Ayur- Yoga

Interview mit der amerikanischen Yoga- und Ayurveda-Meisterin Leela Mata

Leela Mata ist eine international anerkannte Lehrerin des Ayurveda und Yoga und verfügt über tief greifendes Wissen auf beiden Gebieten. Sie studierte beide Wissenschaften unter Swami Vishnu Devananda bzw. Dr. Vasant Ladd, sowohl in den USA als auch in Indien. Ihre Lehrtätigkeit führte sie in den letzten Jahren durch Europa, Afrika, Indien, Kanada und Südamerika.

Geboren in Britisch-Guyana in einer traditionellen indischen Familie, fügten sich Yoga und Ayurveda von Kindheit an ganz selbstverständlich in ihre Lebenskultur ein. Erst später, als sie ihrem spirituellen Meister Swami Vishnu Devananda begegnete, begann sie Yoga als Wissenschaft zu begreifen und zu praktizieren. Bei der Geburt ihres zweiten Kindes erkrankte sie an Asthma und kam zu dem Schluss, dass regelmäßige Yogapraxis sehr wichtig für die Gesunderhaltung des Körpers ist, dass die Grundlage der Gesundheit jedoch ein sinnvoller und bewusster Umgang mit der Ernährung ist, wie sie Ayurveda lehrt. So kam sie durch eigene Erfahrungen zu einer neuen Sichtweise auf Yoga und Ayurveda.

Anlässlich eines Ayurveda-Seminars in Bad Meinberg führten Michael Jugov und Matthias Herse von Yoga Vidya das folgende Interview mit ihr:

Leela Mata, in letzter Zeit ist in der Presse in Deutschland mehr und mehr über Ayurveda und Yoga zu lesen und man könnte auf den Gedanken kommen, dass beide Systeme miteinander konkurrieren. Wie passen Yoga und Ayurveda zusammen?

„Ayurveda und Yoga bilden eine Einheit. Ayurveda ist dabei das Fundament, die Basis, auf der man Yoga praktiziert. Wenn wir beispielsweise Hatha-Yoga ausüben, also mit dem Körper arbeiten, dann ist das eigentlich noch nicht wirklich Yoga. Denn der Ayurveda lehrt uns: Solange es noch um Heilung geht, solange wir also Yoga-Übungen als Mittel zum Zweck benutzen, unseren Körper zu heilen oder den Geist zu beruhigen, praktizieren wir eigentlich Ayurveda. Man könnte auch sagen, wir beschäftigen uns dann noch mit den niedrigeren Aspekten von Yoga, mit ethischen Grundlagen, Körperstellungen und Atemtechniken.“

Das heißt also, dass selbst ein Yogi, der jahrelange Praxis in den Asanas (Körperstellungen) besitzt, unter Umständen noch gar nicht beim richtigen Yoga angekommen ist?

„Aus ayurvedischer Sicht ist das so, ja. Erst wenn vollständige Heilung von Körper und Geist stattgefunden hat, sind wir bereit für die höheren Aspekte des Yoga. Der Geist ist erst dann in der Lage, die Sinne vollständig aus der Welt abzuziehen und sich zu konzentrieren. Dann beginnt Yoga. Yoga und Ayurveda haben das gleiche Ziel: das Individuum in Harmonie mit sich und seiner Umwelt zu bringen. Doch sollten wir darauf achten, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Ayurveda ist das Fundament und Yoga ist das, was wir auf diesem Fundament aufbauen. Wir streben ja auch keinen Doktortitel an, bevor wir an der Universität studiert haben.
Es geht also nicht darum, Ayurveda und Yoga zu vergleichen, sondern beide sind Teil eines ganzheitlichen Prozesses und dabei ergänzen sie sich ganz wunderbar. Mein Lehrer, Dr. Vasant Ladd, hat immer gesagt: „Wenn du Yoga praktizierst und kein Ayurveda kennst, dann bist du nur ein halber Yogi und wenn du Ayurveda anwendest, und nicht gleichzeitig Yoga praktizierst, dann hast du auch davon nur die Hälfte der möglichen Vorteile.“

Gibt es denn einen gemeinsamen Ursprung von Yoga und Ayurveda? Welche Ansätze verfolgen beide Systeme?

