Das Geheimnis der Katha Upanishad

von Swami Krishnananda

Das Geheimnis der Katha Upanishad

Vortrag Nr. 2:

Wir haben darüber gesprochen, dass unsere gegenwärtigen Erfahrungen auf einem Missverständnis beruhen. Mit diesem Gesichtspunkt beginnt die Be-lehrung der Katha Upanishad. Als Nachiketas die großen Geschenke, die ihm von Yama angeboten wurden verweigerte und auf eine praktische Antwort auf die Frage über die Natur der Seele bei ihrer Auflösung bestand, erkannte der Lehrer in Nachiketas einen reifen Schüler, der bereit war, dieses Absolute Wis-sen zu empfangen, und ging sofort auf den Kernpunkt der Frage ein.

Es gibt zwei Seiten der Erfahrung, die den Menschen in zwei unterschied-liche Richtungen zieht:

Sreyas ca preyas ca manusyam etas tau
samparityavivinakti dhirah
Sreyo hi dhirobhipreyaso vrnite, preyo mando
yogaksemad vrnite

Dieses ist das erste Gebot der großen Lehrers Yama, dem Herrn des To-des. Der Verstand bewegt sich in zwei Richtungen, d.h., nach außen und nach innen. Der äußere Weg führt zu Vergnügen und Freuden. Der innere Weg ist jener, auf der Suche nach der Wirklichkeit. Die beiden Ausdrücke, sreyas und preyas, die in diesen belehrenden Sätzen gebraucht werden, beziehen sich in dieser Reihenfolge auf ‘Segen’ und ‘Zufriedenheit der Sinne’. Der menschliche Verstand erwartet sofort Ergebnisse. Er sorgt sich nicht so sehr um höchste Werte. ‘Was bringt es mir jetzt, was geschieht morgen mit mir? Es mag mir morgen völlig gleichgültig sein, doch heute brauche ich die Befriedigung.’ Dies scheint das normale Argument und der Wunsch des menschlichen Verstandes zu sein, - vielleicht für jede Art von Verstand in der Schöpfung. Doch der große Meister sagt, es ist von höchster Torheit für den Verstand, eine Stellung bei der Problemlösung einzunehmen, bei der man mit den Sinnesobjekten in Berührung kommt, nur weil sie dadurch eine sofortige Befriedigung erfahren. Was bedeutet schließlich sofortige Befriedigung?

Es gibt verschiedene Arten von Befriedigungen. Wann immer wir unter Zugzwang und unter seine Fuchtel kommen, scheint eine Befreiung aus diesem Zwang, in einer Befriedigung zu bestehen. Wenn ein Gläubiger kommt und vor der Hautür sitzt, stellt sich erst große Zufriedenheit ein, wenn er wieder fort-geht, da seine Gegenwart auf den Verstand einen großen Druck ausübt. Wenn jemand mit einem Gerichtsbescheid kommt und fragt, ob der Herr im Hause ist, kehrt Zufriedenheit erst ein, wenn dieser Jemand nach kurzer Zeit wieder ver-schwindet. Wenn man am ganzen Körper schreckliche Ekzeme hat, die ganze Haut juckt und man sich kratzen muss, erzeugt das Kratzen große Zufriedenheit. Man hat seit Tagen nichts gegessen, man spürt in sich brennenden Hunger, wie ein flammendes Schwert; man isst etwas und empfindet große Zufriedenheit. Man kocht über jemanden vor Wut und macht seinem Herzen Luft, indem man mit bestimmten schändlichen Wörtern herausplatzt, spürt man eine große Be-friedigung. Auf diese Weise gibt es eine Vielzahl von Befriedigungen, um die nervösen und psychologischen Spannungen aufzulösen, die durch einen unheil-baren Drang von innen her verursacht werden, und den wir nicht beherrschen, sondern dessen Sklave wir sind.

Die Befriedigungen scheinen eine Folge unseres Sklaventums und nicht die Meisterschaft zu sein. Wir stehen unter dem Druck einer bestimmten Macht, die sich von innen her erhebt, und die in jeder Hinsicht ihr eigenes Sagen hat. Menschliche Befriedigung ist darum nichts weiter, als ein Nachgeben eines be-stimmten Dranges. Es mag ein nervöser Drang sein; es mag ein körperlicher Drang irgendeiner Natur sein; es mag ein rein seelischer, emotionaler oder wil-lensbedingter Drang sein. Man ist auf eine bestimmte Art und Weise unter Druck geraten, und dem Druck nachzugeben, bringt Befriedigung. So nähert man sich auf negative Weise der Problemlösung. Nur weil der Gläubiger ge-gangen ist, ist das Problem nicht gelöst. Nur, weil der Vollzugsbeamte den Schuldner an diesem besonderen Tag nicht finden konnte, ist das Problem nicht gelöst. Nur, weil man sich tagelang an den juckenden Stellen gekratzt hat, wur-de die Krankheit nicht kuriert. Nur, weil man jeden Tag Nahrung zu sich ge-nommen hat, bedeutet dies nicht, von der Sterblichkeit befreit zu sein. Wir su-chen deshalb nicht nach Problemlösungen, weil wir annehmen, dass sie sich an-scheinend jenseits von uns befinden. Auf diese Weise wollen wir einfach der Psychologie oder Taktik des Vogel Strauß folgen, indem wir den Kopf unter dem Eindruck in den Sand stecken, dass niemand es sieht, obwohl der größere Teil des Körpers sich außerhalb befindet.

Der menschliche Verstand ist ein wirklicher Narr. Er versteht nichts, nimmt jedoch eine Arroganz der Allwissenheit ein. Nichts kann schlimmer als diese Haltung des Verstandes sein, - nichts zu wissen und zu glauben, alles zu wissen. Dies wird als Unwissenheit bezeichnet. Dies wird Eitelkeit genannt. Dies ist Egoismus. Eine Haltung von etwas einzunehmen, was man nicht ist, das ist Ahamkara. Doch das ganze Leben ist nichts weiter, als eine derartige Anma-ßung. Wenn wir in diese Angelegenheit tief hineingehen, sind wir in all unseren Handlungen, Haltungen und selbst im Ausdruck, im Sprechen, in der Führung und im Benehmen, scheinheilig gegenüber unserem inneren Kern. Wir stellen uns nicht bloß, weil jene Bloßstellung unserer wahren Persönlichkeit im Gegen-satz zur angenommenen Befriedigung stehen würde, die wir uns durch den Kon-takt der Sinne mit den Objekten erhoffen. Dort ist solch eine psychologische Wolke, die unseren Verstand vernebelt, wie uns Psychoanalytiker erzählen würden. Unsere großen Psychoanalytiker, Meister des Westens, wie Freud, Ad-ler und Jung haben uns viel zu diesem Thema erzählt, - wie der menschliche Verstand durch Elemente vollständig vernebelt werden kann, denen es wie bei (chemischen) Kristallen erlaubt wurde, auf der Tafel des Verstandes bis zu dem Zeitpunkt zusammenzuwachsen, bis sie Wirklichkeit geworden und der Verstand diesem „Geschwulst“ untergeordnet ist, und als solches weiterwächst, so als wäre er mit seiner eigenen Bedeutung überhaupt nicht vorhanden. Dies nennen wir im Sanskrit Samskaras, Eindrücke von Wahrnehmungen, Erkennt-nissen, Wünschen usw.

