basis einer endlosen Kette
irriger Erkenntnisse befand, aufgrund des fundamentalen Irrtums falscher
Identifikation. Er nannte ihn ADHYASA. Dieses Adhyasa, so fand er, lag
in der Natur des Grundirrtums der Identifikation mit dem Körper.
Diese Identifikation »Ich bin So-und-so« ließ eine
ganze Schar darauffolgender Identifikationen entstehen wie »Ich
bin ein Brahmane« oder »Ich bin kein Brahmane«, »Ich
bin adelig« oder »Ich bin bürgerlich«, »Ich
bin reich« oder »Ich bin arm«, »Ich bin gelehrt«
oder »Ich bin ungebildet«, »Ich bin gesund«
oder »Ich bin krank«; »Hell oder dunkel, schlank oder
dick, hübsch oder häßlich, klug oder dumm, groß
oder kein, alt oder jung« usw., usw. Durch sorgfältige Beobachtung
des typischen ›Menschen in der Täuschung‹ entdeckte das Hindugenie,
daß sich diese Adhyasas so heimtückisch in das Bewußtsein
des Menschen verwoben hatten, daß sie sich als ein grundlegender
Teil des Normalbewußtseins des Wesens festgesetzt hatten. Sie
sind integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit und seines Bewußtseins.
Das lag daran, daß die Identifikation unmittelbar im Augenblick
der Geburt begann und auch schon da war, bevor die Intelligenz im Kinde
wirksam wurde. Da das Leben des Individuums also mit diesem falschen
Bewußsein begann, wuchs es in dieser Selbsthypnose auf. Das Hindugenie
erkannte nun, daß nur eine starke und machtvolle ›Gegenhypnose‹,
wenn man so sagen kann, das Individuum in wirksamer Weise von seiner
getäuschten Identifikation zu enthypnotisieren und den Weg zu öffnen
vermochte, damit sich sein wahres Bewußtsein manifestieren konnte.
Zu diesem Zweck wurde ihm gesagt, daß er das Sadhana mit regelmäßiger,
systematischer und fortgesetzter Rezitation von entgegengesetzten Gedanken
zu beginnen hatte, die als Vorhut für die Streitkräfte dienen
sollten, die bereitgemacht wurden, um die Bastion der täuschenden
Adhyasas zu erstürmen und einzureißen. Diese ständige
Rezitation stellte also das erste Anga im Jnana Yoga Sadhana dar, Sravana.
Tag für Tag mußte der Suchende bei seinem Lehrer sitzen und
immer wieder Aussagen hören wie:
»Du bist nicht dieser Körper; du bist nicht dieser Geist;
du bist nicht du, wenn du schläfst, wachst oder döst; du bist
das, was auch im Schlaf weitergeht, und das, was zu Tagesanbruch weckt;
du bist das innerste Bewußtsein.«
Die Anweisung, dieses fortgesetzten Sravanas als ersten Schritt im Jnana
Yoga Sadhana, basierte auf der stichhaltigen Psychologie, die hinter
dem Prinzip der Autosuggestion steht. Diese Gedanken wurden ständig
und immer wieder in den Geist des Suchenden eingehämmert. Dieses
Wiederholen durch ständiges Sravana stellte das hauptsächliche
Geheimnis der Wirkungsweise dieses Sadhana dar und wurde mit unfehlbarem
Erfolg Jahrhunderte lang von Suchenden in Indien praktiziert, lange
bevor die Welt überhaupt nur von jemandem wie Emile Coue träumte.
Wenn der Geist dann mit diesen spirituellen Gegensuggestionen gesättigt
war, wurde der Suchende zur nächsten Phase des Jnana Sadhana geführt,
die wieder begründet war auf der fundierten psychologischen Kenntnis
des Prinzips: »Wie der Mensch denkt, so wird er.« »Mana
eva manushyaanaam kaaranam bandhamokshayoh«, sagte der Weise früherer
Zeit. »Was der Geist ist, das ist der Mensch - das ist das ewige
Geheimnis.« (Panchadashi, ii-13). So haben wir Manana, die ständige
und ununterbrochene Reflexion über die Wahrheiten, die in Sravana
immer wieder gehört worden sind.
Nun macht die Enthypnotisierung gute Fortschritte. Durch das ständige
Wiederholen der Gegengedanken beginnen diese merkbar zu werden, und
Adhyasa beginnt schwächer zu werden. Fortgesetztes Manana dünnt
das falsche Adhyasa und alle sich daraus ergebenden Nebenprodukte noch
weiter aus. Der Suchende beginnt nun allmählich gewahr zu werden,
daß er etwas anderes ist als der Körper oder der Geist oder
die Gefühle, usw. Er beginnt sich zu sagen: »Mano-buddhi-ahamkara-chittaani
na aham.« Um diesen Gedankenstrom stark zu halten, wird dem Suchenden
ein Upasadhana gegeben, d.h. eine Hilfs- oder zusätzliche Praxis
(ein weiterer Tribut an die meisterliche Psychologie des Hindugenies
früherer Zeiten) von Svadhyaya, die Pflicht, täglich aus den
vedantischen Schriften zu lesen. Dieses tägliche Svadhyaya wirkt
als sehr kraftvolle Auffrischung des Adhyatmischen Gegengedankenstroms,
der erzeugt wird, um Adhyasa zu beseitigen. Wenn dies Fortschritte gezeitigt
hat, gelangt der Suchende zu Nididhyasana, der letzten Phase im Jnana
Sadhana, tiefer und intensiver Medidation über eine einzige Wahrheit.
Das Sadhana von Nididhyasana basierte auf der vollen Kenntnis der mächtigen
Kraft eines konzentrierten Geistes. Das ständige und intensive
Festhalten an einem einzigen Gedanken unter Ausschluß aller anderen
fand ihr Ende in der Kristallisation des Gedankens zu einem tatsächlichen
Faktum. Die Alten hatten es zu einem Gesetz zusammengefaßt, dem
sie den Namen Bhramarakeeta Nyaya gaben. Zu diesem Sadhana nahmen sie
eine Handvoll knapper und inhaltsreicher Formeln aus dem inspirierendsten
Teil der Veden, den Upanishaden, auf. Dies sind die Mahavakyas, über
die intensiv meditiert werden muß. Nenne es Weisheit oder Aberglauben;
doch haben sich diese Sadhanas, die auf solidestem psychologischem Wissen
basieren, als wirksam genug erwiesen, um dem Übenden Selbsterkenntnis
und kosmisches Bewußtsein zu schenken.
Durch die Kenntnis dieses Vorgangs stellten die Alten fest, daß
das Ego des Menschen ständig durch unzählige Faktoren, die
von außen her auf das Individuum wirkten, stimuliert und dazu
angeregt wurde, sich auszudrücken. Dies waren die Upadhis wie Beruf,
Wohlstand, Kleidung, Gewohnheiten, körperliche Gelüste, Schwächen
wie Rauchen, Spielen, Mode, Talent, Lob, Autorität, die Umgebung,
die Gesellschaft, usw. Sie steigerten weiter die Identifikation, da
sie das Bewußtsein des Individuums noch mehr einschränkten.
Um diese zahllosen begrenzenden Attribute oder Upadhis wirkungslos zu
machen, wurde eine Reihe von Hilfsdisziplinen klug und sorgfältig
durchdacht und dem Suchenden zur Verfügung gestellt. Der Suchende
mußte jede Sinnlichkeit aufgeben (Vairagya), seine Sinne beherrschen
(Dama), seinen Geist beherrschen (Sama), grobstoffliche physische Bequemlichkeit
aufgeben (Titiksha), Reichtum ignorieren, jeglichen physischen Schmuck
aufgeben und schlichte Kleidung tragen, sein Haupt scheren, Blumen,
Düfte, Tanz und Musik aufgeben und ein einfaches und hartes Leben
führen in demütiger Unterwerfung unter den Lehrer, vor dem
er sein Ego niederzubeugen hatte. Trotz all dem krochen die alten Adhyasas
durch die Macht der Gewohnheit ans Tageslicht; und sie wurden umfassend
behandelt mit einer weiteren klugen Methode, die das Hindugenie entwickelt
hatte, der Methode des konsequenten Negierens. Solche Gedanken wurden
bei ihrem Entstehen mit Hilfe der Methode des Neti-Neti-Sadhana in ihrer
Existenz negiert. Diese Upa-Sadhanas schützen in wirksamer Weise
das Voranschreiten des Hauptstromes durch die Phasen von Sravana, Manana
und Nididhyasana und führen von Adhyasa zu Swarupa Jnana, wenn
der Suchende feststellen kann: »Chidananda-Rupah Sivoham«,
»Swaroopoham«, »Sivoham«, »Soham«.
