Chandogya Upanishad

3. Kapitel

Sanatkumaras Anweisungen über Bhuma- Vidya

Einleitung

Beim Studium der Panchagni Vidya im ersten Abschnitt wurde erkannt, dass die Sorgen des Lebens letztendlich dadurch entstehen, dass man Teil eines Prozesses der Seelenwanderung ist. Es ist eine Tatsache, dass es einen Druck von höherer Warte gibt, der sich auf den Einzelnen auswirkt, und dass dieser Druck den Einzelnen auf den Kurs der Schöpfung zwingt. Solange, wie die Ursache dieses Drucks nicht erkannt wird, der im Zusammenhang mit dem eigenen Selbst steht, solange erreicht man auch keine letztendliche Befreiung von Samsara, dem wiederkehrenden Zyklus von Geburt und Tod. Diese Ursache für die letztendliche Freiheit ist das Selbst aller und von allem, bei dessen Verwirklichung man mit wahrer Freiheit beschenkt wird. Dieses Selbst ist die universale Wirklichkeit. Dieses konnte man auch in dem Teilabschnitt erfahren, der sich mit Vaishvanara-Vidya befasste. Im zweiten Abschnitt, der mit dem sechsten Abschnitt des Originaltextbuches identisch ist, wurde das Thema mit einem völlig anderen Gesichtspunkt fortgesetzt. Dort wurde mithilfe verschiedener Analogien, Vergleiche und Illustrationen erklärt, warum es nur ein Sein geben kann, und dass jedes Detail der Schöpfung nur eine Form ist, die aus dem Schöpfungsprozess des einen Seins stammt. Darum gibt es wirklich nur ein Sein und keine zwei. Dieses eine Sein ist das Selbst, Atman.

Nun kommen wir zu dem Teil, der mit dem siebten Abschnitt der Upanishad identisch ist. Dieser Abschnitt ist sehr bekannt, denn er beschreibt die wundervolle Doktrin von Bhuma, er beschreibt das Absolute, die Vollkommenheit der Wirklichkeit. Er ist in sokratischer Manier abgefasst, wobei man schrittweise Stufe für Stufe, von der niedrigsten bis zur höchsten Stufe, vorgeht, damit nichts verloren geht, wenn das Absolute verwirklicht wird. Wenn Gott erreicht wird, geht dadurch nichts von der Welt verloren, so als würde man zum Original greifen, denn damit geht auch sein Schatten nicht verloren. Alles wird in überschwänglicher Weise gewonnen. Von dem Schatten kann man behaupten, dass er Teil des Originals ist. Er gehört dazu. All die niederen Ebenen sind nur Formen seiner Offenbarung. Jeder Name und jede Form in dieser Schöpfung stellt eine niedere Ebene der Offenbarung der Wirklichkeit dar. Die niederen Ebenen werden von den höheren Ebenen nicht ausgeschlossen, da das Höhere das Niedere beinhaltet, und das Höchste alles einschließt. Dieses ist das Thema dieses Abschnitts, der damit beginnt, dass der große Heilige Narada den Meister Sanatkumara zwecks spiritueller Unterweisung und spirituellen Trosts aufsucht.

Narada war nicht nur in allen Künsten und Wissenschaften bewandert, sondern er war auch ein großer Heiliger. Es gab praktisch nichts, was er nicht wusste. Er genoss großes Ansehen hinsichtlich aller Epen und Puranas. Er konnte den ganzen Erdball bereisen, die Atmosphäre, die Himmelssphären und mit den Gottheiten persönlich sprechen. Er genoss absolute Reisefreiheit. Er war auf allen Ebenen des Seins zuhause. Er besaß wundervolle Fähigkeiten, hatte solch ein Wissen und solch eine Macht. Solch eine Persönlichkeit kam jetzt als Schüler zu Sanatkumara, dem Sohn von Brahma, und bekannte seine Unwissenheit, war tief bekümmert, dass er zwar viel wusste, aber dennoch keinen Frieden finden konnte. Irgendetwas fehlte bei all dem meisterlichen Wissen. ‚Großer Meister, unterrichte mich. Ich bin zu dir als demütiger Schüler gekommen.’ So trat Narada, ein Meister und Heiliger, vor den göttlichen Lehrer Sanatkumara.

1. Die ‚Namen’

Narada kam zu Sanatkumara und sagte: „Großer Meister, göttlicher Heiliger, ich bin hier zu deinen Füßen gekommen. Unterrichte mich.“ Es war eine sehr einfache Bitte: ‚Unterrichte mich’. Was sollte ich dir beibringen? Wo hast du Probleme? Du selbst bist bereits eine große Persönlichkeit. Lass mich wissen, was du weißt. Und falls irgendetwas übrig bleibt, werde ich es dir erzählen. Was möchtest du wissen? Sag es mir. Dann werde ich darüber sprechen. Das war die Antwort von Sanatkumara.

Narada sagte: „Großer Meister ich habe die Rigveda studiert. Ich kenne mich darin gut aus. Ich habe die Yajurveda gemeistert. Ich bin ein Experte in der Samaveda. Ich kenne die Atharvaveda. Ich bin ein Meister der Epen, der Purunas und weiß alles über Grammatik. Es gibt nichts, was ich nicht weiß. Ich kenne mich in Mathematik und Algebra aus. Ich kenne die Buchhaltung und bin ein Experte der Logik. Ich kenne mich in Ethik, Politik, Astrologie und Astronomie aus. Ich kenne die sechs zusätzlichen Glieder der Vedas. Ich kenne die Gesetze der Physik. Ich bin in Musik, Kunst und Tanz bewandert. Es gibt praktisch nichts, womit ich mich nicht beschäftigt habe. Dieses alles habe ich gelernt, großer Meister. So, nun habe ich deine Frage nach dem, was ich studiert habe, beantwortet.“ Er hatte einen Abschluss in jede Art von Wissenschaft und Kunst. Dieses war also eine Auflistung aller Zertifikate, die Narada errungen hatte. Dieses hatte er studiert. „All dieses sind nur Namen“, sagte daraufhin Sanatkumara. „All dieses Wissen ist nichts. Darum findest du keinen Frieden.“

Narada sagte: „Ja, dieses sind in Wahrheit alles nur Wörter, Vokabeln, ein Katalog meiner Wissensgebiete, mit denen ich mich befasst habe. Ich habe von anderen gehört, dass jemand, der das Selbst erfährt, alle Sorgen überwinden kann. Was ist dieses Selbst? Ich bin auf Grund dieses Lernens voller Sorgen und in einem Zustand des Kummers. Ich bin zu dir gekommen, großer Meister, um dich zu bitten, mir über den großen Ozean der Sorgen hinwegzuhelfen. Ich leide innerlich, was durch das viele Lernen nicht besser geworden ist. Ich weiß viel über Künste und Wissenschaften, doch ich weiß nichts über die wirkliche Substanz dieser Künste und dieser Wissenschaften. Die Namen sind mir klar, doch deren Inhalt ist mir unbekannt.“ -