Der große Meister der Katha Upanishad deutet auf die unglückliche Posi-tion des menschlichen Verstandes hin, wenn er sagt, dass das Beten oder Bitten um die Befriedigung der Sinne eine Torheit sei. Es ist nicht unsere Weisheit. Jegliches Bitten um weltliches Vergnügen ist weder ein Aspekt noch irgendeine Form von Wissen, denn Wissen ist mit Güte oder Segen identisch. Wohlergehen oder Besitz liegt nicht wirklich am persönlichen wirtschaftlichen Erfolg, der durch Zwang oder durch psychologischen Druck erreicht wird, sondern viel-mehr daran, ein Kontrolleur, Regulator, Bezähmer oder Meister dieser Zwänge zu sein.

Es gibt in der Psychologie keine individuelle Freiheit. Es geschieht alles auf Grund von Druck, Zwang, was als Freiheitswillen missverstanden wird. Wir wollen nicht weiter in dieses Thema einsteigen, doch ich erwähne es als einen nebensächlichen Punkt nur, um auszudrücken, bis zu welchem Grade wir zu Sklaven von solchen inneren psychologischen Kräften werden können, von de-nen wir wirklich keine Ahnung haben. Der hypnotisierte Zustand liegt als ein Beispiel dafür auf der Hand. Wenn ein Patient durch einen Arzt in Hypnose ver-setzt wurde, verhält er sich so, als wenn er von sich selbst befreit wäre. Er be-wegt sich auf besondere Weise, spricht auf eine besondere Weise; und wenn man ihn fragt, warum er sich in jene Richtung bewegt, warum er gerade dieses macht, wird er sagen: „Ich wollte es so.“ Wenn er sich in Hypnose befindet, wird er sich niemals bewusst, dass er dem Willen eines Arztes ausgesetzt ist. Auf diese Weise ist Freiheit, aus Sicht der Psychoanalyse, letztendlich ein Hirn-gespinst. Der Freiheitswille, der absichtlich ausgeübt wird, wird verkannt, da der eigentliche Handlungshintergrund vergessen wird. Auf Grund einer freien Entscheidung isst man jeden Tag zu Mittag. Niemand wird zum Essen gezwun-gen. Auf diese Weise kann man sagen, dass das tägliche Frühstück, Mittag- o-der Abendessen ein Akt des freien Willens ist. Doch das ist es nicht. Man ist dazu gezwungen. Warum? Weil in uns eine Krankheit in Form von Hunger und Durst ausgebrochen ist. Man kann dies nicht als einen Akt des freien Willens bezeichnen. Selbst die Nahrungswahl ist von individuellen psychologischen Strukturen und Voraussetzungen abhängig.

Ein Yogaschüler sollte ein sorgfältiger Psychologe seines eigenen Geistes sein, denn die Yogapraxis erfordert ein Wissen über die Wirkungsweise des Geistes. Wenn keine Kenntnisse darüber vorhanden sind, so ist man noch weit von der Yogapraxis entfernt. Es sollte keine Voreingenommenheit, irrationale Annahmen geben oder gar Geschenke erwartet werden. Man muss zum Annalis-ten deines eigenen Geistes werden.

Wir verwechseln Vergnügen mit Freiheit, die weit von der Wahrheit ent-fernt ist, wie Yama, der Lehrer der Katha Upanishad, sagt. Der Weise entschei-det sich für das Gesegnete und das Gute anstatt für das Vergnügen und die Be-friedigung der Sinne. Beides begegnet dir. Das Gesegnete und das Vergnügen sind beide vor unseren Augen. Man kann wählen, was man möchte. Der Mensch hat den Willen zu widerstehen oder zu fallen. Dieses ist das Geschenk Gottes an die menschliche Natur. Sreyas und preyas stehen beide zur Verfügung. Die Tas-sen voller Nektar bzw. Gift stehen vor uns. Man trinke, was einem beliebt. Der Glanz des Giftes befindet sich in einer wundervollen Tasse, sieht ansprechender als der unsterbliche Nektar aus, der sein Licht unter den Scheffel stellt. Der Held, das mutige Individuum, beugt sich, indem er sich an das Mysterium der Wirklichkeit versucht. Er wählt aus, was letztendlich wahr ist und nicht, was unmittelbar wertvoll erscheint. Bei der praktischen Suche nach Wissen muss man sehr sorgsam darauf achten, dass man nicht in die Falle schöner Erschei-nungen hineintappt. Es ist nicht alles Gold, was glänzt: ‚Die Wahrheit ist durch ein goldenes Gefäß verdeckt.‘ Die Erscheinungen sind trügerisch. Man kann den Wert eines Buches nicht auf Grund seines Umschlages und seiner Aufma-chung beurteilen. Doch dieses ist das Schicksal des Menschen!

Der Mensch bestreitet die Folgen, die auf Grund eines Fehlverhaltens durch den Drang der Sinne hervorgerufen wurden:

Na samparayah pratibhati balam
pramadyantam vittamohena mudham

Ayam loko nasti para iti mani, punah
punar vasam apadyate me.


Der egoistische Mensch ist mit den Wahrnehmungen der Sinne zufrieden. Er nimmt die sichtbare Welt als wirklich an und glaubt nicht an irgendeine E-xistenz jenseits oder hinter der sichtbaren Szenerie. ‚Die Welt ist alles, und jen-seits davon existiert nichts.‘ So argumentieren die Sinne, und dieses ist das Ar-gument des Menschen! ‚Warum sagst du das?‘ ‚Weil ich es nicht sehe.‘ ‚Das Sichtbare ist das Wirkliche, und das Unsichtbare ist nicht wirklich,‘ lautet die menschliche Argumentation. Doch genau das Gegenteil ist die Wahrheit. Das Wirkliche ist das Unsichtbare, und das Sichtbare ist nicht wirklich.