Dann haben wir das Ergebnis der Untersuchung der Spielarten, die das
Egoprinzip im emotionalen Bereich des Menschen annehmen kann. Dort wurde
es festgestellt als tiefe Verhaftung, mannigfaltige Gefühle und
Verblendung. Hier stellen wir fest, daß aufgrund seines Spieles
und im Bereich der Emotionen das Egoprinzip die Tendenz hat, sich mehr
und mehr als Zuneigungen, Verhaftung und Gefühle von Liebe zu Menschen
und zu Dingen dieser physischen Welt auszudrücken. Es kommt zu
einer nicht endenden Aufeinanderfolge von Manifestationen von ›Mamata‹,
das Ego als Vorstellung von ›Mein‹. Durch die Kraft von Moha richtet
es Schaden an. Gefühle spielen eine wichtige Rolle dabei, den Jiva
auf diese Weise gebunden zu halten. Der bei weitem größte
Teil der Menschheit ist Sklave in den Fängen solcher irdischer
Gefühle und getäuschter Verhaftung. Daher besteht das universelle
Bedürfnis nach einer Technik, mit deren Hilfe in wirksamer Weise
mit dem individuellen Egobewußtsein umgegangen werden kann, das
gefangen ist in den Schlingen von Moha, Maya und Mamata. Die Methode,
um Verhaftungen und Zuneigungen zu kontrollieren, Gefühle und Emotionen
zu disziplinieren und zu schulen und sie auf ein Ideal hin abzulenken
und zu kanalisieren, das über diese Welt hinausgeht (durch dessen
positive Kraft alleine das Individuum erfolgreich die starken durch
die Maya bedingten Verhaftungen an irdische Dinge abzuziehen vermag)
und die völlige Verfeinerung und Sublimierung seiner Liebe war
unerläßlich, wenn dies erreicht werden sollte. Diesem Bedürfnis
wird in höchst gemäßer Weise Rechnung getragen durch
das, was als Bhakti Yoga wohl bekannt ist. Es ist Prema Marga der Vaishnaviten
und der Pfad der mystischen Liebe und Ekstase der Sufis, der westlichen
Mystiker und derer, die Gott lieben, und anderer wie sie. In Indien
sind die ersten Anfänge dieses Pfades zurückzuverfolgen zu
den Narada und Sandilya Sutras. Von da an hat er sich durch die Jahrhunderte
und durch die Hände von einer Reihe von Gott berauschten und vor
Liebe verrückten Heiligen und Mystikern, die in verschiedenen Teilen
Indiens zu verschiedenen Zeiten auftauchten, fortgesetzt. Nun wurde
ein sehr umfassendes, wissenschaftliches und hochentwickeltes System
von Spiritualisierung und Vergöttlichung menschlicher Emotionen
und menschlicher Liebe entwickelt. Da der Großteil der Menschen
von emotionalem Temperament ist, bietet der Pfad von Bhakti Yoga einen
meisterlichen psychologischen Prozeß, der ihren Bedürfnissen
entspricht.
Nun war das Problem, das sich hier stellte, nicht so sehr das Vertreiben
irriger Ideen und ihr Ersetzen durch die richtigen Gedanken; sondern
es bestand darin, Verhaftungen umzulenken, Gefühle, Zuneigungen
und Emotionen zu sublimieren und den Fluß der Liebe im Herzen
von weltlichen Objekten wegzulenken, hin zu einem überweltlichen
Ideal. Zu diesem Zweck wurde Ishta-Upasana formuliert, wodurch eine
vollständige und umfassende sem Zweck wurde Ishta-Upasana formuliert,
wodurch eine vollständige und umfassende Umstellung des emotionalen
Hängens des Individuums von der menschlichen Ebene in den göttlichen
Bereich erreicht wurde. Im Versuch der Ausarbeitung dieser Methode versäumten
es die Begründer dieses Systems nicht, mit den Begrenzungen und
den normalen Schwächen der menschlichen Natur zu rechnen, und sorgten
also dafür, daß diese Umstellung nicht aprupt, gewaltsam
und revolutionär vor sich ging. Wie geschah das? Mittels einer
durchaus einzigartigen Methode, die den Menschen zuerst darin einweiht,
sich den Ishta auf rein normaler menschlicher Basis zu vergegenwärtigen;
so wurde zum Beispiel der Anfänger Bhakta darin geschult, den Ishta
als ein Wesen zu sehen, mit dem er in einer menschlichen Beziehung steht.
Je nach dem Objekt der Liebe des Menschen auf der menschlichen Ebene
ist der Ishta zu sehen als Meister (der Bhakta ist sein Diener oder
Sklave), als Freund, als Kind oder auch als der Geliebte (der Bhakta
ist der schmachtende Anbetende). Durch diese Haltungen, Bhavas, wie
sie genannt werden, die anfänglich rein menschliche sind, schreitet
der Bhakta weiter zu einem Grad der Intensivierung seiner Hingabe, daß
sie an einem bestimmten Punkt das Physische übersteigt und in einer
Erfahrung gipfelt, wo auch das Gefühl der Trennung zwischen dem
Bhakta und dem Ideal seiner Liebe sich in ekstatischer Vereinigung auflöst.
Para Bhakti geht in Jnana auf.
Das Annehmen des speziellen Bhavas wird zum Ausgangspunkt für
Bhakti Yoga Sadhana. Dieses Bhava, die entsprechende Haltung, wird spontan
und instinktiv übernommen, entsprechend dem grundlegenden Temperament
des Gläubigen. Die Festlegung der Pancha-Bhavas von Santa, Dasya,
Sakhya, Vatsalya und Madhurya zeigt klar die sorgfältige Beobachtung
und Untersuchung der Haupttypen menschlichen Charakters. Sie sind Hinweis
auf das Ausmaß des psychologischen Verständnisses der vorherrschenden
Verhaftungen, der Zentren der Anziehung von Liebe, Treue und der damit
verbundenen Emotionen, welche die große Mehrheit der Individuen
in dieser Welt zwischenmenschlicher Beziehungen in ihrer Gewalt haben.
Man stellte fest, daß sie eingeteilt werden konnten in ein ruhiges
und gefaßtes emotionales Gleichgewicht, das Element der Heldenbewunderung,
die starken Bande der Gefährtenschaft zwischen Freund und Freund,
den mütterlichen Instinkt (fast vernarrt) oder die mütterliche
Liebe und das erotische Element, das seinen Ausdruck findet als allesverzehrende
intensive Prem und die Leidenschaft der reinen Liebe zwischen den Liebenden.
Man wird feststellen, daß mit der klügsten und höchst
untrüglichen Einsicht die hauptsächlichen und stärksten
emotionalen Tendenzen der menschlichen Natur isoliert worden waren.
Jede davon ist eine so große Kraft unter deren starker Triebkraft
der Mensch so weit geht, sogar sein Leben bereitwillig hinzugeben. Es
ist ein bekanntes Phänomen, daß der treue Diener stets bereit
ist, sein Leben zu geben in der Pflichterfüllung für seinen
Meister, der ihn führt, und den er verehrt. Für die Mutter
ist das eigene Leben bedeutungslos im Vergleich zu dem ihres geliebten
Kindes. Ein Freund wird sich seinem Freunde zuliebe freudig opfern.
