Vers 19

Vadivum Dhanamum Manamum Gunamum
Kudiyum Kulamum Kudi Poogiyavaa
Adiyandham Ilaa AyilVel Arasee
Midi Enroru Paavi Velippadine


Schönheit, Wohlstand, (guter) Geist, edle Eigenschaften,
Gute Herkunft und Ansehen der Familie – alles vergeht, leider!
O König des scharfen Vels, der anfanglose und endlose Eine!
Wenn Armut, die Sünderin, sich bei jemandem manifestiert.


„O König (Herr) des scharfen Vel! O anfangloser und endloser Einer! Wenn  Armut, die Sünderin, einen Menschen heimsucht, o was für ein Wunder! Seine (körperliche) Schönheit, sein Wohlstand, sein (guter) geistiger Zustand, seine (edlen) Eigenschaften, seine (gute) Herkunft und sein Familienansehen – alle verlassen ihn!“

Erklärung:

Die offensichtliche Bedeutung dieses Verses ist klar. Wenn Armut einen Menschen in Besitz nimmt, verliert er natürlich seine körperliche Schönheit aufgrund eines Mangels an richtiger Nahrung und anderen alltäglichen Bedürfnissen. Das Verschwinden seines Wohlstandes ist natürlich offensichtlich, denn was sonst ist Armut? Aufgrund des Elends, das aus der Armut entsteht, ist der geistige Zustand gestört und er verliert seinen inneren Frieden; seine guten Eigenschaften wie seine wohltätige Natur, Hilfsbereitschaft usw. finden keine Möglichkeit, sich auszudrücken. Unter der Belastung der Armut mag man sogar Handlungen begehen, die nicht der eigenen hohen Abstammung entsprechen und gegen das Familienansehen sind. Deshalb ist Armut eine Sünderin, die alles, was in einem Menschen gut ist, aufhebt – physisch, mental und spirituell.

Aber wirkliche Armut ist moralischer und spiritueller Bankrott. Moralische Armut frisst die eigene körperliche Schönheit und den Wohlstand aufgrund von zuviel Sinnesgenuss weg. Der Mensch wird von Krankheiten heimgesucht, die seine Gesundheit und seinen Wohlstand erschöpfen. Ein moralisch schwacher Mensch kann nicht im Geist stark sein. Seine Willenskraft ist schwach und sein Geist kraftlos. Seine guten Eigenschaften verlassen ihn. Seine übermäßige Gier nach Sinnesbefriedigung zwingt ihn zu Handlungen, die seiner hohen Geburt und dem Familienansehen nicht anstehen.

Spirituelle Armut ist noch schlimmer. Sie ist Avidya, Unwissenheit und alles was sie umfasst. Wenn ein Mensch keine guten Eigenschaften wie Hingabe an Gott, Liebe für die Mitgeschöpfe, Freundlichkeit, Achtung der höheren Lebenswerte etc. hat, dann ist er schlimmer dran als ein Bettler und ein moralisch schwacher Mensch. Wer jedes spirituellen Wohlstands beraubt ist – wie Viveka (Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen), Vairagya (Abneigung gegenüber den unwirklichen, vergänglichen Dingen der Welt) Glaube an und Sehnsucht nach Gott - ist ein wirklicher Bettler. Er mag gesund scheinen, schön, wohlhabend, und äußerlich lächeln, aber in den Augen Gottes ist er ein gefallener Mensch. Gottes Einschätzung des Menschen unterscheidet sich erheblich von unserer Einschätzung. Er schaut auf unsere innere Reinheit, inneres Bhava (Einstellung) und nicht auf die äußere Erscheinung und protzige Handlungen. Trotz äußerlicher Gesundheit, Wohlstand, angenehmem Auftreten, hoher Geburt usw. muss jemand, der spirituellen Wohlstand vermissen lässt, als ein wahrhaft armer Mensch angesehen werden, als ein Unwissender.

Materielle Armut ist schlimm, aber moralische Armut ist schlimmer und spirituelle Armut ist am schlimmsten. Materielle Armut kann man durch eigene Anstrengungen überwinden oder indem man von anderen etwas bekommt. Es ist vergleichsweise leichter, materielle Armut zu überwinden. Moralische Armut ist schwierig zu überwinden. Große Anstrengungen sind dazu notwendig. Es ist für einen moralischen Schwächling eine fast herkulische Aufgabe, ethisch stark zu werden. Dennoch kann man es durch entschiedene Anstrengung schaffen. Aber es ist fast unmöglich, spirituelle Armut zu beseitigen. Wir alle leiden seit Zeitaltern daran. Deswegen werden wir geboren und sterben. Unwissenheit, Avidya, ist die Ursünde, die von uns Besitz ergriffen hat, Gott weiß seit wann! Weil wir unsere universale Natur vergessen, uns selbst auf einen bestimmten Körper begrenzen, diese fließende Welt als wirklich betrachten, bestimmte Dinge lieben oder hassen, suchen wir getäuscht die Sinnesfreuden und leiden endlos.

