Kapitel 1, Vers 1

Deutsche Übersetzung:

Jetzt wird Yoga erklärt

Sanskrit Text:

atha yoga-anuśāsanam ॥1॥

अथ योगानुशासनम् ॥१॥

Atha yoganushasanam ॥1॥

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • atha = jetzt, nun
  • Yoga = Yoga, Einheit, Vereinigung
  • anuśāsana = Erklärung, Auslegung

 

Kommentar

Yoga geschieht immer im Jetzt. Jetzt wollen wir üben. Jetzt ist der richtige Moment. Wenn du mal dazu neigst, etwas aufzuschieben, kannst du dir selbst sagen: „atha“, jetzt, nicht morgen. Jetzt wird Yoga erklärt und praktiziert.

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Kapitel 1, Vers 2

Deutsche Übersetzung:

Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geist.

Sanskrit Text:

yogaś-citta-vṛtti-nirodhaḥ ||2||

योगश्चित्तवृत्तिनिरोधः ॥२॥

yogash chitta vritti nirodhah ||2||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • yoga = Yoga
  • citta = Geist, Verstand, Denksubstanz
  • vṛtti = Gedanken(welle)
  • nirodhaḥ = Aufhören, zur Ruhe kommen, Beherrschung

 

Kommentar

Der Geist ist wie das Wasser in einem See, auf dessen Grund ein Schatz ruht. Wenn das Wasser sich bewegt, entstehen Wellen, und wir können nicht auf den Grund schauen, um diesen Schatz zu sehen.

Nirodhah ist das Zur-Ruhe-Kommen des Geistes, was als einer der fünf Grundzustände [Anm.: Ich folge hier insbesondere bei „vikshipta“=“sammelnd“ den Kommentaren von Swami Vishnu-devananda und Swami Vivekananda. In manchen anderen Kommentaren wird vikshipta als „verwirrt, zerstreut“ übersetzt. Was im Folgenden als viksipta bezeichnet ist, würde in anderen Kommentaren der ersten (unteren) Stufe von ekagrata entsprechen. Was in diesem Text als ekagrata bezeichnet ist, entspricht der höchsten Form von ekagrata. Diese Unterschiede in der Interpretation ändern jedoch nichts an der praktischen Anwendbarkeit]  des Geistes gilt.

Um es mit dem Seevergleich auszudrücken:

Im mudha-Zustand ist das Wasser völlig verschmutzt. Man sieht gar nichts von dem Schatz, der unten liegt. Wir sind gar nicht bei unserem Selbst, sondern sehr weit davon entfernt. Das führt zu Traurigkeit, Verzweiflung, Depression. Es dominieren Gedanken und Gefühle wie „Ich kann nicht“, „Ich will nicht“, „Keiner mag mich“, „Alles hat keinen Sinn“. Man hat nur noch den Wunsch, sich in ein Mauseloch zu verkriechen, entweder für alle Ewigkeit oder mindestens so lange, bis es wieder besser wird. Das ist mudha.

Kshipta, der zerstreute Zustand, ist, wenn man ständig an etwas anderes denkt und alles vergißt, was wichtig ist. Man möchte dann zum Beispiel gleichzeitig Wäsche aufhängen, mit dem Kind spielen, Yoga praktizieren, dazwischen nach dem Essen schauen, lesen, fernsehen, jemanden anrufen… und inzwischen springt die Katze in die Wäsche, und das Kind schreit.

Vikshipta ist das Bemühen um Konzentration. Nehmen wir als Beispiel diesen Text. Folgt man ihm gar nicht, ist es mudha. Denkt man dabei dauernd an alles mögliche andere, dann ist es kshipta. Bemühen man sich, dem Inhalt zu folgen und es taucht nur ab und zu ein anderer Gedanken auf, dann ist es vikshipta.

Und wenn man vollkommen konzentriert ist, ohne irgendeinen anderen Gedanken zu haben und ohne sich selbst noch zu spüren, dann ist es ekagrata, Einpünktigkeit, das, was die Psychologie heute als „Flow“-Erfahrung bezeichnet. Man ist voll konzentriert, man fließt mit, es fließt einfach, das Ego spielt keine Rolle. Es ist mir bei Swami Vishnus Vorträgen oft so gegangen, daß ich sie inhaltlich einfach aufgenommen habe, die einzelnen Worte waren ganz unwichtig, es kam einfach so, es war ein Fluß von Weisheit und Liebe. Das kann bei allen möglichen Tätigkeiten passieren, zum Beispiel beim Mantra Singen. Nicht mehr ich singe, sondern es geschieht einfach. Manche erleben es am Computer, Handwerker erfahren es bei der Arbeit, Köche beim Kochen. Ekagrata tritt immer dann ein, wenn es kein Bemühen um Konzentration gibt, sondern wenn sie einfach geschieht.

Schließlich folgt nirodha, wo es gar keinen Gedanken mehr gibt.

Das erste Kapitel spricht dann noch verschiedene Stufen von ekagrata an, also wie wir uns voll konzentrieren können und welche Erfahrungen dabei kommen. Im täglichen Leben ist ekagrata eine Folge von vikshipta, des Bemühens um Konzentration. Und zwar führt entspanntes, absichtsloses vikshipta zu ekagrata. Wenn man achtsam und ganz losgelöst ist, wird man plötzlich ganz konzentriert.

Dieses Modell hilft, sich mit gewissen Gemütszuständen weniger zu identifizieren. Wenn man zum Beispiel sagt: „Ach, ich bin heute so kaputt!“ oder „Ich bin so deprimiert!“, „Mir geht es wieder so schlecht!“, dann klingt das schon sehr vernichtend. Schon allein der Gedanke daran macht einen noch deprimierter oder läßt es einem noch schlechter gehen. Sagt man aber „Mein chitta ist in kshipta“, dann ist das nicht so tragisch. Nicht „Ich bin deprimiert“, sondern „Mein chitta ist in mudha“ – und dann kann ich ja etwas daran ändern, kann überlegen, was hilft, aus diesem mudha-Zustand heraus in kshipta zu kommen und aus kshipta in vikshipta. Um das zu trainieren und dir bewußt zu machen, kannst du mal als Übung eine oder zwei Wochen lang ein Tagebuch führen, in dem du aufschreibst: Wie lange war ich jeden Tag in mudha, wie lange in kshipta, in vikshipta u.s.w.? Wer oder was hat die Übergänge erzeugt?

Wie kann man sich nun von einem Zustand in den anderen versetzen? Das ist individuell und je nach Situation verschieden. Manchmal geschieht es automatisch durch äußere Einflüsse. Angenommen, man fühlt sich schlecht, und jemand klopft einem plötzlich auf die Schulter, und sagt: „Was du da gestern gemacht hast, das war ja richtig toll!“, dann wird man meist aus mudha herausgehoben. Manchmal ist man aber so tief verstrickt, daß selbst das nichts nützt. Manchmal führt auch äußerer Druck aus mudha heraus, zum Beispiel, wenn man sehr viel zu tun hat und keine Zeit bleibt, sich selbst zu bemitleiden.

Es gibt drei Ursachen, warum man sich schlecht fühlen kann oder in den mudha-Zustand hineinkommt: Es kann ein äußerer Grund sein, ein innerer Rhythmus, oder es geschieht einfach ohne erkennbaren Anlaß.

Eine wichtige Aufgabe eines Aspiranten (Yogaschüler, jemand, der auf dem spirituellen Weg ist) liegt darin, dafür zu sorgen, nicht zu lange in mudha und kshipta zu bleiben. Das hängt von einer gewissen Grundzusammensetzung unseres Unterbewußtseins ab. Wenn viel tamas (Trägheit, Dunkelheit) im Unterbewußtsein ist, ist man relativ viel in mudha. Herrscht rajas (Aktivität) vor, ist man relativ viel in kshipta. Wenn sattva (Reinheit) überwiegt, ist man eher in vikshipta und auch in ekagrata. Wenn man sich nicht bemüht und an sich arbeitet, bleibt der Grundzustand im Leben relativ konstant. Menschen haben unabhängig von äußeren Veränderungen einen gewissen Glückslevel; das hat auch die moderne Psychologie festgestellt. Bei einer vollkommenen Veränderung im Leben wird man ein paar Monate lang durcheinandergeschüttelt, dann pendelt sich der innere Gemütszustand wie vorher ein. Die Vorstellung, durch die Veränderung äußerer Umstände glücklich zu werden, stimmt also nicht so ganz. Äußere Veränderungen können eine Hilfe sein, damit wir besser an der inneren Transformation arbeiten können. Das kann dann auch sehr schnell gehen, denn wir arbeiten im Yoga auf mehreren Ebenen, um auch innerlich etwas zu verändern. Auch die verschiedenen asana– und pranayama-Praktiken erhöhen sattva in uns. Ist mehr sattva und mehr Energie da, fällt es leichter, in vikshipta oder ekagrata zu kommen und zu bleiben. Auch Meditieren und Mantrasingen sind Gelegenheiten, mehr sattva zu schaffen.

Wenn du mal in einer depressiven Stimmung bist, kannst du überlegen, was du konkret tun kannst. Je nach Situation kann die Antwort heißen, einfach mal entspannen oder dich mit etwas Bestimmtem beschäftigen, dich reinigen oder ein paar Runden pranayama machen. Manchmal reicht es auch aus, dem Geist zu sagen: „Das ist jetzt eine Depression, die will ich nicht“ und den Geist davon abzubringen, das heißt also, Nicht-Identifikation und Umschalten.

Wenn man zerstreut ist, wenn der Geist unruhig ist und vieles gleichzeitig machen will, dann hilft es manchmal, aufzuschreiben, was alles zu tun ist, Prioritäten zu setzen und dann eins nach dem anderen zu erledigen.

Es gibt verschiedene Gründe, warum der See in Bewegung kommen kann:

Der Wind, der bläst und das chitta durcheinanderbringt, ist letztlich unser prana (Lebensenergie). Ist das prana unruhig, wird auch das chitta unruhig.

Der zweite Grund sind Boote auf dem See, also äußere Ereignisse, die Unruhe erzeugen.

Fische bewegen sich von unten herauf, das sind Eindrücke aus dem Unterbewußtsein, die an die Oberfläche kommen und den See aufwühlen.

Wenn man die Gründe für die Bewegung ausschaltet, also nicht mehr so zwanghaft auf äußere Ereignisse reagiert, wenn man sein Unterbewußtsein langsam reinigt – das ist ein langanhaltender Prozeß –, und sein prana harmonischer macht, wird der See langsam ruhiger. Dann kommt man öfter zu vikshipta und ekagrata, dann allmählich zu nirodhah und schließlich auch zu „tadâ drashtuh swarûpe ´vasthânam“, wo „der Sehende in seinem wahren Wesen ruht“. – Aber bis dahin dauert es eine Weile!

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Kapitel 1, Vers 3

Deutsche Übersetzung:

Dann ruht der Wahrnehmende (Sehende) in seinem wahren Wesen.

Sanskrit Text:

tadā draṣṭuḥ svarūpe-‚vasthānam||3||

तदा द्रष्टुः स्वरूपेऽवस्थानम् ॥३॥

tada drashtuh svarupe ‚vasthanam ||3||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tadā = dann
  • draṣṭuḥ = der Sehende, der Wahrnehmende
  • sva = eigen
  • rūpa = eigene Natur, wahres Wesen
  • svarūpe = in der eigenen Form, eigene Natur, wahres Wesen, wahren Natur
  • avasthānam = Wohnsitz, Ruhestelle, Niederlassung, Bleibe, ruhen in, erkennen

 

Kommentar

Sind die Gedanken, die vrittis, ruhig, dann ruht man in seinem wahren Wesen, in der eigentlichen Natur. Wir sind nicht der Geist, wir sind nicht die Gedanken, wir sind reines Bewußtsein, Bewußtsein jenseits der Gedanken, was als sat-chit-ananda, Sein-Wissen-Glückseligkeit, erfahrbar ist.

