Fahrt
Es
ist Montag abend, 17.30 Uhr. Nach 250km Autobahn und 25 km Landstraße
habe ich gerade die Ortseinfahrt von Dietfurt passiert. Durch enge Straßen
einem alten Mühlengraben entlang gelange ich zur Toreinfahrt des Franziskanerklosters
aus dem 17. Jahrhundert. Hier liegt mein Ziel, und wenn die Toreinfahrt
gleich hinter mir liegt, werde ich 5 ganze Tage hinter diesen Mauern verbringen,
werde nicht lesen, nicht telefonieren, nicht radiohören und nicht
fernsehen, werde nicht sprechen und nicht angesprochen werden, werde ganz
bei mir und mit mir allein sein: Ich bin eingeschrieben zu einer Zen-Sesshin
des Meditationshauses ”St. Franziskus”.
Ankommen
Dies
ist mein vierter Aufenthalt hier. Neben einem Meditationseinführungskurs
und einem Einführungskurs in Tai-Chi habe ich bereits eine Sesshin
absolviert. Mit dem Gebäude, den Einrichtungen und Regel des Hauses
bestens vertraut, erledige ich Anmeldung und Bezahlung und bin kurz darauf
auf dem Wege zum Gruppenschlafraum. Neben diesem, der nur für Männer
zugänglich ist (es gibt nur einen Gruppenraum im Hause), wohnen die
anderen TeilnehmerInnen in Zweibettzimmern. Dusche und WC’s sind teilweise
auf dem Zimmer oder nebenan auf den Flur eingerichtet. Nach einem kurzen
Aufenthalt im Zen-Dom, wo ich meinen Meditationsplatz mit meinem Namensschild
versehe und ein paar Augenblicke der Ruhe genieße sowie einem längeren
Blick auf den Zen-Garten werfe, erreichen ich den Gruppenraum im zweiten
Stock. Matrazen, fertig bezogen, liegen hier in Reih‘ und Glied auf dem
Boden und auf einem Stuhl daneben liegen zwei Handtücher und der Tagesplan.
Hier werde ich die nächsten Tage verbringen: schlafen, essen, meditieren,
im Garten spazierengehen, sonst nichts. Zwei Teilnehmer sind bereits da
und man begrüßt sich kurz: ”Hallo, mein Name ist Hanspeter”.
Dies ist kein Ort der vielen Worte!
Der
Tagesplan
06.00
Wecken
06.30
Meditaion 2x 25min mit Gehen Za-Zen; Kinhin
07.40
Frühstück
08.50
Meditation 1x 25min Za-Zen
09.15
Vortrag Teisho
10.15
Meditation 3x 25min mit Gehen und Gespräch Za-Zen; Kinhin; Dokusan
12.00
Mittagessen
13.30
Kaffee/Tee
14.14
Meditation 3x 25min mit Gehen und Gespräch Za-Zen; Kinhin; Dokusan
16.20
Meditation 2x 25min mit Gehen und Gespräch Za-Zen; Kinhin; Dokusan
17.30
Messe Freigestellt (evtl.1x 25min Sitzen) Eucharistifeier
18.15
Meditation 2x 25min mit Gehen Za-Zen; Kinhin
21.00
Nachtruhe
Einweisung
Mit
dem Gebet des Abendessens, daß überwiegend schweigsam eingenommen
wurde, beginnt die Übung. Es gibt Brot, Käse, Quark und einen
Salat. Am Ende des Essens werden die notwendigen Absprachen vorgenommen:
Wer
trinkt was zu welchem Essen?
Wer
möchte Fleisch zu den Mahlzeiten?
Die
Regeln am Tisch werden erläutert:
-
Das Frühstück beginnt mit einem Gebet und ist sonst frei.
-
Das Mittagessen beginnt mit einem Gebet, die Suppe wird gemeinsam eingenommen,
der Hauptgang wird gemeinsam eingenommen, der Nachtisch wird gemeinsam
eingenommen, jedes Essen beginnt, wenn alle bereit sind, mit einem Gruß,
das Essen wird mit einem Gebet beendet.
-
Das Kaffeetrinken ist frei
-
Das Abendessen beginnt mit einem Gebet und endet mit einem Gebet.
-
Das Abräumen und Aufdecken wird von einem Tischdienst übernommen,
zu dem sich jeder in eine Liste eintragen sollte.