Was kann schlimmer sein als das? Das ist wirkliche Armut – nicht zu wissen, wer wir sind, was gut für uns ist und wie wir es suchen sollen. Diese spirituelle Armut kann nur von Gott entfernt werden, der eine Verkörperung des Wissens ist, was durch den scharfen Vel dargestellt wird. Wie der Vel den Asura durchbohrte, muss der Vel der Weisheit diesen Asura der Unwissenheit in uns zerstören. Nur dann gibt es Rettung für uns. Darum betet Arunagiri um Freiheit von Armut – Armut jeder Art –frei von Elend zu sein, so dass man wohltätige Handlungen ausüben und Tugenden entwickeln kann, frei von moralischer Schwäche zu sein, so dass man sich selbst mit ganzem Herzen Gott hingeben kann und frei von spiritueller Armut zu sein, so dass man für immer und immer in Gott ruhen kann.

Um spirituelle Armut zu überwinden, können andere, wie bei der materiellen Armut, in keiner Weise behilflich sein. Selbst entschiedene Selbstanstrengung, wie bei der moralischen Armut, kann nicht viel bewirken. Der einzige Weg ist die Gnade des Gurus oder Gottes. Darum das Gebet zu Gott als dem König des scharfen Vels.

Bedeutsamerweise spricht Arunagiri Gott in diesem Vers als den „König mit dem scharfen Vel“ an. Nur ein König kann die materielle Armut jedes Menschen beseitigen, weil ihm der ganze Wohlstand der Nation gehört, das heißt, seine Ressourcen sind unerschöpflich. Selbst ein reicher Mann kann das nicht, weil seine Ressourcen begrenzt sind. Gott ist der spirituelle König – der König der Tugenden und er alleine kann die nötige moralische Stärke geben, um die innere Schwachheit zu bekämpfen. Er ist auch der Herr mit dem scharfen Vel, der die Höchste Weisheit darstellt, welche die Unwissenheit zerstören kann. Gott ist eine Verkörperung aller Göttlichen Tugenden (Daivi Sampatti) und er schenkt seinen Anhängern Glauben, Viveka, Vairagya, Sehnsucht nach Befreiung und schließlich, als der Herr der Weisheit, den Reichtum aller Reichtümer, BrahmaJnana (Wissen um Brahman, das Absolute).

Weil er den Beinamen „Sünderin“ (Paavi) und „wenn manifestiert“ (Velippadin) auf die „ Armut“ anwendet, scheint Arunagiri mehr Avidya, Unwissenheit (spirituelle Armut) zu meinen als materielle Armut.

(1) Avidya wird, wie wir wissen, die „Ursünde“ genannt und sie wird als Sünderin personifiziert.

(2) Das Wort „Velippadin“ muss man in seiner vollen Bedeutung gut verstehen. Es bedeutet „wenn es manifestiert wird“ oder „wenn es sich manifestiert“, was die Existenz in unmanifestierter oder schlafender Form schon voraussetzt. Das bezieht sich natürlich auf Avidya, das als die ursprüngliche Ursache der Individualität tief in jedem liegt. Wir können nicht behaupten, dass Armut in jedem unmanifestiert oder latent vorhanden ist und dass sie sich selbst manifestiert. Man sagt, dass Armut die Menschen überkommt, was bedeutet, dass sie eine äußere Bedingung ist, die sich einem Menschen auferlegt. Auf ähnliche Weise kann sie durch einen äußeren Faktor entfernt werden, nämlich durch Wohlstand.

Was ist nun diese Manifestation von Avidya? Wir alle sind das Produkt von Avidya. Sie ist in jedem von uns. Aber es scheint uns gut zu gehen, so lange wir sie nicht berühren. Wir sind zu beschäftigt und durch die äußere Welt beansprucht, so dass wir niemals auf die Ebene unseres Seins gehen, wo wir Avidya berühren, das in der Anandamaya Kosha (Kausalkörper) liegt. Aber im Falle eines Suchers, der einen gewissen Fortschritt in seiner Übung gemacht hat, der sich von der äußeren Welt abgewandt hat und versucht, auf das innere Selbst zu meditieren (wie es im vorherigen Vers erwähnt wurde), versucht die Unwissenheit, die bis dahin unberührt und ungestört in ihm war, ihn anzufauchen. Sie versucht sich als verschiedene negative Kräfte zu manifestieren und seinen Fortschritt zu verhindern, indem sie seinen spirituellen Wohlstand der Unterscheidungskraft, Leidenschaftslosigkeit usw. verschwendet.

Ernsthaftes spirituelles Sadhana ist, als würde man eine schlafende Kobra berühren, deren Gegenwart man ansonsten nicht merkt, außer wenn sie einen anzischt. Man mag dann denken: Warum sie überhaupt aufwecken? Warum sie nicht einfach schlafen lassen? Nun ja! Es mag so aussehen, als sei es in Ordnung, aber es ist notwendig; denn nur weil sie schläft, bedeutet das keine Freiheit von der Gefahr, die von ihr ausgeht. Solange sie da ist, droht die Gefahr und man muss sich ihr früher oder später stellen. Bis sie getötet ist, ist man nicht von der drohenden Gefahr befreit. So ist es auch mit Avidya. Solange es da ist, sind wir an diese sterbliche Existenz gebunden. Um Anubhuti zu erlangen, muss Avidya früher oder später durch das notwendige Sadhana entfernt werden. Man kann es nicht ändern.

