Verwirklichung inneren Friedens

Es gab Höhen und Tiefen, viele Höhen und Tiefen, in dieser spirituellen Wachstumsperiode. Dann kam inmitten des Kampfes ein wundervolles Gipfelerlebnis – die erste Ahnung, wie das Leben in innerem Frieden aussah.
Es geschah an einem frühen Morgen, als ich in der Natur wanderte. Ich fühlte mich plötzlich emporgehoben, höher als je zuvor. Ich erinnere mich, daß ich Zeit-, Raum- und Schwerelosigkeit erfuhr. Ich schien mich nicht auf der Erde zu bewegen. Es waren keine Menschen oder Tiere um mich. Aber jede Blume, jeder Strauch, jeder Baum schien von einem Heiligenschein umgeben. Licht strahlte von jedem Ding aus, und Goldfunken schwebten wie feiner Nieselregen durch die Luft. Diese Erfahrung wird manchmal Erleuchtung genannt.
Das Wichtigste dabei waren nicht die Erscheinungen: das Wichtigste war die Erkenntnis von der Einheit aller Schöpfung, nicht nur aller menschlichen Wesen – ich wußte schon vorher, daß alle menschlichen Wesen eins sind. Aber nun erfuhr ich die Einheit mit der übrigen Schöpfung; den Kreaturen, die die Erde bevölkern, und den Pflanzen, die auf ihr wachsen, der Luft, dem Wasser, der Erde selbst; und das Wunderbarste von allem: eine Einheit mit dem, das alles durchdringt, alles verbindet und allem Leben gibt. Eine Einheit mit dem, das viele Gott nennen würden.

Seitdem habe ich mich nie mehr abgetrennt gefühlt. Ich konnte wieder und wieder zu diesem wundervollen Gipfel zurückkehren, dann für immer längere Zeit dort bleiben und nur noch gelegentlich herausgleiten.
Die Eingebung der Pilgerreise kam zu jener Zeit. Ich saß hoch auf einem Hügel über den Dörfern Neuenglands. Am Tag vorher war ich aus der Harmonie geglitten, und am Abend hatte ich mich an Gott gewandt: „Ich glaube, wenn ich immer in Harmonie leben könnte, so wäre ich von größerem Nutzen - denn, jedesmal wenn ich aus der Harmonie gleite, vermindert das meine Nützlichkeit.“
Als ich in der Morgendämmerung aufwachte, befand ich mich wieder auf dem spirituellen Gipfel mit einem wunderbaren Gefühl. Ich wußte, daß ich nie mehr in das Tal hinabsteigen mußte, ich wußte, der Kampf war für mich vorbei, es war mir schließlich gelungen, mein Leben zu geben und inneren Frieden zu finden. Wie gesagt, dies ist ein Punkt, von dem es kein Zurück mehr gibt. Man kann dann nie mehr in den Kampf zurückkehren. Der Kampf ist vorbei, weil du das Richtige tun willst und nicht mehr dazu gedrängt werden mußt.

Eine Weile ging ich allein spazieren, allein mit Gott. Während ich umherwanderte, kam mir ein Gedanke: Ich fühlte einen starken inneren Drang zu einer Pilgerreise - zu dieser besonderen Art und Weise, Zeugnis für den Frieden abzulegen.
Ich sah mich in Gedanken marschieren und das Gewand meiner Mission tragen ... Ich sah eine Landkarte der Vereinigten Staaten, worauf die großen Städte markiert waren - und es war, als hätte jemand mit einem Buntstift eine Zickzacklinie eingezeichnet, von Küste zu Küste und von Grenze zu Grenze, von Los Angeles bis New York. Ich wußte, was ich tun sollte. Und dies war eine Vision von der Route meiner Pilgerreise im ersten Jahr -1953 !
Ich betrat eine neue und wunderbare Welt. Mein Leben war gesegnet durch eine sinnvolle Aufgabe.
Jedoch war damit die Entwicklung nicht zu Ende. Große Veränderungen haben in dieser dritten Phase meines Lebens stattgefunden. Es ist, als sei das Hauptmotiv des Puzzlespiels meines Lebensvollständig, klar und unveränderlich. Aber rundherum fügen sich andere Teilchen an. Es gibt immer eine Kante, an der das Puzzle erweitert wird, aber die Entwicklung ist harmonisch. Es ist ein Gefühl, ständig von all den guten Dingen wie Liebe, Frieden und Freude umgeben zu sein, wie von einer Schutzhülle; und da ist eine Unerschütterlichkeit, die dir durch jede Situation hilft, die du durchzustehen hast.

