9. Kapitel - Ungewöhnliche Methoden

 

Der Ashram, die Divine Life Society und alles, was Swami Sivananda lebenslang erarbeitet und aufgebaut hat, diente nicht nur dem Wohlergehen der Menschheit, sondern bot gleichzeitig den spirituellen Suchern Möglichkeiten zum Sadhana (spirituelle Praxis). Sobald man das einmal wirklich klar begriffen hat, versteht man als ernsthafter Suchender auch die vielen Gegensätze im Leben und Wirken Swami Sivanandas, die gelegentlichen Konflikte und die Disziplinlosigkeit, die sich manchmal in die Institution einschlichen. Yoga ist kein Thema, über das am Stammtisch diskutiert wird, sondern, wie Swami Sivananda weise sagte, es sollte im täglichen Leben praktiziert werden.

Dienen und Großzügigkeit waren immer die grundlegenden Tugenden Swami Sivanandas. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die diese Eigenschaften nicht besitzen. Swami Paramananda erinnert sich: „Einmal sagte er mir, ich solle immer nach Gelegenheiten Ausschau halten, anderen Menschen in irgendeiner Form zu dienen. Zum Beispiel legte er großen Wert darauf, dass jeder von uns immer ein Tuch bei sich hatte, um die Schuhe der Mahatmas (Ehrentitel für einen spirituellen Meister) und Pilger reinigen zu können (die vor der Türe abgestellt wurden. Anmerkung des Herausgebers), während sie am Satsang teilnahmen und ohne dass sie etwas davon merkten. So groß waren sein Eifer und Enthusiasmus, Gott in allen zu dienen. Wenn jemand eine Gelegenheit zu dienen versäumte, zögerte er nicht, ihm das „aufs Brot zu schmieren“.

Gleichzeitig ermutigte Swami Sivananda seine Schüler, Arbeit nicht um der Arbeit willen allein zu tun. Die Einstellung oder der Geist ist der alles entscheidende Faktor im Yoga. Er gab wertvolle Ratschläge, wie sie die richtige Geisteshaltung aufrecht erhalten können.

Swami Paramananda war von Swami Sivananda zu einem Drucker und Verleger geschickt worden, um eines seiner ersten Bücher drucken zu lassen. Paramananda wurde aber gleichzeitig dringend in Madras benötigt. Es war zu der Zeit, als Swami Sivananda von Almosen lebte und so mussten die Verleger die Spesen für die Personen tragen, die von Swami Sivananda geschickt wurden, um den Probedruck Korrektur zu lesen. Wie das geschah, zeigt ein Brief an den Verleger vom 29. Januar 1936:

„Unsterbliches Selbst, schreibe Hari Om zwölfmal an den Anfang eines jeden Schreibens. Das ist das leichteste Sadhana (spirituelle Übung) für die Selbstverwirklichung: Denke stets an Gott auch während der Arbeit.

Wie kommt es, dass du mir kein Geld für die Zugfahrkarte geschickt hast? Wenn eine kleine Bitte um Geld kommt, verengt sich dein Herz und du ziehst dich von mir zurück. Jeder ist sehr großzügig zu sich selbst, zu seiner Frau und zu seinen Kindern. Andere ignoriert er, weil er glaubt, dass sie verschieden von ihm sind. Das ist Maya (Illusion, Täuschung). Das ist Unkenntnis. Das bringt Leiden.

Bitte schicke Paramananda nach Madras. Er hat dort dringende Arbeiten zu erledigen. Ich werde dir innerhalb eines Monats einen anderen Swami senden. Wenn du meinem Vorschlag zustimmst, bitte ich dich, mir für ihn das Fahrgeld dritter Klasse zu senden. Sei bitte so freundlich und gib Swami Paramananda das Fahrgeld nach Madras für die erste Klasse und eine kleine Summe für seinen Aufenthalt dort. Du musst so ein großzügiger Mensch sein wie Sri P. K. Vinayagam von Madras. Sei bitte auch so gut und versorge Swami Paramananda unaufgefordert mit reichlich Kaffee in einer Thermoskanne. Das ist die Nahrung für seine tatkräftige Arbeit.

Bringe den Sannyasins Achtung entgegen. Sorge dich um ihre körperlichen Bedürfnisse in göttlicher Liebe. Dies ist ein Bereich für dein Wachstum, deine Entwicklung und deine Emanzipation. Möge die göttliche Flamme in dir heller erstrahlen. Dein eigenes Selbst.“

Sivananda

 

Von einem Sannyasinschüler wurde in noch viel größerem Ausmaß Dienst und Nächstenliebe erwartet. Wir können dies aus dem folgenden Brief vom 23. Februar 1936 ersehen, der an Paramananda adressiert ist, der zu dieser Zeit in Madras weilte.

„Bitte, sende Vivek .... Geld. Er möchte ein paar Bücher kaufen. Sei so gut und sende auch gleich 8 Rupien an Swami Nirmalananda Saraswati, da er nach Benares geht, um seinen Studien nachzugehen. Bitte sende ihm auch 20 Rupien für Bücher, wann immer es dir innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate recht ist. Wenn du ihm noch diesen Monat Geld schickst, kann er einige Bücher sofort kaufen. All das kann auf meine Rechnung gehen. Ich bereite Dir eine Menge Mühe. Bitte verzeih mir. Die Menschen bestürmen mich. Ich muss mich an dich wenden. Was sollen wir tun? Wir sollten Erbarmen haben und anderen dienen, auch wenn wir unsere eigenen Wünsche dabei opfern müssen. Sadhu K.C. will all meine Bücher umsonst. Ich weiß, dass es unangenehm ist, Herrn P.K.V. zu sehr wegen Spenden zu bedrängen. Aber weil er wohltätig ist, wird er das nicht so empfinden. Sadhu K.C. stützt sich auf mich bei der Entwicklung seines Ashrams. Er ist ein alter Mann. Lass uns ihm dienen.“

Das ist Sivanandas Stil. Einer Entschuldigung folgt ein Befehl, dem Gebet schließt sich eine Ermahnung an, nach Zugeständnissen folgt sofort eine Einschränkung.

