1 Einleitung
Im Mai 2004 fand in Köln eine Tagung der Society for Meditation and Meditation Research (SMMR) statt. Sukadev Volker Bretz, der Leiter
von Yoga-Vidya, hielt auf dieser Tagung einen Vortrag über Yoga
und trat der SMMR als Mitglied bei. Außerdem erklärte er
sein Interesse, die Meditationsforschung durch Untersuchungen an Yoga-Vidya-Zentren
aktiv zu unterstützen. Dieses Angebot fiel auf fruchtbaren Boden
und bereits im Juni 2004 wurden Fragebögen an alle Yoga-Vidya-Zentren
verschickt.
Der vorliegende Ergebnisbericht beschreibt die theoretischen Hintergründe,
die Durchführung und die Ergebnisse dieser Fragebogenerhebung.
Den Ausgangspunkt für die Konzeption des Meditationsforschungsprojekts
bildeten mehrere Fragestellungen:
• Existiert eine schulenübergreifende Dimension der „Meditationstiefe“?
• Wie beeinflussen Persönlichkeitsmerkmale und Übungspraxis
das Auftreten tiefer Meditationserfahrungen?
• Wie wirken sich Meditationspraxis und tiefe Erfahrungen auf
das Erleben im Alltag aus?
Mit der Meditationstiefe haben sich zwei der Verfasser des vorliegenden
Ergebnisberichts in ihren Doktorarbeiten ausführlich beschäftigt.
Dabei wurde gezeigt, dass die überwiegende Mehrzahl der Meditierenden
klar zwischen tiefen und weniger tiefen Meditationssitzungen unterscheidet,
je nachdem wie stark Entspannung, eine Auflösung des normalen Bewusstsein
und mystische Erfahrungen erlebt werden (Ott, 2000). Mittels einer systematischen
Befragung von Lehrern verschiedener Meditationsrichtungen konnte zudem
eine schulenübergreifende Dimension der Meditationstiefe nachgewiesen
werden (Piron, 2003).
Der Meditationstiefefragebogen (Piron, 2001) wurde in dieser Erhebung
eingesetzt, um diese Tiefendimension der Meditationserfahrung zu erfassen.
Wenn die Annahme zutrifft, dass sich die Erfahrungen Meditierender entlang
dieser Tiefendimension entwickeln, dann sollten die entsprechenden Werte
mit zunehmender Übungsdauer ansteigen. Daraus ergab sich die erste
Forschungshypothese:
Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Übungspraxis und
Meditationstiefe. Neben der Übungspraxis ist ein zweiter wichtiger
Einflussfaktor auf die Meditationstiefe die Persönlichkeit. Wenn
eine Gruppe von Menschen mit der Meditationspraxis beginnt, wird es
typischerweise einigen leichter fallen zu meditieren als anderen. Ein
Persönlichkeitsmerkmal, das in diesem Zusammenhang vermutlich eine
bedeutsame Rolle spielt, ist die sogenannte „Absorptionsfähigkeit“
(Ott, 2003). In einer früheren Studie hatte sich gezeigt, dass
Personen mit längerer Meditationserfahrung höhere Werte auf
der entsprechenden Absorptionsskala erreichten (Davidson, Goleman, &
Schwartz, 1976). Dies bedeutet, dass es ihnen leichter fällt, sich
ganz in eine Sache zu vertiefen und potentielle Störungen auszublenden.
Diese Fähigkeit ist sowohl eine wichtige Voraussetzung für
die meditative Sammlung und Versenkung, als auch ein Resultat langanhaltender
Meditationsübung. In Bezug auf die Absorptionsfähigkeit wurde
daher das folgende Hypothesenpaar formuliert:
(a) Die Absorptionsfähigkeit nimmt mit der Dauer der Übungspraxis
zu.
(b) Bei gleicher Übungsdauer erleben Personen mit einer hohen Absorptionsfähigkeit
tiefere Meditationszustände.
