Ibrahim Adahm

Ibrahim Adahm, ein großer Sufi (Anhänger einer asketisch-mystischen Richtung im Islam) reiste immer mit großem Prunk und einem großen Gefolge an Dienern. Seine Zelte waren sogar mit goldenen Heringen (Bodennägel) befestigt. Eines Tages kam ein wandernder Derwisch (Mitglied eines islamischen religiösen Ordens) an seinen Zelten vorbei und war sehr überrascht, als er erfuhr, dass dieser ganze Luxus jemandem gehörte, der einst ein König war und jetzt ein Sufi sei. Mit seiner Bettelschale in der Hand wandte sich der Derwisch an den königlichen Sufi und sagte: „Seltsam, dass du dich einen Sufi nennst und immer noch so viele weltlichen Güter besitzt und deine Zelte mit goldenen Heringen befestigtst.“ Ibrahim bat den Derwisch sich auszuruhen. Nach etwa einer Stunde lud er ihn ein mit ihm zusammen nach Mekka zu pilgern. Der Derwisch willigte ein. Der fürstliche Sufi machte sich zusammen mit dem Derwisch auf die Pilger fahrt und ließ all seine Zelte und Gefolgschaft zurück. Beide waren noch nicht weit gekommen, als dem Derwisch einfiel, dass er seine hölzerne Schale im Zelt vergessen hatte. Er bat Ibrahim um die Erlaubnis zurückzukehren und sie zu holen. Der Sufi meinte: „Dies ist der Unterschied zwischen uns beiden – ich konnte mich ohne die geringste Beunruhigung von all meinen Wertsachen trennen, während du dich noch nicht mal ohne Umstände von einer praktisch wertlosen Holzschale trennen kannst. Die goldenen Heringe, die dich so überraschten, steckten im Boden und nicht in meinem Herzen.“

Unwissende und weltlich denkende Menschen urteilen andere nach ihren äußerlichen Handlungen. Es ist aber die geistige Haltung, die die tatsächliche Handlung darstellt. Wenn ein gewöhnlicher weltlicher Mensch und ein Weiser die gleiche Handlung ausführen, so ist ersterer durch solch eine Handlung verhaftet, da er sie aus Egoismus, niedrigem Wunschdenken und Verhaftung ausführt, während letzterer nicht an die Welt verhaftet ist, da er frei von Egoismus und allen Arten von Verhaftung ist. Der Weise, der voller Weisheit und Entsagung ist, der dem Herrn ergeben ist, steht über allen Förmlichkeiten. Obwohl er weise ist, spielt er wie ein Kind; obwohl er in allem bewandert ist, benimmt er sich wie ein Einfaltspinsel, obwohl er gebildet ist, spricht er wie ein gewöhnlicher Mensch, ohne nach Applaus, Ruf oder Ruhm zu dürsten. Er isst, was er zufällig bekommt, reichhaltig oder mager, gut oder schlecht. Er hat immer die gleiche Geisteshaltung ob er nun in Behaglichkeit oder unter Entbehrungen lebt. Er steht über allen Unterscheidungen, da er eins ist mit dem alles durchdringenden Brahman (das Allumfassende). Der in Täuschung lebende jedoch ist hocherfreut wenn er die Gegenstände seiner Wünsche erhält und gleich bekümmert, wenn sein Wunschdenken nicht in Erfüllung geht.