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Kapitel 1, Vers 4

Deutsche Übersetzung:

In allen anderen Zuständen (als nirodha), identifiziert sich der Wahrnehmende mit seinen Gedanken.

Sanskrit Text:

vṛtti sārūpyam-itaratra||4||

वृत्ति सारूप्यमितरत्र ॥४॥

vritti sarupyam itaratra ||4||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • vṛtti = Wellen, Veränderungen, Gedankenwelle, Trübungen
  • sā = ähnlich
  • rūpyam = Form
  • sārūpyam = ähnliche Form
  • itara = anders, verschieden
  • itaratra = in anderen Zuständen, ansonsten

 

Kommentar

In allen anderen Gemütszuständen außer nirodha identifiziert sich der Wahrnehmende mit seinen vrittis (Gedanken). Je mehr man sich mit den Gedanken identifiziert, um so stärker werden sie. Wenn man sich weniger auf die Gedanken einläßt, verschwinden sie auch leichter wieder. Wenn ein Gedanke kommt und man wenig mit ihm anfangen kann, dann ist er schnell wieder weg. Wenn aber ein Gedanke auftaucht, mit dem man sich sofort identifiziert, dann wird er sehr stark. Trotzdem sagt Patanjali, eine gewisse Identifikation sei immer da, sowie man anfängt zu denken. Ohne Identifikation gäbe es keine Gedanken und ohne Gedanken keine Identifikation.

Bis jetzt hat Patanjali darüber gesprochen, was Yoga ist und welche Konsequenzen es hat, wenn wir nicht in nirodhah sind. Im folgenden beschreibt er die verschiedenen Formen von vrittis.

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Kapitel 1, Vers 5

Deutsche Übersetzung:

Es gibt fünf Arten von Gedankenwellen. Einige davon sind schmerzhaft, andere nicht.

Sanskrit Text:

vṛttayaḥ pañcatayyaḥ kliṣṭākliṣṭāḥ ||5||

वृत्तयः पञ्चतय्यः क्लिष्टाक्लिष्टाः ॥५॥

vrittayah panchatayyah klishtaklishtah ||5||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • vṛttayaḥ = Trübungen, Wellen, Gedankenwellen, Vorurteile
  • pañcatayyaḥ = fünffältig, von fünffacher Natur
  • kliṣṭa = beschwerlich, schmerzvoll, leidvoll, unangenehm
  • akliṣṭaḥ = unbeschwerlich, nicht schmerzhaft, angenehm

 

Kommentar

Alle Gedanken sind entweder klishtâh, schmerzhaft, oder aklishtâh, nicht schmerzhaft. Er erwähnt also keine freudvollen Gedanken. Freude, ananda, ist nur im Selbst. Die Gedanken an sich sind nicht freudvoll. Wenn Patanjali von Gedanken spricht, beinhaltet das immer auch die Emotion. Vritti ist Gedanke einschließlich Worte, Bilder und Gefühle. Gedanken und Emotionen sind zwei Aspekte von vritti, die nicht so unterschiedlich sind, wie es von manchen westlichen Psychologen angenommen wird. Wenn ich zum Beispiel „Baum“ sage oder denke, ist das mit bestimmten Gefühlen verbunden. Wenn ich „Panzer“ sage, fühlt sich das ganz anders an, und „Maikäfer“ gibt wieder einen ganz anderen Eindruck. Es gibt keine Gedanken, die gänzlich vom Gefühl losgelöst sind. Mit Worten und Bildern kann man Gefühle hervorrufen, die man nicht in Worte fassen kann. Grundsätzlich sind immer alle drei Aspekte vorhanden. Manchmal weiß man nicht, was zuerst da ist. Man kann Worte sagen oder denken, beispielsweise Affirmationen, was zu Bildern und Gefühlen führen kann. Oder ein Gefühl kommt auf, das bestimmte Bilder erzeugt, die wiederum mit Worten verbunden sind.

Man kann hier drei Menschentypen unterscheiden. Der Typ eins denkt in Worten; ihm fällt es leicht, Affirmationen zu wiederholen oder logisch nachzudenken (Worte). Der zweite Typ denkt in Bildern; ihm fällt es leicht etwas zu visualisieren. Der dritte fühlt vor allem; er kann sich zum Beispiel leicht auf das Herz oder eine andere Körperregion konzentrieren. Dies merkt man auch im Sprachgebrauch: „Das fühle ich halt, ich kann es nicht in Worte fassen.“, „Siehst du das denn nicht ein?“ „Das klingt gut, oder?“ Bei manchen Menschen haben alle drei Anteile gleiches Gewicht oder auch nur zwei davon.

Alle Meditations-, Entspannungs- und Energielenkungstechniken arbeiten mit einem oder mehreren dieser drei Gedankenaspekte. Es gibt zum Beispiel Entspannungstechniken, die mehr über Worte funktionieren („Ich entspanne meine Füße …“), über Bilder (Traumreisen) oder rein über das Fühlen (in die verschiedenen Körperteile hineinfühlen). Meditationstechniken arbeiten mit Worten (vor allem mantras), Bildern (sich Shiva, Krishna, Jesus, das Symbol für om oder yantras vorstellen) und dem Gespür (ins Herz oder in den Punkt zwischen den Augenbrauen hineinfühlen). Meistens macht man Kombinationen, um den Geist als Ganzes anzusprechen.

Vritti schließt also alle drei, Wortgedanken, Bildgedanken und Gefühle ein. Und weil eben die Gefühle mit eingeschlossen sind, kann man sagen, Gedanken sind entweder schmerzvoll oder nicht. Wenn der Gedanke die Freude des Selbst nicht widerspiegelt, kann er schmerzhaft sein. Ist ein Gedanke schön, erhaben, freudvoll, dann ist er Spiegel unseres eigenen Selbst.

Nagt ein Hund an einem Knochen, der nicht ganz glatt ist, verletzt er sich die Zunge und blutet. Da er Blut liebt, leckt er noch mehr und je länger er leckt, desto besser schmeckt es ihm, weil er immer mehr Blut bekommt. Er denkt, es ist der Knochen, der ihm schmeckt, aber in Wirklichkeit kommt der Genuß von seiner eigenen Zunge. Ähnlich ist es bei uns. Wir denken, wir erhalten Freude von äußeren Objekten, aber in Wahrheit kommt die Freude nur aus uns selbst heraus.

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von der Frau, die einen wertvollen Ring von ihrem Mann geschenkt bekommt, den sie sich schon lange gewünscht hat und der ihr immer besonders gut gefallen hat. Warum ist die Frau in dem Moment glücklich, wo sie das Geschenk auspackt und den Ring sieht? Nicht wegen des Rings an sich – sonst bräuchte sie künftig nur noch den Ring zu tragen und ihn anzuschauen, um immer glücklich zu sein. Auch nicht, weil der Mann an sie gedacht hat („Er liebt mich ja so…!“), denn sonst bräuchte sie ja nur immer mit ihm zusammen sein. Natürlich ist sie auch darüber glücklich, denn es nimmt ihre Ängste und befriedigt ihr Bedürfnis nach Liebe. Aber das allein ist es nicht. In Wirklichkeit ist sie glücklich, weil ihr Wunsch erfüllt ist. Und weil ein großer Wunsch erfüllt ist, sind im Moment keine anderen Wünsche da, und sie kommt zur Ruhe. Die anderen vrittis kommen weitgehend zum Stillstand, so daß die Freude des wahren Selbst durchscheinen kann. Weil wenig Gedanken da sind, strahlt das Glück des Selbst heraus. Und das Selbst ist sat-chit-ananda, Sein, Wissen und Glückseligkeit, wobei in ananda (Wonne) immer auch prema (Liebe) enthalten ist. Also auch scheinbar weltliches Glück kommt in Wahrheit vom Selbst. Aber da man es den Objekten zuschreibt, die vergänglich sind, erscheint das Glück vergänglich. Wenn wir dagegen direkt zu purusha, zum innersten Selbst kommen, ist das Glück dauerhaft.

Man kommt mit einer gewissen Zusammensetzung der vrittis, mit einem bestimmten Temperament, zur Welt, aber man kann daran arbeiten, das zu verändern. Das Grundtemperament kann man schon beim Baby erkennen. Gewisse Dinge sind angeboren, und vieles wird durch Erziehung und Erfahrung geprägt. Und nicht nur dieses Leben, sondern auch frühere Leben haben uns geprägt. Aber im Raja Yoga wollen wir etwas verändern. Man muß nur wissen, daß bestimmte Veränderungen länger dauern. Manches geht gerade am Anfang sehr schnell, wenn im früheren Leben schon etwas in dieser Richtung vorhanden war. Kommt man in diesem Leben wieder ins Yoga hinein, können Veränderungen sehr schnell und sehr gründlich eintreten. Der Fortschritt wird bedächtiger, langsamer, wenn man an den Punkt kommt, den man in früheren Leben erreicht hatte.

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Kapitel 1, Vers 6

Deutsche Übersetzung:

Die fünf Arten von Gedankenwellen sind korrektes Wissen, Irrtum, Einbildung, Schlaf und Erinnerung.

Sanskrit Text:

pramāṇa viparyaya vikalpa nidrā smṛtayaḥ ||6||

प्रमाण विपर्यय विकल्प निद्रा स्मृतयः ॥६॥

pramana viparyaya vikalpa nidra smritayah ||6||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • viparyaya = falsches Wissen, Irrtum
  • pramāṇa = rechtes Wissen
  • vikalpa = Einbildung, falsche Vorstellung, „Wortirrtum“
  • nidrā = Schlaf
  • smṛti = Erinnerung

 

Kapitel 1, Vers 7

Deutsche Übersetzung:

Direkte Wahrnehmung, Schlußfolgerung und Aussagen anderer führen zu rechtem Wissen.

Sanskrit Text:

pratyakṣa-anumāna-āgamāḥ pramāṇāni ||7||

रत्यक्षानुमानागमाः प्रमाणानि ॥७॥

pratyaksha anumana agamah pramanani ||7||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • pratyakṣā = direkte Wahrnehmung
  • anumāna = Schlußfolgerung
  • āgamaḥ = Zeugnis, Überlieferung, Aussage anderer, Schriftwissen
  • pramāṇa = Gegenständliche Wahrnehmung, richtige Wahrnehmung, richtiges Wissen

 

Kommentar

Schauen wir zuerst das korrekte Wissen an. Dazu will ich zunächst auf die Theorie des Geistes in seinen vier verschiedenen Aspekten eingehen.

Der Geist als Ganzes wird in der vedanta-Philosophie als antarkarana bezeichnet, als inneres Instrument (karana = Werkzeug, Instrument, Ursache; antar = innen), im Unterschied zum bahirkarana, dem äußeren Instrument. Das ist der Körper. Beide sind nicht unser Selbst, sondern nur Instrumente – sehr wertvolle Instrumente, aber eben nur Instrumente; wir sind nicht der Körper und nicht der Geist. Das muß man sich immer wieder vor Augen führen im täglichen Leben. Körper und Geist sind meine Instrumente, um mich auszudrücken, um Erfahrung zu sammeln, um die göttliche Energie durchzulassen und zu erfahren.

Der antarkarana besteht aus vier Teilen:

Chitta im engeren Sinne (im vedanta-System) bezieht sich nur auf das Unterbewußtsein. In einem weiteren Sinn (im samkhya-System) ist chitta der ganze Geist, entspricht also dem antarkarana. In „yogash chitta vritti nirodhah“ = „Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der Gedanken im Geist“ ist mit chitta der gesamte Geistkomplex gemeint. Aber im Zusammenhang mit dem antarkarana-Modell steht chitta nur für das Unterbewußtsein.

