Kognitiver Yoga ist ein Sadhana (spirituelle Praxis), um Menschen
zu helfen, ihr Energieniveau zu erhöhen, vom Groben zum Feinen
zu gehen, von der Begrenztheit zur Ausdehnung. Dieser Prozess hat
seinen Ursprung in den Upanishaden, die die dafür notwendigen
Methoden angeben, damit die Einheit von Körper und Seele erreicht
wird.
Wenn der Geist schläfrig wird oder in Tamas (Zustand der Trägheit)
ist, wecke ihn auf, stimuliere ihn, rege ihn an. Erlaube ihm kein
Ksipta (Zerstreutes Umherwandern) ohne Plan und Ziel. Werde ruhig.
Bei allem Bemühen, den Geist zu beherrschen und deine gesamte
Persönlichkeit in den Griff zu bekommen, stoßen wir auf
zwei Probleme: Tamas und starkes Raja (zu hohe, unkontrollierte Aktivität).
Das Tamas zieht uns nach unten und hindert uns daran, Fortschritte
zu machen. Es bildet Widerstand auf körperlicher, geistiger und
gefühlsmäßiger Ebene. Der Körper will morgens
weiterschlafen, der Geist ist zu träge zum Denken. Das Buddhi
(Intellekt) sagt nein, das reicht mir, ich möchte nichts tun.
Dieser Zustand bildet eine Begrenzung, die wir die Schwerkraft oder
Tamas nennen. Tamas muss durch Stimulation überwunden werden.
Das ist der erste Schritt.
Auch wenn jemand schon lange meditiert und als spiritueller Aspirant schon recht weit entwickelt ist, kann es zu Stagnation auf bestimmten
Ebenen kommen. Dann erfolgt ein Wachstum sehr, sehr langsam. Diese
Situation muss geändert, die Schicht durchbrochen werden. Die
Stimulation ist das Werkzeug dazu.
Doch wenn der Geist zerstreut ist (Ksipta), überstürzen
sich die Gedanken. Sie müssen zuerst einmal beruhigt werden.
Yogas chitta vritti nirodah – das bedeutet: Yoga ist das zur
Ruhe bringen der Gedanken im Geist. Der Grund, weshalb wir auf unserer
spirituellen Entwicklung so vielen Schwierigkeiten gegenüberstehen,
ist die mangelnde Konzentration. Auch wenn jemand hoch intelligent
und sehr sensibel ist, fehlt ihm oft die Kenntnis und Fähigkeit,
den Geist zu beruhigen.
Wir sind alle in diesem Zustand. Wir wissen, wie wir tief in eine
Sache, in einen Gedanken eindringen können. So entdeckten wir
die Geheimnisse der Natur. Dank technologischer Entwicklung bauen
wir Wolkenkratzer und schießen Menschen zum Mond. All das ist
möglich durch Konzentration, machtvolles Denken, Einfühlungsvermögen,
Intelligenz, Wahrnehmungsfähigkeit und große Aufnahmebereitschaft.
Dazu sind wir zweifellos im Stande.
Doch dieselben Fähigkeiten erhöhen unsere Feinfühligkeit,
die wiederum zu Stress und Empfindlichkeit führt. Das ist ein
Problem von Raja: Eine zu hohe Empfänglichkeit und Empfindlichkeit.
Diese Probleme müssen verringert werden und an ihre Stelle muss
geistige Klarheit (Viveka) treten. Beherrschung und ein kontrollierter
Umgang mit den Energieressourcen ist notwendig. Wie können wir
das erreichen? Durch Prashana – wenn die Wogen der Unruhe sich
geglättet haben.
Wir hängen in den Schleifen des Denkens, der Sorgen, der Beunruhigung
oder des Zorns und des Verlangens. Das wirkliche Kunststück,
da herauszukommen, ist die Beruhigung des Geistes. Analysiere die
Struktur des Geistes, der dauernd von einem zum anderen Gedanken eilt.
Er ist zwar voller Energie, doch gefangen in großen Ablenkungen,
Zufälligkeiten und im Herumwandern aufs Geratewohl. Beruhige
den Geist, bringe ihn immer wieder durch Anregen und Entspannen zur
Stille. Anregen und Entspannen, Anregen und Entspannen.
Das ist das Hauptziel aller spirituellen Praktiken. Beginnen wir
damit und steigen die Leiter Stufe für Stufe hinauf. Auf diesem
Weg kommen alle unterbewussten, tief in unserem Geist verwurzelten
Eindrücken an die Oberfläche. Erkenne diese Eindrücke
und beachte diese Hinweise und Phobien. Lerne die tief verwurzelten
Blockaden oder Knoten (Grantis) kennen. Diese unterschwelligen Neigungen,
die unser Leben bestimmen, werden Samskaras genannt. Wenn wir beginnen,
den Geist zu stimulieren – durch Anspannen und Entspannen -
kommt eine Samskara nach der anderen an die Oberfläche und wir
entspannen tiefer und tiefer. Wir reinigen das innere Gefäß,
unser Unterbewusstsein. Ein schnelleres Wachstum auf den verschiedenen
Bewusstseinsebenen wird erreicht durch Beständigkeit und Reife.
