Leben nach dem Tod - Vorstellungen

Es gibt so viele Vorstellungen über das Leben nach dem Tod wie es Kulturen, vielleicht sogar wie es Menschen gibt. Ich möchte diese Vorstellungen in 6 Hauptkategorien einteilen:

  1. Das Nichts: Nach dem Tod ist alles zu Ende.
  2. Das Schattenreich: Nach dem Tod geht es irgendwie weiter, aber weniger intensiv.
  3. Himmel und Hölle: Nach dem Tod kommt man, sei es direkt, sei es nach dem Jüngsten Gericht, sofort oder nach einem Fegefeuer in den Himmel oder in die ewige Verdammnis.
  4. Allerlösung: Alle Menschen kommen nach dem Tod in eine Art Himmel, zum Heil, zur Erlösung, und zwar unabhängig davon, was sie in diesem Leben getan oder geglaubt haben.
  5. Ungewissheit: Man kann nicht wissen, was nach dem Tod kommt.
  6. Reinkarnation: Der Mensch inkarniert sich immer wieder, bis er die Vollkommenheit erreicht.


Meine Behauptung ist: Von den verschiedenen Vorstellungen über das Leben nach dem Tod macht die Reinkarnationstheorie vielleicht am meisten Sinn. Um dies zu erläutern, möchte ich zu den oben genannten 6 Kategorien einige Anmerkungen machen:

Sukadev Bretz, Leiter von Yoga Vidya, spricht in seinem Vortrag über den Tod und Vorstellungen vom Leben nach dem Tod.

Das Nichts: Nach dem Tod ist alles zu Ende.

Diese materialistische Vorstellung widerspricht der Intuition des Menschen. Menschen spüren intuitiv: Es muss nach dem Tod weitergehen. Kaum jemand kann sich wirklich vorstellen, nicht mehr zu sein. Das ist zwar kein wissenschaftlicher Beweis, aber doch eine subjektive Tatsache für die meisten Menschen. Man kann die „intuitive“ Überzeugung der meisten Menschen aller Kulturen, dass nach dem Tod „etwas sein muss“, abtun als kulturell anerzogenen Aberglauben, als evolutionär sinnvolle Illusion, die im Hirn begründet ist und den Menschen im Angesicht der Sterblichkeit zum Handeln befähigt, oder eben als intuitives Wissen um eine tiefere Wirklichkeit.

Das Schattenreich

Die meisten Menschen kennen diese Vorstellung aus der griechischen Mythologie. Da werden die Toten dargestellt als Schatten, die unglücklich sind, dass sie nicht mehr richtig leben können und sich nach dem wahren Leben sehnen. Viele Menschen heutzutage haben eine durchaus ähnliche Vorstellung. Einerseits gehen sie davon aus, dass der Tod nicht das Ende ist, andererseits kann es mit dem Leben nicht richtig weiter gehen. In jedem Fall wird es weniger intensiv sein. Wenn man das zu Ende denkt, ist die Vorstellung eines Schattenreiches etwas ganz Grässliches. Wer will Milliarden von Jahren in einer Art Halbleben verbringen?

Himmel und Hölle

Nach dem Tod kommt man, sei es direkt, sei es nach dem Jüngsten Gericht, entweder in den Himmel oder in die Hölle, je nachdem ob man tugendhaft genug war oder an das Richtige geglaubt hat.