Bezüglich der Auswirkungen der Meditationspraxis auf das Erleben
im Alltag stand in der vorliegenden Studie das Konzept der „Achtsamkeit“
im Mittelpunkt des Interesses. Auf der eingangs erwähnten Tagung
in Köln wurde eine Kurzversion des „Freiburger Fragebogens
zur Achtsamkeit“ vorgestellt (Walach, Buchheld, Buttenmüller,
Kleinknecht & Schmidt, 2003), die ebenfalls im Fragebogensatz enthalten
war. Obgleich viele Meditationstechniken im Yoga nicht der eigentlichen
buddhistischen „Achtsamkeitsmeditation“ zuzuordnen sind,
ist eine achtsame Haltung gegenüber sich selbst und seinen Mitmenschen
doch ein Grundprinzip des
Yoga. Zudem weisen Befunde der Meditationsforschung auf eine zunehmende
Verfeinerung der Wahrnehmung sowohl des eigenen Befindens als auch der
sozialen Umwelt hin. Die dritte Hypothese lautete daher:
Die Achtsamkeit nimmt mit der Übungspraxis und mit der Meditationstiefe
zu. Im folgenden Methodenteil wird das Vorgehen zur Überprüfung
der genannten Hypothesen beschrieben.
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2 Methode
2.1 Stichprobe
In der zweiten Junihälfte wurden insgesamt 1400 Fragebögen
an alle Yoga-Vidya-Zentren im deutschsprachigen Raum verschickt. Die
Stadtzentren erhielten jeweils 50, die Seminarhäuser in Oberlahr
und Bad Meinberg 150 bzw. 300 Fragebogensätze. Im Begleitschreiben
wurde darum gebeten, nach dem 31. Juli die Fragebögen gesammelt
zurück zu schicken. Bis Ende September wurden insgesamt 251 ausgefüllte
Fragebogensätze eingesandt. Dies entspricht einem Rücklauf
von 18 Prozent, wobei gerade bei kleinen oder neu eröffneten Zentren
nicht davon ausgegangen worden war, dass tatsächlich 50 Meditierende
teilnehmen würden.
Im Folgenden werden allgemeine Merkmale der Teilnehmer beschrieben,
aus denen sich die vorliegende Stichprobe zusammensetzt. Geschlecht
und Alter. Die Mehrzahl der Fragebögen wurde von Frauen ausgefüllt
(73%), demgegenüber nur gut ein Viertel von Männern (27%).
Das Alter lag im Mittel bei ca. 41 Jahren, wobei die jüngste Teilnehmerin
20 und der älteste 70 Jahre alt war.
Ausbildung. Als höchster erreichter Schulabschluss wurde am häufigsten
das Abitur genannt (60%), gefolgt von der mittleren Reife (32%) und
dem Hauptschulabschluss (8%). Nur ein kleiner Anteil der Befragten befindet
sich noch in der Berufsausbildung (3%) oder hat keine Berufsausbildung
(6%). Die Mehrheit verfügt hingegen über den Abschluss einer
Universität bzw. weiterführenden Schule (36% Hochschule, 9%
Fachoberschule, 16% Fachschule) oder hat eine Lehre abgeschlossen (26%).
Berufstätigkeit. Gut die Hälfte der Befragten kreuzte mindestens
eine der vorgegebenen Berufskategorien an: 22% sind im sozialen Bereich
tätig, 10% in der Verwaltung, 6% in Verkauf und Handel, 4% im Handwerk,
3% in der Industrie und 2% im künstlerischen Sektor (10% kreuzten
mehrere Kategorien an). Die übrigen Befragten wählte die Kategorie
„Sonstiges“ (38%) oder machten keine Angaben. Familienstand
und Konfession.
Die Frage nach dem Familienstand ergab folgende Verteilung:
43% ledig, 36% verheiratet, 14% geschieden, 6% getrennt lebend und 1%
verwitwet. Ein Großteil der Teilnehmer gab an, entweder keiner
Konfession anzugehören (43%) oder einer der in Deutschland dominierenden
christlichen Kirchen, die beide etwa gleich stark vertreten waren (24%
evangelisch, 22% katholisch). 7% gaben an, mehreren Konfessionen zugehörig
zu sein; buddhistische und andere Konfessionen erreichten zusammen 3%.
Tabak- und Alkoholkonsum. Die überwiegende Mehrheit der Untersuchungsteilnehmer
sind Nichtraucher (86%). 8% der Befragten rauchen gelegentlich und nur
5% täglich. Beim Alkoholkonsum fällt der Prozentsatz der Abstinenzler
mit 57% etwas niedriger aus. Der gelegentliche Genuss von Alkohol wird
mit 41% entsprechend häufiger angegeben, nicht jedoch das tägliche
Trinken alkoholischer Getränke (ca. 1%).