Die sichtbare Welt ist ein Konglomerat von Aktionen und Reaktionen. Die Welt vor uns, die Objekte, die sich vor deinen Sinnen auftun, die festen Ge-genstände und die greifbaren Angebote sind nicht das, was sie vorgeben. Die Erfahrungen, die mit Hilfe der Sinne gemacht werden, sind nichts weiter als ein Netzwerk von Reaktionen. In der Art und Weise, wie die Reaktionen, ausge-hend von Objekten über die Sinne und den Geist, zu Stande kommen, sind nur eine Illusion des eigenen Bewusstseins. Es werden Tiefen gesehen, wo flache Oberflächen vorherrschen, wie bei einem Kinofilm, wo es sich auch nur um ei-ne flache Leinwand handelt. Hier gibt es keine Tiefen oder dreidimensionalen Bilder. Doch wenn man einen Menschen auf der Straße sieht, dann hat man wirklich ein dreidimensionales Bild vor sich. Auf einer Leinwand oder auf ei-nem Bildschirm kann man scheinbar meilenweit in die Tiefe schauen, und doch ist dieses Bild nur zweidimensional. Wenn man eine Brille mit konvexen oder konkaven Gläsern aufsetzt, dann sieht man Höhen und Tiefen, obwohl es sich nur um Ebenen handelt und umgekehrt. Darum kann man den Eindrücken nicht trauen. Die eigene Zunge vermittelt einen falschen Eindruck, wenn der Körper von Fieber gekennzeichnet ist. Der Geschmack und die sichtbaren Eindrücke, das Tasten, das Riechen usw. sind keine verlässlichen Wissensvermittler. Sie produzieren auf Grund der Art der Berührung zwischen uns und den Objekten mit ihrer Natur, in der Umgebung und dem Zeitpunkt der Berührung, wiederum bestimmt Reaktionen. Darum sagt man: die Welt ist relativ. Sie ist deshalb rela-tiv, weil jede Erfahrung von bestimmten Bedingungen abhängt. Die Welt be-steht nicht nur aus ein oder zwei Faktoren allein, sondern aus Hunderten, Tau-senden Formen von Erfahrungswelten unterschiedlichen Inhalts. So wie sich ein Stück Stoff aus vielen Fäden zusammensetzt, - der Stoff kann nicht nur aus ei-nem Faden bestehen, - so setzt sich die Welt nicht nur aus einer Erfahrung zu-sammen, die den alleinigen Faktor bildet. Der Geist des Menschen ist mit der Berichterstattung der Sinneserfahrungen verheiratet und nur in der Lage, diese Form der Erfahrungen zu erfassen. Er ist sich dabei der anderen Faktoren, die ebenfalls eine Rolle spielen, nicht bewusst. Ärzte berichten davon, dass ein sichtbares Zeichen für eine Krankheit nicht immer die alleinige Ursache dar-stellt. Sie ist immer eine Folge zusammenwirkender Kräfte, die schrittweise oh-ne unser Wissen in uns aufkeimen. Man wird nicht plötzlich krank. Es gab be-reits Tage oder gar Monate zuvor Anzeichen für diese Krankheit. Es ist keine urplötzliche Erfahrung. Das ganze Universum ist voll von diesen bestimmenden Faktoren. Es ist ein einziges von Gott erschaffenes Muster. Es ist die Schöpfung schlechthin, und kein einzelner Faktor ist von den anderen Faktoren isolierbar.

Jedes Ereignis ist ein universales Ereignis. Es existieren keine lokalen Er-eignisse, die nur in einer Ecke oder in einem bestimmten Korridor der Welt stattfinden. Es gibt keine Ereignisse, die nur in einer Straße oder in einer be-stimmten Stadt stattfinden. Dieses wäre eine Lüge. Jede Erfahrung, jedes Ereig-nis, jede Handlung ist ein universales Ereignis. Es ereignet sich irgendwo in der Welt unter ganz bestimmten Bedingungen. Jede Krankheit ist eine vollkomme-ne Erkrankung des ganzen Körpers. Die Erkrankung betrifft nicht nur die Nase, die Augen oder die Füße. Der ganze Mensch ist krank, selbst wenn es sich nur um ein Niesen handelt. Ähnlich verhält es sich mit den universal bedingten Er-eignissen, von denen wir keine Ahnung haben, weil sich unser Geist nur auf seinen Körper konzentriert, denn der Geist betrachtet diesen lokalen Körper in missverständlicher Weise als die ganze Wirklichkeit. Wie die Bhagavadgita uns erzählt, handelt es sich um tamasisches Wissen:

Yat tu krtsnavad ekasmin karye saktam ahaitukam,
atattvarthavad alpam ca tat tamasam udahrtam

Ein Teil mit etwas Ganzem zu verwechseln, den Körper für die Wirklich-keit anzusehen, eine lokale Erfahrung als Alles-in-allem anzunehmen, ist die schlimmste Vorstellung, die man haben kann. Dieses ist überhaupt kein Wissen, sondern eine Form der Unwissenheit. Darauf basieren unsere Sinnenfreuden; und wenn diese für die Wirklichkeit gehalten werden, ignoriert man Gott und die nachfolgende Existenz, - na samparayah pratibhati balam: ‚Kindlich ist der Geist, der das Nachfolgende zurückweist und diese Welt als das Ganze ansieht.‘ Was ist das Ergebnis dieser Unwissenheit? Punah punar vasam apadyate: ‚Das Individuum fällt in ein Netz vieler Geburten und Tode, in eine Abfolge von Seelenwanderungen.‘

Geburt und Tod sind Bestrafungen, die den Einzelnen wegen seiner Unwissenheit bzgl. der kosmischen Gesetze treffen. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Die Regierung des Universums bestraft alle Individuen der Welt mit ihrer wiederkehrenden Existenz, denn die Menschen werden schließlich auch zur Besserung ins Gefängnis geschickt. Geburt und Tod sind in diesem Universum Erfahrungsprozesse und Trainings, damit durch die Wiederkehr von Geburt und Tod Erfahrungen gesammelt werden, um sich gleichermaßen hin zur Wirklichkeit und schrittweise weg von den Erscheinungen zu bewegen.

Die Lehren der Upanishads sind eine Darstellung der verschiedenen Stu-fen des Aufstiegs des Menschen hin zur Wahrheit. Die Lehren sind ebenso wundervoll wie die der Bhagavadgita. Die verschiedenen Stufen der Annähe-rung hin zur Wirklichkeit und die Methode der Annäherung zur Wirklichkeit über diese verschiedenen Stufen werden in der Katha Upanishad dargestellt. Das Opfer von Gautama Vajasravasa, die Gefühle des Jungen Nachiketas in Bezug auf die Wohltaten und die philanthropische Handlungsweise des Vaters, das Aufsteigen der Seele Nachiketas zur Heimstatt Yamas und dessen dreitägi-ges Fasten, das Auftauchen Yamas nach diesen drei Tagen und Nächten, die Gnade der Gewährung dreier verschiedenartiger Wünsche und die wundervol-len Instruktionen Yamas für Nachiketa umfassen die Beschreibung der Stufen des Erhebens der Seele zum Absoluten.