Manas ist das Denkprinzip an sich.

Buddhi ist sehr schwer zu übersetzen, am ehesten mit Vernunft.

Ahamkara ist das Ego, die Ursache des „Ich bin“, der Identifikation.

Unser normales Wissen ist geprägt durch diese vier Bestandteile des Geistes.

Die Sinnesorgane oder Organe des Wissens, die jnana indriyas, wirken durch Sinneswahrnehmungen auf manas ein. So funktioniert z.B. das Sehen: Schwingungen kommen auf die Augen. Die Pupille dreht alles um, verkleinert es, projiziert es auf die Netzhaut, in der Netzhaut wird es umgewandelt, in elektrische Ströme umgesetzt. Diese werden durch den Sehnerv auf das Gehirn projiziert, dann entstehen im Sehnerv nochmals andere elektrische Ströme, die im manas in ein Bild umgewandelt werden. Wie der Prozeß, durch den diese elektrischen Impulse als Bild wahrgenommen werden, genau abläuft, kann die moderne Wahrnehmungspsychologie bis heute nicht erklären. Yogis würden sagen, das geschieht auch nicht mehr im physischen Körper, sondern im Astralkörper, denn Bilder spielen sich auf der Astralebene ab, sind eine Funktion von manas.

Anschließend geht manas ins Unterbewußtsein und fragt: „Was ist das?“ Chitta, das Unterbewußtsein bringt alle möglichen Vorstellungen hoch, die dem Gesehenen entsprechen könnten. Dann tritt buddhi, das Urteilsvermögen, die Vernunft, in Aktion und sagt: „Ja, das ist dieses oder jenes bzw. dies könnte es sein.“ oder „Nicht genügend Information.“ Dann kommt das ahamkara, das Ego und sagt: „Ich weiß, das ist DAS“. Man identifiziert sich damit und wenn man darin bestätigt wird, freut man sich.

Es kann aber auch falsch sein, denn die Sinne können uns täuschen, wie wir das zum Beispiel von optischen Täuschungen her kennen:

>———<  >———<

Der rechte Strich sieht länger aus. Da wir aber wissen, daß die Striche genau gleich lang sind, wird unser buddhi, die Vernunft, in diesem Fall sagen, das kann nicht sein, beide Striche müssen gleich lang sein. Ein anderes Beispiel ist die Perspektive in der Malerei.

Unser Wissen kann uns täuschen, nicht nur durch die Sinneswahrnehmungen, sondern auch durch die Interpretationen, die wir hineinlegen. Menschen interpretieren ununterbrochen. Wenn zum Beispiel jemand einmal nachdenklich ist und deshalb nicht grüßt, denkt man vielleicht: „Er hat etwas gegen mich, was habe ich falsch gemacht?“ u.s.w. Oder jemand hat sich über irgend etwas geärgert, und viele Menschen beziehen das sofort auf sich, interpretieren den Gesichtsausdruck, den Ton etc. Jemand ist gestreßt und daher im Moment für unsere Begriffe nicht freundlich genug, und sofort haben wir das Gefühl, er spiele Machtspielchen oder so ähnlich. Das kommt, wenn man alles auf sich selbst bezieht, und hängt auch mit dem eigenen Selbstbewußtsein, dem Selbstwertgefühl und dem eigenen Gemütszustand zusammen. Das Ego braucht Bestätigung. Wenn es sehr schwach ist, sucht es ständig Bestätigung von außen. Wenn es diese Bestätigung nicht findet, fühlt es sich unsicher. Man kann jetzt natürlich daran arbeiten, sein Selbstwertgefühl zu stärken. Eine andere Möglichkeit ist, weiterzugehen und zu versuchen, die Verbindung zu Gott oder zum eigenen Selbst aufzubauen. Dann können wir lernen, gleichmütig zu bleiben, auch wenn die Dinge äußerlich gerade nicht so schön sind oder nicht optimal laufen. Gott ist immer gleich und beständig.

Wir müssen uns immer bewußt machen, daß unser Geist uns täuscht. Swami Vishnu hat gerne gesagt: „Never trust your mind“ (Traue nie deinem Geist!) oder „Mind your mind“ (Achte auf deinen Geist!). Oft hält man einen auftauchenden Gedanken zu schnell für richtig. Von vielen Menschen in der spirituellen Szene hört man häufig, man müsse auf die innere Stimme hören – was in der Tat sehr wichtig ist. Aber man muß aufpassen, denn diese innere Stimme kann einen auch täuschen. Wenn sie rein ist, ist sie das Richtige. Sie kann jedoch auch falsch interpretiert oder mit einer Emotion verwechselt werden. Das ist nicht so leicht auseinanderzuhalten.

Beim korrekten Wissen können wir drei verschiedene Formen unterscheiden:

Die direkte Wahrnehmung durch die jnana indriyas, die Sinnes- und Wahrnehmungsorgane, Schlußfolgerung über den Intellekt und Aussagen anderer.

Aus welcher dieser drei Quellen stammt wohl der größte Teil unseres Wissens?

Der größte Teil unseres Wissens stammt aus Aussagen anderer, die man dann noch nachzuvollziehen versucht. Aber vieles übernimmt man aus zweiter Hand, ohne es selbst wirklich nachzuprüfen oder auch nachprüfen zu können. Woher wissen wir zum Beispiel, daß die Erde rund ist, wieviel Einwohner unser Wohnort oder unser Land hat, wie der Körper funktioniert, wie das Herz genau arbeitet u.s.w.? Wir haben es irgendwo gehört oder gelesen, versucht, es durch Wahrnehmung und logische Schlußfolgerung nachzuvollziehen. Aber selbst um die Erde geflogen sind wir nicht und haben auch nicht selbst den Brustkorb aufgeschnitten und versucht, das Herz zu untersuchen – und selbst wenn, wäre die Erkenntnis wahrscheinlich nicht sehr brauchbar.

Aussagen anderer können natürlich auch eine Quelle inkorrekten Wissens sein. Ebenso kann unsere Schlußfolgerung falsch sein. Man kann auf falsche Weise intellektuelle Schlüsse ziehen oder man kann jemandem trauen, der etwas Unwahres sagt.

Und gerade auf dem spirituellen Weg erfahren wir vor allem am Anfang das meiste durch Aussagen anderer, also von spirituellen Meistern, deren Schülern oder aus Büchern. Aus logischer Schlußfolgerung oder direkter Wahrnehmung herauszubekommen, wie die asanas gehen, ist nicht möglich. Dazu müßte man schon selbstverwirklicht sein, so daß sie von alleine aus einem herauskommen. Aber im Normalfall geht man in eine Yogastunde und bekommt die asanas erklärt, in welcher Reihenfolge sie zu üben, wie lange sie zu halten sind und worauf zu achten ist – und das ist zunächst einmal eine Zeugenaussage und Beobachtung. Dann übt man selbst und das führt natürlich zu eigener Erfahrung, so daß eine direkte Wahrnehmung hinzukommt. Man stellt fest: „Das tut mir gut.“ Und dann kommt vielleicht noch die Schlußfolgerung dazu: „Das tut mir gut, also muß der Yogalehrer irgendwie Recht haben und in Ordnung sein.“

Den größten Teil des Wissens auf dem spirituellen Weg bekommen wir von großen Meistern und manchmal auch von weniger großen Meistern, also über mehr oder weniger kompetente Aussagen anderer. Dabei muß man besonders aufpassen, wem man traut. Das ist einer der Gründe, warum Spiritualität manchmal in Verruf kommt. Es gibt genügend Leute, die das Vertrauen der Schüler ausnutzen und mißbrauchen – man denke zum Beispiel an die Massenselbstmorde einiger Gemeinschaften in Amerika oder die Giftgasanschläge in Japan vor einiger Zeit. Diese Leute sind von ihren Ideen überzeugt. Ob der Meister jeweils davon überzeugt ist, weiß man nicht. Er kann bewußt verführen oder eine Wahrnehmungsverzerrung haben. Und weil es schon immer Pseudomeister gegeben hat, geben die Yogis Kriterien an, die man prüfen und beachten muß, bevor man einen Meister annimmt. Und je höher der Anspruch des Meisters – also wenn er von sich sagt, er sei selbstverwirklicht –, desto höher muß man die Meßlatte anlegen. Umgekehrt, wenn ein Meister die Selbstverwirklichung erreicht hat, dann verlangt er von seinen Schülern mit Recht bedingungslosen Gehorsam. Wenn er sich dagegen selbst auch nur als einfacher Aspirant auf dem Weg bezeichnet, kann man ihm einige Fehler durchgehen lassen. Dabei muß der Schüler auch immer überlegen, was von dem Gesagten tatsächlich Weisheit ist und was auf Unvollkommenheit und menschlichen Irrtum des Lehrers zurückzuführen ist.

In jedem Fall, auch bei denjenigen, von denen es heißt, sie seien selbstverwirklicht, muß man Prüfungen anwenden. Man weiß es zwar nie ganz genau, denn es heißt „It takes one to know one“, man muß also selbst verwirklicht sein, um zu erkennen, ob jemand anderes dies ebenfalls ist. Trotzdem gibt es einige Indizien, an denen man erkennen kann, ob jemand weiterentwickelt ist oder nicht. Das ist Aufgabe der buddhi. Man darf das Herz nicht zu früh sprechen lassen, sondern muß erst ein paar kritische Fragen stellen:

  1. Der Lehrer/die Lehrerin muß sich auf alte Schriften beziehen, die man auch selbst nachlesen kann – nicht irgendwelche obskuren Schriften, die er/sie angeblich irgendwo in einer Höhle gefunden hat und die leider niemandem zugänglich sind. Wenn ein Lehrer sagt: „Gestern ist mir Krishna erschienen und hat gesagt, die Bhagavad Gita und die Upanishaden bzw. die Evangelien waren nur für das frühere Zeitalter, er verkündet jetzt das neue Evangelium“ – dann renne lieber weg!
    Man muß also prüfen, auf welche Schriften sich das Ganze bezieht. Denn es gibt eigentlich nichts Neues auf dieser Erde. Der Fortschrittsglaube ist einer der Irrtümer unserer westlichen Zivilisation. Die westliche Psychologie hat vielleicht noch ein paar Sachen entdeckt, die uns die Grundlagen der Spiritualität etwas erklären können, aber sobald es zu tiefer Spiritualität kommt, hat sie gegenüber Patanjali, Buddha, den Upanishaden oder den altchristlichen Meistern nichts Neues zu bieten.
  2. Die zweite Prüfung bezieht sich auf das ethische Verhalten. Wenn ein Meister toleriert, daß Gewalt angewendet wird, dann sollte man ihm nicht trauen! Man sollte sein ethisches Verhalten, die Einhaltung von yamas und niyamas (ethische Prinzipien, siehe zweites Kapitel), Nichtverletzen, Achtung der Menschenwürde und Menschenrechte prüfen. Man sollte schauen, inwieweit er verantwortungsvolle Ratschläge gibt und welche Folgen diese für die Schüler haben.
  3. Das dritte Kriterium ist, ob der Meister/die Meisterin selbst praktiziert, was er/sie predigt. Manchmal üben Meister andere Praktiken als die Schüler, aber sie sollten für sich selbst nicht zu viele Ausnahmen von den für andere aufgestellten Regeln machen.
  4. Er/sie sollte grundsätzlich ein einfaches Leben führen. Wenn der Meister in Luxus lebt und die Schüler am Hungertuch nagen, dann stimmt irgend etwas nicht.
  5. Der Meister muß dem Schüler die Verantwortung für den spirituellen Weg geben. Er muß dem Schüler klar sagen, daß er nicht die Arbeit für ihn tun kann, sondern daß er selbst praktizieren muß. Ein Lehrer, der sagt: „Ich mache alles für dich, du brauchst nichts zu tun“, ist unglaubwürdig. Es gibt Lehrer, die behaupten: „Du brauchst nur bei mir zu sein, ich erwecke dir die kundalini, alles andere geschieht von selbst.“ Allerdings darf man hier auch nicht nur nach dem ersten Eindruck urteilen, sondern muß unterscheiden, was zunächst einmal plakativ gesagt wird. Um Menschen ansprechen zu können, muß man letztlich vereinfachen, man kann nicht alles in die erste Information hineinschreiben. So gibt es auch Meister, von denen gesagt wird, sie erwecken die kundalini. Aber wenn man genauer hinschaut, raten sie einem, zu meditieren, anderen zu dienen, das Herz zu öffnen, Liebe zu entwickeln u.s.w. Jeder kann selbst beurteilen, wie sich die Leute entwickelt haben, die eine Weile bei einer Organisation oder einem Meister gewesen sind, und kann sich überlegen, ob das die Richtung ist, in die er sich selbst auch entwickeln möchte.Swami Sivananda