Gesundheit und Medikamente. Die entsprechenden Angaben sind sehr heterogen
und werden erst zu einem späteren Zeitpunkt von einem der Verfasser
(Theo Fehr) ausgewertet werden.
2.2 Fragebögen
Der gesamte bei der Erhebung eingesetzte Fragebogensatz nebst Anschreiben
ist als Anlage beigefügt.
2.2.1 Meditationstiefefragebogen
Dieser Fragebogen wurde von Harald Piron im Rahmen seiner Doktorarbeit
entwickelt (2001, 2003). Er besteht aus insgesamt 30 Aussagen über
Meditationserfahrungen, zu denen anzugeben ist, wie sehr sie auf die
Meditation in der letzten Woche zutreffen. Die Skala reicht hierbei
von 0 („gar nicht“) bis 4 („sehr stark“). Aus
den Angaben lässt sich ein Wert für die Meditationstiefe insgesamt
berechnen. Die Tiefe der ausgedrückten Erfahrungen war von 40 Experten
unterschiedlicher Richtungen (mit durchschnittlich 20 Jahren Meditations-
und 10 Jahren Lehrerfahrung) mit hoher Übereinstimmung eingestuft
worden. Außerdem konnten die Aussagen den folgenden fünf
Tiefebereichen zugeordnet werden:
• Hindernisse. Unruhe, Langeweile, Motivations- und Konzentrationsprobleme.
• Entspannung. Wohlbefinden, ruhige Atmung, wachsende Geduld und
Ruhe.
• Konzentration. Gewahrsein, Achtsamkeit über die Gedanken
ohne Anhaften, Erleben von Kontrolle; Erfahrung einer inneren Mitte,
einer starken Energie im Innern, eines Energiefeldes sowie körperlicher
Leichtigkeit; Einsichten und Erkenntnise; Gleichmut und innerer Frieden.
• Essentielle Qualitäten. Transzendenz von Methode, Form
und Zeitgefühl; Klarheit, Wachheit, Liebe, Hingabe, Verbundenheit,
Demut, Gnade, Dankbarkeit, bedingungslose Selbstakzeptanz, grenzenlose
Freude.
• Nicht-Dualität. Kognitive Vorgänge wie Gedanken, Vergleiche,
Unterscheidungen, Urteile und Wahrnehmungen von Emotionen und Empfindungen
hören auf; Einssein mit allem; Leerheit und Grenzenlosigkeit des
Bewusstseins; Transzendenz von Subjekt und Objekt.
Im Anschluss an die Aussagen zum Meditationserleben folgen noch einige
Fragen zur bisherigen Meditationspraxis (Dauer, Häufigkeit, Methode,
Lehrer).
2.2.2 Freiburger Fragebogen zur Achtsamkeit
In der Erhebung wurde die Kurzversion des Freiburger Fragebogens zur
Achtsamkeit (FFA) eingesetzt (Walach et al., 2003), die aus 14 Aussagen
besteht. Diese Aussagen beschreiben Kernelemente der „Achtsamkeit“,
ohne dass jedoch Begriffe der buddhistischen Meditation verwendet werden,
wie in der ursprünglichen Langform des Fragebogens mit 30 Aussagen.
Es wird lediglich ein Wert für die Achtsamkeit berechnet, eine
Aufteilung in weitere Skalen oder Faktoren ist nicht vorgesehen.
2.2.3 Absorptionsskala
Bei der Absorptionsskala handelt es sich um die deutsche Fassung der
Tellegen Absorption Scale (TAS), die von Ritz und Dahme (1995) publiziert
wurde. Die 34 Aussagen der Skala beschreiben Zustände einer vertieften
Aufmerksamkeit („Versunkenheit“, „Absorbiert sein“)
in alltäglichen Situationen sowie in veränderten Bewusstseinszuständen.