Alles, was einen Indikator hat, wird angezeigt. Jeder Name verfügt über eine entsprechende Form. Wenn man einen Namen für ein entsprechendes Objekt ausspricht, hat man sofort eine Vorstellung davon. Doch man besitzt kein Objekt, nur weil man eine Vorstellung davon hat. So verhält es sich mit allem, was man lernt. Es dreht sich nur um eine Vorstellung von etwas, doch die Dinge sind jenseits unserer Kontrolle. Man kann eine Vorstellung von der inneren Struktur der Sonne oder des Sternensystems haben, doch deshalb hat man noch lange keinen Einfluss oder irgendeine Art von Kontrolle über die Sonne, nur weil man bestimmte Erkenntnisse über sie gewonnen hat. Man mag Kenntnisse über die verschiedensten Dinge in dieser Welt haben. Doch bei diesen Kenntnissen handelt es sich nur um ideologische Kenntnisse über mögliche Inhalte dieser Welt. Durch solche Kenntnisse bekommt man keine Kontrolle über diese Dinge. Sie sind nicht in unserem Besitz. Man kann nicht behaupten, dass sie uns in irgendeiner Weise helfen. Das war der Standpunkt von Narada. Und so verhält es sich mit jeder Art von theoretischem Wissen. Es gibt keinen Bezug zur Wirklichkeit, zur Tatsache als solches und zu dem, was sich durch einen Namen ausdrückt. Darum ist Narada ein Kenner von Mantras, Namen und Vorstellungen. Er verfügt über ein intellektuelles Wissen, Theorien. Er ist ein Experte im Verstehen der Natur der Dinge, doch das Selbst dieser Dinge befindet sich jenseits seiner Kenntnis. Er hat das Selbst der Dinge nicht erkannt.

Narada sagte: „Von Persönlichkeiten, wie dir, habe ich gehört, dass man durch die Erkenntnis des Selbst alle Dinge kennen würde. Man würde in dem Augenblick frei von Sorgen sein. Vor dir sitzt jemand voller Sorgen. Es gibt für mich keinen anderen Ausweg als dich, oh großer Meister. Leite mich über diesen See der Sorgen.“

Sanatkumara erwidert: „Es gibt zweifellos einen wichtigen Punkt in dem, was du gelernt hast, denn dieses Wissen war aus einem einfachen Grund wenig hilfreich, denn dieses Wissen hilft solange nichts, wie es nicht Teil von dir selbst geworden ist. Nichts, was sich außerhalb von dir befindet, kann irgendwie hilfreich sein. Alles, was dir fremd ist, nicht zu dir gehört, kann dich nicht von deinen Sorgen befreien. Die Quelle deiner Sorgen ist das, was sich außerhalb von dir befindet, denn sie ist für dich ein anderes Selbst. Sie ist nicht das primäre Selbst. Auf diese Weise ist dein Wissen über all die Dinge, von denen du gesprochen hast, nicht das Wissen vom Selbst dieser Dinge, sondern nur eine Kenntnis von den Namen dieser Dinge, denn in Wirklichkeit hast du eigentlich keine Ahnung von all diesen Dingen. Dieses bezeichnet man als theoretisches Wissen. Doch, was sollte daran schon gut sein? Darum, mein lieber Narada, sind all das nur Namen, Wörter, nur Sprache, Theorie, Informationen und weiter nichts. Sie scheinen dir viel zu geben, doch können sie dir solange nicht wirklich helfen, wie du sie nicht in dir verinnerlicht hast, und du nicht zu ihrem Selbst geworden bist.“

Sanatkumara fuhr fort: „Nun bei all dem, was dein Wissen umfasst, handelt es sich um Theorien. Sie sind für den Anfang sehr wichtig. Darum meditiere über die Namen.“

Obwohl Informationen allein letztendlich keinen Nutzen für das praktische Leben haben, so sind sie doch nicht nutzlos, denn Lernen beginnt mit der Sammlung von Informationen. Die Vorstellung von einem Objekt geht dem wirklichen Wissen über ein Objekt voraus. Wie sollte man ein Objekt erreichen, wenn man keine Vorstellung davon hat? Bei einer Vorstellung handelt es sich zweifellos noch nicht um dessen Substanz, doch kann man diese Substanz nur über eine Vorstellung erreichen. Die Theorie geht der Praxis voraus. Wenn man kein theoretisches Wissen von einer Sache hat, wird man keinen wissenschaftlichen Hintergrund, welcher Art auch immer, erreichen können, man kann ihn nicht meistern. Die technologische Anwendung des Wissens bedarf zuerst der Beherrschung der Theorie. So verhält es sich bei allen Wissenschaften, jeder Kunst, jedem Wissensgebiet. Wenn also Sanatkumara sagte, dass es sich bei all dem Wissen nur um Namen und nicht um wahre Werte handelt, meinte er damit, dass darin der eigentliche Grund für das ‚Unglücklichsein’ von Narada zu suchen ist. Namen sind wichtig, denn sie bilden die Eingangsstufe im Prozess des Aufstiegs der Seele zur absoluten Wirklichkeit.

Von der niedrigsten Stufe der Offenbarung muss man Stufe für Stufe voranschreiten. Zu Beginn unseres Lebens scheinen alle Objekte der Welt außerhalb von uns stehen. Dadurch erfährt man nur etwas über die Namen der Dinge. Dieses ist die erste Stufe auf dem Weg zum Wissen der Dinge. Wenn man etwas mehr über die Dinge erfahren möchte, bekommt man eine genaueres ‚Bild’. Dieses war gemeint als Sanatkumara sagte, dass Narada nur über die ‚Namen’ etwas erfahren hätte. Der ‚Name’ eines Objektes beinhaltet alle Informationen über ein bestimmtes Objekt. Sanatkumara sagte darum zu Narada: „Man muss sich zunächst davon überzeugen, dass man alles über ein Objekt erfährt, soweit es den ‚Namen’ betrifft. Darüber hinaus kann man nicht gehen. Man muss sich erst ein genaues ‚Bild’ von den Dingen machen.“

Das Prinzip im Aufstieg der Seele zu höheren Ebenen der Offenbarung liegt darin, dass, solange eine niedere Ebene nicht erfüllt wurde, die höhere nicht erreicht werden kann. Wenn es heißt, die niedere Ebene sei unangemessen, bedeutet das nicht, dass sie wirklich unbedeutend wäre. Alles ist von Bedeutung. Jede Stufe ist in soweit von Bedeutung, wie ihr Gesetz wirkt. Man muss sie meistern, nicht indem man sie ausschließt, sondern indem man ein klares inneres Bild von ihrer gesetzmäßig bekommt, wobei man die Gesetzmäßigkeit insoweit betrachtet, wie es die Stufe, in der man sich selbst im Augenblick befindet, zulässt. Man kann seine Augen nicht vor den Aktionen und Reaktionen, die durch die Gesetze in einem bestimmten Bereich vorherrschen, verschließen. Man sollte auch nicht die Gesetze einer höheren Ebene einbeziehen, wenn man in eine niedere Ebene der Existenz involviert ist.

