Yoga Artikel

Swami Sivananda

Sadhana in den Brahma Sutras

Das dritte Kapitel der Brahma Sutras mit dem Titel Sadhanadhyaya handelt von praktischen Methoden, um die Verwirklichung Brahmans zu erreichen. Dieses Kapitel bespricht diese Methoden oder Sadhanas, die die Mittel zur Erreichung der höchsten Realität, des Unendlichen, darstellen. Im ersten und zweiten Pada dieses Kapitels werden zwei Begriffe gelehrt, nämlich ein starkes Verlangen, eine brennende Sehnsucht (Mumukshutva), Brahman, die letztendliche Befreiung zu verwirklichen, und eine starke Abneigung (Vairagya) gegenüber allen Objekten, die nicht Brahman sind; denn dies sind die zwei grundlegenden Dinge bei allen Sadhanas.
Um Vairagya, Leidenschaftslosigkeit, zu bewirken, zeigen die Sutras im ersten Pada die Unzulänglichkeiten jeder weltlichen Existenz und gründen diese auf Panchagni Vidya, die Doktrin der fünf Feuer aus der Chhandogya Upanishad, worin dargelegt wird, wie die Seele nach dem Tod von einem Zustand in einen anderen übergeht.
Der erste Pada lehrt die große Doktrin der Reinkarnation, die Trennung der Seele vom physischen Körper, ihre Reise in Chandraloka auf der dritten Ebene und ihre Rückkehr auf die Erde. Dies geschieht, um Vairagya, Gleichgültigkeit allen Sinnenfreuden gegenüber hier und künftig entstehen zu lassen. Im zweiten Pada werden alle großartigen Attribute des höchsten Brahman beschrieben, Seine Allwissenheit, Allmacht, Lieblichkeit, usw., um die Seele zu Ihm hinzuziehen, damit Er das einzige Objekt der Suche sei.
Im dritten Pada stellt sich der Autor der Brahma Sutras die Aufgabe, Absicht und Ziel der Vidyas, Upasanas oder Meditationen zu ermitteln, so wie es in den Srutis vorgesehen.
Die Srutis schreiben verschiedene Arten von Vidyas oder Meditationen vor, die es dem Suchenden ermöglichen, die Erkenntnis der Identität zu erlangen. Es ist äußerst schwierig, eigentlich unmöglich für den gewöhnlichen Menschen, ein umfassendes Verständnis des Unendlichen zu haben, welches transzendent ist, äußerst fein und jenseits des Fassungsvermögens der Sinne und des groben ungeschulten Intellekts. Deshalb schreiben die Srutis oder heiligen Schriften einfache Methoden der Saguna Meditation vor, um sich dem Unendlichen oder Absoluten zu nähern. Sie bieten dem Anfänger verschiedene Symbole Brahmans (Pratikas) an, wie Vaiswanara oder Virat, Sonne, Akasha, Nahrung, Prana und Geist, über die er kontemplieren soll. Diese Symbole sind Krücken für den Geist, auf die er sich anfangs stützen kann. Der grobe Geist wird durch solche Saguna Formen der Meditation verfeinert und scharf und einpünktig gemacht.
Diese verschiedenen Methoden der Annäherung an das Unpersönliche, Absolute, werden Vidyas oder Upasanas genannt. In diesem Abschnitt werden die unterschiedlichen Vidyas besprochen, durch die der Jiva die höchste Seele erreichen kann. Der Sinn all dieser Vidyas ist die Verwirklichung Brahmans. Brahman allein ist lebendige Wirklichkeit. Brahman allein ist Wahrheit. Brahman ist Sat, absolutes Sein. Eine Meditation, Upasana oder Vidya ist so gut wie die andere, um Befreiung zu erlangen.
Die Sruti lehrt uns, über Brahman zu meditieren, entweder direkt oder mittels eines Pratikas oder Symbols, wie Sonne, Akasha, Nahrung, Geist, Prana, Purusha, der im Auge wohnt, dem leeren Raum (Daharakasha) im Herzen, OM oder Pranava und ähnliches.
Brahman ist in und durch diese Symbole zu suchen und anzubeten, aber diese Symbole dürfen nicht Seine Stelle einnehmen. Der Geist muß auf diese Symbole konzentriert und fixiert werden, und es muß an Seine Attribute gedacht werden, wie Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart, Sat-Chit-Ananda, Reinheit, Vollendung, Freiheit, usw.
Die Vidyas erscheinen nur vom Standpunkt der verschiedenen Symbole aus unterschiedlich, aber das Ziel ist überall dasselbe. Denke stets an diesen Punkt. Bewahre das ständig im Geist.
Manche Attribute Brahmans finden sich gleichermaßen in mehreren Vidyas. Man darf sich nicht für ein von Brahman getrenntes Wesen halten. Dies ist ein fundamentaler und vitaler Punkt.
Allen Vidyas sind drei Dinge gemeinsam. Das letztendliche Ziel ist das Erlangen von ewiger Wonne und Unsterblichkeit durch die Verwirklichung Brahmans mit oder ohne Hilfe der Symbole oder Pratikas. Die Attribute, die sich in gleicher Weise in allen Vidyas finden, wie Seligkeit, Reinheit, Vollendung, Erkenntnis, Unsterblichkeit, absolute Freiheit oder Kaivalya, absolute Unabhängigkeit, ewige Zufriedenheit u.ä. müssen auf jeden Fall mit der Idee von Brahman verbunden sein. Der Meditierende muß sich vorstellen, er selbst ist identisch mit Brahman, er muß Brahman als seinen unsterblichen Atman verehren.
