Swami Krishnananda

Sei ehrlich zu dir selbst

Die metaphysische Psychologie des Yoga

Die erste Stufe dient dazu, um uns unserer Bedingungen und aller blockierender Verstrickungen zu entledigen. Wenn wir nicht wissen, was wir sind und worum es in der Welt geht, wie wollen wir da in dieser Welt leben? Wir begehen überall Fehler, weil wir nicht wissen, was wir wirklich sind und was die anderen Menschen sind.

Im Yogasystem der Geisteswissenschaften hat eine tiefe Analyse stattgefunden. Die Art der Eindrücke, die durch die Wahrnehmung der Objekte geschaffen wurden, versuchen im Geist unterschiedliche Färbungen. Auf dem Geist liegen nicht immer dieselben Wolken übereinander. Man kann letztendlich zwei verschiedene Arten ausmachen, von denen wir auch Kenntnis haben. Ich erwähnte bereits, dass Eindrücke mentale Prozesse verursachen, sodass wir ausnahmslos durch die ‚Wolken‘ denken, die sich auf den Geist niedergelegt haben. Was sind das für Eindrücke? Es gibt zwei Arten. Yoga Psychologen bezeichnen sie als Schmerzverursachend bzw. Nicht Schmerz verursachend. Bestimmte Eindrücke verursachen im Geist Angst und Schrecken, bereiten Qualen, Unruhe, mentale Spannungen und innere Aufruhr. Es gibt wiederum andere Eindrücke, die uns daran hindern, die Dinge zu erkennen, wie sie sind, aber nicht unbedingt Schmerzen verursachen.

Wenn ihr euch im Wald einen Baum anschaut, wird der Baum in eurem Geist geformt, doch fühlt ihr euch nicht durch den Baum berührt. Ihr fühlt durch einen Berg oder einen Fluss keine innere Erregung. „Lasst sie bleiben, wo sie sind,“ denn ihr seid nicht mit ihnen verbunden. In der Sprache der Yogapsychologen werden Eindrücke, von denen man im Augenblick nicht unmittelbar berührt ist, als aklishtavrittis bezeichnet. Eine vritti ist eine Verhaltensweise, ein Weg, auf dem der Geist arbeitet. Es ist aklishta, wenn kein klesha  im Geist erzeugt wird. 

Die schmerzfreien Eindrücke sind in der Lage, Bedingungen für die Wiedergeburt zu schaffen, wohingegen schmerzliche Eindrücke für einige Zeit Leid hervorbringen können. Uns kümmert es nicht, auf die Welt zu schauen, wie sie ist, doch wir sorgen uns sehr über alles Andere, was uns wie eine Nadel von einem Augenblick zum anderen sticht. Die aklishtavrittis steigen auf, wenn die Wahrnehmungsorgane nach außen gerichtet sind. 

Wenn wir etwas lieben oder hassen, wird dieser Prozess raga oder dvesha genannt, wobei das hassens oder liebenswerte Objekt falsch betrachtet wird, denn wir erschaffen in unserem Geist einen schmerzlichen Eindruck, weil wir die Objekte, wenn wir in Liebe oder Hass verwickelt sind, falsch beurteilen. Objekte sind nicht so beschaffen, dass sie unserer Zuneigung bedürfen; sie sind aber auch nicht so schlecht, dass wir sie hassen müssen oder uns zurückziehen sollten. Die Dinge sind weder schön, sodass wir mit unserer Betrachtung fortfahren sollten, noch sind sie hässlich, sodass wir uns abwenden sollten. Beide Neigungen bzgl. der Dinge in unserem Geist sind falsche Verhaltensweisen. Diese  vrittis sind klishta und verursachen Schmerzen.

Insoweit sind unsere Vorstellungen von den Dingen falsch. Liebe und Hass sind irrationale Vorurteile, die kaum bewiesen werden können. Da unbelegbare Eindrücke im Geist durch falsche Vorstellungen entstehen, schauen wir auf zwei unterschiedliche Weisen auf die Dinge, entweder wollen wir sie ergreifen oder sie zurückweisen. Jede Wahrnehmung in Bezug auf ein Objekt löst eine doppelte Aktivität im Geist aus: Wünschen oder ablehnen.

