Beispiele für karmische Lektionen

Um es noch klarer zu machen, will ich hier ein paar Beispiele geben. Denn nicht immer ist klar, was in einer konkreten Situation die Aufgabe ist.

Karma und Kündigung

Erstes Beispiel: Angenommen, eine Aspirantin bekommt ein Kündigungsschreiben von ihrem Arbeitgeber. Welche Aufgabe könnte darin liegen? Zunächst einmal ist der Verlust eines Arbeitsplatzes eine allgemein menschliche Situation, an der man reifen kann. Gefühle von Ohnmacht, Wut, Ausgenutztsein, Hilflosigkeit, Depression, Befreiung, Zukunftsängste, Verzweiflung, Hoffnung etc. können alle damit verbunden sein. Vom Standpunkt des Karmas als Aufgabe zur Entwicklung könnte man sagen: Die Erfahrung des Verlustes eines Arbeitsplatzes ist eine wichtige menschliche Erfahrung, woran man wachsen kann. Auch die Konfrontation mit allen damit verbundenen Emotionen und Gedanken ist etwas Wertvolles für die psychische, persönliche und spirituelle Entwicklung. Gerade über solche außergewöhnlichen Erfahrungen, durch welche man aus der „normalen“ Bahn geworfen wird, wächst man.
Die erste Aufgabe ist also zunächst einmal, diese Situation mit all ihren Aspekten einschließlich der eigenen psychischen Reaktion anzunehmen. Es geht also nicht darum, seine Emotionen und Gefühle zu unterdrücken oder sich ihrer zu schämen. Vielmehr gilt es, sich ihrer bewusst zu werden, sie bewusst zu erleben und dann damit umzugehen. In einem zweiten Schritt ist die Aufgabe, was man in dieser Situation macht, wie man geschickt auch und gerade im Äußeren reagiert. Folgende Lernaufgaben könnten in diesem zweiten (oder dritten oder vierten) Schritt für unsere Aspirantin stecken, je nach individueller Veranlagung und je nach Situation:

  • Sie muss lernen, ihre Bescheidenheit zu überwinden und dem Chef klarmachen, was sie alles für die Firma geleistet hat – vielleicht ist so die Kündigung rückgängig zu machen.
  • Sie muss lernen, ihren Stolz zu überwinden und auch mal von Arbeitslosengeld zu leben.
  • Sie muss das Talent der Selbstdarstellung besser üben und deshalb viele Bewerbungsgespräche führen.
  • Diese Art von Arbeit ist vorbei – neue Abenteuer warten auf sie.

Diese und andere Aufgaben können sich aus dieser karmischen Situation ergeben. Wie man in solchen und anderen Situationen Entscheidungen fällt, ist Hauptthema der Bhagavad Gita.

Karma und Fremdgehen

Zweites Beispiel: Petra hat drei kleine Kinder und findet heraus, dass ihr Mann fremd gegangen ist. So etwas ist für viele Menschen eines der schlimmsten Erlebnisse. Es ist sicherlich eine ganz besonders schwierige Situation. Was ist hier die Aufgabe? Zunächst einmal ist das Erleben dieser Situation selbst die Aufgabe. Diese Erfahrung an sich ist offensichtlich im Lehrplan ihres Lebens enthalten. Die Konfrontation mit allen damit verbundenen Emotionen und Gedanken wie Wut, Verzweiflung, Ängste, Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit, Trauer, Verratenheit, Minderwertigkeitskomplexe, Zukunftsängste, Mordlust, Selbstmordgedanken, Zerstörungswut, Befreiung, weil jetzt Gewissheit herrscht, Liebe, schlechtes Gewissen, ist an sich wertvoll.
Vieles, was ich über den Trauerprozess geschrieben habe, als es um Umgang mit dem Tod ging, ist auch in einer solchen Situation anwendbar. Und natürlich muss Petra anschließend entscheiden, wie sie mit der Situation umgeht. Sie hat verschiedene Möglichkeiten. Einige der Möglichkeiten scheiden für einen spirituellen Menschen aus, wie Mord, Selbstmord, Rache etc. Aber Petra hat eine Reihe von anderen Möglichkeiten:

  • Gespräch, Konfrontation, Aussprache, Neuanfang, Verzeihen, Versöhnen, Paarberatung, neue Absprache/Versprechen
  • Nebenherleben im gleichen Haus, um den Kindern eine Art Familienleben zu ermöglichen
  • Trennung mit Vereinbarungen zum Wohl der Kinder, nach Möglichkeit einvernehmlich, unter Zurateziehen eines Mediators
  •  …

Auch hier gilt: Wie Petra sich verhalten soll, kann man vom Karma-Standpunkt aus nicht sagen. Es kann für Petra sogar zur karmischen Lernaufgabe dazugehören, eine ganze Weile lang nicht zu wissen, was das Richtige ist.

