Yoga Vidya Journal Nr. 8, Herbst 2004
Yogatherapie
von Ravi Persche
Einleitung
Yoga ist eine Erfahrungswissenschaft mit dem Ziel der Integration (Samadhi).
Integration bedeutet, das individuelle Bewusstsein mit der Erfahrung eines
höheren, universellen Bewusstseins vertraut zu machen. Damit wir
zu dieser Erfahrung gelangen können, hat Yoga eine ganze Reihe von
Techniken entwickelt und über Jahrtausende hindurch erprobt
und der menschlichen Entwicklung angepasst. Wir bezeichnen sowohl das
Ziel dieser Erfahrung als Yoga (= Integration, Vereinigung), als auch
den Weg dorthin als Yoga (= Verbinden).
Sehr früh haben die großen Weisen der Yoga-Wissenschaft
jene Hindernisse erkannt und beschrieben, die den normalen Menschen
davon abhalten, diese großartige Erfahrung zu verwirklichen. Aus
diesen Erkenntnissen haben sie die Methoden und Techniken entwickelt,
die uns helfen, diese Hindernisse zu überwinden. Dieser Prozess
des Heil-Werdens im Sinne der Zurückführung zu unserer eigentlichen,
originären Natur, die ja bereits das angestrebte Ziel beinhaltet,
ist im ureigensten Sinn dieses Wortes „Therapie“ (= das,
was uns heilt).
Yoga ist ein therapeutischer Prozess an sich. Es lassen sich jedoch
im Licht der modernen Wissenschaft durchaus einzelne Aspekte dieser
„Heilkunde“ isoliert betrachten, hinsichtlich ihrer therapeutischen
Wirksamkeit auf bestimmte Störungen oder Krankheiten. Krankheit
heißt in der Yoga-Literatur „Vyadhi“, was das genaue
Gegenteil von „Samadhi“ bezeichnet (sam+a+dha = zu einem
Ganzen zusammenfügen; vi+a+dha = auseinander bringen). Somit
ist ein wichtiger Bestandteil der Yoga-Therapie die effiziente Beseitigung
und Vermeidung von „Vyadhi“ (Krankheit). Der Ansatz der
Yogatherapie ist ein ganzheitlicher, gepaart mit höchstmöglicher
Effizienz und Nachhaltigkeit, zudem universell anwendbar.
Der Sinn und Nutzen der Yogatherapie ergibt sich aus dem Sinn und Nutzen
des Yoga überhaupt: Yoga bereitet den Übenden auf effizienteste
Weise auf das Erwachen der jedem Menschen innewohnenden spirituellen
Energie vor. Diese Vorbereitung besteht im Wesentlichen aus Reinigungs-
oder Läuterungsprozessen auf ganzheitlicher Ebene, das heißt,
Körper, Geist und Seele umfassend. Im Zuge dieses Läuterungsprozesses
werden alle externen und internen Hindernisse beseitigt. Eins der störendsten
Hindernisse auf dem Weg der vollständigen Integration der Persönlichkeit
ist Krankheit.
Also hält Yoga Techniken und Methoden bereit, um das Hindernis
„Krankheit“ ebenso effizient wie nachhaltig zu beseitigen,
beziehungsweise das unvermeidliche Auftreten von körperlichen Ausfalls-
oder Verfallserscheinungen (z.B. altersbedingt) auf die geringstmögliche
Beeinträchtigung zu beschränken.
Allgemeine Wirkungen der Yogatherapie
In diesem Sinne bedeutet Yoga (-Therapie) die allmähliche Vorbereitung
des menschlichen Körper-Geist-Systems auf eine gesteigerte Energieaufnahme durch:
- Auflösung und Vermeidung von Wirbelblockaden
- Verringerung gesundheitlicher Beeinträchtigungen
- Entwicklung einer ausgeglichenen, geregelten und harmonischen Lebensführung
Dabei ist Yoga-Therapie natürlich, normal, einfach, minimal und
ursprünglich.
Yoga-Therapie ist ein ganzheitliches Heilungskonzept, das den Menschen
dazu befähigt, sein oder ihr individuelles Potential optimal zu
entwickeln. Gesundheitliche Störungen werden auf natürlichste,
einfachste und der individuellen Konstitution angemessenste Weise
behandelt und beseitigt. Yoga-Therapie versteht sich auch als ergänzende
(komplementäre) Heilkunde; sie beansprucht keine Ausschließlichkeitsbehandlung.