Die Welt mag auf dich sehen und glauben, du stündest vor großen Problemen, aber es gibt immer diese inneren Energiequellen, die dich die Probleme mit Leichtigkeit überwinden lassen. Nichts scheint schwer zu sein. Da ist eine Ruhe, eine Heiterkeit und Zeit für alles – du mußt um nichts mehr ringen oder dich abmühen. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich erfahren habe: Wenn dein Leben mit deiner Rolle im Weltgefüge harmoniert, und wenn du die Gesetze, die dieses Universum regieren, befolgst, dann ist dein Leben voll und es ist gut, aber niemals mehr überfüllt. Wenn es zu voll ist, dann tust du mehr als gut für dich ist, mehr als du tun sollst im großen Plan der Dinge.
Nun besteht dein Leben nicht mehr im Nehmen sondern im Geben. Sobald du dich auf das Geben konzentrierst, entdeckst du: genau wie du nichts empfangen kannst, ohne zu geben, kannst du auch nichts geben, ohne zu empfangen – nicht einmal die wundervollsten Dinge wie Gesundheit, Glück und innerer Friede. Du hast ein Gefühl von endloser Energie, die sich niemals erschöpft. Sie scheint so grenzenlos wie die Luft zu sein. Du scheinst geradezu mit der Quelle der Energie des Universums verbunden zu sein.

Jetzt hast du dein Leben unter Kontrolle. Deine höhere Natur, die von Gott gesteuert wird, steuert Körper, Gedanken und Gefühle. (Das Ego ist nie wirklich unter Kontrolle. Das Ego wird gesteuert durch den Wunsch nach Komfort und Bequemlichkeit für den Körper, durch Forderungen des Geistes und durch Gefühlsausbrüche.)
Ich kann zu meinem Körper sagen: „Lege dich hier auf den Zementboden und schlaf ein“, und er gehorcht. Ich kann zu meinen Gefühlen sagen: „Seid ruhig, auch angesichts dieser schrecklichen Situation“, und sie sind ruhig. Ein großer Philosoph sagte einmal: Derjenige, der scheinbar aus dem Rhythmus gekommen ist, folgt vielleicht einer anderen Trommel. Nun folgst auch du einer anderen Trommel – der höheren Natur anstelle der niederen.
Wenn du spirituell erwachsen bist, dann erkennst du, daß jeder Mensch gleich wichtig ist, jeder eine Aufgabe in dieser Welt hat und jeder die gleichen Möglichkeiten besitzt. Wir befinden uns auf vielen verschiedenen Stufen unserer Entwicklung; das kommt daher, daß wir über einen freien Willen verfügen. Es steht dir frei, ob du seelisch und gefühlsmäßig erwachsen werden willst. Viele wollen es nicht. Es steht dir frei, mit der spirituellen Entwicklung zu beginnen. Der Anfang dafür ist der Punkt, an dem du vollkommene Bereitschaft spürst, ohne die geringsten Vorbehalte, das egozentrische Leben hinter dir zu lassen. Viele entscheiden sich dagegen. Aber es waren meine Entscheidung für dieses spirituelle Wachstum und der innere Friede, den ich dabei fand, die mich für meine heutige Pilgerreise vorbereiteten.