Vor mir sitzen aufmerksame Zuhörer, die nicht gestört werden wollen. Ihr wollt nicht durch irgendeine dahergelaufene Kuh oder einen bellenden Hund gestört werden. Ihr wollt all diese Möglichkeiten ausschließen und nur jene Bedingungen zulassen, die dem Zuhören förderlich sind. Ihr denkt im Augenblick weder an eine Kuh noch an einen Hund, doch im Unterbewusstsein ist diese Störung möglich. Ihr wollt natürlich nicht, dass so etwas geschieht. Das Verdrängen eines Gedankens an irgendetwas bedeutet nicht, dass nicht doch die Möglichkeit in unserem Inneren vorhanden ist. Das Potenzial für eine Ablehnung ist bereits im Unterbewusstsein zusammen mit einer bewussten Handlungsbereitschaft für eine entsprechende Situation vorhanden. Der bewusste Geist ist nicht der ganze Geist. Was tagsüber oder während des ganzen Lebens bewusst gedacht wird, entspricht nicht der ganzen Fähigkeit des Denkorgans. Wenn die gegenwärtige Denkphase beendet ist und danach unterbewusste Eindrücke in das Bewusstsein aufsteigen, könnt ihr über eine Sache völlig anderer Meinung sein als jetzt. Liebe und Hass sind wie Kopf und Zahl von ein und derselben Münze.

Wonach greift ihr und was lehnt ihr in eurer Meditation ab? Anfangs werden in der Meditation bestimmte Dinge beiseite geschoben, und es wird nicht zugelassen, dass sie sich in den mentalen Prozess einschleichen, doch späterhin werden auch sie in die Betrachtung einbezogen, letztendlich ist alles mit allem verbunden. 

Dieses Objekt, diese Rose vor mir, ist von roter Farbe. Der Geist hat die rote Farbe ergriffen, wobei der Geist die Rose durch ihre bestimmte Farbe erkennt. Das Rot dieses Objektes unterscheidet sich von anderen Farben, die auch auf der Welt zu finden sind. Wenn es keine anderen Farben außer Rot gäbe, könnte das rote Objekt nicht erkannt werden. Selbst wenn man etwas Bestimmtes sieht, so ist das Wissen um die Existenz dieser Sache nur möglich, wenn auch noch andere Objekte existieren, die sich von dem ersten Objekt unterscheiden. Man kann jemanden nur dann erkennen, wenn es auch noch andere Menschen gibt, die sich von dem Ersten unterscheiden; ansonsten wird dieser Jemand überall gesehen. Die unterscheidende Charakteristik des Geistes ist eine in uns stattfindende subtile Aktivität, die uns hin und wieder im Stich lässt, weil die Schöpfung letztendlich nicht gleichzeitig aus positiven und negativen Kräften besteht. Es existiert nichts, was letztendlich zu ergreifen oder abzulehnen, zu lieben oder zu hassen ist. Alles scheint überall zu sein, weil der Ort, die Charakteristik und die Handlung aller auf verschiedene Weise mit ähnlichen Prozessen aller anderen Dingen verbunden ist. 

Wir müssen uns die Einflussfaktoren aus einer unendlichen Vergangenheit und einer unendlichen Zukunft, die auf absolut derselben psychologischen menschlichen Natur lastet, ins Gedächtnis zurückrufen, denn niemand existiert wirklich ausschließlich in der Gegenwart. Alle Menschen existieren gleichzeitig in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und wir glauben im Augenblick in der Gegenwart zu sein. Wir befinden uns aber auch in der Vergangenheit und in der Zukunft, weil uns das, was wir jetzt beeinflussen, möglicherweise in der Zukunft wieder einholen wird. -  „Sei wachsam, ich komme; empfange mich in der richtigen Weise.“ Die Vergangenheit treibt uns ebenfalls – „ich bin auch hier und ihr müsst mir gegenüber eure Pflicht erfüllen.“ Wo bleibt die Gegenwart? Sie ist augenblicklich verschwunden. Die Gegenwart ist eine Illusion, ein Kreuzungspunkt in der Luft von Vergangenheit und Zukunft. 

