Yoga als eine universale Wissenschaft

  Kapitel 16:

  Theorie und Praxis der Meditation (2)

Pratyahara führt durch schrittweise Eigenbewegung mit immer größerer Ausdehnung und innerer Intensivierung zu Dharana. Die Yogastufen greifen ineinander über, ohne daß man zwischen den Stufen eine klare Grenze ziehen kann, genauso wenig wie man bei einem heranwachsenden Kind die Entwicklungsstufen klar voneinander unterscheiden kann. Es ist eine allmähliche Entwicklung ohne klare Trennlinien, was ein Beweis für ein vollkommenes Ganzes des Yoga ist, und nicht, wie bei einem Haus, aus lauter Einzelbausteinen besteht, die man auch wieder entfernen könnte, ohne daß die einzelnen Steine dabei zerstört würden. Der Yogaprozeß ist eine organische Praxis, und er ist ein größerer Organismus als selbst unser eigener Körper. Wir haben uns ausreichend mit Pratyahara und dem Weg, wie er in die Konzentration oder Dharana einmündet, beschäftigt. Die Schwierigkeiten auf dem Weg, die praktische Anwendung und die Notwendigkeit im Geist wachsam zu sein, wurde ebenfalls angesprochen.

Wenn Konzentration oder Dharana praktiziert wird, findet eine hoch psychologische Aktivität statt, die nicht weniger schwierig ist, als eine medizinische Behandlung oder kriegerische Handlung. Es gibt negative und positive Prozesse, - anabolisch und katabolisch -, beide finden gleichzeitig in unserem Körper statt. Überall in der Natur, in den fünf Elementen, in der Gesellschaft, in den Körpern von Mensch und Tier und selbst in unserer eigenen Psyche finden abstoßende und anziehende Prozesse statt. In der Welt ist jede Bewegung entweder mit dem Abstoßen oder der Anziehung verbunden. Und diese Bewegung der Natur als Ganzes ist auch in der inneren Psyche des Menschen zu finden, selbst bei der Konzentration oder Meditation.

Das Abstoßen (Aufgeben) irrelevanter Gedanken

Der Geist fühlt sich gezwungen, unnütze Gedanken, die nicht mit den Anforderungen der Konzentration übereinstimmen, aufzugeben. Jeder weiß selbst nur zu gut, welche Ideen, Gedanken oder Gefühle nichts mit dem Ideal des Konzentrationsobjektes zu tun haben. Jeder muß, ohne Verallgemeinerung, für sich selbst entscheiden, was nichts mit dem Yoga-Ideal zu tun hat, denn was dem einen gut tut, mag für den anderen schädlich sein. Hierin liegt der Grund, warum Yoga in alter Zeit individuell und nicht vielen Leute gleichzeitig weitergegeben wurde. Obwohl im allgemeinen der Geist bei allen Menschen gleich zu sein scheint, so unterscheidet er sich doch von einem zum anderen. Wenn wir uns mit den inneren Feinheiten von Dharana oder Dhyana - Konzentration oder Meditation - näher befassen, dann beschäftigen wir uns nicht nur mit den allgemeinen Prozessen des Geistes, welche bei allen Menschen praktisch gleich sind, sondern wir berühren die Einzelheiten der inneren Vorgänge, die sich von Mensch zu Mensch unterscheiden. Daher müssen wir in der Analyse der Bestandteile des Geistes mit Bedacht, und genauso sorgfältig wie ein forschender Gelehrter in der Physik oder Chemie bei seiner wissenschaftlichen Analyse im Labor, vorgehen. Wenn jemand bei seiner Forschung voranschreitet, sei es bei den inneren Gefühlen eines Yogis oder in einem Labor eines Wissenschaftlers, wird er sehr konzentriert, dann kommt er weiter ins Detail, - in Details, die in seine Untersuchungen und Experimente eingeschlossen sind.

Man kann sagen, ohne die Schwierigkeiten mit der individuellen Einstellung zu berühren, daß die Gedanken, Gefühle oder Ideen, die nicht im direkten oder indirekten Zusammenhang mit jenen Gedanken stehen, die das Meditationsobjekt betreffen, irrelevant sind. Die Relevanz oder Irrelevanz eines Gedankens hängt von der Art des Objektes oder Ideals ab, auf das man sich konzentriert. Darum kann man nicht sagen, was relevant oder irrelevant ist. Denn dies hat etwas mit dem eigenen Konzentrationsobjekt zu tun. An dieser Stelle kommt, um zwischen den positiven Gedanken und förderlichen Kräften und den sich einmischenden negativen Kräften zu entscheiden, die den Geist ablenken, wieder der Guru ins Spiel. Solch einer Unterscheidungshilfe, um irrelevanten Gedanken aufzugeben, sollte man folgen. Jeder sollte sich eine Liste irrelevanter Gedanken erstellen, denn ein abgelenkter Geist kann sich nicht ernsthaft konzentrieren oder meditieren. Wenn man sich der Spiritualität oder dem Yoga zuwendet, sollte man sich individuell darauf vorbereiten. Dies ist der ganze Besitz und die ganze Berufung und nichts anderes. Doch von welcher Natur die Gedanken auch immer sein mögen, man muß sie aufgeben. Es gibt Stufen, wo man sich eben von bestimmten Gedanken trennen muß.

