Yoga Vidya Journal Nr. 8, Herbst 2002
Das Tibetische Totenbuch
Buchbesprechung von Liesel Hahn
Auch wenn die Neuübersetzung aufgrund ihrer Gliederung sehr wissenschaftlich
anmutet, ist sie - sicherlich aufrund der persönlichen Erfahrungen
des Autors als Mönch - eine lebensnahe Interpretation des Tibetischen
Totenbuches.
Das Bardo Thödol ( sprich: Bardo thos grol) ist sowohl ein Handbuch
zur Sterbebegleitung für Andere, als auch ein Buch zur Vorbereitung
des eigenen Todes und der Nachtoderfahrungen, bzw. einem bewußteren
Leben im Hier und Jetzt.
Der Tod wird dabei im tibetischen und buddhistischen Sinn - wie aus
dem Untertitel schon hervorgeht - als ein Zwischenzustand zwischen anderen
Bewußtseinszuständen gesehen. Die dem Bardo Thödol zugrundeliegende
Intention
ist es, dem Sterbenden (also dem in diesem Zwischenzustand Befindlichen)
durch das Hören und Verstehen der Texte die endgültige Befreiung
aus dem Wiedergeburtenzyklus zu ermöglichen.
R.F. Thurman vergleicht seine Ausführungen mit dem eines Reiseführers,
der sowohl die Vorbereitungen der Reise als auch die Reise selbst fachkundig
begleitet. Als erste Vorbereitung für unsere Reise werden wir in
die Historie des tibetischen
Volkes eingeführt, aus der die Wissenschaft vom Tod sowie die Kunst,
mit dem Sterben umzugehen und auch die Literatur dazu hervorgingen.
Im tibetischen wie im buddhistischen Glaubens- und Denksystem gibt es
kein Verschwinden von Materie oder Geist, sondern nur eine Umwandlung
in andere Phänomene. Daraus ergibt sich die Vorstellung von sechs
Zwischenzuständen.
Mit dreien davon befaßt sich das Bardo Thödol. Die sechs
Zwischenzustände ( Bardo) sind:
Leben – zwischen Geburt und Tod,
Traum – zwischen Einschlafen und Erwachen,
Trance – zwischen dualistischem Bewußtsein und erleuchtetem
Gewahrsein,
Todesmoment – zwischen Leben und Realität,*
Werden – zwischen Realität und Geburt.
Das Tibetische Totenbuch oder Das Große Buch der natürlichen
Befreiung durch Verstehen im Zwischenzustand
neu übersetzt und kommentiert von R.F. Thurman, erschienen Juni
2002 als Lizensausgabe des Fischer Taschenbuchverlags Frankfurt, ISBN
3-596-15150-3, EUR 9,90 * Mit Realität ist hier eher die kosmische,
unabhängige Realität gemeint; keinesfalls die materielle Realität
der westlichen Vorstellung, wie Dinge, die man sehen, schmecken ,riechen,
ertasten usw. kann.
Gerade hier zeigt sich die Andersartigkeit der Denkweise. Realität
ist nicht etwa mit unserer westlichen Realität vergleichbar. Sie
ist vielmehr die All - einheit, an die wir uns mit intensiver Meditationspraxis
annähern.
Um uns Gelegenheit zu verschaffen, die letzten Zwischenzustände
besser bewältigen zu können, wurde das Bardo Thödol von
Padmasambhava („Der Lotosgeborene“) und seiner Gefährtin
etwa im 8.Jahrhundert nach Chr. schriftlich
aufgezeichnet und sicher aufbewahrt.