Karma und Krankheit

Drittes Beispiel: Karl-Dieter erfährt, dass er Multiple Sklerose hat. Er erfährt, dass es möglich ist, dass er in den nächsten Jahren schrittweise die Kontrolle über seine Muskeln verlieren wird. Es kann aber auch sein, dass durch die Einnahme von neuen Medikamenten mit vielen Nebenwirkungen der Fortgang der Krankheit verlangsamt oder gar angehalten werden kann. Was könnten da für Lernaufgaben drin stecken? Ich schreibe hier bewusst im Konjunktiv: Von außen betrachtet kann man das nämlich nie so genau wissen. Und selbst wer in der Situation ist, weiß höchstens einige Jahre später, was er/sie gelernt hat. Also: Was KÖNNTEN die Lernlektionen sein? Eine solche Krankheit kann ganz besonders die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen führen. Es ist immer möglich, dass einem durch einen Unfall/Krankheit körperliche und geistige Fähigkeiten genommen werden. MS macht das um so deutlicher.
Vielleicht war Karl-Dieter jemand, der bisher sein Leben immer gut in der Hand hatte – jetzt ist es damit vorbei: Jederzeit kann ein Krankheitsschub kommen, immer wieder kann Müdigkeit auftauchen, Gemütsschwankungen können scheinbar ganz grundlos kommen. Vielleicht war Karl-Dieter sehr stark in einer Abwehrhaltung gegen moderne Schulmedizin – jetzt muss er vielleicht lernen, auch schwere Medikamente zu nehmen. Vielleicht hat er bisher vielen Menschen geholfen, war der Starke, an denen andere sich festhalten konnten – jetzt ist er hilfsbedürftig. Vielleicht war Karl-Dieter auch medizin- und fortschrittsgläubig – jetzt erkennt er, dass auch Medizin und technischer Fortschritt ihre Grenzen haben. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht herzlos, wenn ich solche Möglichkeiten aufzähle. Jemand, der mit einer solchen Diagnose konfrontiert ist, verdient natürlich volles Mitgefühl. Und jeder momentan Gesunde kann von einem Moment auf den anderen mit einer schweren Krankheit konfrontiert sein. Karl-Dieter hat jetzt viele Möglichkeiten, die er größtenteils sogar parallel, neben- oder nacheinander angehen kann:

  • Er kann sich umfassend über Multiple Sklerose informieren, über Bücher, Internet, Selbsthilfegruppen etc.
  • Er kann einen sehr guten Arzt suchen, der sich damit auskennt.
  • Er kann einen guten Yogatherapeuten suchen, der ihm geeignete Yoga Asanas empfiehlt.
  • Er kann seine spirituellen Übungen vertiefen – Meditation wird die Praxis sein, die er am längsten üben kann.
  • Er kann sich mit Vedanta Philosophie auseinandersetzen und sich bewusst machen: „Ich bin das unsterbliche Selbst. Was auch immer mit dem Körper passiert und wie sehr auch mein Denken und Fühlen durch die Krankheit beeinflusst wird: Meine wahre Natur bleibt Satchidananda – reines Sein, Wissen, Glückseligkeit.“

Karma und Einbruch

Viertes Beispiel: Lea kommt nach Hause und stellt fest, dass in die Wohnung eingebrochen wurde. Einiges wurde gestohlen. Vielleicht hat sie vor zehn Jahren selbst etwas geklaut – dann kann sie sich jetzt darüber freuen, dass ihr Karma sich damit ausgeglichen hat. Angenommen aber, sie hat in diesem Leben niemals geklaut, dann könnte es auch eine Konsequenz aus einem früheren Leben sein.
Es ist aber müßig, über frühere Leben nachzudenken. Besser wäre es, Lea überlegt, was diese Situation für sie bedeutet: Vielleicht verdrängt sie etwas, vielleicht ihre Fähigkeit zu geben, vielleicht war sie geizig. Vielleicht sollte sie aber auch lernen, etwas achtsamer zu sein und die Haustür abzuschließen. Vielleicht hat sie sich bisher vor Behördengängen gescheut; sie muss jetzt zur Polizei und zur Versicherung gehen, muss sich neue Ausweise besorgen, etc. Vielleicht sind all das wichtige Erfahrungen. Vielleicht hatte sie sich Einiges vorgenommen, was karmisch nicht dran war und was jetzt durch die Verluste von Materiellem und Zeit nicht geht.

Mieses Karma?

Es ist nicht immer leicht, das Positive gerade in schrecklichen Erlebnissen und Erfahrungen zu sehen. Tröstlich kann hier sein, dass auch das Erleben von leidvollen Emotionen Teil der karmischen Lernaufgabe sein kann. Wenn du also etwas Schweres erlebst und dadurch aus deinem inneren Gleichgewicht geworfen wirst, mache dir deshalb kein schlechtes Gewissen. Erlebe die Situation bewusst – und schaue, wann der Zeitpunkt gekommen ist, zur nächsten Erfahrung überzugehen.