Yoga Vidya Titelleiste

Start

Yoga

Ayurveda

Meditation

Yogatherapie

Seminar

Ausbildung

Yogaschulen

Blog

Wiki

Newsletter

Video

Community

Yoga Artikel | Stressmanagement Diplomarbeit Elke Kraus  |

       

Stressmanagement

- 3. Stress -

 

Die beiden Begriffe Spannung und Entspannung bilden Gegenpole eines natürlich angelegten Reaktionsmusters. Heute wird für den Begriff Spannung, vor allem wenn es sich um krankmachende Dauerspannung handelt, in der Psychologie und der Medizin wie auch im Alltagsgebrauch der weiterführende Begriff Stress verwendet. Die Begriffe Entspannung und Stress sind ähnlich eng miteinander verknüpft, wie die Begriffe Gesundheit und Krankheit. Stress und seinen Folgen entgegenzuwirken, ist deshalb der wohl am häufigsten auftretende Motivationsgrund ein Entspannungsverfahren zu erlernen.
Dieses Kapitel behandelt verschiedene Aspekte des Stressgeschehens. Dabei lassen sich Überschneidungen zu dem vorangegangen Kapitel über Gesundheit und Krankheit aufgrund der thematischen Nähe nicht vermeiden. Was die Vorgehensweise betrifft, kläre ich zunächst den Stressbegriff, um im folgenden darauf einzugehen, wie Stress zustande kommt und wie er sich abhängig von der kognitiven Bewertung sowohl auf den Körper als auch auf die Psyche auswirkt. Schließlich zeige ich aktuelle Tendenzen der Stressthematik auf.


3.1 Auseinandersetzung mit dem Stressbegriff

Ursprünglich kommt der längst zum Schlagwort gewordene Begriff Stress aus dem Englischen. Er wird in einem physikalischen Zusammenhang verwendet und zwar speziell in der Materialprüfung. Unter Stress wird in diesem Sinne die Anspannung, Verzerrung und Verbiegung von Metallen oder Glas verstanden (vgl. Vester 1976, S. 14). Der Begriff Stress wird 1950 von dem ungarisch-kanadischen Mediziner Hans Selye (1907-1982) in die Medizin und die Psychologie eingeführt. Selye beschreibt damit etwas Ähnliches: die Belastungen, Anstrengungen und Ärgernisse, denen eine Person täglich durch viele Umwelteinflüsse (wie z.B. Lärm, Hetze, Frustrationen, Schmerz, Existenzangst) ausgesetzt ist. Also Anspannungen, Verzerrungen und Anpassungszwänge, die eine Person aus dem persönlichen Gleichgewicht (der Homöostase) bringen und sie folglich seelisch und körperlich unter Druck setzen (vgl. Vester S. 14). Stress ist demnach eine Anpassungsreaktion auf alles was die Balance lebenswichtiger Funktionen wie zum Beispiel Temperatur oder Blutdruck stört (vgl. Possemeyer 2002, S. 148).
Eine umfassende Definition von Stress liefert Zimbardo (19956): „Stress ist ein Muster spezifischer und unspezifischer Reaktionen eines Organismus auf Reizereignisse, die sein Gleichgewicht stören und seine Fähigkeiten zur Bewältigung strapazieren oder überschreiten. Diese Reizereignisse umfassen eine ganze Bandbreite externer und interner Bedingungen, die allesamt als Stressoren bezeichnet werden. Ein Stressor ist ein Reizereignis, das vom Organismus eine adaptive Reaktion verlangt. Die Stressreaktion ist zusammengesetzt aus einer vielfältigen Kombination von Reaktionen auf unterschiedlichen Ebenen, einschließlich physiologischer, verhaltensbezogener, emotionaler und kognitiver Veränderungen“ (S. 575; Hervorhebungen: E. K.).
Stress ist demnach ein Reaktionsmuster, mit dem eine Person auf physiologischer und psychischer Ebene auf Stressoren antwortet, also auf Reizereignisse, die sein Bewältigungspotential auf die Probe stellen.


3.2 Ursachen von Stress

Stress ist ein Phänomen, dass zum Leben gehört. Dass im Laufe des Lebens Veränderungen auftreten, ist ganz natürlich und unvermeidlich. Die Aussage „Das einzig Beständige im Leben ist der Wandel“ (Macha; Mauermann 1997, S. 7) ist kennzeichnend für vielfältige Veränderungen in der Biographie einer Person, in ihrem alltäglichen Leben, in ihrem gesellschaftlichen Kontext und in ihrer Umwelt. Veränderungen versetzen eine Person zunächst in einen Spannungszustand, der Anpassungsleistungen erforderlich macht. In diesem Sinne können sie auch als Stressoren bezeichnet werden. Eine Möglichkeit Stressoren zu definieren und zu kategorisieren, habe ich bereits im Zusammenhang mit dem Modell der Salutogenese von Antonovsky erwähnt (s.2.4.4).
Antonovsky unterscheidet weiterhin (in Übereinstimmung mit der psychologischen Forschungsliteratur) zwischen drei Arten von Stressoren: „größere Lebensereignisse“, „daily hassles (alltägliche Ärgernisse)“ sowie „chronische Stressoren“ (Faltermaier 1994, S. 48). In diesem Zusammenhang nennt Zimbardo (19956) eine vierte Dimension der Ursachen von Stress, nämlich „unvorhersehbare katastrophale Ereignisse“ (S. 586). Bedeutende Lebensveränderungen, selbst erfreuliche, können ebenso als stressbeladen erlebt werden wie die Ansammlung von alltäglichen Ärgernissen. Chronische Stressoren und Katastrophen können schweren Stress verursachen. Auf diese vier Ursachen von Stress, gehe ich im folgenden näher ein.


3.2.1 Kritische Lebensereignisse

Die heutige Stressforschung beschäftigt sich vor allem mit dem Wandel im Lebenslauf einer Person und fokussiert dabei insbesondere sogenannte „kritische Lebensereignisse“ (Schaufler 2000, S. 118). Kritische Lebensereignisse können beispielsweise Übergänge (Transitionen) in der Biographie einer Person sein, wie beispielsweise der zur Elternschaft. Grundsätzlich können kritische Lebensereignisse sowohl positive (etwa wenn sich zwei Personen ineinander verlieben) als auch negative (etwa von einer geliebten Person verlassen zu werden) Erfahrungen darstellen. Beiden ist jedoch gemein, dass sie einen Einschnitt im Leben einer Person bedeuten, der eine fortlaufende Anpassung an die sich wandelnde Situation erfordert.
Fthenakis et al. (1999) untersuchte in einer Längsschnittstudie den Übergang zur Elternschaft, besonders den Übergang zur Vaterschaft und die damit verbundenen Veränderungen (vgl. ebd., S. 70ff.). Ein Ergebnis ist, dass mit der Geburt eines Kindes eine „Umverteilung der beruflichen und familiären Aufgaben“ (ebd., S. 74) stattfindet, und zwar im Sinne einer traditionellen Rollenverteilung. Die Väter erhöhen ihre Wochenarbeitszeit (von 33,4 auf 39,9 Stunden), wohingegen die Mütter ihre eigene Berufstätigkeit unterbrechen oder ganz aufgeben (vgl. ebd.). Dabei sind vor allem Frauen mit ihrer Rolle unzufrieden Der Stresspegel steigt für beide Elternteile: das Ausmaß von „Streit und Konflikten zwischen den Partnern“ nimmt zu, bei gleichzeitiger Abnahme des Ausmaßes von „Zärtlichkeit und Sexualität“ sowie „von Kommunikation und Austausch“ (ebd., S. 77f.).
Nach Zimbardo (19956) bilden „Veränderungen der allgemeinen Lebenssituation [...] für viele von uns den Kern streßerzeugender Lebensereignisse“ (S. 584). Sie können einer Person wirksames Handeln erschweren oder zu körperlichen Krankheiten führen. Der Einfluss bedeutender Lebensveränderungen auf die körperliche und seelische Gesundheit ist Thema zahlreicher Forschungsprojekte gewesen. Beispielsweise belegen viele Untersuchungen, dass das Ausmaß von Lebensveränderungen, wie es mit der Social Readjustment Rating Scale (SRRS) gemessen wird, vor dem Beginn einer Krankheit signifikant zunimmt. Stress durch Lebensveränderungen wird mit plötzlichem Tod durch Herzinfarkt, Tuberkulose, multipler Sklerose, Diabetes, Komplikationen im Verlauf von Schwangerschaften und bei Geburten, chronischen Krankheiten und vielen „kleineren“ gesundheitlichen Problemen (z.B. Schlaflosigkeit) in Zusammenhang gebracht. Es besteht die Annahme, dass Stress durch Lebensveränderungen die allgemeine Krankheitsanfälligkeit eines Menschen erhöht, wobei Krankheit selbst ein wesentlicher Stressor ist.
Eine Verbesserung der Messung der Auswirkungen von Lebensereignissen bietet der Life Experiences Survey (LES), der zwei typische Eigenschaften hat. Erstens liefert er Werte sowohl für die Zunahme, als auch für die Abnahme von Veränderungen, während die SRRS nur die Zunahme registriert. Zweitens geben seine Werte individuelle Einschätzungen der Ereignisse und ihrer Erwünschtheit wieder. Der Tod eines ungeliebten Ehegatten, der eine große Erbschaft hinterlässt, kann beispielsweise als durchaus erwünscht eingeschätzt werden (vgl. Zimbardo 19956, S. 584f.). Die Skala geht also über die bloße Zählung der Lebensereignisse, an die sich eine Person erinnert, hinaus, indem sie die persönliche Bedeutung jeder Veränderung erfasst.
Ein Problem bei der Untersuchung von Zusammenhängen zwischen stressreichen Lebensereignissen und darauf folgender Erkrankung besteht darin, dass sie meistens retrospektiv angelegt sind. Retrospektiv bedeutet, dass sowohl die Maße für Stress, als auch die Maße für Krankheit erhoben werden, indem man die Versuchspersonen an vergangene Ereignisse erinnern lässt. Das eröffnet die Möglichkeit für Verzerrungen im Gedächtnis, die sich auf das Resultat der Erinnerung verfälschend auswirken. Versuchspersonen, die sich nicht wohl fühlen, können sich beispielsweise mit größerer Wahrscheinlichkeit an Stressoren ihrer Vergangenheit erinnern, als Versuchspersonen, denen es gut geht. Prospektive Untersuchungen kommen jedoch zu ähnlichen Ergebnissen wie retrospektive Untersuchungen: negative Werte in Bezug auf Lebensveränderungen korrelieren signifikant mit den körperlichen Symptomen, die ein halbes Jahr später angegeben werden (vgl. Zimbardo 19956, S. 58).