Die Brahma Sutras handeln vom Fragen nach dem Wesen Brahmans. Warum werden Fragen nach Brahman gestellt? Weil die Früchte aus Opferhandlungen, usw. vergänglich sind, das Wissen über Brahman dagegen ist ewig. Das Leben auf dieser Erde und das Leben im Himmel, das tugendhafte Taten erlangt wird, ist vergänglich. Wenn man Brahman er kennt, genießt man ewige Wonne und Unsterblichkeit. Deshalb muß begonnen werden, über Brahman, die Wahrheit und die letztendliche Wirklichkeit Fragen zu stellen.
Es kommt die Zeit, da ein Mensch gleichgültig gegenüber Karmas wird. Er weiß, daß Karmas ihm kein dauerhaftes, ungetrübtes Glück bringen können, das nicht vermischt ist mit Leid, Sorgen und Angst. Deshalb erwacht in ihm der natürliche Wunsch nach dem Wissen über Brahman, der alldurchdringenden ewigen Seele, die jenseits der Karmas ist und die Quelle ewigen Glücks ist.
Das ewige Brahman muß erkannt und verwirklicht werden. Nur dann erlangt man ewige Wonne, Freiheit, Vollendung und Unsterblichkeit. Bestimmte Grundvoraussetzungen sind für die Suche notwendig. Der Fragende muß über bestimmte spirituelle Erfordernisse verfügen, die als Sadhana Chatushtaya, die vier Mittel zur Errettung, bezeichnet werden. Diese sind 1) Nityanityavastu Viveka (Unterscheidungskraft zwischen dem Ewigen und dem Nichtewigen); 2) Ikamutrartha Phalabhogaviraga (Gleichgültigkeit gegenüber den Freuden dieses Lebens oder im Himmel und gegenüber den Früchten der eigenen Handlungen); 3) Shatsampat (sechsfache Tugenden, nämlich Sama, Kontrolle des Geistes; Dama, Kontrolle der äußeren Sinne; Uparati, Ablassen von weltlichen Vergnügungen, Nichtdenken an Sinnesobjekte und Nichtausführen religiöser Zeremonien; Titiksha, Ertragen von Freude und Schmerz, Hitze und Kälte; Shradda, Glaube an die Worte des Lehrers und der Upanishaden; Samadhana, tiefe Konzentration und 4) Mumukshutva (Sehnsucht nach Befreiung).
In der Feststellung der Wahrheit, der letztendlichen Wirklichkeit oder der ersten Ursache sind allein die Schriften maßgeblich, weil sie unfehlbar sind, sie enthalten die direkten, intuitiven Erfahrungen von Rishis oder Sehern, die Brahma Sakshatkara, Selbstverwirklichung, erlangt haben. Man kann sich nicht auf Intellekt oder Vernunft verlassen, denn ein Mensch mit starkem Intellekt kann einen Menschen mit schwachem Intellekt besiegen. Brahman ist kein Sinnesobjekt. Es geht über den Bereich der Sinne und des Verstandes hinaus.
Wissen über Brahman kann erlangt werden durch Reflexion über Seine Attribute. Anders ist es unmöglich, Erkenntnis zu haben. Logik, Vernunft, ist ein Instrument richtiger Erkenntnis, wenn sie nicht den Vedanta Texten widerspricht. Selbstverwirklichung wird durch Meditation über Brahman oder die Wahrheiten, die in den Vedanta Texte dargelegt werden erlangt, und nicht einfach durch Nachdenken. Reine Vernunft (Suddha Buddhi) ist eine Hilfe zur Selbstverwirklichung. Sie hinterfrägt und enthüllt die Wahrheiten der Schriften. Sie hat auch einen Platz unter den Mitteln zur Selbstverwirklichung. Aber ein verdrehter Verstand (Viparita Buddhi) ist ein großes Hindernis. Er hält von der Wahrheit sehr fern.
Die Ursache der Welt ist Brahman. Das ist Tatastha Lakshana. Ursprung, Bestehen und Vergehen der Welt sind Charakteristika der Welt. Sie gehören nicht zum ewigen, unwandelbaren Brahman. Doch verweisen sie auf Brahman, die Ursache dieses Universums. Die Srutis geben eine weitere Definition von Brahman. Es ist eine Beschreibung Seines wahren, eigentlichen Wesens ›Satyam Jnanam Anantam Brahma‹ - Wahrheit, Wissen, Unendlichkeit ist Brahman. Das ist Svarupa Lakshana.
Das Wissen über Brahman kann nicht durch bloßes Überlegen kommen. Dieses Wissen kann durch Intuition oder Enthüllung erlangt werden. Intuition ist das letzte Ergebnis des Fragens über Brahman. Das Objekt der Fragestellung ist eine existierende Substanz. Dies muß allein durch Intuition oder direkte Erkenntnis (Aparoksha-anabhuti oder Anubhava-Erfahrung) erkannt werden. Sravana (Hören der Srutis), Manana (Reflexion über das Gehörte) und Niddidhyasana (tiefe Meditation) über Brahman führen zu Intuition. Die Brahmankara Vritti wird vom sattvigen Antahkarana erzeugt, das über die vier Mittel zur Errettung verfügt, und von den Instruktionen des Gurus, der die wirkliche Bedeutung des ›Tat Twam Asi‹