An dieser Stelle mag man sich großen Schwierigkeiten gegenübersehen. In dieser Welt ist es schwierig, sich von irgend etwas zu trennen, was uns über einen langen Zeitraum begleitet hat. Von Gedanken, mit denen man vertraut war und die aus unserem täglichen Leben nicht wegzudenken waren, muß man sich nun trennen. Dies ist nicht leicht, denn die Aufgabe dieser Dinge ist nur möglich, wenn deren wahren Werte erkannt werden. Bei allen Dingen, die uns wertvoll erscheinen, kann in unsere Psyche nicht eingegriffen werden. Alles das, was wir auf die eine oder andere Weise in unserem Leben als wertvoll erachten, kann nicht als Objekt preisgegeben werden. Es muß in unserem Sinne zuvor jeden Wert, jede Bedeutung und Assoziation verlieren, genauso wie ein Traum im Wachzustand bedeutungslos wird. Nur dann, können wir uns davon trennen. Doch kein Gedanke aus dem normalen Leben kann so leicht aufgegeben werden, denn auch jene Gedanken, die wir als irrelevant betrachten, sind Teil unseres Bewußtseins, und darum ist das Aufgeben ein schmerzvoller Prozeß.

Hier sollten wir uns an die Irrtümer der früher untersuchten Prozesse und der Unterteilung in Klishta Vrittis und Aklishta Vrittis durch Patanjali erinnern. Die Klishta Vrittis sind für die Konzentration und Meditation offensichtlich irrelevant. Dies ist nicht besonders erwähnenswert. Doch ist es sehr schwierig, eine Beständigkeit in den Aklishta Vrittis oder den nicht-schmerzhaften Geistesbewegungen zu verwirklichen, die Bestandteil unseres täglichen Lebens sind. Darum ist es harte Arbeit, diese als irrelevant zu behandeln. Wir sollten darum nicht gleich in eine höhere Stufe des Aufgeben hineinspringen, wenn wir noch auf einer niedrigeren Stufe stehen. Wir müssen uns der früheren Beobachtungen an die Schöpfungsnatur als Ganzes und an das Universum in seiner inneren Struktur erinnern, in dessen Licht man nicht einfach behaupten kann, daß es für den Geist des Betrachters zulässig wäre, Objekte als etwas Äußeres anzusehen. Das Wichtige bei den Aklishta Vrittis von Patanjali ist, daß es keine äußeren Objekte gibt, selbst wenn man sie sprachlich bei der Samkhya als Prakriti bezeichnet. Man kann sie nicht als Objekt betrachten, denn das sogenannte Subjekt, das Prakriti als Objekt ansieht, ist selbst Teil der Prakriti. Das Individuelle der Purusha, - der wahrnehmende Charakter des Einzelnen, - wurde durch die Funktionsweise der Gunas in der Prakriti hervorgebracht, für die es jedoch nichts Individuelles gibt. Aus diesem Grunde betrachtet das individuell Wahrnehmende die Prakriti oder die Welt als ein äußerliches Objekt, obwohl es selbst Teil dieses Objektes ist. Darum gibt es selbst in den Aktivitäten der Aklishta Vrittis Fehler, was man den Klishta Vrittis nachsagt! Auf diese Weise wird klar, was irrelevant und was relevant ist, wenn man in die philosophischen Verwicklungen der wahren Natur der Existenz hineingeht.