Gelegentlich wandte Swami Sivananda auch die „Appellierende Methode“ an, um Arbeit aus seinen Schülern herauszuholen. Er brachte sie dazu, sich großartig, wichtig und verantwortungsbewusst zu fühlen. Auf diese Weise wurden großzügige Eigenschaften entwickelt:

„Amriti hat sich wunderbar verbessert. Er ist jetzt der Leiter der Küche und der Schreibbüros. Liefere ihm deshalb einen Füllfederhalter auf meine Rechnung. Liefere bitte auch eine Kopie der Gita Sankara Bashya für Nijabodhji, sowie einen Satz Übersetzungen der Upanishaden für Swarupananda und Atmananda.“ (1935)

Wenn Swami Sivananda auch der Autor der Bücher war, der Guru und der Meister, der Anweisungen geben konnte, so war doch immer eine gewisse Bescheidenheit im Umgang mit Menschen spürbar und er hatte die großartige Eigenschaft, seine Schüler und Diener als gleichwertig, sowohl in Stellung wie Bedeutung, zu behandeln. Ihre Gehorsamkeit wollte er durch Überzeugungskraft und Verständnis gewinnen, nicht durch bloße Anweisungen und autoritäre Befehle. Die folgenden Briefe veranschaulichen dies: „Swami Nityananda Saraswati, ein erst kürzlich Eingeweihter, ist ein großartiger Mann; sehr gebildet in Tamil, ein Dichter, er hat großen Einfluss, hat sich während der letzten 20 Jahre in Tinevly aufgehalten. Jetzt gibt er Unterricht und baut Kshetras (Armenküchen) für die Bewohner des Südens in Benares. Er ist ein Jaffna, ein rechtschaffener Mensch. Ich habe ihm meinen einzigen vollständigen Büchersatz gegeben. Er wollte ihn für seinen Unterricht. Seine Schüler werden die Bücher übersetzen und lesen. Sei so liebenswürdig und sende mir bitte sofort noch einen vollständigen Satz dieser Bücher.“ (23. Juni 1936)

„Dein Freund, dieser junge Knabe vom Swarg Ashram, der nie spricht, der nur mit einem Tuch ohne Unterhose bekleidet ist, bat mich, dich zu ersuchen, ihm ein Dose Schnupftabak zu schicken. Das ist auch eine Art von Vairagya (Leidenschaftslosigkeit). Seine Nase ist durch den wiederholten Gebrauch von Schnupftabak zu einer Maschinenpistole geworden. Er hat scharfsinnige Argumente für diese Anwendung. Du kannst die kleine Dose wie gewöhnlich senden. Lass dies deine Nächstenliebe gegenüber einem virakta Mahatma (einem Meister, der sich von allen Wünschen losgesagt hat) sein.“ (10. Juli 1936)

Hier eine weitere interessante Offenbarung der Großherzigkeit. Swami Sivananda sagte, dass letztendlich Großherzigkeit demjenigen, der sie ausübt, positive (punya), wie auch negative Verdienste (papa) einbringen kann:
„Es bringt ihm punya, da er die Leiden des anderen ein Stück mildert, papa hingegen, da er dadurch den Leidenden in seiner Rolle bestärkt. Hätte er dem Leidenden gegenüber keine Großherzigkeit walten lassen, hätte dieser sein Verhalten geändert. Jedoch die ‘Aham Brahmasmi’ − Menschen (Ich bin Brahman, das Absolute), stehen über diesen positiven und negativen Verdiensten.“

Swami Sivanandas Barmherzigkeit kannte keine Grenzen, keine Gesetzbücher und keine anderen Gesetze außer denen des Mitgefühls: wo Leiden sind, lindere sie und übergib sie später an Gott.

Swami Sivananda behandelte nicht alle Menschen auf die gleiche Weise. Er gab nicht allen Patienten die gleichen Pillen. Zum Beispiel unterstützte er tatsächlich die Raucher. Es gab im Ashram einen Swami, der ein starker Raucher war. Eines Tages hatte er keine Zigaretten. Sein Kopf funktionierte nicht mehr! Swami Sivananda bemerkte das und gab sofort einem anderen Ashrambewohner vier Annas (Münzen), um ein Päckchen Zigaretten zu kaufen. Als es gebracht wurde, wurde das Päckchen in der Abwesenheit des Swami unter sein Kopfkissen gelegt.

Einige glaubten, dass Swami Sivananda entgegen seinen Prinzipien diesen Swami im Rauchen bestärkte. Dies war jedoch nicht der Fall, denn als der Mann erfuhr, was Swami Sivananda getan hatte, fühlte er sich beschämt und gab das Rauchen von selbst auf. Swami Sivananda war sich trotz dieser Handlungsweise bewusst, dass ein spiritueller Anwärter unbedingt Selbstkontrolle praktizieren muss. Ein anderer Brief bringt dieses Gespür klar zum Ausdruck:

„V. hat mir eine Postkarte geschickt, in der er mich bat, dich an das geliehene
Geld zu erinnern und sprach von seinen Problemen. Er langweilt mich. Und
dich ebenfalls. Warum sind Sannyasins nur so scharf darauf, eine kleine Summe zurück zu erhalten? Wo ist da der Geist des sannyas? Lass ihn warten. Welcher Nachteil besteht darin? Junge Menschen sind nicht fähig, Leiden zu ertragen.“
(6. Mai 1936)

Swami Sivananda kombinierte Witz und Weisheit in den Anweisungen an seine Schüler. Der folgende Auszug ist in dieser Hinsicht ein Beispiel: „Du wirst den in der Anlage beigefügten Artikel zum Buch „Yoga im täglichen Leben“ ruhig, ohne zu murren und zu nörgeln, hinzufügen müssen. Das ist Yoga im täglichen Leben!“ (26. Juni 1936)

Paramananda bezog sich immer wieder auf folgende Begebenheit: Einmal rebellierte ein Schüler, der mit Swami Sivananda im Swarg Ashram wohnte und weigerte sich, einen Artikel abzuschreiben und diesen an ein Journal zu senden.