Wirkungen der Asanas
Regelmäßige Yogapraxis führt zu einer allmählichen
Auflösung von Wirbelsäulenfehlstellungen und den daraus entstehenden
Wirbelblockaden. Die störungsfreie Zirkulation des Zerebrospinalliquors
(Flüssigkeit, in der das Rückenmark und das Gehirn eingebettet
sind) ist eine wichtige Bedingung für harmonische Organfunktion
und Energiefluß.
Es werden mehrere Untergruppen der kultivierenden Asanans unterschieden:
- Asanas, die vorwiegend auf die Wirbelsäule einwirken:
Bhujangasana, Shalabhasana, Dhanurasana, Ardha-Matsyendrasana, Chakrasana,
Vakrasana, Ushtrasana etc.
Zwar wirken nahezu alle Asanas auf die Wirbelsäule. Unter dieser
Gruppe verstehen wir jedoch speziell diejenigen Übungen, die hauptsächlich
auf Bänder, Sehnen, Gelenke, Muskeln und die assoziierten Nerven
der Wirbelsäule wirken.
- Propriozeptor-orientierte Asanas:
Baddhapadmasana, Gomukhasana, Matsyasana, Vajrasana, Trikonasana, Bhadrasana,
Padahastasana, Supta-Vajrasana etc.
Diese Asanas wirken vornehmlich auf und durch verschiedene propriozeptorische
Mechanismen der Skelettmuskulatur. Die Stimulation der Propriozeptoren
(spindelähnliche Organellen in Muskeln, Bändern und Gelenken,
die Dehnreize vermitteln) führt zur Auslösung von Dehnreflexen.
- Viszerozeptorisch wirkende Asanas:
Yoga-Mudra, Pascimottanasana, Mayurasana, Ardha-Matsyendrasana, Supta-Vajrasana,
Halasana, Pavanamuktasana etc.
Die Viszeralorgane (Innereien) reagieren sehr stark auf Druckveränderungen
in der Bauchhöhle. Die Viszerozeptoren in den Wänden dieser
Organe senden bei Stimulation Impulse an das autonome Nervensystem.
- Asanas, die auf die Vestibular-Organe einwirken (Gleichgewicht):
Shirshasana, Sarvangasana, Viparita-Karani, Garudasana, Vrishikasana,
Vrikshasana, Kukkutasana, Bakasana und Padhastasana.
Diese Asanas wirken hauptsächlich auf und durch die Gleichgewichtssinnesorgane,
zu denen die Vestibular-Organe gehören. Diese Organe regeln die
Balance des Körpers. Diese Asanas beeinflussen außerdem die
Zirkulation und die blutdruckregulierenden Mechanismen.
Beim Üben der Asanas sind die Grundprinzipien der Asanas nach
Patanjali (Yoga-Sutras, Zweites Kapitel, Verse 46,47 und 48) zu beachten:
STHIRA-SUKHAM-ASANAM: Die Haltung sei fest und angenehm.
PRAYATNA-SHAITHILYANANTA-SAMAPATTIBHYAM: Man erreiche in der Endposition
Mühelosigkeit und Entspanntheit mit Vergegenwärtigung des
Unendlichen.
TATO-DVANDVANABHIGATAH: Man vermeide antagonistische (Muskel-) Anspannungen
(entspricht dem Gefühl des Loslassens).
Therapeutische Aspekte des Pranayama
Die Yoga-Literatur kennt zwei Begriffe für den Vorgang des Atmens:
Geschieht es auf unbewusste Weise, spricht man von Shvasa-Prashvasa
(Einatmen-Ausatmen).
Dieser Atmungsvorgang wird beeinflusst von den jeweils vorherrschenden
Irritationen emotionaler Erregungszustände oder von neuralen Dysbalancen.
Die bewusste, kontrollierte Atmung wird Pranayama genannt.
Pranayama bedeutet, den Atem in einem bestimmten Zeitrhythmus mit spezifischer
Intensität einströmen zu lassen, anzuhalten und wieder auszuatmen.
Begleitet werden kann dieser Atemvorgang von speziellen Körperhaltungen
(Mudras), Muskelkontraktionen (Bandhas) sowie bestimmten Konzentrationsübungen.
Das Hauptaugenmerk in der therapeutischen Pranayama-Praxis liegt auf
der Manipulation der intra-pulmonalen, intra-thorakalen und intra-abdominellen
Druckverhältnisse, sowie der Aufrechterhaltung dieser veränderten
Druckverhältnisse für eine gewisse Zeit.