Die vierfache psychologische Aktivität in Dharana

Daraus kann und sollte man folgern, daß jene Gedanken und Gefühle, die auf äußere Objekte in Raum und Zeit hinzielen, nicht im Einklang mit der Konzentration oder Meditation stehen. Zusammen mit dem geistigen Bemühen, nach außen gerichtete Objekte vorübergehend zu verhindern, findet zur gleichen Zeit eine positive Aktivität durch das Sammeln jener Ideen statt, die als Meditationsobjekte für den Sucher geeignet sind. Auf diese Weise entsteht ein Doppeleffekt, nämlich einerseits, durch das Ausschalten jener Vrittis, die auf äußere Objekte hinzielen, werden andererseits jene Ideen gefördert, die dem höheren Ideal der vollkommen unteilbaren Struktur des Meditationsobjektes entsprechen. Ein Aspekt von den angesprochenen vier Aktivitäten ist also, Gedanken zu verhindern, die für die Meditation irrelevant sind. Der andere Aspekt ist der Objektgedanke selbst. Während wir uns einerseits der Natur jener Gedanken bewußt sind, die es zu vermeiden gilt, sind wir uns anderseits jener Gedanken bewußt, dies es aufgrund ihrer Natur zu bewahren gilt. Es gibt eine dritte Gedankenform, die das Existenzbewußtsein des Meditierenden beinhaltet. Wir sind uns bewußt, daß wir meditieren, und vor uns befindet sich ein Objekt, auf das wir uns konzentrieren. Es existiert noch ein vierter Prozeß, nämlich, der Prozeß des Wissens, der den Meditierenden mit dem Meditationsobjekt verbindet. Dies bezeichnet man in der Erkenntnistheorie der Pramana Sastra als Pramana Chaitanya.

Wir sind uns bewußt zu sein und zu denken; wir sind uns der Objektnatur bewußt, auf die wir uns konzentrieren, und wir sind uns jener Gedanken bewußt, die wir vermeiden wollen. Auf diese Weise sind die vier Gedanken so miteinander vermischt, als würden sie zur selben Zeit stattfinden. Es sieht so aus, als würde sich der eine Teil des Geistes bemühen, eine Art System in diese Aktivität dieser vier Aspekte, die sich gegenseitig beeinflussen, hineinzubringen. Dies ist das Problem. Wir müssen alle vier Aspekte gleichzeitig bedenken. Obwohl wir nicht alle vier Aspekte gleichzeitig im Auge behalten können, präsentieren sie sich unbewußt oder spontan selbst.

Was unterscheidet Meditation von Konzentration

Wir haben bereits die Bindung des Geistes an einen bestimmten Gedanken kennengelernt - Desa-bandhas chittasya dharana. Und der fortgesetzte Konzentrationsprozeß muß Meditation oder Dhyana sein - Tatra pratyayaikatanata dhyanam. Die Beziehung zwischen Konzentration und Meditation ist nicht so einfach zu verstehen. Um ein entsprechendes Beispiel zu geben: Wir kennen nicht die genaue Beziehung zwischen dem Faden (Wolle) und dem Kleidungsstück, das aus dem Wollfaden besteht. Es scheint so, daß Kleidungsstück und Wollfaden dasselbe sind. In dem Kleidungsstück ist nichts anderes als der Wollfaden erkennbar. Doch irgend etwas sagt uns, daß ein Kleidungsstück von anderer Charakteristik ist als ein Wollfaden. Und doch häufig macht man keinen Unterschied zwischen Konzentration und Meditation, Dharana und Dhyana. Und selbst Patanjali scheint keinen qualitativen Unterschied zwischen Konzentration und Meditation zu machen, wenn er sagt, daß der fortgesetzte Konzentrationsprozeß Meditation ist - Tatra pratyayaikatanata dhyanam. Man kann jedoch sagen, daß es einen qualitativen Unterschied zwischen beiden gibt, - so wie wir zwar Kleidung, aber keine Wollknäule tragen können, obwohl sie eigentlich dasselbe sind.

Die Meditation unterscheidet sich durch ihre Intensität von der Konzentration. In der Meditation (Dhyana) kommt etwas Neues hinzu, denn wir müssen nicht länger irgendwelche Gedanken verhindern. Es gibt nichts zu verhindern. Der Gedanke, daß bestimmte Gedanken und Gefühle im Widerstreit stehen, wird fallengelassen. Man ist bereits mit allen aufkommenden Gedanken vertraut, und die sogenannten irrelevanten Gedanken und Gefühle werden mit den bestehenden Gedanken in Einklang gebracht, so daß sie nicht mehr als irrelevant abgetan werden müssen. Selbst jene häßlichen, unvereinbaren und üblen Gedanken haben ihren häßlichen Charakter verloren und sind in den Meditationsprozeß verwandelt worden. Der ehemals häßliche Gedanke hat seine Häßlichkeit verloren. Er wurde durch die Verwandlung in seine innerlichen Bestandteile aufgesogen. Gedanken sind letztendlich nicht auflösbar, denn es sind unsere Gedanken. Wir müssen auch nicht die Gedanken zurückweisen, sondern nur deren Funktionsweise. Hier liegt der feine Unterschied in der psychologischen Vorgehensweise. Wenn wir beispielsweise jemanden hassen, lehnen wir nicht den ganzen Menschen ab, sondern seine Handlungsweise. Dies ist der kleine feine Unterschied, den wir zwischen dem Sünder und der Sünde machen müssen. Der Mensch und sein Verhalten, die Art und Weise, wie er Beziehungen mißbraucht. Genauso verhält es sich mit den Gedanken. Gedanken sind wie Dinge; sie sind wie die Menschen. Sie sind Substanzen, die vielleicht fester sind als die sogenannten fühlbaren Objekte. Das, was wir bei einem bestimmten Gedanken nicht wünschen, ist die Art und Weise, wie er sich gegenüber bestimmten weltlichen Dingen gibt, doch ist dies nicht der Gedanke als solches. In der Meditation wird auf diese Weise der irregeleitete Gedanke in Beziehung zu den Dingen wieder richtig angeschirrt. Der störrische Esel, der versucht, sich überallhin zu bewegen, wird dazu gebracht, sich in die gewünschte Richtung zu bewegen. Das Esel wird nicht ausgegrenzt, doch seine ungestüme Bewegungsfreiheit wird reguliert. So werden in der Meditation, die sich über die Konzentration erhebt, irrelevante Dinge selbst irrelevant. Der üble Gedanke wird selbst übel, denn solche üblen Gedanken existieren nicht mehr.