So verhält es sich mit allen Objekten in der Welt. Die Lage eines Objektes ist nur relativ, die ebenfalls durch die Beziehungen mit anderen Dingen links und rechts, oben und unten sowie überall bestimmt wird. 

Diese Einzelheiten über das, was wir sind, was die Objekte sind und die ganze Welt ist, sind das Wesentliche der zwei Verse aus dem achten Kapitel der Bhagavad Gita, die ich gestern zitiert habe. Zu eurer Erinnerung, ich habe nur wiederholt, was ich gestern gesagt habe. An erster Stelle steht ein aksharam brahma, das Absolute. Von hier aus gibt es einen Abstieg dieses Seins in ein kosmisches Muster, adhibhuta, das Universum, das vor unseren Sinnen gegenwärtig ist. Das absolute Sein, brahma, erscheint als Göttlichkeit über allen Dingen zu stehen: Das ist adhidaiva. Das Individuum trennt sich selbst vom kosmischen Zustand und wird adhyatma, das Individuelle. Dann steigt die Notwendigkeit für adhyatma auf, um mit dem Universalen Ganzen wieder in Verbindung zu treten, von dem es getrennt wurde. Die Beziehung zwischen adhyatma und dem kosmischen aksharam, brahma, adhibhuta und adhidaiva ist das, was ich gestern als adhidharma bezeichnet habe,  das Gesetz, das die Wahrnehmung der Welt bestimmt. Adhidharma ist auch das Prinzip der Rechtschaffenheit.

Wir glauben, dass wir uns moralisch richtig verhalten, und wir nehmen auch an, als Individuen in einer harmonischen Beziehung zu dem kosmischen Ganzen zu stehen, aus dem wir hervorgegangen sind, von dem wir uns getrennt haben und mit dem wir immer eine richtige Beziehung bewahren müssen. Es ist Dharma, die Rechtschaffenheit, in der wir unseren Schöpfer gegenübertreten müssen; sei es auf der ganzen Welt oder irgendeiner Ebene. Dann gibt es adhiyajna, die Handlung, das Betätigungsfeld, in dem wir wirken. 

Der Tod ereilt den Einzelnen früher oder später. Das Endliche bedingt die Zerstörung des menschlichen Körpers, denn er ist für die universale Integrität im Sein ungeeignet, da er seine egoistische Individualität bewahrt. Die Angst eines jeden lebenden Individuums vor dem Tod ist adhimrityu. Doch es existiert auch ein Sicherheitsmechanismus: adhimoksha, das Gesetz der Freiheit. 

Die Kräfte der Schöpfung, der Evolution, der Verwicklungen, all diese Aktivitäten (mental, psychologisch, intellektuell, pädagogisch, gesellschaftlich, betrieblich, politisch usw.) sind ein Vortasten in der Dunkelheit, ein Stochern im Nebel. Wonach suchen wir eigentlich? Freiheit. Alle Dinge in der Welt, vom kleinsten Atom bis hin zum höchsten kreativen Prozess, tendieren zur absoluten Freiheit und nichts möchte durch äußere Kräfte gezügelt werden. Die absolute Freiheit wird moksha genannt. 

Wessen Freiheit? Wer strebt nach Befreiung,  die Eindrücke, die in unserem Geist erschaffen wurden, oder die äußeren Objekte? Diese Begriffe, die ich zuvor erwähnt habe, aksharam brahma usw., die ganze Bandbreite der Mechanismen muss ihre Freiheit sofort gewinnen. Moksha ist kein individuelles Privileg. Befreiung ist ein universales Ziel durch das Verstehen. Wenn wir aus dem Traum erwachen, erwacht das ganze Phänomen. Wir werden niemals begreifen, wie die ganze Welt zu moksha erwachen wird und das Endliche bleiben wird. „Ich glaube, dass viele Menschen jetzt moksha erreicht haben, doch die Welt dreht sich weiter, und wenn ich moksha erreiche, wird die Welt fortbestehen, ebenso meine Brüder usw. Wenn ich moksha erreiche, so wird dies bei ihnen nicht so geschehen.“ Dieses ist ein Irrglaube unseres Geistes. Der Geist lässt richtiges Denken nicht zu. Wenn jemand moksha erreicht, erhebt sich der ganze Kosmos. Es mag uns wundern, wie es möglich ist, dass sich bei unserer moksha der ganze Kosmos erhebt. Hier liegt der Grund.