3.2.2 Alltägliche Ärgernisse

Der Alltag kann mitunter voll verschiedener Frustrationen sein: eine Person ist mit dem Auto unterwegs zu einer wichtigen Verabredung, gerät ausgerechnet dann in einen Verkehrsstau, tritt als sie ankommt und aussteigt in eine Regenpfütze, hetzt mit nassen Schuhen und Socken zu dem Zielgebäude, muss ins achte Stockwerk, der Fahrstuhl ist außer Betrieb, sie nimmt die Treppe und, als sie oben ankommt, steht sie vor „verschlossenen Türen“.
Addieren sich diese alltäglichen Ärgernisse, können sie zu Stressoren werden und die Gesundheit einer Person angreifen. Diesen Zusammenhang zeigt die folgende Untersuchung in der „eine Gruppe weißer Mittelschichtangehöriger mittleren Alters und beiderlei Geschlechts ein Jahr lang Tagebuch über alltägliche Ärgernisse [führte]. Gleichzeitig wurden bedeutende Lebensveränderungen und körperliche Symptome festgehalten. Es zeigte sich eine deutliche Beziehung zwischen den kleinen Störungen und gesundheitlichen Problemen: Je häufiger und je intensiver diese Störungen laut Bericht waren, um so schlechter war es sowohl um die physische als auch um die psychische Gesundheit des Tagebuchführers bestellt“ (Zimbardo 19956, S. 586; Anpassung: E. K.).


3.2.3 Chronische Stressoren

Unmittelbar anstehende Probleme der Arbeit und der ökonomischen Sicherheit stellen eine bedeutende Stressursache für Erwachsene dar. Viele Probleme, die mit Stress zusammenhängen, nehmen in Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs zu. Zum Beispiel steigen Aufnahmen in psychiatrische Anstalten, Säuglingssterblichkeit, Selbstmorde und Todesfälle aufgrund alkoholbedingter Erkrankungen sowie Herz-Kreislauferkrankungen (vgl. Zimbardo 19956, S. 587).
Die Globalisierung der Wirtschaft ist kein neues Phänomen. Intensität und Reichweite weltweiter Interaktionen zwischen Unternehmen, Kulturen und politischen Systemen haben allerdings seit Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts und insbesondere seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes deutlich zugenommen. Durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien werden geographische Distanzen und Landesgrenzen immer bedeutungsloser und erlauben intensive Kommunikation quer über den Globus ohne Standortwechsel der Beteiligten. Globalisierung eröffnet neue Chancen wirtschaftlichen Wachstums. Die Beschäftigten werden dadurch jedoch mit neuen Arbeits- und Organisationsformen konfrontiert, mit zunehmenden Beschäftigungsrisiken und einer Intensivierung der Arbeit. Das Tempo des sozioökonomischen Wandels hat deutlich zugenommen, Sicherheit und Berechenbarkeit der Markt- und Arbeitsverhältnisse haben dagegen spürbar abgenommen. Diese Tatsache stellt einen weiteren, aktuell sehr bedeutenden chronischen Stressor dar (vgl. Graham; Takala; Machida 2003, S. 12).
Des Weiteren erzeugt die „Zerstörung des ökologischen Lebensraums“ (Hurrelmann 1990, S. 155) sowohl psychischen Stress als auch physische Bedrohung. Die chemischen Errungenschaften der modernen Technologie sind auch Ursache der Verseuchung ganzer Landstriche, deren Bewohner evakuiert werden müssen. Der Störfall im Atomkraftwerk von Three Mile Island im Jahre 1979 und das darauffolgende Ausströmen radioaktiver Dämpfe sowie die Katastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 sind Beispiele für umweltbedingte Stressoren. „Diejenigen, die in der Umgebung lebten, erlebten beträchtlichen Stress, denn sie fürchteten die unmittelbaren und die langfristigen Folgen für ihre Gesundheit“ (Zimbardo 19956, S. 587).
Schließlich gilt der heutige Straßenverkehr mit seinem hohen Lärmpegel, seiner hohen Dichte an optischen Eindrücken und seinen vielen angstauslösenden Situationen als „Streßverursacher erster Ordnung“ (Knörzer 1994, S. 234).

3.2.4 Katastrophale Ereignisse

Die Erforschung der körperlichen und seelischen Auswirkungen katastrophaler Ereignisse, traumatischer Erlebnisse, ist äußerst aufschlussreich: in den Reaktionen von Personen auf Katastrophen treten in vorhersehbarer Weise fünf Phasen auf (vgl. Zimbardo 19956, S. 586).
• Typischerweise gibt es erst eine Phase des Schocks und sogar der „psychischen Abstumpfung“ (Zimbardo 19956, S. 586), während der die Personen das, was geschehen ist, nicht in vollem Umfang begreifen können.
• Die nächste Phase beinhaltet das, was als „automatisches Handeln“ (ebd.) bezeichnet wird. Es wird versucht auf die Katastrophe zu reagieren und es gelingt sich anpassungsorientiert zu verhalten. Die betroffenen Personen sind sich jedoch dessen, was sie tun, nicht richtig bewusst und können sich später an die Erfahrungen dieser Phase nur schlecht erinnern.
• Während der nächsten Phase spüren sie, dass sie etwas erreicht haben. Sie haben sogar ein positives Gefühl der Anstrengung für ein Ziel. In dieser Phase fühlen sie sich müde und merken, dass sie ihre Energiereserven aufbrauchen.
• Während der vierten Phase erfahren sie „ein Nachlassen“: ihre Energien sind erschöpft, „der Eindruck der Tragödie schlägt schließlich durch“ und wird emotional empfunden (ebd.).
• Darauf folgt eine ausgedehnte Phase der Erholung, in der die Personen sich wieder ausruhen und mit den aus der Katastrophe resultierenden Veränderungen umgehen.
Die Kenntnis dieser typischen Reaktionsphasen liefert ein Modell, zur Vorhersage der Reaktionen von Personen auf Katastrophen. Dadurch wird es Helfern leichter gemacht, die Probleme, die auftauchen werden, zu antizipieren und entsprechende Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Reaktionen auf so unterschiedliche Ereignisse wie Überschwemmungen, Tornados, Flugzeugabstürze und Explosionen von Fabriken folgen diesem Modell (vgl. Zimbardo 19956, S. 586).


