Was sagt das Lexikon?
Spi|ri|tu|a|li|tät [lat.-m,lat.] die Geistigkeit; Als Gegensatz
zu Materialität. Spiritualísmus [lat.], in der Philosophie
Lehre, nach der alles Wirkliche Geist bzw. Erscheinungsform des Geistes
ist (metaphysische Spiritualität); auch Bezeichnung. für
verschiedene Bewegungen in der Geschichte des Christentums,
die das unmittelbare Heilswirken Gottes Durch dessen Geist betonen
und sich deshalb gegen die verfaßte Kirche und das kirchliche
Amt wenden.
Was ist die allgemeine sprachliche Bedeutung?
In der Regel wird alles, was mit Glauben, Gott, Religion, Schöpfung
und Offenbarung zu tun hat oder solches beinhaltet, als Spiritualität
zusammengefaßt.
Der Versuch einer neutralen Definition.
Warum jetzt der Versuch, eine neutrale, für alle Religionen und
Weltanschauungen akzeptable Definition von Spiritualität zu versuchen?
Nun, immer mehr Menschen aller Kulturkreise verspüren eine tiefe
Sehnsucht
nach Sinngebung, scheuen aber bei dem breiten Angebot an spiritueller
Praxis die angebotenen Ausformungen in Ritual und Gebet aus anderen,
ihnen fremden Religionen und Kulturen. Sie sind zwar sehr interessiert
an
sinngebenden Lehren und Handlungen (Gebet, Meditation, Psychologie
und Philosophie), wollen aber weder ihren Kulturkreis verlassen noch
sich anderen Religionsgemeinschaften anschließen.
Spiritualität - Der erste Schritt:
Das Anhalten und Zeuge sein Etwas stimmt nicht. Du siehst es, Du hörst
es, und was schlimmer und aufwühlender ist: Du fühlst es!
Du fühlst Dich innerlich wie eine Maschine. Einmal angeworfen
und ausgerichtet, läuft Dein Leben in immer fester sich abzeichnenden
Bahnen. Es gibt nichts Neues mehr. Alles ist alt, schon gesehen, schon
gemacht, schon mal dagewesen und so langsam beginnst Du Dich zu langweilen.
”Ist das alles?”, fragst Du Dich. Du beginnst dann zögerlich,
das eine oder andere Mal etwas zu blockieren, Dich mal auszuklinken,
und irgendwann bemerkst Du zum erstem Mal diesen Widerstand
in Dir, es wird Dir bewußt und dann bleibst Du, vielleicht nur
für einen kleinen Moment, einfach stehen. Du stehst, und die
Welt dreht sich weiter und etwas geschieht, ohne das Du etwas tun
mußt. Diese Erfahrung ist die Geburtsstunde Deiner Spirtitualität.
Die Definition:
Spiritualität ist das Gewahrsein des Zeugen in Dir. Ausgehend
von der Erfahrung der Anwesenheit eines Teils Deiner selbst, der unberührt
und unbeteiligt alles Geschehende beobachten kann, gelangst Du zur
Erkenntnis,
mehr zu sein als dieser Körper und dieser Geist. Ein paar Zitate
mögen verdeutlichen, was gemeint ist:
•Meditation ist keine Erfahrung, sie ist das Erwachen des inneren
Zeugen (Osho).
•Wir fühlen, dass selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen
Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt
sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr, und eben dies
ist die Antwort. Die Lösung des Problems des Lebens merkt man
am Verschwinden des Problems. Dies ist der Grund, weshalb Menschen,
denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, nicht sagen
konnten, worin dieser Sinn bestand (Wittgenstein).
Das Erwachen des Zeugen ist der Beginn des spirituellen Weges
Es gibt keine andere Methode um Unzulänglichkeit, Irrtum und
Illusion in Verbindung mit ”dem in der Welt sein” des
Einzelnen aufzudecken, als die, anzuhalten und in Ruhe zu schauen.