Mit
dem Gebet zum Abschluß des Essens beginnt die Sesshin, beginnt die
Stille. Schweigend gehen die Teilnehmer, die Augen gesenkt und die Hände
vor dem Körper gefaltet, in den Vortragsraum, nehmen sich einen Platz
und warten, denn jede Übung beginnt erst mit dem Eintreffen des letzten
Teilnehmers. Der Zen-Meister erscheint, alle erheben sich, verbeugen sich
zum Gruß, man setzt sich wieder und lauscht dem Teisho (siehe unten).
Dann geht es zum Zen-Dom zur ersten gemeinsamen Meditation. Zunächst
ein Gruß am Eingang, dann zum Sitzplatz, dann zu den Teilnehmern,
dann sich setzen und sich einrichten zur Meditation. Man sitzt im Kreis
auf einer Tatami-Matte mit Kissen oder Bänkchen und mit dem Gesicht
zur Wand (1m-Abstand). Der Boden ist geflochtenes Bambus, die Wände
sind Holz, alles weitere entschwindet aus dem Gesichtskreis. Drei Gongschläge
ertönen, die Meditation beginnt. Nach 25 Minuten beendet ein Gongschlag
die Sitzung. Wir wenden uns um zur Abendzeremonie. Danach Verbeugung, noch
ein paar Runden im Garten und dann ist Nachtruhe. Es ist 21.00 Uhr.
Und
so wie der erste Tag vergehen die nächsten Tage und, rein äußerlich
betrachtet, geschieht nichts, was nicht auch auf dem Tagesplan zu lesen
wäre.
Erläuterungen
Teisho
(Darlegung, Vortrag):
Der
Vortrag des Meditationsmeisters behandelt meist neben der Begleitung des
Sesshins ein Koan oder andere Zengeschichten, die vom Inhalt her den Übenden
in ihrem Fortschreiten begleiten und helfen soll. Zenmeister sprechen sehr
sehr lebendig und lebhaft.
Dokusan
(Einzelgespräch):
Zum
Dokusan, dem Einzelgespräch mit dem Zenmeister verläßt
der Übende während der Meditation nach Aufforderung den Zen-Dom.
In einem kleinen, gut abgeschirmten Raum (2 Türen) trifft er den Zenmeister,
um Probleme und Schwierigkeit innerhalb der Meditation zu besprechen. Das
Dokusan ist ein Gespräch, das ganz aktuell geführt wird. Hier
gibt es keine Erläuterungen oder theoretische Anweisungen.
Koan
(Verwirrendes Paradoxon):
Das
Koan ist in der Regel eine kurze Zengeschichte, deren Gehalt vom Übenden
während der Meditation bearbeitet wird. Meist stellt es eine Frage
über ein Paradoxon dar, wobei der Versuch zu einer Antwort an die
Grenzen des Denkens führt und so den Übenden öffnet für
die intuitive Erfassung des Gehaltes des Koans.
Beispiel:
Ein
Schüler fragt den Meister: ”Hat ein Hund die Buddha-Natur?”, worauf
der Meister ungehalten antwortet ”MU”, was soviel bedeutet wie ”nicht haben”.
Die Bedeutung dieses ”Mu” stellt die Aufgabe für den Schüler
dar.
Kinhin
(Meditatives Gehen):
Bei
mehreren Sitzungen hintereinander wird nach jeweils 25min ”Sitzen” eine
Runde Kinhin gegangen. Diese Form der Meditation ist langsames und bewußtes
Gehen ohne bestimmte Technik. Die Übenden gehen in einer Reihe und
im Kreis meist einmal um den Zen-Dom herum. Beim Gehen werden die Hände
vor der Brust gefaltet.
Gassho
(Verbeugungen):
Wie
bei allen aus Japan stammenden Künsten beginnen und enden viele Handlungen
mit einer Verbeugung Sich begrüßen, sich zum Essen niederlassen,
eine neue Meditation beginnen, zum Dokusan aufgefordert werden, um Aufmerksamkeit
bitten und vieles andere wird von dieser Höflichkeitsgeste umrahmt.
Eucharastiefeier:
Diese
Feier ist eine Messe im christlich-katholischem Sinn und beinhaltet ein
Abendmahl
Abendzeremonie:
Die
Abendzeremonie im Zen-Dom besteht aus dem Schlagen der Stundentrommen,
diversen Gongschlägen, dem Schlagen des Holzhahnes (Wurzelbrett) sowie
dem einmaligen Rezitieren des nachfolgenden Textes. Die Zeremonie wird
mit Gassho eingeleitet und auch beendet.
"Eines
möchte ich euch vor Augen führen:
Schwerwiegend
ist die Frage nach Leben und Tod.