Dhyana bedeutet vollkommenes Denken

All das entspricht einem weit fortgeschrittenen Stadium; es sind Dinge, die den individuellen Erfahrungen unterliegen, und sie sind keineswegs nur eine feierliche Ansprache. Und noch so viele Erklärungen haben keinerlei Bedeutung für Menschen, die nur zuhören oder lesen, denn den Geschmack von Zucker kann man nicht durch das Lesen eines Buches erfahren. All diese Bedeutungen können nur die Menschen erfahren, die selbst in diese Stufe eintreten. Alles Lesen und Zuhören wird nicht helfen. Alles, was zuvor erwähnt wurde, zeigt nur die mathematische Struktur oder das logische Muster in der Weise auf, wie die Gedanken mit jenen Gedanken in Harmonie gebracht werden, wie sie für die Meditation entsprechend dem großen Ideal notwendig sind. Wenn Gedanken harmonisch werden, wird auch alles andere harmonisch. Die quietschenden Geräusche und die häßlichen Szenen dieser Welt, mit denen wir in Berührung kommen, entstehen aufgrund der besonderen Arbeitsweise des Geistes, und lassen diese Erscheinungen als inkonsistent mit unserer Meditation erscheinen. Aufgrund des neuen Weges sehen wir in Verbindung mit dem System des vollkommenen Denkens, diese ehemals inkonsistenten Dinge nun in einem anderen Licht. Dhyana ist vollkommenes und kein partielles Denken. Und es bedeutet auch nicht, daß einige Gedanken als irrelevant über Bord geworfen und andere Gedanken als Freunde der Meditation bewahrt werden. Alle Gedanken werden in einem Brennpunkt zusammengebracht. Wir meditieren als ein Ganzes und nicht mit einigen wenigen notwendigen Gedanken. Zu diesem fortgeschrittenen Stadium wird der Meditierende zu einem ganzen Menschen und ist nicht länger nur eine geteilte Persönlichkeit, die er sonst im täglichen Einerlei darstellt. In dieser Welt sind wir zwei-, drei- oder gar viergeteilte Persönlichkeiten. Doch in der Meditation werden diese mehrgeteilten Persönlichkeiten zu einer Einheit verbunden. Nur wenige können bei dieser Sichtweise von sich behaupten, reif für die Meditation zu sein. Wir sind alle armselige Nichts, wenn wir daran danken, uns in Anbetracht der Schwierigkeiten für die Meditation des Geistes auf das Yogaideal fit zu machen.