Was wahrhaft Liebende betrifft, so sind sie tatsächlich eine einzige
Seele in zwei Körpern. Das Ausmaß ihrer Selbstauslöschung,
Selbstausfopferung und die Intensität ihrer Liebe ist von zahlreichen
westlichen wie östlichen Klassikern unsterblich gemacht worden.
Mit der Zusammenfassung dieser fünf wesentlichsten emotionalen
Muster erfaßten diese Exponenten des Bhakti Marga früherer
Zeit gleichsam die gesamte Menschheit. Das eine oder das andere dieser
fünf Bhavas oder emotionalen Muster findet sich in stärkerem
oder geringerem Ausmaß im menschlichen Individuum überall
auf der Welt. Daher ist die Absicht dieser Analyse und Klassifizierung
des »Gefühlsmenschen« universell. Das menschliche Wesen
ist durchdrungen von Liebe. Auf dieser irdischen Ebene, in diesem äußeren
grobstofflichen physischen Leben, manifestiert das menschliche Individuum,
der ewige Liebende, die Liebe als erwartungsvoll, zuversichtlich und
vertrauensvoll, flehend, oder als bewundernde, anbetende sich selbst
einsetzende Heldenverehrung, oder auch als süße und intensive
Zuneigung der Freundschaft. Liebe drückt sich auch aus in höchst
liebevoller Elternschaft oder als alles verzehrende, sich hingebende
Leidenschaft Liebender.
Im Bhakti Yoga finden wir die Formulierung der bemerkenswerten Technik,
allmählich diese emotionale Bindung von einem äußeren
physischen Objekt auf ein inneres spirituelles Ideal zu übertragen.
Zu diesem Zweck, zu einer wirksamen Konzentration des emotionalen Flusses,
wird durch die Einführung des Ishta Devata ein passender und befriedigender
Konzentrationspunkt gegeben. Es ist die Schutzgottheit, das bevorzugte
gewählte Ideal. Um einen vollständigen und vollkommenen Übergang
und eine Konzentration des emotionalen Inhalts zu gewährleisten,
wurde auf dem Faktor von Nishtha als unerläßliche Voraussetzung
im Bhakti Yoga bestanden. Nishtha ist eine Unverzichtbarkeit. So beabsichtigt
Bhakti Yoga einen wohlüberlegten Vorgang der Ablenkung und Neuorientierung
der Liebe des Menschen vom Physischen zum Spirituellen, vom Äußeren
zum Inneren, vom Weltlichen zum Überweltlichen. Es kann knapp in
den beiden Begriffen »Löse dich« und »Verhafte
dich« zusammengefaßt werden. Es ist das Loslösen des
emotionalen Hängens von den irdischen Objekten und das Verhaften
derselben an die spirituelle Persönlichkeit des Ishta. Dies kann
keinesfalls unvermittelt geschehen oder in irgendeiner Weise unnatürlich
und gezwungen, sondern durch eine rational gestaltete Methode, in der
die emotionale Struktur des Individuum weder beeinträchtigt noch
erschüttert wird, indem es plötzlich aus seiner üblichen
emotionalen Gewohnheit gerissen wird, sondern eher im Gegenteil, das
gewohnheitsmäßige emotionale Muster des Wesens wird als spezielles
Medium und Mittel zu einer Ausdehnung auf dem emotionalen Bereich in
ein bislang unberührtes inneres Reich genutzt. Je weiter man in
dieses innere Reich der Liebe vordringt, desto vollständiger wird
die Loslösung vom flüchtigen, vergänglichen physischen
Objekt der Liebe, bis der Zustand einer vollständigen Trennung
von dieser grobstofflichen Verhaftung erreicht ist, und somit die allesverzehrende,
aus vollem Herzen erfolgende, leidenschaftliche Anbetung, reine Prema,
intensive Liebe, die in ihrer Natur selbstvergessend und selbsthingebend
ist, zum göttlichen Ideal, dem Ishta. So wird das emotionale Wesen
gereinigt, sublimiert und spiritualisiert, es schreitet voran und gipfelt
im Einsetzen des höchsten Überbewußtseins. Um diese
Verwandlung zu beginnen, zu nähren und vollkommen zu machen, und
um sie durch ihre allmähliche Entwicklung von den frühen Phasen
zum späteren subtilen innerlichen Fruchttragen zu führen,
wurde die Praxis der neunfachen Methode des Sadhana der Hingabe entwickelt.
Sravana, Freude daran finden, täglich die göttlichen Lilas
und die Verherrlichung der auserwählten Gottheit zu hören,
ist eine Methode. Dazu wurden verschiedene Epen und Puranas bereitgestellt,
von denen die wichtigsten Srimad Bhagavata, Ramayana, Siva Purana, Vishnu
Purana, Skanda Purana und Devi Bhagavata und Mahatmya sind. Durch das
ständige Hören der Lilas und Herrlichkeiten des Herrn wird
brennende Verehrung hervorgerufen. Satsanga, Gesellschaft von Weisen,
ist ein weiteres Mittel, das es dem Gläubigen ermöglicht,
mit ähnlich frommen Menschen über die Herrlichkeiten des Herrn
zu sprechen. Durch Satsanga und Swadhyaya, das Studium religiöser
Bücher, entsteht die Bewunderung für den Herrn. Aus der Bewunderung
entsteht Sraddha, der Glaube. Aus Sraddha entsteht die Hingabe an den
Herrn. Dann übt der Gläubige Sadhana Bhakti, nämlich
Japa, Smarana und Kirtana. Durch die genannte Praxis verbrennt er die
Sünden und Hindernisse, die seiner Frömmigkeit im Wege stehen.
Aus Sadhana Bhakti entwickelt er Nishtha (Frömmigkeit). Aus Nishtha
entsteht Ruchi, der Gefallen daran, über Themen, die den Herrn
betreffen, zu hören und zu singen. Dann kommt Rati, intensive Verhaftung.
Rati macht das Herz weich. Wenn Rati intensiver wird, wird es Sthayi
Bhava genannt, Beständigkeit oder die dauerhafte Form von Bhakti
Rasa. Wenn Sthayi sem Zweck wurde Ishta-Upasana formuliert, wodurch
eine vollständige und umfassende Umstellung des emotionalen Hängens
des Individuums von der menschlichen Ebene in den göttlichen Bereich
erreicht wurde. Im Versuch der Ausarbeitung dieser Methode versäumten
es die Begründer dieses Systems nicht, mit den Begrenzungen und
den normalen Schwächen der menschlichen Natur zu rechnen, und sorgten
also dafür, daß diese Umstellung nicht aprupt, gewaltsam
und revolutionär vor sich ging. Wie geschah das? Mittels einer
durchaus einzigartigen Methode, die den Menschen zuerst darin einweiht,
sich den Ishta auf rein normaler menschlicher Basis zu vergegenwärtigen;
so wurde zum Beispiel der Anfänger Bhakta darin geschult, den Ishta
als ein Wesen zu sehen, mit dem er in einer menschlichen Beziehung steht.
Je nach dem Objekt der Liebe des Menschen auf der menschlichen Ebene
ist der Ishta zu sehen als Meister (der Bhakta ist sein Diener oder
Sklave), als Freund, als Kind oder auch als der Geliebte (der Bhakta
ist der schmachtende Anbetende). Durch diese Haltungen, Bhavas, wie
sie genannt werden, die anfänglich rein menschliche sind, schreitet
der Bhakta weiter zu einem Grad der Intensivierung seiner Hingabe, daß
sie an einem bestimmten Punkt das Physische übersteigt und in einer
Erfahrung gipfelt, wo auch das Gefühl der Trennung zwischen dem
Bhakta und dem Ideal seiner Liebe sich in ekstatischer Vereinigung auflöst.
Para Bhakti geht in Jnana auf.