Alle Items der TAS bilden zusammen die Dimension der „Absorptionsfähigkeit“,
sie lassen sich jedoch auch nach ihren verschiedenen inhaltlichen Aspekten
gruppieren:
1. Empfänglichkeit für (ästhetisch) ansprechende Reize.
Aussagen, die u.a. ein intensives, emotionales Reagieren auf Natur (Sonnenuntergang,
Holzfeuer, Wolkenformationen) und Kunst (Musik, Poesie) beschreiben.
2. Synästhesie. Aussagen, die Assoziationen über die Sinnesbereiche
hinweg beschreiben, beispielsweise erinnert Musik an sich ändernde
Farbmuster oder Gerüche werden mit Farben oder lebhaften Erinnerungen
verbunden.
3. Erweiterte Wahrnehmungen. Aussagen, die außersinnliche Erfahrungen
beschreiben, wie etwa das Spüren einer Person bevor sie eintrifft,
und eine Neigung zu bildhaftem Denken.
4. Selbstvergessene Absorption. Zustände der Versunkenheit beim
Anschauen eines Films, Musikhören oder Tagträumen, die dazu
führen, dass die betreffende Person alles um sich herum und sich
selbst „vergisst“.
5. Lebhaftes Erinnern. Erinnerungen werden als sehr lebhaft erfahren,
fast so, als ob eine
erinnerte Szene z.B. aus der Kindheit wieder erlebt werde.
6. Erweitertes Bewusstsein. Mystische Bewusstseinserfahrungen, in denen
der Betreffende meint, sein Geist könne die ganze Welt umfangen
und einen völlig veränderten Seinszustand erfährt.
Für die genannten sechs Faktoren lassen sich ebenfalls Kennwerte
berechnen, in die nur die jeweiligen Aussagen eingehen.
2.2.4 Sonstige Angaben
Einige „Angaben zur Person“ (Alter, Geschlecht, Ausbildung
etc.) wurden erhoben, um die Meditierenden der Studie näher charakterisieren
zu können (siehe Kapitel 2.1) und ggf. einen Vergleich mit weiteren
Stichproben zu ermöglichen. Zusätzlich wurde auch nach Krankheiten
und Medikamenten, insbesondere Hormonpräparaten, gefragt, um in
zukünftigen Analysen mögliche Einflüsse auf die Qualität
der Meditation untersuchen zu können.
2.3 Aufbereitung der Daten
Vor der Auswertung wurden zunächst einzelne fehlende Angaben in
den Fragebögen durch plausible Schätzwerte (Mittelwerte der
Skalen oder Faktoren) ersetzt. Obwohl eine Berechnung der bisherigen
Meditationserfahrung in Stunden prinzipiell denkbar wäre (Übungspraxis
in Jahren x 52 Wochen x Sitzungen/Woche x durchschnittliche Dauer einer
Sitzung), wurde auf eine entsprechende Hochrechnung verzichtet, weil
erfahrungsgemäß im Verlauf einer „Meditationslaufbahn“
die Übungspraxis Schwankungen aufweist. Als Maß für
die Übungspraxis wurde stattdessen die Meditationserfahrung in
Jahren herangezogen.
Obwohl die Meditationspraxis in Jahren für die Bestimmung und statistische
Prüfung der interessierenden Zusammenhänge ausreicht, wurde
zusätzlich noch eine Einteilung in drei Gruppen vorgenommen, um
die Effekte besser bildlich darstellen zu können:
• weniger als ein Jahr Praxis („Anfänger“)
• ein bis fünf Jahre Praxis („Fortgeschrittene“)
• mehr als fünf Jahre Praxis („Experten“)
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3 Ergebnisse
Die nachfolgende Ergebnisdarstellung orientiert sich an den in der Einleitung
formulierten Hypothesen. Für die statistische Prüfung der
erwarteten Zusammenhänge werden sogenannte „Korrelationskoeffizienten“
(abgekürzt mit „r“) verwendet. Diese Koeffizienten
können Werte zwischen –1 und +1 annehmen, wobei r = 1 einen
perfekten positiven Zusammenhang beschreibt, d.h. wenn der Wert der
einen Variablen größer wird, steigt auch der Wert der anderen
Variable an. Ein Koeffizient von r = 0 besagt hingegen, dass kein Zusammenhang
zwischen den beiden Variablen vorliegt. Zusätzlich ist jeweils
die Wahrscheinlichkeit dafür
angegeben (abgekürzt mit „p“), dass die vorgefundene
Korrelation zufällig auftritt. Wenn diese Wahrscheinlichkeit kleiner
ist als 5% (p < 0,05), dann spricht man von einem statistisch bedeutsamen
(„signifikanten“) Ergebnis, das die Hypothese bestätigt.