Schweigend verließ Swami Sivananda den Raum des Schülers. Ein oder zwei Tage später, nachdem der junge Mann sich offensichtlich beruhigt hatte, wandte sich Swami Sivananda erneut an ihn. Er zitierte ein bekanntes tamilisches Sprichwort: „Soviel eine schwangere Frau auch schreien mag, nur sie allein wird ihr Baby zur Welt bringen können“ und erzählte die nachfolgende Geschichte von einer Kowpeen (einer Unterhose), um ihn sowohl wieder in gute Laune zu versetzen, als auch zu lehren: „Es war einmal eine Unterhose von der Pflicht angewidert, die ihr auferlegt war und so flog sie von der Wäscheleine davon. Sie ließ sich etwas entfernt nieder und wurde von einem Mann willkommen geheißen, der gerade Unterwäsche benötigte. Er zog sie sofort an und ging seines Weges. Da erkannte die Unterhose, dass es keinen anderen Weg gab, als seine Pflicht in freudiger Ergebenheit zu erfüllen.“ Diese humorvolle Anweisung hatte eine magische Wirkung auf den Aspiranten, der ohne ein Wort Swami Sivananda den Artikel aus der Hand nahm und die Kopie anfertigte.

Freiheit und Disziplin

Swami Sivanandas Lehren waren eine Synthese von Freiheit und Disziplin. Er war in der Lage, diese beiden Eigenschaften auf wunderbare und feine Weise zu verbinden, was jedoch mit einer gewaltigen Menge an Arbeit für ihn verbunden war. Er erlaubte den Schülern, in Freiheit zu wachsen und während sie sich entwickelten, bog Swami Sivananda sie zurecht. Er verlangte keine Selbstaufgabe, aber die von ihm geschaffenen Voraussetzungen machten deutlich, dass er der Meister war und dass es nichts gab, von dem er keine Kenntnis hatte. Die Schüler beobachteten, wie sich Situationen weiterentwickelten, verglichen, was sie getan hätten mit dem, was er tat und sahen, dass er unendlich weiser und fähiger war. Wenn ein Schüler dies erkannte, stellte sich die Selbstaufgabe von selbst ein.

Gewöhnlich schreibt der Guru den Schülern ihr Sadhana vor, doch Swami Sivananda tat dies nicht, außer bei Schülern, die in vollkommener Harmonie mit ihm waren. Sogar bei der Mantra-Diksha (Einweihung in ein Mantra) erkundigte er sich, welche Ishta devata (Lieblings-Gottheit) der Schüler hatte und gab ihm ein dazu passendes Mantra. Er fragte auch nach dem Namen, den der Schüler bevorzugen würde, bevor er ihm die Einweihung in Sannyas (und den neuen Mönchsnamen) gab.

Er erlaubte vollkommene Freiheit, aber wartete auf Gelegenheiten, Samen zu säen, zurechtzubiegen, zu führen und auszubilden, um den Schüler in die richtige Richtung zu lenken. Wenn zum Beispiel ein Schüler nach sechs Monaten Meditationspraxis von je drei Stunden am Morgen zu ihm kam und sagte, dass sich nichts tue, sagte er zu ihm: „Du solltest etwas Hare Rama Kirtan in der Bhajan Halle singen, dann wird die Meditation tiefer.“ Dann hatte es Wirkung! Hätte er dies von Anfang an verlangt, wäre dieser Vorschlag wahrscheinlich nicht sehr wohlwollend aufgenommen worden. Wenn auch das Mantrasingen den Geist dumpf zu machen schien, sagte er als nächstes vielleicht: „Arbeite ein paar Stunden am Tag in der Küche, schneide Gemüse.“ Er ließ es so aussehen, als ob der Schüler dies nicht täte, um dem Ashram zu dienen, sondern um seine Trägheit loszuwerden. Später sagte er dann: „Warum bringst du dich nicht in Form? Mache etwas Pranayama (Atemübungen) oder Yogaübungen.“ Inzwischen praktizierte der Schüler schon, was Swami Sivananda am meisten liebte – ganzheitlichen Yoga. Er gab lediglich hin und wieder Anreize und Anleitung. Er gab dem Schüler das Privileg frei zu wählen, was er wollte!

So zwang Swami Sivananda den Schülern nie seinen Willen auf. (Natürlich musste der Ashram seine Regeln haben, doch das ist eine andere Geschichte!). Zwischen ihm und seinen Schülern herrschte absolute Freiheit, doch war es eine Freiheit, in der die Schüler gelenkt und trainiert wurden und in der es ihnen möglich war zu wachsen. Und Wachstum gab es. Die Freiheit war nicht so groß, dass der Schüler vor sich hindämmern konnte.

Falls nötig, gab Swami Sivananda ihm einen Stups und weckte ihn auf. Der Stups konnte auf hundert verschiedene Arten kommen, doch war er immer sanft. Er weckte auf, aber tat nicht weh. Das war seine höchste, nicht nur in dem Sinne, dass göttliche Gnade zu allen floss, sondern das auf sehr anmutige Weise geschah. Solch große Gnade kann man wahrscheinlich sonst nirgendwo finden. Er hatte alle Rollen in sich vereint – Vater, Mutter, Lehrer, strenger Meister und sehr liebevoller Freund. In all diesen Rollen war er gleichzeitig, es gab keine Trennung. Er vereinte immer alle möglichen Gegensätze – das war seine Spezialität.

Immer wieder bestand Swami Sivananda darauf, dass Schüler neben ihrem selbstlosen Dienst die Schriften studieren und meditieren sollten. Sechs Stunden studieren, sechs Stunden meditieren und sechs Stunden dienen, galt als die ideale Routine für einen Suchenden. Eines Tages sagte er:

„Es bekümmert mich zu sehen, dass meine eigenen Schüler oftmals nicht verstehen, was ich meine, wenn ich sie dazu dränge, ihr Leben dem selbstlosem Dienst zu widmen. In keinster Weise soll das bedeuten, dass sie ihr persönliches Sadhana im Namen der Arbeit vernachlässigen sollen. Systematisches Sadhana zu einer festen Zeit, täglich früh am Morgen und bei Abenddämmerung lässt sich durchaus mit aktiver Arbeit während des restlichen Tages vereinbaren. Was ich betonen will, ist, dass sogar die Arbeit ein spirituelles Sadhana werden sollte, indem man die Haltung eines Nichts-Handelnden einnimmt, mit dem Gefühl ,Nicht ich bin es, der handelt und genießt.’ Oder man sollte die Haltung haben, alles was man tut, Gott darzubringen, mit dem Gefühl ‚ich bin ein Instrument in der Hand Gottes.’ Dann werden all deine täglichen Handlungen zum Gebet. Dein Leben wird sich erhellen, wird zu einem strahlenden Licht werden, das täglich dem manifestierten kosmischen Wesen dargeboten wird. Du wirst langsam aber sicher transformiert werden. Wie viele Menschen im Berufs- und Familienleben praktizieren auch jetzt sorgfältig systematisches Sadhana zusammen mit ihren sozialen Pflichten. Wenn ihr mit Eurem geschulten Verstand schon nicht seht, welch machtvollen Einfluss, unsere geistige Einstellung und Vorstellung auf all unsere Taten ausübt, wie könnt ihr dann erwarten, dass die breite Masse des Volkes die Theorie oder Philosophie des Karma Yoga (selbstloses Dienen) versteht? Legt vorgefasste Vorstellungen von dem, was Sadhana ist und was nicht, beiseite. Jegliche selbstlose Aktivität, die mit Würde ausgeführt wird, stellt die höchste Form des Sadhana dar. Wenn ihr euch bemüht, alle Arbeiten in einem Geist des Gebets auszuführen, kann es nicht zu einem Gefühl der Niedergeschlagenheit kommen.“