    hat humorvoll den „SB 40“-Test empfohlen, um einen selbstverwirklichten Meister zu prüfen. „SB“ für „shoe beating“ und „40“ für 40 Mal. Wenn jemand von sich sagt, „Ich bin ein großer Meister“, dann soll man einen alten Schuh nehmen und ihn 40 Mal damit schlagen – nicht zu stark, aber schon merkbar! Wenn er dann immer noch lächelt und sagt, „Ich bin ein selbstverwirklichter Meister“, dann ist er es tatsächlich. Swami Vishnu hat immer, wenn er uns das erzählte, hinzugefügt: „Aber ich bin kein selbstverwirklichter Meister!“

All das muß man beachten und prüfen, weil eben auf dem spirituellen Weg vor allem am Anfang viel auf Vertrauen basiert. Je niedriger der Anspruch des Lehrers, desto mehr kann man durchgehen lassen, aber man muß immer darauf achten, daß es authentisch ist.

Eine andere Quelle des Wissens ist die direkte Wahrnehmung. Es gibt drei Arten der direkten Wahrnehmung:

Die sinnliche Wahrnehmung über die jnana indriyas, die Sinnesorgane: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen. Sie können zu Sinnestäuschungen führen oder auch zu Fehlinterpretationen.

Die unterbewußte oder instinktive Intuition, d.h., irgendwelche Ahnungen oder Gefühle.

Diese Ahnungen und Gefühle können echt sein, sie können aber auch täuschen, wenn sie gefärbt oder gefiltert sind. Auf der Ebene des Unterbewußtseins sind wir nicht auf die sinnliche Wahrnehmung angewiesen. Wir können Gedanken wahrnehmen, in die Vergangenheit und in die Zukunft gehen.

Daneben gibt es auch noch eine höhere Form der Intuition, nämlich die überbewußte Intuition, die wirklich aus dem purusha, dem Selbst, kommt.

Sie kann auch vom guru kommen oder in Form einer Vision von einem großen Meister, der einem klar sagt, was zu tun ist. Vielleicht hat man auch die Vision einer Manifestation Gottes wie Jesus, Krishna oder Shiva. Oder man spürt einfach: Das ist meine Aufgabe, so ist es.

Diese überbewußte Intuition kommt dann, wenn buddhi und ahamkara zur Ruhe kommen. Eine überbewußte Intuition erkennen wir im Gegensatz zu einer Ahnung daran, daß sie uns zu unserem eigenen Selbst bringt, uns für unser eigenes Selbst öffnet. Und das Selbst, der purusha, ist sat-chit-ananda, Sein, Wissen und Glückseligkeit. Überbewußte Intuition ist immer verbunden mit einem Gefühl der Ausdehnung, der Unendlichkeit und der Verbundenheit als einem Aspekt des reinen Seins (sat), sowie mit reinem Wissen (chit), das man vorher nicht hatte und das kein intellektuelles, sondern intuitives, direktes Wissen ist, und schließlich mit Wonne, Liebe, Licht (ananda), auch mit Kraft und Energie. Es kann sein, daß das eine oder andere Gefühl stärker ausgeprägt ist, aber im Prinzip sollte von allen dreien etwas dabei sein; dann ist es um so weniger vom Unterbewußtsein gefiltert. Wenn nur ein Aspekt stark fühlbar ist, dann ist es vielleicht schon gefiltert und nicht ganz klar. Dann ist es eher eine instinktive Intuition. Wenn wir eine solche überbewußte Intuition haben, sollten wir ihr folgen. Wir müssen nur aufpassen, wie wir sie interpretieren. Auch wenn wir wissen, was wir machen sollen, ist noch längst nicht klar, auf welche Weise. Und es heißt auch nicht, daß diese Intuition dann alles für uns macht. Um sie umzusetzen, muß man anschließend seinen Verstand und seine Fähigkeiten benutzen.

Als ich zum Beispiel vor etwa neun Jahren gerade die Yogazentren von Swami Vishnu-devananda verlassen hatte und mich im Sivananda-Ashram in Rishikesh aufhielt, wußte ich nicht so recht, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen sollte. Ich hatte dann eine Vision von Swami Sivananda, in der er mir klar gesagt hat, ich solle nach Deutschland zurückkehren, in Frankfurt ein Yogazentrum eröffnen, in fünf Jahren werde es einen ashram (wörtl. „Einsiedelei“; Yoga-Seminarhaus, Ort, wo Yoga gelebt und gelehrt wird) geben und dann würde sich auch noch einiges andere entwickeln. Ich war vorher jahrelang in Amerika gewesen und wollte eigentlich nicht mehr nach Deutschland zurück. Aber nach dieser Vision hatte ich keine Wahl. Wenn Swami Sivananda mir das sagt, dann mache ich es natürlich. Gut, die Vision war klar. Aber als ich dann nach Frankfurt kam, war es bei weitem nicht so, daß alles von selbst gegangen wäre. Ich mußte mit Maklern Kontakt aufnehmen, verschiedene Objekte anschauen, Mietverträge abschließen, nach einem halben Jahr waren alle Finanzreserven erschöpft. Aber Schritt für Schritt ging es dann doch voran und etwa fünf Jahre später entstand dann tatsächlich das Haus Yoga Vidya. Aber auch das kam nicht von selbst. Sondern es kam auch wieder diese Intuition, jetzt ist es Zeit, sich um einen ashram zu kümmern. Dann muß wieder der Intellekt arbeiten und alles in die Wege leiten. Es reicht nicht aus, nur eine solche Wahrnehmung zu haben, sondern es müssen Taten folgen. Aber man kann loslassen, beten und bekommt dann Führung auch bei der praktischen Umsetzung.

Joseph Campbell, der in Amerika die alten Mythen durch eine eigene, sehr populäre Fernsehsendung salonfähig gemacht hat, sagt: „Follow your bliss“, also folge dem, was ein Gefühl der Freude und Wonne in dir auslöst.

Wenn wir auf dem Weg fortschreiten, nimmt diese höhere Intuition irgendwann den Hauptstellenwert ein, wie wir Entscheidungen treffen. Swami Vishnu hatte sehr viele solcher Eingebungen und hat danach gehandelt. Manchmal kam es dabei auch zu Fehlschlägen. Also selbst bei jemand wie ihm ist das nicht immer ganz sicher. Wobei man nicht sagen kann, ob er wirklich daneben gelegen hat oder ob es ihn nur zu einer bestimmten Erfahrung führen sollte und uns alle damit auch. Er hatte auch keine Schwierigkeiten, sofort loszulassen, wenn er gemerkt hat, daß etwas nicht geht. Und dann kam bald die nächste Geschichte! Aber er hat eben dadurch, daß er der Intuition gefolgt ist und ihr vertraut hat, immer mehr Zugang zum Göttlichen bekommen.

Die direkte Wahrnehmung umfaßt also die sinnliche Wahrnehmung, die instinktive und die überbewußte Intuition. An späterer Stelle, sowohl am Ende des 1. wie auch im 3. Kapitel sagt Patanjali, nur die unmittelbare Wahrnehmung aus der Intuition heraus ohne den Umweg über die Sinne ist die eigentliche, richtige direkte Wahrnehmung. Sinneswahrnehmung an sich ist irriges Verstehen, birgt Fehlerquellen in sich. Wir können die Wahrheit nicht über Sinne wahrnehmen, auch nicht über das Denken. Selbst wenn uns Meister davon erzählen, verstehen wir sie immer noch nicht. Es braucht die direkte Wahrnehmung, pratyaksha, die eigene, unmittelbare Erfahrung der Wahrheit. Wahrnehmung im überbewußten Zustand, in samadhi, unter Ausschaltung der Sinne und Gedanken, läßt uns die Wirklichkeit direkt wahrnehmen.

In manas werden die einfachen Gedanken widergespiegelt. Intuition kommt dann, wenn ahamkara und buddhi durchlässig sind. Ein Ziel muß also sein, unser Ego auszudünnen. Und auch unser Intellekt muß mal Ruhe geben, denn im Grunde genommen steht er uns im Weg – wie auch das chitta – , wenn wir zu purusha, unserem Selbst, kommen wollen. Nur dann kann wahrhafte Intuition oder direkte Wahrnehmung der Wirklichkeit entstehen.

Die buddhi hat besonders wichtige Funktionen.

Als niedrige buddhi hilft uns die praktische Vernunft bei der Bewältigung unserer Alltagsaufgaben. Wenn wir zum Beispiel ein Bild aufhängen wollen, müssen wir überlegen, wie wir das am besten machen: Aus was für einem Material besteht die Wand, kann ich einfach einen Nagel einschlagen oder brauche ich eine Bohrmaschine oder Spezialnägel, wen könnte ich fragen, wo bekomme ich die nötigen Werkzeuge und Hilfsmittel u.s.w. Man benutzt also das logische Denken, um etwas zu erreichen. Die meisten Menschen benutzen ihren Intellekt nur dafür. Wenn sie etwas haben wollen, wird der Intellekt in Bewegung gesetzt, um es zu bekommen.

Aber der höhere Intellekt ist ein anderer, nämlich viveka, die Unterscheidungskraft. Sie ist sehr wichtig auf dem spirituellen Weg. Viveka gibt es auf verschiedenen Ebenen: zum einen die grundlegende Unterscheidungskraft zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, dem Ewigen und dem Vergänglichen, zwischen dem, was uns glücklich macht und dem, was uns Leid bringt. Was ist wirklich wichtig angesichts der Tatsache, daß wir irgendwann diesen physischen Körper verlassen? Was macht mich wirklich glücklich? Manche Menschen laufen ihr Leben lang hinter dem Glück her, ohne nachzudenken. Ein Yogi denkt zuerst nach und begibt sich dann auf die Suche. Dazu benutzen wir die Unterscheidungskraft der buddhi. Sie ist auch dazu da, die anderen Quellen der Wahrnehmung zu überprüfen. Und, wie bereits erwähnt, setzen wir die Unterscheidungskraft ein, ehe wir uns einem Meister anvertrauen.