3.1 Übungspraxis und Meditationstiefe
Die erste Hypothese besagt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen
Übungspraxis und Meditationstiefe besteht. Vor der Prüfung
dieser Hypothese werden zunächst die Angaben der Meditierenden
zu ihrer Übungspraxis und im Meditationstiefefragebogen beschrieben.
Länge der Übungspraxis. Die Angaben zur Frage, seit wann meditiert
wird, reichen von wenigen Tagen bis hin zu 50 Jahren. Im Durchschnitt
beträgt die Meditationspraxis 4,7 Jahre. 17 Teilnehmer machten
keine Angabe und gingen nicht in die statistische Analyse ein.
Dauer und Häufigkeit der Meditationssitzungen. Die Angaben zur
durchschnittlichen Dauer einer Sitzung streuen zwischen 5 und 200 Minuten.
Der Mittelwert aller Angaben liegt bei 30 Minuten. Die Häufigkeit
der Meditation reicht von einmal bis fünfmal pro Tag, wobei die
überwiegende Mehrheit ein- bis zweimal täglich meditiert (Mittelwert:
1,3 Sitzungen), jedoch nicht unbedingt an jedem Tag der Woche –
die Angaben reichen hier von täglich bis zu einmal pro Woche (Mittelwert:
5,3 Sitzungen pro Woche).
Meditationsmethode. Erwartungsgemäß gaben die meisten Befragten
(45%) an, dass die von ihnen praktizierte Meditation auf Swami Sivananda
bzw. Swami Vishnudevananda zurück geht bzw. von Lehrern in den
Yoga-Vidya-Zentren vermittelt wurde. 43% machten hierzu keine spezifischen
Angaben und 17% der Meditierenden nannten andere bzw. weitere Lehrer
wie beispielsweise Maharishi oder Goenka (Mehrfachangaben waren möglich).
Die konkreten Meditationstechniken decken ein weites Spektrum ab: 47%
Mantra-Meditation, 14% „stille“ Meditation, 10% Konzentration
auf den Atem, 9% Vipassana- oder Achtsamkeitsmeditation, 5% Ausdehnungsmeditation,
jeweils 4% Konzentration auf ein Chakra, Energie- und Eigenschaftsmeditation
sowie 3% Lichtmeditation. 16% der Befragten gaben an, mehrere
Methoden zu praktizieren; 6% machten keine Angaben.
Meditationstiefe. Alle Aussagen des Meditationstiefefragebogens bis
auf eine wurden zu dem Summenwert für die Meditationstiefe aufaddiert,
wobei Aussagen, die Schwierigkeiten beim Meditieren beschreiben (Bereich
„Hindernisse“, siehe 2.2.1), zuvor umgepolt wurden. Dieser
Summenwert kann einen Wert zwischen null und 116 annehmen, da maximal
vier Punkte pro Aussage erreicht werden können. In der vorliegenden
Stichprobe lag der mittlere Wert für die Meditationstiefe bei 66
und liegt somit in etwa auf gleicher Höhe wie in der Eichstichprobe
von Piron (2003), die aus Meditierenden unterschiedlicher Richtungen
zusammengesetzt war. Hypothese 1. Der Zusammenhang zwischen Übungspraxis
und Meditationstiefe wurde als Korrelation zwischen der Länge der
Meditationspraxis in Jahren und dem Summenwert im Meditationstiefefragebogen
berechnet: r = 0,316; p < 0,001. Der Zusammenhang ist wie
erwartet positiv und statistisch hoch signifikant. Die erste Hypothese
wird somit durch die Daten unterstützt.