Swami Venkatesananda erzählte:
„Manchmal wurden wir gebeten, in der Küche mitzuhelfen, Kartoffeln zu schälen und Gemüse zu schneiden und Swami Sivananda bestand darauf, dass wir während der ganzen Zeit Gottes Namen wiederholten. Manchmal sangen wir alle: Hare Rama Hare Rama Rama Rama Hare Hare, Hare Krishna Hare Krishna Krishna Krishna Hare Hare während wir unsere Arbeiten erledigten. Der Gesang erinnerte uns daran, dass es letztendlich Gott ist, der die Arbeiten ausführt und dass wir es für Gott tun. Der Handelnde ist Gott und das Ziel ist Gott, daher wird die Tätigkeit selbst göttlich. Eines Tages arbeiteten wir alle im Büro, genau vor Swami Sivananda. Einige tippten, andere schrieben, wieder andere erledigten die Buchhaltung. Er hatte eine nette Art anzudeuten, dass er etwas Lustiges sagen wollte. Er setzte seine Brille auf die Stirn, schloss ein Auge und schaute uns an, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Ein strahlendes, schelmisches Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er sagte: „ Hast du diese Art von Arbeit nicht auch in Delhi gemacht?“
„Ja, Swamiji.“ „Was also war der Zweck, hierher zu kommen? Du gehst in einen Ashram, einen heiligen Ort, und suchst moksha(Befreiung), und dort tust du wieder genau das, was du vorher im Staatsdienst getan hast. Warum bist du überhaupt hierher gekommen? Hätte nicht jeder von euch, an seinem ursprünglichen Ort bleiben können, um Karma Yoga zu machen?“ Alle waren still. Dann lieferte er uns selbst die Antwort:

„Hier wird euer Geist geweckt. Es ist sehr schwierig, die richtige geistige Haltung zu kultivieren, wenn du noch in den täglichen Lebenskampf verwickelt bist. Nur wenn du zuFüßen eines Meisters lebst, kannst Du diesen Geist des Karma Yoga entdecken. Wenn Du dann in die Welt zurückkehrst, ist es dieselbe Welt, aber Du bist nicht mehr derselbe und deshalb ist auch die Welt nicht mehr dieselbe. Du hast eine neue Vorstellung. Dich darin auszubilden, ist die Aufgabe eines Ashrams.“

Trägheit

Swami war sehr geduldig bei nachlässiger Arbeit, Fehlern und Unfähigkeit. Da gab es praktisch nichts, was er nicht in Kauf nahm - mit Ausnahme von Trägheit. Wie bringst du andere Menschen dazu zu arbeiten? Die erste Antwort ist, dass Du ein Beispiel geben musst.

Swami Sivananda selbst war das beste Beispiel. Einmal sagte er: „ Ich arbeite nicht nur hart, sondern ich weiß, wie ich auch andere zur Arbeit motivieren kann“. Er vollbrachte dies auf bezaubernde Art und Weise. Manchmal lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schaute zu; manchmal schloß er ein Auge und sah einfach zu... und dann lächelte er. In diesem Blick und in diesem Lächeln war etwas Bezauberndes. Er eroberte durch Liebe.

Wenn einer seiner Schüler träge war und nicht darauf reagierte, erhielt er zuerst ein paar Früchte, Milch und Kekse von Swami Sivananda und eventuell auch andere Gaben. Wann immer er in Swami Sivanandas Nähe kam, grüßte dieser ihn und lobte seine guten Eigenschaften. Dies war ein indirekter Weg, ihm vorzuschlagen: „Du bist ein wunderbarer Mensch, warum fängst Du nichts damit an?“ Gelegentlich verstand ein Schüler diesen Hinweis, andere sagten vielleicht: „Ich meditiere sechs Stunden am Tag.“ Dann entgegnete Swamiji eifrig: „Sehr gut. Du solltest meditieren und Kirtan und Bhajan singen.“ Wenn dieser Schüler glaubte, das solle ihn ermutigen, nur das zu tun, wurde er immer träger. Auch die Früchte und die Milch spornten ihn nicht an. Dann begann Swami Sivananda in seiner Gegenwart über jemand anderen zu sprechen: „Was für ein dynamischer Mensch Soundso ist. Jeder sollte so sein wie er.“ Wenn der Schüler das immer noch nicht beachtete, würde Swami Sivananda sagen: „Stehe zur Abwechslung einmal auf und tue etwas!“ Er konnte für ein paar Minuten wie ein Donnerwetter sein und dann wieder wie Milch und Honig. Aber wenn selbst das versagte und der Schüler träge blieb, war er der Erste, der gebeten wurde zu gehen, wenn es eine finanzielle Krise gab.