Die erste Stufe ist die exotische Annäherung des menschlichen Geistes an die Werte der Welt, indem das Äußerliche für das Endgültige angenommen wird, was durch das Opfer von Vajasravasa Gautama dargestellt wird. Die Welt ist eine wirkliche Präsentation, die sie nun mal in ihrer krassen Form ist; und die Erfahrungen nach dem Tode scheinen nahezu eine Kopie der gegenwärtigen Lebenserfahrungen zu sein, wenn auch in ausgedünnter Form, sodass die popu-läre Vorstellung von einem Himmel nach dem Tod mehr einer übertriebenen Form der Sinnenfreuden entspricht, die wir in dieser irdischen Welt erleben. Wenn man sich hier nur gelegentlich freut, dann freut man sich dort jeden Tag. Diese Art der Sinnenfreuden wünschen wir uns in der Welt Gottes. Wir haben keine Vorstellungen von Gott oder dem Schöpfer oder dem Danach, außer in Form der täglichen Sinneserfahrungen. Darum strebte Vajasravasa Gautama nach einem Himmel zur Befriedigung seiner Sinne, und darum glaubte er, dass eine mechanische Handlung der gespielten Wohltätigkeit ihm solche Freuden bereiten könnte, denn er war nicht darauf vorbereitet, auf alles zu verzichten, was er besaß. Es gibt für ein menschliches Ego nichts Schmerzhafteres, als auf seine Freuden zu verzichten. Das Ego sucht die Befriedigung der Sinne jetzt und späterhin. Wenn die Schriften sagen, ‚seid wohltätig, damit ihr später im Himmel glücklich werdet,‘ dann versucht man ein betrügerisches Opfer, indem man eine falsche Münze gibt, mit der man nirgendwo bezahlen kann. Man glaubt es sei eine Wohltätigkeit. Man hat ein ‚Opfer‘ gebracht, und doch hat man nichts verloren! Manchmal verhält man sich nur gegenüber nahen Freun-den opferbereit. Man opfert seinem Sohn sehr viel, damit er auf dem College studieren kann, oder man schenkt seiner Frau Blumen und Schmuck. Dieses sind wirklich große Opfer (Wohltätigkeiten). Man hat zwei Cents für den armen Kellner übrig, der das Essen gebracht hat. Mit dieser Art von Wohltaten ver-schafft man sich gar nichts. Doch dieses sind die missverstandenen Wohltaten, wie es auch durch Vajasravasa Gautama dargebracht wurde. Die Upanishad erklärt wundervoll das Schicksal des menschlichen Geistes im Zustand der Un-wissenheit.

Der Geist erhebt sich jenseits dieser Ebene im Gewissen von Nachiketas und sucht nach der Bedeutung im Leben (Dasein), was auf uns wie ein Lehrer in Form des Beobachters der Vergänglichkeit aller Phänomene wirkt. Der Tod ist der größte Lehrer. Darum ist Yama der größte Guru der Katha Upanishad. Es gibt keine bessere Lehrstunde als durch die Erfahrung der Vergänglichkeit der Dinge. Wenn man alle Beziehungen verliert, und wenn das Leben zerbricht, lernt man an der Praxis besser als an der Universität. Die Menschen verlieren all ihre Beziehungen bzgl. politischer Revolutionen, über die man nur noch in der Geschichte der Nationen nachlesen kann. Die Lehre reicht für das ganze Leben. Die vergängliche Natur der Dinge deutet auf die Existenz eines ewigen Wertes im Leben. Aus diesem Grunde kommt Yama in das Bild der Katha Upanishad. Wenn man alles, wie bei einer politischen Katastrophe, verliert, hat man das Gefühl, dass das Leben wertlos ist. ‚Oh! Alles ist vergangen. Ich habe meine Verwandten verloren. Ich habe meine Besitztümer verloren. Mein Geld ist futsch. Ich weiß nicht, ob ich meines Lebens noch sicher sein kann.‘ Dies ist ein schreckliches Gefühl. Niemand kann dies mit Hilfe eines Buches oder in Ge-sprächen erklären. Jemand, der so etwas durchgemacht hat, weiß, was das be-deutet. Selbst dann ziehen wir daraus nicht einmal die richtigen Lehren. Eines Tages, wenn wir einer besseren Situation sind, landen wir wieder in derselben Gedankengrube. Selbst wenn man den Tod vor Augen hat, - Yamadanda, - zu Tode erschrocken ist und sich der absoluten Wahrheit – Gott - zuwenden möch-te, so kehrt man, wenn die Gefahr vorüber ist, doch zu den alten Gedankenmus-tern und Sinnesvergnügen zurück. Dies geschah auch bei Nachiketas. Obwohl Yama selbst als der große Meister der Yogalehre in Erscheinung trat, hatte solch ein qualifizierter Yogaschüler wie Nachiketas direkt noch kein Einsehen. Man kann nicht einfach zu einem Guru gehen und sagen: ‚Unterrichte mich; ich muss heute Abend noch den Zug erreichen.‘ Viele Schüler kommen zu uns und sagen: ‚Ich habe nur eine halbe Stunde zur Verfügung; kannst du mir etwas über Yoga erzählen?‘ Diese Art von Yoga führt nirgendwo hin. Nimm zuerst den Zug und dann komm wieder. Dieser mechanisierte Yoga ist sinnlos. Es ist ein riskantes Unterfangen und eine Verspottung Gottes zugleich.

Nachiketas, ein erstklassiger Yogaschüler, hatte keine Kenntnisse dar-über, - ganz zu schweigen von zweit- oder drittklassigen Schülern! Unser Ni-veau liegt weit darunter, und Nachiketas war ein bemerkenswert guter Schüler, und dennoch sagte Yama: ‚Frag‘ nicht, sag‘ nichts.‘ Und was erhielt er? Den Gegenwert der ganzen Welt: die Versuchung! Buddha wurde versucht. Christus wurde versucht. Niemand ist frei von diesen Versuchungen. Dies heißt nicht, dass alle Yogaschüler denselben Versuchungen widerstehen müssen, sodass diese Versuchungen katalogisiert und später aus dem Gedächtnis abgerufen werden könnten. Nein! Sie kommen auf verschiedene Art und Weise, obwohl der Hintergrund derselbe ist. Obwohl jeder jeden Tag hungrig ist, so nimmt er doch nicht immer die gleiche Nahrung zu sich. Die Vorlieben für bestimmte Speise variieren. Außerdem fühlt man sich immer wieder anders, obwohl der Hunger immer gleichförmig ist. Genauso verhält es sich mit den Versuchungen auf dem Yogapfad, die individuell ebenso verschieden sind, denn meine Versu-chungen sind nicht dieselben wie eure. Und man weiß nicht, was morgen auf den Einzelnen zukommen wird.

Die Versuchungen, von denen bei der Suche nach der Wirklichkeit in den Schriften die Rede ist, sind nichts weiter als eine Reaktion auf die Wünsche des Geistes und der Sinne. Die Wünsche hören selbst dann nicht auf, wenn sich in unserem Geist die Unterscheidungsfähigkeit erhoben hat. Man mag sich einer höheren Wirklichkeit bewusst sein, nach der man strebt, Vivekashakti, die Un-terscheidungsfähigkeit mag im Geist aufkeimen, eine Spur von Vairagya oder Leidenschaftslosigkeit mag in Erscheinung treten, doch dies alles nützt nichts. Die individuelle Persönlichkeit ist weitaus tiefgründiger als es oberflächlich den Anschein hat. Ein Zurückziehen der Sinne durch das Aufgeben körperlicher Kontakte ist kein vollkommenes Zurückziehen. Wenn man sich durch ein Leben in Abgeschiedenheit von körperlichen Kontakten fern hält, so können die inne-ren Wünsche weiter bestehen bleiben. Das Verlangen nach Sinnesobjekten hat eine mentale Ursache, die sich vom tatsächlichen körperlichen Kontakt unter-scheidet. Selbst wenn man sich an heiligen Orten wie Badrinath oder Kedar-nath aufhält, kann man über vergangene Freuden kontemplieren, die in einem Traum erfahren wurden: ‚Oh! Ich bin weit davon entfernt.‘ Das Gefühl oder der Geschmack an freudige Erlebnis endet selbst dann nicht, wenn man weit von den Vergnügungsorten oder Objekten entfernt ist. Dies wird auch in der Bhaga-vadgita als heuchlerisch verdammt:

Karmendriyani samyamya ya aste manasa smaran
Indriyarthan vimudhatma mithyacarah sa ucyate.

