66. Unsere Ergebenheit vertiefen

Wenn wir Glück hatten, wurden wir in eine Familie geboren, die uns das Gefühl von Schutz und Sicherheit gab. Aber als wir älter wurden, mussten wir unübersehbar erkennen, dass das Leben überhaupt nicht sicher ist. Alles kann zu jeder Zeit passieren. Wenn wir erkennen, dass unsere Gesundheit nicht sicher ist, unsere finanzielle Situation nicht sicher ist und wir positiv darauf reagieren, dann werden wir unseren Körper trainieren, wir werden mit unserer Ernährungsweise vorsichtig sein und hart arbeiten, um unser Geld für ein ordentliches Leben zu verdienen.

Zweifellos werden wir dann auch eine Beziehung zum Göttlichen finden, die uns ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit gibt. Wenn wir negativ auf diese Unsicherheit reagieren, werden wir unserem Körper Drogen und Aufputschmittel zuführen, um uns besser zu fühlen. Wir werden Geld besorgen, koste es, was es wolle und wir werden vielleicht sogar versuchen, unsere Zukunft zu beeinflussen und uns durch abergläubische Praktiken zu schützen. Alle diese Aktivitäten unternehmen wir, weil wir instinktiv die Unsicherheit des Lebens spüren.

Gleichgültig wie sehr wir versuchen, unsere Zukunft zu kontrollieren und unabhängig von welchem Gesichtspunkt aus wir handeln – wir bleiben in dem Wissen, dass das Leben letztlich unsicher ist. Mehr als das, je mehr wir versuchen, unsere Zukunft zu kontrollieren, umso unsicherer fühlen wir uns. Wenn wir Glück haben, werden wir feststellen, dass wir uns eher unsicherer als sicherer fühlen, je mehr wir versuchen, das Leben zu beherrschen. In dieser Situation erkennen wir vielleicht, dass wir es auf falsche Weise angehen.

Vielleicht sollten wir loslassen und uns ergeben, anstatt zu kontrollieren. Wenn wir darin erfolgreich sind, wenn unsere Ergebenheit ganz tief hinunter zu unseren Bedenken und Ängsten geht, dann entdecken wir das seltsamste Phänomen überhaupt: Je mehr wir die Kontrolle über unser Leben an eine höhere Kraft abgeben, desto mehr haben wir das Gefühl, Kontrolle und Verantwortung für unser Leben zu haben. Je mehr wir loslassen und Gott überlassen, umso eingebundener und sicherer fühlen wir uns.

Ein Phänomen, welches wir bei Swamiji beobachten können, ist, dass er an gar nichts zu hängen scheint. Was auch immer seinen Weg kreuzt, er scheint damit umgehen zu können, ohne mit der Wimper zu zucken. Unabhängig davon, was seine Pläne sind, lässt er es zu, sie zu verändern, wenn es die Umstände erfordern. Mit anderen Worten, er scheint aus einer Situation absolut nicht festgelegter Sicherheit zu agieren, aus einer totalen Offenheit heraus. Das ist natürlich nicht etwas, was wir über Nacht ausbilden können.

Aber wenn wir uns verstört fühlen – so als hätten wir keine Kontrolle in unserem Leben – wenn wir uns frustriert fühlen, dann lassen wir nicht wirklich los. Vielleicht ist unsere Gottergebenheit nicht tief genug. Sie erreicht nicht die Tiefe, aus der unsere Unsicherheit hochsteigt. Deshalb ist es notwendig, sich selbst zu beobachten, um auf einer sehr tiefen Ebene loszulassen. Wenn wir das tun, wird es sich uns be weisen. Wir werden erkennen, dass dies die Art zu leben ist, wie Leben gemeint ist.

67. Uns mit Gott verbinden

Eine der herausfordernderen Reden in Swamijs Buch „ Bedenke diese Wahrheiten“ ("Ponder these truths") heißt „Verbinde dich mit Gott“. Es ist herausfordernd, weil Swamiji sagt: „Es ist nicht wichtig, wie du dich mit Gott verbindest. Es kann sein durch selbstlosen Dienst, Hingabe, Meditation, Erforschung. Mache es mit irgendeinem Mittel. Aber tue es auf jeden Fall!“ Mit anderen Worten, der Zweck unserer spirituellen Praxis ist nicht irgendwie ein gutes Gefühl, ein Gefühl, etwas zu erreichen zu haben, sondern uns auf eine lebendige und kraftvolle Art und Weise mit Gott zu verbinden.

