Seelenwanderung in der Geschichte

Seelenwanderung - Vorstellungen in der griechisch-römischen Antike

Unter den Ägyptern und den Griechen gab es ganze philosophische und religiöse Schulen, die an Seelenwanderung glaubten. Es gibt Theorien und Berichte, dass die Einweihungskulte der Mysterienschulen Erinnerungen an frühere Geburten und Erfahrungen außerkörperlichen Lebens hervorrufen wollten. Bekannt ist, dass der Mathematiker, Philosoph und Mystiker Pythagoras Seelenwanderung gelehrt hat. Andere bekannte Vertreter der Reinkarnationstheorie waren Sokrates und  Plato. Laut Plato sagte Sokrates: „Weil nun die Seele unsterblich ist und oftmals geboren und, was hier ist und in der Unterwelt, alles erblickt hat: so ist auch nichts, was sie nicht in Erfahrung gebracht hätte, sodass nicht zu verwundern ist, wenn sie auch von der Tugend und allem anderen vermag, sich dessen zu erinnern, was sie ja auch früher gewusst hat." (Zitiert nach der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher). Weitere Geistesgrößen der Antike, die an Seelenwanderung glaubten, waren Appolonius, Plotinus, die Neupythagoräer, die Neuplatoniker, Empodokles, Plutarch, Vergil, Ennius, Seneca, vermutlich auch Cicero und Caesar.

Wiedergeburtslehre im Judentum

Das Wort Reinkarnation (hebräisch „Gilgul Neschamot“) taucht in der jüdischen Bibel nirgends auf. Seelenwanderung wird aber im Talmud an einigen Stellen explizit diskutiert. Einige jüdische Strömungen z.Z. Christi sind von Reinkarnation ausgegangen. Dazu gehören insbesondere die Essener und die Pharisäer. Die Essener lebten in einer Gemeinschaft ohne persönlichen Besitz, in der es Mönche, Nonnen und ganze Familien gab. Sie waren Vegetarier, haben meditiert und andere spirituelle Praktiken geübt, glaubten an Auferstehung des Fleisches und damit Seelenwanderung sowie an etwas dem Karma Ähnlichen und auch an das baldige Kommen des Messias. Umstritten ist, inwieweit die Essener in Kontakt standen mit Jesus und Paulus sowie den Urchristen überhaupt. Laut dem antiken Historiker Josephus haben auch die Pharisäer, neben Sadduzäern und Essenern die dritte wichtige Gruppierung im Judentum zur Zeit Christi, an Reinkarnation geglaubt. Da aus dem pharisäischen Judentum das mittelalterliche Judentum hervorgegangen ist, wird man aber annehmen müssen, dass die Annahme der Reinkarnationslehre nicht unumstritten war. So wird Seelenwanderung ja im Talmud durchaus kontrovers diskutiert. Die Pharisäer waren übrigens nicht die scheinheiligen Buchstabengläubigen, als die sie in den Evangelien dargestellt werden. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass die Frühchristen den Pharisäern am nächsten standen, dass vielleicht sogar Jesus als pharisäischer Lehrer angesehen wurde. Die Positionen von Jesus zu Nächstenliebe (Hillel), Ehescheidung (Schammai), seine Einstellung zum Sabbath („der Sabbath ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbath“) und vieles Andere, was als für Jesus typische Lehren gilt, waren Lehrmeinungen der Pharisäer. Auch können es nicht Pharisäer gewesen sein, welche Jesus als Häretiker verfolgten. Das müssten eher Sadduzäer gewesen sein, welche das Tempeljudentum verkörperten, sich als die „Rechtgläubigen“ bezeichneten und sich von Häretikern absetzten. Die Pharisäer waren es, welche ein „Reformjudentum“ befürworteten, für welches der Geist wichtiger war als der Buchstabe. Allerdings waren zur Zeit der Verfassung der Evangelien die Sadduzäer (und die Essener) weitestgehend ausgelöscht. So richtete sich die Polemik der Frühchristen gegen die verbliebenen Pharisäer. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Lehren Jesu auf pharisäischen Lehren beruhen. Drei Ausnahmen will ich hier herausgreifen: Die eine betrifft die Haltung Jesu zum Privateigentum, die zweite die Vorstellung der bevorstehenden Endzeit, die dritte die Person Jesu selbst als Messias, Sohn Gottes. Ein paar Anmerkungen zur Position Jesus zum Privateigentum: Jesus spricht sich an mehreren Stellen gegen Privateigentum aus: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“ (Mk 10,25). „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Matth 6,24).  Hier ähnelt die Position von Jesus wie bei der bevorstehenden Endzeit eher der essenischen als der pharisäischen. Die Frühchristen wollten sich eben von den Pharisäern und vermutlich auch von den Juden insgesamt absetzen, die wegen des römisch-jüdischen Krieges 66-70 n. Chr., in dessen Folge der Jerusalemer Tempel zerstört und die Juden von den Römern aus Palästina vertrieben wurden, im Römischen Reich unbeliebt waren.
Explizit wurde die Reinkarnationslehre von jüdischen Mystikern gelehrt. Die Bücher „Sefer ha Bahir“ (aus dem 11. oder 12. Jhdt. n. Chr.) und „Sefer Ha Sohar“ (13. Jhdt. n. Chr.) seien hier beispielhaft erwähnt. Da das Werk „Sefer Ha Sohar“ starke Verbreitung fand, kann man davon ausgehen, dass im spätmittelalterlichen osteuropäischen Christentum die Reinkarnationslehre vorherrschende Doktrin war.
Ein klassisches Werk der Kabbala ist Schaar ha-Gilgulim („Tor der Reinkarnationen”) von Rabbi Isaak Luria (1534-1572), das die komplexen Gesetzmäßigkeiten der Wiedergeburt beschreibt und außerdem die lebenslange Inkarnation (Gilgul) von der vorübergehenden Inkorporation einer fremden guten Seele (Ibbur) oder einer fremden bösen Seele (Dibbuk) abgrenzt. Luria bezieht sich dabei ausdrücklich auf bestimmte Textpassagen im Tanach, der jüdischen Bibel. Der Begründer der chassidischen Bewegung, Rabbi Israel ben Elieser (1698-1760), genannt Baal Schem Tow, hat die Reinkarnationslehre weitergegeben. Man findet einiges darüber in Martin Bubers Werken „Die Legenden des Baalschem“ sowie „Die Erzählungen der Chassidim“, in denen Baal Shem Tow ganz konkrete Fälle von Seelenwanderung darlegt und erläutert.
Die Vorstellung der Wiedergeburt ist auch heute bei orthodoxen Juden (besonders bei den Chassidim) weit verbreitet. In manchen chassidischen Gebetsbüchern (Siddur) findet man beispielsweise ein Gebet, das um Vergebung für Sünden in früheren Inkarnationen bittet (mehraba).

