Vers 51

Uruvaai Aruvaai Ulathaai Ilathaai
Maruvaai Malaraai Maniyaai Oliyaai
Karuvaai Uiraai Gathiyaai Vidhiyaai
Guruvaai Varuvaai Arulvaai Gugane


Mit Form und formlos, was nicht ist und was ist,
Blume und Duft, Edelstein und Glanz,
Körper und Seele, Heil und Regeln der Rechtschaffenheit,
O Gott der (als alles und) als Guru kommt! O Guha! Schenke mir Deine Gnade.


„O allmächtiger Guha! O höchstes Wesen, das (als all diese) kommt mit Form
und ohne Form, als das was ist und was nicht ist, als Blume und (ihr) Duft, als
Edelstein und (sein) Glanz, als Körper (Universum) und Seele (universaler
Geist) (der es durchdringt und belebt), als die Regeln der Rechtschaffenheit
und als Moksha (welche durch sie erlangt wird) (d.h. als Mittel und als Ziel) und
als der Guru! Schenke Deine Gnade (allen).“

Erklärung:

Dies ist ein wunderschöner Vers, mit dem der heilige Arunagiri sein göttliches Werk Kandar Anubhuti abschließt. Es ist ein spontaner, ekstatischer Ausfluss aus Arunagiris höchster Gotteserfahrung, in einem einfachen, melodiösen, majestätischen Stil, der einen schon in spirituelle Stimmung versetzt, wenn man ihn nur rezitiert. In diesem Vers zeichnet Arunagiri anschaulich den höchsten Zustand der Gottesekstase eines vollständig erleuchteten Jnanis – den Sahaja Samadhi Avastha, das Ergebnis seiner eigenen Erfahrung und der selbstverwirklichter Heiliger.

Der Sadhaka, der Pesaa Anubhuti, die sprachlose Erfahrung oder Maha Mauna (große Stille) erreicht hat (Vers 43), nimmt, wenn er als Jivanmukta aus dieser Erfahrung herauskommt, nur Gott allein wahr, im Inneren als den Ve l und im Äußeren als die Füße, die überall leuchten (Vers 44). Mit diesem Gottesbewusstsein bewegt er sich und leistet spirituellen Dienst zum Wohl der Welt (Lokasangraha), indem er suchenden Seelen die nötige Führung gibt. Nach und nach wird sein Gottesbewusstsein tief und gesättigter, bis zu dem Grad, wo er im Zustand ewigen, ununterbrochenen Bewusstseins Gottes (Sahaja Avastha) gegründet ist. Dann nimmt er nicht nur Gott in allem wahr, sondern nimmt Ihn als alles wahr.

Für ihn ist Gott nicht nur in allem, sondern Gott ist alles, und so kommt Gott als alles. Was immer er sieht, berührt, riecht, schmeckt oder hört ist Gott. Was immer er denkt, fühlt oder versteht ist Gott. Gott ist oben und unten; Gott ist Materie und Geist; Gott ist der Weg und das Ziel; innen ist Gott; außen ist Gott. Alles ist Gott. Überall ist Gott. So majestätisch ist die göttliche Erfahrung einer befreiten Seele, die sich durch diese Verse des Heiligen mit Gotteserfahrung ergießt. Wie der Heilige Thayumanavar sagte, hatte der heilige Arunagiri Anubhuti von Skanda und schrieb daraufhin das Werk Kandar Anubhuti, damit andere dieselbe Segnung erreichen können wie er. So großartig ist ein selbstverwirklichter Heiliger! Für eine solch erhabene Seele werden die üblichen Vorstellungen von Form und Formlosigkeit, Existenz und Nichtexistenz usw., die nur für den menschlichen Geist im dualen Denken Gültigkeit haben, bedeutungslos.

Alles verwandelt sich und wird transzendiert in eine homogene ungeteilte Erfahrung. Diese mystische Erfahrung eines Jivanmukta ist unmöglich in menschlicher Sprache zu beschreiben. Und dennoch gelingt es Arunagiri in der geschicktesten Art und Weise, im Rahmen eines Verses mit 16 Worten. Er drückt alle möglichen Vorstellungen so schön aus, dass er den gesamten Bereich der menschlichen Erfahrung abdeckt und uns eine Ahnung dieser Erfahrung ermöglicht. Sobald wir die Augen öffnen, sehen wir Dinge unterschiedlicher Gestalten und Formen.