Wir können diesen Zustand tiefer Konzentration erreichen, indem
wir die Methode des Kognitiven Yoga entwickeln und üben.
Wir benutzen die grobstofflichen Körperstellungen (Asanas),
um die Stimulation auf der körperlichen Ebene herbeizuführen.
Wenn wir die Asanas in der meditativen Form ausführen, ist die
Wirkung eine andere als in der normalen Asanapraxis. Im kognitiven
Yoga führen wir die Stellungen sehr, sehr langsam aus. Wir heben
z. B. ganz langsam den Arm und beobachten alles, was dabei geschieht.
Das ist fortschreitende Stimulation. Wenn wir die endgültige
Stellung erreicht haben, bleiben wir eine Weile darin, spannen noch
einmal intensiv an und verlassen die Stellung ebenso langsam wieder.
Dadurch lassen wir die Anspannung los und entspannen. Auch dabei bleiben
wir sehr achtsam und werden uns der Vorgänge und Veränderungen
im Körper bewusst.
Das Wesentliche bei dieser Praxis ist die zyklische Reihenfolge:
Anregen – Anspannen – Entspannen. Dabei kommen wir vom
Groben zum Feinen, von einem gestressten, angespannten Zustand mit
steifen Muskeln, einem verspannten Nacken und grimmigen Gesicht zu
einem Zustand der Entspannung und Ruhe. Der ganze Körper entspannt
sich. Wir fühlen uns leichter und leichter und am Ende sind wir
strahlend, voller Freude und Frohsinn. Wenn alle Spannungen abgebaut
sind, schreiten wir zu einem höheren Zustand innerer Ausdehnung.
In dieser Form der Praxis gibt es verschiedene Entwicklungsebenen.
Zu Beginn, wenn wir Asanas üben, entwickeln wir wahrscheinlich
ein Gefühl für die Muskelanspannung und -dehnung, die in
den einzelnen Stellungen erfolgt. Wir spüren den Energiewechsel
in der Anspannung und Entspannung von Vor- und Rückwärtsbeuge
oder z.B. den Unterschied vom linken zum rechten Arm und anschließend
die Entspannung in Shavasana.
In der Weiterentwicklung beginnen wir, uns selbst besser wahrzunehmen
und zu fühlen. Wir werden in der Lage sein, den Strom des Atems
und seine Veränderungen wahrzunehmen, wenn er langsam ein- und
ausströmt.
Später, bei noch höherer Feinfühligkeit, ist das Strömen
des Blutes wahrzunehmen. Bei der Vorwärtsbeuge z.B. strömt
das Blut zum Kopf. Wenn wir uns anschließend wieder aufrichten,
fließt es nach unten. Wir werden den Herzschlag, den Pulsschlag
und die Synchronisation zwischen Herzschlag und Puls fühlen.
Beobachte den Übergang von den groben zu den feineren, edleren,
weichen Emotionen. Während dieses Prozesses wachsen wir in unserer
Persönlichkeit und in der Beherrschung unserer Gefühle.
Normalerweise ist ein solches Wachstum ohne Übung unmöglich.
Deshalb ist es notwendig, dass wir lernen, mit unseren Gefühlen
umzugehen und sie zu trainieren. Im kognitiven Yoga erreichen wir
eine solche Entwicklung. Wir verändern unsere Emotionen, indem
wir uns positive Gefühle vorstellen und daran arbeiten, diese
zu entwickeln.
In der Entspannungstechnik arbeiten wir mit vielen Emotionen und trainieren
unser Gefühlszentrum.
Wenn wir tiefer und tiefer in die verschiedenen Bewusstseinzustände
hineingehen, erkennen wir allmählich den tief verwurzelten intellektuellen
Konflikt in uns. Das können die verschiedensten Konflikte im
Privat- oder Geschäftsleben sein. Solche Konflikte sind vorprogrammiert,
doch sie müssen erkannt und gelöst werden, damit eine friedliche
und harmonische Gesellschaft entstehen kann.
Bei regelmäßiger, intensiver Übung bewegen wir uns
von einem gröberen Bewusstseinzustand zum feineren und im Verlauf
dessen können wir all diese Blockaden, Besessenheiten und Hindernisse
überwinden. Wir können tiefer in die Wurzeln intellektueller
Konflikte vordringen, und sie letztendlich lösen. Dies lässt
uns auch die Grundlagen unseres Denkens erkennen. Das ist dann unser
Kausalzustand, oder Anandamaya Kosha, die eins ist mit dem Universum.