Wenn wir schließlich einen Meister gefunden haben, der vollkommen ist, müssen wir bei allem, was er sagt, überlegen und unterscheiden lernen, was es überhaupt bedeutet. Manchmal interpretiert man auch zuviel in eine Aussage oder eine Handlung hinein. Swami Vishnu hat gerne die Geschichte erzählt, in der ein Meister zum Baden an den Fluß ging. Um seine Kleider vor den vielen Affen, die dort waren, zu schützen, verbarg er sie unter einem Sandhügel. Kurz danach kamen seine Schüler ebenfalls zum Fluß. Sie hatten nicht gesehen, daß der Meister seine Kleider vergraben hatte. Sie sahen nur den Sandhügel und hielten dies für eine besondere rituelle Handlung. Also gingen sie alle hin und bauten ebenfalls Sandhügel. Als der Meister nach seinem Bad aus dem Fluß kam, dauerte es eine ganze Weile, bis er den richtigen Hügel mit seinen Kleidern wiedergefunden hatte ….

Ist der Meister nicht ganz so perfekt, müssen wir unsere Unterscheidungskraft einsetzen, um zu beurteilen, was von dem, was er tut und lehrt, tatsächlich eine Manifestation von Weisheit ist und was einfach nur menschliche Unzulänglichkeiten sind, die er noch hat.

Auch bei einer höheren Erfahrung, einer Intuition, Inspiration oder Vision, müssen wir mit unserer Unterscheidungskraft nochmals überlegen, ist es tatsächlich eine Intuition oder einfach nur eine Emotion, was hat es zu bedeuten und wie setze ich es im richtigen Sinn am besten um.

Der Intellekt spielt also immer eine große Rolle. Er kann uns aber auch in die Irre führen.

Wie zum Beispiel im 2. Kapitel der Bhagavad Gita, wo Arjuna (der Schüler) Krishna (dem Lehrer) genau erklärt, warum er nicht kämpfen sollte und nicht kämpfen will. Gleichzeitig ist er aber trotzdem nicht sicher und sagt zu Krishna: „Oh Krishna, bitte, ich weiß nicht, was richtig ist und was meine Pflicht ist. Nimm mich an, der ich mich dir hingebe. Nimm mich als Schüler an, ich nehme zu dir Zuflucht.“ Aber nachdem er so darum gebeten hat, belehrt und geführt zu werden, sagt er paradoxerweise: „Ich will nicht kämpfen“. Der Schüler geht zum Meister: „Bitte sage mir, was ich tun soll, aber ich mache lieber das …“ – Und Krishna lächelt liebevoll. Das machen Meister oft. Man kommt ganz verzweifelt zu ihnen, und sie lächeln einfach und sagen dann etwas sehr Einfaches. In den wenigsten Fällen geben sie eine eindeutige Antwort.

Ich kann mich noch an meine vielleicht erste „große“ spirituelle Krise erinnern. Ich hatte ja recht früh, mit 16 Jahren, begonnen zu meditieren. Mit 17 entdeckte ich den Yoga und habe dann viel praktiziert. Meistens bin ich schon um vier Uhr oder früher aufgestanden, habe vor der Meditation zwei Stunden pranayama geübt, nach der Meditation nochmals asanas und pranayama, tagsüber studiert und bei Arbeiten im Yogazentrum, in das ich eingezogen war, mitgeholfen, und abends wieder meditiert. Aber nach ein paar Jahren war ich mit meinem spirituellen Fortschritt unzufrieden. Ich fing an zu denken: Ich praktiziere so viel, aber die Selbstverwirklichung läßt auf sich warten. Ich spüre weder die kundalini noch mache ich tiefe Meditationserfahrungen – während andere oft von ihren wunderbaren Erfahrungen erzählten! Schließlich begann ich an allem zu zweifeln, an meiner eigenen Praxis, ob ich wohl den richtigen Weg gewählt hatte usw. Die Leiterin des Zentrums wußte von meinen Zweifeln und empfahl mir, Swami Vishnu zu fragen. Gut, als also Swami Vishnu das nächste Mal nach München kam, gingen wir wie immer alle zu ihm, es wurde satsang (Zusammensein mit Weisen, mit Gleichgesinnten auf dem spirituellen Weg) gehalten, gemeinsam meditiert und gesungen und anschließend sprach er mit den Teilnehmern. Da sagte die Leiterin zu mir: „So, und jetzt fragst du ihn!“ Ich war damals ziemlich schüchtern und wagte eigentlich kaum, mit Swami Vishnu zu reden. Naja, jedenfalls habe ich ihm dann meine Probleme in Kurzform geschildert. Da hat er zuerst einmal gelacht und zu den anderen gesagt: „Hier ist ein Junge, der keinen inneren Frieden findet. Was machen normalerweise Jungen in seinem Alter? Sie gehen in die Disko, rauchen, betrinken sich oder nehmen Drogen (alles Sachen, die ich nie im Leben gemacht habe!), aber er sucht die Lösung im Yoga!“ Ich war leicht irritiert und habe mich ausgelacht und nicht ernstgenommen gefühlt. Aber dann hat er mir noch gesagt: „Was du machst, ist richtig. Du mußt nur Geduld üben.“ Dann hat er die Geschichte vom Mangobaum erzählt, der viele Jahre braucht, bis er Früchte trägt und den man nicht zwingen kann, schneller zu wachsen. Aber ich solle alle Praktiken so fortsetzen wie bisher. Vielleicht könne ich ja einmal in der Woche einen Morgenspaziergang machen statt zu meditieren. Am nächsten Morgen ging ich natürlich gleich hinaus. Es regnete in Strömen, aber dieser meditative Spaziergang in der morgendlichen Stille ist mir als ein wunderbares Erlebnis in Erinnerung geblieben!

Es ist eben auch die Kunst, wenn Schüler einen um Rat fragen – und wenn man länger Yoga praktiziert oder gar unterrichtet, wird man öfter um Rat gefragt –, daß man zwar Mitgefühl zeigt, aber trotzdem versucht, das Ganze von einer höheren Warte aus zu sehen, um einen übergeordneten Ratschlag geben zu können. Dem anderen ist nicht gedient, wenn man selbst vor lauter Mitgefühl auch traurig und niedergeschlagen wird.

Und so sagt Krishna im 11. Vers des 2. Kapitels der Bhagavad Gita zu Arjuna: „Weise Worte sprichst du, oh Arjuna, doch nicht zu Beklagende beklagst du. Die Weisen klagen nicht um Leben oder Tod der Wesen, denn in Wahrheit waren weder du noch ich noch diese Fürsten jemals nicht, noch werden jemals wir nicht sein in dem, was hierauf folgt.“ Er holt Arjuna aus seiner Froschperspektive heraus, in der er nur die engen Wände des Froschbrunnens sieht. Natürlich sagt er ihm nicht nur: Es ist egal, was du machst, es spielt keine Rolle. Sondern er erklärt ihm anschließend 16 Kapitel lang, nach welchen Grundsätzen und wie er handeln kann, ohne Verhaftung und ohne Ego. Und ganz zum Schluß sagt er: Es spielt in Wirklichkeit doch keine Rolle, was du machst. Opfere einfach alles nur Gott.

Bei allen drei Arten des Wissenserwerbs müssen wir aufpassen. Unser Geist führt uns in die Irre. Auch unser logisches Denken kann uns in die Irre führen.

Viele Menschen benutzen ihr logisches Denken nicht, um tatsächlich zu Schlußfolgerungen zu kommen, sondern um ihre emotional bedingten Haltungen und Einstellungen zu rechtfertigen. Ein typisches Beispiel sind hypnotische Experimente. Jemand führt eine Handlung aus, die ihm unter Hypnose suggeriert wurde, und findet dann im Nachhinein eine logische, vernünftige Erklärung dafür, warum er das tut. Unser Geist ist oft nicht wirklich rational. Wir benutzen unser logisches Nachdenken selten dazu, wirklich die Wahrheit über die Dinge herauszufinden, sondern eher, um etwas irgendwie rational erscheinen zu lassen, das eigentlich nicht rational ist.

Da wir jetzt einiges über korrektes Wissen gelernt haben, wissen wir natürlich auch das Gegenteil, nämlich was viparyaya, also inkorrektes Wissen, Irrtum, ist.

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Kapitel 1, Vers 8

Deutsche Übersetzung:

Irrtum ist getäuschtes Wissen, und paßt nicht zur Natur der Sache.

Sanskrit Text:

viparyayo mithyā-jñānam-atadrūpa pratiṣṭham ||8||

विपर्ययो मिथ्याज्ञानमतद्रूप प्रतिष्ठम् ॥८॥

viparyayo mithya jnanam atadrupa pratishtham ||8||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • viparyaya = Irrtum, falsches Wissen
  • mithyā = falsch, täuschend
  • jñāna = Wissen, Auffassung
  • a = nicht
  • tad = das, dessen, dieses
  • atad = nicht seiner eigenen
  • rūpa = Form, Natur
  • atadrūpa = andere Form
  • pratiṣṭhā = ruhend, beruhend, paßt

 

Kommentar

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Kapitel 1, Vers 9

Deutsche Übersetzung:

Einbildung entsteht aus einer Wortfolge ohne Bezug zur Wirklichkeit.

Sanskrit Text:

śabda-jñāna-anupātī vastu-śūnyo vikalpaḥ ||9||

शब्दज्ञानानुपाती वस्तुशून्यो विकल्पः ॥९॥

shabda jnana anupati vastu shunyo vikalpah ||9||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • śabda = Wort
  • jñāna = Wissen
  • anupātī = darauffolgend
  • vastu = Wirklichkeit
  • śūnya = frei, leer, ohne Bezug
  • vikalpa = Einbildung, wörtliche Täuschung, Wortirrtum

 

Kommentar

Vikalpa, Einbildung, auch als „wörtliche Täuschung“ oder „Wortirrtum“ übersetzt, ist neben richtigem und irrigem Verstehen die dritte Form der Gedankenwellen. Eigentlich ist es schwer zu übersetzen. Vikalpa ist etwas, was dem Menschen ganz eigen ist, denn nur der Mensch hat Worte und wird durch Worte sehr stark beeinflußt. Vikalpa bezieht sich auf Affirmationen, Suggestionen, auf Luftschlösser-Bauen und auf Lob und Tadel.

Der erste Aspekt von vikalpa ist Lob und Tadel. Wenn zum Beispiel jemand sagt: „Du Esel!“, dann hat dies in der Wirklichkeit keine Korrelation. Man bekommt deswegen weder längere Ohren noch ein graues Fell. Man könnte jetzt darüber stehen und einfach denken, derjenige, der das sagt, hat seinerseits ein irriges Verständnis. Aber trotzdem beeinflußt es einen irgendwie. Oder wenn einem jemand sagt: „Das ist nicht richtig gemacht“, dann reagieren wir unsererseits nicht nur mit der neutralen Feststellung: „Aha, der hat gesagt, das ist nicht richtig gemacht“ – denn seine Aussage kann ja entweder korrektes oder irriges Wissen widerspiegeln. Für uns ist es gleichzeitig noch etwas anderes, nämlich Lob oder Tadel. Die Jungsche Psychologie würde sagen: Der Selbstwert wird getroffen. Man ärgert sich über das Gesagte oder fühlt sich in Frage gestellt. Das ist eine Art von vikalpa. Wir identifizieren uns mit den Worten. Wir nehmen nicht nur die Worte als solche und überprüfen den Wahrheitsgehalt, sondern wir identifizieren uns mit der Aussage, wir beziehen die Worte auf uns selbst, denn das Ego hat den Wunsch nach Bestätigung.

Es kommt natürlich auch darauf an, wer etwas sagt. Als ich zum Beispiel früher Yoga unterrichtet habe, meinte einmal ein anderer Yogalehrer, die Art und Weise, wie ich die Stunde gebe, sei nicht ganz richtig. Das hat mir wenig ausgemacht. Ich hatte das Gefühl, ich habe mehr Erfahrung, die richtige Lehrerausbildung, und er hat nicht bei einem indischen Meister gelernt. Als aber meine erste Lehrerin eine Yogastunde bei mir genommen und gesagt hat: „Das hast du nicht richtig unterrichtet, so kann man das nicht machen“, da war das für mich wie ein Stich ins Herz. Und als mich Swami Vishnu einmal kritisiert hat, da war es wie ein Stich ins Herz und das Messer noch einmal herumgedreht…

Man sollte nicht nur von Tadel, sondern auch von Lob unabhängig werden.