Meditation im Patanjali-System

Worauf konzentrieren wir uns oder meditieren wir? Wir fühlen uns besonders mit dem Patanjali-System verbunden, und deshalb werden wir uns in diesem Zusammenhang nicht mit der Vedanta-Philosophie oder anderen Systemen beschäftigen. Gemäß dem Patanjali-System konzentrieren wir uns auf die Bestandteile der Evolution der Prakriti. Die Stufen des Abstiegs der Prakriti in die Vielheit sind dieselben Stufen, durch die wir wieder zur Vollkommenheit aufsteigen müssen. Dieses ist die Summe und Substanz des Konzentrations- oder des Meditationsprozesses. In der Samkhya oder dem Yoga heißt es, daß in der Prakriti eine unendliche, unteilbare, unverständliche und unbestimmbare Menge enthalten ist, die das ganze Universum ausmacht. Die Prakriti beinhaltet die ganze umfassende Schöpfung. Außerhalb davon, existiert nichts. Auch wir sind ein Teil dessen. Die sonderbare Aktivität des kosmischen Sattva der Prakriti, erzeugt jene kosmische Intelligenz, die Mahat genannt wird. Dies sind Begriffe aus der Samkhya. Ein Intensivieren dieser kosmischen Intelligenz in ein sogenanntes kosmisches Selbstbewußtsein hinein, wird Ahamkara genannt. Auf diese Weise steigt die Prakriti schrittweise über, Mahat und Ahamkara herab. Diese Ahamkara, die in der Samkhya-Sprache manchmal auch aufgrund der Tatsache, daß es die ‘Adi’ der ‘Bhutas’ oder das Original aller Elemente ist, als Bhutadi bezeichnet wird, von dem wird angenommen, ist eine dreigeteilte Form, nämlich Subjekt, Objekt und das Verbindende von Subjekt und Objekt. Wir haben dieses Thema bereits in einem früheren Kapitel berührt: Adhibhuta, Adhyatma und die Adhidaiva. Die kosmisch feinen Elemente, die als die Tanmatras bezeichnet werden (Sabda, Sparsa, Rupa, Rasa und Gandha) sind die ersten Entwicklungen aus der Ahamkara oder kosmischen Selbstbestätigung. Diese Tanmatras werden durch einen Prozeß des Tauschens und Kombinierens zu den bekannten fünf Elementen: Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde. Genau genommen ist Meditation - aus Sicht von Patanjali - eine Konzentration des Geistes auf diese Stufen, die fünf Elemente, die Tanmatras, das Ahamkara, das Mahat und die Prakriti.

Niemand kann sich am Anfang vorstellen, wenn man alles auf einmal erfährt, was all dies bedeuten soll. Darum hat uns Patanjali im ersten Kapitel "Samadhi Pada" vorsichtiger Weise kleinere Techniken aufgezeigt. Wir können nicht plötzlich an alle fünf Elemente gleichzeitig denken, obwohl wir von heute auf morgen unserem Geist diese Sammlungsfähigkeit zumuten. Aus diesem Grund, nehmen wir uns nur ein besonderes Objekt vor, - um welches Objekt dieser fünf Elemente es sich dabei auch immer handeln mag. Das Objekt sollte auf uns eine gewisse Anziehungskraft ausüben. Solange uns die tiefe philosophische Bedeutung der fünf Elemente und deren Verbindung untereinander nicht geläufig ist, nähern wir uns ihnen gefühlsmäßig. Besonders in den fortgeschrittenen Stufen der Meditation ist es nicht mehr erforderlich, den emotionalen Aspekt einzubringen. Hier herrscht der mehr logische Aspekt anstatt des emotionalen Aspektes vor. In den Anfangsstufen kommen wir ohne die Gefühle nicht aus, denn wir entwickeln allein bei dem Gedanken an Gott, eine emotionale Beziehung zu IHM.

Die Rolle der konstruktiven Gefühle bei Eingangsstufen der Meditation

Unsere Vorstellungen sind nicht nur logisch, sondern auch von Gefühlen begleitet. Wenn wir uns ein Konzentrationsobjekt auswählen, müssen wir darauf achten, daß es mit unseren Gefühlen übereinstimmt. Wir können uns beispielsweise nicht auf eine vor uns befindliche Schlange konzentrieren, obwohl sie für den eigentlichen Konzentrationszweck völlig in Ordnung wäre. Doch gefühlsmäßig hätten wir bei dem Gedanken an eine vor uns befindliche Kobra ein Problem. Es käme aus guten Gründen zu einer inneren Disharmonie. Doch wenn wir ein Objekt auswählen, das unseren gefühlsmäßigen Vorstellungen entspricht, kann sich unser Geist sofort darauf konzentrieren. Während es einerseits richtig ist, dem Konzentrations- oder Meditationsobjekt zugetan zu sein, so muß man andererseits darauf achten, um welche Art von Gefühl es sich dabei handelt. Es gibt solche und solche Gefühle. Selbst wenn wir uns rebellisch, rüde oder ungebührlich verhalten, so handelt es sich dabei um Gefühle. Doch sind dies nicht die Gefühlsarten, von denen wir bei den Beziehungen zu den Konzentrationsobjekten sprechen. Rebellische Gefühlsregungen lenken ab und sind nicht gesund. Sie zerreißen unsere Persönlichkeit in Stücke und treiben uns in verschiedene Richtungen. Doch die konstruktiven Gefühle verbinden die Teile unsere Persönlichkeit zu einem Ganzen, und wir werden leuchtender als ein tyrannisches Individuum mit ichbezogener Einstellung. Wenn wir die Stirn runzeln, befinden wir uns in einem Gemütszustand. Wenn wir lächeln, haben wir einen anderen Gemütszustand. Doch sind beide Gemütszustände von unterschiedlicher Qualität. Wenn wir skrupellos und grausam sind, haben wir ebenfalls einen Gemütszustand. Wenn wir voller Mitleid, freundlich und dankbar sind, hegen wir ebenfalls bestimmte Gefühle. Es gibt die verschiedensten Gemütszustände, doch wir müssen herausfinden, wo wir stehen. Die konstruktiven Gefühle stärken unsere Persönlichkeit, wohingegen die destruktiven Gefühle uns schwächen und unseren Allgemeinzustand weiter herunterziehen. Um das richtige Konzentrationsobjekt herauszufinden, bedarf es anfangs eines umfangreichen psychologischen Trainings.

