Stressmanagement
- 4. Stressmanagement -
In diesem Kapitel geht es um die Frage, wie Personen mit Stress oder
belastenden Ereignissen umgehen bzw. wie sie Stress managen oder bewältigen.
Sowohl im englischen als auch im deutschen Sprachgebrauch wird mit dem
Begriff Bewältigung bzw. Coping in der Regel „die erfolgreiche
Auseinandersetzung mit einer Belastung“ (Brüderl 1988, S. 14)
verstanden. Lazarus und Folkman (1984) definieren Bewältigung „als
sich ständig verändernde, kognitive und verhaltensmäßige
Bemühungen einer Person, die darauf gerichtet sind, sich mit spezifischen
externen und/oder internen Anforderungen auseinanderzusetzen, die ihre
adaptiven Ressourcen stark beanspruchen oder übersteigen“ (ebd.,
S. 15). Im Rahmen der Stress- und Bewältigungsforschung werden erfolgreiche
oder geeignete Bewältigungsstrategien als gesundheitliche Ressourcen
betrachtet, da sie eine verbesserte Anpassung an Lebensumstände bedingen
oder eine Veränderung von aversiven Situationen fördern. Nach
Cohen und Lazarus ermöglichen angemessene Bewältigungsstrategien,
schädigende situationale Bedingungen zu reduzieren, ein positives
Selbstbild aufrechtzuerhalten, das emotionale Gleichgewicht zu sichern
und befriedigende Beziehungen aufzubauen. Darüber hinaus beeinflussen
sie das Wohlbefinden und den Gesundheitszustand (vgl. Bengel, Strittmatter,
Willmann 20027, S. 61). Tendenziell werden aktive, problemlöseorientierte
Copingstrategien als angemessene Verhaltensweisen betrachtet, die der
Verarbeitung von Stresssituationen förderlich sind. Weniger gesunde
Personen resignieren eher in Problemsituationen, finden sich mit unbeeinflussbaren
Stressoren weniger gut ab und zeigen eine höhere Tendenz zu Fluchtverhalten.
Die wichtigste Voraussetzung effektiver Stressbewältigung scheint
jedoch der flexible Einsatz verschiedener Verhaltensmuster zu sein (vgl.
ebd.).
4.1 Problemzentrierte und emotionszentrierte
Bewältigung
Bewältigungsstrategien können zwei Typen zugeordnet werden,
abhängig davon, ob das Ziel darin besteht, das Problem zu lösen
(problemzentriert) oder das durch das Problem verursachte Unbehagen zu
verringern (emotionszentriert). Der Typ der problemzentrierten Bewältigung
beinhaltet alle Strategien des direkten Umgangs mit dem Stressor, sei
es durch offenes Handeln oder durch kognitive Aktivitäten die der
Problemlösung dienen. Bei all diesen Strategien konzentriert sich
eine Person auf das Problem, das zu lösen ist und auf die Bedingungen,
die den Stress verursacht haben. Beim Typ der emotionszentrierten Bewältigung
verändert eine Person, die Gefühle und Gedanken, die mit der
stressreichen Situation zusammenhängen. Diese Bewältigungsstrategie
wird auch als „Emotionsregulation“ (Zimbardo 19956, S. 588)
bezeichnet. Verschiedene Subkategorien dieser beiden grundlegenden Ansätze
zeigt Tabelle 2, die von Lazarus Mitte der 1970er erstellt wird und bis
in die Gegenwart Gültigkeit besitzt (vgl. Zimbardo 19956, S. 587f.).
Problemzentrierte Bewältigungsstrategien
Veränderung des Stressors oder der Beziehung zu ihm durch direkte
Handlungen und/oder problemlösende Aktivitäten • Kämpfen
(Zerstören, Entfernen, Verringern der Bedrohung)
• Flüchten (sich von der Bedrohung distanzieren)
• Suche nach Alternativen zu Kampf oder Flucht (verhandeln, Kompromisse
schließen)
• Weiterem Stress vorbeugen (zur Steigerung der eigenen Resistenz
etwas unternehmen oder die Intensität des antizipierten Stress herabsetzen)
Emotionszentrierte Bewältigungsstrategien
Veränderung des Selbst durch Aktivitäten, die zu einem besseren
Befinden führen, den Stressor jedoch nicht beeinflussen • Aktivitäten,
die an den körperlichen Bedingungen ansetzen (Drogeneinnahme, Entspannung,
Feedback)
• Aktivitäten, die an den kognitiven Bedingungen ansetzen
(geplante Ablenkung, Phantasien, Gedanken über die eigene Person)
• Unbewusste Prozesse, die die Realität verzerren und zu innerpsychischem
Stress führen.
Tab.2.: Taxonomie der Bewältigungsstrategien nach Lazarus (1975)
(vgl. Zimbardo 19956, S. 588; Hervorhebungen: E. K.)
Entspannung und damit auch Entspannungsverfahren können dieser Taxonomie
zufolge einerseits dem Typ der emotionszentrierten Bewältigung zugeordnet
werden. Sie stellen eine Aktivität dar, die zunächst an den
körperlichen Bedingungen ansetzt, dann aber ihre Wirkungen auch auf
psychischer Ebene zeigen. Andererseits fällt das Erlernen eines Entspannungsverfahrens
meiner Ansicht nach ebenso in die Kategorie der problemzentrierten Bewältigungsstrategien.
„Weiterem Stress vorbeugen“, indem eine Person etwas unternimmt
(ein Entspannungsverfahren erlernt), um die eigene Resistenz zu steigern
bzw. die Intensität des antizipierten (gedanklich vorweggenommenen)
Stresses herabzusetzen, kann, obwohl es in der Taxonomie von Lazarus nicht
explizit aufgelistet wird, durch systematisches Entspannen geschehen.