SivanandaEin verträumter Schüler hatte eine Art von trügerischer Langsamkeit angenommen und dachte, dies sei ein Weg, um innere spirituelle Ruhe auszudrücken. Eines Tages, als Swami Sivananda sich mit einigen Besuchern auf der Veranda vor der Bhajan-Halle unterhielt, kam der junge Mann gemächlich den Pfad heraufgeschlendert, was sofort Swami Sivanandas Aufmerksamkeit erregte. „Komm her“, rief er. Als der junge Mann kam, fragte er: „ Was ist los mit dir? Bist Du unterernährt? Gibt es nichts in der Küche? Oder hast Du keine Zeit zu essen? Dein Haar ist noch nicht grau. Warum dann diese Haltung wie ein halbverhungertes Geschöpf? Wo ist Deine Energie, Deine Jugend? Warum kannst Du nicht herumhüpfen und springen? Lass mich Dich sprinten sehen. Komm, lauf mal eine Runde um die Bhajan-Halle herum.“

Der junge Mann begann zu rennen. Daraufhin sagte Swamiji mit einem Nicken: „Ich möchte diesen Jungen in ein Militärcamp schicken. Nur militärische Ausbildung kann Schwung in solche verzauberten Einsiedler bringen. Ich glaube, dieser Junge wurde schon träge geboren. Er scheint anzunehmen, ein Leben in Entsagung sei gleichbedeutend mit körperlicher Ruhe und Untätigkeit. Wo man diese Auffassung herbekommt, weiß Gott allein!“ Dann wandte er sich an den jungen Mann, der seinen Lauf beendet hatte, mit verlegenem Gesichtsausdruck dastand und sagte: „Du solltest deine Lektion von einem Geschäftsmann in der Stadt oder den jungen Medizinstudenten lernen. Wie flott so ein Mediziner von Haus zu Haus und von Station zu Station, über die Veranda und durch die Korridore läuft während seiner täglichen Arbeit im Krankenhaus. Warum kannst Du diesem Beispiel nicht folgen? Einer, der der Welt entsagt, sollte auch der dynamischste Arbeiter sein, denn er hat den Vorteil, völlig frei zu sein von den vielfältigen, beunruhigenden Aktivitäten und Ablenkungen, denen die Menschen im weltlichen Leben ausgesetzt sind.
Sei tatkräftig von morgen an. Lass mich Dich laufen sehen und nicht spazieren. Lass mich Dich überall auf einmal sehen. Trägheit erschafft keinen Heiligenschein. Wenn es so wäre, müsste jeder Stuhl, jeder Tisch und jede Säule heilig gesprochen werden. Rüttele Dich wach und verwandele Dich in einen vielseitigen Arbeiter.“

Während des Unterrichts in der Yoga Vedanta Forest Akademy pflegte Swamiji häufig, vor sich hindösende Schüler zu fragen: „Machst du denn Notizen von den wichtigen Punkten, die Du während des Unterrichts hörst?“ Die meisten Schüler taten dies nicht. Dann fuhr Swami fort: „Sobald ich nach dem Unterricht in mein Zimmer zurückgekehrt bin, überdenke ich die Ideen, die ich während des Unterrichts in der Klasse gesammelt habe. Eine tiefe Meditation darüber bringt damit in Zusammenhang stehende, erhabene Gedanken hervor. All das arbeite ich in einen Artikel ein und veröffentliche ihn für die Welt.“

Einst gab es einen fleißigen Schüler im Ashram, der in die Meditation vernarrt war. Würdevoll saß er jeden Morgen zwei bis drei Stunden auf einem Felsblock am Ufer des Ganges, ohne sich auch nur im Geringsten zu bewegen.Alle glaubten, dass er sich nicht nur der Meditation, sondern auch eines überbewussten Zustandes erfreute.

Eines Morgens fragte ihn Swamiji, warum er nicht den Morgenunterricht besuche. Er sagte: „Swamiji, ich liebe die Meditation. Jeden Morgen meditiere ich drei Stunden.“ Swami Sivananda war an diesem Tag in fröhlicher Stimmung: „Sei vorsichtig“, sagte er, „damit du nicht im Ganges ertrinkst. Es könnte sein, dass du plötzlich in Samadhi gelangst und dann einfach weggespült wirst!“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Kennst Du den schnellsten Weg, um in diesen glückseligen Zustand einzutreten? Ich werde ihn Dir sagen: nimm gut gekühlten Reis und Joghurt aus Büffelmilch. Bereite Dir ein nettes Bett mit guten, weichen Kissen. Strecke Dich darauf aus. Atme tief mit einem leisen Geräusch. Entspanne Dich. Du wirst augenblicklich in diesen Zustand eintauchen. Dieser augenscheinlich überbewusste Zustand, wenn du auf einem Felsblock sitzt wie ein Felsblock, ist nicht besser als das.“ Der Schüler war verblüfft. Swami Sivananda erklärte: „Meditation heißt, das Unendliche zu berühren. Das ist Einssein mit dem allmächtigen Gott. Weißt Du, welche gewaltige Menge an Kraft in Deinem Inneren aufwallen wird, wenn Du auch nur fünf Minuten lang richtig meditierst? Du kannst die Welt umwandeln. Du kannst die Zeit aufrollen wie ein Stück Leder. Du kannst Wunder bewirken, auch wenn Du nur einige Minuten meditierst. Was hast Du durch deine dreistündige Meditation, die du seit drei Monaten praktizierst, erreicht? Nichts. Besser Du trägst Wasser aus dem Ganges in die Küche. Deine Teilnahmslosigkeit wird verschwinden. Sei aktiv. Diene. Dann wirst Du erkennen, was Reinheit ist. Nur wenn Dein Geist mit Reinheit erfüllt ist, wirst Du in der Lage sein zu meditieren.“

Wenn Swami Sivananda über das Fehlverhalten eines Schülers unterrichtet wurde, schenkte er der Beschwerde keinen Glauben, es sei denn er sah es mit eigenen Augen. Wenn ihm erzählt wurde, Soundso hätte schlechte Eigenschaften, zählte er eine Liste von guten Eigenschaften dieser Person auf. Einige Tage überschüttete er diesen Menschen mit seiner Zuneigung und Liebe. Wenn die Beschwerden nicht aufhörten, bedeutete dies, das etwas Wahres daran war. Dann ließ er einen großen Strahl voller Liebe zu dem fehlgeleiteten Schüler strömen und erst wenn er sicher war, dass er sein Herz vollkommen erobert hatte, ließ er sanft einen Hinweis fallen. Und auch dieser Hinweis durfte nicht verletzen, denn wenn Kritik verletzt, erreicht sie das Gegenteil und man wird dagegen rebellieren und sich abwenden. So etwas würde er niemals erlauben. Wegen des Guten, das sicherlich ein jeder in sich trägt, gab Swami Sivananda dem Schlechten eine „lange Leine“, um auf diese Weise einen Bruder stärker für die spirituelle Familie zu gewinnen.