Die
vergänglichen Dinge schwinden rasch dahin.
Deshalb
sei stets wachsam.
Deshalb
sei stets achtsam."
Samstag
Abend: Abschlußbesprechung
Nach
dem Abendesses wird das Schweigen aufgehoben und manche Teilnehmer, nicht
alle, begrüßen sich und beginnen leise zu plaudern. Es werden
Tische gerückt und Getränke besorgt und es bleiben ein paar Minuten
für den Garten. Dann versammeln sie die Teilnehmer, und einer nach
dem anderen sagt ein paar Worte:
- Was
gefallen hat und was nicht.
-
Ein paar Erfahrungen, meist allgemein gehalten.
-
Kritik oder Feedback für die Leitung des Kurses sowie des Hauses.
-
Dankesworte.
Der
Grundton ist positiv und die meisten werden wiederkommen. Und auch die
Leitung ist mit der Woche zufrieden. Die Stimmung war dicht und gepackt
und der Gruppe wird ein hohes Maß an Disziplin und Stimmigkeit bescheinigt.
Man plaudert noch ein wenig, dann ist Nachtruhe. Am Sonntagmorgen dann
ist noch eine Meditation und eine Eucharestiefeier, dann schon geht es
wieder zurück nach Hause.
Methode
Die
Meditation im Zen ist sitzen, vorzugsweise in kreuzbeiniger Haltung (Lotus),
halbgeöffneten Augen und Gewahrsein, was soviel bedeutet wie das Beobachten,
was ”jetzt und hier” ist, sowohl auf körperlicher, geistiger als auch
emotionaler Ebene. Als Technik stehen das Zählen des Atems, das Gewahrseins
des Atems oder auch ”nur sitzen” zur Wahl. Das Ziel der Meditation ist
immer das Realisieren der einzigen Wahrheit. Dies geschieht intuitiv und
wird Erleuchtung (Satori) genannt.
Erfahrungen
Erster
Tag:
Der
erste Tag ist erfüllt von Mitgebrachtem und auch viele Eindrücke
der neuen Umgebung nehmen die Gedankenwelt auf dem Kissen in Anspruch.
Die Stimmung im Zen-Dom ist noch ungesättigt und unruhig. Viele in
der Gruppe nehmen nahezu jede Pause wahr, um zu ruhen.
Zweiter
Tag:
Die
Übung ”verselbstständigt” sich zunehmend. Die Pausen zwischen
den Gedankenketten werden länger und auch die Meditationszeit von
25 min verfliegt zunehmend. Der Dom füllt sich, lädt sich auf.
Auch ändert sich der Gedankeninhalt. Aktuelles findet sich nahezu
nicht mehr und diese Lücke wird aufgefüllt mit Eindrücken,
die weiter zurückliegen oder Gedanken, die in die Zukunft gehen.
Dritter
Tag:
Das
Teisho am Morgen füllt zwei Meditationszyklen. ”Jeder Tag ein guter
Tag” war die Kernaussage des Koans. Ständig kreisen die Gedanken um
diesen Satz und ich entschließe mich, mit Atemzählen diese Kette
zu unterbrechen. Es gelingt. Pausen stellen sich ein und ich fühle
mich in der Sitzhaltung zunehmend getragen und gelöst. Bisher traten
keine körperlichen Störungen auf.
Vierter
Tag:
Dies
ist der stärkste Tag in jedem Sesshin. Und obwohl sich jeder Übende
der Erwartungen enthalten sollte, verspüre ich doch so etwas wie Lampenfieber.
Doch der Tag vergeht ohne Besonderheiten. Viele nutzen den Abend dieses
Tages, um noch lange in die Nacht hinein zu sitzen. Ich entschließe
mich aber, dies nicht zu tun. Ich bin ein wenig müde und gehe früh
schlafen. Ich schlafe gut, fest und traumlos.
Fünfter
Tag:
Auch
dieser Tag vergeht ohne Besonderheiten, und schon beim Abendessen freue
ich mich auf das Aufheben des Schweigens. Viele meiner Mitstreiter sind
mir mittlerweile vertraut und ich bin gespannt, was so zu sagen sein wird.
Fazit:
Es
war ein starkes Sesshin, und für mich mit tiefen Erfahrungen verbunden.
Diese sind aber nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt.
Sie klar zu formulieren, erfordert eine andere Form der Kommunikation.
Hier wäre ein Dialog, ein Gespräch von Mensch zu Mensch nötig
und ich bin gerne bereit, ein solches Gespräch zu führen.