Grundsätzlich kann eine Person lernen, mit Stress besser umzugehen,
indem sie erstens die physiologischen Reaktionen, die ihre Gesundheit
bedrohen verändert (durch Entspannung) und zweitens ihre kognitiven
Strategien verändert. Bevor ich mich dem Schwerpunkt dieser Diplomarbeit,
dem Gegenstand der Entspannung und der Entspannungsverfahren zuwende,
stelle ich die Möglichkeit vor, Stress zu bewältigen, indem
eine Person ihre kognitiven Strategien verändert. Anschließend
zeige ich auf, wie die soziale Unterstützung die Stressbewältigung
einer Person beeinflusst. Diese beiden Aspekte sind meiner Meinung nach
für ein umfassendes Stressmanagement ebenso bedeutend, wie sich zu
entspannen bzw. ein Entspannungsverfahren zu erlernen und anzuwenden.
4.2 Veränderung kognitiver Strategien
Eine wirksame Methode, mit Stress angemessen umzugehen, besteht darin,
die Bewertung der Stressoren und die Kognitionen hinsichtlich des Umgangs
mit ihnen zu verändern. Über eine bestimmte Situation, die eigene
Rolle und die kausalen Attributionen zur Erklärung unerwünschter
Ereignisse nachzudenken kann den Umgang mit Stress erleichtern. Die enge
Verbindung der kognitiven Bewertung mit dem Grad der Erregung des autonomen
Nervensystems kann z.B. in Untersuchungen gezeigt werden, in denen die
Bewertung systematisch variiert wird. Dadurch wurde beispielsweise festgestellt,
dass Personen, denen beunruhigende Filmaufnahmen der Beschneidungsrituale
eines Naturvolkes gezeigt werden, physiologisch weniger erregt sind, wenn
der Film von einer Stimme begleitet wird, die entweder die Gefahren leugnet
oder sie auf intellektuelle distanzierte Weise diskutiert. Die Veränderung
des Denkens über bestimmte Stressoren, deren neue Etikettierung oder
deren Vorstellung im Rahmen eines weniger bedrohlichen Kontexts, sind
demnach Formen kognitiver Neubewertung, die Stress reduzieren können
(vgl. Zimbardo 19956, S. 589f.). Die absichtliche Veränderung dessen,
was sich eine Person selbst über Stress sagt, ist eine weitere Möglichkeit
das Stressmanagement zu verbessern. Solche Botschaften können sowohl
zur kognitiven Neustrukturierung als auch zur effektiveren Bewältigung
führen. Beispielsweise sagen sich depressive oder unsichere Menschen
oft, sie taugten nichts, sie würden schlecht abschneiden, und, wenn
etwas gut geht, sei das ein glücklicher Zufall gewesen (vgl. Zimbardo
19956, S. 590). Solche negativen Gedanken können zu einer sich selbst
erfüllenden Prophezeiung führen: das, woran eine Person glaubt,
das es eintrifft, also das was erwartet wird, trifft schließlich
ein. In diesem Zusammenhang stelle ich „Die Geschichte mit dem Hammer“
von Paul Watzlawick (200122) als Beispiel für solch ein dysfunktionales
Gedankenschemata dar.
Bsp.3.: Die Geschichte mit dem Hammer nach Watzlawick (200122)
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den
Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen
und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar
mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich
nur flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die
Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich
habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von
mir Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er
nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gedanken abschlagen?
Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich
noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer
hat. Jetzt reicht`s mir wirklich. –Und so stürmt er hinüber,
läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten
Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten sie
sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (S. 37f.).
Dieses Beispiel zeigt in überspitzter Form, „wie sich eine
Person selbst im Weg stehen kann“. Der Mann in diesem Beispiel hat
daran geglaubt sich den Hammer nicht ausleihen zu können, und hat
es bestimmt geschafft, ohne ihn wieder nach Hause zu gehen. Durch seine
negativen Gedanken, setzt er sich selbst unter Druck und erzeugt damit
Stress: erstens bei ihm selber, und zweitens wahrscheinlich auch bei seinem
Nachbarn, der nichtsahnend die Tür öffnet und dann angebrüllt
wird.
Meichenbaum hat Ende der 1970er Jahre folgenden aus drei Phasen bestehenden
Prozess vorgeschlagen, mittels dessen dieser Zirkel der sich selbst erfüllenden
Prophezeiung durchbrochen werden kann (vgl. Zimbardo 19956, S. 590):
• In einer ersten Phase arbeiten die Personen an der Entwicklung
einer bewussteren Wahrnehmung ihres tatsächlichen Verhaltens, seiner
Auslöser und seiner Ergebnisse. Eine geeignete Methode dafür,
ist die tägliche Aufzeichnung von Notizen, in denen sie ihre Probleme
nach Ursache und Wirkung unterteilen. Damit wird das Gefühl der Kontrolle
erhöht.
• In einer zweiten Phase werden neue Verhaltensweisen, die im Gegensatz
zu den fehlangepassten Verhaltensweisen stehen, eingeübt. Beispielsweise
kann eine Person jemanden anlächeln oder jemandem ein Kompliment
machen.
• In einer dritten Phase schätzen die betroffenen Personen
die Konsequenzen der neuen Verhaltensweisen ein (vgl. ebd., S. 591).
Grundsätzlich werden im Rahmen dieses Ansatzes laut Zimbardo (19956):
„Reaktionen und selbstbezogene Behauptungen angeregt [...], die
mit den alten Kognitionen unvereinbar sind. Die Menschen bemerken, daß
sie sich verändern und schreiben sich selbst die Verantwortung dafür
zu, was weitere Erfolge fördert“ (ebd., S. 591; Auslassung:
E. K.).
4.3 Soziale Unterstützung
Soziale Unterstützung bezieht sich nach Zimbardo (19956) „auf
die Ressourcen, die von anderen Personen bereitgestellt werden. [...]