3.2 Absorptionsfähigkeit
Die Angaben zu den 34 Aussagen der Absorptionsskala wurden zu einem
Gesamtwert für die Absorptionsfähigkeit aufsummiert. Der Mittelwert
über aller Meditierenden liegt bei 77. Somit ist die Ausprägung
dieser Persönlichkeitseigenschaft in der vorliegenden Stichprobe
deutlich höher als in der Normstichprobe von Ritz und Dahme (1995),
wo der Mittelwert bei 60 gelegen hatte. Der Geschlechtsunterschied,
den Ritz und Dahme gefunden hatten (Frauen:
65, Männer: 55) ist bei den Meditierenden nicht festzustellen (Frauen:
76, Männer: 77). Hypothese 2a. Die erste Hypothese zur Absorptionsfähigkeit
besagte, dass diese mit der Länge der Übungspraxis positiv
zusammenhängen würde. Die entsprechende Korrelation beträgt
r = 0,142 und ist mit einer Wahrscheinlichkeit von p = 0,031 gerade
noch statistisch signifikant.
Hypothese 2b. Die zweite Hypothese besagte, dass Personen mit hoher
Absorptionsfähigkeit tiefere Meditationszustände erreichen
würden. Um diese Hypothese zu testen, wurde eine Regressionsanalyse
durchgeführt. Bei dieser Analyse wird versucht, die Meditationstiefe
mit der Übungspraxis und der Absorptionsfähigkeit vorherzusagen.
Sodann kann getestet werden, ob die Korrelation beider Variablen zusammen
signifikant größer ist, als die Korrelation mit der Übungspraxis
alleine (siehe 3.1). Die multiple Korrelation beträgt R = 0,486,
gegenüber der einzelnen Korrelation von Übungspraxis und Meditationstiefe
(r = 0,316) ist dies ein signifikanter Zuwachs. Eine ausgeprägte
Absorptionsfähigkeit geht also – unabhängig von der
Übungsdauer – mit einer größeren Meditationstiefe
einher, wie in der Hypothese vermutet
Somit werden beide Hypothesen zur Absorptionsfähigkeit unterstützt.
3.3 Achtsamkeit
Die dritte Hypothese der Untersuchung betraf die Auswirkungen der Meditation
auf die Achtsamkeit im Alltag. Letztere wurde mit Hilfe der Kurzversion
des Freiburger Fragebogens zur Achtsamkeit als Summenwert über
alle 14 Aussagen gemessen (der Wert für Aussage 13 wurde zuvor
umgepolt). Die Antworten wurden mit Zahlen von 1 bis 4 kodiert, so dass
sich der Summenwert zwischen 14 und 56 bewegen konnte.
Der Mittelwert für die Stichprobe lag mit 42 Punkten relativ hoch
(kleinster Wert: 23; größter Wert: 56). Die Achtsamkeitswerte
von Männern und Frauen unterschieden sich nicht. Um den Einfluss
der Länge der Übungspraxis und der Meditationstiefe zu bestimmen,
wurde wiederum eine Regressionsanalyse durchgeführt. Die einzelnen
Korrelationen der beiden Variablen mit der Achtsamkeit erwiesen sich
als hoch signifikant: Übungspraxis r = 0,263 (p < 0,001); Meditationstiefe
r = 0,503 (p < 0,001). Die multiple Korrelation beider Variablen
lag mit R = 0,515 kaum höher als die Einzelkorrelation der Achtsamkeit
mit der Meditationstiefe.
Durch die Länge der Übungspraxis wurde die Vorhersagegenauigkeit
nur unbedeutend verbessert.
Die Zunahme der Achtsamkeit im Alltag mit der Übungspraxis wird
nahezu vollständig erklärt durch die Vertiefung der Meditationserfahrung,
die wiederum ein Ergebnis der Praxis darstellt. Somit wird auch die
dritte Hypothese der Studie bestätigt: Übungspraxis und Tiefe
der Meditation führen – direkt oder indirekt – zu einer
Zunahme der Achtsamkeit im Alltag (auf die Problematik, von Zusammenhängen
auf Wirkungsketten zu schließen, wird in der Diskussion eingegangen).
Insbesondere bei den ersten beiden Gruppen der Anfänger und Fortgeschrittenen
zeigt sich ein deutlicher Unterschied der Achtsamkeit je nach Meditationstiefe.
Experten mit über fünf Jahren Praxis sind kaum achtsamer als
die Fortgeschrittenen mit tiefen Erfahrungen.
