Tägliche
Inspiration aus der Feder Swami Sivanandas für den 30. Dezember
WIE EIN WEISER DIE WELT SIEHT
Ein Mensch, der bis zum Hals im Wasser steht,
erfährt zweierlei:
Sein Kopf ist der Sonne ausgesetzt. Er erfährt
Hitze und Kälte. Solcherart
ist die Erfahrung eines befreiten Weisen. Er
hat ein doppeltes Bewusstsein.
Er erfreut sich an der Glückseligkeit von
Brahman, aber erfährt auch die
Welt. Er ist wie ein Mensch, der zwei Sprachen
kennt.
So wie der Topf, in dem Asafoetida (ein indisches
Gewürz; d.Ü.) oder Zwiebeln
aufbewahrt wurden, selbst dann noch etwas Geruch
bewahrt, nachdem er mehrfach
gereinigt wurde, so verbleibt auch noch ein kleiner
Überrest an Unwissenheit
im Geist eines Weisen. Der jivanmukta (befreite
Weise) hat Körpererfahrungen
in der Form von Eindrücken im Unterbewusstsein.
Das ist der Grund, warum er
isst und trinkt. Obwohl der instinktive Geist
mit den niederen Bedürfnissen
zerstört ist, stirbt der reine Geist des
befreiten Weisen nicht. Wie könnte
er sich selbst ohne ein Werkzeug, das heißt,
den Geist, mit weltlichen
Handlungen befassen?
Das Universum der Phänomene verschwindet
nicht aus der Sicht des befreiten
Weisen. Er sieht die Welt als einen Traum innerhalb
von ihm selbst. Ebenso
wie die Fata Morgana selbst dann noch erscheint,
nachdem die täuschende Natur
des Wassers erkannt wurde, so erscheint die Welt
dem jivanmukta auch dann
noch, nachdem er Selbstverwirklichung erlangte,
obwohl er die trügerische
Natur der Welt klar verstanden hat. Aber sowenig
wie der Mensch, der die
täuschende Natur der Fata Morgana erkannt
hat, auf sie zurennt, um Wasser zu
trinken, sowenig wird der Weise, der befreit
ist, den Sinnesobjekten
nachjagen wie weltlich gesinnte Leute, obwohl
die Welt auch ihm erscheint.
Das ist der Unterschied zwischen einem weltlichen
Menschen und einem
befreiten Weisen.
Der jivanmukta erblickt die eine Wirklichkeit
oder Gott überall und in allen
Dingen. Für ihn gibt es keinen Unterschied
zwischen einem Verbrecher und
einem Heiligen, Gold und Steinen, Ehre oder Unehre.
Er fühlt wirklich, dass
alles nur er selber ist - dass Schlangen, Skorpione,
Tiger, Bären und Löwen
genauso ein Teil von ihm selbst sind wie seine
eigenen Augen, Nase, Ohren,
Hände und Füße. Er ist eins mit
der Blume, der Sonne, dem Äther, dem Meer,
den Bergen und dem Himmel. Er hat eine kosmische
Schau und kosmische Gefühle.