Sie können materielle Hilfe, soziale und emotionale Unterstützung
(Liebe, Fürsorge, Wertschätzung, Sympathie, Zugehörigkeitsgefühl
zu einer Gruppe) und Hilfe durch Informationen (Ratschläge, persönliches
Feedback) einschließen“ (S. 591; Auslassung: E. K.). Es gibt
Belege, dass eine Person durch das Vorhandensein sozialer Netzwerke Stress
besser bewältigen kann: „Wenn andere Menschen da sind, an die
man sich wenden kann, ist es leichter möglich, Stressoren bei der
Arbeit, Arbeitslosigkeit, das Scheitern der Ehe, schwere Krankheit und
andere Katastrophen sowie alltägliche Probleme des Lebens zu bewältigen“
(Zimbardo 19956, S. 592). Dagegen beschäftigen sich Menschen ohne
soziale Bindungen mehr mit fehlangepassten Arten des Denkens und Verhaltens
als diejenigen, die ihre Anliegen mit anderen Menschen teilen. Die Abnahme
der sozialen Unterstützung im familiären Umfeld und bei der
Arbeit steht im Zusammenhang mit der Zunahme psychischer Störungen
(vgl. ebd.). Am leichtesten werden also solche Personen durch Stress angegriffen,
denen ein soziales Netzwerk fehlt. Der Aufbau von und die Teilnahme an
Gruppen, die positive soziale Unterstützung geben können, wirkt
demnach gesundheitsfördernd. In diesem Sinne trägt schon allein
die Teilnahme an einem Entspannungskurs dazu bei, dass eine Person Stress
besser managen kann. Die Wirkungen der Entspannungsverfahren auf das Stressmanagement
einer Person sind Gegenstand des nächsten Abschnittes.
4.4 Veränderung der psychophysiologischen
Reaktionen durch Entspannung
Wenn eine Person eine Situation als schwierig oder bedrohlich einschätzt,
wenn sie Angst empfindet, dann führt dies wie bereits dargestellt
sowohl zu körperlichen als auch zu psychischen Stressreaktionen.
Viele dieser Reaktionen können durch eine Reihe unterschiedlicher
Entspannungsverfahren kontrolliert werden (vgl. Zimbardo 19956, S. 589).
In diesem Kapitel kläre ich zunächst den Begriff der Entspannung
und der Entspannungsverfahren, um dann physiologische und psychologische
Kennzeichen der Entspannungsreaktion aufzuzeigen. Schließlich stelle
ich Entspannung in Zusammenhang mit Gesundheit und gehe in diesem Rahmen
auf individuelle Motive, zum Erlernen eines Entspannungsverfahrens ein.
4.4.1 Auseinandersetzung mit dem Entspannungsbegriff
Entspannung ist ein umfassender Begriff, der stark von der subjektiven
Bewertung und Ausgangslage des Einzelnen abhängt. Beispielsweise
kann eine Person Heavy Metal oder Techno-Musik als entspannend empfinden,
während sie bei einer anderen gegenteilige Empfindungen auslöst.
Andere gehen in die Natur, treiben Sport, legen sich auf das heimische
Sofa oder sehen Fern um sich zu entspannen.
Der Brockhaus (19847) definiert Entspannung als einen „Zustand körperl.
und seelisch-geistiger Gelöstheit, eine Haltung des Los- oder Geschehenlassens,
im Ggs. zur Anspannung des täg. Lebens“ (S. 180). Aus biomedizinischer
Sicht wird Entspannung wie folgt definiert: „Der Begriff ‚Entspannung’
wird als Gegensatz zur ‚Spannung’ verstanden und nicht, wie
fälschlich gebraucht, zur ‚Verspannung’. Spannung in
der richtigen Dosierung ist notwendig und naturgemäß und soll
situationsangemessen sein. Die Körperfunktionen und die Nerventätigkeiten
des Menschen stehen ständig in Wechselwirkung zwischen Spannung und
Entspannung. Im vegetativen Nervensystem gibt es dafür speziell die
beiden Hauptkomponenten, den Sympathikus (aktivierend) und den Parasympathikus
(entspannend)“ (Massoth; Massoth 1984, S. 121). In beiden Definitionen
tauchen die Begriffe Anspannung bzw. Spannung auf, ohne die der Entspannungsbegriff
scheinbar nicht auskommt. Sie sind evolutionär angelegte Reaktionsmuster,
die zum natürlichen Verhaltensrepertoire des Menschen gehören.
Angesichts der hohen Zahl an stressbedingten Krankheiten scheint dieses
natürliche Spannungsverhältnis gegenwärtig aus den Fugen
geraten zu sein. Da viele Personen scheinbar nicht mehr in der Lage sind,
sich ausreichend auf natürliche Weise zu entspannen, müssen
sie es erst wieder mit Hilfe verschiedener Entspannungsverfahren lernen.
Diese sind nach Krampen; Ohm (1994) als „systematische Methoden
der körperlichen und psychischen Selbstentspannung“ zu verstehen
und „unterscheiden sich von individuellen Formen der Entspannung
und Erholung (wie etwa dem bloßen Ausruhen, dem Hören subjektiv
ruhiger, angenehmer, ‚entspannender’ Musik oder Präferenzen
für interindividuell höchst unterschiedliche Tätigkeiten,
bei denen man sich halt ‚entspannt’ oder ‚abschaltet’),
über die wohl die meisten verfügen, nicht nur dadurch, daß
sie empirisch erforscht und wissenschaftlich abgesichert sind, sondern
auch und vor allem dadurch, daß sie auf dem systematischen Einüben
einer psychomotorischen Routine beruhen. Dieses systematische Training
von Entspannungsroutinen führt dazu, daß die gewünschten
Effekte schneller sowie mit einer gewissen Stabilität und Regelmäßigkeit
– auch in stärkeren Belastungssituationen – willkürlich
erzielt werden können“ (S. 262).