Gibt es ein feines Geheimnis, welches wir verstehen sollten, was wirklich mit „Verbunden mit Gott“ gemeint ist? Manchmal, wenn wir Gottes Namen wiederholen, fühlen wir uns verbunden. Wenn wir eine Andacht oder einen Gottesdienst halten, können wir uns verbunden fühlen. Wenn wir eine Einsicht haben, können wir uns verbunden fühlen. Vielleicht löst die Sicht auf einen wundervollen Sonnenuntergang ein Gefühl von Verbundenheit aus. Aber ist dies die Verbindung, die damit gemeint ist?

Ramana Maharshi machte sehr deutlich, dass mit Gott verbunden sein nicht etwas sein kann, was kommt und geht, einfach deshalb, weil Gott allgegenwärtig und ewig ist. Er kommt und geht nie. Wenn wir in uns gehen, uns selbst erforschen und nachsinnen, werden wir erkennen, dass jede Verbindung, die wir fühlen oder kennen, aus einer Tiefe in uns hochsteigt, die der Verstand nicht erreichen und ergründen kann. Genau dort ist unsere wirkliche Verbindung zu Gott. Es ist in der inneren Tiefe unserer eigenen Subjektivität. Diese Verbindung ist jetzt da und ist immer da gewesen. Wir können niemals davon getrennt sein.

Diese Verbindung strahlt zu unterschiedlichen Zeiten auf verschiedene Weisen in unserem bewussten Geist. Aber was dort strahlt – und wir denken, es sei eine Verbindung – ist nicht die wirkliche Verbindung. Es ist ein zeitlich begrenztes Phänomen. Die wirkliche Verbindung ist durch den Geist nicht erkennbar aber immer da. Unsere gesamte spirituelle Praxis ist dazu gedacht, uns zu dieser Erkenntnis zu führen: Gott ist hier und jetzt. Die Verbindung ist ewig. Sie ist für den Geist nicht greifbar und trotzdem eine Tatsache. In dieser Tatsache sollen wir verweilen und in ihrem Licht leben. Wir sollen unsere Quelle erkennen und von ihr abhängen, nicht von gefühlten Erfahrungen, die unweigerlich kommen und gehen.

68. Das wirkliche Du

Swamiji hat sehr klar gemacht, wenn die Schriften sagen: „Das bist Du“ - so ist das Du, auf welches sie sich beziehen, nicht das „Wir-die-mit-unseren-Ohren-hören“, die, die wir denken zu sein. Sondern sie beziehen sich auf das wirkliche „Du“. Was könnte dieses wirkliche „Du“ sein? Einmal erzählte ein Schüler, der wohl dachte, er hätte etwas entdeckt, Swamiji eine Erfahrung, in der die ganze Welt verschwand, einschließlich ihm selbst.

Nur Existenz war da, aber es gab keinen Gedanken an irgendeine Existenz, weil es kein Denken gab. Es schien auf die Schriften in ihrer Beschreibung von Brahman zu passen. Aber Swamiji stellte eine Frage: „War es fühlbar?“ Der Schüler sagte ja und Swamiji schwieg. Ein anderes Mal beschrieb ein Schüler ein Erlebnis und sagte: „Plötzlich zuckten drei Gedanken durch meinen Geist: ‚Ich bin frei! Wer ist frei? Ich weiß nicht’.“ „Das ist es!“ rief Swamiji. Um dieses Geheimnis verstehen zu können, sollen wir laut den Schriften unseren Tiefschlaf untersuchen und darüber meditieren.

