Sadhana Tattwa

Im Einführungskapitel spricht Swamiji über ein Flugblatt, das er im Papierkorb in seinem Büro gefunden hatte. Der Inhalt dieses Flugblattes war sein erster Einblick in ein spirituelles Leben. Es führte dazu, dass er Swami Sivananda traf, seinen zukünftigen guru. Was war das für eine Schrift, die den jungen Mann so fesselte? Es ist wohl am besten, die Worte für sich selbst sprechen zu lassen.

Die Wissenschaft der 7 Kulturen für die schnelle Entwicklung der menschlichen Seele, von H.H. Sri Swami Sivananda Ein Gramm Praxis ist mehr wert als Tonnen von Theorie. Praktiziere Yoga, Religion und Philosophie und erreiche Selbstverwirklichung. Diese 32 Instruktionen geben die Essenz der ewigen Religion (Sanatana Dharma) in reinster Form wieder. Sie sind auch für den modernen Menschen im Berufs- und Familienleben mit festen Arbeitszeiten geeignet. Modifiziere sie nach deinen Bedürfnissen und verlängere die Zeiten nach und nach.

Am Anfang fasse nur einige praktikable Vorsätze, die eine kleine, aber deutliche Verbesserung deiner jetzigen Gewohnheiten und deines Charakters bewirken. Wenn du krank bist, unter Arbeitsdruck stehst oder unvermeidbare Verpflichtungen hast, ersetze dein aktives sadhana durch häufiges Denken an Gott.

Kultur der Gesundheit

Iss mäßig. Nimm leichtes und einfaches Essen zu dir. Opfere es Gott, bevor du isst. Lass deine Ernährung ausgewogen sein. Vermeide Chillies, Knoblauch, Zwiebeln, Tarmarind u.a. so gut wie möglich. Gib Tee- und Kaffeetrinken, Rauchen, Betelkauen, Fleisch und Wein vollständig auf. Faste an Ekadashi (alle 14 Tage). Nimm dann nur Obst, Milch und Wurzelgemüse zu dir. Praktiziere täglich 15 bis 30 Minuten Asanas oder andere Körperübungen. Gehe täglich spazieren oder spiele kraftvolle Spiele.
 

Kultur der Energie

Schweige 2 Stunden am Tag und sonntags 4 bis 8 Stunden. Lebe deinem Alter und den Umständen entsprechend im Zölibat. Schränke den sexuellen Kontakt auf einmal im Monat ein. Vermindere ihn nach und nach auf einmal im Jahr. Schließlich lege den Eid der Entsagung für das ganze Leben ab.
 

Kultur der Ethik

Sprich die Wahrheit. Sprich wenig. Sprich freundlich. Sprich sanft. Verletze niemanden in Gedanken, Worten oder Taten. Sei freundlich zu allen. Sei ehrlich, aufrichtig und offenherzig in allen deinen Gedanken und Taten. Sei rechtschaffen. Verdiene im Schweiße deines Angesichtes. Nimm kein Geld, Geschenke oder Gefälligkeiten an, bevor du sie nicht rechtmäßig verdient hast. Entwickle Würde und Integrität. Kontrolliere Ausbrüche von Ärger, indem du Gelassenheit, Geduld, Liebe, Gnade und Toleranz entwickelst. Vergiss und vergib. Passe dich Menschen und Ereignissen an.
 

Kultur des Willens

Lebe eine Woche oder einen Monat ohne Zucker. Verzichte sonntags auf Salz. Gib das Kartenspielen auf, ferner das Lesen von Romanen und den Besuch von Kinos und Discos. Entfliehe schlechter Gesellschaft. Vermeide Diskussionen mit Materialisten. Halte dich nicht bei Leuten auf, die kein Vertrauen zu Gott haben oder die dein sadhana kritisieren. Schränke deine  Wünsche ein. Verringere deinen Besitz. Lebe einfach und denke erhaben.
 