4.4.2 Psychophysiologische Entspannungsreaktionen
Entspannung lässt sich laut Vaitl; Petermann (20002) „am eindeutigsten
über Reaktionen charakterisieren, die sich auf den verschiedenen
Ebenen abspielen. Hierzu zählen körperliche Reaktionen, Verhaltensweisen,
Emotionen und Kognitionen. So unterschiedlich auch die Induktionsmethoden
(= Entspannungsverfahren) sind, mit denen diese unterschiedlichen Reaktionsweisen
in Gang gesetzt werden, bewirken sie allesamt eine sogenannte Entspannungsreaktion“
(S. 30). Die Anregung und Stabilisierung einer Entspannungsreaktion, erfolgt
bei allen Verfahren durch kontinuierliches Üben. Anzeichen für
ein erfolgreiches Üben ist die konditionierte Entspannungsreaktion.
Diese Reaktion kann dann auf einen konditionierten Reiz hin (wie zum Beispiel
der Körperhaltung oder von Selbstinstruktionen) in den verschiedensten
Situationen hervorgerufen werden. Damit kann sich eine geübte Person
gewissermaßen auf Befehl in einen Entspannungszustand versetzen.
Dieser besteht in charakteristischen Veränderungen neurovegetativer
und zentralnervöser Prozesse, die ich im Folgenden darstelle.
Die Entspannungsreaktion ist zum einen durch physiologische Veränderungen
gekennzeichnet. Vaitl; Petermann (20002) fassen diese wie folgt zusammen:
• Neuromuskuläre Veränderungen:
- Abnahme des Tonus der Skelettmuskulatur
- Verminderung der Reflex-Tätigkeit
• Kardiovaskuläre Veränderungen
- Periphere Gefäßerweiterung (Vasodilatation, insbesondere
in den Hautarealen)
- geringfügige Verlangsamung des Pulsschlags
- Senkung des arteriellen Blutdrucks
• Respiratorische Veränderungen:
- Abnahme der Atemfrequenz
- Gleichmäßigkeit der einzelnen Atemzyklen
- Abnahme des Sauerstoffverbrauchs
• Elektrodermale Veränderungen:
- Abnahme der Hautleitfähigkeit
• Zentralnervöse Veränderungen:
- Veränderungen der hirnelektrischen Aktivität (EEG)
(Vaitl; Petermann 20002, S. 31f.)
Die Entspannungsreaktion ist demnach eine Bedingung, unter der beispielsweise
die Muskelspannung, die kortikale Aktivität, die Herzfrequenz und
der Blutdruck sinken und die Atmung langsamer wird. Außerdem wird
die elektrische Aktivität des Gehirns gesenkt. Auf diesem niedrigen
Erregungsniveau kann laut Zimbardo (19956) „Erholung vom Stress
stattfinden“ (S. 589).
Die Entspannungsreaktion ist zum anderen durch psychische Veränderungen
gekennzeichnet. Obwohl Entspannungsverfahren bei ungeübten Personen
meistens zum Einschlafen führen, haben sie nach längerem Training
positive Effekte zur Folge, die sich deutlich von Einschlafvorgängen
und deren Begleiteffekten unterscheiden lassen. Hierzu zählen laut
Vaitl; Petermann (20002):
• „die affektive Indifferenz, d.h. Affekte und Emotionen lassen
sich kaum noch provozieren;
• die mentale Frische; nach den Übungen stellt sich ein Gefühl
des Ausgeruhtseins sowohl in körperlicher als auch geistiger Hinsicht
ein; und
• die Erhöhung der Wahrnehmungsschwellen; im Laufe der Übungen
verlieren die Außenreize (Geräusche, Beleuchtungsänderungen,
taktile Stimulationen) immer mehr die Fähigkeit, eine Reaktion auszulösen;
meist werden sie gar nicht mehr wahrgenommen“ (S. 31; Hervorhebungen:
E. K.).
Körperliche und psychische Auswirkungen der Entspannungsreaktion
sind miteinander verflochten. Nach dem Harvard-Mediziner George Benson
kommt es bei einer Entspannungsreaktion „zu vielfältigen organismischen
Veränderungen: neben hormonellen Veränderungen entkrampft und
lockert sich vor allem die (Skelett-) Muskulatur, Puls und Blutdruck werden
gesenkt, Atemrhythmen ruhiger und gleichmäßiger, die Aktivität
des Gehirns zeigt bestimmte Muster, die subjektiv als Gefühle des
Wohlbefindens, der Ruhe und Gelassenheit erlebt werden“ (Huber 1995,
S. 22). Durch das systematische Training, stellt sich eine gewisse Routine,
Stabilität und Regelmäßigkeit ein, wodurch die gewünschten
Effekte schneller erzielt werden können. Infolgedessen werden auch
Belastungs- und Erschöpfungszustände besser reguliert, kompensiert
und verarbeitet. Dies stärkt die Selbstkontrolle und Selbsthilfefähigkeit,
woraus bei mittel- und langfristiger Anwendung eines Entspannungsverfahrens
eine emotionale und psycho-physiologische Stabilisierung resultieren kann
(vgl. Krampen; Ohm 1994, S. 262).