Das erste Konzept, das wir von Dingen haben, ist „Form“. Wir spüren auch Dinge ohne Form, wie Raum etc. Daher beginnt Arunagiri den Vers mit „Uruvaai, Aruvaai“, d.h. „mit Form und ohne Form“. Mit diesen zwei Worten deckt er schon alles ab. Form und Formlosigkeit, das ist alles, es gibt kein drittes uns bekanntes Konzept. Man kann alles darunter fassen. Bei der Beschreibung des Avataras von Skanda sagt das Skanda Purana: „ Aruvamum Uruvum Aagi, Anaadiyaaip Palavaai Onraai, Brammamaai Ninra Jyoti Pizhambu“ – „Diese Bewusst seinsmasse (Licht), die das Höchste Brahman ist, die sowohl mit als auch ohne Form ist, die ohne Anfang ist, die Vielen wie auch das Eine.

Daraus geht klar hervor, dass alles und jedes, sei es mit Form oder ohne Form, Gott und nur Gott alleine ist. Daher ist es nicht so, dass Gott nur in bestimmten Formen ist oder dass er nur in besonderen Formen erscheinen kann. Tatsächlich sind alle Formen nur Er. Aber nur ein Jivanmukta kann dies erfahren. Und daher sagt Arunagiri, kommt Gott zu der verwirklichten Seele gleichzeitig als all dieses, was eine Form hat und was keine Form hat, weil Er beides ist (Uru und Aru). Dann kommt das nächste Paar, „Ulathaai, Ilathaai“, d.h. „das was ist und das, was nicht ist“. Die menschliche Vorstellung von „ist“ und „ist nicht“ unterscheidet sich sehr auf den verschiedenen Stufen der Evolution.

Für den groben Materialisten gibt es alleine den physischen Kosmos, d.h. es gibt nur Materie und so etwas wie Gott gibt es nicht. Für den Vedantin andererseits gibt es nur Brahman (das ewig Wirkliche), weil Es das Absolute ist und es gibt keine Welt (d.h. die Welt ist nicht unveränderlich), weil sie der Veränderung und Transzendenz unterliegt. Aber zu dem erleuchteten Weisen, sagt Arunagiri, kommt Gott sowohl als das, was ist, wie auch als das, was nicht ist, was auch immer unser Verständnis und unsere Akzeptanz dieser Konzepte sein mag. Ob die Welt ist und Gott nicht ist oder nur Gott existiert und die Welt nicht. Er kommt als Beides. Dies ist die Erfahrung eines gereiften Jnanis von höchster advaitischer Verwirklichung, wo selbst der physische Kosmos usw., die zunächst als „Neti, Neti“ („nicht dies, nicht dies“) zum Zweck der Auflösung und Transzendierung abgelehnt wurden, als Gott oder Brahman selbst erfahren werden, als „Sarvam Khalvidam Brahma“ – „Alles ist wahrlich Brahman.“

So fasst Arunagiri schon in der allerersten Zeile des Verses die Essenz der Sahaja Avastha-Erfahrung eines Jivanmukta in höchst inspirierender Weise zusammen. Interessanterweise beschreibt Arunagiri in Vers 13 die Wirklichkeit (Gott) als „nicht mit Form, nicht ohne Form; nicht das, was ist, noch das, was nicht ist“ (Uruvanru, Aruvanru; Ulathanru, Ilathanru). Hier sagt er „Gott, der mit Form und ohne Form kommt, als das, was ist und als das, was nicht ist“ (Uruvaai, Aruvaai; Ulathaai, Ilathaai). In Vers 13 geht es um eine Beschreibung der Natur der höchsten Wirklichkeit; daher heißt es, sie ist weder dies noch das. Aber hier ist es eine Frage der Erfahrung Gottes. Daher ist er beides, dies und das. Und dort verwendet Arunagiri das Wort „ Adhu“, „Das“ für die Wirklichkeit, was ein Gefühl von Distanz vermittelt.

Aber hier sagt er „Guhan“, was bedeutet „Er, der in der Höhle des Herzens strahlt“, was Nähe suggeriert, eher ein Gefühl von „Besitz“, da Er in das Herz gekommen ist, was auch andeutet, dass es eine Erfahrung ist. In den Anfangsstadien des Sadhanas (von Vers 13) ist die Erfahrung des Sadhakas: „Diese Wirklichkeit selbst ist Murugan, ist Gott mit dem unvergleichlichen Ve l und sein Guru.“ Die Wirklichkeit bzw. Gott konnten nur bis zu diesem Grad verstanden werden. Aber hier ist Gott alles – mit Form und ohne Form, das was ist und was nicht ist, die Blume und ihr Duft, der Edelstein und das von ihm ausstrahlende Licht, der Körper wie die Seele (Bewusst sein), die ihn belebt, das Ziel, Moksha und auch der Weg (der Rechtschaffenheit, des Dharmas), der da hin führt und schließlich der Guru. Eine genaue Analyse dieser beiden Verse würde den großen Graben zwischen der „Beschreibung“ und der „Erfahrung“ der Wirklichkeit offenbaren.