Für ihn gab es keinen schlechten Menschen auf der Erde, der nicht auch seine
guten Eigenschaften hatte - nicht einer war unverbesserlich. In seiner Vision
gab es den ewigen Sünder nicht. Er sah Gott und das Göttliche überall und dies, verbunden mit seiner enormen Dynamik, übertrug seine Seelenstärke auf andere. Es weckte augenblicklich das schlummernde Gute in jedem und stärkte Tugenden, wo sie schon vorhanden waren. Die Nutznießer waren sich dessen nicht einmal bewusst. In seiner Einstellung gegenüber den spirituell Suchenden offenbarte Swami Sivananda den höchsten Grad der Anpassung. Kein Opfer war ihm zu groß in seiner Arbeit, um aus Menschen Heilige zu formen.

Wenn der Suchende nur oberflächliche Fehler hatte, wie z.B. schlechte Essgewohnheiten, würde er sie in der spirituellen Atmosphäre bald ablegen. Damit der Schüler nicht durch andere kleine Schwächen oder Liebe zur Bequemlichkeit abgelenkt würde, schaffte Swami Sivananda oft selbst solche Dinge herbei, um einen Absturz des Schülers zu verhindern. Er war der Überzeugung, früher oder später würde der Schüler seine Schwäche überwinden und auf den Luxus verzichten. Selbst wenn diese Schwächen so tief saßen, dass sie auch höhere spirituelle Übungen überdauerten, würde er als Werkzeug in Swami Sivanandas göttlichen Händen dienen und diese Arbeit würde Tausend andere erheben. Dies war sein Zauber.

Gerade die Menschen, welche in der Welt nicht ernst genommen wurden, nahm er auf und verwandelte sie in sehr nützliche Bürger. Einen Menschen für das Schlechte, das Du in ihm erkennen kannst, mit Füßen zu treten, bedeutet einen schrecklichen Verlust. Swami Sivananda tat so etwas niemals. Er hätte selbst den Teufel dazu gebracht, gute Arbeit zu tun.

Er verdeutlichte oft die Notwendigkeit von Geduld und Nachsicht an dem folgenden Beispiel: „Wenn du nahe an einem Dornenbusch vorbei gehst und plötzlich kommt ein Windstoß und das Tuch, das du um die Schultern gelegt hast, bleibt in diesem Busch hängen, dann kannst du nicht einfach daran ziehen. Wenn Du es versuchst, wird das Tuch zerreißen. Du musst innehalten in Deiner Bewegung und Stück für Stück das Tuch von den Dornen lösen. Diese Geduld ist notwendig, wenn man seine eigenen schlechten Seiten bearbeiten will.“

Swami Sivananda gab uns beinahe täglich wunderbare Bekundungen dieser Einstellung. Seine Nachsicht wurde oft schwer auf die Probe gestellt. Ein Schüler mochte seine Persönlichkeit von dem Weisen formen lassen; dann war er wahrhaftig gesegnet. Oder er mochte seine Schwächen zeigen und gegen seinen eigenen Wohltäter rebellieren. Wenn ein törichter Schüler fälschlicherweise annahm, er sei schon von Geburt an ein Heiliger, nahm er es Swami Sivananda vielleicht übel, dass dieser versuchte, mit dem Meißel eine Form aus der unbearbeiteten Masse, die er war, zu gestalten. Ein geliebter Sohn mochte durch ein solches Verhalten den Zorn seines Vaters hervorrufen, doch Swami Sivananda legte lediglich den Meißel zur Seite, schüttete seine Liebe über den Unwissenden aus und gab ihm Zeit, zur Vernunft zu kommen. Der junge Mann verließ vielleicht sogar die schützende Zuflucht seines Meisters. Seltsamerweise schaute Swami Sivananda dann anscheinend ungerührt zu, wie der fehlgeleitete Schüler, der seinem Egoismus, Ärger oder Gier nachgab, in einem Moment das schöne Gebäude zerschlug. Das Gebäude, das in jahrelanger Geduld und beharrlicher Arbeit erbaut worden war. Swami Sivananda schien das alles augenblicklich zu vergessen – doch nein, genau dann vollbrachte er sein größtes Wunder. Bevor er dem Schüler gelassen die Erlaubnis gab, zu gehen, breitete er unauffällig die unsichtbare Waffe seines Segens über ihn aus, der ihn eines Tages sicherlich zurückbringen würde. Wenn solch ein Schüler zum Ashram zurückkam, behandelte Swami Sivananda ihn, als ob er schon immer dagewesen und nie weggegangen wäre.

Wie unmöglich die Schüler auch waren und wie unhöflich sie auf seine Ausbildung reagiert haben mochten, Swami Sivananda verlor niemals seine Milde oder gab die Hoffnung auf, sondern er machte einfach weiter. Wenn der Schüler nicht erkennen konnte, was Swami Sivananda mit ihm versuchte, schuf er eine Situation, welche den Schüler in die Lage versetzte, es vielleicht zu erkennen. Auf diese Weise arbeitete er vierzig Jahre lang ohne Pause.

In den 40er Jahren wussten alle, dass es keinen Sinn hatte, mit einer Beschwerde über einen anderen Schüler zu Swami Sivananda zu kommen, da er es schlichtweg ablehnte, ihr Glauben zu schenken. In Swami Sivanandas Gegenwart stritt sich keiner mit einem anderen. Das geschah nur, wenn er nicht da war. Wenn Unheil geschah, dann immer hinter seinem Rücken. Wenn ein Ashrambewohner sich über einen anderen beschwerte, sagte er: „Ach so?“ Aber er glaubte es nicht, bevor er es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Wenn es eine Klage gab, zum Beispiel Soundso raucht und Swami Sivananda fühlte, dass ein Körnchen Wahrheit darin lag, schrieb er einen Artikel über die Gefahren des Rauchens. Wenn der Mann, gegen den sich die Klage richtete, eine gute Schreibkraft war, bat Swami Sivananda ihn, den Artikel zu tippen.

Es gab keine Konfrontation, aber es war möglich, dass die Botschaft des Artikels der Schreibkraft zu Herzen ging. Wenn er kein Schreiber war, ließ Swami Sivananda den Artikel von jemand anderem tippen und zum Abendsatsang (gemeinsame Meditation und Mantrasingen) mitzubringen. Beim Abendsatsang wurde jeweils auch aus den Schriften gelesen und gelegentlich auch aus Swami Sivanandas eigenen Artikeln. An einem solchen Tag würde er zum Beispiel sagen: „Mukunda, hast Du den Artikel getippt? Bitte gib ihn X (dem Raucher) zum Vorlesen“, so als wäre es Zufall und als wäre ihm gleichgültig, wer ihn las. Er wurde dem Mann gegeben, gegen den die Beschwerde über das Rauchen gerichtet war.Vor allen Menschen musste er dann laut vorlesen: „Rauche nicht! Rauchen ist tödlich, es vergiftet Deine Lungen. Deshalb höre bitte sofort mit dem Rauchen auf!“ Wahrscheinlich verstand der Raucher diese Botschaft!