Nach Zimbardo (19956) gibt es vier Bedingungen als notwendige Voraussetzungen
der Entspannungsreaktion: eine ruhige Umgebung, geschlossene Augen, eine
bequeme Stellung, wiederholte innere Instruktionen. Dabei reduzieren die
ersten drei den Input an das Nervensystem. Die vierte senkt dessen innere
Stimulation. Es ist erwiesen, dass die positive Wirkung der Entspannungsverfahren
über die Zeit hinausreicht, in der Personen aktiv mit den entsprechenden
Übungen beschäftigt sind: z.B. ist der Blutdruck von Bluthochdruckpatienten
(die durch ein Entspannungsverfahren gelernt haben ihre Blutdruck zu senken)
sogar wenn sie schlafen, niedriger als vor der Entspannungsübung
(vgl. ebd., S. 589).
4.4.3 Entspannung und Gesundheit
Wenn sich eine Person dazu entschließt ein Entspannungsverfahren
zu erlernen, muss sie ein gewisses Maß an Eigeninitiative und persönliches
Engagement mitbringen. Da sie dies auf freiwilliger Basis tut, das Erlernen
eines Entspannungsverfahrens aber auch mit Einsatz, Anstrengung, Zeitaufwand
und Kosten verbunden ist, ist davon auszugehen, dass individuelle Motive
eine Rolle spielen. Oft besteht ein gewisser Leidensdruck, der eine Person
dazu veranlasst zu handeln, um ihre Situation zu verbessern. In diesem
Zusammenhang wird in der Fachliteratur auch von Betroffenheit gesprochen,
aus der heraus sich die Volition (der Wille oder die Absicht zu handeln)
ergibt (vgl. Heckhausen 1989; Schwarzer 1994). Den Begriff Betroffenheit
verstehe ich hier in einem weiten Sinn: er kann von bloßer Unbehaglichkeit
bis hin zu schwerer chronischer Krankheit gehen. Betroffenheit kann durch
die individuelle Situation, durch die Krankheit anderer oder durch die
als Bedrohung empfundene gesamtgesellschaftliche Lage ausgelöst werden
(vgl. Forschungsverbund Laienpotential 1987). Das subjektive Erleben eines
gewissen „Mankos“ (Betroffenheit) und die Intention die Situation
zu ändern (Volition) sind letztlich entscheidend für das Entstehen
einer Handlung im allgemeinen und für das Erlernen eines Entspannungsverfahrens
im speziellen.
Um die motivationalen Aspekte genauer aufzuschlüsseln, greife ich
auf eine Studie der Epidemiologischen Forschung Berlin (1994) zur Gesundheitsförderung
zurück. Sie wurde im Rahmen einer Bestandsaufnahme zur Umsetzung
der Prävention gemäß §20 SGB V durch die Gesundheitskassen
durchgeführt. Dabei wurden 858 Personen rückwirkend zu den wesentlichen
Motiven und Gründen für die Teilnahme an einer Maßnahme
zur Gesundheitsförderung befragt. Die Ergebnisse der Befragung sind
in Tabelle 3 dargestellt (vgl. Kirschner et al. 1995, S. 99ff.).
- A Krankheiten und Beschwerden 41,6%
- B Rat von Ärzten 30,3%
- C Rat von Familienangehörigen/Freunden 12,1%
- D Unzufriedenheit mit mir bzw. mit meiner Gesundheit 24,7%
- E Ich wollte endlich was für mein Wohlbefinden tun 41,0%
- F Aktiv sein, fit sein, Kondition 26,9%
- G Aus Freude/Interesse/um Leute zu treffen 27,6%
- H Sonstiges 12,7%
Tab.3.: Motive an einem Programm zur Gesundheitsförderung teilzunehmen
Zwar wurden in dieser Studie Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
allgemein abgefragt, da jedoch die Hälfte bis zu zwei Drittel des
Gesamtangebots der Krankenkassen und Volkshochschulen im Bereich der Gesundheitsförderung
verschiedene Entspannungsverfahren beinhaltet, stelle ich die Ergebnisse
in einen Zusammenhang mit Entspannungsverfahren.
„Krankheiten oder Beschwerden“ sind ein wesentlicher Motivationsgrund,
um ein Entspannungsverfahren zu erlernen. Personen, die auf den Rat von
Ärzten, Familienangehörigen oder Freunden an einem Entspannungskurs
teilnehmen, dürften großteils in die selbe Kategorie fallen.
Hier liegt der Unterschied zur ersten Gruppe wohl im wesentlichen darin,
dass der Impuls letztlich von außen kommt. Die Punkte D bis G, die
zusammengenommen mehr als die Hälfte der Angaben ausmachen, weisen
auf einen Personenkreis hin, den man als eher „gesund“ bezeichnen
könnte. Aufgrund der Möglichkeit mehrere Faktoren gleichzeitig
anzugeben, lassen sich hier jedoch keine direkten Schlüsse ziehen.
Darüber hinaus schwächt diesbezüglich der Punkt F „Aktiv
sein, fit sein, Kondition“ die Aussagekraft, da er sich eher auf
den Bewegungsaspekt der Gesundheitsförderung (z.B. Sport, Gymnastik,
Tanz), als auf den der Entspannungsverfahren bezieht. Andererseits ist
dieser Effekt beispielsweise beim Yoga auch gegeben. Zumindest sind die
Personen, die „unzufrieden mit sich bzw. ihrer Gesundheit sind“
(D) und „endlich etwas für ihr Wohlbefinden tun wollen“
(E), ein Indiz dafür, daß auch „relativ gesunde“
Menschen den Drang verspüren ihre momentane Situation mit Hilfe eines
Entspannungsverfahrens zu verbessern. Wie an Punkt G abzulesen ist, spielen
auch der „Geselligkeitsaspekt“ und die „Freude an der
Sache“ eine Rolle dabei, eine Person zu motivieren ein Entspannungsverfahren
zu erlernen.