Es ist ein vergeblicher Versuch des Suchenden, sich im Namen von Lei-denschaftslosigkeit durch ein abgeschiedenes Leben von der Berührung mit den Objekten fernzuhalten, doch dem Geist zu erlauben, darüber zu kontemplieren. Er wird keinen Erfolg haben. Ein Mann mag von seiner Frau entfernt sein, je-doch an seine Frau denken. Eine Mutter mag von ihrem Sohn entfernt sein, doch an ihn denken. Dieses bringt hinsichtlich der Tugenden keine Vorteile. Was man denkt, ist wichtiger als der körperliche Kontakt. Yoga ist ein mentaler Prozess, ein Bemühen auf psychologischer Ebene; es handelt sich nicht um kör-perliche Aktivitäten. Darum sollte man nicht die körperliche Berührung mit in-neren Tugenden verwechseln. Der Mensch ist Geist, und der Geist macht den Menschen. Das Studium des Geistes ist ein Studium des Menschen, und das Studium des Menschen ist ein Studium des Geistes. Die körperlichen Aspekte repräsentieren nicht den ganzen Menschen. Nur die Beurteilung dessen, was auf der bewussten Ebene der Persönlichkeit stattfindet, sagt nichts darüber aus, was wesentlich ist. Die Wünsche des Menschen sind tief unterhalb der Bewusst-seinsebene verborgen. Selbst wenn man bewusst frei von Wünschen ist, so sagt dies nichts über das Unterbewusstsein aus. Die unbewusste Saat eines Dranges nach Erfüllung sinnlicher Freuden erzeugt Reaktionen im äußeren Kosmos, die uns als Versuchungen begegnen. Was bei Nachiketas geschah, widerfährt jedem Menschen. Was Buddha erfuhr, muss jeder Andere ebenso wie Christus durchmachen.

Der Pfad zur Ewigkeit ist schmal. Man kann nicht einfach sein Gepäck aufnehmen und hindurchmarschieren. Man kann sein Geld nicht mitnehmen. Man kann seine Kleidung nicht mitnehmen. Man kann nicht einmal diesen Kör-per durch das enge Tor mitnehmen. So klein ist das Tor, so schmal ist der Weg, - kshurasya dhara, wie es in der Katha Upanishad heißt. Wie eine scharfe Rasierklinge oder wie ein scharfes Schwert ist der Pfad der Spiritualität. Je klarer man die eigene Natur versteht desto besser ist es. Je weniger überheblich man ist desto besser ist es. Eine Wissensanhäufung bzgl. dessen, was Wahrheit bedeutet, ist wenig hilfreich bei der Absicht, das Tor zu durchschreiten. Menschlichkeit ist eine gute Voraussetzung für die aufrichtige Suche nach Wissen. Vidya (Wissen) und Vinaya (Menschlichkeit) gehen Hand in Hand, wie es in der Bhagavadgita heißt. Doch je mehr die Menschen unglücklicherweise wissen, desto arroganter werden sie heutzutage. Man verlangt nach einem Podest, einem erhöhten Sitz, weil man gebildet ist? – Doch der Pfad Gottes unterscheidet sich vom weltlichen Weg. Beschäftigen wir uns mit dem Leben des Heiligen Franz von Assisi, dem großen Gelehrten oder den großen Heiligen wie Purandaradas, Tukaram, wie sie gelebt haben. Sie wollten nichts. Sie verlangten weder nach Ämtern, Prestige noch Namen oder Dankesworten. Sie waren die niedersten Geschöpfe nach dem Verständnis allgemeiner menschlicher Wertvorstellungen, doch sie waren die größten Persönlichkeiten aus Sicht der höheren Werte des Lebens. Es ist schwer, den Yogapfad zu gehen. Nichts kann schwieriger sein, als das anstrengende Bemühen der Seele.

Der innere Drang übermannt den Suchenden in Form verschiedenster Versuchungen. Wenn man den Yogapfad beschreitet, trifft man zuerst auf eine Versuchung, der man nicht widerstehen kann. Niemand kann den Versuchungen widerstehen, denn Versuchungen erscheinen nicht als solche. Der Teufel kommt nicht in Form eines Teufels, sonst würde man ihn durchschauen. Der Teufel kommt wie ein Heiliger daher und darum verwechselt man ihn mit einem Heili-gen. Der Drang nach sinnlicher Befriedigung des Egos tritt wie eine Lebens-notwendigkeit auf. Oh! Es ist lebensnotwendig; so wird innerlich argumentiert. Es ist eine Notwendigkeit und keine Versuchung, sondern eine Tugend. Das Verhaftetsein wird mit Mitgefühl verwechselt. Leidenschaft und Gier wird mit Lebensnotwendigkeit verwechselt. Egoismus wird für uneigennützige Handlung gehalten. Eines kann mit etwas Anderem verwechselt werden. Die Welt wird für Gott gehalten. Schmerz wird mit Freude verwechselt. Die Illusion wird für die Wirklichkeit gehalten. All diesen Dingen begegnen wir auf dem Yogapfad.
Aus diesem Grund ist ein Guru erforderlich. Der Guru sagt, wo man steht, und was geschehen wird. Niemand weiß, was einem im nächsten Augenblick widerfährt; und wenn diese Begegnung stattfindet, erkennt man nicht, ob es sich um einen Dämon oder um einen Engel handelt. Man kann es nicht sehen. Er ist ein Dämon, doch er erschien als Mönch und ‚Sita‘ ging in die Falle. Auf diese Weise lockte Yama auch Nachiketas. Selbst hier und heute erliegen wir den Verlockungen, und wir wissen nicht, was uns widerfährt. Nur wenn man sich den Verlockungen widersetzt, dann dämmert in uns, dass wir einer Illusion auf-gesessen sind, und beginnen innerlich, zwischen Erscheinung und Wirklichkeit zu unterscheiden. Dann erst wird die Existenz der wahren Werte jenseits dessen akzeptiert, was über die Sinne aufgenommen wird.