Das Annehmen des speziellen Bhavas wird zum Ausgangspunkt für
Bhakti Yoga Sadhana. Dieses Bhava, die entsprechende Haltung, wird spontan
und instinktiv übernommen, entsprechend dem grundlegenden Temperament
des Gläubigen. Die Festlegung der Pancha-Bhavas von Santa, Dasya,
Sakhya, Vatsalya und Madhurya zeigt klar die sorgfältige Beobachtung
und Untersuchung der Haupttypen menschlichen Charakters. Sie sind Hinweis
auf das Ausmaß des psychologischen Verständnisses der vorherrschenden
Verhaftungen, der Zentren der Anziehung von Liebe, Treue und der damit
verbundenen Emotionen, welche die große Mehrheit der Individuen
in dieser Welt zwischenmenschlicher Beziehungen in ihrer Gewalt haben.
Man stellte fest, daß sie eingeteilt werden konnten in ein ruhiges
und gefaßtes emotionales Gleichgewicht, das Element der Heldenbewunderung,
die starken Bande der Gefährtenschaft zwischen Freund und Freund,
den mütterlichen Instinkt (fast vernarrt) oder die mütterliche
Liebe und das erotische Element, das seinen Ausdruck findet als allesverzehrende
intensive Prem und die Leidenschaft der reinen Liebe zwischen den Liebenden.
Man wird feststellen, daß mit der klügsten und höchst
untrüglichen Einsicht die hauptsächlichen und stärksten
emotionalen Tendenzen der menschlichen Natur isoliert worden waren.
Jede davon ist eine so große Kraft unter deren starker Triebkraft
der Mensch so weit geht, sogar sein Leben bereitwillig hinzugeben. Es
ist ein bekanntes Phänomen, daß der treue Diener stets bereit
ist, sein Leben zu geben in der Pflichterfüllung für seinen
Meister, der ihn führt, und den er verehrt. Für die Mutter
ist das eigene Leben bedeutungslos im Vergleich zu dem ihres geliebten
Kindes. Ein Freund wird sich seinem Freunde zuliebe freudig opfern.
Was wahrhaft Liebende betrifft, so sind sie tatsächlich eine einzige
Seele in zwei Körpern. Das Ausmaß ihrer Selbstauslöschung,
Selbstausfopferung und die Intensität ihrer Liebe ist von zahlreichen
westlichen wie östlichen Klassikern unsterblich gemacht worden.
Mit der Zusammenfassung dieser fünf wesentlichsten emotionalen
Muster erfaßten diese Exponenten des Bhakti Marga früherer
Zeit gleichsam die gesamte Menschheit. Das eine oder das andere dieser
fünf Bhavas oder emotionalen Muster findet sich in stärkerem
oder geringerem Ausmaß im menschlichen Individuum überall
auf der Welt. Daher ist die Absicht dieser Analyse und Klassifizierung
des »Gefühlsmenschen« universell. Das menschliche Wesen
ist durchdrungen von Liebe. Auf dieser irdischen Ebene, in diesem äußeren
grobstofflichen physischen Leben, manifestiert das menschliche Individuum,
der ewige Liebende, die Liebe als erwartungsvoll, zuversichtlich und
vertrauensvoll, flehend, oder als bewundernde, anbetende sich selbst
einsetzende Heldenverehrung, oder auch als süße und intensive
Zuneigung der Freundschaft. Liebe drückt sich auch aus in höchst
liebevoller Elternschaft oder als alles verzehrende, sich hingebende
Leidenschaft Liebender.
Im Bhakti Yoga finden wir die Formulierung der bemerkenswerten Technik,
allmählich diese emotionale Bindung von einem äußeren
physischen Objekt auf ein inneres spirituelles Ideal zu übertragen.
Zu diesem Zweck, zu einer wirksamen Konzentration des emotionalen Flusses,
wird durch die Einführung des Ishta Devata ein passender und befriedigender
Konzentrationspunkt gegeben. Es ist die Schutzgottheit, das bevorzugte
gewählte Ideal. Um einen vollständigen und vollkommenen Übergang
und eine Konzentration des emotionalen Inhalts zu gewährleisten,
wurde auf dem Faktor von Nishtha als unerläßliche Voraussetzung
im Bhakti Yoga bestanden. Nishtha ist eine Unverzichtbarkeit. So beabsichtigt
Bhakti Yoga einen wohlüberlegten Vorgang der Ablenkung und Neuorientierung
der Liebe des Menschen vom Physischen zum Spirituellen, vom Äußeren
zum Inneren, vom Weltlichen zum Überweltlichen. Es kann knapp in
den beiden Begriffen »Löse dich« und »Verhafte
dich« zusammengefaßt werden. Es ist das Loslösen des
emotionalen Hängens von den irdischen Objekten und das Verhaften
derselben an die spirituelle Persönlichkeit des Ishta.
Dies kann keinesfalls unvermittelt geschehen oder in irgendeiner Weise
unnatürlich und gezwungen, sondern durch eine rational gestaltete
Methode, in der die emotionale Struktur des Individuum weder beeinträchtigt
noch erschüttert wird, indem es plötzlich aus seiner üblichen
emotionalen Gewohnheit gerissen wird, sondern eher im Gegenteil, das
gewohnheitsmäßige emotionale Muster des Wesens wird als spezielles
Medium und Mittel zu einer Ausdehnung auf dem emotionalen Bereich in
ein bislang unberührtes inneres Reich genutzt. Je weiter man in
dieses innere Reich der Liebe vordringt, desto vollständiger wird
die Loslösung vom flüchtigen, vergänglichen physischen
Objekt der Liebe, bis der Zustand einer vollständigen Trennung
von dieser grobstofflichen Verhaftung erreicht ist, und somit die allesverzehrende,
aus vollem Herzen erfolgende, leidenschaftliche Anbetung, reine Prema,
intensive Liebe, die in ihrer Natur selbstvergessend und selbsthingebend
ist, zum göttlichen Ideal, dem Ishta. So wird das emotionale Wesen
gereinigt, sublimiert und spiritualisiert, es schreitet voran und gipfelt
im Einsetzen des höchsten Überbewußtseins. Um diese
Verwandlung zu beginnen, zu nähren und vollkommen zu machen, und
um sie durch ihre allmähliche Entwicklung von den frühen Phasen
zum späteren subtilen innerlichen Fruchttragen zu führen,
wurde die Praxis der neunfachen Methode des Sadhana der Hingabe entwickelt.
Sravana, Freude daran finden, täglich die göttlichen Lilas
und die Verherrlichung der auserwählten Gottheit zu hören,
ist eine Methode. Dazu wurden verschiedene Epen und Puranas bereitgestellt,
von denen die wichtigsten Srimad Bhagavata, Ramayana, Siva Purana, Vishnu
Purana, Skanda Purana und Devi Bhagavata und Mahatmya sind. Durch das
ständige Hören der Lilas und Herrlichkeiten des Herrn wird
brennende Verehrung hervorgerufen. Satsanga, Gesellschaft von Weisen,
ist ein weiteres Mittel, das es dem Gläubigen ermöglicht,
mit ähnlich frommen Menschen über die Herrlichkeiten des Herrn
zu sprechen. Durch Satsanga und Swadhyaya, das Studium religiöser
Bücher, entsteht die Bewunderung für den Herrn. Aus der Bewunderung
entsteht Sraddha, der Glaube. Aus Sraddha entsteht die Hingabe an den
Herrn. Dann übt der Gläubige Sadhana Bhakti, nämlich
Japa, Smarana und Kirtana. Durch die genannte Praxis verbrennt er die
Sünden und Hindernisse, die seiner Frömmigkeit im Wege stehen.
Aus Sadhana Bhakti entwickelt er Nishtha (Frömmigkeit). Aus Nishtha
entsteht Ruchi, der Gefallen daran, über Themen, die den Herrn
betreffen, zu hören und zu singen. Dann kommt Rati, intensive Verhaftung.
Rati macht das Herz weich. Wenn Rati intensiver wird, wird es Sthayi
Bhava genannt, Beständigkeit oder die dauerhafte Form von Bhakti
Rasa. Wenn Sthayi Bhava intensiver wird, heißt es Maha Bhava oder
Prema-Maya. Nun trinkt der Gläubige Prema Rasa und lebt im Herrn.
