Swami Sivananda

Gayatri Sadhana

Philosophie des Gayatri Sadhana

Alle Kraft liegt im Atman. Die Natur des Selbst ist Allmacht. Der Atman ist im Besitz von Anantashakti. Diese Kraft manifestiert sich zuerst als Klang, aus dem die gesamte Schöpfung entsteht. Alles Wahrnehmbare ist aus dem Klang entstanden. Die Veden enthalten in sich diesen Klangaspekt des Höchsten. Jedes Mantra in den Veden ist ein Speicher unendlicher Kraft. Jedes Mantra ein wahres Lager grenzenloser Shakti. Auf diese göttliche Mantrakraft vertraut der wahrhaft Suchende. Das ist das Geheimnis seiner Kraft. Von allen Mantras ist die höchste und machtvollste Kraft aller Kräfte das große glorreiche Gayatri Mantra.
Es ist Leben und Halt jeden Hindus, ja sogar Halt jeden Suchers nach der Wahrheit, der an seine Wirksamkeit, Kraft und Herrlichkeit glaubt, gleich welcher Kaste, welchem Glaubensbekenntnis, welchem Land oder welcher Gruppe er angehört. Nur der Glaube und die Reinheit des Herzens zählen wirklich. In der Tat, Gayatri ist eine undurchdringliche spirituelle Rüstung, eine wahre Festung, die ihren Verehrer bewahrt und beschützt, ihn göttlich macht und ihn mit dem strahlenden Licht der höchsten spirituellen Erleuchtung segnet. Egal, welchen Ishta Devata du hast, die regelmäßige Wiederholung einiger Malas des Gayatri täglich wird dir alles schenken, was für dich verheißungsvoll und hilfreich ist, jetzt und später.
Es ist falsch anzunehmen, daß es einzig und allein für die auserwählte orthodoxe Brahmanenkaste gedacht ist. Es ist universell anwendbar, denn es ist nichts anderes als ein aufrichtiges Gebet um Licht, das sich an den allmächtigen, höchsten Geist richtet. Es ist wahrlich das einzige transzendentale Leitlicht für die Menschheit.
Es liegt in der Natur des Gayatri, daß es in jeder beliebigen Form und in jedem beliebigen Namen verehrt und angebetet werden kann. Im allgemeinen wird von der Mehrzahl der Gläubigen angenommen, daß seine Gottheit ein Aspekt von Shakti ist, eine fünfgesichtige Devi. Falls du ein Shakta, ein Verehrer des Mutteraspekts von Gott bist, kannst du bei deinem Glauben bleiben.
Doch in seinem wahren Licht spricht das Gayatri niemals von einem Mutteraspekt. Im gesamten Gayatri Mantra findet sich nicht ein einziges Wort, das von einem Mutteraspekt Gottes spricht. Allein das Wort Gayatri kann seine Gottheit nicht weiblich machen. Es ist nur der Name eines Versmaßes, und nicht die Gottheit. Und manche meinen, daß die Sonne das Gayatri regiert. Tatsächlich muß auch dieser Gedanke ein wenig modifiziert werden. Die Sonne, von der es spricht, ist nicht die Sonne, die vor unseren physischen Augen erscheint, sondern dieses ›Tat Savituh‹, diese Sonne, die große Sonne, die nicht von dieser Sonne und diesem Mond erhellt wird, und die das unpersönliche, absolute Brahman ist.
Deswegen ist es das größte Mantra und die regierende Gottheit ist Para Brahman selbst. Und doch kann es von jedem Suchenden angenommen werden, denn es ist zur Verehrung von Devi, zur Verehrung von Gott Hari, zur Verehrung von Aditya, der Sonne, und auch zu reiner Nirguna Verehrung von Brahman gedacht.
Das Tejas des Brahmachari liegt in seinem Gayatri Japa. Der Halt und der Wohlstand des Grihastha sind ebenfalls das Gayatri, Kraft und Trost des Vanaprastha sind ebenfalls das Gayatri. So bleibt vom Augenblick des Upanayanam (Ausstattung mit dem kleinen Faden) des jungen Schülers bis zu dem Moment, da er den ruhmreichen Stand von Sannyasa betritt, sein ganzen Leben lang das Gayatri Mantra sein ständiger Führer, sein Rückhalt und seine Stärke. Für ihn ist das Gayatri Mantra das „Summum bonum“ des Lebens.
So groß ist seine Bedeutung, daß das Japa des Gayatri als obligatorisches tägliches Sadhana im Leben jedes Hindus festgelegt ist. Egal was sein Kuladevata (Familiengottheit) ist, egal was sein Ishta Devata ist, die tägliche Wiederholung des Gayatri Mantras und die Opferung von Arghya, wobei das Gayatri wiederholt wird, ist jedem Hindu auferlegt. Auch als Angehöriger einer anderen Religion oder Kaste kann man Gayatri Sadhana machen, wenn man wirklich aufrichtig, ernsthaft und vertrauensvoll ist. Das Leben wird tatsächlich gesegnet sein. Liebe Suchende, erkennt die wunderbare Stärke des glorreichen Gayatri. Erkennt klar, welch kostbares Erbe ihr in diesem Mantra habt! Schätzt diese heilige Shakti, die die Rishis von einst hinterlassen haben, nicht gering! Das ist die einzige wahre Shakti, vor der Elektrizität, nukleare Radioaktivität und Atomkraft bloß als gewöhnliche flüchtige unerhebliche Belanglosigkeiten erscheinen. Beginne mit regelmäßigem täglichem Gayatri Japa und spüre für dich selbst die erstaunliche Kraft, die du daraus erhältst. Setze eine bestimmte Zeit für das Japa fest und halte daran dauerhaft  fest, wenigstens eine Japa Mala muß täglich ohne Unterbrechung gemacht werden. Es wird dich vor allen Gefahren bewahren, dir die unendliche Kraft geben, alle Schwierigkeiten zu überwinden, und dich zum höchsten Gipfel der Herrlichkeit, der Kraft, des Friedens und der Freude tragen.