Die folgenden Fragen betrachten den Motivationsaspekt aus einer anderen
Perspektive: gibt es Menschen die eher ein Entspannungsverfahren anwenden
als andere? Welche Personen lernen es schneller bzw. leichter und bei
welchen tauchen individuelle Probleme mit der jeweiligen Technik verstärkt
auf? Über den Umkehrschluss, anhand von prognostisch ungünstigen
Faktoren für das Erlernen eines Entspannungsverfahrens, ist es möglich
sich den Antworten anzunähern.
Es hat sich gezeigt, dass sich für das Erlernen eines Entspannungsverfahrens
z.B. Erlebnis- und Vorstellungsarmut ungünstig auswirken. Darüber
hinaus haben „zwanghaft strukturierte Persönlichkeiten [...]
oft Schwierigkeiten loszulassen, geschehen zu lassen, einzuwilligen in
naturhafte Verläufe gewünschter Richtung“ (Kraft 19892,
S. 24; Auslassung: E. K.). Ebenso negativ wirken sich hysterische und
hypochondrische Charakterzüge aus. Oft fehlt in diesen Fällen
von vorn herein die Motivation. Auf der anderen Seite hat eine zu hohe
Motivation wie etwa eine starke Anspruchshaltung, oder ein übersteigertes
Leistungsbedürfnis ebenso negative Effekte. Denn sowohl die Fähigkeit
ein Entspannungsverfahren zu erlernen, als auch die Wahrscheinlichkeit
dies vorzeitig aufzugeben, werden dadurch beeinflusst (vgl. ebd.). Belegt
werden diese Aspekte durch mehrere empirische Untersuchungen zu Kursen,
in denen verschiedene Entspannungsverfahren angeboten werden. Demnach
brechen gerade Personen mit den eben genannten Charaktereigenschaften
signifikant öfter als andere den jeweiligen Kurs frühzeitig
ab, oder wenden die erlernte Methode nach Beendigung des Kurses nicht
mehr an. Darüber hinaus benötigten sie in der Regel auch mehr
Zeit, um sich die jeweilige Technik anzueignen (vgl. Vaitl; Petermann
20002).
Prinzipiell kann jedoch jede Person, wenn sie genug Geduld aufbringt,
ein Entspannungsverfahren erlernen. Dies gilt auch für Personen mit
den eben genannten Persönlichkeitsmerkmalen. Welches Entspannungsverfahren
für wen besser geeignet ist, hängt von individuellen Fähigkeiten,
Interessen und Neigungen ab. Grundvoraussetzung ist immer eine positive
Einstellung gegenüber der jeweiligen Technik und der Glaube sie erlernen
zu können (vgl. ebd.).
Hinsichtlich des Gegenstandes dieser Diplomarbeit stellt sich in diesem
Zusammenhang die Frage nach den spezifischen Motiven (den Stress betreffend),
die dafür ausschlaggebend sind, dass eine Person ein Entspannungsverfahren
erlernt. Obwohl hier die Komplexität von individuellen Voraussetzungen
in Wechselwirkung mit unterschiedlichsten Stressoren zu bedenken ist,
werde ich im folgenden beispielhaft entsprechende physiologische und psychologische
Faktoren bzw. Situationen vorstellen.
• Am Arbeitsplatz begegnet eine Person einer Reihe von Stressoren.
Sie können physischer Art sein wie Bewegungsarmut durch eine fixierte
Arbeitsposition, Lärm und Abgase, große körperliche Beanspruchung
und oder psychische Belastungen wie Erfolgs- und Leistungsdruck, Zeitdruck
oder zwischenmenschliche Schwierigkeiten mit dem Chef oder den Kollegen.
Wie viele Personen davon betroffen sind, zeigt eine Studie des Karlsruher
Instituts für Arbeit- und Sozialhygiene, die das Stressverhalten
von etwa 6000 Führungskräften untersucht und sie in vier unterschiedliche
Stresstypen eingeteilt hat (vgl. Huber 1989, S. 23; s.Tab.4.).
1 Angst und Anspannung 20,5%
2 Verdrängung und mangelnde Selbstkontrolle 22,2%
3 Herausforderung, Ehrgeiz und Selbstkontrolle 27,6%
4 Gesundes und kontrolliertes Leben 22,7%
Tab.4.: Die vier Stresstypen (vgl. Huber 1989, S. 23)
Demnach hängt vor allem der „streß-anfällige Typ1
mit Leidensdruck und Krankheitssymptomen zusammen. Herausforderungen werden
nicht positiv gesehen und mangelnde Energie, Tatkraft und Gelassenheit
stehen Gefühlen von Angst, Anpassung und Machtlosigkeit gegenüber.
Folge: Leistungseinschränkung unter Druck und unkontrollierte Lebensweise
in Stresssituationen. Typ2 reagiert vor allem mit ‚Lustlosigkeit’,
während ‚Ehrgeiz-Typ3’ unter ungesunder Daueranspannung
und ausgeprägtem ‚Beschäftigungsdrang’ steht, hat
nur Typ4 den gesundheitlich notwendigen Ausgleich zwischen Aktivität
und Entspannung in seinem Alltagsleben integriert“ (ebd.).
Entspannungsverfahren sind eine adäquate Maßnahme um physischen
und psychischen Belastungen zu begegnen. Je nach Art des Arbeitsplatzes
kann körperlichen Verspannungen, Haltungsschäden, Leistungsabfall
oder Konzentrationsschwächen vorgebeugt werden. Beispielsweise gibt
es mittlerweile Literatur zu Progressiver Muskelentspannung, Autogenem
Training und Yoga am Arbeitsplatz oder am Computer. Darüber hinaus
bieten viele größere Unternehmen interne kostenlose „Entspannungskurse“
für ihre Mitarbeiter an, um ihre Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten
oder noch zu steigern.