3.3 Auswirkungen von Stress

3.3.1 Die Bedeutung der kognitiven Bewertung

Die Reaktion auf einen Stressor ist von Person zu Person (interindividuell) verschieden. „Einige Menschen erleben ein stressreiches Ereignis nach dem anderen, ohne zusammenzubrechen, wohingegen sich andere sogar bei wenig Stress aufregen, da sich die meisten Stressoren nicht direkt auswirken“ (Zimbardo 19956, S. 576). Ihr Effekt ist abhängig von der kognitive Bewertung eines Stressors (ob er als Bedrohung oder als Herausforderung gesehen wird). Die kognitive Bewertung wird auch als „Moderatorvariable“ (ebd.) bezeichnet, da sie die Wirkung eines wahrgenommenen Stressors moderiert. Weitere Moderatorvariablen sind innere und äußere Ressourcen zum Umgang mit einem Stressor, Einstellungen und Bewältigungsmuster (vgl. ebd.). Das Gefühl der Kohärenz, welches ebenfalls entscheidend dazu beiträgt, wie ein Stressor wahrgenommen und bewertet wird, habe ich bereits im Rahmen des Modells der Salutogenese (s.2.4.4) dargestellt.
Bevor eine Stressreaktion einsetzt muss der Stressor zunächst sinnlich wahrgenommen und dann bewertet worden sein. Die kognitive Bewertung (cognitive appraisal) spielt eine zentrale Rolle bei der Situationsdefinition: was für eine Anforderung es ist, wie groß die Bedrohung ist, welche Ressourcen für Gegenmaßnahmen zur Verfügung stehen und welche Strategien angemessen sind.
Einige Stressoren, beispielsweise ein Autounfall, eine schwere körperliche Krankheit oder der Tod einer geliebten Person, werden von fast allen Menschen als Bedrohung betrachtet. Viele andere Stressoren können jedoch auf unterschiedliche Weisen gesehen werden, abhängig von der allgemeinen Lebenssituation, der Beziehung dieser bestimmten Anforderung zu wichtigen Zielen, der Kompetenz zu ihrer Bewältigung und der Bewertung dieser Kompetenz. Die Bewertung eines Stressors und der Ressourcen zu seiner Bewältigung können für die bewusste Erfahrung, für die Auswahl geeigneter Bewältigungsstrategien und für den erfolgreichen Umgang mit Stress genauso wichtig sein wie der Stressor. Wird ein Stressor so interpretiert, dass er das Handlungspotential überfordert, so wird eine sich selbst erfüllende Prophezeiung geschaffen (vgl. Zimbardo 19956, S. 577). Wahrscheinlich wird eine Person scheitern, selbst wenn sie objektiv in der Lage wäre, mit der Herausforderung angemessen umzugehen (s.4.2).

Mittels der kognitiven Bewertung kann ein Stressor als interessante und neue Herausforderung definiert werden, die eine Person dann gerne annimmt, anstatt ihn als Bedrohung zu erleben. Eine Stresserfahrung kann daher durchaus anregend sein, eine Art „Aufputschen“ und Erwartungen von Erfolg sowie gesteigertes Selbstbewusstsein nach sich ziehen. Solch eine positive Reaktion auf Stressoren wird als Eustress im Gegensatz zu Distress bezeichnet. Eustress ist demnach „zur Gesunderhaltung des Gesamtorganismus notwendig und gut“, wohingegen Distress „unser Leib-Seele-Gleichgewicht auf Dauer stören und zu psychosomatischen Krankheiten führen kann“ (Schenk 1993, S. 11).
Ob ein Stressor als Herausforderung oder Belastung gesehen wird, liegt demnach im Erleben des Subjektes, es gibt keinen objektiven Maßstab dafür, was als positiver oder negativer Stress erlebt wird (vgl. Schaufler 2000, S. 117). Eine Person reagiert also nicht direkt auf einen Stressor, sondern auf das, was ihre Wahrnehmung und ihre Interpretation ihr zeigen.

Richard Lazarus, ein Pionier der Stressforschung, hat 1966 zwei Stufen der kognitiven Bewertung von Anforderungen unterschieden (vgl. Zimbardo 19956, S. 577).
• Die primäre Bewertung (primary appraisal) bezieht sich auf die Bewertung der Merkmale einer Situation, das heißt belastende Ereignisse können als Bedrohung, Herausforderung oder als irrelevant für das eigene Wohlbefinden eingeschätzt werden;
• Die sekundäre Bewertung (secondary appraisal) bezieht sich auf die Einschätzung der persönlichen und sozialen Ressourcen, das heißt der eigenen Möglichkeiten, eine belastende Situation allein oder mit Unterstützung anderer zu bewältigen (vgl. ebd.).

Während die Maßnahmen zur Stressbewältigung ausprobiert werden, wird die Bewertung fortgesetzt. Falls die erste Maßnahme unwirksam bleibt und der Stress andauert, werden neue Reaktionen in Gang gesetzt. Es kommt zu chronischem Stress, einem „Erregungszustand, der andauert, während die Anforderungen von der Person als größer als die verfügbaren inneren und äußeren Ressourcen zur Bewältigung wahrgenommen werden“ (Zimbardo 19956, S. 577). Die kognitive Bewertung definiert also die Anforderung. Die primäre Bewertung stellt fest, ob eine Anforderung stressreich ist, die sekundäre bewertet die verfügbaren persönlichen und sozialen Ressourcen und die Angemessenheit von Handlungsmaßnahmen. Bei chronischem Stress werden die Anforderungen im Laufe der Zeit größer als die Ressourcen.
Das transaktionale Stressmodell von Lazarus ist wohl die einflussreichste Stressbewältigungstheorie. Beispielsweise wurde es von Antonovsky aufgegriffen und im Rahmen seiner Theorie der Gesundheit erweitert (s.2.4.4). Es ermöglicht einen Perspektivenwechsel von der objektiven Belastungsseite zu subjektiven Bewältigungsprozessen, also zu den mit der Bewältigung von Stress (Coping) verbundenen Anpassungsleistungen einer Person. Stress ist demnach keine unveränderliche Einflussgröße, sondern verändert sich durch individuelle Informationsverarbeitung und durch situationsbezogene Variablen.
In diesem Zusammenhang bin ich der Meinung, dass die Bewertung eines Stressors nicht nur interindividuell verschieden ist, sondern sich auch intraindividuell verändern kann. Das Leben einer Person befindet sich in einem ständigen Wandel, so dass ein und der selbe Stressor unterschiedlich bewertet werden kann: abhängig zum Beispiel von der jeweiligen Tagesform oder vom jeweiligen Entwicklungsstand einer Person. Aus existenzphilosophischer Sicht ist selbst die Entwicklung eines Menschen nicht „stetig“ (Bollnow 1965, S. 18). Sie ist kein linearer Prozess, was bedeutet, dass eine Person in ihrem Lebenslauf kreisförmig verschiedene Entwicklungsstufen immer wieder durchläuft. Eine Person kann insofern „mal mehr und mal weniger verkraften“, so dass der gleiche Stressor von der gleichen Person zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben (unabhängig von ihrem Lebensalter), unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden kann.


3.3.2 Physische Stressreaktionen

Das Gehirn hat sich ursprünglich als Zentrum zur effektiveren Koordination von Handlungen entwickelt. Effizienz bedeutet in diesem Zusammenhang Flexibilität der Reaktionen auf sich verändernde Umweltanforderungen und auch eine schnellere, oft automatische Reaktion. Eine vom Gehirn kontrollierte physiologische Stressreaktion tritt dann auf, wenn ein Organismus eine äußere Bedrohung wahrnimmt (beispielsweise einen Angreifer). Sofortiges Handeln und besondere Stärke sind erforderlich, damit der Organismus überlebt. Eine ganze Konstellation automatischer Mechanismen hat sich in der Phylogenese (Stammesgeschichte der Lebewesen) entwickelt, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.
Da ich der Meinung bin, dass es sowohl für die theoretische als auch für die praktische Beschäftigung auf diesem Gebiet von Bedeutung ist biologische und medizinische Aspekte zu beachten, um z.B. den Zusammenhang zwischen Stress und Krankheit herzustellen gehe ich im Folgenden auf die Stressphysiologie ein.

Die Alarmreaktion
In den 1920ern entwirft der Physiologe Walter Cannon (1871-1945), die erste wissenschaftliche Beschreibung der Reaktion von Tieren und Menschen auf äußere Gefahren. Er findet heraus, dass in den Nerven und Drüsen eine Abfolge von Aktivitäten ausgelöst wird, die den Körper auf Gegenwehr und Kampf oder auf Flucht in die Sicherheit vorbereitet. Cannon nennt diese grundlegende zweifache Stressreaktion „fight-or-flight syndrome“ (Zimbardo 19956, S. 578).
In diesem Zusammenhang wird Stress von Selye definiert als „ein unspezifisches, stereotypes, phylogenetisch altes Antwortmuster, das primär den Organismus für physische Aktivität wie Kampf oder Flucht vorbereitet“ (Eiff 1976, S. 3). Demnach handelt es sich bei der körperlichen Stressreaktion um ein angeborenes Muster. Die Stressreaktion, auch als Alarm- und Notfallreaktion bezeichnet, ist eine entwicklungsgeschichtlich alte Funktion, die der Mensch mit höherentwickelten Tieren gemeinsam hat (vgl. Knörzer 1994, S. 233). Sinn der Stressreaktion ist ursprünglich die Lebenserhaltung durch einen reflexartigen Angriffs- und Fluchtmechanismus. Der vollständige Ablauf dieser Stressreaktion besteht aus drei Phasen, die in Abb.3 dargestellt und in Bsp.1 erläutert sind.