Die zweite Methode, Kirtan, das Singen von Lobgesängen und frommen
Liedern, welche süßen und berührenden Gefühlen
von Verehrung, Gebet, Flehen und dergleichen eine äußere
Form verleihen, machen die Beziehung des Gläubigen zum Ishta Devata
enger und verstärken die Bindung allmählich sich entwickelnder
Zuneigung und Liebe. Die dritte Methode, Smaran, ständiges Denken
an und geistiges Verweilen bei den Lilas Gottes, dient dazu, die Verhaftung
des Yogis an das gewählte Ideal noch weiter zu vertiefen, und trägt
so dazu bei, die Anforderung von Nishtha noch weiter zu erfüllen.
Die beiden genannten dienen dazu, den Geist mit Vorstellungen über
den Ishta und eine Fülle damit in Verbindung stehender Gedanken
zu sättigen. Ihr Wirken wird gesteigert durch regelmäßigen
formalen Gottesdienst (Sakara Upasana) wie Padasevan, Archan, etc.,
der weiterführt zum allerhöchsten Gipfelpunkt von Bhakti,
wenn das Leben des Gläubigen zu einem beständigen, intensiven
und praktischen Leben der einen oder der anderen Haltung erblüht,
die dann den gesamten emotionalen Bereich der Persönlichkeit des
Suchenden umfaßt und sein Bewußtsein vollständig beherrscht,
da sie in es eindringt und jede, auch die kleinste, seiner Phasen und
Fluktuationen färbt. Eine grundlegende Veränderung wird in
das Leben und die Persönlichkeit des Gläubigen in all ihren
Teilen verwoben. Das Sadhana ist in dieser Phase dadurch gekennzeichnet,
daß sich der Übende ihm mit ganzem Herzen widmet. Der Suchende
lebt in seiner eigenen glückseligen Welt, die gänzlich aufgebaut
ist aus der alles in sich aufnehmenden und alles verzehrenden Liebe
zum Ideal seines Herzens. Er gelangt zu einem verzückten Bewußtsein,
in dem jede selbstsüchtige Liebe verlöscht, die emotionale
Persönlichkeit vollständig sublimiert wird, und sich das Bewußtsein
des Suchenden mit der darauf folgenden absoluten Selbstauslöschung
hoch in die Erfahrung des kosmischen Bewußtseins erhebt, das sowohl
transzendent wie auch vollkommen ist, erhaben, glorreich, höchst
wonnevoll und unvergänglich.
Es wurde jedoch festgestellt, daß im Falle der großen Mehrheit
der Menschen die Bekämpfung des Egos, das sich im und durch den
verstandesmäßigen Bereich ausdrückt, undurchführbar
war. Der allergrößte Teil der menschlichen Wesen war zu tief
verstrickt und zu unentwirrbar verfangen und gebunden in den Fängen
und Mühen der irreführenden Unwissenheit in ihrer extrem grobstofflichen
Form, so daß das Ego-Bewußtsein sich in ihnen nur selten
erhob und eine Wirkung auf der verstandesmäßigen Ebene spürbar
werden ließ. Sie waren vollständig gebunden und aufgegangen
in ihren rein physischen und sinnlichen Lebensabläufen, und in
ihnen zeigte das Ego seine bei weitem grobstofflicheren Spielarten,
wie das grobe Hängen am Körper und den Annehmlichkeiten des
Lebens, ständige Furcht und Ängste seine Sicherheit betreffend,
animalisches Wohlbefinden, gewöhnliche Selbstsucht und intensive
Verhaftung, die aus dem Vorhergehenden entsteht. In dieser Phase ist
das nicht erneuerte Individuum personifizierte Selbstsucht, ein Wesen
von hochmütiger Eitelkeit, das nach Anerkennung, Befriedigung und
Lob dürstet. Sein Ego schwillt an mit jeder Feder, die an die Kappe
seiner Eitelkeit gesteckt wird. Eine gründliche Überholung
seiner nicht erneuerten, auf sich selbst begrenzten und egozentrischen
Persönlichkeit wird hier als primäre Sorge eines Menschen,
der Erlösung aus diesem Zustand suchen will, erforderlich.
Demgemäß wurde ein Kursus für radikale »Persönlichkeitsüberholung«
entworfen. Das ist Karma Yoga, der Weg des selbstlosen, demütigen,
sich selbst vergessenden und absichtslosen Dienens für alle Wesen.
Es ist ein diszipliniertes und aktives Ausarbeiten im täglichen
Leben und in den Aktivitäten des Menschen, wo er darin geschult
wird, sich selbst beiseite zu lassen und das Dienen vor sich selbst
zu stellen. Er wird darin unterwiesen, auf sein persönliches Vergnügen
zu verzichten und für das Glück anderer zu arbeiten. Er wird
dazu veranlaßt, jedes Abhimana, jede persönliche Eitelkeit
abzulegen, die aus Umständen entstehen, welche durch Geburt und
Umgebung bedingt sind. Die Abhimanas des Menschen sind wahrlich Legion.
Sie sind Fesseln, die ihn an seiner begrenzten Individualität festbinden.
Ego ist ihre Essenz und hauptsächliche Basis. Stolz auf eine hohe
Geburt, Stolz auf Gelehrtheit, Eitelkeit wegen gutem Aussehen und Fähigkeiten,
Arroganz hinsichtlich Stand und Reichtum, Überheblichkeit aufgrund
unzähliger Faktoren in Verbindung mit dem Körper, ein daraus
folgendes Gefühl von falschem Prestige und Würde, Schamgefühl,
das sind einige der häufigsten Formen von Abhimana, die im durchschnittlichen
Individuum auftreten. Solches eitle Abhimana von Geburt, Position, Wohlstand,
Gelehrtheit, usw. zu beseitigen, ist die Aufgabe der Sadhanas im Karma
Yoga. Vom Suchenden wird zuerst verlangt, seine Vorstellung von Überlegenheit
zu vergessen und sich als demütiger Diener zu sehen. Aber der Gedanke
genügt nicht. Er muß zu arbeiten beginnen. Er beginnt, minderwertigste
manuelle Arbeit ohne den geringsten Widerstand oder Widerwillen zu tun.
Er lernt, daß Arbeit Gottesdienst ist. Diene allen. Sieh den Herrn
in allen. Diene ihnen mit dem Gefühl, daß du den Herrn verehrst
in und durch solches Dienen. Gib Selbstsucht auf. Kontrolliere die Sinne.
Zertrample jegliches Gefühl von Überlegenheit. Sei bescheiden.
Sei einfach. Sei selbstlos. Gib deine Bequemlichkeiten hin. Teile das,
was du hast, mit anderen. Gib, gib, gib. Liebe alle. Arbeite unermüdlich
für das Glück und das Wohlergehen aller. Gib deinen Körper,
deinen Geist, deinen Reichtum und alles in diesem Prozeß hin.
So wird das grobe Ichdenken, das in Tamas gehüllt und mit unnatürlichem
Abhimana, Stolz, Überheblichkeit, Selbstsucht, Gier, Scham, Furcht
und Überlegenheit erfüllt ist, in den Ofen des Karma Yoga
Sadhana gesteckt und geht daraus als ein gereinigtes und verfeinertes
Prinzip voller Demut, süß durch Selbstlosigkeit, Mitgefühl
und das Gefühl verehrungsvollen Dienens, frei von Eitelkeit und
Überheblichkeit, einfach und liebevoll hervor. Diese Verfeinerung
des Egos und die Veränderung von Tamoguna zu Sattvaguna bereitet
ihn darauf vor, höhere Arten von Yoga zur gänzlichen Vervollkommnung
aufzunehmen.