• Beziehungsprobleme können ein ausschlaggebender Grund sein,
sich ein Entspannungsverfahren anzueignen. Häufig ist es der Partner,
der den Anstoß dazu gibt (s.w.o.). Stress mit seinen Folgeerscheinungen
wie innere Unruhe, Unzufriedenheit, Unausgeglichenheit, Nervosität
und Gereiztheit können eine Beziehungskrise auslösen. Seelische
Unausgeglichenheit kann durch ein Entspannungsverfahren gemildert werden.
Darüber hinaus beeinflusst es mitunter störende Gewohnheiten
wie „dem anderen ins Wort fallen“ oder „nicht zuhören
können“ in positiver Weise (vgl. Kraft 19892; im Zusammenhang:
Indikationen des Autogenen Trainings). Auch nach einer gescheiterten Beziehung
sind Aspekte der Selbstfindung oder soziale Aspekte, wie „wieder
unter Menschen zu kommen“ oder „vielleicht jemanden kennen
zu lernen“ mögliche Motivationsgründe an einem Kurs für
Entspannungsverfahren teilzunehmen.
Daneben gibt es noch weitere Faktoren, die mit Stress zusammenhängen
und durch Entspannungsverfahren gemildert werden oder ganz verschwinden.
Dazu gehören beispielsweise permanente Müdigkeit und Ausgelaugtheit,
Schwierigkeiten sich bzw. seine Emotionen zu kontrollieren, Nervosität
und Hyperaktivität oder verstärktes Rauchen bzw. Alkoholkonsum.
Jeder dieser Faktoren kann letztlich eine Person dazu motivieren ein Entspannungsverfahren
zu erlernen.
Die Folgeerscheinungen von unbewältigtem Stress schlagen sich zuerst
in einer subjektiv schlechten Befindlichkeit wie Unwohlsein, Ausgelaugtheit,
Leistungsnachlass oder Reizbarkeit nieder. Wenn eine Person nichts dagegen
unternimmt, kann dieser Zustand wie bereits dargestellt in akute Krankheiten
und Beschwerden fließend übergehen. Aufgrund der Vielzahl körperlicher
und psychischer Beschwerden, die dann letztendlich der Auslöser für
eine Person sein können ein Entspannungsverfahren zu erlernen, greife
ich im Folgenden exemplarisch einige stressbedingte Krankheiten heraus
und zeige wie diese durch Entspannung gemildert bzw. ganz geheilt werden
können.
• Muskelverspannungen können mit einer Entspannungsmethode
behandelt werden. Meist sind der Rücken- und Halswirbelbereich bzw.
die Wirbelsäule betroffen, die jedoch bei stärkeren Verspannungen
oder einer schlechten Sitzhaltung zu Spannungskopfschmerz und Haltungsschäden
führen können. Besonders wirksam zur lokalen Behandlung sind
hier zum Beispiel die Progressive Muskelentspannung (vgl. Vaitl; Petermann
20002). Unspezifischer, da hier über geistige Entspannung und Ausgeglichenheit
eine allgemeine Muskelentspannung erreicht wird, jedoch ebenso effektiv,
kann zum Beispiel das Autogene Training sein. Auch geistige und zugleich
körperliche Entspannung wie sie beim Yoga über fließende,
ruhige Bewegungsabläufe erreicht werden, sind eine Alternative körperliche
Verspannungen zu lindern bzw. zu heilen.
• Schlafstörungen können einerseits „relativ bald
zusätzliche Beschwerden im emotionalen Bereich, in der Lebensfreude,
bei sozialen Beziehungen und teilweise in den mentalen Leistungen“
(Petermann; Vaitl 1994, S. 63) hervorrufen, andererseits sind sie ein
Leitsymptom von Ängsten und vor allem Depressionen. Im sozialen Leben
und im Tagesablauf erleben die betroffenen Personen „subjektiv mehr
Streß, mit dem sie relativ schlecht zurechtkommen“ (ebd.,
S. 61). Greift eine Person im Falle von Schlaflosigkeit zu „Schlaftabletten“,
so ist sie tagsüber oft müde, da die dämpfende Wirkung
am darauf folgenden Tag anhält. Zudem verändern schlafinduzierende
Medikamente die physiologische Struktur des Schlafes (der Tiefschlafanteil
sinkt) und bewirken bei längerer Einnahme eine körperliche und
psychische Abhängigkeit (vgl. ebd., S. 62f.). Bei chronischem Gebrauch
kann es laut Corazza et al. (2001) zu „Verwirrtheit, Konzentrationsstörungen
und Gefühlsveränderungen“ kommen (S. 419). Diese Nachteile
der medikamentösen Behandlung fallen weg, wenn eine Person stattdessen
ein Entspannungsverfahren als Einschlafhilfe anwendet. Dessen Effektivität
misst sich daran, inwiefern es eine kürzere Einschlaf- bzw. Wiedereinschlafphase
bewirkt. Auch hier gibt es grundsätzlich zwei Richtungen von denen
aus der Schlaf gefördert werden kann: zum einen über die gezielte
Muskelentspannung (z.B. durch Progressive Muskelentspannung) und zum andern
über geistige Entspannung und Gelassenheit (z.B. durch Autogenes
Training oder Yoga), die eine allgemeine Entspannung der Muskulatur bewirkt.
Nach Petermann; Vaitl (1994) kann man die Ergebnisse empirischer Untersuchungen
zur Wirkung von Entspannungsverfahren bei Schlafstörungen wie folgt
zusammenfassen: „Die Methoden Jacobson-Entspannung [...] und Autogenes
Training haben jede für sich bereits sehr vielen Schlafgestörten
geholfen, vor allem Ein-, teilweise aber auch Durchschlafgestörten:
Im Gruppenmittel verkürzte sich die subjektiv eingeschätzte
Schlaflatenz um zehn bis 40 Minuten; die Häufigkeit von Aufwachepisoden
blieb zwar für gewöhnlich annähernd gleich, aber die Patienten
schliefen ihrer eigenen Einschätzung auch nach Aufwachen nachts meistens
schneller wieder ein“ (S. 64; Auslassung: E. K.).