Dieses ist ein Fehler, den viele Menschen selbst in der Praxis des spirituellen Lebens machen. Sie glauben plötzlich, sie seien Gottesmenschen oder, sie seien gerade dabei, in den Ozean des Gottesbewusstseins zu springen und den Nektar der Ambrosia zu trinken. Doch sie werden auf Grund der Gesetze, die in der physischen Welt vorherrschen, auf dem Boden der Tatsachen festgehalten. Wissen bedeutet nicht, dass man die besonderen Aspekte der Erfahrungen außer Acht lassen könnte. Wissen bedeutet ein vollkommenes Verständnis der Tatsachen als solches, denn selbst Bindungen müssen in ihrer wirklichen Struktur erkannt werden. Wenn man gebunden ist, dann muss man den Grund dafür erkennen. Das ist wirkliches Wissen. Man kann nicht von sich behaupten, man sei nicht an die Stufen der Bindungen gebunden, sondern lediglich der Freiheit verbunden. Was ist Freiheit? Es ist die Kenntnis der kausalen Zusammenhänge hinter den Bindungen. Die Heilung einer Krankheit beginnt mit der Kenntnis der kausalen Faktoren einer Krankheit, dem Auslöser der Krankheit, der Diagnose usw. Erst dann kann eine Medizin verabreicht werden. Darum ist es notwendig zu wissen, wo man steht. Man sollte sich über seine aktuelle Situation auch nichts vormachen. Worin ist man eigentlich gefangen? In der Gesellschaft? oder in der physischen Welt? Man ist in einem verschlungenen Netzwerk gefangen, das sich in verschiedenen Ebenen der Erfahrungen offenbart.

Jeder Ebene muss man eine angemessene Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. So, wie es heißt, muss man dem ‚Teufel’ gegenüber seine Pflicht erfüllen. Es macht nichts, auch wenn es sich um einen ‚Teufel’ handelt, er bedarf der Aufmerksamkeit. Nur dann kann man sich von seiner Umklammerung befreien. Der so genannte ‚Teufel’ ist nichts weiter als das Gesetz, das auf einer bestimmten Ebene wirkt. Die Welt der Äußerlichkeiten, der Objekte, ist das Reich in dem man lebt. Darum kann man sich nur in soweit bewegen, wie dieses Gesetz es in dieser Welt zulässt. Die niedere Ebene des Wissens betrifft, wie bereits erwähnt, die informative Kenntnis der Objekte. Wenn sich in einigen Kilometern Entfernung vor uns ein Berg auftut, wissen wir, außer seiner anschaulichen Größe und Position, nichts über ihn. Darum wies Sanatkumara darauf hin, soweit wie es mit den Namen geht, soweit geht es auch mit der Theorie, und soweit sollte man auch diese Dinge meistern. In welcher Stufe der Wirklichkeit man sich auch immer befinden mag, man sollte sie meistern. ‚Verhalte dich wie ein Römer, wenn du in Rom bist’, besagt ein Sprichwort, was soviel heißt, man muss sich dort, wo man ist, so verhalten, wie sich alle dort verhalten, und mit allen Gesetzen in Harmonie leben. Dann wird man auch dort zu einem Meister, ansonsten lebt man mit allem ständig in Clinch.

Darum wird die erste hier erwähnte Stufe der Meditation als ideologisch bzw. theoretisch oder begrifflich betrachtet. Sie behandelt das Wirken des Geistes in Bezug auf die Objekte. Die Objekte sind nicht unter der Kontrolle des menschlichen Geistes. Diese Kontrolle liegt ganz woanders. Man verfügt lediglich über bestimmte Vorstellungen von den Objekten. Doch das reicht für den Augenblick, denn man befindet sich gerade auf dieser Ebene.

Darum sollte man auf die Namen bzw. Begriffe meditieren. Jede Meditationsstufe oder Transzendenz ist eine Stufe der Identifikation des Selbst mit jener bestimmten Ebene der Wirklichkeit. Dieses ist sehr wichtig zu wissen. Man wird von Stufe zu Stufe geführt. Wenn man eine höhere Ebene betritt, dann bedeutet dies, dass die vorhergehende Ebene bereits in tiefer Meditation und Erfahrung zu einem Teil des eigenen Selbst geworden ist. Die niedere Ebene bleibt nicht länger als äußeres Objekt bestehen. Erst wenn man sein Selbst eingebracht hat, kann man das Reich der nächst höheren Wirklichkeit betreten. ‚Namopassva’ ist die erste Stufe, die gemeistert werden muss, sagte Sanatkumara zu Narada. Man muss in tiefer Meditation den Prozess der Inhalte des Wissens insoweit auflösen, wie dieses Wissen zur Welt gehört. Dieses nennt man begriffliche Meditation.

Wer auch immer auf ‚Namen’ als Brahman kontempliert; wer also diese Meditationsobjekte als Absolutes betrachtet, bekommt was immer das jeweilige Objekt in sich trägt. Das Prinzip liegt darin: was auch immer man als Meditationsobjekt annimmt, sollte als das Absolute angesehen werden. Außerhalb davon sollte es nichts geben, denn, falls der Geist irgendetwas als etwas Höheres ansieht, dann wird dieses Höhere zum Meditationsobjekt. Das ausgewählte Meditationsobjekt sollte das Höchste vom Geist zu erreichende Objekt sein. Jenseits davon kann der Geist nicht gehen. Dann wird das Meditationsobjekt zum Absoluten. Darum ist das Absolute nur ein ‚Name’ für etwas, was für den Geist in der jeweiligen Stufe erreichbar scheint. ‚Name ist Brahman’ bedeutet, dass dieser Name insoweit absolut ist, wie man sich nur auf der Ebene der Namen, des theoretischen Wissens, befindet. Warum sollte man weder eine höhere noch eine niedere Ebene als dieses Absolute der jeweiligen Ebene anstreben? Weil die höhere Ebene nicht den Inhalt des Geistes des gegenwärtigen Zustandes widerspiegelt. Angenommen man wird gebeten, auf die himmlischen Regionen zu meditieren. Es funktioniert nicht, weil man nicht weiß, was das bedeutet. Die himmlischen Regionen sind jenseits der Reichweite des Geistes. Man könnte Brahmaloka usw. lediglich mit physischen Bildern aus den Vorstellungen des Geistes überlagern. Dieses ist nicht beabsichtigt. Man muss sich auf das individuelle Wissen beschränken, und den Geist auf das machbar Absolute kontemplieren lassen. Darum wurde Narada dazu angehalten, ‚Namen’, mit dem entsprechenden theoretischen Wissen, als das Absolute zu nehmen. Das Ergebnis dieser Namen-Meditation geht soweit wie die Vorstellungskraft des Geistes hinsichtlich der Theorie reicht, und insoweit wird der Meditierende befreit.

Es ist bekannt, dass es sehr gebildete Menschen, Wissenschaftler usw. in der Welt gibt. Sie haben auf ihrer Ebene Freiheit erlangt, doch nicht jenseits davon. Soweit wie ihr Wissensgebiet reicht, ihre Fähigkeiten reichen, haben sie Freiheit erlangt. Doch, wo ihr Wissen nicht mehr anwendbar ist, dort gibt es für diese Menschen keine Freiheit. Darum hängt es von der Ebene ab, wo man sich befindet. Wenn man Akademiker ist, dann hilft das jeweilige akademische Wissensgebiet. Doch dieses Wissen wird nur unzureichend sein, wenn sich derjenige auf dem Ozean oder mitten auf einem Fluss befindet. Dieses Wissen wird auch nicht hilfreich sein, wenn sich derjenige plötzlich in einer lebensbedrohlichen Situation befindet, denn dann ist anderes Wissen erforderlich. Darum ist das erlangte Wissen für die jeweilige Lebenssituation, in der man sich befindet, hilfreich, d.h. soweit es diese Ebene und ihre Wirkungsweise betrifft.