Es muß festgehalten werden, daß im Falle von Karma Yoga
der Ursprung nicht auf irgendeine spezielle Schrift oder Abhandlung
zurückverfolgt werden kann, die als ausschließliches und
maßgebliches Lehrbuch zu sehen wäre, auf dem dieser Yoga
begründet ist. Es gibt jedoch die allgemeine Tendenz, daß
der Ursprung von Karma Yoga in der Botschaft der Gita begründet
ist, so wie sie Arjuna von Bhagavan Sri Krishna dargelegt worden ist.
Es wird anerkannt, daß die Botschaft von selbstloser verhaftungsloser
Aktivität, so wie sie in bestimmten Teilen der Bhagavad Gita zu
finden ist, die Grundlagen bietet, auf denen das System von Nishkama
Karma Yoga in der Form, in der wir es heute finden, entstanden ist.
Daher ist es allgemein so, daß man sich auf die Gita bezieht als
die Schrift, die die Doktrin der selbstlosen, verehrungsvollen Aktivität
darlegt, verehrungsvoll durch das Gebot des Herrn: »Alle Handlungen
Mir darzubringen«, so wie jede Verehrung selbstverständlich
zu Füßen der Gottheit geopfert wird. Ohne nun näher
auf die relativen Verdienste der widersprüchlichen Ansprüche
einzugehen, die auf die Philosophie der Gita in gleicher Weise von Jnanis,
Bhaktas, Yogis, Philanthropen und altruistische Sozialarbeitern erhoben
werden, ist der Hauptpunkt, der hier Beachtung finden muß, der,
daß ein vitales Bedürfnis nach einer Lehre von intensiver
Aktivität bestand, die auf allerhöchster Selbstlosigkeit,
ruhiger Verhaftungslosigkeit und einem vollständigen Fehlen von
persönlicher Leidenschaft und von Wünschen begründet
ist. Die Gita hat den Kern für eine derartige Lehre geboten. Das
Vergehen von Jahrhunderten, die Ankunft zahlreicher Gottmenschen und
mitfühlender reformierender Heiligerhat ein Übriges getan.
Das große Bedürfnis nach einer solchen Lehre wurde von Weisen
in ihren Untersuchungen über das Wesen des Menschen festgestellt.
Das Wissen um das Wirken der drei Gunas im individuellen Wesen ist einzigartig
für die spirituelle Psychologie, die den Hindu Weisen bekannt war,
und zeichnet sie aus. Im Laufe ihrer Beobachtung und im praktischen
Studium über den Menschen stellten sie fest, daß eine Guna
nach der anderen, in der Reihenfolge ihres Auftretens, transzendiert
werden muß. Tamoguna ließ sich nicht leicht umformen und
direkt in reine Sattvaguna verwandeln. Notwendigerweise muß sie
zuerst in grobes Tamas und aktives Rajas transformiert werden. Von Rajas
konnte sie später in die Reinheit von Sattva verwandelt werden.
Darin findet sich das Bedürfnis nach einem Sadhanasystem, das in
erster Linie die grobstofflichen Tamasaspekte des Ichbewußtseins
im Individuum angreifen und zerstören konnte. Es wurde festgestellt,
daß das asurische Ego von Tamoguna Prakriti auf das Individuum
einen starken Einfluß hatte und in Form von Sthula Abhimana eine
wichtige Rolle spielte, dem grobstofflichen selbstanmaßenden Gefühl,
Handelnder zu sein, das darauf bestand, den eitlen glorreichen Verdienst
für sich in Anspruch zu nehmen (in tiefer Unwissenheit), für
alle Bewegungen der kosmischen Prakriti, die in und durch Vermittlung
der menschlichen Monade ihren Ausdruck findet. »Ich habe das getan.«
»Nur durch mich ist das geschehen.« »All das habe
ich getan.« In dieser Weise behauptet sich das starke Abhimana
des äußerst ungeformten tamasigen Egos im Menschen in seinen
frühen Tagen der Dunkelheit und des beschränkten egozentrierten
Lebens. Der allmähliche Verzicht auf dieses starke, selbstgefällige,
selbstanmaßende Gefühl der Urheberschaft, das asurische Kartritva
Abhimana, stellt den absoluten Boden in der Karma Yoga Philosophie dar.
Abhimana ist ein aufgeblasener Zustand, den das Ego angenommen hat durch
seine Verbindung und unbewußte Identifikation (durch Unwissenheit)
mit Faktoren, die sich vom natürlichen Zustand des einfachen Selbstbewußtseins
unterscheiden oder außerhalb von ihm liegen. Der damit in Verbindung
stehende Faktor, die begrenzende Upadhi, kann alles sein, vom subjektiven
angeborenen Talent bis zum rein objektiven Besitz. »Ich bin Aristokrat.«
»Ich bin reich.« »Ich bin schön.« »Ich
bin gebildet.« »Ich bin klug.« »Ich bin kultiviert.«
»Ich bin stark.« »Ich habe Einfluß.« »Ich
bin Steuereinheber.« »Ich bin ein führender Politiker.«
»Ich bin ein großer Menschenfreund.« »Ich bin
intellektuell.« »Ich bin belesen.« In solchen und
ähnlichen Formen existiert Abhimana im Individuum. »Ich bin
nichts.« »Ich bin Diener der Diener. Ich bin ein bescheidenes
Werkzeug. Ich will kein Lob.« »Ich suche kein Verdienst.«
»Ich wünsche weder Ruhm noch Ehre.« »Ich weiß
nichts.« »Ich lebe um zu lernen.« Mit einem solchen
Bhava, einer mental-cum-emotionalen Haltung, die unentwegt und aktiv
geübt wird, wird der Karma Yogi darin geschult, die Zitadelle von
Abhimana niederzuschmettern.
Karma Yoga stellt ein meisterliches System der Reinigung dar und eine
erste Vorbereitung, welche den sicheren Grundstein für jeden Yoga
und für spirituelles Leben legt. Die Seher alter Zeiten wußten
genau, daß ohne Reinigung des Herzens niemals irgendeine göttliche
Erfahrung möglich ist. Ist diese Reinigung der menschlichen Natur
nicht vorhanden, zeigt es sich, daß die erzwungene Anwendung und
Praxis anderer Yogatechniken unwirksam und machtlos sind, wenn es darum
geht, dauerhaft Gutes zu bewirken; wenn hingegen das Wesen gründlich
gereinigt und durch die Praxis von Karma Yoga erneuert worden ist, zeitigen
Anwendung und Praxis der höheren Aspekte von Yoga sehr rasch zufriedenstellende
Ergebnisse und führen schnell zu höherer spiritueller Entfaltung.
Es ist schon gesagt worden, daß übergroße Selbstsucht,
Gier und das Verlangen nach persönlichem Gewinn und selbstsüchtigem
Genuß das niedrigste Selbst des Menschen kennzeichnen. Karma Yoga
ist ein wirksamer Versuch, um eine ›Kehrtwendung‹ in dieser Anlage der
menschlichen Mentalität zu bewirken. Die Gesetze von Karma Yoga
halten fest, daß der Yogi jedes Verlangen nach selbstsüchtigem
Vergnügen und persönlichem Gewinn ablegt. Er wird dazu angehalten,
sein Leben zu vereinfachen und seine Sinne zu kontrollieren. Strenge
Disziplin ist der Hauptgedanke von Karma Yoga. Er wird darin geschult,
zu denken und zu fühlen, daß er nichts tut, sondern nur ein
Werkzeug in den Händen des Göttlichen ist. In Demut verehrt
er den göttlichen Geist, der sich als der Antaryamin in allen Wesen
befindet, durch sein selbstloses, absichtsloses und liebendes Dienen.
Er muß seinen Überheblichkeitskomplex ablegen und sich mit
universeller Sicht unter allen Menschen bewegen. Seine Kanten und Ecken
müssen ein für allemal abgerundet werden. Er muß lernen,
seinen persönlichen Standpunkt in allen Angelegenheiten unterzuordnen
und Anpassungsfähigkeit an andere zu entwickeln. Er muß Zorn
beherrschen, denn er muß stets daran denken, daß er der
Diener der Menschen ist. Während der Karma Yogi sich also ständig
inmitten mannigfaltiger Naturen und Individuen bewegt, darf er sich
niemals durch Beleidigung oder Schmach, die ihm von feindseligen Menschen
zugefügt werden, verletzt fühlen. Er muß stets bereitwillig
verzeihen und vergessen. Der Karma Yogi wird dazu angehalten, von Rachsucht
frei zu sein. Er übt keine Vergeltung.