Und dieses Anhalten geschieht, wenn der Zeitpunkt reif dazu ist, von
selbst, also aus unserem Wesen heraus. Und dann, wenn Fragen und Zweifel
das Individuum erreicht haben, entsteht die Notwendigkeit, eine Sprache
zu lernen, mit der diese geformt und ausgedrückt werden, und
wir finden diese Sprache in jeder spirituellen Tradition.
Tausende von Menschen vor uns standen genau vor dem gleichen Problem
und sie alle haben diese Sprachen geschaffen. Es ist nicht wichtig,
welche Sprache wir letztlich wählen, um in uns, mit uns und mit
anderen an diesen Fragen zu arbeiten. Verschiedenste Systeme und Techniken
wurden entwickelt und entwickeln sich weiter fort, doch irgendwann
muß sich jeder entscheiden, welchen Weg er gehen wird, oder
besser, welchen Weg er gehen kann. Diese Entscheidung aber ist niemals
endgültig.
Die Bedingungen:
•Wir müssen bereit sein, immer wieder anzuhalten, um den
inneren Zeugen wahrzunehmen und zu entwickeln.
•Wir müssen uns irgendwann für eine Sprache und Ausdrucksform
der Spiritualität entscheiden und bereit sein, diese zu lernen
und letztlich zu leben.
•Diese Entscheidung ist niemals leichtfertig und vorschnell
aufzugeben. Trotzdem kann und darf es nötig sein und werden,
die Sprache zu wechseln, und dann sollte dies auch geschehen. Viele
Wege führen zum immer gleichen Ziel. Wir wählen stets den
unsrigen, den stimmigen Weg.
Der zweite Schritt: Die mentale Offenheit
Grundlage dieses Versuches ist das Verspüren einer tiefen inneren
Sehnsucht nach Sinn, die sich in der aktuell vorzufindenden Lebenssituation
nicht stillen läßt. Der Überlegung folgend, daß
nur neue, bisher nicht vollzogene Wege, Ansichten und Perspektiven
zu einer Sinngebung führen können, tastet sich der Suchende
langsam und vorsichtig in neue Anschauungen, Lehren oder Techniken.
Hierfür sind Voraussetzungen notwendig:
•Die Bereitschaft, sich neues, ungewohntes anzuschauen
•Die Bereitschaft, altes, gewohntes vorübergehend auszublenden
oder sogar aufzugeben
•Die Bereitschaft, das Risiko einzugehen, die neue Wege mitbringen.
Die Definition: Spiritualität ist ein Zustand mentaler Offenheit,
der sich in Denken, Wort und Handlung ausdrückt und Selbsterforschung
und Selbstentwicklung mit dem Ziel der größtmöglichen
Freiheit als oberste Maxime verfolgt.
Ein paar Zitate mögen verdeutlichen, was gemeint ist:
•Wirkliche Selbsterkenntnis hat etwas mit innerer Arbeit zu
tun, die anstrengend und schmerzhaft ist; wirkliche Veränderung
vollzieht sich unter Geburtswehen. Es gehört Mut dazu, diesen
Weg zu gehen. (Enneagramm, Rohr/Ebert).
•Nicht wenig Elend und Verwirrung kommen daher, daß wir
Durch eigene Schuld uns selbst nicht verstehen und nicht wissen, wer
wir sind. (Theresa von Avila)
•Viele unterschiedliche Faktoren kommen zusammen, prägen
unser Inneres und verdichten sich zu dem , was wir in diesem Buch
”Stimmen” nennen. (Enneagramm, Rohr/Ebert). Wie drückt
sich dann spirituelle Arbeit aus? Der Weg spiritueller Arbeit beginnt
mit der Wahrnehmung innerer Regungen, die in der Regel nicht verstanden
oder gedeutet werden können. Aus dieser Wahrnehmung heraus bildet
sich eine Frage wie ”Warum ist das so, warum erlebe ich das
so, warum empfinde ich das so...”. Diese Frage dann,
die nicht beantwortet werden kann, weil sie auf unbewußte Prägungen
deutet, verdichtet sich zu einer Problemstellung, der sich der Einzelne
dann mit seinen Methoden und Möglichkeiten widmet oder der, weil
er sich seiner Begrenzung offenbar wird, sich auf die Suche nach neuen,
anderen Wegen begibt. Letztlich wird diese Frage zu einer mehr oder
weniger umfassenden Antwort führen, die angesichts von unendlichen
Möglichkeiten aber immer nur eine Stufe darstellt. Diese Stufen
werden nach und nach erstiegen und führen nur sehr selten zu
letztmöglicher Erkenntnis. Daher ist Offen-Sein und Offen-Bleiben
ein Wesensbestandteil spiritueller Arbeit.