Kennst du das Gabelstaplerprinzip? ­ Einen Menschen hochheben, um ihn dahin zu bringen, wo man ihn haben will. Wenn du jemanden zu etwas motivieren willst, ist die beste Methode, ihn mehrmals zu loben.

Eine kleine Anekdote, die ich als Leiter eines amerikanischen Yogacenters erlebt habe: In Amerika spielen Kreditkarten im bargeldlosen Zahlungsverkehr eine große Rolle, so wie hier zum Beispiel die Einzugsermächtigung. Um Kreditkarten als Zahlungsmittel annehmen zu können, braucht man die Genehmigung seiner Bank. Die Bank lehnte ab. Ich führte Verhandlungen, sie prüften es noch einmal und lehnten wieder ab. Ich erzählte die Sache einem Schüler des Yogacenters, der von Beruf Rechtsanwalt war. Er sagte: „Ich zeige dir, wie man so etwas macht.“ Zuerst hat er Informationen gesammelt und erfahren, daß die Bank einen neuen Direktor bekommen hatte. Er hat den neuen Bankdirektor angerufen, und ihm erst einmal Honig um den Mund geschmiert, ihm erzählt, er hätte so viel Positives über ihn gehört etc. Dann hat er so ganz beiläufig erwähnt, daß vor kurzem ein kleiner Irrtum mit der Genehmigung der Kreditkarten für das Yogazentrum passiert sei – das ging aber fast am Rande. Zwei Tage später hatten wir die Bestätigung, daß wir künftig Kreditkarten annehmen können. Anstatt also der natürlichen Reaktion nachzugeben, d. h. zu schimpfen, zu drohen, die Bank zu wechseln etc., erreicht man das Gewünschte oft leichter durch Loben.

Wenn man für andere etwas zum Guten bewirken will, kann man diese Methode durchaus benutzen. Es ist sicher besser, jemanden zu loben und zu versuchen, ihn auf diese Weise in eine bessere Richtung zu bringen, als ihn anzubrüllen oder mit Machtkämpfen zum Ziel zu kommen. Aber man sollte andere nicht manipulieren und man sollte auch selbst aufpassen, daß uns niemand manipuliert.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Wir können unser Selbstwertgefühl aufbauen, dann brauchen wir weniger Lob und werden von Tadel unabhängiger. Oder wir können versuchen, uns immer mehr als Instrument Gottes zu fühlen, auch dann brauchen wir keine Selbstbestätigung von außen mehr. Wir geben uns Gott hin und spüren, nicht ich handle, sondern Gott handelt durch mich. Das macht uns unabhängiger und ist meiner Meinung nach der einfachere Weg.

Der zweite Aspekt von vikalpa sind Suggestionen. Man wird generell durch alles beeinflußt, was Menschen sagen. Dieses Phänomen macht sich auch die Werbung zunutze. Werbung ist ja nicht logisch, sondern suggestiv; zum Beispiel „Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer“ in einer Zigarettenwerbung – was für ein Irrsinn! Da wird jemand zum Sklaven eines Glimmstengels, verpestet die Umwelt und seine eigene Luft, ruiniert seine Lungen, macht sich unfähig zu sportlicher Leistung und das Ganze soll Freiheit und Abenteuer sein! Trotzdem assoziieren die Menschen diese Zigarette mit Freiheit und Abenteuer.

Was andere Menschen sagen, beeinflußt uns. Nicht weil es logisch ist, sondern weil Worte eine Wirkung haben.

Die tiefe Wirkung von Worten habe ich bei einem Schlüsselerlebnis mit Swami Vishnu erfahren. Es war das zweite Mal, daß ich bei einer Yogalehrer-Intensivausbildung vier Wochen lang übersetzt und für die deutsche Gruppe die asana-Unterrichtstechniken und die Bhagavad Gita unterrichtet hatte. Am Ende des Kurses ging ich zu Swami Vishnu, um mich zu verabschieden. Swami Vishnu fragte mich, was ich jetzt machen werde. Ich erzählte ihm, daß ich jetzt in das Wiener Yogazentrum ginge. Er bat mich, zunächst vor dem Bild von Swami Sivananda zu meditieren und den Segen des Meisters zu erbitten. Dabei hatte ich eine sehr tiefe spirituelle Erfahrung. Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß, aber der Anzahl von Insektenstichen nach muß es ziemlich lange gewesen sein. Schließlich kam ich aus der Meditation heraus und verneigte mich vor Swami Vishnu. Er legte seine Hand auf meine Stirn, rezitierte das om tryambakam (Heil- und Schutzmantra) und sagte: „And when you come to Vienna teach a lot of classes, make a lot of money, and turn Vienna topsy turvy“ („Wenn du nach Wien kommst, gib viele Yogastunden, sorge dafür, daß Geld hereinkommt“ – denn das Zentrum war hoffnungslos verschuldet und stand eigentlich kurz vor dem Bankrott – „und stelle Wien auf den Kopf!“). Diese Worte haben mich beflügelt und gründlich verändert. Vorher war ich eigentlich ein schüchterner Mensch und habe mich selten getraut, den Mund aufzumachen. Dies wurde jetzt doch etwas anders. Und tatsächlich blühten sowohl das Yogazentrum als auch ich in wenigen Wochen richtig auf…

Worte von großen Meistern haben natürlich eine besonders starke Wirkung. Aber auch Worte von anderen Menschen haben eine Wirkung und unsere eigenen Worte auch. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang vom sogenannten inneren Dialog. Wie spreche ich mit mir selbst? Manche Menschen sprechen oft und ständig destruktiv zu sich selbst: „Du Esel, was hast du da wieder gemacht? Du taugst ja gar nichts! Du bringst nie etwas fertig!“ Dadurch wird man beeinflußt. Man muß darauf achten, wie man selbst zu sich spricht, wie andere zu einem sprechen und wie man selbst zu anderen spricht. Welche Suggestionen gebe ich den anderen? Worte haben Kraft.

Es gibt eine einfache Technik, die Patanjali im zweiten Kapitel ausführt: Wenn man merkt, daß man zu sich selbst Worte spricht, die nicht positiv sind, muß man den entgegengesetzten Gedanken erzeugen. Denkt man also zum Beispiel: „Das packe ich nie“, muß sofort die Gegensuggestion kommen: „Durch die Gnade Gottes schaffe ich’s!“ oder „Das ist zuviel!“ – „Wenn Gott mir Aufgaben gibt, wird er mir auch die Kraft geben, sie zu erfüllen.“ Die Gegensuggestionen müssen nicht so überheblich klingen wie: „Ich schaffe alles!“ Dasselbe Prinzip gilt natürlich auch, wenn andere uns negativ beeinflussen. Es kann eine verheerende Wirkung haben, wenn man sich etwas vornimmt und jemand sagt: „Das schaffst du nie.“ Eine solche negative Suggestion sollte man nie ohne Gegensuggestion lassen, sonst wirkt sie auf unterbewußte Weise. Das heißt nicht, daß wir sofort auftrumpfen und dem anderen sagen müssen: „Dir werde ich’s zeigen, das schaffe ich schon!“ – das wäre höchstens der Beweis für ein gesundes Ego. Die Reaktion eines ungesunden Ego wäre: „Na ja, vielleicht hat er ja recht, ich versuche es besser erst gar nicht.“ Viele Menschen werden so künstlich niedergehalten – im geschäftlichen und sozialen Umfeld, oft sogar vom Partner. Wiederhole statt dessen geistig: „Durch die Gnade Gottes werde ich es schaffen.“ Zusätzlich zu Gegensuggestionen auf negative Äußerungen kann man natürlich auch positive Affirmationen sprechen. Es ist zwar nicht so, daß Affirmationen unbedingt alles bewirken können. Sie haben jedoch eine große Wirksamkeit, die wir nutzen können. Vikalpa heißt also, wir identifizieren uns mit den Worten, auch wenn sie in der Wirklichkeit keine Grundlage haben.

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Kapitel 1, Vers 10

Deutsche Übersetzung:

Die vritti (Gedankenwelle) ohne konkreten Geistesinhalt wird Schlaf genannt.

Sanskrit Text:

abhāva-pratyaya-ālambanā tamo-vṛttir-nidra ||10||

अभावप्रत्ययालम्बना तमोवृत्तिर्निद्र ॥१०॥

abhava pratyaya alambana tamo vrittir nidra ||10||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • abhāva = Abwesenheit, das Nichtvorhandensein, das Fehlen
  • pratyaya = Inhalt des Geistes
  • ālambana = Stütze, Grundlage, Abhängigkeit
  • vṛtti = Gedankenwelle
  • nidrā = Schlaf

 

Kommentar

Auch der Schlaf gilt als Gedankenwelle. Wenn dem nicht so wäre, wären wir im Schlaf in nirodha, im gedankenlosen Zustand der Selbstverwirklichung. Aber nachdem wir geschlafen haben, fühlen wir uns zwar ausgeruht, jedoch sind wir nicht klüger, weiser als vorher. Durch Schlafen selbst erreichen wir keine Befreiung, keine Erlösung. Daher ist auch Schlaf eine vritti, ein gedanklicher Zustand, bei dem sonst kein anderer Gedanke im Geist ist.

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Kapitel 1, Vers 11

Deutsche Übersetzung:

Erinnerung ist das Behalten vergangener Erfahrungen.

Sanskrit Text:

anu-bhūta-viṣaya-asaṁpramoṣaḥ smṛtiḥ ||11||

अनुभूतविषयासंप्रमोषः स्मृतिः ॥११॥

anu bhuta vishaya asanpramoshah smritih ||11||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • anu = aus, von
  • bhūta = Erfahrenes, Vergangenes
  • anubhūta = von Erfahrenem
  • viṣaya = Gegenstand
  • a = nicht
  • saṁ = völlig
  • asaṁ = nicht völlig, nicht ganz
  • pramoṣa = Diebstahl, Wegnehmen
  • asaṁpramoṣa = „Nicht-Diebstahl“, nicht fliehen, behalten
  • smṛti = Erinnerung

 

Kommentar

Alle vergangenen Erfahrungen kommen im Geist hoch; daher ist auch die Erinnerung eine vritti, eine der fünf Hauptformen von Gedanken.

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Kapitel 1, Vers 12

Deutsche Übersetzung:

Übung (abhyâsa) und Nichtanhaften (vairâgyâ) führen zur Ruhe des Geistes (nirodha).

Sanskrit Text:

abhyāsa-vairāgya-ābhyāṁ tan-nirodhaḥ ||12||

अभ्यासवैराग्याभ्यां तन्निरोधः ॥१२॥

abhyasa vairagya abhyam tan nirodhah ||12||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • abhyāsa = Beharrlichkeit, Enthusiasmus, Übung
  • vairāgya = Gelassenheit, Gleichmut, Wunschlosigkeit
  • ābhyāṁ = beides
  • tan = diese
  • nirodha = Ruhe, die Ruhe von allem Wandelbaren, also das Ziel bzw. der Zustand des Yoga erreicht

 

Kommentar

Das ist dasselbe, was Krishna im 6. Kapitel der Bhagavad Gita sagt. Er spricht erst davon, was Meditation ist und daß der Yogi Gleichmut entwickeln soll. Wenn er gleichmütig geworden ist gegenüber Lob und Tadel, Hitze und Kälte, Schmerz und Vergnügen, ist er reif für die Ewigkeit. Arjuna sagt darauf sinngemäß: „Oh Krishna, das schaffe ich nie. Es ist leichter, den Wind mit bloßen Händen festzuhalten als den Geist zu beherrschen.“ Krishna gibt ihm die gleiche Antwort wie Patanjali: „Ja, Arjuna, wahrlich ist es schwer, den Geist zu beherrschen, aber durch Übung und Nichtanhaften, durch abhyasa und vairagya, ist der Geist unter Kontrolle zu bringen.“

In den nächsten Aphorismen erfahren wir Näheres darüber:

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Kapitel 1, Vers 13

Deutsche Übersetzung:

Abhyasa (Übung) ist ständige Bemühung um diese (Ruhe des Geistes).