Wir sind mit allen Dingen verbunden; wir können uns selbstständig von nichts lösen. Wenn wir uns erheben, erheben wir uns vollständig. Wenn wir andererseits auf das Vorurteil beharren, dass die Welt selbst nach moksha weiter so bestehen bleibt, denn würden wir die Welt, selbst nach unserer Befreiung, immer noch als eine Objektwelt wahrnehmen. Wenn wir aus einem Traum erwachen, denken wir nicht an unserer Brüder, die wir im Traum erlebt haben, wir können beispielsweise im Traum eine Familie gehabt haben, - doch was geschieht mit ihr, wenn wir erwachen? Sagen wir jetzt zu uns: „Warum, habe ich alle verlassen? All meine Kinder schreien in der anderen Welt, von der ich gerade gekommen bin. Ich muss mich um sie kümmern, und es ist ein großes Unglück usw. Ich bin erwacht und habe meinen gesamten Besitz und meine Verwandten hinter mich gelassen.“

Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, der nur schwer zu verstehen ist. Diese Feinheit ist nur schwer zu erfassen. Das träumende Individuum nimmt mit seinem gesamten Umfeld den ganzen Geist ein. Genauso wird der ganze Kosmos in den kosmischen Geist ausgerollt, den wir in moksha, der universalen Befreiung des Bewusstseins, betreten. 

Manchmal taucht bei den Menschen ein dummer Gedanke auf: „Was ist gut daran, wenn ich moksha erreiche, während all die anderen Menschen weiter leiden? Lass mich warten, bis auch die Anderen moksha erreichen.“ Die ‚anderen‘ Dinge oder Menschen gibt es nicht. Sie sind genauso vorhanden und ebenso wichtig wie unsere Brüder im Traum. Alles erhebt sich als ein einziger See des Seins. Wenn sich das Ganze nicht erhebt, kann sich auch nicht der / das Einzelne erheben. Es gibt kein Teilmoksha; sie ist vollkommen oder sie findet nicht statt.

Wenn dieses die Welt ist, in der wir leben, und wenn wir uns genug Zeit genommen haben, ehrlich und leidenschaftslos etwas über uns selbst in einer Weise zu erfahren, die sich von unserem bisherigen Denken über uns und die Welt unterscheidet, bekommen wir ein Gefühl der Überzeugung, dass wir unseren falschen Denkansatz ein wenig bereinigt haben und auf dem Weg zu einer besseren Denkweise sind.

Ich bin weder so, wie ich zu sein scheine, noch seid ihr so, wie ihr zu sein scheint. Ich unterscheide mich sehr von dem, wie ich vor euren Augen zu sein scheine, und ihr unterscheidet euch ebenso sehr von dem, wie ihr im Allgemeinen wahrgenommen werdet. Die Welt ist auch sehr verschieden von dem, wie sie auszuschauen scheint. Sie ist völlig anders und unterscheidet sich von dem, was wir sehen. Der Vorhang muss gehoben werden. Der verdeckende Schleier muss zerrissen werden, und wir müssen das Objekt als solches in der Meditation sehen und nicht so, wie es von unseren Sinnen wahrgenommen wird.

Die Erscheinung der Objekte, die sich von den wirklichen Objekten unterscheidet, muss in der Meditation unter die Lupe genommen werden. Die Meditation auf ein Objekt ist keine Meditation auf ein Objekt, wie es von den Sinnen wahrgenommen wird; sonst wäre es eine Meditation auf eine Illusion. Wir müssen die Objekte in ihrer Wurzel, so wie sie sind, erfassen. Wenn wir nach einer Einheit mit Objekten streben, dann müssen wir aufrichtig vertraut mit ihnen sein. Wie kann ich freundlich zu euch sein, wenn ich euch nicht wirklich verstehe? Wenn ich euch nur oberflächlich kenne, so ist mein Verständnis nur oberflächlich und auch meine Freundschaft zu euch nur dementsprechend oberflächlich

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