Wer auch immer auf diese Weise auf ‚Namen’ als Brahman meditiert, erlangt dort auf dieser Ebene die Freiheit, wie zuvor beschrieben. Narada fragte: „Gibt es noch etwas darüber hinaus?“ „Ja!“ antwortet Sanatkumara. „Was gibt es denn noch darüber hinaus“, fragte Narada.

2. Die Sprache

Das, was den Ausdruck des Namens verursacht, steht über dem Namen. Die sprachliche Bezeichnung eines Objektes hat in ihrem Hintergrund die Wissenschaft der Sprache. Dieses bezeichnet man als Wissenschaft der Linguistik. Das allgemeine Vokabular oder die Namensgruppen werden auf bestimmte Objekte genau eingegrenzt, auf Formen linguistisch angewendet, was das Prinzip der Sprache ausmacht. Sprache ist ein verbaler Ausdruck einer Kraft, die im eigenen Innern generiert wird. In okkulten Zirkeln heißt es, dass hinter dem verbalen Ausdruck oder dem Sprechen im Körper subtile Prozesse ablaufen, und diese Stufen des inneren Wirkens werden bei jenen okkulten Wissenschaften als Para, Pasyanti, Madhyama oder Vaikhari bezeichnet. Vaikhari bezeichnet den äußeren Ausdruck. Der vernehmbare Ausdruck der Sprache wird Vaikhari genannt. Es ist ein Name, um ein Objekt von einem anderen sprachlich zu unterscheiden. Doch der innere Aspekt des Sprachprinzips ist Para-vak. Darum ist das wissenschaftliche Prinzip hinter der Aussprache eines Namens als höher anzusehen als der Name selbst. Darum wurde Narada erzählt, dass die Sprache über dem Namen steht. Alles, was gelernt wird, all die Vedas und Wissenschaften, alles hat ihre Basis in der Sprache. Durch das Prinzip der Sprache, die im Hintergrund dieses theoretischen Lernens steht, wird Lernen überhaupt erst möglich. Deshalb heißt es, dass die Sprache die Ursache für eine Namensgebung ist. Die Ursache steht höher als dessen Auswirkung. Alles Wahrnehmbare ist letztendlich ein Ausdruck der Sprache. Nicht nur Wissenschaften und Künste, sondern auch alle Elemente, Erde und Himmel, denn alles wird auch bei Namen genannt und darum sprachlich ausgedrückt.

Sanatkumara hatte eine Liste über alle wahrnehmbaren Dinge dieser Welt anhand gegeben. Dabei handelte es sich um alle Sinnesobjekte, die fünf Elemente, die lebenden Wesen aller Spezies, alles, was vorstellbar war, Vergnügen und Schmerz, was bekannt und unbekannt war, gerecht und ungerecht, tugendhaft und lasterhaft, gut und böse, dies und das und was nicht war, und alles Gesegnete in dieser Welt. All dieses sind Objekte des Wissens, worüber Narada eine Unmenge von Informationen besaß, und mit dessen Namen er vertraut war. Die Sprache steht über all diesen Namen, denn sie ist der kausale Faktor hinter all den Namen dieser Objekte. Wenn man alles über das Prinzip der Sprache weiß, die Wissenschaft der Sprache selbst, dann kennt man auch alle Sprachen und verfügt über das gesamte Wissen, das in Sprachen ausgedrückt werden kann. Wer auch immer auf die Sprache als das Absolute meditiert, bekommt alles, was in den Grenzen von Sprachen möglich ist.

Man wird bzgl. des eigenen Wissens frei. Insoweit bedeutet Wissen Macht. Dieses ist die Schlussfolgerung aus dieser Beschreibung über die Natur des Wissens. Wo auch immer wirkliches Wissen existiert, dort ist auch im Rahmen dieses Wissen Macht vorhanden. Das Wissen wird zur Macht, doch nur im Rahmen dieses Wissens bzgl. eines Objektes, auf das es sich bezieht. Wo dieses Wissen nicht anwendbar ist, ist auch keine Macht mehr vorhanden, und es handelt sich dann nur noch um eine Theorie. Darum wurde Narada gesagt: „Bis zum Umfang der Sprache bist du frei; meditiere auf die Sprache als das Absolute, denn dein Geist kann nicht darüber hinaus gehen.“

„Gibt es denn etwas jenseits der Sprache“, fragte Narada. „Ja, es gibt etwas“, antwortete Sanatkumara. „Wenn das so ist, bitte unterweise mich“, bat Narada.

Das Prinzip der Sprache ist die Voraussetzung für den Ausdruck von Sprache, was wiederum vom Geist kontrolliert wird. Ohne die Funktion des Geistes gäbe es weder den Ausdruck der Sprache noch irgendeine Sprache oder irgendwelche Definitionen oder gar etwas Erlernbares. Darum steht der Geist natürlich über der Sprache, und die Sprache über die Namen. Der Geist ist die Ursache all dieses Ausdrucksvermögens.

3. Der Geist

Jenseits der Sprache befindet sich der Geist. Jenseits und über der Sprache steht der Geist. Hier kann man die Schönheit der Funktionen sowie die Fähigkeiten des Geistes bewundern. Solange der Geist gut funktioniert, finden weder Sprache, noch namentliche Einschränkung oder Lernen statt. „So wie zwei kleine Beeren bzw. Objekte in den gefalteten Händen gehalten werden“, sagte Sanatkumara, „so beinhaltet der Geist Sprache und Namen.“ Dieses ist die Kraft des Geistes. Was auch immer man anstellt, es geschieht mit der Kraft des Geistes. Man weiß es sehr wohl. Man denkt erst, bevor man etwas sprachlich benennt. Man denkt: ‚lass mich dieses machen’, und dann nimmt man die Arbeit auf. Man denkt: ‚lass mich dieses oder jenes haben’, und dann bewegt man sich auf das Ziel zu. Man unternimmt vieles in dieser Welt, nachdem man darüber nachgedacht hat. Auf diese Weise steht das Denken über dem Handeln oder dem Bemühen.