Seelenwanderung und Wiedergeburt im Islam

Der Anteil der Moslems unter den Yoga Übenden in Mitteleuropa wird in den letzten Jahren größer. Daher hier ein paar Worte über Seelenwanderung und Islam. Natürlich lehnen die Hauptvertreter der großen Konfessionen Sunniten und Schiiten die Reinkarnationslehre ab.
Einige Verteter der islamischen Mystik (Sufismus oder Tasawwuf) und einige esoterische Orden (Tariqas) integrieren das Konzept der Wiedergeburt problemlos in ihr spirituelles Weltbild. Hierzu zwei Koran-Stellen:
„Wie könnt ihr Gott verleugnen, wo ihr tot wart und Er euch lebendig gemacht hat? Dann lässt Er euch sterben und macht euch wieder lebendig, und dann werdet ihr zu Ihm zurückgebracht.“ (Koran 2:28, Übersetzung von Adel Theodor Khoury).
„Du lässt die Nacht in den Tag übergehen und Du lässt den Tag in die Nacht übergehen. Du bringst das Lebendige aus dem Toten und Du bringst das Tote aus dem Lebendigen hervor, und Du bescherst Unterhalt, wem Du willst, ohne (viel) zu rechnen.“ (Koran 3:27, Übersetzung von Adel Theodor Khoury).
Beide Koranstellen kann man durchaus als Beleg für Reinkarnation deuten, auch wenn sie natürlich auch anders interpretiert werden können.
Der persische Dichter, Mystiker und Sufi-Meister Dschalal ad-Din Rumi (1207-1273), genannt Moulana ("unser Meister"), auf dessen Lehren der Mevlevi-Derwischorden zurückreicht, schrieb folgendes Gedicht:

 „Ich starb als Mineral und wurde Pflanze,
   Ich starb als Pflanze und wurde Tier,
   Ich starb als Tier und wurde Mensch.
   Warum soll ich mich fürchten?
   Wann wurd ich weniger durch einen Tod?
   Noch einmal werd ich sterben als ein Mensch,
   Nur um dann aufzusteigen mit der Engel Segen.
   Doch auch vom Engelsdasein muss ich weitergehen…“
            (Auszug aus dem Mathnawi von Rumi).

Im Koran wird Maryam, Mutter des Propheten Isa (Jesus) mit der alttestamentlichen Prophetin Miriam, Schwester von Aaron und Mose, die mehr als 1.000 Jahre vorher gelebt hat, gleichgesetzt. Dies wird von manchen islamischen Denkern mit Seelenwanderung erklärt.
Bis heute hat die Seelenwanderungslehre bei der kleinen Minderheit der Drusen eine zentrale Bedeutung, auch wenn die Drusen normalerweise nicht als Moslems anerkannt werden.

Seelenwanderung im Christentum

Anders als häufig angenommen, war auch der Glaube an Seelenwanderung zu allen Zeiten sehr verbreitet. Man kann davon ausgehen, dass mindestens einige Jünger von Jesu von Seelenwanderung ausgingen. In den ersten Jahrhunderten nach Christ Geburt gab es viele christliche Strömungen, die Seelenwanderung gelehrt haben. Und in der Bibel gibt es durchaus einige Stellen, die ganz unterschiedlich interpretiert werden. Nach Meinung einiger Kirchenrechtler und Theologen verstößt Glaube an Seelenwanderung nicht gegen römisch-katholische Doktrin und auch nicht gegen die Lehrschriften der evangelischen Kirchen. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Meinungen.

Sukadev Bretz spricht über das Leben nach dem Tod in verschiedenen Religionen.