Die Stufe des Zurückziehens und der Erfahrung, wie sie in der Katha U-panishad beschrieben wird, schließt drei fundamentale Ebenen ein, die von der Seele durchlaufen werden müssen. Die unterste und erste Erfahrung ist die Welt der Wahrnehmung durch die Sinne, was durch das Opfer von Vajasravasa Gau-tama dargestellt wird. Die zweite Ebene ist das Aufsteigen der Spiritualität im Individuum, was durch die Suche nach Wahrheit im Geist von Nachiketas sym-bolisiert wird. Dann kommt die Versuchung und schließlich die Offenbarung des Wissens. Diese Offenbarung des Wissens geschieht ebenfalls stufenweise. Es kommt nicht plötzlich, wie ein Sonnenaufgang, sondern stufen- und schritt-weise, wie es heißt: ‚während sich das Wissen einstellt, dauert es mit der Weis-heit noch ein wenig länger.‘ Sie stellt sich nicht so schnell ein, wie die allge-meine Wissenschaft. Durch Selbstdisziplin, was durch das Fasten von Nachike-tas dargestellt wird, nähert sich die Seele schrittweise von außen immer mehr der Wirklichkeit. Nachiketas fastete drei Tage und Nächte lang.

Nachiketas ist die suchende Seele und die drei Fasttage sind die dreifache Disziplin der menschlichen Individualität. Der ganze Yoga wird hier in einer Nussschale dargereicht. Die drei Ebenen der menschlichen Individualität entsprechen den drei Ebenen des äußeren Kosmos; sie müssen diszipliniert werden. Man sollte sich nicht mehr länger mit der Nachgiebigkeit hinsichtlich Äußerlichkeiten aufhalten. Das Körperliche, das durch die Aktivität der Sinne dargestellt wird, die Psychologie, die die Emotionen, den Willen usw. beinhaltet, und letztendlich die Spiritualität sind die drei fundamentalen Stufen des Aufsteigens, weshalb Nachiketas, der Sucher nach der Wirklichkeit, das dreitägige Fasten einhielt. Was heißt Fasten? Es bedeutet, das Zurückziehen von der Nachgiebigkeit hinsichtlich Äußerlichkeiten, gepaart mit einer schrittweisen Verfeinerung der Sinneskräfte.

Das körperliche Individuum wird durch die Aktivitäten der Sinne reprä-sentiert. Unsere Körper sind schwach, um den zwanghaften Attacken der natür-lichen Kräfte, die über die Sinne aufgenommen werden, zu begegnen. Wir kön-nen weder Hitze noch Kälte, weder Hunger noch Durst, weder kalten Wind noch Flut ertragen. Die natürlichen Kräfte sind unkontrollierbar. Die physischen Kräfte der Natur haben sich vom Menschen auf Grund deren individueller Sin-neserfahrungen entfremdet. Die Sinne schaffen eine Kluft zwischen dem Indivi-duum und der äußeren Welt. Sie suggerieren dem Einzelnen eine scheinbare äußere Welt, vor der man sich fürchten muss, die ohne Verbindung zum Men-schen ist und vor der man zusammenzuckt. Die Welt ist uns in jeder Beziehung überlegen. Wir sind scheinbare „Nobodys“. Wir fürchten uns vor jede Art von natürlicher Kraft. Das Fasten der Sinne, was die erste Disziplin darstellt, setzt solche Energien frei, sodass man die physischen Kräfte der Natur meistert. Das war der erste Wunsch, der Nachiketas gewährt wurde: ‚wenn du in die Welt zu-rückkehrst, dann kehrst du als Meister und nicht als Diener zurück.‘ Die Welt wird dich als seinen Freund und nicht als seinen Gegner ansehen. Die verwirk-lichte Seele kann problemlos in die Welt zurückkehren. Wenn die verwirklichte Seele in die Welt zurückkehrt, wird die Seele anders empfangen als zuvor. Die Welt behandelt die Seele in einem Zustand der Unwissenheit in einer bestimm-ten Art und Weise, doch sie behandelt die Seele anders, wenn sie mit Wissen in Berührung gekommen ist. Darum fragte Nachiketas: ‚wenn ich in die Welt zu-rückgehe, werde ich dann wieder erkannt und nicht mit Zorn und Ärger be-grüßt?‘ ‚Ja, so wird es sein,‘ sagte Yama, der Herr des Todes. Dies bedeutet: wenn man einen solchen Wunsch gewährt bekommt, lass die anderen sausen, denn dann wird man zum Meister der physischen Kräfte. Die Welt stellt keine Bedrohung mehr dar. Sie wird zum Freund. Gegenwärtig ist die Welt nicht un-ser Freund. Wir fürchten uns vor ihr. Die Welt ist deshalb nicht unser Freund, weil die Sinne uns von der Welt entfremdet haben. ‚Wenn ihr zu mir kommt und ich euch als Fremde behandle, werdet ihr mich auch entsprechend behan-deln. Doch wenn ich euch als Freund behandle, so als würde ich euch seit E-wigkeiten kennen, wäret ihr hocherfreut und würdet mich ebenfalls als Freund behandeln.‘ - Die Welt behandelt uns genauso wie wir sie behandeln. Wenn man sie als etwas Äußeres anseht, wird sie uns auch so sehen. Wenn man sich als Ausländer bezeichnet, sagt auch die Welt zu uns, dass wir Ausländer sind, Reisepässe und Visa benötigen, ansonsten dürfen wir nicht einreisen. Sie sagt, man wird die Welt früher oder später wieder verlassen. Man stirbt, weil man sich von der Welt entfremdet hat; ansonsten gäbe es weder Geburt noch Tod. Wenn man sich mit den Kräften der Welt vereinen würde, gäbe es weder Geburt noch Tod. Die Konsequenz aus der Entfremdung von den natürlichen Kräften sind viele Geburten und Tode. So erreichte der erste körperliche Fasttag Nachi-ketas durch das Zurückziehen seiner Sinne eine Reaktion beim Yogameister Yama in Form der Gefälligkeit. Die mit der Wunscherfüllung verbundene Ener-gie war so heftig, dass ihn die Welt als einen organischen Teil seines eigenen Selbst erreichte. Die physische Welt wurde zum Freund von Nachiketas. Dies wird auch mit uns geschehen. Jeder von uns ist auch ein Nachiketas, denn Na-chiketas ist nur ein Symbol für die suchende Seele. Wenn man seine Sinne kon-trolliert, was geschieht dann? Dann empfängt uns die Welt als ihr Freund und Wohltäter. Die Konsequenz der Sinneskontrolle bedeutet eine Loslösung in je-der Beziehung. Danach werden wir nichts in dieser Welt vermissen. Alles wird uns zufließen, so wie die Flüsse in den Ozean münden:

Apuryamanam acalapratistham
Samudram apah pravisanti yadvat,
Tadvat kama yam pravisanti sarve
Sa santim apnoti na kamakami;

heißt es in der Bhagavadgita. So wie die Flüsse aus den verschiedenen Richtungen in den Ozean fließen, so werden alle Bedürfnisse aus allen Richtun-gen erfüllt. Man muss nicht hinter der Welt herlaufen.; die Welt wird hinter uns herlaufen. Man muss nicht um alles in der Welt betteln; es wird automatisch ungefragt auf uns zukommen. Dieses ist die erste Gefälligkeit, die auf Grund der ersten Tapas Nachiketas gewährt wurde.