Im Tiefschlaf sind wir unseres Körpers, unseres Geistes und unseres Selbst nicht bewusst. Wir sind uns weder der Welt noch der Abwesenheit der Welt bewusst. Wir wissen aber, dass wir einen Tiefschlaf haben, also müssen wir da sein. Aber wir haben keinen Schimmer, wer oder was wir sind – wir sind nicht erkennbar, unbegreifbar. Unser Ego und unser Geist wollen eine Identität, die erkennbar, begreifbar ist. Deshalb versuchen wir, uns konstant zu lokalisieren – normalerweise als einen Körper, manchmal als Verstand, Intellekt, Ich oder vielleicht als mystische Erfahrung.

Aber Swamiji erinnert uns immer wieder: „Es ist das Unsichtbare, das wirklich ist. Das Sichtbare ist nicht wirklich.“ - Das Wort „Unsichtbare“ bedeutet hier auch das „Nicht Erkennbare“. „Es kann erfahren, aber nicht erkannt werden“, sagte Swamiji. Deshalb kann uns die Erforschung des Tiefschlafs helfen, zu verstehen, was es ist, wonach wir suchen. Die Analyse zeigt uns, dass wir in Abwesenheit des Geistes existieren und dass wir von der Natur reinen Bewusstseins sind, die grundsätzlich unerkennbar ist

Das ist unser wirkliches „Du“. Unser „Du“ ist nichts anderes als Gott hier und jetzt, der Gott, der immer war, der jetzt ist und immer sein wird. Wir müssen aufhören, anderswo zu suchen und erkennen, was wir immer waren – unerkennbar, undenkbar. Es erfordert Bescheidenheit, es erfordert Einfachheit und es erfordert tiefes Vertrauen.

69. Das Bewusste und das Unbelebte

Eines Morgens sagte Swamiji hier: „Du bist das bewusste Prinzip. Die Welt und alle Dinge, von denen du denkst, dass sie dich halten, sind unbelebt. Du bist es, der sich an diese Dinge bindet, nicht sie sich an Dich. Du bist es, der sich an Essen bindet durch deine falsche Beziehung dazu. Du bindest dich an Alkohol durch deine falsche Beziehung dazu.“ Und genauso sind wir es, die uns an eine Familie oder Institution durch unsere falsche Beziehung zu ihnen binden.

Außerdem sind wir es, das bewusste Prinzip, das immer freie Selbst, welches wählt, uns an die Gedanken des Geistes zu binden. Wir wählen, uns mit den flüchtigen Gedanken zu identifizieren, die im Fluss des Geistes fließen. Wenn Zweifel in unserem Geist sind, fühlen wir, dass wir dieser negative Teil unseres Geistes sind. Wenn etwas Positives in den Geist kommt, wechseln wir unsere Identifikation zum positiven Teil und fühlen, dass es das ist, was wir sind.

Wenn der Geist sich zum Beispiel deprimiert fühlt, sagen wir, „Ich bin deprimiert“. Wenn sich der Geist freudig erregt fühlt, sagen wir, „Ich freue mich“. Mit anderen Worten, wir, die wir immer frei sind, haben uns selbst zu Sklaven des Unbelebten, der Welt und der Launen unseres eigenen Geistes gemacht. Swamiji sagte uns immer wieder, dass wir Selbstbeobachtung üben sollen. Jetzt verstehen wir einen Grund, warum. Wenn wir es selbst sind, das bewusste Prinzip, das uns an die Welt bindet, so müssen wir dies entdecken, indem wir herausfinden, was sich tatsächlich in uns abspielt.

Wir müssen entdecken und erkennen, dass wir einen Prozess durchlaufen, den wir „Bindung“ oder „Anhaftung“ nennen können. Wir sind so daran gewöhnt, dass wir uns nicht vorstellen können, wie Leben ohne das aussehen würde. Aber wenn wir einmal einen flüchtigen Blick auf die Freiheit erlangt haben, können wir sehen, dass diese Bindung und Anhaftung das ist, was wir Hölle nennen. Das Erkennen unserer selbst als bewusstes Prinzip, ewig frei von der unbelebten Welt und unseren Gedanken, welche an sich auch unbelebt sind – das ist Harmonie, das ist der Himmel.