Oft bat er einen Schüler, eine Rede zu halten. Wenn dieser ein aufbrausender Mensch war, wurde er zum Beispiel angehalten, vor einer Gruppe über Wut zu sprechen. Er konnte nicht sagen, dass Wut gut war, sondern dass ein spiritueller Suchender völlig ruhig, geduldig usw. sein muss. Wenn er so sprach, musste er sich zwangsläufig selbst zuhören.

Für viele war Swami Sivananda vielleicht nur ein Lehrer, der sie lehrte oder ein gerechter Mann, der sich um sie kümmerte. Viele kamen völlig verarmt zu ihm und er versorgte sie. Viele kamen verzweifelt zu ihm und er gab ihnen Hoffnung. Viele wussten nicht, was sie mit sich selbst anfangen sollten und er gab ihnen Arbeit. Er bedeutete Unterschiedliches für verschiedene Menschen. Er begab sich auf ihre Ebene, um ihnen zu helfen und auf eine höhere Ebene zu gelangen, jedoch nicht, weil er ihre Gesellschaft genoss. Wenn sie das nicht wollten, ließ er sie spirituell, wo sie waren. Dann behandelte er sie als Verarmte, die er lediglich mit den notwendigen Dingen des Lebens versorgte.

Ein Ereignis am 8. März 1949 gibt uns einen kurzen Einblick in das übermenschliche Wirken von Sivanandas Geist und seine göttliche Art, Menschen und ihre Probleme zu sehen. Einmal hatte jemand ein Missverständnis mit einem anderen. Swami Sivananda hörte sich geduldig beide Seiten an. Sein Urteil war seltsam – seltsam insofern, als kein Gericht der Welt den gesunden Menschenverstand hat, das Gute sowohl im Ankläger wie auch im Angeklagten zu suchen, um dann das Problem an der Wurzel anzupacken.

Zum Angeklagten sagte Swami Sivananda:
„Nur im aktiven Handeln wird der Mensch mit seinem inneren Wesen konfrontiert. Dieses schläft, wenn man nicht auf dem Schlachtfeld ist. Wenn sich entsprechende Umstände bieten, haben die inneren, versteckten Wesenszüge eine Chance, sich zu zeigen. Es liegt wohl ein Körnchen Wahrheit in dem, was der andere Mann sagt. Diese Einstellung muss jeder Sadhaka (Schüler) annehmen. Setze dich hin, denke nach, analysiere dich selbst und finde heraus, welchen versteckten Wesenszug er angedeutet hat. Manche Menschen sind sehr sensibel. Ihre Empfindsamkeit ist sehr groß, doch wir sollten ihnen dies nicht zum Nachteil auslegen und darauf herumreiten. Wir sollten gegenüber unseren eigenen Handlungen aufmerksam sein. Wir sollten die Empfindsamkeit der anderen verstehen und respektieren.“

Zu dem Ankläger sagte Swami Sivananda:
„Wenn jeder danach trachtet ein Sadhaka zu sein, wird es niemals Beschwerden oder Streitigkeiten geben. Ein Sadhaka sollte immer die Einstellung haben, selbstlos zu handeln, danach zu streben, ein vollkommener Sadhu (Mönch) zu sein. Dann wird es keinen Grund für Aufruhr geben. Gott hat uns hier mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet. Ihr habt nie quälenden Hunger verspürt, ihr habt nie Unsicherheit erlitten, noch müsst ihr euch der Natur aussetzen. Ihr habt eine wohlhabende Einrichtung gefunden, die eure Bedürfnisse wie eine liebende Mutter pflegt. Ich habe erfahren, was es heißt, von Haus zu Haus zu gehen und um Almosen zu bitten. Ich habe erfahren, was es heißt, am Straßenrand zu schlafen. Das sollte ein Sadhaka immer vor dem geistigen Auge behalten. Das sind die Grundprinzipien des Lebens eines Sadhu. Wir sollten unsere Lage mit der der Sadhus in Rishikesh (Ort in Indien) vergleichen. Wir haben uns tausend mal bequemer eingerichtet als sie. Dafür sollten wir Gott dankbar sein. Die Mentalität sich zu beschweren, sollte verschwinden.“

Zu beiden sagte er:
„Dieses Ereignis bringt zum Ausdruck, dass es irgendwo eine Disharmonie der Herzen gibt. Eine Auseinandersetzung entsteht nur, wenn es eine Disharmonie gibt. Anderenfalls verweigert der Ankläger seine Klage und der Angeklagte nimmt bereitwillig die Anschuldigung an. Dann gibt es keinen Grund mehr für Gerichtshöfe. Alle Menschen sollten diesen Geist, dass wir letztlich alle eine Familie sind, entwickeln. Nur dann werden die Auseinandersetzungen aufhören. Es sollte Harmonie in den Herzen sein. Dein Herz sollte im Einklang mit allen Herzen schlagen. Du solltest alle lieben. Wenn erst einmal ein Riss entstanden ist, lässt sich dieser schwer wieder flicken. Aber es ist möglich. Dafür musst du dem anderen gegen über beständige Liebe an den Tag legen, die gleichmäßig ist und sich über lange Zeit hinzieht. So hat die andere Seite Zeit genug, über den Groll hinwegzukommen, dann den Argwohn über Deine inneren Beweggründe der Liebe beiseite zu schieben und zuletzt Dein wahrhaftiges Motiv der Liebe zu verstehen.“

Sannyas

Swami Sivananda hieß in seinem Ashram jeden willkommen und gab jedem, der darum bat, die Mantraweihe. Im Laufe der Zeit gab er beinahe wahllos Jungen und Alten die Sannyaseinweihung. Er gab sie Männern und Frauen, Indern und Ausländern, persönlich oder per Brief.

