Swami Sivananda

Sangita Sadhana

Das Leben des Individuums in seinem onotologischen Aspekt ist nichts als ein unaufhörliches Streben nach nicht endender, ungetrübter Seligkeit, ewiger, unvergänglicher, immerwährender Wonne. Die Schriften haben es ohne Zweifel erwiesen. Weise und Heilige verkünden seit dem Aufdämmern der Schöpfung, daß die höchste Wonne im eigenen Selbst gefunden werden kann und muß. So ist also Selbstverwirklichung, Selbstbewußtheit oder Ganzheitserfahrung des Selbst, Aparokshanubhuti das summum bonum der menschlichen Existenz. Das allein beendet all unser Leid und unseren Kummer. Aber wie können wir es am besten erreichen?
Atmachaitanya Samadhi oder Aparoksha Jnana ist nur möglich, wenn der Geist rein und sattvig wird. Reinheit des Geistes wird erst erlangt, wenn dieses kleine ›Ich‹, das Ichdenken oder Ahamkara, gezügelt ist, aufgelöst, was bedeutet, daß ›Ich‹ und ›Mein‹ aufgegeben worden sind. Das wiederum führt zu Reinheit und Kontrolle der Indriyas. Solange der Geist nicht diszipliniert und kontrolliert ist, können die Indriyas nicht beherrscht werden. So kehren wir im Kreis wieder zum Geist zurück. Zurecht riefen die Weisen aus: Mana Eva Manushyanaam Karanam Bandhamokshayoh - Der Geist allein ist Ursache für Befreiung oder Knechtschaft des Menschen.
Praktisches Forschen in dieser Richtung hat die Weisen zu dem Schluß geführt, daß Prana und Geist in ihren Funktionsmöglichkeiten von einander abhängig sind. Solange eines von beiden unkontrolliert bleibt, kann das andere nicht kontrolliert werden. Wenn eines kontrolliert wird, begibt sich das andere freiwillig unter Kontrolle. Es genügt nicht, sie einfach nur zu kontrollieren. Solange sie nicht vernichtet sind, werden die Vasanas uns nicht verlassen. Solange die Vasanas nicht zerstört sind, kann Chitta nicht zerstört werden. Nur die Zerstörung von Chitta kann zu Jnana führen.
Wir haben also zwei Möglichkeiten. Erstens kann das Prana durch verschiedene mühsame Yogaprozesse unter Kontrolle gebracht werden, um dann den Geist zu beherrschen, ihn von äußeren Sinnesobjekten abzuziehen und auf das Selbst zu richten. Zweitens kann versucht werden, den Geist durch die Praxis von Mano Laya zu zerstören, wobei ein so viel machtvolleres Prinzip gefunden wird, auf das der Geist sich auf natürliche Weise zubewegen wird, in dem er aufgeht und somit in den Zustand von Laya gelangt. Die Weisen stellten fest, daß Mano Laya, gefolgt von Mano Nasha ein sichererer Weg war, um Selbstverwirklichung zu erreichen, als der schwierige Prozeß der Geisteskontrolle, bei dessen Praxis immer die Gefahr besteht, daß der Geist jederzeit in die alten Furchen der Vasanas zurückspringt.
Im Laufe weiterer praktischer Forschung fanden die Weisen und Seher, daß der Klang die Macht hatte, den Geist auf sich zu lenken und sozusagen zu absorbieren.
So stellte man fest, daß Mano Laya und Mano Nasha durch Nada-Yoga (Vereinigung oder Aufgehen im Klang) ein wirksames und sicheres Mittel zur Selbstverwirklichung ist.
Nadanusandhanam bedeutet Meditation über Nada, den Klang, der im Anahata Chakra zu hören ist.
Die Grundvoraussetzungen für diese Art von Sadhana sind dieselben, wie für jedes andere Yoga Sadhana. Ethische und moralische Vorbereitung sind die ersten wichtigen Voraussetzungen. Genauso ist die Beherrschung von Hatha Yoga und Pranayama grundlegend. Es ist besser, wenn man in Konzentration und Meditation genügend geübt ist. Das erleichtert die Konzentration nach innen und die Meditation über die Anahata Klänge. Ajapa Japa oder Japa von ›Soham‹ mit dem Atem hilft bei der Konzentration auf die subtilen Klänge. Das allein bringt dich zum Anahataklang.