Abb.3.: Der vollständige Ablauf einer Stressreaktion

Stress


Bsp.1.: (modifiziert) nach Knörzer (1994, S. 233)
Ein Steinzeitmensch, nur mit Fellen bekleidet und mit einer Keule bewaffnet, streift durch den Busch. Plötzlich hört er ein Knacken, sieht den Schatten eines sich nähernden gefährlichen Tieres, nimmt dessen Geruch wahr (Reiz). Ohne nachzudenken läuft er blitzschnell davon und bringt sich an einen ruhigen Platz in Sicherheit (Flucht), wo er sich ausruht (Regeneration).

Die Alarmreaktion wird demnach durch einen bedrohlichen Reiz, nämlich das gefährliche Tier, ausgelöst (vgl. Knörzer 1994, S. 233). Der gesamte Organismus ist auf zwei mögliche Verhaltensweisen programmiert: Flucht oder Angriff. Ohne weiteres Nachdenken wird unwillkürlich die Entscheidung für eine der beiden Verhaltensweisen getroffen und diese dann ausgeführt (in diesem Beispiel Flucht). Nach der erfolgten körperlichen Handlung ist eine Ruhepause zur Regeneration des Organismus notwendig (vgl. Olschewski 1995, S. 71). In diesem Zusammenhang gewinnen Entspannung und Entspannungsverfahren als Bewältigungsmaßnahme von Stress an Bedeutung (s. 4.4).
Folgende Vorgänge sind für den Ablauf der Stressreaktion verantwortlich. Die von den Sinnesorganen aufgenommenen Wahrnehmungsimpulse laufen sofort in eine Region des Zwischenhirns, wo sie Angst verursachen (Knörzer 1994, S. 233). Hierbei spielt der Hypothalamus eine zentrale Rolle. Wegen seiner doppelten Funktion bei Notfällen wird er von manchen Autoren als „Stresszentrum“ (Zimbardo 19956, S. 578) bezeichnet: er kontrolliert erstens das autonome Nervensystem und zweitens aktiviert er die Hypophyse (vgl. Zimbardo 19956, S. 578).

• Das autonome (oder vegetative) Nervensystem reguliert die Aktivitäten der Körperorgane und untersteht normalerweise nicht der direkten Kontrolle einer Person . Es ist unterteilt in den Sympathikus (zuständig für die Stressreaktion) und den Parasympathikus (zuständig für die Entspannungsreaktion) (vgl. Zimbardo 19956, S. 131f.). Angesichts einer als stressreich bewerteten Bedingung finden (auf der Aktivität des Sympathikus beruhend) folgende physiologische Veränderungen im menschlichen Organismus statt: die Atmung wird schneller und stärker, der Herzschlag beschleunigt sich, die Blutgefäße verengen sich und der Blutdruck steigt. Zusätzlich zu diesen inneren Veränderungen öffnen Muskeln die Wege durch Hals und Nase, um mehr Luft in die Lungen zu lassen. Zugleich verändern sie den Gesichtsausdruck so, dass starke Emotionen sichtbar werden. An die Eingeweidemuskulatur geht die Botschaft, bestimmte Körperfunktionen, zum Beispiel die Verdauung, einzustellen. Die Sexualfunktion und die Immunabwehr, ebenfalls Funktionen, die im Moment der Stressreaktion nicht gebraucht werden, werden „abgeschaltet“ (Olschewski 1995, S. 71). Damit wird jegliche Energie ungeteilt auf die Begegnung mit der Gefahr ausgerichtet. Ferner erfolgt das Signal, dass die Nebennieren die beiden Hormone, Adrenalin und Noradrenalin, ausschütten, die wiederum eine Reihe von Organen anweisen, ihre speziellen Funktionen auszuüben. Die Milz stellt mehr rote Blutkörperchen her, um im Fall einer Verletzung die Blutgerinnung zu unterstützen. Das Knochenmark wird angeregt, mehr weiße Blutkörperchen zu produzieren, um Infektionen zu bekämpfen. Die Leber wird angeregt, die Zuckerproduktion zu steigern, um mehr Energie für den Körper bereitzustellen (vgl. Groetschel 1984, 36ff.). Dabei wird angenommen, dass Adrenalin eine größere Rolle bei Angstreaktionen und Flucht spielt, während Noradrenalin mehr mit Reaktionen der Wut und Gegenwehr zusammenhängt (vgl. Zimbardo 19956, S. 578).
• Die Hypophyse reagiert auf die Signale aus dem Hypothalamus, indem sie zwei für die Stressreaktion wesentliche Hormone ausschüttet, das thyrotrophe Hormon und adrenocorticotrophe Hormon (ACTH). Ersteres regt die Schilddrüse an, die ihrerseits dem Körper mehr Energie zur Verfügung stellt. Das stimuliert die Nebennieren, was zur Ausschüttung einer Gruppe von Hormonen führt, die Stereoide heißen und für Stoffwechselprozesse und die Ausschüttung von Zucker aus der Leber ins Blut von Bedeutung sind. ACTH signalisiert verschiedenen Körperorganen die Ausschüttung von etwa dreißig anderen Hormonen , von denen jedes bei der Anpassung des Körpers an den Stressor eine Rolle spielt (vgl. Zimbardo 19956, S. 578).

Der reflexartige Ablauf der Stressreaktion ist für den modernen Menschen genauso überlebensnotwendig wie für den Steinzeitmenschen. Dies lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen.

Bsp.2.: (modifiziert) nach Knörzer (1994, S. 234)
Eine Person läuft gedankenverloren über eine verkehrsreiche Straße. Plötzlich hört sie das Hupen und die Bremsgeräusche eines Autos. Mit einem schnellen Sprung bringt sie sich auf den Gehsteig in Sicherheit. Die durch das Hupen ausgelöste Alarmreaktion hat bewirkt, dass sie, ohne nachzudenken, blitzschnell der Gefahr ausweichen konnte. Nimmt sich diese Person anschließend auch noch die Zeit, um sich von dem Schreck zu erholen, vielleicht indem sie mehrmals tief durchatmet, bis sich ihr Herzschlag und ihre Atmung wieder beruhigt haben, so ist die Stressreaktion auch hier vollständig und durchaus gesundheitsfördernd verlaufen.

Wenn eine Person blitzartig mit Flucht oder Angriff reagiert, so geschieht dies vollkommen automatisch und unter Ausschaltung des Großhirns. Denn jedes Denken, jede Überlegung wäre Zeitverschwendung und würde eine große Gefahr für das Überleben darstellen. Durch die beschriebenen hormonellen Veränderungen wird der Organismus in einen Zustand gebracht, der zu körperlichen Höchstleistungen befähigt. Wird eines der beiden Handlungsmuster, Angriff oder Flucht durchgeführt, verbraucht der Körper die mobilisierte Energie. Die Überregung der Nervenbahnen wird zurückgedreht. Danach setzt eine Entspannungsreaktion und Aktivierung des parasympathischen Nervensystems ein. Die verbrauchten Kräfte können sich in einer Ruhepause regenerieren. Der Stressmechanismus und seine Folgen sind also ursprünglich und auch heute natürlich und sogar gesundheitsförderlich, da sie eine Person vor größeren Verletzungen schützen (z.B. im Straßenverkehr) und damit lebenserhaltend sind. Insofern stellt sich die Frage, warum Stress die Mehrzahl der gegenwärtigen Krankheiten mitbedingt.
Dazu ist es notwendig Reize (Stressoren), die gegenwärtig die Stressreaktion auslösen, zu betrachten. Am Beispiel des Straßenverkehrs lässt sich erkennen, warum diese Stressreaktionen eine Person krank machen kann. Angenommen aus einer Seitenstrasse schießt ein Auto hervor, nimmt ihr die Vorfahrt, so dass sie gerade noch rechtzeitig ausweichen oder bremsen kann, so ist es für diese Person unmöglich zu fliehen oder anzugreifen. Es ist ganz im Gegenteil wichtig ruhig zu bleiben, um angemessen reagieren zu können. Hinter dem Steuer sitzend kann sie sich nicht körperlich abreagieren, so dass beispielsweise die während der Stressreaktion mobilisierten Fettsäuren nach und nach in Cholesterin umgewandelt werden. Das Cholesterin lagert sich direkt in die Blutgefäße ein, was die Arteriosklerose (eine Zivilisationskrankheit) beschleunigt. Die erhöhten Blutgerinnungsfaktoren steigern zusätzlich die Thrombosegefahr .
Die gleichen Stressreaktionen treten auch als Folge von psychischen Stressoren auf, zu deren Bewältigung sie jedoch nicht angemessen sind, da oftmals keine körperliche Aktivität, die zusätzliche Kraft und Energie verbraucht, erforderlich ist (vgl. Zimbardo 19956, S. 586).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass physiologische Stressreaktionen automatische Mechanismen sind, die rasche „Notfallhandlungen“ erleichtern. Sie werden durch den Hypothalamus reguliert und umfassen mehrere Alarmreaktionen des Körpers, die durch die Aktivität des Autonomen Nervensystems und der Hypophyse ausgelöst werden. Sie verringern die Schmerzempfindlichkeit und liefern zusätzliche Energie für Flucht oder Widerstand. Sie sind nützlich bei der Bekämpfung physischer Stressoren, können jedoch in Reaktion auf psychische Stressoren, insbesondere bei schwerem oder andauerndem Stress, schädlich wirken.