Drei Schritte
Es geht also darum:
•Die verschiedenen Regungen wahrzunehmen (die aus dem seelischen
kommen),
•Diese zu erkennen, sie dann zu beurteilen in Bezug auf die
Sinngebung und Entwicklung als fördernd oder behindernd (sie
zu hinterfragen)
•Zu diesen Regungen Stellung zu beziehen und sie anzunehmen
oder abzulehnen (die Problematik zu formen und eine, wenn auch oft
nur vorübergehende, Antwort zu finden)
Grundsätze und Bedingtheiten
Bestimmend sind nachfolgenden Grundsätze und Bedingtheiten, die
nahezu immer und in jedem System Gültigkeit besitzen:
•Wichtig ist eine Schulung der inneren Wahrnehmung sowohl körperlicher,
geistiger als auch seelischer Prägungen und Ausdrucksformen
•Wichtig ist Offenheit gegenüber der Welt und Ehrlichkeit
zu sich Selbst auf jeder Stufe und zu jeder Zeit
•Der Weg führt immer über die Frage- oder Problemstellung.
Wichtig ist die richtige Frage zu stellen und nicht so sehr die Suche
nach der oder einer Antwort
•Der Weg beinhaltet Fort- und Rückschritte, ist in der
Regel weder linear noch stufig und führt wechselnd durch Freude
und Leid, erfordert daher Geduld, Konsequenz und Mut.
•Der Weg zur Freiheit ist eine Lebensaufgabe, ist immer und
für jeden ein Neuer und muß letztlich allein (Hilfestellungen
erfahrener Menschen sind hilfreich, aber nicht genügend) gegangen
werden.
Der dritte Schritt:
Die konsequente Analyse Erst wenn wir gelernt haben, unvoreingenommen
zu schauen und wahrzunehmen, und wenn wir bereit sind, offen und ohne
Berücksichtigung des voraussichtlichen Ergebnisses dieses Wahrgenommene
miteinander in Beziehung zu setzen, können wir beginnen, unser
in-der-Welt-sein zu analysieren. Und obwohl jede Wissenschaft und
jede Lehre Regeln vorgibt für diese Arbeit, letztlich darf alles
gedacht, alles in Beziehung gesetzt und alles angezweifelt werden,
denn im Denken allein ist der Mensch frei und hier bedarf es keinerlei
Regeln. Alle Erfinder, Entdecker und alle Propheten verstießen
gegen die gültigen Regeln ihrer Zeit. Warum sollten wir uns also
solchen unterwerfen? Nur konsequente Analysen überführen
unsere falschen Vorstellungen, und wir bedienen uns aller ethisch-akzeptablen
(ethisch, nicht moralisch !) Mittel und Techniken, die nützlich
und fördernd sind.
Einige der möglichen Aussagen, die so verifiziert werden können
und müssen, sind nachfolgend aufgelistet. Sie sind wichtig, um
die folgenden Definitionen zu begründen:
•Der innere Zeuge (die Seele, Atman, ...) muß (kann nur)
unsterblich sein.
•Der Mensch ist der Gestalter seiner Freiheit, er ist willentlich
frei.
•Es gibt ohne jeden Zweifel die Notwendigkeit eines Prinzips
”Gott”.
•Existenz, Zeit und Raum sind keine festen Wesenheiten, fest
sind sie nur, solange sie begrenzt gedacht werden.