„Beide Wissenschaften haben ihren Ursprung in den Veden, den ältesten und bedeutendsten heiligen Schriften Indiens. Ohnehin sind alle yogischen Wissenschaften sehr eng miteinander verknüpft. Ayurveda verfolgt lediglich einen etwas anderen Ansatz als Yoga: Es beginnt beim so genannten „normalen Menschen“, der jetzt vielleicht noch nicht so viel über den Sinn des Lebens nachdenkt und einfach gesund sein will. Im Yoga dagegen, beginnen wir gleich damit, uns das Ziel des menschlichen Daseins, die Selbstverwirklichung vor Augen zu führen und beginnen deshalb, zu üben und zu meditieren. So gibt es beispielsweise Menschen, die mit Yoga beginnen und gleich sehr intensiv praktizieren. Oft verlieren sie daraufhin ihre Erdung: Ihr Geist und ihre Energien erheben sich, aber das Fundament für eine solche Transformation ist noch nicht gelegt. Sie sind dann zu schnell, zu weit in eine Richtung gegangen, ohne den nötigen innerlichen Halt dafür zu haben. Dazu kommt meist noch, dass die Übenden einfach zu wenig Wissen über die fortgeschrittenen Praktiken besitzen.“

Heißt das, man soll es beim Yoga anfangs etwas ruhiger angehen lassen und sich parallel auf die Beachtung der ayurvedischen Lebensprinzipien konzentrieren?

„Wenn man Yoga wirklich ernsthaft praktiziert, schafft man sich ohnehin erst eine solide Grundlage über die Beachtung der ethischen Grundsätze (Yamas und Niyamas), worauf dann die Körperstellungen und Atemübungen folgen. Das höhere Yoga beginnt viel später, wenn Körper und Geist durch fortwährendes Üben ruhig geworden sind und der Yogi in der Lage ist, seine Sinne vollständig von der Außenwelt abzuziehen und sich ganz auf sein höheres Selbst auszurichten. Um diesen Weg wirklich gehen zu können, muss man vor allem einen gesunden Körper haben. Und dabei hilft Ayurveda: Wenn in unserem Körper viele Unreinheiten sind, dann kann dieser nicht richtig funktionieren und sich letztendlich auch nicht selbst (er-)kennen. Wenn das der Fall ist, dann sind wir nicht im Kontakt mit unserem Körper.
Der Körper besteht im Wesentlichen aus Nahrung, er wird aus Nahrung aufgebaut. Wenn wir ihm nun die genau richtige, seinem Typ entsprechende Nahrung zuführen, dann kann die körpereigene Intelligenz ungehindert fließen, die wir benötigen, um unsere Yogapraxis zu unterstützen und uns letztlich selbst zu erkennen.
Sowohl im Yoga, als auch im Ayurveda arbeiten wir mit dem Prana – der Lebensenergie. Im Ayurveda verwenden und lenken wir das Prana so, dass es uns auf der physischen Ebene heilt. Auf der yogischen Ebene benutzen wir das Prana für die Transformation unseres Bewusstseins. Man könnte auch sagen, Ayurveda stellt eine Brücke dar von der Heilung des Körpers zur Heilung des höheren Selbst mithilfe von Yoga.“

Was sind die wichtigsten Dinge, die es beim Praktizieren von Yoga und Ayurveda zu beachten gilt?

„In jedem Fall kommen wir auf beiden Wegen ohne einen gewissen Grad an Disziplin nicht sehr weit. Weiterhin ist qualifizierte Führung unerlässlich. Viele machen den Fehler, dass sie sich mitten in etwas hineinstürzen, ohne überhaupt zu wissen, wo es beginnt und worum es eigentlich geht. Da hilft die Anleitung durch einen Lehrer oder einen spirituellen Meister. Außerdem ist es wichtig, dass wir das Erlernte auch in unser tägliches Leben integrieren. Nehmen wir an, man ist für eine gewisse Zeit in einem Seminarhaus wie diesem hier und besucht ein interessantes Seminar und lernt eine Menge über Yoga und Ayurveda. Irgendwann muss man aber wieder nachhause gehen und seinen alltäglichen Verpflichtungen nachkommen. Das Seminar hat nur dann eine anhaltende Wirkung, wenn ich mein neues Wissen auch und gerade im Alltag anwende. Dafür muss man sich aber ausreichend Zeit nehmen. Eigentlich ist das wie mit der Verdauung: Um die Lerninhalte richtig zu „verdauen“, assimilieren wir das, was in unser Leben hineinpasst und gleichzeitig scheiden wir die Dinge aus, die wir (noch) nicht annehmen können. Um bei dem Beispiel unseres Körpers zu bleiben: wenn die Verdauung nicht funktioniert, dann wird selbst das beste Essen zu Gift. Wir müssen dem System Zeit geben, das Aufgenommene, das Gelernte zu assimilieren. Yoga und Ayurveda sind beides Wissenschaften des Lebens, insofern als wir lernen, ihre Inhalte nach und nach in unser Leben zu integrieren.“

Die meisten Menschen in Deutschland praktizieren den körperorientierten Hatha-Yoga. Was hat mein Geist davon, wenn ich Kopfstand kann? Wie wende ich das, was mein Körper gelernt hat, auf meinen Alltag an?