Das allgemeine Adaptionssyndrom
Selye ist der erste, der die Auswirkungen von andauerndem schweren Stress auf den Körper mit wissenschaftlichen Mitteln untersucht. Als Endokrinologe interessiert er sich für Stressoren, die die Körperfunktionen bedrohen. Nach Selyes Stresstheorie gibt es viele Arten von Stressoren, einschließlich aller Krankheiten und vieler anderer körperlicher und psychischer Bedingungen. Allen ist jedoch gemeinsam, dass sie eine Anpassung des Organismus verlangen, damit dessen Unversehrtheit und Wohlbefinden aufrechterhalten oder wiederhergestellt wird (vgl. Zimbardo 19956, S. 579). Zusätzlich zu den Reaktionen, die für einen bestimmten Stressor spezifisch sind, wie zum Beispiel die Verengung der Blutgefäße als Reaktion auf Kälte, gibt es ein typisches Muster unspezifischer adaptiver physiologischer Mechanismen. Dieses Muster tritt in Reaktion auf eine fortgesetzte Bedrohung durch jeden ernstzunehmenden Stressor auf. Selye bezeichnet dieses Muster als allgemeines Adaptionssyndrom.
Er findet eine charakteristische Abfolge von drei Phasen, die dieses Syndrom kennzeichnet: eine Alarmreaktion, eine Phase der Resistenz und eine Phase der Erschöpfung (vgl. Selye 1957, S. 44f.).

• Die Alarmreaktion besteht aus physiologischen Veränderungen, durch die ein bedrohter Organismus unmittelbar die Wiederherstellung seines normalen Funktionsniveau zu erreichen versucht. Ob der Stressor ein physischer ist, wie unzureichende Ernährung, Schlafmangel, Krankheit oder Verletzung, oder ein psychischer, wie Verlust von Liebe oder persönlicher Sicherheit, die Alarmreaktion besteht immer aus dem gleichen allgemeinen Muster körperlicher und biochemischer Veränderungen. Beispielsweise scheinen sich Menschen, die an ganz unterschiedlichen Krankheiten leiden, alle über Symptome wie Kopfschmerzen, Fieber, Müdigkeit, Schmerzen in Muskeln und Gelenken, Verlust des Appetits und ein allgemeines Gefühl des Unwohlseins zu beklagen. Im Unterschied zu den Notmaßnahmen der Mobilisierung von Verhaltensreaktionen gegen eine äußere Gefahr, mobilisiert die Alarmreaktion die körpereigene Abwehr zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts (vgl. Zimbardo 19956, S. 580).
• Dauert die stressauslösende Situation an, so folgt auf die Alarmreaktion die Phase der Resistenz, während der der Organismus einen Widerstand gegenüber dem Stressor zu entwickeln scheint. Obwohl die belastende Stimulation andauert, verschwinden die Symptome, die während der ersten Phase auftreten, und die physiologischen Prozesse, die durch die Alarmreaktion in Aufruhr geraten sind, folgen wieder ihren normalen Abläufen (vgl. Selye 1957, S. 148f.). Diese Resistenz gegen den Stressor scheint hauptsächlich durch gesteigerte Hormonausschüttungen aus dem Hypophysenvorderlappen und den Nebennieren bewirkt zu werden (vgl. Zimbardo 19956, S. 579). Auch wenn es in dieser zweiten Phase eine größere Resistenz gegenüber dem ursprünglichen Stressor gibt, so ist doch die Resistenz gegenüber anderen Stressoren reduziert. Selbst ein schwacher Stressor kann in diesem Stadium eine starke Reaktion hervorrufen, wenn die Ressourcen des Körpers durch den Widerstand gegen einen früheren, mächtigeren Stressor gebunden sind (vgl. Selye 1957, S. 148f.). Beispielsweise stellen einige Menschen fest, dass sie leichter gereizt reagieren, während sie dabei sind, sich von einer Grippe zu erholen. Die allgemeine Resistenz gegenüber Krankheit ist während dieser Phase reduziert, wenn auch die Anpassung an die spezifischen schädlichen Einflüsse verbessert ist (vgl. Zimbardo 19956, S. 579).
• Wenn der Organismus den schädlichen Stressoren zu lange ausgesetzt ist, wird ein Punkt erreicht, an dem es ihm nicht länger möglich ist, die Resistenz aufrechtzuerhalten. Dann tritt er in die dritte Phase des allgemeinen Adaptionssyndroms, in die Phase der Erschöpfung. Der Hypophysenvorderlappen und die Nebennieren können die erhöhte Hormonausschüttung nicht länger aufrechterhalten. Das bedeutet, dass der Organismus sich nicht mehr an den Dauerstress anpassen kann. Viele Symptome aus der Phase der Alarmreaktion treten in dieser Phase wieder auf. Wirkt der Stressor weiter auf den Organismus ein, so können laut Zimbardo (19956) „die Zerstörung von Körpergewebe und, im Extremfall, der Tod als Folge eintreten“ (S. 580).

Das Konzept des allgemeinen Adaptionssyndroms hat sich bei der Erklärung von Störungen als nützlich erwiesen, die den Ärzten zuvor verwirrend vorkamen. Innerhalb dieses Rahmens können sie als Ergebnis physiologischer Prozesse betrachtet werden, die mit den andauernden Versuchen des Körpers, mit einem als gefährlich wahrgenommenen Stressor zurechtzukommen, zusammenhängen.
Als Mediziner hat sich Selyes Forschung auf physische Stressreaktionen bei Versuchstieren, beispielsweise Ratten im Labor konzentriert (vgl. Selye 1957). Insofern hat seine Theorie wenig über die Bedeutung psychischer Aspekte von Stress beim Menschen zu sagen, insbesondere bezüglich der kognitive Bewertung einer Situation (s.3.3.1), die darüber bestimmt, welche physiologischen Reaktionen auftreten.

Stress und Krankheit
In Selyes Theorie wird betont, dass die Stressreaktion als Reaktion auf verschiedene Stressoren, Krankheit eingeschlossen, auftritt. Die Theorie zeigt auch, wie eine lang andauernde Stressreaktion selbst zu Krankheit führen kann (vgl. Zimbardo 19956, S. 580).
Beispielsweise hängt Bluthochdruck, eine Krankheit die das Risiko für Herzanfälle und vorzeitigen Tod erhöht mit Stress zusammen. Auch Herz-Kreislauferkrankungen hängen mit der physiologischen Stressreaktion zusammen, da das Herz bei „all diesen Prozessen ständig belastet ist“ (Groetschel 1984, S. 38). Seyle (1957) bezeichnet stressbedingte Krankheiten als „Anpassungskrankheiten“ (diseases of adaptation) (S. 150). Dazu zählt er zum Beispiel „Bluthochdruck, Krankheiten des Herzens und der Blutgefäße, Nierenkrankheiten, [...], rheumatische und rheumatoide Gelenkentzündungen, Entzündungskrankheiten der Haut und der Augen, Infektionskrankheiten, allergische und Überempfindlichkeitskrankheiten, nervöse und geistige Leiden, Sexualstörungen, Krankheiten des Verdauungsapparates, Stoffwechselkrankheiten, Krebs und Krankheiten der Widerstandsfähigkeit im allgemeinen“ (ebd., S. 152). Viele dieser Krankheiten habe ich bereits unter dem Stichwort Zivilisationskrankheiten erwähnt, so dass sich vor dem Hintergrund eines steigenden Stresspegels, auch die Zunahme der stressbedingten Krankheiten erklären lässt.