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4 Diskussion und Ausblick
Die vorliegende Fragebogenerhebung wurde unternommen, um mehrere Hypothesen
über Zusammenhänge zu prüfen. Die erwarteten positiven
Zusammenhänge der Meditationstiefe mit der Übungsdauer und
mit der Absorptionsfähigkeit wurden bestätigt, ebenso wie
die Zusammenhänge der Achtsamkeit mit der Übungsdauer und
der Meditationstiefe. Bei den Schlussfolgerungen aus diesen Ergebnissen
ist insofern Vorsicht geboten, als es sich lediglich um den Nachweis
von Zusammenhängen handelt, die für sich genommen keine Aussagen
über Ursache-Wirkungs-Beziehungen erlauben. Es scheint nahe zu
liegen, den
Zusammenhang zwischen der Länge der Übungspraxis und der Meditationstiefe
kausal zu interpretieren in der Weise, dass die Tiefe zunimmt, weil
man so lange meditiert hat. Ebenso gut ist jedoch auch die umgekehrte
Wirkrichtung denkbar: nur solche Personen, die tiefe Erfahrungen machen,
behalten ihre Meditationspraxis für einen langen Zeitraum bei.
Aus dieser Perspektive wäre also die Meditationserfahrung die Ursache
für eine kurze oder lange Übungspraxis und die höheren
Werte bei den Langzeitmeditierenden wären das Ergebnis einer „Selbstselektion“.
In gleicher Weise gilt dies im Prinzip auch für die Absorptionsfähigkeit,
die sowohl Ursache als auch Wirkung tiefer Meditationserfahrungen sein
kann, und für die Achtsamkeit im Alltag, die sich auch in einer
besonderen Sensibilität und Offenheit gegenüber Erfahrungen
in der Meditation äußern könnte.
Die Analyse der Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeitseigenschaften,
Übungspraxis, Meditationserfahrungen und Alltagserleben erfordert
wiederholte Erhebungen über einen längeren Zeitraum. Mit der
vorliegenden Querschnittserhebung lassen sich viele Fragen nicht beantworten,
etwa, wie sich die unterschiedlichen Voraussetzungen von Menschen auswirken,
die mit der Meditation beginnen (z.B. Motivation oder Persönlichkeit);
welche Faktoren dazu führen, dass eine Person ein Leben lang bei
der Meditation bleibt oder schon nach kurzer Zeit aufgibt; welche tiefgreifenden
Veränderungen sich für die Sicht der eigenen Person und der
Wirklichkeit durch Erlebnisse in der Meditation ergeben können.
Die vorliegende Studie setzt die Bemühungen der Society for Meditation
and Meditation Research fort, in diesem Forschungsbereich neue Erkenntnise
zu gewinnen und die Risiken und Potentiale transparent zu machen, die
Meditation beinhaltet. Die vorliegende Studie stellt einen wichtigen
Beitrag zur Grundlagenforschung dar, weil in ihr erstmals mehrere zentrale
Konzepte (Meditationstiefe, Absorption, Achtsamkeit) mit geeigneten
Fragebogeninstrumenten an einer großen Stichprobe erfasst wurden.
Die Ergebnisse gelten zunächst nur für diese Stichprobe, in
zukünftigen Studien sollen weitere Meditationsrichtungen untersucht
werden.
Die erhobenen Daten werden in weiteren Analysen auch auf der Ebene der
Faktoren und der Tiefebereiche ausgewertet. Sie bilden die Grundlage
für die Ausformulierung eines Modells des Meditationsprozesses,
dessen Gültigkeit in einer geplanten Längsschnittsstudie überprüft
werden soll. Den Ausgangspunkt dieses Modells bilden die Persönlichkeit
und die Motivation eines Menschen, der die Meditationspraxis aufnimmt
und aufgrund seiner Erfahrungen aufgibt oder fortsetzt, wobei sich Persönlichkeit,
Motivation und Methode verändern können. Ein besonderes Interesse
gilt dabei allmählichen Auswirkungen auf das Verhalten im Alltag
und durch tiefe Meditationserfahrungen ausgelösten Bewusstseinsveränderungen.
- Persönlichkeit und Motivation (Erwartungen)
- Praktizieren einer Meditationsmethode
- Meditationserfahrungen (negative und positive; mystische Erfahrungen)
- Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten im Alltag
- Veränderungen des Selbstkonzeptes und der Weltsicht
zur Übersicht
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