„Wenn wir mit dem Hatha Yoga anfangen, dann denken wir, wenn ich den Kopfstand kann oder ein perfektes Rad, dann kann ich Hatha Yoga, aber darum geht es im Yoga gar nicht. Die äußere Form der Asana mag zwar ansprechend aussehen, aber das, was die Asana in deinem Inneren verursacht, ist ein völlig anderes Thema. Ist die Achtsamkeit ganz und gar bei der Körperstellung oder bei der Atmung? Ist es mir möglich, die Stellung mit jeder Faser meines Körpers zu leben, statt sie nur mit meinem Körper auszuführen? Das sind die wichtigen Fragen, wenn es darum geht, welche Wirkungen wir aus einer Körperstellung erhalten. Wir müssen eine Körperstellung ganz und gar leben, um ihre tiefen Auswirkungen zu erfahren. Diese Wirkungen sind zunächst über den Körper spürbar: wir bleiben gesund und flexibel, können besser entspannen usw. – aber die Effekte des Yoga gehen weit über den Körper hinaus. Man könnte sagen, wir gebrauchen im Hatha Yoga den Körper wie ein Werkzeug und dieser erfährt durch das Üben auch entsprechende Veränderungen, aber die wirklichen, die gravierenden Veränderungen finden im Geist und dadurch im täglichen Leben statt.“

Was sind die wichtigsten Botschaften von Ayurveda und Yoga an die moderne westliche Welt?

„Die wesentliche Botschaft ist, dass uns sowohl Yoga als auch Ayurveda den Weg aus unseren Schwierigkeiten heraus zeigen und uns zu höheren spirituellen Verwirklichungen und Erkenntnissen führen können. Die Menschen heutzutage sind so verloren, weil sie den Sinn des Lebens nicht verstehen. Jeder irrt umher und versucht sich zu retten, während das Schiff am Sinken ist. Ayurveda und Yoga geben uns wirksame Techniken, wie wir uns aus dieser verzweifelten Situation erheben können. Wir stecken in einer Sackgasse: wir dachten, das Glück kommt mit der Anhäufung materieller Güter. Aber anstatt dass wir glücklicher sind, je besser es uns materiell geht, hat sich das Vakuum in uns erheblich vergrößert. Ayurveda kann uns helfen, unsere Perspektive auf unser Leben zu verändern und das gibt uns eine neue Ausrichtung.
Wenn wir vorher schon Yoga praktiziert haben und jetzt auch noch Ayurveda hinzukommt, dann bekommt unser Yoga dadurch eine noch größere Bedeutung. Ayurveda hilft uns, einen noch intensiveren Blick auf unser Leben zu richten und in Kombination mit Yoga kann dies zu einer echten Transformation führen.
Wenn wir diese beiden Wissenschaften zusammenfügen, dann verstehen wir vielleicht eher, dass wir, um Yoga zu praktizieren, kein Mönch in einer Höhle werden müssen. Wir können uns in diese bestehende Gesellschaft mit unseren neuen Erkenntnissen wunderbar einfügen. Natürlich können wir irgendwann auch ein Mönch werden und uns zur Meditation in eine Höhle zurückziehen. Aber das ist dann bereits die reife Frucht eines langen Prozesses an dessen Anfang wir gelernt haben, Harmonie herzustellen – in unserem Körper, zwischen uns und der Natur und in der Gesellschaft in der wir leben. Wenn wir dann so weit sind, dass wir uns wirklich in eine Höhle zurückziehen möchten, dann sind an diesem Punkt unsere Beziehungen völlig harmonisch geworden: Wir sind froh, uns zurückzuziehen und niemand nimmt es uns übel, wenn wir gehen. Es ist keine gewaltsame Trennung mehr, keine Flucht vor der Welt. Meditation ist ein evolutionärer Prozess, der nicht erzwungen werden kann. Aber erst einmal müssen wir lernen, unsere Natürlichkeit und unseren Frohsinn wieder zu gewinnen. Auf dieser Basis kann sich unser Leben dann auf natürliche Weise hin zur Meditation entwickeln.“

Mata-ji, wie siehst Du die zukünftige Bedeutung und Entwicklung des Ayur-Yoga im Westen?

„Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass Ayurveda gemeinsam mit Yoga zu einem der wichtigsten Heilsysteme auch der westlichen Welt aufsteigen wird. Die Menschen verstehen mehr und mehr, dass Gesundheit nicht in den Pillen zu finden ist, die sie verschrieben bekommen. Wir können Medizin nehmen, um eine kurzfristige Linderung der Begleiterscheinungen von Krankheiten zu erreichen – aber wenn uns die Pille nicht dauerhaft gesund machen kann, dann fallen wir früher oder später wieder in die Krankheit zurück. Das schöne ist doch: Dauerhafte Gesundheit und dauerhaftes Glücklichsein liegt ganz in den Händen der Menschen. Ärzte sollten in das Gesundheitssystem des Menschen nur in Notfällen eingreifen. Ayurveda und Yoga sind nicht etwa gegen Ärzte: In vielen Fällen benötigen wir Ärzte, aber wir müssen noch viel mehr als bisher die Verantwortung für unsere Gesundheit in die eigenen Hände nehmen. Ich spreche hier nicht nur von schweren körperlichen Krankheiten, sondern auch von den ganz alltäglichen Leiden, die uns unser Geist auferlegt. Die Menschen heute sind immer weniger bereit, die Schwierigkeiten, die ihnen ihr Geist macht, hinzunehmen. Sie beginnen, sich mit ihrer Bedrücktheit, ihren Depressionen, Ängsten und Zwängen auseinander zu setzen. Die Menschen bekommen heutzutage mehr und mehr den Impuls von innen, dass es im Leben um mehr geht, als um das, was die Sinnesorgane wahrnehmen können. Diese Entwicklung geht auch mit wachsendem Wohlstand einher: Wir haben all diese äußeren Dinge, die wir uns ersehnt haben und stellen fest, dass sie uns nicht glücklicher machen. Und deshalb fangen wir dann an, diesen ‚Verrückten’ aus dem Himalaja zuzuhören.“

Gegenwärtig befinden sich viele Menschen angesichts der täglichen Horrorszenarien in den Nachrichten in einer Art Endzeitstimmung. Leben wir im „Eisernen Zeitalter“, wie es altindische Schriften behaupten? Und wenn ja: wie kann uns Ayur-Yoga bei der Bewältigung unserer Probleme helfen?

„Ich denke ganz allgemein, dass es besser ist, mit Hoffnung zu leben, als mit Pessimismus. Es gibt in einigen Schriften auch Hinweise darauf, dass wir gerade dabei sind, uns aus dem dunklen Zeitalter zu verabschieden. Paramahamsa Yogananda’s spiritueller Meister Sri Yukteshwar beispielsweise hat ein Buch mit dem Titel „Die heilige Wissenschaft“ geschrieben, in dem er darstellt, dass die Überlieferung der Zeitrechnung der Zeitalter (Yugas) in der vedischen Lehre auf einem Rechenfehler beruht. Seiner Auffassung nach haben wir das schlimmste Zeitalter bereits durchschritten und befinden uns inzwischen im Aufstieg in ein helleres.
Aber wer weiß das schon und wer kann das messen? Vielleicht ist es das kollektive Bewusstsein, das sich nun allmählich erhebt. Aber was für uns als Schüler des Ayur-Yoga viel wichtiger ist: Wo ist dein eigenes Bewusstsein jetzt gerade? Das ist doch die alles entscheidende Frage. Wenn wir selbst, als Individuen, zu einer positiven und liebevolleren Art zu denken übergehen können, dann bewegen wir uns aus der Dunkelheit heraus. Wenn wir ständig darüber nachsinnen, dass wir umgeben sind von Schlechtigkeiten und Dunkelheit, dann werden auch wir in dieser Finsternis versinken. Daher sollte es unsere Aufgabe und unser Fokus sein, Licht in diese Welt zu bringen und die Dunkelheit zu vertreiben. Es gibt also verschiedene Ebenen dieses Thema zu betrachten: Wir können es auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene betrachten, die alle Individuen umfasst, oder aber wir bemühen die mikrokosmische Sicht und stellen fest, dass dieser Konflikt zwischen Dunkelheit und Licht auch in uns wütet. Wenn wir also daher die Verantwortung für uns eigenes Leben und uns zum Licht hin erheben, dann übernehmen wir damit Verantwortung für die gesamte Welt, denn wir erheben damit automatisch auch alle um uns herum. Und so können wir das Zeitalter der Aufklärung herbeiführen. Und meiner Meinung nach wird Ayur-Yoga genau dabei eine tragende Rolle spielen.“

Vielen Dank, Mata-ji für dieses Interview

Mehr Informationen zu Leela Mata gibt es im Internet unter:
www.leelamata.com und unter www.yoga-vidya.de