Man kann Gott erfahren, aber nicht erklären oder verstehen. Jetzt wollen wir weitersehen. Von den sich gegenseitig ausschließenden, Positiv-Negativ- Konzepten, von Form und Formlosigkeit, von dem, was ist und was nicht ist, bringt uns Arunagiri nun zu den Vorstellungen von Substanz und ihren Eigenschaften - Blume und Duft, Edelstein und Glanz. Eine Substanz und ihre Eigenschaften schließen sich nicht gegenseitig aus, wie mit und ohne Form oder was ist und was nicht ist; sie können zusammen bestehen. Und dennoch sind sie nicht ein- und dasselbe. Die Blume ist eine Sache und ihr Duft eine andere. Der Edelstein und das Licht, das er verbreitet, sind zwei verschiedene Dinge.

Aber für eine befreite Seele ist die Blume Gott und der Duft, den sie verbreitet, ist auch Gott. Der Edelstein und der von ihm ausgehende Glanz sind beide nur Er. Darum sagt Arunagiri in der zweiten Zeile des Verses „Maruvaai Malaraai, Maiyaai Oliyaai“, d.h. als Blume und ihr Duft, als Edelstein und sein Glanz. Diese Konzepte sind in der menschlichen Erfahrung etwas fortgeschrittener. Dann sagt er „Karuvaai Uiraai, Gathiyaai Vidhiyaai“, d.h. als Körper und Seele, als Moksha und Regeln“. Der Körper ist Jada, ein unbelebtes Objekt. Die Seele ist Chetana, ein Bewusstseinsprinzip. Die Seele belebt und aktiviert den Körper. Ohne die Seele wird der Körper leblos und zerfällt. Der Wert, die Schönheit usw. des Körpers liegen im Lebensprinzip. Aber die Seele kann nicht ohne einen physischen, feinstofflichen oder kausalen Körper existieren, ihr Karma ausarbeiten und Moksha erreichen. Dass Gott sich sowohl als Körper als auch als Seele ausdrückt, zeigt, dass er beides ist, Materie und Geist, die nicht unabhängig voneinander existieren können, da sie voneinander abhängen. Außerdem ist Er sowohl der Zustand von Moksha, Befreiung, als auch Vidhi, die Verhaltensregeln, die in den Veden, Agamas usw. niedergelegt sind.

Die Regeln des Dharma sind das Mittel und Moksha ist das Ziel. Dharma, Rechtschaffenheit, führt zu Moksha (der Pflichterfüllung, der Einklang mit den kosmischen Gesetzen) und Moksha bestimmt, ob eine Handlung oder Verhaltens regel im Einklang mit Dharma ist oder nicht, ob sie richtig ist oder nicht. Obwohl beide sich gegenseitig bedingen, sind sie dennoch nicht dasselbe. Aber für den Jivanmukta (in diesem Körper befreiten) ist Gott beides und kommt als beides. So beschreibt die dritte Zeile des Verses die höheren Konzepte wechselseitiger Abhängigkeit und gegenseitiger Bedingtheit, die den höchsten Bereich menschlicher Erfahrung abdecken. All diese Konzepte des Ausschließens und der Widersprüchlichkeit (Zeile 1), von Substanz und ihrer Eigenschaft (Zeile 2) und von gegenseitiger Abhängigkeit und Bedingtheit sind Stufen in der Entwicklung des menschlichen Denkens und Verstehens. Sie decken alle Bereiche menschlicher Erfahrung ab und werden als Gegensatzpaare vorgestellt, um zu zeigen, dass sie nicht identisch sind.