In einer Rede über Sannyas (Entsagung, Aufgabe aller Bindungen) sagte er: „Die Upanishaden erklären nachdrücklich, dass Unsterblichkeit nicht durch selbstsüchtiges Handeln, auch wenn es gut und tugendhaft ist, erreicht werden kann, sondern nur durch Entsagung. Nur indem man sich von dem Gefühl lossagt „Ich bin Soundso“, nur durch Auflösen von Egoismus und Ichbewusstsein, kann man die Unsterblichkeit erreichen.

Ohne Zweifel ist der Weg der Entsagung ein dorniger Weg. Er ist wie eine Rasierklinge. Aber es wird immer unerschrockene, heldenhafte Menschen mit Urteilsvermögen geben, die den brennenden Eifer verspüren, der Welt zu entsagen,das Leben von Nivritti (Nichtanhaften) zu führen und die Selbstverwirklichungzu erreichen. Man wird in der Welt immer wieder solche Übermenschen vongroßer Weisheit finden, die äußerst leidenschaftslos sind und sich nach Befreiung sehnen. Sie werden der Welt entsagen und in den Sannyas-Zustand (eine Lebensweise ohne Besitz, die auf das Einswerden mit Gott ausgerichtet ist) treten. Es wird immer Sannyasins (Menschen, die ihren Besitz völlig aufgegeben haben, um Gott zu finden) in der Welt geben. Keine politischen oder sozialen Grundsätze können diese Menschen davon abhalten, der Welt zu entsagen und das Leben eines Sannyasin zu führen. Ohne spirituelle Menschen auf dem Weg der Entsagung und ohne spirituelle Führer kann es keinen Frieden und kein Glück in der Welt geben. Sie sind die Sonne, welche die Finsternis der Unwissenheit und Negativität vertreibt. Sie sind das feste Fundament einer Nation und der gesamten Welt.

Es ist die Pflicht einer fortschrittlichen Gesellschaft, diese Menschen auf dem Weg der Entsagung zu unterstützen und ihnen auf alle erdenkliche Weise bei ihrer Suche nach der Wahrheit zu helfen. Diese Menschen sollten ihrerseits der Gesellschaft dienen und Männern und Frauen kostenlos spirituelle Nahrung geben.

Manchmal werde ich gefragt, warum ich auch junge Menschen in den Ashram aufnehme und ihnen die Sannyasweihe gebe. Sie sind am besten für Sannyas geeignet. Nur junge Menschen können intensiv Sadhana (spirituelle Praxis) und Tapas (strenge spirituelle Disziplin, ernsthafte Arbeit an sich selbst) praktizieren. Was kann ein alter Mensch schon tun? Wenn er gerade am Sterben ist und seine Ohren schon stocktaub sind, spricht jemand die mahavakyas (die großen vedischen Lehrsätze, zum Beispiel „Du bist Das“ etc.) in seine Ohren, die ja schon taub sind. Was für einen Nutzen hat so ein Sannyasa?

Ich brauche feurige junge Menschen, mutig, leidenschaftslos und weise, mit eisernem Willen, mit einem Körper und Nerven wie Stahl, die den Himalaya zermalmen, das Wasser des Ozeans schlucken können, die den Tod wie Essigsoße verschlingen, den Pazifik durchschwimmen, den Mount Everest entwurzeln und eine Feuerkugel schlucken können! Ehre den jungen Sannyasins, die es gewagt haben, sich den weltlichen Ablenkungen zu widersetzen und den Weg des Sannyas gehen...

Sie sind nur für euer oberflächliches Sehvermögen zu jung. Sie mögen jung sein, was ihren Körper betrifft, aber in ihrem Geist sind sie nicht jung. Ihr Herz ist reif. Urteilsvermögen und Leidenschaftslosigkeit sind durch spirituelle Praxis aus früheren Leben erweckt. Es mag so aussehen, als ob sie ihre Familien vernachlässigen, ihre Eltern, Frauen und Kinder im Stich lassen. Das ist nicht der Fall. Diese jungen Menschen haben auf der Suche nach Gott der Welt entsagt. Duch diese Entsagung vertrauen sie ihre Familien der Obhut Gottes an. Gott wird sich um sie kümmern. Und in Wirklichkeit ist es Gott, der jeden beschützt. Nur aufgrund eurer Täuschung und Verhaftung glaubt ihr, dass ihr eure Kinder und Eltern versorgt. Doch nein, nein, Er ist es allein, der euch alle beschützt. Wenn der Sohn der Welt entsagt, sollten die Eltern und andere Familienmitglieder erkennen, dass er die edelste Handlung vorgenommen hat. Sie sollten von diesem Augenblick an ihren Glauben an Gott wiedergewinnen und ihrerseits nach eigenem Vermögen danach streben, Ihn zu erreichen.“

Nicht alle Sannyasins, welche von Swami Sivananda eingeweiht wurden, hielten sich an ihr Gelübde. Einige verhielten sich so, dass sie dem Orden Schande brachten, während andere wieder weggingen, um einen Haushalt zu gründen.

Wenn Swami Sivananda deshalb kritisiert wurde, sagte er:
„Ja es gibt viele Swamis, die Dinge tun, die von einem Sannyasin nicht erwartet werden. Viele haben die Mönchskleidung abgelegt und geheiratet. Aber auch sie sind es wert, verehrt zu werden. Denn sie waren mindestens einen Tag Sannyasins. Sie hatten den Mut, ihre Hände zu erheben und zu sagen: „Ich entsage den Vergnügungen der drei Welten.“ Sie hatten die Kühnheit und den Wagemut, sich gegen die größten Kräfte der Natur zu stellen, die Kräfte, die Samsara (Kreislauf von Geburt und Tod) aufrecht erhalten, nämlich gegen den Selbsterhaltungs- und den Fortpflanzungstrieb. Diese Kräfte holten sie wieder ein, als sie unachtsam waren. Nur weil ein Mensch es nicht geschafft hat, den Weg des Sannyas weiterhin zu gehen, solltest du nicht glauben, der Orden sei für junge Menschen ungeeignet. Was ist mit den großen Sannyasins wie Swami Vivekananda, Swami Rama Tirtha, Swami Dayananda? Tatsache ist, dass die meisten bemerkenswerten Sannyasins der Welt entsagt haben, als sie noch Jugendliche waren. Was kann ein alter Mann erreichen? Es ist ein Verspotten von Sannyas, wenn er sich dem heiligen Orden hingibt.“