Die zweite Tapas ist von psychologischer Bedeutung. Der zweite Fasttag Nachiketas repräsentiert die Unterwerfung des Geistes, wobei nicht nur der Sinne gemeint sind. Wenn der Geist richtig diszipliniert wird, so wird er schrittweise auf den Kosmos eingestellt. Dieses ist das Geheimnis von Vaishva-nara-Agni-Vidya, das ebenfalls als Gefälligkeit von Yama gewährt wurde. Wäh-rend die körperliche Kontrolle der Sinne zur Freundschaft mit dem Universum führt, wobei alle materiellen Dinge im Überfluss auf einen zufliegen, und man damit zum reichsten Menschen wird, wird man nun auch zum Meister der psy-chologischen Welt auf einer höheren Ebene der Kontrolle des Geistes. Der Fast-tag Nachiketas ist darum ein psychologisches Fasten des Geistes, was das ganze psychologische Umfeld des Geistes umfasst, - Mano-buddhi-ahamkara-chitta genannt. All die Aspekte der psychologischen Organe werden diszipliniert. Während der physische Körper auf Grund seiner Sinnesaktivitäten von der phy-sischen Welt entfremdet ist, so ist der Geist auf Grund seiner räumlich weltli-chen Denkweise vom kosmischen Geist getrennt. Man denkt in Raum und Zeit, und in äußerlichen Objekten, und darum ist man vom Kosmos getrennt. Unter solchen Bedingungen scheint selbst Gott nicht zu helfen. Die Gebete scheinen IHN nicht zu erreichen. Warum? Weil man sich selbst durch sein individuelles Denken und durch seine eigene Selbstbehauptung von der Quelle der kosmi-schen Energie getrennt hat. Die zweite Tapas oder Disziplin von Nachiketas, der suchenden Seele, ist die Vereinigung des individuellen Geistes mit dem u-niversalen Geist, weshalb ihm von Yama der zweite Wunsch erfüllt wurde.

Vaishvanara-Agni-Vidya repräsentiert die Kenntnis vom kosmischen Feu-er. In bestimmten Philosophien wird das Feuer als die absolute Wirklichkeit an-gesehen. Der griechische Philosoph Heraklit betrachtete die kosmische Wahrheit als ein Feuer. Dieser Gedanke stammt nicht nur von Heraklit. In In-dien sehen wir in Agni, dem Feuer, das Symbol des absoluten Willens. Das erste Mantra der Rig-Veda ist das Anrufen des Feuers, wobei nicht das physische Feuer, sondern das universale Feuer gemeint ist, das die kosmische Energie rep-räsentiert, - Vaishvanara Agni. „Aham vaisvanaro bhutva praninam deham as-ritah,“ – „Ich, die absolute Seele, wirke als Vaishvanara-Agni im Individuum,“ sagt Bhagavan Sri Krishna in der Bhagavadgita. Die Kenntnis von Vaishvana-ra-Agni, was die kosmische Form des Schöpfers darstellt, bringt universale Un-abhängigkeit. Auf Grund das zweiten Fasttages über die psychische Persönlich-keit bekam Nachiketas Kenntnis vom absoluten Schöpfungsprinzip. Von außen geht man nach innen und dann zum Universalen.

Die äußere Welt wurde zum Freund, und jetzt wurde auch die innere Welt zum Freund. Dieses sind wundervolle Erfahrungen. Manchmal wird diese inne-re Erfahrung des Universalen fälschlicherweise für die absolute Verwirklichung gehalten. Doch es handelt sich nicht um das Absolute. Es gibt noch eine weiter Stufe. Dieses war Kernpunkt der dritten Frage von Nachiketas, die wir später behandeln. Über diesen dritten Punkt wollte Yama nur ungern sprechen.

Der zweite Wunsch repräsentiert die kosmische Identifikation als indivi-duelle psychologische Einheit. Man wird sich der Dinge kosmisch bewusst. Während die erste Stufe als Ergebnis der Tapas die Vereinigung mit den physi-schen Kräften der Natur zur Folge hat, und man damit reich an materiellem Be-sitz wird, so wird man in der zweiten Stufe reich an Wissen. Darum ist ein Yogi nicht wirklich arm. Er hat alles, was er braucht. Selbst der reichste Mensch der Welt kann sich nicht mit dem Yogi und dessen Besitz vergleichen. Der Yogi kann alles in der Welt dirigieren. Seine Heiligkeit Sri Swami Sivanandaji Ma-haraj pflegte in seiner humorvollen Art und Weise zu sagen, dass ein Sannyasin zwar kein Bankkonto hat, doch kann er über die Bankkonten aller Menschen verfügen. Ein Sannyasin hat zwar kein Auto, doch kann er mit jedem mitreisen. Nun, damit drückte er in humorvoller Weise eine große Wahrheit aus. Dem Yo-gi fehlt es an nichts. Glaubt nicht, wenn ein Yogi nach Moksha strebt, er wäre in der Welt verarmt. Das ist nicht richtig. Er ist selbst materiell ein reicher Mann. Er ist in Bezug auf alle Werte im Leben lebendig. Er ist nicht abgestumpft. Der erste Fasttag machte Nachiketas durch die Kontrolle der Sinne körperlich sicht-lich gesund und bereicherte ihn in jeder Beziehung. Nun, der zweite Fasttag be-züglich der psychologischen Organe gab ihm das Wissen über die kosmische Existenz. Beides, der materielle Besitz und das Wissen sind eine Gnade für das Individuum. Damit erhält das Individuum das Sichtbare und das Unsichtbare. Lakshmi und Sarasvati sind unter Kontrolle. Lakshmi repräsentiert den materiel-len Besitz und Sarasvati das Wissen, die Weisheit, die Gelehrsamkeit – die Allwissenheit. Auf diese Weise wird ein Yogi zum Meister physischer Kräfte. Die ganze Fülle wird von allen Seiten des Kosmos über den Yogi ergossen, und er beginnt alle Dinge zu erkennen. Wissen und Macht sind die direkten Ergeb-nisse der Yogapraxis. Man wird von Wissen und Weisheit erfüllt, und von einer Macht und Kontrolle über die Natur der Dinge. Ein Yogi ist außerordentlich mächtig und weise.

Auf diese Weise wurden die beiden ersten Stufen der Erfahrungen in der Yogapraxis als körperliche und psychologische Meisterschaft beschrieben. Nun kommt der spirituelle Teil. Dieser Teil ist nur sehr schwer zu verstehen. Bis hierher konnte man gut folgen, doch nun wird es schwer. Darum sagte Yama, dass selbst die Götter Probleme hätten, die weiteren Dinge richtig zu verstehen.