Aufgrund unserer individualistischen Existenz als begrenzte Persönlichkeit kann uns Gott nur als eines dieser Konzepte erscheinen. Das menschliche Bewusstsein ist im Prozess der räumlicheitlichen Existenz gefangen. Es hat sich selbst auf einen bestimmten Geist und Körper beschränkt und als Folge davon hat es Vorstellungen von innen und außen. Weil es sich selbst durch die Sinne veräußerlicht, ist seine Wahrnehmung begrenzt und es kann Dinge nur begrenzt sehen, hören oder fühlen. Daher entstehen die Konzepte von Form und Formlosigkeit, Blume und Duft, Körper und Seele usw. in der gebundenen Seele. Aber der Befreite hat sich von den Begrenzungen räumlichzeitlicher Existenz befreit und identifiziert sich mit Gott, der alle Dinge gleichzeitig ist. Für solch eine gesegnete Seele, die sich mit allem identifiziert hat, gibt es kein Innen oder Außen, mit Form oder ohne Form usw.; Gott ist alles und er kommt als alles, nicht als eine Abfolge, sondern gleichzeitig.

Das heißt, Gott bzw. sich selbst gleichzeitig in allem als alles zu erfahren. Und diese Erfahrung enthüllt uns dieser Vers. Jede sichtbare Form ist Gott, und das Unsichtbare und Formlose ist auch Gott. Was ist, ist Er und was nicht ist, ist auch nur Er. Die Blume und ihr Duft sind Er. Der Edelstein und sein Glanz, also alle Substanzen und alle Eigenschaften, Körper und Seele, also Kosmos und der ihn belebende Geist (Ishwara), Dharma und Moksha (Mittel und Ziel) – alles ist Er. Er kommt oder wird als alles erfahren, gleichzeitig. Können wir uns diese Erfahrung eines Jivanmukta vorstellen? Selbst es zu denken, ist verblüffend. Auch nur einen Moment über diese mystische Erfahrung zu meditieren reicht aus, uns in Ekstase zu versetzen. In der vierten Zeile sagt Arunagiri, Gott kommt als Guru. Bezeichnenderweise wählt er hier nicht ein Gegensatzpaar wie in den vorherigen Zeilen, sondern eine einzige Idee, weil der Guru Gott selbst ist (Vers 13) und alle Konzepte im Guru aufgehen.

Die Guru Gita (Schrift) sagt: „Verneigung vor dem Guru, der die Bedeutung des Wortes „Du“ aufzeigt, der das ganze Universum, die gesamte bewegte und unbewegte Schöpfung durchdringt mit seinen beweglichen und unbeweglichen Geschöpfen. Verneigung vor dem Guru, der die wahre Bedeutung des Wortes „Das“ zeigt, der die bewegte und unbewegte Schöpfung in Form des ungeteilten Unendlichen durchdringt. Verneigung vor dem Guru, der die wahre Bedeutung Wortes „bist“ (in dem Satz „Das bist Du“16) zeigt, der als reines Bewusstsein alle drei Welten mit ihren beweglichen und unbeweglichen Wesen durchdringt. Verneigung vor dem Guru, der jenseits von Nada, Bindu und Kala (jenseits von Zeit und Raum) ist, der reines Bewusstsein ist, ewig, friedvoll, jenseits des Raumes und makellos. Der Guru ist Brahma; der Guru ist Vishnu; der Guru ist Shiva; der Guru ist das Höchste Brahman selbst. Verneigung vor diesem Guru.“ Mit dem Begriff „Guru“ fasst Arunagiri all das zusammen, was in den vorherigen drei Zeilen des Verses gesagt wurde. So ist diese letzte Zeile: „Guruvaai Varuvaai Arulvaai Gugane“ - „O Allmächtiger, der als Guru kommt! O Guha! Schenke Deine Gnade” –in sich vollständig und enthält in sich den ganzen Vers.

Hier wird „Varuvaai“ als Gerundium, als substantivierter Infinitiv (Vinaiyaalanaiyam Peyar) verwendet. So bedeutet diese Zeile auch: „ O Guha! Komm als (mein) Guru und segne (mich).“ Daher gilt sie als ein Mantra und wird mit Liebe und Gefühl (Bhakti und Bhava) rezitiert und gesungen, was sowohl einem selbst als auch anderen Segen bringt. Der erste Vers des Kandar Anubhuti beginnt mit „ Aadumpari Vel Aniseval“, was als ein Mantra gilt – „Velum Mayilum Thunai“, was „Der Vel und der Pfau sind (mein) Schutz und Unterstützung“ bedeutet. Der letzte Vers des Kandar Anubhuti endet mit „Guruvaai Varuvaai Arulvaai Gugane“, was auch als Mantra gilt. So beginnt und endet das Werk mit Mantras und enthält auch dazwischen viele Mantras. Darum wird das Kandar Anubhuti als ein „Mantra-Shastra“ – eine Anhandlung voller Mantras – hoch geschätzt, weil es durch seine hingebungsvolle, regelmäßige Rezitation in der Lage ist, all das Gute zu gewähren, wonach man strebt. In diesem Vers wird Gott als „Guha“ angerufen, was wörtlich bedeutet: „Einer, der in der Höhle des Herzens lebt oder leuchtet.“ Es ist von großer Bedeutung, dass Arunagiri diesen Namen Gottes für diesen Vers wählt, obwohl der Titel des Werkes, Kandar Anubhuti, sich auf Gott als „Kanda“ (Skanda) bezieht. Im gesamten Werk des Kandar Anubhuti gibt es nur einen einzigen Bezug auf einen örtlich begrenzten Aspekt Gottes, nämlich Tiruchchengodu bzw. Naagaasala in Vers 11 – wahrscheinlich deshalb, weil der dort verehrte Lord Skanda Arungiri die Gabe gewährte, dass, wo immer er sei, wenn er den Namen „Kanda“ sprechen und Ihn rufen würde, Er Ihm erscheinen würde.