•Unser Denken ist in Relativität und Dualität gefangen
und begründet.
Die Definition:
Spiritualität gehorcht in letzter Konsequenz keinen Regeln und
Lehren. Sie ist so frei wie der Mensch, der sie lebt. Spiritualität
ist individuell und unpersönlich.
Diese Formulierung ist allerdings kein Freifahrtsschein und unterliegt
in jedem Fall dem Gebot der Ethik. Der Mensch als lebendes Wesen ist
nicht allein auf dieser Welt.
Ein Zitat mag das oben gesagte stützen oder belegen:
Buddha (Kalamas Sutra):
Glaube nicht an das, was Du gehört hast; glaube nicht an Traditionen,
weil sie durch viele Generationen überliefert wurden, glaube
nicht an etwas, weil es von vielen gemunkelt oder gesagt wird, glaube
nicht, nur weil die schriftliche Aussage eines alten Weisen vorgelegt
wird, glaube nicht an Mutmaßungen glaube nicht bloß an
die Autorität Deiner Lehrer oder Älteren. Nach Beobachtung
und Analyse, wenn es mit der Vernunft übereinstimmt und es zum
Guten und zum Nutzen eines oder Aller führt, dann akzeptiere
es und lebe danach.
Die Unterscheidung von Wahrheit und Lehre
Eine Redewendung sagt: ”Es gibt viele Wahrheiten, aber nur eine
Wahrheit”, und diese eine Wahrheit ist nur gültig für
Dich allein. Jeder Mensch besitzt seine ihm eigene Wahrheit, und diese
ist lediglich abhängig vom
Sein, vom Selbst des Einzelnen. Hier in richtig und falsch, gut oder
schlecht, fördernd oder hinderlich zu unterscheiden, widerspricht
der Spiritualität selbst. Es gibt sicherlich Zeiten und Umstände,
die das Befolgen einer Lehre nötig und auch hilfreich sein lassen,
in letzter Konsequenz kann daran
aber nicht festgehalten werden. Jede Tradition einschließlich
der westlichen Wissenschaften und der östlichen Weisheitslehren
belegen dieses. Sie betonen immer wieder die Verantwortung jedes Einzelnen
für sich selbst.
Das Individuum kann sich letztlich nur selbst befreien und selbst
zu dem werden, was es letztlich schon immer ist.
Grundsätze der Freiheit:
•Freiheit geschieht und wächst nur in einem ethisch hinterfragenden
Rahmen
•Alles ist denkbar und alles darf in Frage gestellt werden.
Der vierte Schritt: Die Integration
Wir haben gearbeitet, neue Erfahrungen gemacht und haben Türen
geöffnet, die zu anderen Bewußtseinserfahrungen führen,
geführt haben oder führen können. Dies alles muß
integriert werden in das Lebensgefüge, das sich im Individuum
als ”Ich” zusammengesetzt sieht. Dies bedeutet Opfer,
denn so manche liebe Gewohnheit und so manche einfache Vorstellung
ist mit dem Neuen nicht zu vereinbaren. Und auch unsere häufige
Neigung, Altes einfach abzulegen und Neues einfach anzunehmen, kann
hier nicht als Integration gelten. Wirkliche Integration umschließt
das Alte, integriert das Neue und formt daraus ein neues Gefüge.
Dieses Gefüge ist in aller Regel einzig in seiner Art und daher
ungewohnt, mit Schwierigkeiten beladen, und es gibt kein Buch zum
Nachschlagen, keinen Helfer, der uns Anweisungen
gibt und keine Lehre, die uns vorzeichnet, wie dieses Neue zu leben
ist. Kurz gesagt, wir sind allein in unbekanntem Land. Eine gelungene
Integration hält auch immer eine Überraschung für uns
bereit, denn
immer entsteht unvorhersehbar Neues.
Die Definition:
Spiritualität führt zur Integration, wobei das Neue das
Alte einschließt und die Summe beider überstiegen wird.