Deshalb liegt die letzte Verantwortung also nicht bei irgendeinem Guru, einer Schrift oder einer Institution. Die letzte Verantwortung liegt bei uns. Es gibt einen Bewohner in uns, der die Wahrheit kennt. Das ist die Wahrheit. In Gurudevs Worten, wir müssen uns lösen vom Hängen am Unbelebten und uns an die allgegenwärtige Wahrheit binden, die wir sind.

70. Unterscheidung

Eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Suchenden ist die Unterscheidungsfähigkeit. Das ist ein grundlegendes Sadhana. Grundsätzlich sollen wir natürlich unterscheiden zwischen dem, was wirklich und was unwirklich ist, zwischen dem, was beständig und was befristet ist, was ewig ist und was vorüber geht. Wir sollen ebenso unterscheiden zwischen dem Angenehmen und dem Guten – dem, was angenehm ist für die Sinne und dem, was gut ist für unser spirituelles Leben.

Wir sollen zwischen dem unterscheiden, was uns zum höchsten Glück führt und dem, was uns weiterhin im Karussell des samsarischen Lebens im Kreis drehen läßt. Das letztendliche Ziel der Unterscheidungskraft liegt darin, uns eine Leidenschaftslosigkeit für dieses weltliche Leben zu geben, an das wir so sehr anhaften. Denn wer könnte ohne Leidenschaftslosigkeit für alle diese weltlichen Dinge, nach denen wir verlangen, jemals auch nur in Erwägung ziehen, in einem Zustand ohne Wünsche zu verweilen? Etwas anderes wobei Unterscheidungskraft uns helfen kann – und das ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Leidenschaftslosigkeit – ist Objektivität.

Es gelingt uns vielleicht nicht sofort, Leidenschaftslosigkeit zu haben, aber wir können wenigstens versuchen, etwas Abstand zwischen uns und den Dingen dieser Welt zu schaffen, um sie etwas objektiver zu sehen. Und das Wichtigste, was wir objektiv anschauen sollten, ist unser Geist, unser Gedankenstrom. Unsere eigentliche Bindung ist nicht so sehr die an die Dinge dieser Welt sondern vielmehr an unseren Geist.

Das ist unsere Bindung, denn es ist das, was wir denken, zu sein. Wir sind eins mit unseren Gedanken und Gefühlen. Die Unterscheidungsfähigkeit zeigt uns, dass wir genauso sagen: „Mein Haus und mein Auto“, ebenso wie: „Mein Körper, mein Geist.“ Genauso wie wir nicht unser Auto, unser Haus oder unsere Familie sind – auch wenn wir uns damit identifizieren mögen – genauso wenig sind wir Körper oder Geist. Körper und Geist mögen uns näher sein, aber sie sind trotzdem ein Objekt für uns.

Da sie ein Objekt für uns sind, sollten wir versuchen, ihnen gegenüber objektiv zu sein. Ein Gedanke, der in unserem Geist auftaucht, ist nicht mehr als andere Dinge, die uns nahe sind. Er taucht einfach auf. Vielleicht haben wir einen Gedanken, der uns verfolgt. Aber sind wir verantwortlich für den Gedanken, der da an erster Stelle ist? Vielleicht sind wir durch ein Trauma gegangen, ein Ereignis, das uns einfach zugestoßen ist. Natürlich ist er Teil unseres Gedankenstroms geworden.

Wir können nicht damit umgehen, indem wir verneinen, dass er da ist; er ist Teil unseres Gedankenstromes. Aber wir können ihn wenigstens objektiv betrachten. Er ist in unserem Geist, unserer Psyche, aber wir sind es nicht, genauso wenig wie wir die Verletzung am Bein sind. Ein Fehler unseres Geistes mag in unserem Geist sein, aber er ist nicht wir selbst. Also, die Unterscheidungsfähigkeit soll uns zusätzlich zu allem anderen auch helfen, unserem eigenen Geist gegenüber objektiv zu sein. Objektivität gegenüber dem Geist wird uns zum Nichtanhaften ihm gegen über führen. Leidenschaftslosigkeit gegenüber unserem Geist erlaubt uns, die Gegenwart Gottes zu praktizieren – unser wahres Selbst.