Sanskrit Text:

tatra sthitau yatno-‚bhyāsaḥ ||13||

तत्र स्थितौ यत्नोऽभ्यासः ॥१३॥

tatra sthitau yatno ‚bhyasah ||13||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tatra = dort, hier, um das
  • sthitau = ständig, standhaft
  • yatna = Anstrengung, Bemühung, Übung
  • abhyāsa = Enthusiasmus, Beharrlichkeit

 

Kommentar

Alle Anstrengungen, die man macht, um die Gedanken zu beherrschen, sind abhyasa. Es gibt nicht nur eine oder zwei bestimmte Übungen und auch nicht nur die hier in den Yoga Sutras aufgeführten, sondern alles, was dazu dient, den Geist zu beherrschen, ist abhyasa. Das heißt, die ständige Bemühung – wir haben keine Pause! Die Übung beginnt mit dem Aufwachen am Morgen und hört am Abend mit dem Einschlafen auf. Irgendwann übt man sogar im Schlaf weiter…

„Ständige Bemühung“ heißt jetzt nicht, daß wir uns dauernd verkrampft anstrengen, sondern wir versuchen, diese Vorstellung Gottes, die Grundhaltung von selbstlosem Dienst und einer positiven Lebenseinstellung, den ganzen Tag über aufrechtzuerhalten, ob wir nun Geschirr spülen, meditieren, asanas machen, spazierengehen, mit unserem Kind zusammen sind, im Büro arbeiten, ein paar freundliche Worte mit dem Postboten wechseln u.s.w. Wir bemühen uns immer wieder, dieses Bewußtsein des Göttlichen aufrechtzuerhalten oder hervorzurufen und unseren Geist positiv, gleichmütig, zu stimmen.

Abhyasa heißt nicht, den Geist den ganzen Tag beherrschen zu müssen. Es ist die Bemühung darum. Viele Menschen sind zu erfolgsorientiert und haben einen zu großen Perfektionsdrang. Das Bemühen ist wichtig, nicht das, was dabei herauskommt. Wir bemühen uns; dann gelingt es manchmal und es gelingt manchmal auch nicht. Kann man wirklich vollkommen sein? Man kann nur vollkommen sein, wenn man seine Ansprüche sehr niedrig ansetzt und nur wenig tut. Dann ist man darin vollkommen. Wenn man seine Ansprüche hoch setzen und viel machen will, kann man nie vollkommen sein. Unser Ziel ist die Selbstverwirklichung. Es gibt kein großartigeres Streben. Bis dahin gibt es unglaublich viel zu tun. Es ist manchmal besser, eher viel zu tun, hoch zu streben, und das weniger perfekt. Das macht auch demütig.

Darin hat Swami Vishnu seine Schüler geschult. Er hat uns manchmal mehr Aufgaben gegeben, als wir eigentlich bewältigen konnten. Es war dann nicht möglich, alles zu erledigen. Es ging einfach nicht. Wir haben uns bemüht, und oft ist es auch irgendwie hingekommen, manchmal aber auch nicht. Ich kann mich erinnern, einmal hat er den Auftrag gegeben, in drei Tagen einen Tempel zu bauen. Der Tempel stand dann auch, aber er war weit davon entfernt, perfekt zu sein! Es war kein riesiger kunstfertiger Bau mit Schnitzereien und so, sondern eine einfache Holzhütte, in die eine Krishna-Statue nach einem ausgefeilten alten Ritual hineingestellt wurde.

Diese Überlegung hilft auch für das sadhana (spirituelle Praxis). Außer den wenigen vollkommenen Meisterinnen und Meister ist man darin nicht vollkommen. Trotzdem sollte man seine Ideale deswegen nicht senken. Manche Menschen denken: „Ach, ich schaffe die Selbstverwirklichung sowieso nicht. Mir reicht es aus, wenn ich am Tag ein bißchen meditiere, mantras singe und einigermaßen gesund lebe, mich gut fühle und einigermaßen im Frieden mit meinen Mitmenschen lebe. Die vollkommene Selbstbeherrschung und die Einheit mit dem Unendlichen – das liegt für mich sowieso nicht im Bereich des Möglichen.“ Wenn man sich so programmiert, verliert man das Ziel aus den Augen. Wir können noch nicht vollkommen sein, aber wir können uns darum bemühen. Die ständige Bemühung, unseren Geist zum Göttlichen zu bringen, ist abhyasa.

Patanjali sagt in diesem Vers, wir sollen uns bemühen, „die Einschränkung der Gedankenwellen fest zu begründen“. Das muß man sich vor Augen führen. Es heißt also nicht einmal, wir sollen uns ständig bemühen, den Geist zu beherrschen, sondern wir sollen uns ständig bemühen, uns zu bemühen. Er macht es uns in gewisser Hinsicht einfach: ständige Bemühung, zur Verwirklichung zu kommen, aber ohne Verhaftung. Sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Sich nicht ständig vorwerfen: Das hat nicht geklappt und jenes nicht, und was ich da gemacht habe, war auch nicht so gut.

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Kapitel 1, Vers 14

Deutsche Übersetzung:

Sie (die Übung) bekommt ein festes Fundament, wenn sie lange Zeit ohne Unterbrechung und mit aufrichtiger Hingabe ausgeführt wird.

Sanskrit Text:

sa tu dīrghakāla nairantarya satkāra-ādara-āsevito dṛḍhabhūmiḥ ||14||

स तु दीर्घकाल नैरन्तर्य सत्कारादरासेवितो दृढभूमिः ॥१४॥

sa tu dirghakala nairantarya satkara adara asevito dridhabhumih ||14||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • sa = das, das gleiche
  • tu = in der Tat, jedenfalls
  • dīrgha = lange
  • kāla = Zeit
  • nairantarya = ohne Unterbrechung
  • satkāra = Ernsthaftigkeit, Sorgfalt
  • ādara = Respekt, Rücksicht auf andere
  • āsevita = geübt, befolgt, fortgesetzt
  • dṛḍha = fest, fundiert
  • bhūmi = Grund, Fundament, Erde

 

Kommentar

Viele Menschen praktizieren jahrelang Yoga, aber nur ab und zu. Wenn man ohne Unterbrechung zwanzig Jahre lang Yoga praktiziert, dann ist das Bewußtsein des Göttlichen schon etwas weiter entwickelt. Vom Yoga gibt es keine Pause. Der spirituelle Weg ist so, wie wenn man eine Kugel den Berg hochschiebt. Was passiert, wenn wir eine Pause machen und die Kugel loslassen? – Sie rollt den Berg wieder hinunter, zumindest ein Stück. Es gibt natürlich Ausnahmefälle, wo jemand plötzlich die Selbstverwirklichung erreicht, wenn entsprechende samskaras (Eindrücke im Unterbewußtsein) aus früheren Leben vorhanden sind. Aber im Normalfall müssen wir die Kugel den Berg hochschieben und dürfen sie nicht wieder loslassen. Wir sollten uns auf dem spirituellen Weg nicht eine Weile ausruhen. Lange Zeit bedeutet also bis zur Verwirklichung!

Und was heißt eigentlich „Selbstverwirklichung“? Die Antwort des Yoga lautet: yogash chitta vritti nirodhah – im Geist sind keine Gedanken mehr, wir ruhen in unserem wahren Wesen und haben die Einheit erreicht mit dem Unendlichen. Dann sind wir befreit. Kaivalya (Freiheit; reines Bewußtsein) ist erreicht. Es gibt keine Notwendigkeit mehr für uns, daß noch etwas geschieht.

Im System der sieben bhumikas, den sieben Stufen der Erkenntnis, werden drei Stufen von Selbstverwirklichten erwähnt. Auf der vierten bhumika, asamshakti („durch nichts berührt“) arbeitet der Yogi das karma, das für diesen Körper vorgesehen ist, bewußt ab. Aber er weiß, nicht er handelt, sondern Gott handelt durch ihn. Ein solcher Yogi wird als jivanmukta, lebendig Befreiter, bezeichnet und hat das sogenannte Doppelbewußtsein: Zum einen ist er sich des Göttlichem hinter allem bewußt, zum anderen hat er aber auch noch ein sattviges (rein, erhoben) Ego. Er kann das ganze Universum im allgemeinen spüren und gleichzeitig parallel diesen seinen besonderen Körper und diesen seinen Geist. Der jivanmukta macht nichts mehr wirklich aus eigenem Willen, sondern weil das karma es erfordert. Sein Körper und Astralkörper haben noch ein karma, das ablaufen muß und dazu ist es notwendig, daß er zwischendurch in sein Ego hineingeht. Und er weiß, das karma dieses Körpers läuft ab als Teil des göttlichen Willens. Er spürt den Körper, kann auch Emotionen und alles andere empfinden, aber er weiß, daß dies nur ein Teil von ihm ist. So ähnlich, wie wir den ganzen Körper und gleichzeitig auch einen Finger als Teil davon spüren können. Wenn es notwendig ist, den Finger zu bewegen, dann bewege ich den Finger. Ich spüre mich zwar immer noch als der ganze Körper, aber ich bewege halt nur den Finger. Gleichzeitig geht aber auch mein Herzschlag weiter, ohne daß ich mich darum zu kümmern brauche, der Atem geht weiter, der Magen erfüllt seine Funktion u.s.w. Ähnlich ist es beim jivanmukta. Er weiß, für diesen Körper hat er eine besondere Aufgabe, aber er ist gleichzeitig auch eins mit allem. Alles läuft ab und ist der göttliche Wille. So wie die Funktionen des Körpers ablaufen, ohne daß man eigentlich etwas davon merkt, so läuft der größte Teil des Lebens, des Universums überhaupt, ab. Einiges kann der jivanmukta zwar auch beeinflussen, wenn er merkt, daß es notwendig ist oder die göttliche Energie will, daß er etwas von einem übergeordneten Standpunkt aus ausführt. Aber ansonsten bewegt er diesen kleinen Körper, diesen kleinen Geist und handelt durch sie, bis deren karma abgelaufen ist. Auf der fünften bhumika, padarthabhavani, ist nur wenig karma übrig. Wenn nur noch wenig karma da ist, dann läuft es ab, ohne daß man etwas dazutun muß. Es geschieht einfach. Das Doppelbewußtsein verschiebt sich mehr in Richtung auf das kosmische Universum. Dann handelt der Mensch tatsächlich nicht mehr aus eigenem Antrieb, sondern muß von außen dazu gebracht werden. Wenn man ihm dann nichts zu essen gibt, ißt er nichts mehr. Er merkt auch nichts. Solange das karma für den Körper noch da ist, wird er auch nicht sterben. Der Körper braucht dann einfach nichts. Er wird auch keine Vorträge geben, es sei denn, man bittet ihn darum. Wenn man ihn um etwas bittet, macht er es auch. Er ist eigentlich ein Spielball von dem, was Menschen oder das Schicksal von außen an ihn herantragen. Die siebte und letzte bhumika ist turiya, die endgültige Befreiung. Der Yogi tut nichts mehr, er verschmilzt mit dem Absoluten, er existiert nicht mehr als Persönlichkeit, er ist eins mit Gott, immer sat-chit-ananda, Sein, Wissen und Glückseligkeit.