Diese Schulung, diese Regeln und Disziplin sind die psychologische
Mechanik, die in der Ausarbeitung der Technik von Karma Yoga in Bewegung
gesetzt wird. Allmählich wird das Wesen geläutert. Das Ego
wird gereinigt. Dieses ununterbrochene Tätigsein im Geiste reiner
Verehrung rüttelt ihn wirksam auf und reißt ihn aus der Trägheit
des grobstofflichen Tamas. Es ist richtig für ihn, zur weiteren
Entfaltung des nunmehr vergleichsweise gereinigten Egos den einen oder
den anderen der höheren Yogas in Angriff zu nehmen. Karma Yoga
ist gleichsam ein gut geplanter psycho-physischer umfassender direkter
Angriff auf breiter Front gegen die ganze Serie der die Seele einengenden
und begrenzenden Adhyasas (psycho-physische Identifikationen), die vorhanden
sind und das Individuum durch den Kontakt und die Verbindung mit den
zahllosen Upadhis (psycho-physische Attribute) binden, die die Welt
um ihn herum ausmachen. In dem Arsenal, das diesen Angriff versorgt,
sind die wichtigsten Punkte der ›Mittel der Kriegführung‹, die
zu bedenken sind, Nishkama Karma, selbstloses Handeln, Abhimana Tyaga,
Verzicht auf Ichdenken, Akarta-Abhokta, Nimitta Bhav, das Gefühl
der Nichturheberschaft, Nichtgenießen und nur Werkzeug Sein, Ragadvesha,
Rahita Karma, die Handlung, die frei ist von Verhaftung und Haß,
Anasakti oder Nichtverhaftung, Karmaphala Tyaga oder der Verzicht auf
die Früchte des Handelns, Puja Bhava, Bhagavadarpana.
Die vierte Technik, die entwickelt wurde, ist Raja Yoga, der Yoga des
Wollens, der von Maharishi Patanjali in seinen Yoga Sutras vollständig
und klar dargelegt worden ist. Raja Yoga ist sowohl eine höchst
wissenschaftliche als auch direkte und umfassende »Wurzeltechnik«.
Es kann damit verglichen werden, den Löwen direkt in dessen Höhle
anzugreifen, oder den Fluß an seiner Quelle auszutrocknen. Wir
haben bereits gesehen, daß das Ichbewußtsein durch das Medium
des Geistes wirksam wird. Es kann gesagt werden, daß es in erster
Linie die Bewegung des Geistes ist, die die Manifestation des Ahankara
möglich macht. Dies führte zu dem logischen Schluß,
daß, wenn die eigentliche Bewegung des Geistes vollständig
angehalten wird, dies notwendigerweise ein Stillstehen des Spieles von
Ahankara mit sich bringen muß. So wird also behauptet, daß,
wenn die Anfangswelle im Geist, Vritti, zum Ziel des Angriffs gemacht
wird, der Kampf gleichsam in das eigentliche Lager des Feindes getragen
und direkt und umfassend wird. Auf dieser festen Prämisse wurde
die Technik von Raja Yoga errichtet. Sie besteht darin, jedes Entstehen
eines Gedankens an sich bereits im Keim zu ersticken. Es erstickte und
vernichtete in wirksamer Weise die anfängliche Bewegung des Geistes
selbst. So haben wir als erstes Sutra: »Yogaschittavrittinirodhah«.
Nun war aber der genannte Prozeß in der Tat ein äußerst
subtiler. Es war ein rein innerer Prozeß, der im geistigen Bereich
vor sich ging. Konnte irgend jemand diesen Prozeß in Angriff nehmen
mit irgendeinem Maß an Erfolg? Das ist die Frage. Nein. Das war
nicht möglich. Eine sorgfältige Vorbereitung war nötig,
bevor der Mensch bereit wurde, diesen Prozeß von Vritti Nirodha
aufzunehmen. Wieder bewiesen sie in diesem Punkt ihr tiefes Wissen über
Natur und Verhalten des Geistes und seine Beziehung und Verbindung zu
den anderen Aspekten des menschlichen Wesens. Sie wußten um die
Existenz des dreifachen Faktors von Mala, der grobstofflicher Unreinheit,
Vikshepa, des Fluktuierens des Geistes, und Avarana, des Schleiers der
Unwissenheit, im Bewußtsein der menschlichen Monade. Bevor versucht
werden konnte, Avarana zu beseitigen, muß zuerst Mala und Vikshepa
überwunden werden. Der Vorrat an grobstofflicher Tamoguna und Rajoguna
ist gleichsam der Stoff zur Herstellung von Mala, der psycho-vitalen
Unreinheit in der Persönlichkeitsstruktur des Menschen. Die ersten
vier Angas von Patanjalis Ashtanga Yoga zielten daher auf die vollständige
Beseitigung von Tamoguna und Rajoguna aus der individuellen Prakriti
ab. Das führte sehr wirksam zur Beseitigung von Mala und Vikshepa.
Da man beobachtete, daß Tamoguna die Persönlichkeit in Gestalt
verschiedener unreiner und lasterhafter Tendenzen, grobstofflichen Verlangens
und Zweifel tyrannisierte, wurden die ersten beiden Schritte im Raja
Yoga entwickelt, Yama und Niyama, um diesem Mangel durch die Pflege
der erhabenen Tugenden von Wahrhaftigkeit, Mitgefühl, Reinheit,
Nichtstehlen, Wunschlosigkeit und dergleichen abzuhelfen, gleichzeitig
mit dem positiven Einhalten von äußerer und innerer Reinheit,
Zufriedenheit und Heiterkeit in allen Angelegenheiten, Askese, täglichem
Studium der Schriften und Gottesdienst.
Dann, basierend auf dem Wissen über die enge Beziehung zwischen
dem geheimnisvollen Prana und dem Schwanken des Geistes (Vikshepa),
wurden das dritte und vierte Anga von Raja Yoga formuliert, die feste
Asana und das gleichmäßige Pranayama. Das Halten einer festen
unerschütterlichen Stellung über längere Zeit wurde vorgeschrieben,
um das wunderbare Ergebnis zu erlangen, die Schwingungsfrequenz der
Körperzellen zu beherrschen und zu harmonisieren, von tamasig und
rajasig zu reinem und harmonischem Sattva. Mit Asana Jaya wird im System
des Übenden Tamoguna überwunden, Rajoguna wird beherrscht,
und Sattva tritt ein. Sein ganzes Wesen wird beträchtlich verfeinert.
Die Alten wußten, daß Geist und Prana die beiden Seiten
der selben Münze waren und eng zusammenhingen. Durch Disziplin
des einen konnte das andere diszipliniert werden. Durch Beherrschung
des einen würde das andere beherrscht werden. Unter Zugrundelegung
dieses psychologischen Faktums wurde der vierte Teil im Raja Yoga Sadhana
konzipiert, Pranayama, die Schulung und Beherrschung der geheimnisvollen
Lebenskraft, Prana, durch ein System der Atemkontrolle. Das wurde zur
Minderung von Vikshepa, dem Schwanken des Geistes lange fortgesetzt.