Wenn du mit den Augen der göttlichen Natur schaust, so siehst du das Wesen in der Manifestation, den Schöpfer in der Schöpfung, und es ist eine wundervolle, wundervolle Welt!
1952 erkannte ich, daß es für eine Pilgerin jetzt an der Zeit sei, loszumarschieren. In Korea tobte der Krieg, und die McCarthy Ära war auf ihrem Höhepunkt. Es war die Zeit, in der Kongreßausschüsse Menschen für schuldig befanden, solange sie nicht ihre Unschuld beweisen konnten. Es herrschte große Angst in jener Zeit, und am sichersten war es, unbeteiligt zu bleiben. Ja, es war ganz sicher eine Zeit, in der ein Pilger sich aufmachen sollte, da es die Aufgabe eines Pilgers ist, die Menschen aus ihrer Apathie zu reißen und zum Denken zu bringen.
Mit dem letzten bißchen Geld, das ich noch besaß, kaufte ich mir nicht nur Papier und Matrizen für meine erste Botschaft, sondern auch Material für meine erste Tunika. Ich machte zwar den Entwurf, aber genäht hat sie eine Frau in Kalifornien, und beschriftet hat sie ein Mann, der von Beruf Schildermaler war. Meine erste Reaktion, als ich sie zum ersten Mal anzog, war ein von Herzen kommendes „genau so“, und sie gefiel mir sofort.
Dieser Text war auf einem kleinen Flugblatt abgedruckt, von dem sie immer einige Kopien in ihrer Tunika trug, um sich vorzustellen:

Einige einleitende Worte über Peace Pilgrim

Vielleicht seht ihr sie durch eure Stadt wandern oder auf der Landstraße - eine silberhaarige Frau, gekleidet in marineblaue Hosen und Hemd, mit einer kurzen Tunika, die am unteren Ende ganz mit Taschen besetzt ist, worin sie ihren einzigen weltlichen Besitz trägt. Auf der Vorderseite der Tunika leuchtet in weißen Buchstaben „PEACE PILGRIM“ und auf der Rückseite steht: „25000 Meilen zu Fuß für den Frieden.“ Sie ist die 25000 Meilen gelaufen. Aber sie setzt ihren Marsch fort, denn sie hat ein Gelübde abgelegt: „Ich werde ein Wanderer bleiben, bis die Menschheit den Weg des Friedens gelernt hat. Ich werde gehen, bis mir Obdach gewährt wird, und ich werde fasten bis man mir zu Essen gibt.“ Sie geht ohne einen Cent in ihren Taschen, und sie gehört keiner Organisation an. Ihr Marsch ist ein Gebet und eine Gelegenheit, andere anzuregen, mit ihr zu beten und für den Frieden zu arbeiten. Sie spricht zu einzelnen Menschen, wenn sie die Straße entlang geht, zu Versammlungen, wie z.B. kirchlichen Gruppen oder zu Schulklassen, sie verkündet ihre Botschaft durch Zeitungen, Zeitschriften, im Rundfunk und im Fernsehen, wo sie von interessanten und bedeutenden Erlebnissen berichtet und über inneren und äußeren Frieden diskutiert. Sie glaubt, wir haben gelernt, daß der Krieg kein Weg zum Frieden ist - daß Sicherheit nicht in Ansammlungen von Bomben liegt. Sie zeigt auf, daß dies eine Krisenperiode in der Geschichte der Menschheit ist, und daß wir, die wir heute in der Welt leben, zwischen einem Atomkrieg der totalen Vernichtung und einem goldenen Zeitalter des Friedens wählen müssen. Obwohl sie nicht nach Ergebnissen fragt, bescheinigen Tausende von Zuschriften, daß ihre Reise nicht umsonst war, sagen Tausende von Briefen aus: „Seit ich mit Ihnen gesprochen habe, habe ich den Entschluß gefaßt, daß auch ich etwas für den Frieden tun muß.“