Das ist der Grund, warum uns viele Yogalehrer, Gurus und Meister sagen, daß es gut und Erfolg versprechend ist, sich des Singens des Göttlichen Namens anzunehmen, anstelle sich mit den Gedanken und Gefühlen des Geistes auseinanderzusetzen, womit wir nicht vertraut sind. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen von Gott, dem Allmächtigen Schöpfer, egal welcher Religion jemand angehört. Es ist jedem klar, daß die eigenen Vorstellungen von Gott, die besten Gedanken sind. Es gibt für uns keine besseren Gedanken. Hier kommen die Gefühle zu brüderlicher Einheit, und auch die eigene Logik funktioniert dann in einer wunderbaren Weise. Auf diese Weise ist (Japa), das Wiederholen eines Gottesnamen, die Konzentration auf die Bedeutung eines Mantras oder die Formel, die den göttlichen Namen enthält, als die beste Methode anzusehen, um den Geist zur Konzentration zu bringen. Wenn wir zu Gott beten, sprechen wir gefühlsmäßig etwas aus. Wir sprechen wortlos und voller Gefühl zu Gott, und wir empfinden eine bestimmte Beziehung zu IHM. Diese Dinge müssen wir uns durch wiederholtes Beten, regelmäßiges Sitzen für das Japa oder das Singen des Göttlichen Namens, was uns zur Konzentration bringt, auf ewig bewahren. Dies ist eine Konzentrationstechnik.

Es gibt noch andere Konzentrationstechniken, die man nicht unbedingt als religiös bezeichnen kann. Sie sind mehr psychoanalytischer oder psychologischer Natur, und sie werden von Hatha-Yogins, Tantrikern und anderen empfohlen. Bei jenen Techniken bedarf es keiner göttlichen Gedanken im Sinne eines allgegenwärtigen Schöpfers, doch kann es andere spezielle Dinge geben, an die man sich gefühlsmäßig bindet. Es gibt dabei kleine Geheimnisse. Die ganze Meditation ist die geheimnisvolle Funktionsweise des Geistes, entsprechend der Anweisungen, die der Geist von einer höherstehenden Macht erhalten hat. Womit ist der Sucher gefühlsmäßig verbunden? Nur er weiß es, und er kann es nicht einfach herausschreien und er wird es auch nicht tun. Doch er muß sich seinem Guru offenbaren, so wie sich ein Patient seinem Arzt gegenüber offenbart. Der Patient sollte dem Arzt nichts vorenthalten, wenn er geheilt werden möchte. Ähnlich verhält es sich im spirituellen Leben, denn auch hier muß es ein vollständiges Geständnis gegenüber der höheren Macht geben, so wie es manchmal auch von den Kirchen verlangt wird. Auf diese Weise gesteht der Schüler alles Innerliche und Äußerliche, das ganze Gefühlsleben, vor seinem großen Guru, der für den spirituellen Fortschritt des Schülers verantwortlich ist. Darum gibt es kein Verstecken vor einem Guru, wenn wir einen bestimmten Menschen als unseren Guru auserwählt haben.

Wir sollten uns in unseren Gefühlen zu den Objekten nicht unter dem Eindruck zerreißen lassen, daß sie unheilig wären, denn es gibt letztendlich nichts Unheiliges in der Welt. Wir wurden irgendwie in eine Atmosphäre von Religiosität hineingeboren, was uns manchmal glauben läßt, daß irgend etwas falsch läuft, und darum muß es als Religion verworfen werden, da es im Gegensatz dazu steht. Doch Religion steht zu nichts in Opposition. Es steht nur im Gegensatz zum Mißverständnis zur Beziehung zu den Dingen. Die Yogapraxis ist sehr schwierig. Sie ist schwierig, und man braucht lange Zeit, um die Anforderungen zu verstehen. Es ist kein plötzliches Zurückziehen gefragt. Yoga ist ein Prozeß gesunder Lebensführung, und kein ungesundes Lösen aller Bindungen, als würde man alle Fesseln auf einmal sprengen wollen. Selbst wenn wir bestimmte Gefühle hegen, die als unheilig gelten, und selbst wenn wir glauben, daß sie spitzbübisch sind, so müssen diese Gefühle, so lange sie vorherrschen, als Freunde betrachtet werden. Denn die Assoziationen, die wir in uns tragen, sind derart intensiv, daß wir mit diesen Gefühlen, den Knoten der Assoziationen schrittweise auflösen müssen. Im Yoga kennt man nicht das Knoten sprengen. Man kennt nur ein schrittweises Auflösen eines Knotens, denn ein ungestümes Vorgehen kann einen unheilvollen Prozeß nach sich ziehen.