Der Geist ist das absolut Beherrschende im Leben. Dieses ist allen bekannt. Der Geist ist praktisch das eigene Selbst. Wenn man sich im Leben auf sich selbst bezieht, dann bezieht man sich auf den eigenen individuellen Geist. ‚Das bin ich’, sagt man. Was ist mit diesem ‚Ich’ gemeint? Man bezieht sich auf den eigenen Geist, nichts anderes. Der Geist hat durch das Überlagern des Charakters ein Selbstsein angenommen. Dieser Eindruck von Selbstsein ist nicht Bestandteil des Geistes. So wie das Sonnenlicht im Spiegel reflektiert wird, so nimmt der Geist durch Übertragung des Charakters des Selbst das Gefühl von Selbstsein (ein Spiegelbild) in sich auf. Darum ist der Geist - für die lebendige Praxis - das Selbst und die Individualität in uns. Der Geist ist für alles, was man in dieser oder in einer anderen Welt im Leben erreicht, verantwortlich, denn, was man als Welt ansieht, ist nichts weiter als das Gebiet der Erfahrungen. Das Reich der Erfahrungen ist die Welt, in der man lebt. Alle Lebenserfahrungen sind ein Ausdruck unserer Handlungen, hinter denen der individuell denkende Geist steckt. Auf diese Weise wird die Erfahrungswelt, die man erlebt, tatsächlich durch den Geist kontrolliert und gesteuert. Man könnte darum im gewissen Sinne sagen, der Geist wäre die Welt. „Da der Geist in diesem empirischen Reich du selbst bist, oh Narada, meditiere auf den Geist als Brahman, das Absolute“, sagte Sanatkumara.

Was auch immer der Geist denkt, sollte in das Meditationsobjekt einbezogen werden. Dieses ist möglicherweise die letzte Stufe, die der normale Mensch in der Meditation erreichen kann. Was kann der Mensch jenseits der Gedankenebene mit seinem Geist tun? Er sollte versuchen, die Möglichkeiten des Geistes weiter auszuloten, und alles zusammen künstlich in einen Zustand der Harmonie versetzen. Die Gedankenmuster sollten schön und vollkommen sein. Das ist hier mit ‚Absolut’ gemeint. Man sollte sich dessen erinnern. Das Absolute ist die Vollkommenheit aller einzelnen Vorstellungen, um welche Vorstellungen es sich auch immer handeln mag. Darum muss man hier alle Möglichkeiten des Geistes ausnutzen. Das Arrangement der konzeptionellen Objekte sollte von der Art sein, dass alles mit einbezogen wird. Der Grund für die Bewegung Geistes, weg vom Meditationsobjekt, liegt an der Gegenwart eines subtilen inneren Gefühls, dass sich immer noch etwas außerhalb des erwählten Objektes oder über ihm befindet. Der Geist sollte alle gesegneten Dinge einbeziehen, sodass es keine Chance mehr für den Geist gibt, sich von dem auserwählten Objekt wegzubewegen. Bei dem mentalen Objekt handelt es sich nicht um ein bestimmtes Symbol eines körperlichen Objekts, sondern es schließt alles Erdenkliche ein. Diese ist die Anweisung zur Meditation für diesen Abschnitt.

„Nun befindest du dich im mentalen Bereich der Meditation, oh Narada. Betrachte den Geist als allgegenwärtiges, alles, damit er eins mit deinem Sein wird und nicht wie ein äußerlich funktionierendes Etwas bestehen bleibt, über das du keine Kontrolle hast. Er gehört zu dir. Er muss zu deinem Selbst werden“, sagte Sanatkumara.

Dieses geschieht nicht im normalen Leben. Obwohl man von seinem Geist sagt, er sei ‚mein’, so ist man doch nicht Herr seines Geistes. Es gibt viele Gelegenheiten, wo einem mit Erschrecken klar wird, dass der Geist nicht zu einem selbst gehört, obwohl man fälschlicherweise sagt, ‚er gehört mir, er ist mein’. Wenn der Geist zu einem selbst gehört, nun, dann sollte man ein Meister seines Geistes sein. Doch das ist nicht der Fall. So wie der Wind, wandert der Geist in viele Richtungen, und man folgt ihm. Auf diese Weise wird man vom Geist beherrscht. Er verhält sich nicht, wie das eigene Selbst. Darum ist es nicht korrekt, dass der Geist das wirkliche Selbst ist. Doch er muss in der Meditation in das eigene Selbst absorbiert werden, damit er kontrolliert werden kann. Die vollkommene Kontrolle einer Sache wird nur insoweit ausgeübt, wie dieses besondere ‚Ding’ absorbiert wird. Alles, was zum Selbst wird, steht unter Kontrolle, und das hat man gemeistert. Man kann nicht Meister von Etwas sein, das sich außerhalb von einem selbst befindet. Darum sollte man in Bezug auf den Geist zum Meister werden. Man sollte durch die Identifikation des eigenen Seins mit allem Erdenklichen den Geist völlig beherrschen. Dieses ist eine Stufe im Prozess dieser Meditation.

„Großer Meister, gibt es denn etwas, was über dem Geist steht?“ fragte Narada. Sanatkumara antwortete: „Ja, sicherlich gibt es Sankalpa, den Willen, der über dem Geist steht!“

4. Der Wille

In der Stufen der Meditation steht der Geist über der Sprache, womit alle ‚Namen’ offenbart werden, denn vom Geist gehen alle psychologischen Aktivitäten aus und alles, was durch die Sprache zum Ausdruck kommt. Doch hinter dem Geist stehen ebenfalls Kräfte, die in ihrer Natur konzentrierter sind. Durch eine Analyse dieser geistigen Aktivitäten kann man feststellen, dass diese Kräfte auf die Aktivität besonderer Gedanken beruhen. Es existiert eine Kreativität, die als richtungweisende Intelligenz (Wille) fungiert. Dieser ‚Wille’ wird im Sanskrit als Sankalpa bezeichnet. Eine Bestimmung oder ein Wille im Geist geht der Aktivität voraus. Darum steht dieser Wille über dem allgemeinen Denken des Geistes.

Der Wille, der in seinem Charakter kreativ ist, steht über den Gedanken. Wenn ein Wille oder eine bestimmende Aktivität der psychischen Organe aufkommt, erhebt sich das Denken des Geistes. Danach folgt die Sprache. Alles, was wir rezitieren, singen oder äußern ist eine Form der Sprache. Die heiligste Form der Sprache stellen die gesungenen Mantras und die rezitierten Veda-Verse dar. Die Mantras der Veda-Texte, die als Brahmanas bezeichnet werden, dirigieren den Menschen zu besonderen Handlungen, wie z.B. Verfügungen. Die Mantras sind wie Feuer, mächtige Kräfte von dirigierender Intelligenz. Die Mantras tragen in sich die Hinweise, wie sie zu verwenden sind. Darum sind Handlungen, die zu bestimmten Ergebnissen, Erfahrungen oder Konsequenzen im Leben führen, in den Mantras selbst verwurzelt, die in der Sprechweise zum Ausdruck kommen, die wiederum im Geist verwurzelt ist, und durch den Willen, der kreativen Intelligenz, verursacht wurde.

Dieses ist die Abstufung bis zum Willen. Alles ist letztendlich im Willen begründet. ‚Wille’ ist der allgemeine Begriff, der in sich jede Art von Absicht trägt, sei sie innerlich im Menschen, oder in der äußeren Natur begründet. An dieser Stelle heißt es in der Upanishad, das alles seine bestimmte Absicht hat und in sich trägt. Selbst die fünf Elemente, wie Raum, Luft, Feuer, Wasser und Erde, sind letztendlich nur bestimmte Formen auf Grund des kreativen Willens. Ihre Offenbarungen in ihren verschiedenen Ausprägungen beruhen auf die unterschiedlichen Charaktere, die in den Elementen enthalten sind. Dieser differenzierende Charakter bezieht sich auf den Willen, der ihnen steckt. Der Wille zu sein, der Wille zu leben, der Wille zu existieren, der Wille, die Individualität zu bewahren, ist die Kraft, die die Elemente voneinander unterscheidet. Ansonsten wären die Elemente miteinander vermischt und könnten nicht mehr voneinander unterschieden werden.