Nach Zimbardo (19956) können Stressoren auf drei Wegen als kausale Faktoren bei der Entstehung von Krankheiten wirksam werden:
• Erstens können lang andauernder schwerer Stress oder chronische Erregung, die aus der Wahrnehmung von Bedrohung entstehen, mit der Zeit zu Ausfällen der physiologischen Funktionen und zu Krankheit führen. Wie bereits erwähnt, ist die „automatische“ körperliche Reaktion für die meisten psychischen Stressoren unangemessen. Sie tritt dennoch auf, und es spielt keine Rolle, ob Menschen sich ängstlich, bedroht oder unter Druck fühlen. Es ist die persönliche Bewertung der Situation, auf die es ankommt, nicht deren objektive Realität. Psychosomatische Störungen sind körperliche Krankheiten, von denen angenommen wird, dass Emotionen und Denkprozesse eine zentrale Rolle spielen. Sie werden oft als Anpassungsstörungen bezeichnet, weil ihre Ursprünge im Versuch des Organismus liegen, sich an Stressoren anzupassen. Magengeschwüre oder hoher Blutdruck sind klassische Beispiele für adaptionsbedingte Krankheiten, wenn auch nicht alle Fälle durch Stress zustande kommen. Viele Krankheiten können ihre Ursachen in physiologischen oder psychischen Faktoren oder einer Kombination von beiden haben. Damit ein chronischer psychischer Stressor zu einer körperlichen Krankheit führt, muss eine Person hinsichtlich eines bestimmten Teils des körperlichen Systems eine konstitutionelle Verwundbarkeit (Vulnerabilität), und einen nicht effektiven Stil zur Bewältigung der Stresssituation aufweisen. Entweder nimmt die Person die chronische emotionale Erregung gar nicht bewusst wahr, oder sie glaubt, es gäbe keine bessere Art, mit der schwierigen Situation umzugehen (vgl. Zimbardo 19956, S. 581).
• Zweitens können Stressoren krank machen, wenn die komplexen physiologischen Mechanismen des allgemeinen Adaptionssyndroms nicht angemessen funktionieren und selbst krankheitsverursachend wirken. Abwehrprozesse, die normalerweise der Wiederherstellung des Normalzustandes dienen, werden in extremer oder unnötiger Weise eingesetzt. Der Körper zeigt eine Überreaktion oder eine unangemessene Antwort auf Stressoren, die seine Stabilität bedrohen können. Da der Körper nicht immer weiß, welche „Angreifer“ potentiell schädlich sind, begeht er in manchen Fällen einen Irrtum und reagiert dann aversiv auf Reize, die in Wirklichkeit gutartig sind. Allergische Reaktionen sind das deutlichste Beispiel dafür: Blütenstaub hat keine direkten schädlichen Auswirkungen auf den Körper und dennoch bringt Blütenstaub bei einigen Personen eine allergische Reaktion hervor. Diese besteht aus einer Entzündung der Nasenschleimhäute und einem allgemeinen Adaptionssyndrom, das den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht. Allergien werden als Anpassungskrankheiten bezeichnet, da der Körper den Stressor als Gefahrenquelle bewertet und eine unnötige Stressreaktion hervorbringt (vgl. Zimbardo 19956, S. 581).
• Drittens kann der kontinuierliche Prozess der Adaption, die dadurch bedingte Erschöpfung des Energievorrates des Organismus und die kumulative Schädigung der Organsysteme zur Erkrankung führen. Jede Person verfügt über begrenzte Energievorräte, die sie nutzen kann, um mit Stressoren umzugehen. Sind sie erschöpft, so kann sie die Stressoren nicht länger bewältigen und wird krank. Dies ist der Grund dafür, dass alle Organismen im Laufe des allgemeinen Adaptionssyndroms schließlich die Phase der Erschöpfung erreichen, wenn der Stressor nicht entfernt wird. Selbst wenn eine Person ein aktives, gesundheitsbewusstes Leben führt, so wird doch bei der erfolgreichen Bewältigung aller spezifischer Stressoren, die auftreten, einige Energie für diese Anpassungsleistung verbraucht. Selye behauptet das Richtige zu tun, bedeute, die eigene Adaptionsenergie gut einzuteilen, statt sie durch Reaktionen auf zivilisationsbedingte „falsche Alarme“, die eine Person besser ignorieren sollte, zu verschwenden (vgl. Selye 1957, S. 317).


3.3.3 Psychische Stressreaktionen

Die physiologischen Stressreaktionen einer Person laufen automatisch und vorhersagbar ab. Es sind reflexhafte Reaktionen, die im Moment einer Notfallsituation (s.Bsp.2.) nicht bewusst kontrolliert werden können. Bei den psychischen Stressreaktionen ist das anders: „Sie sind erlernt und in hohem Maße von unseren Wahrnehmungen und Interpretationen der Welt und unserer Fähigkeiten, mit ihr umzugehen, abhängig“ und enthalten „Aspekte des Verhaltens, der Emotion und der Kognition“ (Zimbardo 19956; S. 581).

 

Verhaltensmuster
Das Verhalten einer Person unter Stress hängt unter anderem davon ab, wie stark der empfundene Stress ist.
• Leichter Stress aktiviert und intensiviert biologisch signifikante Verhaltensweisen wie Essen, Aggression und Sexualität. Er erhöht die Wachsamkeit eines Organismus, Energien werden konzentriert, und die Leistung kann gesteigert werden. Positive Verhaltensanpassungen können durch eine Verbesserung der Informationslage erreicht werden, durch Wachsamkeit gegenüber Quellen der Bedrohung, durch Suche nach Schutz und Unterstützung von anderen und durch Erlernen besserer Einstellungen und Bewältigungsmechanismen (vgl. Zimbardo 19956, S. 582).
• Andauernder unbewältigter Stress, der von mehreren Stressoren herrührt, kann sich ansammeln und im Laufe der Zeit zunehmend belastend wirken. Er verursacht laut Zimbardo (19956) „fehlangepasste Verhaltensweisen wie erhöhte Reizbarkeit, schlechte Konzentration, beeinträchtigte Produktivität und chronische Ungeduld“ (S. 582). Tritt jedoch jeder dieser Stressoren nur vereinzelt auf, und wird gleichzeitig als kontrollierbar wahrgenommen, verursacht er „keine Probleme“ (Zimbardo 19956, S. 582).
• Mäßiger Stress führt typischerweise zum Abbruch von Verhaltensweisen, besonders solchen, die geschulte Koordination erfordern. Für einige Personen besteht die typische Reaktion auf ein mittleres Stressniveau darin, dass sie zuviel essen, besonders nach einer frustrierenden Erfahrung. Mäßiger Stress kann auch wiederholte stereotype Handlungen hervorrufen, wie Herumlaufen im Kreis oder Vor- und Zurückschaukeln. Die Wirkungen dieser wiederholten Reaktionen sind ambivalent. Sie sind „adaptiv, denn sie senken das hohe Niveau der Stimulation durch den Stressor und verringern die Sensibilität der Person gegenüber der Umwelt“ (Zimbardo 19956, S. 582). Gleichzeitig sind sie „nicht adaptiv, denn sie sind rigide und unflexibel und bestehen selbst dann weiter, wenn die Umweltgegebenheiten andere Reaktionen erfordern würden“ (ebd.).
• Schwerer Stress hemmt und unterdrückt Verhalten und kann zur völligen Unbeweglichkeit führen. Die Unbeweglichkeit unter schwerem Stress sei eine Abwehrreaktion und stehe für „einen Versuch des Organismus, die erschöpfenden Stresseffekte zu reduzieren oder auszuschalten ... eine Form der Selbsttherapie“ (zitiert nach Zimbardo 19956, S. 583).

Emotionale Aspekte
Die Stressreaktion beinhaltet eine ganze Reihe unterschiedlicher emotionaler Antworten. Bewertet eine Person einen Stressor als spannende Herausforderung, die sie bewältigen kann, ist es möglich, dass sie mit einem positiven Gefühl, „einer Art freudiger Erregung“ (ebd.) reagiert. Weit üblicher sind die negativen emotionalen Reaktionen der Reizbarkeit, Wut, Ängstlichkeit, Mutlosigkeit und Depression. Der meiste Stress wird akut als unangenehm empfunden und bringt negative Emotionen und Anstrengungen, das Unbehagen auf direkte oder indirekte Weise zu reduzieren, hervor. Stresserzeugende Veränderungen der Lebensbedingungen, die mit dem Verlust oder der Trennung von Freunden und wichtigen Bezugspersonen zusammenhängen, sind häufig im Vorfeld der Depression zu finden. Allein zurückzubleiben, wenn Personen, die wichtig sind, sterben oder weggehen, scheint mit größerer Wahrscheinlichkeit in eine Depression zu münden, als eine ähnliche Trennung, die durch eigene Handlungen zustande kommt (vgl. Zimbardo 19956, S. 582). Die Erfahrung eines ganzen Bündels stressreicher Ereignisse ist ein weiterer Prädikator für eine depressive Reaktion.
Darüber hinaus können Vergewaltigungsopfer, Opfer eines sexuellen Missbrauchs, Überlebende von Flugzeugabstürzen, Naturkatastrophen, Unfälle, Kriegsveteranen und andere, die äußerst traumatische Ereignisse erlebt haben, emotional mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (Stresssyndrom) reagieren. Typisch für diese Reaktion ist das ungewollte Wiedererleben des traumatischen Ereignisses, besonders des ursprünglichen Gefühls von Schock, Furcht und Schrecken in Träumen oder Rückblenden. Zusätzlich dazu erleben die Überlebenden eine emotionale Abstumpfung gegenüber alltäglichen Ereignissen, was mit Gefühlen der Entfremdung von anderen Menschen zusammenhängt. Schließlich kann der emotionale Schmerz dieser Reaktion zu einer Verschlimmerung verschiedener Symptome führen, wie etwa zu Schlafstörungen, Schuldgefühlen, überlebt zu haben, Konzentrationsstörungen und einer gesteigerten Schreckreaktion. Die emotionalen Reaktionen des posttraumatischen Stresssyndroms können in akuter Form direkt nach einer Katastrophe auftreten und nach einer Phase von mehreren Monaten abklingen. Das Syndrom kann auch bestehen bleiben und chronisch werden. Dann wird es als „residuales Stresssyndrom“ (Zimbardo 19956, S. 583) bezeichnet. In den klinischen Einrichtungen der Vereinigten Staaten werden immer wieder Veteranen des zweiten Weltkrieges und des Koreakrieges entdeckt, die ein residuales oder ein verzögertes posttraumatisches Stresssyndrom aufweisen (vgl. Zimbardo 19956, S. 583). Aus aktuellem Anlass, seit den Terroranschlägen am 11. September 2001, taucht das Kürzel für die posttraumatische Belastungsstörung PTBS auch immer wieder in den Medien auf.