Die eigentliche Reise besteht aus den Gebeten und Anwendungen, welche
zum Erkennen des Klaren Lichts im Zwischenzustand des Todesmomentes,
dem siebentägigen Zwischenzustand der Realität der milden
Gottheiten, dem vom
siebten bis zwölften Tag andauernden Zwischenzustand der Realität
der grimmigen Gottheiten und dem Zwischenzustand des Werdens gelesen
werden. Während jedem dieser Tage besteht für den Verstorbenen
die Möglichkeit, die
ersehnte Befreiung zu erlangen, wenn dies auch täglich schwieriger
wird. Am Ende des Zwischenzustands des Werdens besteht dann nur noch
die Möglichkeit, sich zur Befreiung geeignete neue Lebensumstände
auszuwählen. Dies ist eine menschliche Inkarnation in bestimmten
Regionen. Denn große Fortschritte im Daseinskreislauf können
ausschließlich Menschen bewältigen, da nur sie fähig
sind, ihre Instinkte zu besiegen und ihren Intellekt analytisch zur
Beobachtung von Zusammenhängen nutzen können.
In den darauffolgenden, erstmals veröffentlichten Übersetzungen
erfahren wir einiges über die Praxis der Meditation zur natürlichen
Befreiung der Instinkte. Es sind praktische Anleitungen zur Meditation
über Aspekte der Gottheiten.
Am Schluß fügt Thurman seine Variation der natürlichen
Befreiung durch nackte Schau, Aufzeigen, der Urintelligenz bei, den
zum Begreifen der höchsten Meditation wohl geeignetsten Text.
Verschiedene Texte, wie die Beschreibungen, die für den Verstorbenen
gelesen werden, oder Anweisungen für den Vortragenden, sowie des
Autors eigene Kommentare und Erläuterungen der Orginalübersetzung,
sind durch verschiedene
Schriftarten voneinander abgesetzt. So entsteht ein erklärender
Fließtext, der sich ohne störende Unterbrechungen zur Registersuche
lesen lässt. Im Glossar werden zusätzlich einige fachspezifische
Ausdrücke noch näher erläutert.
R.F. Turman macht trotz des ursprünglich aus dem Osten kommenden
Gedankenguts immer wieder darauf aufmerksam, daß Menschen westlicher
Sozialisation und mit anderen ethischen Hintergründen ihre eigene
Metaphorik statt
der buddhistischen in die Texte übertragen können. Die vorliegende
Anleitung sei keineswegs religiöser, sondern eher wissenschaftlicher
Herkunft. Das Bardo Thödol soll dem Sterbenden/Verstorbenen von
einer ihm nahestehenden
Person oder seinem Guru vorgelesen werden, damit er die erleuchtende
Wahrheit leichter erkennt und sich dadurch aus dem Reinkarnationskreislauf
befreit. Der Originaltext (der eigentliche 'Reiseführer') ist in
täglich vorzulesende Abschnitte eingeteilt, in denen der Verstorbene
die Realität mittels des anleitenden Vortrags leichter erkennen
bzw. am Ende des Zwischenzustands des Werdens seine nächste Inkarnation
aktiv mitbeeinflussen kann.
Bis zum siebten Tag wird er mit Visionen, eher angenehmen Aspekten seiner
Psyche konfrontiert, die im Text als buddhistische Götterbilder
milder Natur und deren Farbempfindungen symbolisiert werden. Ab dem
achten Tag folgen
Vorstellungen grimmiger Aspekte der Gottheiten.
Wer die angestrebte Befreiung erlangen möchte, sollte sich möglichst
schon zu Lebzeiten auf den Zwischenzustand vorbereiten, denn ein durch
Meditationstechniken geschultes Bewußtsein hat die Fähigkeit,
nicht hin- und herzufliehen
und ungewünschte Wirkungen zu verursachen. Aus diesem Grund wurden
erstmals für die Leser, die selbst einen Beitrag zu ihrer Befreiung
leisten wollen, Anleitungen zur Dharma-Praxis übersetzt. Das Buch
ist so vielschichtig wie das Thema und die Yoga-Praxis selbst. Es ist
meines Erachtens auf jeden Fall des mehrfachen Lesens wert, um immer
weitere
Einsichten zu ermöglichen. Ich danke R.F. Thurman dafür, daß
er mich durch seine Interpretation des Tibetischen
Totenbuches um einige Erfahrungen und Erkenntnisse reicher werden ließ
und mir dazu verhalf, manches empfundene Wissen zu vertiefen. |
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