Diese Integration schafft ein vollständig neues Lebensgefüge
mit neuen, bisher unbekannten Wesenheiten.
Das neue Lebensgefüge:
Wer kennt die Probleme nicht, die eine Veränderung der eigenen
Persönlichkeitsstruktur in der Umwelt hervorruft? Wir leben nicht
allein, sind eingebunden in ein weitreichendes Netz von Verbindlichkeiten
und
Beziehungen. Und nun verändern wir uns, entwickeln neue Ideen,
neue Ansichten und Wertvorstellungen, neue Gewohnheiten und dergleichen.
Unsere Mitmenschen stehen solchem in der Regel nicht allzu offen gegenüber,
und wir werden viel Kraft und Einsatz aufwenden müssen. Einzig
der Kontakt zu Gleichgesinnten kann hier eine leichte Hilfe sein.
All das sollte uns nicht schrecken, und wir sollten Geduld für
unsere Umwelt mitbringen. Integration geschieht einfach, wenn die
Bedingung erfüllt ist, und das neu Entstehende wird uns Wege
und Möglichkeiten aufzeigen, mit der wir unsere Umwelt versöhnen.
Was wir brauchen ist Vertrauen, Vertrauen in uns selbst, in die Welt
und den Sinn darin.
Der fünfte Schritt: Die Transformation
Du triffst alte Freunde von früher, ihr unterhaltet euch, und
irgendwann wirst Du mit der Aussage konfrontiert: Mein Gott, ich erkenne
Dich gar nicht wieder...Du hast Dich verändert...Du bist ganz
anders, als ich Dich in
Erinnerung habe... So oder ähnlich werden Freunde unsere Wandlung
beschreiben. Aber Du selbst fühlst Dich nicht verändert,
ja ganz im Gegenteil, Du fühlst Dich genau wie immer schon, nur
die Kreise der Welt, in
denen Du Dich bewegst, haben sich, so glaubst Du zunächst, verändert.
Und doch, irgendwann, kannst Du die Veränderung in Dir auch vor
Dir selbst nicht mehr verstecken, und Du wirst einsehen müssen,
das vieles von dem, was in Dir wirkt, mit deinem Fühlen nicht
mehr übereinstimmt. Und Du wirst Gewohnheiten ablegen, Bindungen
lösen und neue, andere Beziehungen knüpfen. Auch dieser
Prozess geschieht einfach, wenn Du bereit bist, es auch geschehen
zu lassen und schon bald wird dieses sich verändern zu einer
Gewohnheit, die in Dir ohne dein Zutun geschieht. In diesem Moment
wird deine Transformation abgeschlossen sein und Du bist, ohne dein
Wissen, neu geboren.
Die Definition:
Der/die spirituell Praktizierende unterliegt einer permanenten Transformation,
einer Wandlung, die ohne sein/ihr Zutun und ohne Ziel und Wissen von
selbst geschieht. Man könnte die Transformation auch beschreiben
als die konsequente und stetige Anpassung an die Welt. Aber diese
Formulierung ist nicht zutreffend.
Spiritualität ist die Anbindung an die Gesetze des Kosmos, nicht
an die Gesetze der Welt. Wir kennen die Gesetze des Kosmos aber nicht,
kennen nicht seinen Sinn. Daher ist es erforderlich, vollkommen offen
zu
sein, uns also leiten zu lassen, aber das alles ohne den Boden unter
den Füßen zu verlieren. Menschsein bedeutet auch, an die
Begrenzung und Möglichkeiten menschlicher Existenz gebunden zu
sein. Das darf niemals vergessen werden. Geduld und das rechte Maß
an Mut, aber auch an Vorsicht sind nötig, um diese Bedingungen
zu erfüllen. Wir können vergleichen, uns ein Beispiel nehmen,
wir können unsere Phantasie und unser Denken einsetzen, wir können
unsere Träume interpretieren und viele andere Möglichkeiten
der Erkenntnis nutzen, alle diese Möglichkeiten sind nützlich
und wirksam. Trotzdem, jede von ihnen ist aber auch begrenzt und einseitig.