Diese vier Schritte sind daher die Vorbereitung, die zum eigentlichen
Yoga von ›Vritti-Nirodha‹ führt, worin dem Geist in seinem eigenen
Element der Kampf angesagt wird. Die höheren yogischen Prozesse
von Pratyahara, Dharana und Dhyana, die die fünfte, sechste und
siebente Phase im Raja Yoga ausmachen, stellen einen dreifachen und
doch einheitlichen Prozeß dar, eine Art von drei-in-einem Sadhana,
durch das der Yogi allen Vrittis und Bewegungen im Geist die Todesglocke
läutet. Mano-Nasa, Mano-Laya ist das Ziel des Yogis, durch welche
er Ahankara die Grundlage entzieht. Ohne Stütze und Halt kann das
Ichbewußtsein auf nichts stehen. Wenn ihm seine einzige Stütze
genommen ist, verlöscht es. Das Verlöschen des Geistes ist
dem modernen Menschen eine schreckliche Vorstellung, die er fürchtet,
da es zum Verlust der Persönlichkeit führt. Aber diese Aussicht
bereitete dem yogischen Wissenschafter früherer Zeit keine Sorge,
denn er war sicher, daß die vergängliche Persönlichkeit,
die durch den Geist (der selbst vergänglich war) möglich gemacht
wurde, eine falsche und illusorische Persönlichkeit war, und daß
ihr Verlöschen das Erwachen der wahren und glorreichen Persönlichkeit
des Wesens entstehen ließ, mit dem erhabenen Bewußtsein
von Unsterblichkeit und höchster Fülle. Mit dem Verlöschen
des Geistes dämmert das supra-mentale Überbewußtsein,
dem bisher der Geist, das Ego, als einziger im Wege stand.
Der Geist ist die Brutstätte für den Keim von Ahankara, in
dem es wächst und sich zur Legion entwickelt. Der Geist ist gleichsam
der Boden für den Samen von Ahankara, in dem es keimt, wächst
und sich in zahllose Millionen von Zweigen und Trieben entwickelt. Das
Prinzip von Ahankara, das trennende individualistische Bewußtsein,
wird vom Geist getragen. Und umgekehrt; der Geist wird von Ahankara
getragen. Sie sind unzertrennliche Gefährten. Das eine kann ohne
das andere nicht bestehen. Da Ahankara vorhanden ist, beginnt das Geistprinzip
wirksam zu werden. Da der Geist vorhanden ist, wird es dem Ahankara
möglich, sich zu manifestieren. So sind sie von einander abhängig.
Auf dem Geist tanzt der Tänzer Ahankara in unterschiedlicher Weise.
Die Kombination von Ego und Geist findet ihren Ausdruck in Unwissenheit
in Form einer ununterbrochenen Wiederholung von geistigen Vrittis, getäuschtem
Adhyasa, Mamata und Abhimana. Die Yogatechnik mit ihren verschiedenen
Prozessen (Sadhanas) beseitigt diese Grundursache jeden Samsaras, den
Dämon des Ichbewußtseins in seinem mannigfaltigen Ausdruck
als Adhyasa, Vritti, Mamata und Abhimana. Obwohl es eine Tatsache ist,
daß alle vier Yogas einander ergänzen und letztlich einen
integralen Prozeß bewirken, ohne jedoch irgendeine wasserdichte
Einteilung in Bereiche zu haben, zeigt es sich doch, daß sie gleichzeitig
ihre spezielle Aufmerksamkeit und ihren Angriff auf einen dieser vier
wesentlichsten Aspekte lenken, in denen das Ichbewußtsein auf
dem Gebiet der individuellen Persönlichkeit aktiv wirksam wird.
Die Urheber der Wissenschaft und Technik von Yoga formulierten die vier
umfassenden Methoden von Jnana Marga, Raja Yoga, Bhakti Marga und Karma
Yoga als psychologische und spirituelle Prozesse, um den Jiva aus den
Banden von Adhayasa, Chittavritti, Mamata und Abhimana zu befreien,
die alle verschiedene Abarten oder Variationen des Grundprinzips der
Unwissenheit darstellen, die sich als das individualistische Ichbewußtsein
manifestieren. Damit haben sie eine tiefe und wunderbare Einsicht bewiesen
auch in die dunkelsten Vorgänge des vierfachen Geistes und die
drei Guhas, die ihn mitreißen. Sie begründeten die Technik
auf einer vollen Kenntnis der Existenz der Gesetze der Autosuggestion,
des ununterbrochenen positiven Bemühens (Sajatiya Vritti Pravaha)
der Verbindung von Ideen, von Pratipaksha Bhavana (Zusammenwirken von
Gedanke und Gegengedanke), der schöpferischen Kraft des konzentrierten
Gedankens, des Auslöschens durch Vermeidung (Vijatiya-Vritti-Nirodha),
der Sublimierung durch psycho-spirituelle Überlagerung und der
Verneinung der Welterfahrung durch Loslösung des Ichbewußtseins
von allen äußeren persönlichen objektiven Faktoren,
die aus dem Bereich des Wahrnehmbaren darauf übergreifen, des Wirkens
der drei Gunas und des Zusammenwirkens von Prana und Geist. Es wurden
dauerhafte Techniken, um Vervollkommnung zu erlangen, und es zeigte
sich, daß ihre Absicht universell war, aufgrund der Tatsache,
daß die weisen Seher, die dafür verantwortlich waren, ihnen
ihr intuitives Wissen über die grundlegende Zusammensetzung des
Menschen und seine physische, geistige, psychische und spirituelle Natur
zugrunde legten.
Man muß sich darüber völlig klar sein, daß das,
was Yoga letztlich zu erreichen versucht, den Geist vollständig
übersteigt und in seinem Inhalt rein spirituell ist. Aber durch
das, was letztlich erreicht wird, gipfelt der Prozeß in einer
wahren und ungetrübten spirituellen Erfahrung, wobei der Prozeß
von Yoga in seiner grundsätzlichen Anatomie zweifellos psychologisch
ist. Es gibt keine klare und scharfe Abgrenzung zwischen den Anfangsphasen,
die im Bereich der Psychologie wohlbegründet sind, und seiner späteren
Entwicklung in einen höheren Bereich, wenn sich das Individuum
mit fortschreitender Spiritualität der Erfahrung reinen Bewußtseins
an sich weiter annähert, das von jeder niedrigen und minderen begrenzenden
Spielart des von Tamoguna und Rajoguna heimgesuchten vierfachen Geistes
bar und frei ist. Das eine löst sich schrittweise, ohne Komplikationen
und wie selbstverständlich im anderen auf in irgendeiner Phase
im spirituellen Leben des Suchenden, die wiederum von Individuum zu
Individuum unterschiedlich beginnen kann und wird, und für die
kein willkürlicher Zeitpunkt festgelegt werden kann. Und auch da
werden noch im Laufe des gesamten Yogalebens Elemente beider Phasen
vorgefunden, die in unterschiedlichem Maß die ganze Zeit ineinander
übergreifen. So kann es sein, daß ein rein spiritueller Punkt
von Yoga Sadhana einen Teil der Abhyasa Routine des reinen Anfängers
darstellt. Genauso kann es sein, daß in ähnlicher Weise ein
sehr fortgeschrittener spirituell Praktizierender und Yogi einen sehr
gewöhnlichen und scheinbar unbedeutenden psychologischen Behelf
anwendet, der ihm bei einem fortgeschrittenen spirituellen Prozeß
nützlich ist. So wird es sich zeigen, daß die Techniken der
einzelnen Yogasysteme, die weit davon entfernt sind, ein abergläubischer
Vorgang zu sein, dem ein Nichterleuchteter blind folgt, in der Tat eine
wohldurchdachte Anordnung von vitalen und psycho-spirituellen Praktiken
darstellt, die auf der genauen Kenntnis von Wesen und Wirken des geheimnisvollen
menschlichen Geistes und der ›Gunas‹ in den einzelnen Phasen basieren,
in denen sie im Individuum auftreten. Das Gesagte ist ein Versuch, die
innere Anatomie einiger wesentlicher Aspekte von Yoga zu beleuchten,
des alten Systems spiritueller Vervollkommnung und Selbstverwirklichung
Bharatavarshas, das überdauert hat. Es nimmt nicht für sich
in Anspruch, endgültig oder erschöpfend zu sein, vielmehr
ist es seine eigentliche Absicht, dem modernen Menschen eine richtige
Einschätzung und das Erkennen des wahren Wertes des großartigen
Yogasystems zu ermöglichen. |
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