Daher scheint Arunagiri als Ausdruck seiner Dankbarkeit den Namen „Kanda“ nicht nur für den Titel dieses Buches gewählt zu haben, sondern auch für zwei weitere seiner Werke, nämlich Kandar Alankaaram und Kandar Anthaathi. Aber in diesem letzten Vers hat er bewusst „Guha“ gewählt, weil es der Sahaja Avastha Vers ist (der Vers, der die höchste Erfahrung beschreibt) und „Guha“ dies am angemessensten zum Ausdruck bringt. Im Narayana Sukta des Yajur Veda gibt es eine großartige Beschreibung des Höchsten Wesens wie folgt: „Das Göttliche Wesen ist der Träger des gesamten Kosmos, der eins mit ihm ist. Er hat Tausende von Augen und Köpfen, d.h. alle Augen und Köpfe gehören zu ihm. Er ist die Quelle der Freude.

Er hat sich im Menschen verkörptert als seine höchste Stütze, als der innewohnende Geist, der das ganze Wesen durchdringt, der sowohl innen als auch außen von allem ist, was in dieser Welt gesehen oder gehört werden kann (nah oder fern, grob- oder feinstofflich). Er ist das unendliche Selbst; Er ist der wirkliche Meditierende und die Meditation und er ist das Ziel. Über Ihn muss meditiert werden. Der Ort der Meditation über Ihn ist der Äther im Herzen. Das Herz ist die große Wohnstatt des Universums und in der Mitte des Herzens gibt es ein Feuer; im Zentrum des Feuers gibt es eine Zunge oder Feuerflamme von der Farbe strahlenden Goldes, blendend wie ein Blitz. Das Höchste Wesen, der Paramatman, weilt in der Mitte dieser Flamme. Er ist der Schöpfer Brahma, Er ist der Zerstörer Shiva, Er ist der Erhalter Vishnu, Er ist Indra (der König der Engelswesen), Er ist die materielle und die wirkende Ursache des Universums und das höchste aus sich selbst leuchtende reine Bewusstsein, so schließt das Sukta.

Arunagiri bezieht sich auf dieses Höchste Wesen als „Guha“ – Einer, der in der Höhle des Herzens weilt oder scheint; der als alles und als der Guru kommt und dies ist. Wie schön stellt der Heilige die Essenz des gesamten Narayana Sukta in diesem einzigen Vers des Kandar Anubhuti dar! Das Narayana Sukta und das Kandar Anubhuti sind beide der Ausfluss göttlicher Ekstase erleuchteter Seelen, die im Ozean des Seligkeitsbewusstseins badeten. Darum wählte Arunagiri bezeichnenderweise und bewusst den Namen „Guha“ für diesen abschließenden Sahajavastha-Vers. „Guha“ ist das Höchste Bewusstsein, das sich selbst überall und als alles offenbart. Es ist das Selbst oder Brahman, in dem die befreite Seele gegründet ist. „Guha“ ist alles, weil es sowohl das Selbst des Jivanmukta als auch des Kosmos ist.