Das Wissen um diese Unvollkommenheiten ist unsere einzige Sicherung.
Wir sollten uns dieser immer wieder vergegenwärtigen, diese immer
wieder in uns wachrufen, damit wir nicht wieder einschlafen und so
vom Wege abkommen.
Zusammenfassung
Was also ist Spiritualität letztlich. Können wir aus der
Sammlung der Schritte eine neue Definition für Spiritualität
formen, die allen Glaubensrichtungen und Weltsichten angemessen gegenübertritt?
Die fünf Schritte im Überblick:
•Spiritualität ist das Gewahrsein des Zeugen in Dir. Ausgehend
von der Erfahrung der Anwesenheit eines Teils Deiner selbst, der unberührt
und unbeteiligt alles Geschehende beobachten kann, gelangst Du zur
Erkenntnis, mehr zu sein als dieser Körper und dieser Geist.
•Spiritualität ist ein Zustand mentaler Offenheit, der
sich in Denken, Wort und Handlung ausdrückt und Selbsterforschung
und Selbstentwicklung mit dem Ziel der größtmöglichen
Freiheit als oberste Maxime verfolgt.
•Spiritualität gehorcht in letzter Konsequenz keinen Regeln
und Lehren. Sie ist so frei wie der Mensch, der sie lebt. Spiritualität
ist individuell und unpersönlich.
•Spiritualität führt zur Integration, wobei das Neue
das Alte einschließt und die Summe beider überstiegen wird.
Diese Integration schafft ein vollständig neues Lebensgefüge
mit neuen, bisher unbekannten
Wesenheiten.
•Der/die spirituell Praktizierende unterliegt einer permanenten
Transformation, einer Wandlung, die ohne sein/ihr Zutun und ohne Ziel
und Wissen von selbst geschieht. Versuchen wir jetzt also eine Synthese,
eine Zusammenfassung des oben gesagten. Nehmen wir zunächst einmal
an, dass ”das Zeuge sein”, dass
”die Offenheit, Selbsterforschung und Entwicklung” nur
Stufen sind, technische Begriffe einer Entwicklung, so bleiben ”Freiheit,
Integration und Transformation”, die in sich wiederum eine Entwicklung
darstellen, also
ebenfalls Stufen sind. Fassen wir beide Gruppen zusammen und bilden
wir daraus Bedingung und Wirkung, so können wir nachstehendem
Ergebnis gelangen:
Die Definition:
Spiritualität ist ein Weg der Selbsterforschung und Selbstentwicklung,
dessen höchstes Ziel die Verwirklichung der höchstmöglichen
Freiheit des Menschen bedeutet und diese in Permanenz und Reinheit
zu erhalten sucht.
Freiheit ist hier zu verstehen in dem Sinne, das die Freiheit des
Einen nicht die Unfreiheit des anderen bedeuten kann, sondern Freiheit
umschließt alles Lebendige, ist universell. Es gibt nur eine
einzige Freiheit, und diese (des Einen) kann neben Unfreiheit (des
Anderen) nicht existieren. Selbsterforschung und Selbstentwicklung
ist die Aufgabe jedes Einzelnen. Nur das Individuum kann diese Maxime
für sich selbst vollbringen, und so unterliegt auch die Entscheidung,
welcher Weg und welche Maßnahme zur Erfüllung führt,
stets dem Einzelnen. Kein Mensch, auch der Weiseste nicht, kann diese
Verantwortung für einen anderen übernehmen. Die größtmögliche
Freiheit ist immer nur ein Zustand des Augenblicks, und sie kann auf
Dauer nicht in festgefügten Formen existieren. Daher erfordert
Permanenz und Reinheit dieses Zustandes ständige Anpassung, Entwicklung
und Veränderung. Freiheit ist eine höchst subtile Eigenschaft,
ist sehr lebendig und beweglich. Kein Wort, kein Begriff und keine
Lehre kann sie letztgültig beschreiben. Sie ist neu in jedem
Augenblick.