Es gibt zwei Aspekte dieser Klänge, grobstoffliche und feinstoffliche. Man muß vom Grobstofflichen zum Feinstofflichen weitergehen. Wenn der Geist sich nur den groben Klängen zuwendet, lasse dich nicht verwirren. Lasse ihn sich zuerst daran gewöhnen und im groben Klang niederlassen. Dann kann er zum subtilen Klang geführt werden.
Bedenke, daß nicht Mano Laya das Ziel ist, sondern Mano Nasha und Selbstverwirklichung.
Denke daran, keine spezielle Neigung oder Vorliebe für einen bestimmten Klang zu entwickeln, sondern versuche, den Geist vom ersten zum zweiten, vom zweiten zum dritten und so weiter bis zum zehnten zu führen. Es gibt eine andere Schule des Nada Yoga, die drei verschiedene Phasen beim Hören des Klanges unterscheidet.
Die erste Phase ist, wenn Prana und Apana zum Brahmarandhra geführt wurden. Die zweite Phase ist erreicht, wenn sie das Brahmarandhra betreten, und die dritte, wenn sie darin fest verankert sind. In der ersten Phase werden Klänge wie das Rauschen des Meeres, der Klang von Trommeln, usw. gehört. In der zweiten Klänge wie die der Mridanga, des Muschelhorns, usw. In der dritten Phase hört man Klänge wie von Kinkini, Summen von Bienen, den Klang der Flöte oder Laute, usw.
Wissen über Verborgenes entsteht in einem Menschen, der den siebenten Klang (ähnlich dem der Flöte) gut hören kann.
Höchst interessant und sehr beliebt unter den Formen von Nadopasana ist Sangita (Musik). In Sangita treffen sich Sreyas und Preyas, die ansonsten Gegensätze sind. Sreyas ist das, was sonst zum ewigen Gut des Menschen führt, d.h. Selbstverwirklichung. Preyas ist das, was sofort angenehm ist. Im allgemeinen heißt es, daß das, was Preyas ist, nicht Sreyas ist und umgekehrt. Aber hier im Sangita oder Sankirtana werden Sreyas und Preyas zusammen beobachtet. Sangita erfreut das Ohr, ist ein großer Leckerbissen für die Sinne und den Geist - in der Tat so stark, daß die Sinne und der Geist von ihr gezähmt und kontrolliert werden; und Sangita veredelt die Seele und offenbart das Selbst im Inneren. Musik wird daher als die beste Form von Nadopasana angesehen.
Dieser Fürst aller Musiker, der Kaiser unter den Komponisten, das Kronjuwel unter den Heiligen, der Bhakta Siromani, der den Herrn mit süßer, seelenbewegender und vollendeter Musik verehrte - Sri Tyagaraja, dessen inspirierende Lieder zur Verehrung von Lord Rama und über die grundlegenden Wahrheiten des spirituellen Lebens in ganz Indien von jedem Musikliebhaber zur Inspiration und zur Unterhaltung gesungen werden, hat wiederholt die göttliche Herrlichkeit der Musik betont. Er hat immer wieder hervorgehoben, daß Musik nicht nur Nahrung für die Sinne ist, sondern Nahrung für die Seele.
Tygaraja sagt in der Kriti Nadopasana: „Durch Nadopasana sind die Trimurtis, die weisen Verfasser großer Schriften, die Maha Rishis, die das Gesetz des Dharma darlegten, die Seher, die Meister der Künste und Wissenschaften sind, die der Musik mit ihren drei integralen Bestandteilen von Bhava, Raga und Tala anhängen - sie alle sind Experten in Nadopasana“. Es ist eine große Wahrheit, die es zu bedenken gilt, daß alle unsere großen Schriften - die Veden, Smritis, Puranas, usw. alle vertont und metrische Kompositionen sind. Es ist Rhythmus, Metrik und Melodie in ihnen. Der Sama Veda ganz besonders ist unvergleichlich in seiner Musik. Darum betrachtet Sri Tagaraja alle Maha Rishis und Seher als Nadopasakas.