Zwar spielt auch die Erhöhung der Sauerstoffaufnahme und des Kohlendioxydausstoßes
in bestimmten Krankheitszuständen eine bedeutende Rolle, steht
jedoch nicht im Vordergrund der Atemtherapie.
Vielmehr zielt die Übung und Anwendung des Pranayama auf die Überwindung
autonomer respiratorischer Reflexe durch die bewusste Kontrolle durch
den zerebralen Kortex. Auf diese Weise gewinnt der Praktizierende mehr
und mehr bewusste Kontrolle über mentale Prozesse.
Die Technik des Pranayama
Bewusste Einatmung (Puraka), Atempause (Kumbhaka) und Ausatmung (Rechaka)
bilden eine Runde Pranayama. Die Ausatemphase ist stets verlängert
im Verhältnis zur Einatmung. Eine bestimmte Zeitspanne wird beachtet,
um einem optimalen Rhythmus mit den idealen Proportionen zu folgen.
Ein bis zwei Runden pro Minute sind ein erstrebenswerter Rhythmus. Während
des Übens sollte eine korrekte Körperhaltung eingenommen werden,
zur Reduzierung externer Reize können die Augen geschlossen sein.
Man unterscheidet fünf verschiedene Arten des Atmens, und zwar
Puraka (Einatmung), Purna Kumbhaka (Anhalten des Atems nach der Einatmung),
Rechaka (Ausatmung), Bahya Kumbhaka (Anhalten des Atems nach der Ausatmung)
und shvasa-prashvasa (Normalatmung).
Das ursprüngliche Ziel des Pranayama ist die Entwicklung des Kumbhaka.
Mit der Entwicklung des Kumbhaka, also der Fähigkeit, eine verlängerte
Atempause einzuhalten ohne in Atemnot zu geraten, weitet der Übende
die Kontrolle über die autonomen Reflexmuster aus. Hier setzt unmittelbar
der Prozess ein, der den Einfluss der kortikalen Zentren (Willkür)
über die autonomen Zentren des Nervensystems erweitert.
Die Effekte des Pranayama werden durch die gleichzeitige Praxis der
Bandhas entscheidend verstärkt.
Ashtanga-Yoga
Die acht Glieder des Yoga nach Patanjali sind:
YAMA: fünf Regeln der äußeren Disziplin (soziale Kultivierung)
NIYAMA: fünf Regeln der inneren Disziplin (persönliche Kultivierung)
ASANA: Körperhaltung (siehe oben)
PRANAYAMA: Reinigung der feinstofflichen Kanäle (Nadis) und Lenkung
der Lebensenergie (Prana)
PRATYAHARA: Zurückziehen der Sinne (Aufmerksamkeit nach innen richten)
DHARANA: Konzentrationsübungen
DHYANA: Meditation
SAMADHI: Vollständige Integration der Persönlichkeit (Samadhisthiti),verbunden
mit Glückseligkeit (Samadhibhava)
Kriya-Yoga
Der Begriff „Kriya-Yoga“ wird in verschiedenen Zusammenhängen
zur Bezeichnung unterschiedlicher Techniken verwendet. Die ursprüngliche
Wortbedeutung (Kriya = Anwendung, von kr = machen) lässt allerdings
auch weiten Bedeutungsspielraum zu.
Im Bereich der therapeutischen Anwendung finden wir die Reinigungskriyas
(Shatkriyas), die in sechs Hauptgruppen unterteilt werden können
(Hatha Yoga Pradipika):
- Tratak (Augenreinigung und zugleich Konzentrationstechnik)
- Neti (Reinigung des oberen Atemtraktes)
- Kapala Bathi (Reinigung der Lunge und des Blutes)
- Vamana Dhauti (Magenreinigung)
- Nauli (Reinigung des Dünndarms)
- Basti (Reinigung des Dickdarms)
Weitere Reinigungskriyas dienen der Reinigung des gesamten Verdauungstraktes
(Shankha prakshalana), des Enddarmes (Ganesha Kriya) oder der Ohren;
es gibt weiterhin verschiedene Variationen, die sich auf die Reinigung
mit Wasser, Tuch oder Luft beziehen.