Gottes Erscheinen als alles bedeutet nicht ein physisches Erscheinen von Dingen oder eines Moments in Raum und Zeit, sondern „Erscheinen in der Erfahrung“, d.h. was auch immer ist, wird als Gott erfahren. Dies ist das Erscheinen Gottes, die Gotteserfahrung. Es ist vom physischen Erscheinen Gottes verschieden, denn wenn Gott als ein Objekt mit Form (Uru) auf eine befreite Seele zukommen sollte, müsste er sich im Raum bewegen, der auch nur Er ist; wobei der Raum ohne Form (Aru) ist. Wenn also Arunagiri sagt, dass Gott als dieses kommt, als das, als alles, bedeutet das mystisch, dass der Jivanmukta alles als Gott erfährt, als sein eigenes Selbst, als „Guha“, weil er sich mit dem Universalen Selbst, dem Selbst von allem, identifiziert hat bzw. dazu geworden ist. Er erkennt oder fühlt daher sein Selbst in allem und alles im Selbst; er sieht den Seher im Gesehenen und das Gesehene im Seher; er erfährt Gott als alles und alles als Gott. Dies ist die Essenz der Gottesvision (Bhagavad Darshan oder Atma Darshan), die Arunagiri in diesem Vers vermitteln möchte. Dies alles sind unterschiedliche Weisen, die innere mystische Erfahrung eines Jivanmukta auszudrücken, die in der Sprache der Menschen als „mit Form, ohne Form“ etc. beschrieben wird, was symbolisch dafür steht, dass es eine gleichzeitige Erfahrung aller Dinge ist. Diese Wahrnehmung der Nichtunterscheidung ist der Höhepunkt der Gottes-erfahrung – Abheda Darshanam Jnanam.

Solch ein Weiser ist ein sich auf Erden bewegender Gott, bei dem die Welt um Beistand Zuflucht sucht, bei dem alle Wesen Trost finden, um den sich suchende Seelen wie hungrige Kinder um die Mutter versammeln und für den aufgrund seines Abheda Darshanams, seiner ganzheitlichen nichtunterscheidenden Sicht, nichts irgendeinen Unterschied macht. Dies ist der Sahaja Avastha der Jivanmuktas, die Sarvabhuta-Hiteratah sind – jene, die das Wohlergehen aller Wesen anstreben, von denen Swami Sivananda einer war. Er schreibt in „Sivananda Gita“ (kurze Autobiographie): „Die Gefallenen aufzurichten, die Blinden zu führen, was ich habe, mit anderen zu teilen, den Geplagten Trost und den Leidenden Freude zu bringen, sind meine Ideale. Vollständiges Vertrauen in Gott zu haben, meine Nächsten als mein eigenes Selbst zu lieben, Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele zu lieben, Kühe, Tiere, Frauen und Kinder zu schützen, sind meine Ziele. Meine Losung ist Liebe. Mein Ziel ist Sahaja Samadhi Avastha, der natürliche, kontinuierliche überbewusste Zustand.“ Dies ist die bescheidene Art, in der Swami Sivananda sagt, was er tatsächlich war und tat. Gott ist Satchidananda.

Er ist ein Ozean ungeteilten Seins-Bewusstseins- Seligkeit. Der Ozean ist nichts als Wasser und Gott ist nichts als Bewusstsein. Prajnanam Brahma – reines Bewusstsein ist Brahman, sagt die Upanishade. Der Ozean ist Wasser, ob ruhig am Grund oder an der Oberfläche Wellen schlagend. Auf ähnliche Weise ist alles Satchidananda, egal ob im absorbierten Zustand von Pesaa Anubhuti ( Vers 43) oder als dieses weite Panorama der Schöpfung in diesem Sahaja Avastha. So wie Wellen aus Wasser gegeneinander schlagen und sich miteinander vermischen, rollt Bewusstsein über Bewusstsein und bleibt als Bewusstsein. Dies ist der Sahaja Samadhi Avasta, der natürliche überbewusste Zustand eines befreiten Weisen.