Allerlösung nach dem Tod

Vielen Christen ist es heutzutage sehr bewusst, wie unbefriedigend die oben skizzierte Theorie von ewigem Himmel und ewiger Verdammnis ist. Nur eine Minderheit der Christen in Mitteleuropa und kein mir bekannter Pfarrer glaubt heute noch daran. Und der Horizont weitet sich: Inzwischen erkennen die verschiedenen christlichen Kirchen an, dass man auch über eine andere christliche Konfession das Heil erreichen kann. Papst Johannes Paul II. hat anerkannt, dass auch Juden und Moslems das Heil erreichen können. Zu hoffen ist, dass sich der Gedanke der gegenseitigen Anerkennung unter allen Religionen verbreiten wird. Am weitesten geht das neuchristliche Konzept der „Allerlösung“. Nach dieser Theorie ist Jesus für die Erlösung aller Menschen gestorben, unabhängig davon, ob sie an ihn glauben oder nicht. Somit kommen alle Menschen, unabhängig von ihren Taten, von ihrer spirituellen Praxis und ihrem Glauben zur Erlösung. Nach manchen Ausprägungen muss man nach dem Tod eine Art Fegefeuer, eine Art Reinigung, durchlaufen, bis man des Heils teilhaftig wird. Meist werden die Details aber ausgelassen.
Das Konzept der Allerlösung passt sicherlich gut in unsere Zeit. Ein Charakteristikum unserer Zeit ist ja die Zunahme an Mitgefühl. In der Aufklärung wurde das Konzept der unbedingten, nicht zu verdienenden Menschenwürde entwickelt, vor allem von Immanuel Kant. Anfang des 20. Jahrhunderts postulierte Sigmund Freud, dass alles Schlimme im Menschen letztlich aus Problemen in der Psyche komme, die wiederum durch familiäres und gesellschaftliches Umfeld herrühren. Die Evolutionsbiologie, Genforschung und Hirnpsychologie haben gezeigt, dass alle Triebe im Menschen evolutionsmäßig ihren Sinn gehabt haben und auch heute in dafür geeigneten Kontexten meist weiterhin wichtige Funktionen erfüllen. Letztlich gibt es nichts absolut Schlechtes oder absolut Gutes. Der Dualismus Gott-Teufel, wie man ihn in den meisten Religionen findet, wird damit obsolet. Selbst der Verbrecher handelt aus Antrieben, die in irgendeinem evolutionären Kontext einmal sinnvoll waren und verdient unser Mitgefühl. Und jeder von uns hat, wenn auch in unterschiedlichen Anteilen, fast jeden Trieb in sich, den jeder andere auch hat. Vor diesem Hintergrund würde eine bedingungslose Liebe Gottes auch ein bedingungsloses Annehmen aller Menschen in all ihren Anteilen mit sich ziehen. Ein bedingungslos liebender Gott müsste auch alle Menschen erlösen können. So wie man von einem irdischen Vater und einer irdischen Mutter erwarten würde, dass sie jedes ihrer Kinder bedingungslos annehmen und alles in ihrer Macht Stehende tun, so wird dies ganz gewiss auch Gott tun.
Natürlich hat die Theorie der „Allerlösung“ auch ihre Probleme:  Zum Einen hält sie sich sehr vage, was Allerlösung überhaupt sein soll. Wie ist das überhaupt, „erlöst“ zu sein? Da waren die Beschreibungen eines Himmels mit Harfen spielenden Engeln konkreter. Zum Anderen sind die biblischen Belege dafür sehr dünn. Zum Dritten stellt sich die Frage: Warum sollte man überhaupt tugendsam sein und glauben, wenn man sowieso die Erlösung erlangt? Auf diese dritte Frage gibt es allerdings eine durchaus befriedigende Antwort: Wenn man weiß, dass man praktisch schon erlöst ist, kann man das Leben freudevoll leben, man kann sich selbst so annehmen wie man ist, weil man weiß, dass Gott einen so annimmt wie man ist. Und wenn man sich des Geschenkes Gottes bedingungsloser Liebe bewusst ist, will man dieses Geschenk auch weitergeben. So handelt man nicht tugendhaft, um etwas zu erreichen; man geht nicht in die Kirche, um in den Himmel zu kommen. Vielmehr gibt man aus Glücksgefühl und Dankbarkeit das weiter, was man erfahren hat. Dieses innere Glück als tugendhafte Handlungen auszudrücken, ist Belohnung in sich.
Hier ist der christliche Allerlösungsgedanke der Yoga Philosophie erheblich näher, als die christlichen Befürworter es üblicherweise selbst wissen: Ethisches Handeln entspringt im Yoga nämlich nicht der Angst vor schlechtem Karma oder göttlicher Bestrafung. Im Jnana Yoga (Yoga der Philosophie und der Erkenntnis) wird aus der Vedanta Philosophie heraus gesagt: Wir sind jetzt schon Atman, reine, unendliche Seele. Egal, was wir machen: Wir sind jetzt schon perfekt. Diese Vollkommenheit müssen wir uns nicht erarbeiten, wir können sie nicht verlieren. Alle spirituelle Praxis hilft uns nur, uns dieser Tatsache bewusst zu werden. Und wenn wir erkennen, dass wir alle miteinander im Höchsten Bewusstsein verbunden sind, kommen Nächstenliebe und ethisches Handeln von selbst. Patanjali empfiehlt im Raja Yoga Sutra die Entwicklung von Tugenden als Mittel zum Zweck: Patanjali sagt: Unethisches Handeln führt direkt zu Unwissenheit und Leid (Yogasutra II 34). Ethisches Handeln aus Liebe führt zum Wissen und Erfahrung der Einheit sowie zu Freude.