Diese Reinigungskriyas haben weit reichende Effekte in der Beseitigung
potentieller Krankheitsursachen. Mit ihrer Anwendung kann bereits vielen
akuten oder chronischen Erkrankungen der Atemwege, des Verdauungstraktes
oder des endokrinen Systems verhältnismäßig rasch Abhilfe
geschafft werden.
Kriya-Yoga nach Patanjali beschreibt drei explizite Elemente des Niyama:
- Tapas (Askese, Selbstdisziplin)
- Svadhyaya (Versenkung in das Selbst)
- Ishvarapranidhana (Hingabe an Gott)
In einer modernen Interpretation werden diese Elemente auch ausgelegt
als:
- Tapas = Pranayama
- Svadhyaya = Omkar (Rezitation des Om-Lautes)
- Ishvarapranidhana = Havan (Feuerzeremonie), Puja oder Bhajan
Yoga-Therapie in der heutigen Zeit
Yogatherapie kann von allen Menschen bedingungslos zur Verbesserung
und Stabilisierung genutzt werden. Yoga als System bietet jedem Menschen
in jeder Lebenssituation Hilfen zur besseren Bewältigung des Alltags,
zur Entwicklung neuer Perspektiven und zur Verwirklichung eines sinnerfüllten
Lebens.
Yogatherapie ist nicht in allen Fällen als Hauptbehandlungsform
geeignet. Hochakute Erkrankungen, sowie all jene Beschwerden, die die
Ausübung yogatherapeutischer Anwendungen verhindern, wie starke
Schmerzzustände, ansteckende Infektionen, starke Schwächung
und geistige Beeinträchtigungen müssen zunächst symptomorientiert
behandelt werden. Gleichwohl kann Yogatherapie in nahezu allen Fällen
als Begleittherapie oder Nachbehandlung mit guten Erfolgsaussichten
eingesetzt werden.
Yogatherapie erfordert, im Unterschied zu vielen populären Therapieformen,
in hohem Maße eigenes Bemühen der Patienten. Yogatherapie
ist keine Pille.
Auch ist in vielen Fällen eine Umstellung der bisherigen krankheitsbegünstigenden
Lebensumstände erforderlich, um dauerhaften Erfolg der Therapie
zu gewährleisten. Dies wird sicherlich von vielen Menschen als
unbequem empfunden, zumal andere Therapien nicht diese Umstellung erfordern.
Schlussfolgerungen
Nach den bisherigen Erfahrungen mit Yogatherapie können folgende
Schlussfolgerungen gezogen werden:
- Yogatherapie ist eine hilfreiche Therapieform bei allen Arten von
stressbedingten Störungen und Erkrankungen.
- Yoga kann den Geist effektiv stabilisieren und beruhigen und auf diesem
Weg Stress und Spannungen abbauen.
- Yogische Behandlungstechniken sind ökonomisch, können überall
praktiziert werden und sind nebenwirkungsfrei (sofern die Anweisungen
korrekt befolgt werden!).
- Die volle Aufmerksamkeit und Kooperation des Patienten sind zum Erreichen
guter Resultate erforderlich.
- Yogatherapie behandelt die Grundursachen der Krankheiten, nicht deren
Symptome.
- Yogatherapie ist effektiver, wenn nach dem Grundsatz des individuellen
„Bedarfsorientierten Übungskonzeptes“ gearbeitet wird.
- Falls Yoga als Teil des Lebens integriert wird, führt es den
Patienten zu Erleichterung, Selbstvertrauen und Lebensfreude.
Am Ende können wir mit einem Vers der Hatha-Yoga-Pradipika feststellen,
dass Yoga-Praxis nützlich ist:
- für kranke Menschen (als Medizin),
- für geschwächte Menschen (als Tonikum),
- für alte und ebenso für sehr alte Menschen (zur Vitalisierung
und Energetisierung),
- und für normale, gesunde Menschen (zur Erhaltung ihrer Gesundheit).
OM TAT SAT
Ravi Persche ist Heilpraktiker, Yogalehrer und Ayurveda-Therapeut.
Seine Ayurveda Ausbildung absolvierte er bei Dr. Balaji Tambe im Santulan
Village in Indien. Ravi ist seit 1995 im Gesundheitsbereich tätig.
Ravi Persche leitet u.a. die Yogatherapie-Ausbildung bei Yoga Vidya.
Beginn der Ausbidung ist vom 28. bis 30.01.2005 im Haus Yoga Vidya in
Bad Meinberg, Tel. 05234/87-0. |
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