 

Kognitive Auswirkungen
Ist ein Stressor einmal als bedrohlich für das eigene Wohlbefinden oder für das Selbstwertgefühl beurteilt worden, so kann eine Reihe verschiedener intellektueller Funktionen nachteilig beeinflusst werden. Die Verringerung der kognitiven Effizienz und die Störungen des flexiblen Denkens sind im Allgemeinen um so gravierender, je größer der Stress ist. Kognitive Stressreaktionen umfassen eine Einengung der Aufmerksamkeit, Rigidität des Denkens sowie Störungen des Urteilsvermögens, des Problemlösens und des Erinnerungsvermögens (vgl. Zimbardo 19965, S. 585).
• Aufmerksamkeit ist eine Ressource, die Grenzen hat. In einem Experiment wurde herausgefunden, dass selbst „die Durchführung einer einfachen [...] Aufgabe behindert [ist], wenn man etwas anderes im Kopf hat’“ (Zimbardo 19956, S. 229; Anpassung: E. K.). Die Konzentration auf die bedrohlichen Aspekte einer Situation und auf die eigene Erregung senkt deshalb den Anteil an Aufmerksamkeit, der zur wirksamen Bewältigung der anstehenden Aufgaben zur Verfügung steht.
• Auch das Gedächtnis wird beeinträchtigt, weil das Kurzzeitgedächtnis durch den Teil an Aufmerksamkeit begrenzt wird, der neuem Input zukommt. Daneben hängt das Abrufen relevanter Erinnerungen aus der Vergangenheit von der reibungslosen Bearbeitung der angemessenen Hinweisreize ab.
• In ähnlicher Weise kann Stress Prozesse des Problemlösens, der Urteilsbildung und der Entscheidungsfindung stören: die Wahrnehmung von Alternativen wird eingeschränkt, und statt kreativer Reaktionen tritt stereotypes, rigides Denken auf.
• Schließlich kann ein chronisches Gefühl der Bedrohung auch auf ganz normale Situationen übertragen werden. Beispielsweise kann eine Person mit Prüfungsangst, diese Angst auch auf Diskussionen in einer Bildungsveranstaltung übertragen (vgl. Zimbardo 19956, S. 584).


3.4 Stress - ein aktuelles Thema

Wie schon erwähnt findet der Begriff Stress 1950 Eingang in die Medizin und die Psychologie. Vor über 50 Jahren kannten dieses Wort allenfalls Physiker. Mittlerweile hat Stress nicht nur sprachlich den Alltag durchdrungen. Viele Wissenschaftler sehen in ihm ein zentrales Problem der Leistungsgesellschaft. Auch Arbeitgeber, Gewerkschaftler und Politiker attestieren ihm Wachstumsraten, die sie bedenklich finden. Die WHO hat Stress zu „einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts“ (Possemeyer 2002, S. 148) erklärt.
Das Phänomen Stress wird gegenwärtig sowohl im Alltag als auch in der Forschung mit sämtlichen Lebensbereichen in Zusammenhang gebracht: z.B. Stress im persönlichen Bereich, in der Schule, in der Freizeit oder am Arbeitsplatz. Wissenschaftler verschiedener Forschungsrichtungen machen Stress zum Gegenstand ihrer Untersuchungen. Zum Beispiel beschäftigt sich Hurrelmann (1990) mit Familienstress, Schulstress und Freizeitstress. In jüngster Zeit erforschen Wissenschaftler, wie zum Beispiel Schneewind (19992) oder Fthenakis et al. (1999) Stress im familiären Bereich.
Stress wird häufig als Krankheit der Gegenwart bezeichnet. Fast jede Person kennt aus Erfahrung Situationen, in denen sie sich beruflich oder privat überfordert und überlastet fühlt, in denen sie gereizt, hektisch oder nervös ist. Gefühle des Ärgers, der Wut, der Ohnmacht oder der Niedergeschlagenheit sind deutliche Zeichen für Stress.
Das Gleichgewicht zwischen An- und Entspannung, Aktivität und Ruhe, Stress und Erholung ist demzufolge gegenwärtig allzu oft gestört und entspricht nicht mehr dem naturgegebenen Harmonieprinzip.
Stress gehört zum Leben, durch Stress kann wie schon erwähnt sogar die Leistungsfähigkeit erhöht werden. Zu viel Stress kann aber gleichzeitig krank machen. Alarmierende Statistiken zeigen, dass die ursprünglichen biologischen Abwehrkräfte oft nicht mehr ausreichen oder manchmal ungeeignet sind, den Organismus vor Dauerschäden zu bewahren. Wie bereits erwähnt waren 1995 über zwei Drittel der Krankheiten stressbedingt. Ich gehe davon aus, dass diese Zahl nicht gesunken ist . Gegenwärtig wirkt sich Stress besonders negativ aus, da soziale Normen das körperliche Ausagieren der physiologischen Stressreaktion nur selten zulassen. Es ist für eine Person unangebracht zu fliehen, oder zu kämpfen, wenn sie beispielsweise eine öffentliche Rede halten soll. Zusätzlich ist die Zahl der stressauslösenden Reize enorm gestiegen, so dass viele Personen keine Zeit finden, sich zu regenerieren. Schließlich lösen innere Einstellungen (z.B. Sorgen, negative Erwartungen, Ängste) Stress aus (Wagner-Link 1987, S. 8f.). Eine repräsentative Umfrage des Emnid Institutes im Januar 2003, mit der Frage: „Wovor haben sie am meisten Angst?“, zeigt aktuelle Ängste der deutschen Bevölkerung. Nach dieser Angst-Skala rangiert die Angst vor Krieg und Terroranschlägen (mit 38%) an erster Stelle, gefolgt von der Angst vor Krankheiten (26%), der Angst vor Arbeitslosigkeit (14%), der Angst vor Gewalt und Kriminalität (10%) und der Angst vor finanzieller Not und Schulden (9%) (vgl. Angst-Skala 2003). Demnach betrifft beispielsweise die Angst um einen Arbeitsplatz einen großen Teil der deutschen Bevölkerung. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass die Arbeitslosenquote in einem Zeitraum von nur 3 1/2 Jahren konstant gestiegen ist: von ca. 10% zu Beginn des Jahres 2000 (vgl. Böeser; Schörner; Wolters 20002, S. 17) auf 10,4% Ende Juli 2003 (Pressestelle des Arbeitsamtes Augsburg).

Dauerstress ist, wie bereits dargestellt, nicht nur Mitverursacher zahlreicher Erkrankungen, sondern kann sich auch indirekt negativ auswirken. So steigt beispielsweise das Unfallrisiko aufgrund der mangelnden Konzentrationsfähigkeit in einer Belastungssituation. Außerdem nimmt die Leistungsfähigkeit ab und die von Stress betroffene Person fühlt sich häufig unwohl bzw. ungesund. In der heutigen Zeit besteht weniger eine körperliche Überlastungssituation als vielmehr Überlastungssituationen im geistig-seelischen Bereich. Die meisten Personen leiden unter massiver Reizüberflutung, der Hektik des Alltags bei gleichzeitig geringerem sozialen Kontakt (die Zeit für Gespräche und andere Unternehmungen in der Familie ist knapp, die Familie sitzt viel vor dem Fernseher, der Vater ist selten zuhause, Kinder leiden unter Schulstress und es besteht ein innerer Zwang zu vielen Hobbytätigkeiten) (vgl. Hurrelmann 1990, Schneewind 19992, Fthenakis et al. 1999). Körperlich besteht ein chronischer Unterforderungszustand, im Durchschnitt besteht Bewegungsmangel. Um dies zu kompensieren, versuchen sich viele Personen z.B. durch Fernsehen zu entspannen, was oftmals gerade zur Anspannung führt (z.B. innere und damit äußere Anspannung bei einem Fußballspiel). Personen in Belastungssituationen verhalten häufig gesundheitsschädigend: sie rauchen mehr, ernähren sich ungesund oder trinken mehr Alkohol, um sich eine Entspannungssituation zu verschaffen. Gerade diese Bewältigungsstrategien tragen dann noch vermehrt zum eigenen Stress bei. Die Situation schaukelt sich auf, viele Personen versuchen diesen Teufelskreis mit Medikamenten zu kompensieren (vgl. Olschewsky 1995). Damit verlässt sich der Betroffene auf Hilfe von außen, so dass die Selbstheilungskräfte (z. B. in Form von Entspannung) die jeder Person naturgemäß zueigen sind, außer acht gelassen werden. In der Bundesrepublik Deutschland ist es weit verbreitet, anstelle von den in den Alltag integrierten Erholungsphasen ein Medikament einzunehmen, das schlaffördernd wirkt, und morgens ein Mittel einzunehmen, das die Wirkung des Schlafmittels vertreibt und eine Person besser aufwachen lässt (z.B. Kaffee). Die betroffene Person scheint sich dieser Abläufe meist nicht bewusst zu sein.