In Vers 43 beschrieb Arunagiri das „Pesaa Anubhuti“, worin die objektive Welt vollständig verneint wird und man in der sprachlosen Erfahrung, Maha-Mouna, aufgeht. Aber wenn der Weise aus dieser Erfahrung herauskommt, wenn er sich in „dieser unserer Welt“ zum Wohle der Menschheit betätigt, was erfährt er dann? Für ihn hört die Welt auf so zu sein, wie wir sie wahrnehmen. Sie löst sich in Gott auf. Das immer gleiche Satchidananda tanzt als all diese Namen und Formen, als Eigenschaften und Substanzen, als die physischen, feinstofflichen und kausalen Reiche, kurz gesagt als alles. Was immer die Sinne wahrnehmen, der Geist denkt oder der Intellekt versteht ist alles Satchidananda; weil sie alle durch die magische Berührung des Gottesbewusstseins verwandelt wurden. Es ist Bewusstsein, das Bewusstsein wahrnimmt, Gott der Gott wahrnimmt; es gibt dort keinen Menschen, keine Welt; sondern nur Gott und Gott allein. Eine großartige Erfahrung! Wie sehr wir auch immer versuchen mögen, diese Erfahrung des Sahaja Avastha zu erklären, es es bleibt immer unzureichend und unbefriedigend, weil es nichts ist, was erklärt werden kann, sondern etwas, was erfahren werden muss. Hier können wir einen interessanten Abstecher machen. Einige sind der Meinung, dass nur die ersten 43 Verse auf Arunagiri zurückgehen, da es im 43. Vers heißt: „Pesaa Anubhuti Pirandhadhuve – die sprachlose Erfahrung wurde geboren“, und dass die letzten 8 Verse nicht von Arunagiri sind, sondern später von jemand anderem hinzugefügt wurden. Aber andere behaupten, dass alle 51 Verse Arunagiris eigene und ursprüngliche Komposition sind, weil sie von außergewöhnlicher Natur sind und weil auch ein Werk namens „Thanigai Ula“ vom Kandar Anubhuti sagt: „ Alle 50 Anubhutis (Verse) sind Edelsteine, die selige Erfahrung schenken“.

Aus unserer Untersuchung können wir schlussfolgern, dass die 51 Verse des Kandar Anubhutis tatsächlich Arunagiris eigene sind. Tatsächlich enthalten die letzten 8 Verse das Beste und die Essenz des Werkes. Diese Verse sind von außergewöhnlicher Natur und es gibt nicht den geringsten Zweifel, dass niemand außer Arunagiri solch prägnante Verse von so hohem spirituellen Kaliber hätte schreiben können. Die ganze Essenz des Vedantischen Sadhanas wie auch viele verborgene Hinweise auf höhere Meditation werden in diesen Versen so mystisch offenbart, dass nur ein Heiliger von der Verwirklichung eines Arunagiri dies hätte ausdrücken können. Auch haben wir in den Erklärungen der Verse 43 und 46 gesehen, dass diejenigen, die die „sprachlose Erfahrung“ erreichen (Pesaa Anubhuti, Vers 43) entgültig darin bleiben und niemals wieder daraus hervorkommen.

Im Gegenteil, normalerweise kommen sie wieder aus diesem Zustand zurück, sind als Jivanmuktas in der Welt tätig und führen die Strebenden. Wie sollten wir ansonsten den reichen Nachlass spiritueller Weisheit erklären, der uns heute zur Verfügung steht? Wären Arunagiri und andere Heilige in Samadhi geblieben und nicht mehr daraus hervorgekommen und hätten sie uns nicht solch göttliche Geschenke gegeben, in was für einem bedauerlichen Zustand wären wir dann? Selbst dieses wertvolle Geschenk des Kandar Anubhuti, das uns, wie Thayumanavar sagte, Arunagiri gegeben hat, nachdem er die Gotteserfahrung erlangt hatte, hätte uns auf andere Weise nicht überliefert werden können. Also wäre es nicht richtig aus „die sprachlose Erfahrung wurde geboren“ in Vers 43 zu schlussfolgern, dass das Werk mit diesem Vers endet. Samadhi, der Zustand völliger Auflösung im Überbewusstsein, ist nicht notwendigerweise der einmalige Höhepunkt der Gotteserfahrung (Anubhuti). Sahaja Samadhi, der natürliche und kontinuierliche überbewusste Zustand, ist die endgültige Erfahrung, wie wir aus den Worten von Swami Sivananda gesehen haben. Während er in Samadhi aufgegangen ist, ist der Befreite in einer statischen Identität mit Gott; wenn er daraus hervorgeht, ist er in einer dynamischen Identität und erfährt Gott in allem und als alles. „Kandar“ oder Lord Skanda (Gott) ist alle Dinge. Kandar Anubhuti, Gotteserfahrung, heißt daher „Gott als alle Dinge und alle Dinge als Gott zu erfahren“.