In der gesamten Schöpfung dieser Welt gibt es nichts, was nicht durch den, durch das Selbst bestimmten Willen gelenkt wird. Darum ist der Wille eine universale Kraft. Alles, was sich in besonderer Weise selbst behauptet, wird als Wille bezeichnet. Diese selbst-bestimmende Natur findet man in jedem Atom der Schöpfung, im Himmel und auf Erden, im Wind und im Raum, im Feuer und im Wasser, und bei allen weiteren Modifikationen, in Körpern in Form von Lebensenergie und weitergehenden Motivationen, wie dem Rezitieren von Mantras, die, wie bereits erwähnt, für unser Handeln verantwortlich werden können. Die ganze Welt ist im Willen verwurzelt. Die Welt besteht im Allgemeinen und im Besonderen aus dem Willen. In bestimmten Fällen wird der Wille Inhalt des Bewusstseins, im Allgemeinen ist er jedoch absolut unbewusst. Der Wille steckt jedoch hinter allem. Dieses ist der Punkt, wo hier in der Upanishad besonders hingewiesen wird. Darum wird auch Narada darauf hingewiesen, dass der Wille höher steht als der Geist. Der Wille sollte soweit, wie der individuelle Wille reicht, die Meditation oder Kontemplation lenken.

Darum muss auf den Willen als das Absolute (in allen Handlungen) kontempliert werden. Wenn man auf diese Weise seine Meditation praktiziert, erreicht man die Ebenen, wo der Wille bzgl. der Meditation seinen Ursprung nimmt. Man wird Teil des eigenen Willens und erfährt durch diese Meditationsform eine innere Festigkeit. Diese Art von Erfahrung ist nicht mehr länger vergänglich wie alles andere in dieser Welt. Menschen, die derartig verwurzelt sind, erleiden keinen Kummer mehr. Insoweit, wie es um den Willen geht, werden diese Menschen auch Erfolg haben, und ihr Erfolg beruht auf ihrer Willenskraft und der Klarheit ihres Willens. Insoweit werden diese Menschen sich ihres Lebens freuen.

Narada fragte: „Ist das alles oder gibt es noch etwas Höheres als den Willen?“ „Nun, ja, es gibt noch etwas, was über dem Willen steht“, sagte Sanatkumara. „Was ist das? Kannst du mir darüber etwas erzählen, großer Meister! Bitte gib mir weitere Anweisungen über das, was jenseits des Willens steht“, bat Narada.

5. Das Gedächtnis

Der Wille ist zweifellos eine bestimmende psychologische Kraft. Doch der Wille ist ohne eine in sich ruhende Kraft hinter den Gedanken wirkungslos. Der Wille ist nichts weiter als eine kollektive Bündelung des Geistesinhalts. Wenn der Geist gedanklich auf etwas Bestimmtes gerichtet wird, nennt man es den ‚Willen’. Doch diese Geistesfunktion wäre ohne das Gedächtnis unmöglich. Jemand, der sein Gedächtnis verloren hat, oder sich nicht erinnern kann, was unmittelbar zuvor stattgefunden hat, kann seinen Willen nirgendwohin lenken. Denn dass Erinnerungsvermögen, die Erhaltung der Erfahrung und die Fähigkeit, das eigene Bewusstsein zielgerichtet aufrechtzuerhalten, sind notwendig, bevor sich der Wille im Geist erheben kann. Diese Funktion, die dem Willen vorausgeht, nennt man Chitta. Sie ist sozusagen der Geiststoff, die Grundlage für alle psychischen Funktionen. Der Wille ist eine besondere Offenbarung. Jenseits des Willens befindet sich Chitta, die Kraft der Erinnerung und Erhaltung. Nur der Geist, der aktiv präsent ist, kann den Willen lenken. Nur dann kann man denken, sprechen, benennen, nur dann wird eine Modifikation der Sprache offenbar. Nur im ‚Namen’ werden Mantras, heilige Formeln, Opferriten und Handlungen vereint. Aus diesen Handlungen bilden sich, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, Ergebnisse.

Alles ist in diesem Gedächtnis verwurzelt. Alles Erlernte macht letztendlich das Gedächtnis aus, denn alles Gesehene, Gehörte usw. wird im Geist gespeichert und verwahrt. Was auch immer man gelernt hat, welchen Bildungsgrad man auch erreicht haben mag, wenn man sein Gedächtnis verliert, ist es nutzlos. Es ist dann so, als hätte man nie etwas gelernt. Darum ist das Gedächtnis wichtig. Wer sein Gedächtnis verliert, verliert auch seinen Ruf als gebildeter Mensch. Mit einem guten Gedächtnis, wird man in Diskussionen überzeugen können und als Sieger hervorgehen. Die Leute hören auf gebildete Menschen mit einem guten Gedächtnis. Der Mensch und besonders gebildete Menschen sind in Chitta verwurzelt, dem Erinnerungsvermögen, das in sich alles Wertvolle an Erfahrungen und Erlerntem im Leben speichert und verwahrt. „Darum, Narada, muss man an Chitta, dem Gedächtnis, festhalten, das über dem Willen steht. Darum meditiere auf diesen Inhalt von Chitta.“

Die Ausdehnung des Gedächtnisses ist größer als der Inhalt des Willens. Wer auf den Inhalt des Gedächtnisses meditiert, wird jene Ebenen erreichen, die durch die Funktion des Gedächtnisses erreichbar sind, und sich dieser Ebenen erfreuen. Man wird dadurch frei und erfolgreich sein, soweit wie das Gedächtnis wirkt. „Meditiere darauf. Dieses ist die Stufe, die du durch Analyse und Praxis erreicht hast“, sagte Sanatkumara. Narada war dessen außerordentlich zufrieden und fragte dann aber: „Gibt es irgendetwas jenseits von Chitta?“ Sanatkumara antwortete: „Es gibt noch etwas, was darüber steht. Obwohl Chitta über dem ‚Namen’, der Sprache, dem Geist und dem Willen steht, so ist es doch unterhalb von etwas anderem.“ Nun wollte Narada natürlich wissen, was es ist.