Tyagaraja sagt: „Die Kenntnis der Musikwissenschaft kann den Zustand von Sarupya verleihen (in seinem Kriti Sangita Sastra Jnanamu). Warum? Weil „alle Klänge aus Om kommen“. (In seiner Kriti, die die Essenz des Pranava ist - kann das Omkara, das selbst die Essenz aller Veden, Agamas, Sastras und Puranas ist - alle Sorgen beseitigen und Göttliche Erkenntniss schenken“. Er krönt diese Aussage mit der wunderbaren Offenbarung: „Dieses Sangita hat in dieser Welt als Rama Gestalt angenommen.“ Deshalb sagt er in einer anderen Kriti, daß derjenige, der Gott durch Sangita verehrt, Sarupya Mukti erlangen wird. Denn Sangita ist identisch mit Gott; und in Übereinstimmung mit der Wahrheit, daß man zu dem wird, worüber man beharrlich meditiert, wird der Nadopasaka Nadasvarupa oder Gott.
Sangita ist nicht nur Stimulation der Nerven. Es ist ein Yoga, der sich auf diese Wahrheit konzentriert. Sri Tyagaraja sagt in seiner „Sri Papriya“: „Musik die aus den sieben Svaras komponiert ist, ist ein Schatz für die großen Tapasvins, die die Taapa Traya (Adhyatmik, Adhidaivik, und Adhibontik Tapas) gekühlt haben.“
In der Tat geht Tyagaraja so weit zu sagen, daß Moksha unmöglich ist für jemanden, der keine Musik in sich hat! Er sagt in der „Mokshamugalada“: „Gibt es Moksha für Menschen, die keine Kenntnis der auf Bhakti basierenden Musik haben, die die Wahrheit nicht erkennen, daß die Sapta Svaras aus dem Pranava stammen, das aus der Vereinigung von Prana und Agni geboren wurde, und die nur die Melodie der Vina mögen, jedoch das Siva Tattva nicht verstanden haben?“ Während also die Musik in den Status eines starken Sadhanas erhoben wird, das Moksha bringen kann, verabsäumt es Tyagaraja nicht, immer aufzuzeigen, daß das bloße Äußern von Klängen dem Sänger nicht Moksha schenken wird, und daß es nach der Verwirklichung der Quelle und des Zieles der Musik zu suchen gilt.
Wer diese Wahrheit erkennt, erlangt Jivanmukti. Tyagaraja sagt in seinem Raga Sudharasa: „Trinke den Nektar von Ragam und erlange Erleuchtung. Jede Siddhi, die schwierigsten Übungen wie Yaga, Yoga, usw. geben können, bekommst du ganz einfach durch Nadopasana. Sie sind Jivanmuktas, die erkannt haben, daß die Musik nichts anderes ist als Omkara, das aus dem Selbst entstand und dessen Körper Nada ist - diese Musik geschmückt mit den Sapta Svaras ist selbst die Form von Sadasiva. Daher wird der Sadhaka aufgefordert, das Siva Tattva zu verwirklichen, das die Grundlage der Musik ist.“
Man kann nicht anders als tief bewegt sein von dem wunderbaren Respekt, den Tyagaraja der Musik zollt, dem Nadopasana, in seinem Lied, „Intakannaanandamemi“, in dem er sagt: „Das Singen Deiner herrlichen Namen in melodischen Klängen und das Tanzen aus Freude, mit dem einzigen Ziel, deinen Darshan zu haben - genügt das nicht? Ist das nicht der Zustand, nach dem sogar Weise streben?“ Denn, so erklärt Tyagaraja, Nadopasana selbst schenkt dem Sadhaka advaitische Verwirklichung. Im selben Lied sagt er: „In Dir sehe ich die Welt, und ich gehe in Dir auf, wenn mein Intellekt klar und erleuchtet ist.“

 

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