Die Notwendigkeit eine gute Beziehung zwischen Bewußtsein und Unterbewußtsein herzustellen

Niemand kann, wenn er diese Stufe erreicht, weder seine eigenen Prozesse selbst verstehen noch praktizieren, besonders dann nicht, wenn er sich mit seinem eigenen Geist und nicht mit anderen Leuten auseinandersetzen muß. Wenn wir erkennen, daß die Objekte lediglich psychologischer Natur sind und es keine anderen Objekte gibt, endet unsere Beziehung zu den Objekten und den Menschen der Welt. Objektkörper scheinen, aufgrund einer besonderen Funktionsweise des Geistes, äußerlich zu sein, und wenn diese Funktionsweise nicht mehr existiert und in einen vollkommen anderen Prozeß transferiert wurde, hören die sogenannten Menschen und Objekte auf zu existieren. Auf diese Weise müssen wir uns nur mit unserem Geist und nicht mit den Menschen und Dingen dieser Welt auseinandersetzen. In unserem Geist findet ein schrittweiser Heilungsprozeß statt, der durch die konstante Führung eines erfahrenen Lehrers begleitet werden muß. Wir sind alle auf emotionaler Ebene mit den Dingen verbunden. Diese emotionalen Bindungen müssen direkt, indirekt oder auf andere Weise mit Hilfe der Meditation korrigiert werden. Wenn wir uns andererseits, durch unseren bewußten Geist in der Konzentration auf unser religiöses Ideal, im Yoga unter Druck setzen, wird unser Unterbewußtsein sich dagegen auflehnen. Wir werden - einerseits innerlich und andererseits äußerlich - zu einer zweigeteilten Persönlichkeit, und wir versuchen Yoga zu üben, wobei wir nur von einem zurückgezogenen Geist träumen und tagsüber ein ungesundes Leben führen.

Manchmal werden Yogis zu Sonderlingen, unsozial, antisozial und innerlich unglücklich, weil sie keine Fortschritte bei der richtigen Beziehung zwischen Bewußtsein und Unterbewußtsein erzielt haben. Die beiden Bewußtseinsebenen bleiben immer getrennt. Sie sind wie zwei Heerlager, die nicht miteinander übereinstimmen. Das Bewußtsein findet keine Übereinstimmung mit dem Unterbewußtsein und umgekehrt. Psychologen sagen, daß es ein tieferes aufrührerisches Unterbewußtsein gibt, das als ‘Unbewußtsein’ bekannt ist, von diesem rassistischen ‘Unbewußtsein’ wird gesagt, daß es uns mit der Menschheit als Ganzes verbindet. Und dies ist der Grund, daß wir immer nur an die Menschheit und an nichts anderes in der Welt denken können. All unsere Probleme werden als menschliche Probleme gesehen. Woran liegt das? Warum sollte es nichts anderes geben? Es liegt an der Verbindung zu der Spezies, als die wir geboren wurden. Deshalb sind unsere Probleme, Probleme der menschlichen Spezies, und haben scheinbar keine andere Ursache, obwohl diese anderen Ursachen von größerer Bedeutung sein könnten, als die der menschlichen Probleme. Wenn wir also in die tieferen Ebenen der Yogapraxis eindringen, betreten wir gefährliche Zonen, verbotene Bereiche, wo selbst die Engel sich fürchten. Doch wenn wir einen guten Guru haben, brauchen wir nichts zu befürchten. Niemand sollte glauben, keinen Guru zu benötigen. Dies ist eine Dummheit. Er wird keine Fortschritte machen, denn er wird sich immer größerem Terror gegenübersehen, und dieser Terror kommt nicht von außen, sondern von innen. Und dieser Terror paßt sich, aufgrund der Unfähigkeit des eigenen Geistes, den Anforderungen der Meditation an. Auf diese Weise landet der Sucher, aufgrund verschiedener blockierender Kräfte, in seinem eigenen Tumult, was im dritten Kapitel der Vibhuti Pada, den Sutras von Patanjali, erwähnt wurde.