Die Praxis von Gayatri Sadhana

Brahma molk gleichsam aus den drei Veden den Buchstaben A, den Buchstaben U und den Buchstaben M, formte durch ihre Verbindung drei dreiteilige Einsilber, zusammen mit drei mystischen Worten - Bhur, Bhuvah und Svah, Erde, Himmel und Himmelreich. Gleichfalls aus den drei Veden molk der Herr der Geschöpfe erfolgreich, unbegreifbar und erhaben die drei Versmaße dieses unaussprechlichen Textes, beginnend mit dem Wort Tat und genannt Savitri oder Gayatri (Manu Smriti, Kap. III).
So kam:
OM Bhur Bhuva Svah; Tat Saviturvarenyam
Bhargo devasya dhimahi; dhiyo yo nah Prachodayat.
„Meditieren wir über Ishvara und Seine Herrlichkeit, der das Universum geschaffen hat, der verehrungswürdig ist, der alle Sünden und Unwissenheit beseitigt. Möge Er unseren Intellekt erhellen!“
Was ist diese Erleuchtung? Jetzt hast du Deha Atmabuddhi, einen Buddhi, der dich veranlaßt, dich mit dem Körper zu identifizieren und ihn fälschlicherweise für die Seele zu halten. Nun betest du zur verehrten Mutter der Veden - Gayatri; sie gebe dir einen reinen sattvigen Intellekt, der dir helfen wird zu verwirklichen - „Aham Brahma Asmi“ - Ich bin das Brahman. Das ist die advaitische Bedeutung des Gayatri. Fortgeschrittene Schüler im Yoga mögen diese Bedeutung nehmen: Ich bin das höchste Licht aller Lichter, das dem Buddhi, dem Intellekt, das Licht gibt“.
Der Herr sagt in den Veden: „Samano Mantrah“ - ein Mantra sei allen gemeinsam, und dieses Mantra ist das Gayatri. Die geheime Überlieferung der Upanishaden ist die Essenz der 4 Veden, während das Gayatri mit den drei Vaykritis die Essenz der Upanishaden ist. Derjenige ist in der Tat ein Brahmane, der das Gayatri in dieser Weise kennt und versteht. Ohne dieses Verstehen ist er wahrlich ein Sudra, auch wenn er die vier Veden ausgezeichnet kennen mag.
Gayatri ist die Mutter der Veden und zerstört alle Sünden. Das einsilbige OM ist ein Sinnbild des Höchsten. Es gibt nichts Läuternderes auf der Erde als das Gayatri. Japa des Gayatri bringt dieselben Früchte wie die Rezitation aller Veden mit den Angas. Dieses einzigartige Mantra, wenn es aufrichtig und mit klarem Bewußtsein wiederholt wird, bringt das höchste Gut.
Gayatri vernichtet die vier Arten von Purushartha, nämlich Dharma, Artha, Kama und Moksha - Rechtschaffenheit, Reichtum, Wunschobjekte und Befreiung. Es zerstört die drei Granthis oder Knoten der Unwissenheit - Avidya, Kama und Karma. Es ist ein großartiger Läuterer und schenkt klares Bewußtsein. Schließlich gibt das Gayatri Freiheit oder Befreiung vom Rad von Geburt und Tod.
Die Wiederholung des Gayatri bringt letztlich den Darshan von Gayatri, führt zur Verwirklichung des advaitischen Brahman, zur Einheit des Bewußtseins, zum Einssein, und der Suchende, der zu Beginn Mutter Gayatri um Licht bat, singt nun in überschwenglicher Freude: „Ich bin das Licht aller Lichter, ich gebe dem Buddhi Licht!“

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