Wir beginnen, die Geheimnisse zu entschleiern.
Wenn wir noch tiefer gehen, können wir die Nervenimpulse spüren.
Allein um eine Hand zu heben, braucht es Tausende von Nervenreizen.
Aber wir sind uns dessen nicht bewusst. Genauso, wie wir uns des Herzschlags
nicht bewusst sind. Deshalb versuchen wir in den Übungen, auch
die Nervenverbindungen zu spüren. Bei der Rückwärtsbeuge
z.B. wird das ganze Rückrat gestärkt und es werden alle
seine Nerven aktiviert. In dieser Stellung ist es leicht, die Nervenimpulse
zu spüren. Wenn wir die Feinfühligkeit in dieser Stellung
entwickelt haben, ist es leicht, die Impulse allmählich auch
in anderen Asanas zu spüren.
Im Laufe der Übungen benutzen wir die verschiedenen Klänge
von A – U – M und das Om. Bei jeder Wiederholung ist die
Resonanz im Körper zu spüren. Der ganze Körper sollte
die Resonanz aufnehmen wie ein Seiteninstrument - man streicht eine
Seite und der ganze Musikkörper fängt an zu klingen. All
das passiert auf der körperlichen Ebene, doch wir spüren
es nicht. Doch durch die Ruhe im Geist werden wir Schritt für
Schritt in der Lage sein, die Zusammenhänge zu erkennen.
Auch auf der subtilen Ebene geschehen Veränderungen. Wenn wir
unsere Gedanken analysieren stellen wir fest, dass zwei Ströme
vorherrschen, die Form von Bildern und die Form von Klängen.
Meistens achten wir auf die Bilder. Doch wenn wir auf der spirituellen
Ebene fortschreiten, erkennen wir die Muster. Im kognitiven Yoga wollen
wir uns der beiden Aspekte bewusst werden.
Weiter gibt es die Gefühlsregungen, die überhaupt eine
wichtige Erfahrung darstellen. Im Prozess der Beherrschung unserer
Gefühle bewegen wir uns zu den feinen, edlen Emotionen. Diese
Form der Praxis hat schon Menschen mit den verschiedensten Leiden
und Problemen geholfen, indem sie Zusammenhänge erkennbar macht.
Körper und Geist wirken immer zusammen, doch wir bemerken es
nicht, weil unser Geist zu sehr im Außen beschäftigt ist.
Der innere Dialog hört nie auf. Wenn der Geist zur Ruhe kommt,
tritt die Entspannung ein und wir können die inneren Zusammenhänge
wahrnehmen. Es ist also gleichzeitig ein Prozess der Schärfung
der Wahrnehmung und der Entspannung.
Während wir unser Bewusstsein ausdehnen, schreiten wir von der
auf einen Punkt gerichteten Aufmerksamkeit zur linearen Achtsamkeit,
dann zur zweidimensionalen oberflächigen Bewusstheit, zur dreidimensionalen
Bewusstheit, von dort zum Gruppenbewusstsein und schließlich
zur allumfassenden Bewusstheit. Wir nennen dies die Ausdehnung des
Bewusstseins. Im normalen Leben erhöhen wir zwar unsere Wahrnehmungsfähigkeit,
aber wir dehnen unser Bewusstsein nicht aus, weil wir die Methoden
der Entspannung nicht anwenden. Als Folge davon sind wir voller Empfindlichkeit
und Intelligenz, was ein Segen, aber auch gleichzeitig unser größtes
Hindernis ist. Die volle Ausdehnung des Bewusstseins ist ein integraler
Bestandteil des ganzen Prozesses.
Die Ausdehnung des Bewusstseins, die Entwicklung einer erhöhten,
verfeinerten Wahrnehmungsfähigkeit tragen erheblich zum Fortschritt,
Wachstum und Ausgleich in der ganzen Gesellschaft bei. Daran arbeiten
wir im kognitiven Yoga:
Mit bewusst und langsam ausgeführten Asanas
Mit tiefen Entspannungstechniken
Mit Pranayama
Mit Meditation
Padmakshi Berger ist Leiterin des Hauses Yoga Vidya Westerwald. Praktiziert
seit über 25 Jahren ganzheitlichen Yoga. Sie wurde in Indien
und Deutschland zur Yogalehrerin und in speziellen Intensivkursen
in angewandter Psychologie ausgebildet.
Padmakshi Berger leitet vom 22. bis 24.07.2005 das Seminar „Kognitives
Yoga“ im Haus Yoga Vidya Westerwald, Tel. 02685/8002-0.