Von der Meditation zum Samadhi

Während der Konzentrationsprozeß vier Prozesse in sich trägt, so gibt es bei der Meditation nur drei. Das Ablehnen findet nicht mehr statt. Das Bewußtsein des Meditierenden und das Bewußtsein von dem Wesenhaften des Meditationsobjektes, zusammen mit dem Konzentrations- oder Meditationsprozeß, verbleiben, was als Dhyatr, Dhyeya und Dhyana bekannt ist. Diese drei Prozesse bleiben bestehen, doch die Anforderung an das Bemühen an einen Teil des Geistes, bestimmte Gedanken abzulehnen, hört auf. Wir schweben direkt auf das Meditationsobjekt zu, dabei ist unsere ganze Persönlichkeit, und nicht nur ein Aspekt des Geistes, eingebunden. Die ganze Meditation ist im spirituellen Sinne eine integrierte Bewegung des gesamten Geistes, und nicht nur eines Teilaspektes. Angesichts dieser Analyse über den Kernpunkt der Meditation, sind jedoch nur wenige reif dafür. Wir bemühen uns unnötigerweise und erreichen gar nichts. Wir haben jedoch das Ziel vor Augen und werden einer Tages, früher oder später, möglicherweise in diesem oder einem anderen Leben, mit der Gnade Gottes, das Ziel erreichen. Es macht nichts, denn eines Tages werden wir dort ankommen. Dhyana findet statt, wenn sich unser ganzes gefühlvolles Dasein zum Meditationsobjekt hinbewegt. Dies wird von Patanjali als "Pratyayaikatanata" oder als der kontinuierliche Fluß bezeichnet. Dieses Fließen ist ohne Unterbrechung, doch ist es ein vollkommenes Fließen, so als würde Öl von einem Behälter in einen anderen fließen, oder wie bei dem Fließen einer Lampe, wo die Funken in einem derart harmonischen Prozeß umeinander sprühen, so daß wir die einzelnen Funken in diesem Verbrennungsprozeß nicht mehr wahrnehmen. Die ganze Flamme sieht wie ein vollkommenes Ganzes aus. Ähnlich bilden bei der Meditation die einzelnen Gedanken einen kontinuierlichen Fluß, wobei sich die einzelnen Gedanken nicht mehr voneinander unterscheiden lassen. Sie bilden zusammen, wie bei der Fließbewegung eines Flusses, wo man die einzelnen Wassertropfen nicht mehr voneinander unterscheiden kann, einen vollkommenen Prozeß. Der ganze Fluß bildet eine Masse. Auf die gleiche Weise nimmt der Geist die Form einer Masse an, die sich als Ganzes zum Objekt, auf das wir uns zum Zweck der Vereinigung konzentrieren, hinbewegt.

Die Vereinigung ist im Yoga als Samadhi bekannt. Dieses ist ein hartes Wort, denn jeder hat seine eigene Vorstellung davon, was ganz normal ist, und wir fürchten uns, wenn wir an die verschiedenen Definitionen denken. Ein vollkommenes Auflösen unseres Seins in irgend etwas ist unmöglich. Wir können uns nicht vollständig mit irgend etwas identifizieren. Wir können nicht zu etwas werden, was wir selbst nicht sind. A kann nicht zu B werden. A bleibt A, und B bleibt immer B; und dies ist das Wesen der Welt. Doch warum sollte A gleich A und B gleich B sein und nicht anders? Die Yogapsychologie sagt, daß die Tatsache, daß wir wissen, daß B existiert, und B doch nicht A sein kann, uns implizit zwischen Zeilen sagt, daß es zwischen A und B eine tiefer liegende Verbindung, wie zwischen dem Seher und dem Gesehenen, geben muß. Ein vollkommen abgetrenntes B kann nicht zum Objekt des Wissens für A werden. Während A sagt, "ich unterscheide mich von B", so ist sich A nicht vollständig bewußt, was es sagt, denn, obwohl A sich - charakteristisch betrachtet, in Raum und Zeit - von B unterscheidet, so weist die Tatsache, daß A von der Existenz von B weiß, auf eine tiefere Wahrheit hin, als es im ersten Augenblick aussehen mag. Hier ist eine tiefere Psychologie, nämlich, die Philosophie von dem Wahrnehmen oder Wissen. Eine versteckte Verbindung von A mit B ist der Grund hinter dem Wissen, das A von B hat, und A benutzt diese Tatsache von dieser Verbindung als Vorteil, und berührt B mehr durch diesen Wissensprozeß, als durch die Form oder den Namen, den B scheinbar in dieser vorübergehenden Örtlichkeit angenommen hat. Wenn wir auf diese Weise im Yoga immer weiter voranschreiten, treffen wir auf immer größere Schwierigkeiten, die für unseren Geist nicht immer sofort verständlich ist. Je langsamer wir darum vorangehen, desto besser ist es. Wir müssen sehr langsam vorangehen. Die Vereinigung oder das Zusammenkommen in tiefer Einheit zwischen Seher und Gesehenem ist das Ziel von Dhyana oder Meditation, und bis zu diesem Ende müssen wir mit großer Sorgfalt voranschreiten.