• Herz-Kreislauferkrankungen gehören in den Industrieländern
zu den „Spitzenreitern unter den Todesursachen“ (Petermann;
Vaitl; 1994, S. 107). Sie werden vor allem durch Risikoverhaltensweisen
wie starkes Rauchen, ungesunde Ernährungsgewohnheiten, Alkoholkonsum,
Bewegungsarmut und das Typ A-Verhalten begünstigt. Bei all diesen
Faktoren spielt psychischer und/oder physischer Stress eine Rolle. Entspannungsverfahren
wirken diesen Verhaltensweisen entgegen und haben darüber hinaus
positiven direkten Einfluss auf Herz-Kreislauferkrankungen. Dass direkte
physiologische Effekte wie sinkender Puls bzw. Blutdruck, verringerte
Muskelspannung oder tiefere ruhigere Atmung empirisch nachgewiesen sind,
habe ich bereits unter 4.4.2 angesprochen. Um diese Aspekte noch einmal
zu untermauern, greife ich das Beispiel Blutdrucksenkung heraus. Die Progressive
Muskelentspannung, das Autogene Training und Yoga-Übungen sind speziell
auf ihre blutdrucksenkende Wirkung hin untersucht worden. Diesen Untersuchungen
zufolge „besteht heute kein Zweifel mehr daran, dass diese Verfahren
den Blutdruck senken“ (Petermann; Vaitl 1994, S. 115). Ein weiteres
Ergebnis empirischer Untersuchungen, ist in diesem Zusammenhang, dass
die Medikation bei solchen Erkrankungen durch Entspannungsverfahren herabgesetzt
werden kann, was hinsichtlich der Nebenwirkungen und individuell unterschiedlicher
Verträglichkeit einen gesundheitlichen Vorteil für die betroffene
Person bietet. Bei akuten Herz-Kreislauferkrankungen sind Entspannungsverfahren
allerdings nicht als Alternative, sondern als Zusatztherapie zu verstehen.
Wenn sie nach einer akuten Phase konsequent beibehalten werden, sind sie
jedoch ein effektives Mittel, um einer neuerlichen Erkrankung bzw. Herzattacke
vorzubeugen (vgl. Petermann; Vaitl 1994, S. 123f).
• Suchtverhalten (z.B. Rauchen, Alkohol-, Drogen- und Medikamentenkonsum,
aber auch Essstörungen) wird durch psychischen und physischen Stress
zumindest begünstigt, wenn nicht verursacht. Sucht kann als fehlangepasstes
Verhalten bzw. fehlangepasste Bewältigungsstrategie bezeichnet werden,
die zu psychischer und physischer Abhängigkeit führt (vgl. Schwarzer
19962). Der Nachteil einer therapeutischen Behandlung besteht darin, dass
eine Person zum einen in eine Patientenrolle gedrängt wird und zum
anderen die Rückfallquoten sehr hoch sind. Dagegen bietet das Erlernen
eines Entspannungsverfahrens eine Alternative, die nicht die Sucht in
den Vordergrund stellt und den Menschen nicht in eine Patientenrolle drängt.
Ich gehe davon aus, dass bei Suchtverhalten eher Verfahren angezeigt sind,
die auf den „Geist“ abzielen (z.B. Autogenes Training oder
Yoga). Im Rahmen eines Praktikums im Szenenwechsel–N7 , eine Einrichtung,
die suchtbegleitende, klientenorientierte und niedrigschwellig-akzeptierende
Drogenarbeit leistet, habe ich gelernt, dass hauptsächlich die Psyche
und nicht so sehr der Körper einer Person „süchtig“
ist. Entspannungsverfahren sind als adäquate Bewältigungsstrategien
von Problemen zu verstehen, da sie über eine Art „Ersatzfunktion“
für das Suchtobjekt hinaus, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle,
die innere Ausgeglichenheit und das persönliche Wachstum fördern.
Darüber hinaus ist empirisch belegt, dass Entspannungsverfahren z.B.
bei Angststörungen, Depressionen, Schmerzzuständen, gastrointestinalen
Störungen, rheumatischen Erkrankungen, Asthma bronchiale, Schmerzuständen,
in der Zahnheilkunde, der Geburtshilfe und der Gynäkologie ihre positive
Wirkung entfalten (vgl. Petermann; Vaitl 1994).
Wie hoch der prozentuale Anteil der Personen ist, die aufgrund von körperlichen
oder psychischen Beschwerden ein Entspannungsverfahren erlernen, muss
an dieser Stelle offen bleiben. Vermutlich wenden in diesem Kontext viele
Personen auf Rat eines Arztes, Therapeuten oder Psychologen eine der Methoden
an. Oft wird die Technik auch vom Experten selbst gelehrt bzw. verschiedene
Methoden miteinander abwechselnd kombiniert, was eine größere
Effektivität der Behandlung verspricht.
28.)Typ A-Verhalten: „konkurrenzbezogenes,
von hohem Antrieb gekennzeichnetes, feindseliges Verhaltensmuster, das
mit einem hohen Risiko für Erkrankungen der Herzkranzgefäße
zusammenhängt. Bei Männern am meisten verbreitet, wird es zunehmend
auch bei Frauen und sogar bei Kindern und Jugendlichen gefunden“
(Zimbardo 19956, S. 594).
29.) Szenenenwechsel-N7: besteht aus dem Kontaktladen und der Notschlafstelle
und ist eine Einrichtung der Drogenhilfe Schwaben e.V.
30.)„gastrointestinal: den Magen-Darm-Trakt betreffend“ (vgl.
Vaitl; Petermann 20002, S. 450; Hervorhebung: E. K.).
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