Ungewissheit über das Leben nach dem Tod

Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass man nicht wissen kann, was nach dem Tod kommt. Es sei wichtiger, sein jetziges Leben zu leben, als sich über das nächste Leben Gedanken zu machen. Was nachher kommt, würden wir schon sehen. Diese Vorstellung klingt vernünftig, führt aber zu einer unterbewussten Grundangst. Denn der Mensch weiß ja um die Vergänglichkeit. Letztlich kommt aus dieser Einstellung die in unserer Kultur so verbreitete Verdrängung des Todes. Über Sterben spricht man nicht, mit Sterbenden spricht man nicht über den Tod, gestorben wird im Krankenhaus. So gelingt es, den Tod aus dem Leben zu verbannen. Aber der Tod kommt von selbst immer wieder ins Leben: Ein naher Angehöriger stirbt, man selbst gerät in Lebensgefahr, unheilbare Krankheiten werden diagnostiziert oder befürchtet. Diese Grundangst sorgt dafür, dass der moderne Mensch im aktiven Leben immer unter einem Hintergrund-Stress leidet, was auch in der psychologischen Forschung empirisch belegt wurde. Menschen mit einer ungenaueren Vorstellung über „das Leben nach dem Tod“ leiden erheblich mehr unter Unsicherheit und Stress als Menschen mit einer festen Überzeugung. Auch die Trauma-Forschung hat gezeigt: Menschen mit festen Überzeugungen, die auch die Katastrophen des Lebens mit einbeziehen, leiden weniger unter erschütternden Erfahrungen als andere. Man hat z.B. festgestellt, dass Exiltibeter, die Schlimmstes erlebt hatten, 20 Jahre nachher erheblich weniger unter posttraumatischen Belastungssyndromen gelitten haben als andere, die Vergleichbares erlebt hatten, aber keine so tiefe spirituelle Verankerung hatten.
Eine mit Ungewissheit nach dem Tod einhergehende Lebens- und Weltanschauung ist eine Art rosaroter Optimismus, der die Katastrophen des Lebens ausblendet. Viele Menschen in Europa haben folgende Weltanschauung: Die Welt meint es gut mit mir. Mein Leben wird sich schon gut entwickeln. Wenn ich keine groben Fehler mache, wird alles gut sein. Aber: Katastrophen geschehen nun mal: Angehörige sterben, Ehen gehen in die Brüche, Kinder kommen auf Abwege, Arbeitsstellen werden gekündigt, Unfälle und Krankheiten geschehen. Da fragen sich die modernen Menschen vergebens: Warum? Warum ich? Warum mir? Eine Lebenseinstellung, die nicht tief genug denkt und für sich selbst nur eine rosarote Zukunft ausmalt und den Schwierigkeiten und Herausforderungen des Lebens keinen Platz einräumt, wird immer wieder erschüttert. Und weil das Unbewusste das weiß, wird im Hintergrund der Psyche eine beständige Angst und Unsicherheit herrschen. Die scheinbar so „vernünftige“ Lebenseinstellung „man weiß nicht, was nach dem Tod ist, und ich lebe jetzt mein Leben“ entpuppt sich als Quelle von psychischen und psychosomatischen Beschwerden. Diese Einstellung scheitert auch immer wieder daran, dem Leben einen tieferen Sinn zu geben, der ja laut den Forschungen von Victor Frankl für psychische Gesundheit so wichtig ist. Wer den Sinn im Leben darin sieht, eine Firma aufzubauen, wird diesen nach einem Konkurs in Scherben sehen. Wer in Ehe und Familie seinen Sinn sieht, wird nach Scheidung oder Tod eines Kindes sein Leben für sinnlos ansehen.
So braucht erfülltes, gesundes Menschsein letztlich eine tiefere Basis, einen tieferen Sinn, ein tieferes Verstehen. Selbst wenn sich am Ende des Lebens herausstellen würde, dass es nach dem Tod doch nichts gibt, hätte man wenigstens ein erfüllteres, freudevolleres Leben geführt, das der evolutionär-biologisch-neurologischen Hirnausstattung des Menschen mehr gemäß war als ein materialistisches...