6. Die Kontemplation

Dhyana, Konzentration, befindet sich noch jenseits des Erinnerungs- vermögens. Je besser man sich konzentrieren bzw., d.h. im wahrsten Sinne des Wortes, meditieren kann, desto höher steht man über anderen. Konzentration bedeutet: sammeln des Geistes. Wo auch immer man eine innere Sammlung des Geistes spürt, findet Konzentration statt. An dieser Stelle geht die Upanishad noch weiter, denn es heißt, dass die Erde auf Grund ihrer Stabilität kontempliert. Man kann auch keine wirklich chaotischen Aktivitäten in der Natur beobachten. Bedingt durch verschiedenste Dinge in der Natur bleibt eine gewisse Stabilität gewahrt. Himmel und Erde kontemplieren oder meditieren individuell, ohne dabei untereinander irgendeine Verwirrung zu stiften. Man kann die Erde, den Himmel, die Gewässer, die Sonne und den Mond oder die Sterne beobachten und wird feststellen, dass alles irgendwie seine Ordnung hat. Alles bewahrt auf Grund einer gewissen Konzentration seine angestammte Position, die natürlich durch höhere Kräfte hervorgebracht wurde. Was auch immer im Leben erreicht wird/ wurde, kann nur durch die Kraft der Konzentration erreicht werden. Egal, ob es sich um göttliche oder menschliche Wesen handelt, Erfolg ist nur durch die Kraft der geistigen Konzentration möglich. Die Anwendung zielgerichteter Gedanken ist die Ursache für Erfolg. Die Hartnäckigkeit zielgerichteter Gedanken und ein beharrliches Bemühen in eine bestimmte Richtung, ohne sich dabei ablenken zu lassen, ist Konzentration. Die Selbstversenkung in ein Objekt, wobei alles andere außen vor bleibt, ist Konzentration. Dieses ist Dhyana.

Durch diese gezielte Handlungsweise haben viele Menschen Großes erreicht, und nicht dadurch, dass sie sich mit allem Möglichen beschäftigt haben, denn dadurch erreicht man gar nichts. Man sollte sich nur auf eine Sache zurzeit konzentrieren, sein Herz und seine Seele darauf richten, dann wird man vorankommen. Dieses ist die Bedeutung von Konzentration. Diejenigen, die sich nicht oder nur schlecht konzentrieren können, sind die Streitsüchtigen dieser Welt. Sie zerstören die Gesellschaft und sind der Abschaum der Gesellschaft. Das gilt nicht für diejenigen, die sich konzentrieren können. Sie bringen sich ein, engagieren sich, doch vermeiden unsinnige Aktivitäten. Diejenigen, die sich konzentrieren können, sind die Stützen der Gesellschaft. Darum sollte man sich in Konzentration und Meditation üben.

Es ist nur schwer zu beschreiben, was für ein großartiges Ergebnis durch die Meditationspraxis erzielbar ist. Es ist eine Tatsache, dass Yogapraxis nichts weiter ist, als eine Konzentration in den verschiedensten Stufen ihrer Offenbarung. Und wie die Upanishad sehr schön betont, nichts im Leben hat irgendeinen Sinn ohne die Konzentration. Man wird dadurch von Bindungen befreit, und macht insoweit Fortschritte im Leben, wie man mit der Konzentrationspraxis des Geistes Erfolg hat. Darum sollte man sich in der Konzentration üben, die über allem steht, was in den vorhergehenden Abschnitten behandelt wurde.

Dieses ist die Stufe, die Narada jetzt erreicht hatte. Narada fragte wiederum: „Oh, Meister, gibt es etwas, dass über Dhyana, der Konzentration, steht?“ „Ja“, sagte Sanatkumara, „es gibt etwas, denn man kann keine Konzentration anwenden, solange man nicht versteht, was Konzentration ist.“ „Dann unterrichte mich, was über der Dhyana steht“, sagte Narada.

7. Das Verstehen

Vijnana, das Verstehen steht noch über der Konzentration. All das Für und Wider der Konzentration sollte zunächst einmal geklärt werden, bevor man sich mit der Konzentration befasst. Worauf sollte man sich konzentrieren? Wenn man es nicht versteht, und wenn man versucht, sich auf etwas Bedeutungsloses zu konzentrieren, wird es zu keinem Erfolg führen. Zuvor muss man den Konzentrationsprozess verstehen, die Methode der Meditation, den Grund, warum man sich konzentrieren sollte, und außerdem, welchen Problemen man während der Meditation begegnen kann. Dieses Verstehen steht natürlich über allem, denn dieses muss der Konzentration vorausgehen.

Sanatkumara listet die gesamten Vedas auf, die Wissenschaften, die Künste usw., die in den Abschnitten 1 und 2 von Narada gemeistert wurden und sagte dazu, dass diese Abschnitte zum Verständnis beitragen. Narada hatte dieses Verstehen durch die Analyse dieser Objekte entwickelt und dadurch entsprechend Klarheit gewonnen. Auf diese Weise hatte er alles Gelernte verstanden. Die Fähigkeit der analytischen Intelligenz geht immer der geistigen Anwendung in Form von Konzentration und Meditation voraus. Alle Dinge, d.h. die fünf Elemente, jeder Zweig des Lernens, das göttliche und das menschliche Sein, Tiere, Tugenden und Untugenden, Wahrheiten und Unwahrheiten, Gut und Böse, Vergnügen und Missvergnügen, und alles, was im Leben nicht wahrnehmbar ist, hat seine Bedeutung für das individuelle Verstehen. Die Bedeutungen, die man im Leben entdeckt, sind nichts weiter als das Verstehen dieser besonderen Lebensaspekte. Wer nicht versteht, kann die Bedeutung auch nicht erkennen. Wo keine Bedeutung ist, gibt es nichts. Die lange Liste in diesem Mantra an dieser Stelle der Upanishad beinhaltet alle gesegneten Dinge in der Welt. All diese Dinge haben nur auf Grund des Verstehens, das sich dahinter verbirgt, eine Bedeutung. Der bestimmende Faktor des Wertes irgendeines Objektes ist vom Verstehen des im Objekt verborgenen Wissens abhängig. Die Fähigkeit des Erkennens des Subjektes steht über dem Charakter des Objektes. Darum sollte das Verstehen das Meditationsobjekt sein.

Bis zu dem Punkt, wie dieses Verstehen auf Grund der Fähigkeit des Geistes reicht, wird man sich des Lebens freuen. Die Kraft, die man auf die eine oder andere Art und Weise im Leben persönlich bzw. gesellschaftlich ausübt, entspricht dem individuellen Wissen. Ein Mensch mit viel Wissen oder großem Verstehen ist machtvoll. Dieses ist allen bekannt. Die individuelle Kraft hängt teilweise von der Tiefe bzw. vom Umfang des Verstehens ab (Vijnana). Darum steht das Verstehen weit höher als alle anderen zuvor erwähnten Prinzipien. Das ist wundervoll. Doch es gibt noch etwas anderes, was man wissen muss? Narada wollte natürlich wissen, was über dem Verstehen steht.

8. Stärke

Nun erzählte Sanatkumara etwas sehr Interessantes. Nur theoretisches Verstehen, sei wenig sinnvoll. Es ist so, als würde man sich theoretisch mit etwas auseinandersetzen, ohne irgendein entsprechendes Objekt im Hintergrund zu haben. Für das Verstehen ist es notwendig, sich mit den Realitäten des Lebens zu beschäftigen. Es sollte nicht nur ein abstraktes Kontemplieren ohne jeglichen inhaltlichen Objektbezug sein. Die Beziehung zwischen eigenem Körper und eigenem Intellekt ist gut bekannt. Es ist nicht notwendig, sich mit den eigenen körperlichen Funktionen zu befassen. Es ist aber sehr wohl bekannt, dass das Verstehen vom richtigen Inhalt gekennzeichnet sein muss. Es sollte sich nicht nur um irgendwelche theoretische Denkmodelle handeln. Der heilige Sanatkumara sagte, dass die Kraft des Geistes über dem eigentlichen Verstehen steht.