Mahavakya verstanden hat. Diese Brahmakara Vritti zerstört Mula Avidya, die ursprüngliche Unwissenheit - die Wurzelursache aller Bindungen, Geburten und Tode. Wenn die Unwissenheit oder der Schleier entfernt ist, enthüllt sich das selbstglänzende Brahman und strahlt aus Sich Selbst in Seiner ursprünglichen Herrlichkeit und Seinem unsäglichen Glanz.
Wenn ein Mensch Brahman verwirklicht, ist er absolut befreit von allen Arten von Kummer und Leid. Er erlangt das Ziel des Lebens, das Summum Bonum. Das Konzept der Dualität als Handelnder, Handlung, und dergleichen wird zerstört. Selbstverwirklichung ist keine Frucht von Handlung. Sie ist kein Ergebnis von Wollen oder Tun. Sie ist das Ergebnis der Verwirklichung der eigenen Identität mit Brahman. Die Schrift zielt nur darauf ab, den Schleier der Unwissenheit, Avidya, zu beseitigen. Dann strahlt das aus sich selbst leuchtende Brahman durch Sich Selbst in seiner ursprünglichen Herrlichkeit. Der Zustand von Moksha, der letztendlichen Befreiung, ist ewig. Er ist nicht vergänglich wie die Früchte, die durch Handlung erlangt wurden. Handlung ist vom Willen abhängig und unabhängig vom Objekt. Erkenntnis ist abhängig von der Natur des Objekts und unabhängig vom Willen des Wissenden.
Richtiges Verstehen der vedantischen Texte führt zur letztendlichen Befreiung des Menschen. Es ist nicht nötig, sich zu mühen und übermenschliche Kunststücke oder Handlungen zu vollbringen. Schon die bloße Einsicht, daß da ein Seil ist und keine Schlange, hilft die Furcht zu vertreiben. Die Schrift spricht nicht nur von ethischen und zeremoniellen Pflichten. Sie enthüllt die Seele und hilft zur Erlangung von Selbstverwirklichung. Der Weise, der mit Hilfe der vedantischen Texte gelernt hat, die irrtümliche Identifikation mit dem Körper zu beseitigen, wird kein Leid erfahren. Nur der unwissende weltliche Mensch, erfährt Leid aufgrund seiner Identifikation mit dem Körper.
Die vedantischen Texte geben eine wunderbare Beschreibung der Natur Brahmans. Sie lehren, daß Brahman ewig ist, allwissend, absolut unabhängig, immer rein, frei, reines Wissen, absolute Wonne, selbstleuchtend und unteilbar. Letztendliche Befreiung wird als Frucht der Meditation über Brahman erlangt.
Wissen um die drei Zustände, Wachen, Traum und Tiefschlaf, ist für Vedanta Schüler überaus notwendig. Es helft, die Natur des vierten Zustandes zu verstehen, Turiya, der Zustand des Überbewußtseins. Für einen Vedanta Schüler ist der Wachzustand genauso unwirklich wie der Traumzustand. Der Tiefschlaf läßt ahnen, daß die Natur der höchsten Seele Wonne ist, und daß Brahman eins ist ohne ein zweites, und daß die Welt unwirklich ist. Vedantins studieren diese vier Zustände sehr sorgfältig. Sie lassen Traum- und Tiefschlafzustand nicht außer Acht, wohingegen die Wissenschafter ihre Schlüsse allein aus den Erfahrungen des Wachzustandes ziehen. So ist ihr Wissen begrenzt, unvollständig und unrichtig.
Wer über Brahman als Geist meditiert, wie in der Taittiriya Upanishad Bhrigu Valli gelehrt wird, muß alle Attribute des Geistes vergleichen, nicht nur von seinem eigenen speziellen vedischen Sakha, sondern auch von anderen Sakhas, wo Meditation über Brahman als Geist gelehrt wird. In der Meditation über Brahman als Geist dürfen keine Attribute hinzugefügt werden, die nicht zum Geist gehören, wie die der Nahrung, obwohl auch gelehrt wird, daß über Brahman ebenso als Nahrung zu meditieren ist. Tatsächlich sind nur solche Attribute aus anderen Sakhas zu ergänzen, die über das besondere Objekt der Meditation gelehrt werden, und nicht irgendwelche Attribute im allgemeinen.

Yoga Vidya | Presse | | Impressum | Datenschutz

Valid XHTML 1.0 Strict Valid CSS 1