Ein Beispiel für den padarthabhavani-Zustand („sieht Brahman überall“) ist die Geschichte von Jada Bharata. Er war in seinem früheren Leben ein König gewesen und hatte dort bereits die Vorstufen der Selbstverwirklichung erreicht. Um nun in diesem Leben alle Anhaftungen zu vermeiden, entschied er sich, mit niemandem zu sprechen. Als er unterwegs war, begegnete er einem König, der in einer Sänfte getragen wurde. Einer der Sänftenträger hatte sich den Fuß verknackst und so baten die anderen ihn, ob er nicht die Sänfte mittragen würde. Während sie weitergingen, sprang Jada Bharata plötzlich hoch, weil auf dem Weg eine Schnecke war, die er erst spät gesehen hatte. Die Sänfte bewegte sich unsanft und der König bekam eine Beule. Das wiederholte sich noch einige Male mit verschiedenen Tieren wie Ameisen, Kröten usw., die Jada Bharata am Weg sah und nicht zertreten wollte. Schließlich sprang der König aus der Sänfte, nahm sein Schwert und rief zornig: „Weißt du nicht wer ich bin? Ich bin der Herr über Leben und Tod und du wagst es, das zu tun?“ Nun öffnete Jada Bharata zum ersten Mal den Mund und sagte: „Oh großer König, du denkst du bist Herr über Leben und Tod und kannst noch nicht einmal deinen eigenen Geist beherrschen. Du kannst vielleicht diesen Körper töten, aber das Selbst kannst du nicht töten.“

Abhyasa ist also die Bemühung über lange Zeit ohne Unterbrechung um diesen Zustand der Befreiung. Sicher wird es am Anfang Unterbrechungen geben, ab und zu denkt man an etwas anderes, manchmal muß man sich auch entspannen –, aber grundsätzlich sollte man jeden Tag meditieren, die Praktiken ausführen, über einen langen Zeitraum, ohne ein paar Wochen oder Monate auszusetzen. Es gibt Zeiten, wo wir die Praktiken intensivieren und es gibt Zeiten, wo man weniger asanas, pranayama und Meditation übt, dafür mehr im Rahmen des täglichen Lebens handelt. Aber insgesamt sollte man jeden Tag diese Praktiken durchführen und an den Gedanken, an der Bewußtheit des Göttlichen, arbeiten. Das ist wichtig. Dann wird es irgendwann tatsächlich ohne Unterbrechung sein, mit aufrichtiger Hingabe und Begeisterung, satkara, nicht nur mechanisch.

Ist man schon längere Zeit auf dem spirituellen Weg, besteht die Gefahr, daß die Praxis irgendwann einmal mechanisch wird. Praktiziert man jahrelang jeden Tag die gleiche asana-Reihe, muß man ab einem bestimmten Punkt mit Langeweile kämpfen, oder man fängt an, während des Übens andere Gedanken zu spinnen. Dann ist es besonders wichtig, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, warum man überhaupt übt, sich zu konzentrieren, bewußt zu atmen, mantras (Sanskritwort oder -vers) zu wiederholen, eventuell auch die Praxis etwas zu ändern, damit der Geist wieder neuen Enthusiasmus bekommt. Die Praktik sollte von ganzem Herzen kommen, nicht halbherzig sein.

Bei den meisten Menschen, die regelmäßig üben, gibt es auch Trockenperioden. Und es ist besser, mechanisch zu üben als gar nicht. Es ist besser, nur dazusitzen und in der Meditation über Gott und die Welt nachzudenken – oft mehr über die Welt als über Gott –, als sich gar nicht hinzusetzen. Andere haben Phasen, wo sie in der Meditation zwischendurch einnicken. Es ist besser, dies durchzustehen als ganz aufzuhören. Man sollte dafür sorgen, daß diese Perioden nicht zu lange dauern. Dazu muß man erst einmal prüfen, ob es einen Grund dafür gibt. Es kann sein, daß man in seinem Eifer den Schlaf zu sehr reduziert hat und somit einfach mehr Schlaf braucht. Oder man ist aus irgendeinem Grund niedergedrückt. Man kann angehende Diabetes haben, die behandelt werden muß. Unreinheiten können sich im Körper angesammelt haben, so daß man mehr kriyas (Reinigungsübungen) machen sollte. Es kann aber auch sein, daß der Geist einfach gegen die Monotonie streikt. Wichtig ist, sich immer wieder zu bemühen, sich neu zu motivieren, zu versuchen, neuen Enthusiasmus aufzubringen. Anstelle der normalen Reaktion nachzugeben – die Praxis gefällt einem nicht, also wird aufgehört oder etwas ganz anderes gemacht –, ist es klüger, sich zu überlegen, was man tun könnte, um die Praktiken (wieder) befriedigender zu machen.

Es heißt ja, alle Antworten sind eigentlich in uns. Die Kunst ist, die richtigen Fragen zu stellen, dann kommen auch die Antworten. Schon allein dadurch, daß man regelmäßig praktiziert, entsteht im Lauf der Zeit ein immer stärkerer Wunsch danach. Man fühlt sich einfach nicht mehr wohl, wenn man einmal nicht geübt hat. Oft passiert es, daß das Energieniveau sinkt, wenn die Praktiken eine Weile etwas reduziert wurden, weil man einfach weniger Zeit hatte. Hat man weniger Energie, sinkt auch die Motivation zu praktizieren und so bewegt man sich in einer Abwärtsspirale. Man hat keine Lust, zu praktizieren, sondern eher das Gefühl, sich mal ausruhen und entspannen zu müssen, weil man so hart gearbeitet hat. Gut, das kann man sich auch mal kurze Zeit gönnen. Aber dann muß man viveka, die Unterscheidungskraft, einschalten und sich klarmachen, daß der Wunsch, weniger zu praktizieren, daher kommt, daß man eine Weile weniger praktiziert hat und infolgedessen das Energieniveau gesunken ist. Und wie bringe ich das Energieniveau wieder hoch? Nicht, indem ich weiterhin nichts mache, sondern indem ich wieder vermehrt praktiziere. Und wenn die eigene Anstrengung nicht ausreicht, sucht man sich eben Hilfe und geht zum Beispiel eine Weile in einen ashram, an einen Ort, wo die gesamte Energie und Atmosphäre hilfreich, unterstützend und aufbauend wirken.

Swami Sivananda hat in einem seiner Bücher geschrieben: „Es mag Tage geben im Leben eines Aspiranten, wo er keine Zeit hat zu essen. Es mag Tage geben, wo er keine Zeit hat zu schlafen. Aber es sollte keinen Tag geben, wo er keine Zeit hat zu meditieren. Denn ein Tag ohne Meditation ist wie zwei verlorene Tage.“ Die Kugel, die wir hochschieben, rollt dann ein ganzes Stück wieder hinunter. Paramahamsa Yogananda war da noch radikaler. Er sagt, ein Tag ohne Meditation ist eine Woche Rückschritt. Das ist zwar nicht so ganz wörtlich zu nehmen, aber es ist schon sehr wichtig, jeden Tag zu meditieren. Mit den asanas mal einen Tag auszusetzen, ist nicht ganz so tragisch. Aber die Meditation sollte man wirklich täglich üben – ohne Unterbrechung und mit aufrichtiger Hingabe.

Als Shri Karthikeyan, ein Meister aus dem Sivananda-Ashram in Rishikesh, der unser Seminarhaus ein-, zweimal im Jahr besucht und Vorträge hält, das letzte Mal hier war, ist mir nochmals richtig klargeworden, für wie wichtig satsang, das Zusammensein mit Weisen und anderen spirituellen Menschen, im traditionellen Yoga gehalten wird. Dem Yoga wird oft vorgeworfen, er mache einsam oder sei Nabelschau. Aber im klassischen Yogasystem ist das überhaupt nicht der Fall. Vielen Menschen mit emotionalen und schweren anderen Problemen hat Shri Karthikeyan empfohlen, ein paar Wochen hierher in den ashram zu kommen. Wenn man eine Weile hier ist, verschwinden die Probleme von selbst. Die Umgebung und der Umgang mit positiven, spirituellen Menschen, in Verbindung mit einem disziplinierten Tagesablauf, heilen sehr stark.

Dabei mußte ich daran denken, daß wir hier tatsächlich öfter wirklich verzweifelte Menschen haben. Sie haben eine Trennung oder sonstige psychische Krisen hinter sich bzw. stecken mittendrin, wissen nicht, was sie im Leben wollen oder leiden unter körperlichen oder seelischen Krankheiten. Nach ein paar Wochen kann man guten Gewissens sagen, daß sie mit einem ganz neuen Lebensgefühl wieder hinausgehen. Gerade Menschen mit großen psychischen Schwierigkeiten leben in einer spirituellen Umgebung mit positiven Menschen richtig auf.

Auf der psychischen Ebene ist satsang also etwas sehr Wichtiges. Leider bietet unsere Gesellschaft auf diesem Gebiet nicht sehr viel. Es gibt zwar die stationäre Therapie, aber dort ist die Mehrheit der Menschen psychisch gestört. Alkoholiker sind dann zum Beispiel nur mit Alkoholikern zusammen, so daß es auch eine riesige Rückfallrate gibt. Es ist schon allein nützlich und wohltuend, eine Weile lang aus der gewohnten Umgebung herausgerissen zu werden, um seinen Geist in neue Bahnen zu lenken und zu schulen. Aber eigentlich wäre es gut, wenn es mehr Gemeinschaften von positiven Menschen gäbe, wo Menschen in psychischen und sonstigen Schwierigkeiten einfach dazustoßen und eine Zeitlang mitleben könnten. Das war früher in Großfamilien durchaus üblich. Wenn es beispielsweise einem Kind nicht gut ging, lebte es ein paar Wochen woanders, vielleicht bei der Großmutter oder wurde von einem anderen Teil der Familie eine Weile aufgenommen, um sich zu erholen und ihm etwas Distanz zu verschaffen. Es wäre schön, wenn es so etwas auch für Erwachsene gäbe – ein positives, erhebendes Umfeld. Das gilt auf der emotionalen und noch mehr auf der spirituellen Ebene. Wenn es einem spirituell nicht so gut geht, muß man die Gesellschaft anderer spiritueller Menschen suchen, idealerweise für ein paar Tage oder Wochen in einen ashram, ein Kloster oder eine spirituelle Gemeinschaft ziehen. Das erhebt.

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Kapitel 1, Vers 15

Deutsche Übersetzung:

Vairagya (Nichtanhaften), ist der Bewußtseinszustand, in dem das Verlangen nach sichtbaren und unsichtbaren Objekten aufgehört hat.

Sanskrit Text:

dṛṣṭa-anuśravika-viṣaya-vitṛṣṇasya vaśīkāra-saṁjṇā vairāgyam ||15||

दृष्टानुश्रविकविषयवितृष्णस्य वशीकारसंज्णा वैराग्यम् ॥१५॥

drishta anushravika vishaya vitrishnasya vashikara sanjna vairagyam ||15||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • dṛṣṭa = gesehen, sichtbar
  • ānuśravika = gehört von anderen
  • viṣaya = Objekt, Dinge
  • tṛṣṇa = Gier, Durst
  • vitṛṣna = Durstlosigkeit
  • vitṛṣṇasya = der Durstlose
  • vaśikāra = Gleichgewicht, der gleiche
  • saṁjñā = Bewusstsein, mit Wissen
  • vairāgya = Gelassenheit, Gleichmut, Verhaftungslosigkeit