Kultur des Herzens

Anderen Gutes zu tun ist höchste Religion. Verrichte jede Woche einige Stunden selbstlosen Dienst, ohne Egoismus oder Erwartung einer Belohnung. Erfülle deine weltlichen Pflichten mit der gleichen Einstellung. Arbeit ist Verehrung. Widme sie Gott. Gib 2 bis 10 Prozent deines Einkommens jeden Monat einer wohltätigen Einrichtung. Teile alles, was du besitzt, mit anderen. Lass die Welt deine Familie sein. Beseitige Selbstssucht. Sei bescheiden und verbeuge dich geistig vor allen Wesen. Fühle überall die göttliche Gegenwart. Gib Eitelkeit, Stolz und Heuchelei auf. Habe unerschütterliches Vertrauen in Gott, die Gita und deinen guru. Gib dich vollständig Gott hin und bete: „Dein Wille geschehe, ich will nichts.“ Unterwirf dich bei allen Ereignissen und Lebenslagen mit Gleichmut dem göttlichen Willen. Erschaue Gott in allen Wesen und liebe sie wie dich selbst. Erinnere dich ständig an Gott oder wenigstens beim Aufstehen, während der Arbeitspausen und beim  zubettgehen. Bewahre in deiner Tasche eine Mala (Rosenkranz) auf.
 

Kultur der Psyche

Studiere jeden Tag ein Kapitel oder 10 bis 20 Verse der Gita mit ihrer Bedeutung. Lerne Sanskrit, wenigstens soviel, dass du die Gita im Original verstehen kannst. Nach und nach lerne die ganze Gita auswendig. Bewahre sie immer bei dir auf.
Lies täglich oder feiertags Ramayana, Bhagavatam, Upanishaden, Yoga Vasishta oder andere spirituelle Bücher. Geh bei jeder Gelegenheit zu religiösen Treffen, kirtans und satsangs von Heiligen. Organisiere solche Treffen an Sonn- und Feiertagen.
Besuche einen Tempel oder einen Platz der Verehrung mindestens einmal die Woche und organisiere dort kirtans und  Gesprächskreise. Verbringe deine Feiertage wenn möglich in der Gemeinschaft von Heiligen oder praktiziere sadhana zurückgezogen an heiligen Plätzen.
 

Kultur der Spiritualität

Geh früh zu Bett. Steh um 4 Uhr morgens auf. Mache Toilette, spüle den Mund und nimm ein Bad. Rezitiere Gebete und kirtan dwanis. Praktiziere pranayama, japa und Meditation von 5 bis 6 Uhr. Sitze bewegungslos in padmasana, siddhasana oder sukhasana. Führe dein tägliches sandya (Morgenritual), gayatri japa, nityakarma aus und verehre die Aspekte Gottes, wenn du welche hast. Schreibe dein bevorzugtes Mantra oder den Namen Gottes 10 bis 30 Minuten täglich in ein Notizbuch. Singe die Namen Gottes (kirtan). Wiederhole abends einige Gebe te, stotras und bhajans eine halbe bis eine Stunde lang zusammen mit deiner Familie. Fasse jedes Jahr Vorsätze zu den obigen Empfehlungen. Regel mä ßigkeit, Zähigkeit und Beständigkeit sind wesentlich. Halte dein sadhana täglich in einem spirituellen Tagebuch fest. Schau es jeden Monat an und arbeite an den Fehlern.
 

Die praktischen Ratschläge in dieser Schrift lagen Swamiji immer am Herzen und bildeten den Eckpfeiler dessen, wie er den Rest seines Lebens lehrte und arbeitete. Besonders der Einführungssatz „Ein Gramm Praxis ist mehr wert als Tonnen Theorie“ beschreibt prägnant seine An näherung an die Yogaphilosophie. Rede nicht nur darüber, sondern handle jetzt.

Um das Handeln zu erleichtern, ermutigte Swamiji seine Schüler, dem zweiten Hauptratschlag der Schrift zu folgen, der in der Einführung zu finden ist: „Fasse nur einige praktikable Vorsätze, die eine kleine, aber bestimmte Verbesserung deiner gegenwärtigen Gewohnheiten und Wesenszüge ermöglichen.“ An jedem Neujahrstag ermutigte er seine Schüler, neue Vorsätze für das kommende Jahr zu fassen, die die 32 Punkte des Sadhana Tattwa zur Grundlage hatten.
Hier erklärt er diesen Prozess:

Als ich im Himalaya praktizierte, hielt ich meine Vorsätze schriftlich fest, genau wie es in Gurudevs Instruktionen vor geschlagen wird. Ich führte ein Tagebuch, um zu überprüfen, ob ich die Vorsätze auch wirklich eingehalten und die Praktiken ausgeführt hatte. Man sollte täglich Folgendes notieren: Wieviele Stunden Asanas gemacht, wieviele Runden Pranayama, wieviele Stunden Schweigen, wie oft man in Wut geraten war, wie oft man brahmacharya nicht eingehalten hat. Am Abend kann man das Tagebuch überprüfen und es mit den Vorsätzen vergleichen, so dass man am nächsten Tag einen neuen Versuch starten kann, es besser zu machen