Es ist doch ein Wunder, dass der Mensch es schwierig findet, den Göttlichen Namen zu wiederholen, obwohl das Singen des Ruhmes Gottes so tröstlich für das Herz ist, die Täuschung zerstört und den Geist in der Wirklichkeit festigt. Warum? Arunagiri sucht die Ursache dieser dreifachen Armut. Ein Armer kann seinen Geist nicht einfach Gott geben, weil seine Aufmerksamkeit ständig auf die bloße Erhaltung des Körpers konzentriert ist. Auch ein moralischer Schwächling kann seinen Geist nicht Gott hingeben, weil er immer mit Sinnesfreuden beschäftigt ist.

Ein spiritueller Bankrotteur hat nicht das nötige Verständnis, um Gott zu suchen, obwohl es ihm materiell gut gehen und er moralisch gesund sein mag. Er ist mit der materiellen Welt zufrieden und kennt kein höheres Leben. Obwohl er von materiellen Nöten frei ist und aufgrund seiner moralischen Integrität einen friedlichen Geist hat, kann er die Schmerzen und das Leid der Wiedergeburten (Samsara), wie Krankheit, Verlust, Alter, Tod etc. nicht vermeiden.

Die Ursache des menschlichen Leidens ist Armut in der materiellen Welt, moralische Schwäche in der inneren geistigen Welt und spirituelle Unwissenheit im Reich der Seele. Die Entfernung der spirituellen Armut, der Unwissenheit alleine kann einen Menschen wirklich glücklich machen. Es bedeutet, in Gottes Allgegenwart zu ruhen.

Arunagiri hatte in seinen früheren Tagen sehr an Armut gelitten, sowohl gesundheitlich als auch moralisch (und natürlich ist jeder von spiritueller Armut betroffen). Er war ein moralisches Wrack, so ruiniert durch Unmäßigkeit im Sex, dass er all seinen Wohlstand verloren hatte, mittellos geworden und auch von Geschlechtskrankheiten betroffen war. Er kannte daher die grausame Natur von Armut und darum bezeichnet er sie als Sünderin.

Er hatte fürchterlich unter Armut gelitten. Es war seine persönliche Erfahrung. Wer half ihm? Der Herr mit dem scharfen Vel erschien ihm als Guru und rettete ihn nicht nur vor materieller Not und moralischer Schwäche, sondern auch vor der spirituellen Armut, der Unkenntnis des Atman, indem er ihm höchste Weisheit schenkte. Er wurde spirituell unerschütterlich und konnte auch spirituellen Aspiranten die Medizin für ihre Krankheit geben. Sex hatte keine Anziehungs kraft mehr für ihn, noch missachtete er die körperlichen Bedürfnisse. So groß ist die Gnade von Velayudha, dem Herrn mit dem scharfen Vel, der alle rettet, die Zuflucht bei ihm suchen. „O Gott“, sagt Arunagiri, „wenn Armut einen Menschen heimsucht, verlassen ihn diese sechs guten Eigenschaften.“ Darin ist eine implizite Bitte an Gott, Seine Gnade demjenigen zu gewähren, der diesen Vers wiederholt, so dass die Armut ihn nicht betreffen möge.

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Dieser Vers ist ein mächtiges Gebet zur Entfernung der dreifachen Armut. Aber diese innere Meditation über das Selbst (Vers 18) ist keine einfache Sache und keine noch so große Anstrengung allein wird da nützen. Es braucht die Einweihung durch einen Guru, weil richtige Meditation eine bestimmte innere Transformation voraussetzt, die durch die Einweihung durch einen kompetenten Guru herbeigeführt wird.

In Vers 16 haben wir gesehen, dass Arunagiri Aviveka, Nichtunterscheidung, für alle praktischen Zwecke als Ursache von Begierden ausfindig gemacht hat. Jetzt, nachdem Aviveka mit der Dämmerung von Viveka (Vers 17) entfernt wurde und wenn Meditation angestrebt wird (Vers 18), manifestiert sich die Ursache von Aviveka, nämlich Avidya, Unwissenheit. So wie in einem Krieg die niedrigeren Offiziere vorangehen und nur am Ende der General erscheint, so ist es auch bei diesem inneren Krieg.

So wie Name und Form Hindernisse für die Vereinigung mit Satchidananda in Gegenständen sind, sind Avidya und ihre Auswirkungen die Hindernisse in der Vereinigung mit Satchidananda im Inneren. Der Sucher erkennt dies, wenn er die Meditation anstrebt. Avidya manifestiert sich in ihren verschiedenen Formen, behindert seine Anstrengung zur Meditation und darum fühlt der Sucher die Notwendigkeit einer Einweihung durch seinen Guru, was im hilflosen Ruf in diesem Vers seinen Widerhall findet. Das impliziert auch, dass er seinen Guru um die entsprechende Einweihung ersucht.