Die in Deutschland weitverbreitete „Kultur des Kaffeetrinkens“ ist ein Beleg dafür, dass viele nicht wissen, dass auch die Ernährungsweise für den Organismus einen Stressor (biochemischer Art) darstellen kann, und insofern auf Dauer schädlich wirkt. Da dieser Aspekt in den mir vorliegenden Stresstheorien nicht explizit erwähnt wird, und da ich ihn für sehr bedeutend hinsichtlich des körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefindens halte, soll er an dieser Stelle Eingang finden. Beispielsweise entsteht durch den Genuss von Kaffee im Körper Gerbsäure. Diese Säure muss der Körper so schnell wie möglich neutralisieren, damit sie nicht seine Zellen, Organe und Drüsen verätzen und in ihrer Funktion beeinträchtigen. Für diesen Neutralisierungsvorgang benötigt er Mineralstoffe. Diese bezieht er entweder aus der zugeführten Nahrung oder, was aufgrund einer unausgewogenen Ernährung gegenwärtig bei vielen Personen der Fall ist, aus den körpereigenen Depots, wie zum Beispiel aus den Zähnen, den Knochen, den Nägeln und der Haut. Die neutralisierten Säuren werden als sogenannten Schlacken im Körper abgelagert (vgl. Jentschura; Lohkämper 200310, S. 48f.). Die gesundheitlichen Folgen sind gravierend. Zum einen wird mit dem Entzug der körpereigenen Mineralstoffe zum Beispiel die zunehmende Anzahl von Osteoporoseerkrankungen erklärt (vgl. Corazza et al. 2001, S. 666ff.), zum anderen erklärt die Ablagerung der neutralisierten Säuren beispielsweise die hohe Anzahl (1,8 Millionen) der an Gicht erkrankten Personen (vgl. Jentschura; Lohkämper 200310, S. 30). In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass durch Stress, Angst und Ärger Salzsäure entsteht, die genauso neutralisiert werden muss. Interessant ist außerdem die Tatsache, dass unter körperlicher Anstrengung Milchsäure entsteht, was bedeutet, dass Sport den Körper in diesem Sinne auch stressen kann. Vor allem, wenn sich eine Person als Ausgleich zu einem anstrengenden Tag sportlich betätigt, und sich dabei im Sinne eines leistungsorientierten Denkens (z.B. heute laufe ich schneller) oder im Sinne eines konkurrenzorientierten Denkens (meine sportliche Leistung soll besser als die der anderen sein) unter Druck setzt. Die „[k]örperliche Aktivität unter der Maxime höher, schneller, weiter’ hat keinerlei Entspannungswert, sondern ist Stress mit anderen Mitteln“ (Schaufler 2000, S. 130; Anpassung: E. K.).


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Phänomen Stress ambivalent ist: der leistungsbezogene Alltag erfordert gegenwärtig nahezu die gesamte Energie einer Person. Gleichzeitig kann eine Person ohne Stress nicht leben. So wie sie ohne körperliche Anstrengung weder Muskeln noch Ausdauer entwickelt, braucht eine Person auch psychische Belastungen im Sinne von Herausforderungen, um ihr Verhalten einer sich ständig wandelnden Umwelt anzupassen und Neues zu erlernen. Stress spielt zwar eine Rolle in der Entstehung, Erhaltung und Verschlechterung von Erkrankungen. Die Überwindung und Bewältigung von Stress führt aber zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit, zur Erhöhung der Widerstandskraft und stellt damit eine Prophylaxe gegenüber Krankheiten dar. Krankheit kann zwar selbst ein Stressor sein, da Bedürfnisse nicht befriedigt werden können und Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten eingeschränkt sind. Aber Krankheit kann auch dazu führen, dass der Kranke sich ein für seine Person und seine Umwelt adäquateres Verhalten aneignet und damit weniger in Stress kommt, was häufig bei den Herzinfarktpatienten der Fall ist (vgl. Scheuch 1989, S. 91). Es scheint von großer Bedeutung zu sein, mit der eigenen Energie optimal haushalten zu können, um Überforderungen zu vermeiden. Damit Spannungszustände erfolgreich bewältigt werden und Stress nicht zum krankmachendem Distress wird, ist ein umfassendes Stressmanagement erforderlich. Dies soll Thema des nächsten Kapitels sein.

18.)Social Readjustment Rating Scale: Skala, auf welcher der Grad der Anpassung anzugeben ist, der für verschiedene, relativ häufig auftretende positive wie negative Lebensveränderungen erforderlich ist.

19.)Eustress: gebildet aus (gr.) eu „gut“ und Stress: anregender, leistungs- u. lebensnotwendiger Stress (vgl. Wermke et al. 20017, S. 286)

20.)Hypothalamus: „Verbindung zwischen dem Körper und den übrigen Regionen des Gehirns. Er spielt eine Rolle bei der emotionalen Erregung, der Kontrolle des Appetits, bei der Regulation der inneren Körperfunktionen“ (Zimbardo 19956, S. 139).

21.)Durch Stressmanagement mittels Entspannungsverfahren kann eine Person das autonome Nervensystem z.T. beeinflussen (s.4.4.2).

22.)Auf alle einzugehen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

23.)Arteriosklerose: „krankhafte Veränderung der Arterien mit Verhärtung, Verdickung und Elastizitätsverlust“ (Wermke et al. 20017, S. 92).

24.) Thrombose: völliger oder teilweiser Verschluss eines Blutgefässes durch Blutgerinnsel (vgl. Wermke et al. 20017, S. 994).

25.)Aktuelle Zahlen konnte ich trotz Recherchen im Internet, Nachfragen bei den Krankenkassen in Augsburg sowie beim Bundesministerium für Gesundheit nicht erfahren.

26.) Osteoporose: Knochenschwund

27.) Gicht: „Wohlstandskrankheit (Zivilisationskrankheit), bei der sich in den Gelenken Harnsäurekristalle (neutralisierte Säuren) ablagern und zu einer Entzündung führen“ (Corazza et al. 2001, S. 698).



nach oben
zurück zum Inhaltsverzeichnis


 

Kostenlosen Gesamtkatalog anforder
Hier kostenlosen
Yoga Gesamtkatalog
anfordern

Yogalehrer Ausbildung

Yogalehrer Weiterbildung

Entspannungskursleiter Ausbildung

Meditation Kursleiter Ausbildung

Ayurveda Ausbildung

Ayurveda Ausbildung
Broschüre und kostenlose Übungspläne anfordern


 

Yoga und Meditation Einführung

Yoga Urlaub

Yoga Vidya Community

Ayurveda

Yoga Therapie

Aktuelle News im Blog einsehen

Yoga Wiki

Mitarbeit bei Yoga Vidya

Yoga Vidya Shop

Seminarhaus Shanti

 

Mehr zu
Yoga
und
Meditation

Auf unseren Internet-Seiten findest du viele weitere Informationen:

Yoga Vidya findest du auch in vielen sozialen Netzwerken

Mehr Informationen:

Copyright Yoga Vidya e.V.. Vervielfältigung oder Verwendung in Webseiten ist genehmigungspflichtig. Ausdruck für private Zwecke, für Freunde oder für eigene Yoga-Schüler ist gestattet, wenn diese Fußzeile eingeschlossen wird.
Kostenlose Informationsbroschüre darüber sowie über Yoga Kurse, Yoga Seminare, Yogalehrer Ausbildungen und ein Yogalehrer Verzeichnis bei:  

Programm anfordern

Yoga Vidya, Wällenweg 42, 32805 Horn-Bad Meinberg, Tel. 05234-870, Email Info@yoga-vidya.de, Internet www.yoga-vidya.de