Dies ist Sahaja Samadhi und dies ist die Behauptung dieses Verses. Samadhi und Sahaja Samadhi – statische und dynamische Identität – gibt es natürlich nur von unserem Standpunkt aus. Sie sind für den Jivanmukta selbst nicht von Bedeutung, der immer in Einheit mit Gott ist. Da wir ihn jedoch als „aufgelöst“ oder „sich bewegend, tätig seiend, herumgehend“ etc. sehen, machen wir diesen Unterschied zwischen Samadhi und Sahaja Samadhi, zwischen statischer und dynamischer Identität, zu unserem besseren Verständnis. Wenn statische Identität „Pesaa Anubhuti“ ist, dann können wir dynamische Identität als „Nadamaadum Anubhuti“ bezeichnen. Und dieser Zustand wird in diesem Vers so bildhaft dargestellt. Jene, die gesegnet sind, in diesem Zustand zu sein, sind wahrlich sich auf Erden bewegende Göttlichkeit, „Nadamaadum Theivam“, unter denen der heilige Arunagiri einmalig ist. Wer außer Arunagiri könnte seine eigene Erfahrung in so ekstatische und mystische Begriffe wie in diesem letzten Vers gießen! Lasst uns jetzt den ganzen Vers betrachten: „O Lord Guha! Höchstes Wesen, der Du (als all die) mit Form und ohne Form kommst, als das, was ist und was nicht ist, als Blume und (ihr) Duft, als Edelstein und (sein) Glanz, als Körper (Universum) und Seele (universaler Geist) (der es belebt), als Moksha und die Regeln der Rechtschaffenheit (als das Ziel und die Mittel) und als der Guru! Gewähre Deine Gnade.“ „ Arulvaai“ – „Gewähre Deine Gnade“ oder „Segne“ sagt Arunagiri. Segne wen?

Es ist nicht „Segne mich“ sondern „Segne alles“. Denn was für eine Segnung zusätzlich braucht dieser Jivanmukta eines so erhabenen Zustands? Er selbst ist eine Segnung für andere. Es ist daher angemessener, es als ein Gebet an Lord Guha zu nehmen, der als alles und als Guru kommt, um durch sein Kommen (als alles und) als Guru alles zu segnen. Er betet darum, dass der Herr diese Segnung der Gotteserfahrung, derer er sich erfreut, auch anderen gewähren soll. Es ist ein Gebet, alle im allgemeinen zu segnen und im besonderen diejenigen, die dieses Moksha schenkende Kandar Anubhuti rezitieren, die es systematisch studieren (Parayana und Swadhyaya), es verstehen und versuchen, seine Lehren wenigstens in kleinem Umfang in die Praxis umzusetzen.

Gott ist alles. Er kommt als alles. Darum wird er ersucht, alles zu segnen. Arunagiri konnte sich nicht damit begnügen, selbst Anubhuti, Gotteserfahrung, erreicht zu haben. Er wünscht, dass jeder diese Gotteserfahrung haben sollte, genauso wie Swami Sivananda dies wünschte. Swami Sivananda sagte: „Ich hörte eine Stimme von innen: ‚Shiva erwache und fülle die Schale Deines Lebens mit diesem Nektar; teile ihn mit allen. Ich werde Dir Stärke, Energie, Kraft und Weisheit geben.’ Ich gehorchte dem Befehl. Er füllte die Schale und ich teilte sie mit allen.“

Die eine Sache, derer Swamiji niemals müde wurde, sie in all seinen Schriften und Anreden einzuhämmern, war: „Das Ziel des Lebens ist Gottesverwirklichung. Du musst es in dieser Geburt erreichen!“ So groß war sein Eifer, dass jeder diese Göttliche Erfahrung erlangen sollte. So war auch Arunagiri, und er gab der Welt diese schöne Wortgirlande des Kandar Anubhuti, damit jeder sie Lord Skanda durch hingebungsvolle Rezitation darbringen könnte und dadurch die Göttliche Erfahrung erreichen kann, die ihm besonders geschenkt wurde, damit er sie mit allen teilen sollte. So endet das Gnade schenkende, die Seele erhebende mystische Werk des Kandar Anubhuti – eine vollständige Abhandlung über Advaitische (nichtdualistische) Verwirklichung und das Sadhana (die spirituelle Übung) dafür. Möge die Gnade des heiligen Arunagiri mit uns allen sein! Mögen wir täglich dieses alles reinigende und Moksha gewährende göttliche Geschenk des Kandar Anubhuti rezitieren und uns der Gnade Guhas erfreuen!! Möge er uns alle mit Gotteserfahrung in diesem Leben segnen!!! Om Tat Sat Sivanandarpanamastu Om Tat Sat Saravanabhavarpanamastu Om Tat Sat Brahmarpanamastu

 

16.  „Du bist das“ = „Tat Twam Asi“, einer der großen metaphysischen Lehrsätze des Vedanta (Philosophie der Einheit) aus den Upanishaden. Er besagt letztlich, jedes Geschöpf ist in seiner Essenz das Göttliche, Universelle, Absolute. Da diese Essenz in allem gleich ist, gibt es auf höchster Ebene auch keine Trennung, keine Dualität.