Devairatrapi vicikitsitam pura
Na hi suvijneyam anur esha dharmah

„Nachiketas! Die Informationen, um du bittest, sind außerordentlich sub-til. Du kannst das ganze Universum beherrschen und die ganze Welt kennen, du magst Allwissenheit erlangt haben, doch wonach du fragst, - d.h. ‚was geschieht mit der Seele, nachdem sie den Körper verlassen hat und Universalität erreicht,‘ – ist etwas, was selbst die himmlischen Heerscharen nicht erklären können, und darum bitte ich dich, nicht auf die Beantwortung dieser Frage zu bestehen. Doch du lässt nicht locker. Nun gut! Ich werde dir etwas darüber erzählen, doch es ist nur schwer zu verstehen.“ - Nicht einmal die besten Yogis der Welt kön-nen erkennen, was dies bedeutet. Wir haben viele Yogis in dieser Welt, doch wie viele haben wirklich diese Lehren aufgenommen? Solch ein großer Schüler, wie Nachiketas, wurde von Yama verscheucht. Wir sagen jedoch: ‚Oh! Ich er-zähle dir etwas, komm her!‘ Wir wollen immer mehr Schüler. Es gibt viele in-ternationale Yogaorganisationen. Diese Art von Yoga bringt uns nirgendwo hin. Wir sollten uns nicht zum Gespött machen. Wenn wir diesen heuchlerischen Yoga anbieten und veröffentlichen, lachen die Kräfte der Natur über uns. Yoga ist nichts Öffentliches. Nachiketas muss das viel besser als wir gewusst haben. - Angenommen man würde uns die drei Welten anbieten? Nachiketas sagte: ‚Nein danke, Gott, nimm sie zurück.‘ Wir hingegen würden uns dann um Yoga nicht mehr scheren. Drei Welten! Das ist undenkbar! Selbst diese lehnt Nachi-ketas ab. Wir beten jeden Tag zu Gott: ‚Bitte schenke unserem Kind ein langes Leben!‘ Wir möchten unser Leben um fünf Jahre verlängern! Doch Nachiketas sagte: ‚Ich möchte nicht einmal das längst Leben. Vielleicht möchte jemand so lange leben, wie das Universum existieren wird. Ich bin nicht daran interessiert; was macht es mir schon aus?‘

Die dritte Frage Nachiketas war wundersam. Wunderbar war auch der Fragesteller, und wunderbar war auch die Antwort auf diese Frage! Letztendlich hat Nachiketas die Antwort bekommen, denn er war innerlich aus hartem Holz geschnitzt. Er widerstand allen Versuchungen der Welt. Selbst das universale Wissen war ihm nicht gut genug. Vaishvanara-Agni Vidya hat er ignoriert. Und wie lautete die dritte Frage Nachiketas?

Ye-yam prete vicikitsa manushye
Asti-tyeke nayam astite caike;

„Existiert die Seele oder existiert sie nicht? Was ist die Seele? Ist sie oder ist sie nicht? Was verstehst man unter der Seele?“ Die Frage, ob die Seele exis-tiert oder nicht, kann nur beantwortet werden, wenn man weiß, was ES ist. Ohne zu wissen, was ES ist, kann die Frage nicht gestellt werden, ob sie existiert oder nicht. Die Wissenschaft der Seele ist die Wissenschaft der Upanishad. Wir ha-ben von der Seele eine Vorstellung. Wir sprechen nahezu jeden Tag über sie, und die Vorstellungen über die Seele entsprechen denen eines Kindes, eines un-gebildeten Babys, das über die Seele spricht, als wäre sie wie ein Funken Le-bendigkeit in unserem Körper. Einige Menschen sehen in ihr so etwas wie ‚le-bendige Energie‘, die uns zwingt, von innen heraus zu handeln. Die Seele wird als eine in uns befindliche Existenz angesehen. Man spricht vom Atman, der Seele, in uns. Das Wort ‚innerhalb‘ wird uns dabei immer wieder eingehäm-mert. Dabei stellt sich die Frage, warum wir behaupten, dass die Seele in uns ist? Und was bedeutet es, wenn wir davon ausgehen, dass sie in uns ist? Was ist diese Seele? All dies wurde in dieser Upanishad in symbolischer Form erklärt, wenn auch nicht direkt. Yama gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage Na-chiketas, obwohl er indirekt auf die Frage eingeht. Nüchtern betrachtet, be-kommt man nirgendwo in der Katha Upanishad eine klare Antwort. Der Unter-richt dreht sich im Kreis, klopft an die Tür, doch letztendlich wird nichts wirk-lich klar ausgedrückt. Doch das Geheimnis findet sich zwischen den Zeilen die-ser klangvollen Mantras, wenn wir ihnen in philosophischer Kleinarbeit nach-gehen. Tiefergehende Antworten sind in anderen Schriften, wie der Brihadara-nyaka und bis zu einem gewissen Grade, auch in der Chhandogya Upanishad zu finden. Wenn man die ganze Wahrheit bzgl. der Antwort auf die dritte Frage Nachiketas erfahren möchte, muss man die zuvor erwähnten Upanishads studie-ren, denn es ist nur schwer, die wahre Bedeutung der letzten Frage Nachiketas zu erkennen. Was meinte er damit, als er nach dem Charakter der Seele fragte, wenn diese ins ‚Jenseits‘ geht? ‚Mahati Samparaye‘ wird hier als Wort von Na-chiketas benutzt. Samparaye heißt ‚danach‘. Es bedeutet nicht nur ‚nach dem Tod‘ des physischen Körpers. Er fragt nicht danach, was mit der Seele nach dem physischen Tod geschieht, obwohl es von vielen Kommentatoren so ausge-legt wird. Ein Weiser, wie Nachiketas, muss gewusst haben, was mit der Seele nach dem physischen Tod geschieht, doch darum ging es hier nicht. Er machte zusätzlich eine Aussage über die Qualität: ‚Mahati‘ zu ‚ Samparaye‘, d.h. das ‚große (absolute) Jenseits‘ und nicht das ‚normale Jenseits‘. Das ‚normale Jen-seits‘ folgt unmittelbar nach dem physischen Tod, doch das ‚große (absolute) Jenseits‘ beinhaltet die Eigenschaft der Seele, die das Universum übersteigt. Was geschieht letztendlich mit der Seele? Wo bleibt sie? Ein Lehrer, vielleicht war er auch ein Geistlicher, erzählte einmal vor Publikum in biblischer Version: „Gott erschuf Himmel und Erde." Ein Zuhörer stand auf und fragte: „Wo ist Gott?“ Der Geistliche antwortete: „Gott ist im Himmel.“ „Wer erschuf den Himmel?“ „Gott erschuf den Himmel selbst.“ „Doch wo war ER, bevor ER den Himmel erschuf?“ Gott ist im Himmel, und wenn ER den Himmel erschuf, so muss ER bereits vorher existiert haben. Wo war ER dann, bevor ER den Himmel erschuf? Es wird behauptet, Gott ist überall, d.h. überall auf der Welt‘. Doch wenn die Welt vor der Schöpfung nicht existierte, wo war ER dann? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach. Man kann nicht behaupten, Gott ist all-durchdringend, denn dieses setzt eine Welt voraus. Man kann auch nicht be-haupten, Gott ist all-wissend, denn dies setzt die Welt voraus. Man kann nicht behaupten, Gott ist all-mächtig, denn dies setzt ebenfalls die Welt voraus. Was ist Gott, wenn die Welt nicht existiert? Dies ist der Kern der dritten Frage Na-chiketas.

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