Nach einigen Tagen des Misserfolgs ist man plötzlich in der Lage, sein Ziel zu erreichen. Dann sollte man den Vorsatz auf eine höhere Ebene bringen. Anstatt Pranayama nur 2x sollte man es jetzt 3x am Tag machen. Das spirituelle Tagebuch zeigt einem, ob man Fortschritte macht oder nicht. Es ist für jeden spirituellen Aspirant sehr wichtig, dass er seine eigenen Fortschritte sehen kann. So hat er eine Art Führer oder Lehrer zu Verfügung, der ihm über die Schulter schaut.

Du fasst doch am Neujahrstag alle möglichen Vorsätze, oder? Du beschließt, nicht zu rauchen, kein Fleisch zu essen, keinen Alkohol zu trinken oder kein Marihuana zu rauchen. Aber wenn du schon 100% erfolgreich bist, da das sowieso schon dein Lebensstil ist, ist es eigentlich kein richtiger Vorsatz. Du musst etwas nehmen, in dem du noch nicht perfekt bist und was du verbessern willst. Wenn ich die oberen 4 Vorsätze fassen würde, wäre ich vollständig erfolgreich, daher sollte ich einen nützlichen Vorsatz nehmen wie: „Ich werde mich nicht ärgern.“ Jedes Jahr versage ich bei diesem Vorsatz, also mache ich ihn erneut. Anstatt jeden zweiten Tag ärgerlich zu werden, werde ich nur noch jeden dritten Tag ärgerlich.

Ich schreibe kein spirituelles Tagebuch mehr, aber ich habe immer noch eins in meinem Kopf. Bevor ich zu Bett gehe, überprüfe ich, wie oft ich ärgerlich geworden bin oder wie oft ich geschrieben habe. Dann bete ich zu Gott und sage: „Oh Gott, ich bringe es Dir dar.“ Auf diese Weise lasse ich los. Darum geht es bei diesen ganzen Vorsätzen.

Fasse keinen Vorsatz, den du nicht bis zu einem gewissen Grad einhalten kannst. Wenn du am Anfang zuviele Vorsätze fasst, ist es als ob du einen schwachen Muskel überforderst. Er wird zusammenbrechen. Die Disziplin sollte langsam und Schritt für Schritt erfolgen, um zu vermeiden, dass der Geist rebeliert. Fasse realistische Beschlüsse und schaue dann in dein Tagebuch. Vielleicht hast du beschlossen, um 5 Uhr aufzustehen. Wenn du an 20 Tagen im Monat um acht 8 Uhr und an den restlichen 10 Tagen um 5 Uhr aufgestanden bist, dann sei glücklich. Vielleicht hast du an 20 Tagen nur 1 Stunde Asanas gemacht, aber an den anderen 10 Tagen 2 Stunden. Vielleicht hast du an 20 Tagen nur 5 Runden Pranayama gemacht, aber an den anderen 10 Tagen 40 Runden.

Am Ende jeden Monats überprüfe deinen Stand und entscheide, wie du dich noch weiter verbessern kannst. Am Ende des Jahres wirst du feststellen, dass deine Willenskraft außerordentlich gestiegen ist. Dann wirst du wissen, dass du ein freier Mensch bist, dass dein Geist dir gehorcht. Nach 5 oder 6 Jahren solcher Praxis wirst du feststellen, dass Meditation von selbst kommt. Wenn du dich hinsetzt, wird sich augenblicklich die Energie bewegen, alle Chakren werden aufblühen und dein Gesicht wird leuchten und strahlen.

Om Namo Narayanaya
Übersetzt heißt dieses Sanskritmantra „Verbeugung vor Vishnu“.
Vishnu ist der göttliche Bewahrer des Universums. Wo immer Swamiji hinging, ermutigte er die Leute, dieses Mantra zu wiederholen, zu singen und zu schreiben. Er sagte, dass wir damit die erhaltende Kraft Vishnus erwecken würden und so helfen könnten, die Welt zu einem besseren und friedlicheren Platz zu machen.