Mit Kraft ist hier die richtige Vermischung von Geistes- und Körperfunktionen gemeint. Wenn Körper und Geist richtig zusammenwirken, entsteht eine Energie von übergeordnetem Charakter. Angenommen jemand hat einen scharfen Verstand, jedoch einen kranken Körper. Dieser Jemand wird nicht in der Lage sein, seinen Verstand effektiv einzusetzen. Ein schwacher Körper, der ausgemergelt oder kränklich ist bzw. im Sterben liegt, wird kaum in der Lage sein, seine Gedanken richtig zu ordnen und in die Tat umzusetzen. Umgekehrt ist auch der gesunde Körper allein eher nutzlos. Es erfordert einen starken, klaren und festen Geist, um ihn zu beleben und die Gedanken richtig zu bewerten. Disziplinierte Kraft ist die richtige Vereinigung psychischer und körperlicher Kräfte, um das Bewusstsein mit seinem Objekt zu vereinen. Diese Kraft steht über allem, was zuvor erwähnt wurde. Ein Mensch, der in dieser Form kraftvoll ist, kann hunderte von Menschen besiegen, die ohne ein kraftvolles Verstehen agieren, heißt es in der Upanishad.

Die Kommentatoren weisen hier darauf hin, dass es eine besondere Beziehung zwischen Schüler und Guru gibt. Nun, dieses ist nur ein Aspekt der Interpretation. Ein Schüler dient in der Regel seinem Guru. Diese Fähigkeit seinem Guru zu dienen, wäre nicht vorhanden, wenn der Körper des Schülers ausgemergelt oder gebrechlich wäre, selbst wenn er über enorme Gedankenkraft und Verständnisfähigkeit verfügen würde. Der Dienst an dem Guru ist nur dann sinnvoll, wenn körperliche und disziplinierte Kraft mit dem Verstehen einhergeht. Nur dann kann sich der Schüler erheben, dienen und seine Ziele erreichen. Nur dann kann er sein Ideal in der Umgebung seines Gurus erkennen, ihm zuhören, ihn verstehen und es entsprechend für seine Meditation anwenden. Nur dann kann er den Worten seines Gurus genau folgen. Dann wird sein Verstehen vollkommen werden.

Diese Kraft ist offensichtlich auch für die Stabilität der Elemente, von Himmel und Erde sowie der Atmosphäre verantwortlich. Alles in dieser Welt bewahrt auf Grund der ihr innewohnenden Kraft seine gegenwärtige Position. Bei dieser Kraft handelt es sich natürlich nicht nur um eine physische Kraft, sondern um eine Kraft, die sich aus der Kombination des innewohnenden ‚Wissens’ ergibt. Gott und Mensch sind auf Grund der ihnen innewohnenden Kraft erfolgreich. Dieses ist auch ein Grund für den Erfolg beim Überlebenskampf von Tieren, Vögeln usw. Die ganze Welt beruht irgendwie auf dieser ihr innewohnenden Kraft. ‚Was auch immer man denkt, zudem wird man!’ sagt ein Sprichwort. Wenn jemand darauf kontempliert, sehr schwach, zu nichts in der Lage, unerwünscht, ausgestoßen aus der Gesellschaft, oder sehr arm zu sein, dann geschieht dieses auch durch diese Art von Selbsthypnose. Doch, wenn jemand auf seine in ihm schlummernden Fähigkeiten, seine Kräfte kontempliert, für die er keine Hilfestellung von außen benötigt, sondern die er nur in sich selbst wecken muss, dann wird dieses auch früher oder später unbedingt zum Erfolg führen. Diese Kräfte entwickeln sich automatisch durch das richtige Zusammenspiel aller Ebenen einer Persönlichkeit, physisch wie psychisch. Solche Kräfte wohnen in allen Lebewesen, in allen Menschen. Darum sollte man auf diese Kräfte meditieren, um sie zu mobilisieren.

Der Mensch ist insoweit vollkommen, wie diese innewohnende Kraft reicht. Dieses ist eine einfache Wahrheit. „Gibt es etwas, was über diese Kraft hinausgeht?“ fragte Narada. Sanatkumara antwortete: „Ja“. „Dann sag mir bitte, was größer als diese Kraft ist.“

9. Nahrung

Das, was Kraft verleiht, steht naturgemäß über dem Verstehen und ist metaphorisch als Anna (die Nahrung) bekannt. Es ist seltsam, denn dieses Thema wird in den Upanishads immer wieder aufgegriffen. Nahrung bedeutet nicht nur Reis, Weizen, Kartoffeln oder anderes Gemüse, das man zu sich nimmt, sondern kann auch von psychologischer Natur sein. Manchmal werden Dinge, die eigentlich keine Nahrung darstellen, dennoch in den Upanishads als Nahrung betrachtet. In diesem Sinne muss man auch den Begriff Anna sehen. Es gibt eine Kombination von objektiver und subjektiver Kraft. Für den Erfolg im Leben ist nicht nur ein Aspekt verantwortlich. Erfolg beruht auch auf einer Kraft, die aus der Handlung heraus entsteht. Doch diese Art von Kraft bleibt weitgehend unbewusst, es sei denn, das Objektive und das Subjektive harmonieren miteinander. Das Objektive allein kann nicht wirken, auch das Subjektive nicht. Es muss eine gegenseitige Übereinstimmung der beiden Aspekte stattfinden. Ohne Luft kann man nicht atmen, doch ohne Lunge geht es auch nicht. Dieses ist ein einfaches Beispiel, wie beide, d.h. das Objektive und das Subjektive in Kombination zum Erfolg führen. So geschieht es mit allen Dingen im gesellschaftlichen Leben. Leben wird erst durch Koordination, Kooperation und gegenseitiges Verstehen möglich. Dieses Zusammenspiel der Naturkräfte im Individuum ist auf alle Bereiche des Seins und alle Handlungen anwendbar. Dieser Umstand ist die eigentliche Kraftquelle. Wenn man mit der Natur in Harmonie ist und umgekehrt, die Natur mit dem Menschen, wird man kraftvoll. Diese Verkettung der gegenseitigen Ernährung, Anna (Nahrung), ist verantwortlich für die Kraftgenerierung und steht über dem Verstehen.

Sanatkumara gab jetzt ein allgemein bekanntes Beispiel, wie diese Nahrung zur Kraftquelle wird. Wenn man zehn Tag lang nichts isst, was geschieht dann? Natürlich wird man noch leben. Man ist immer noch der Mensch wie zuvor, doch man kann weder richtig sehen noch richtig hören, weder richtig denken noch richtig verstehen. Das liegt am Nahrungsentzug. Das objektive Prinzip wurde entzogen, und nur das subjektive Prinzip ist lebendig. Prana (die Lebensenergie) ist noch vorhanden, doch die Nahrung wurde entzogen. Man ist sofort erregt, wenn Nahrung aufgetragen wird.

Je weiter man in der Beschreibung dieses Abschnitts der Upanishad vorangeht, desto undurchsichtiger scheint ihr Inhalt. Es ist einfach notwendig, dass sich der Geist von seinen niederen Ebenen zu höheren Ebenen entwickelt, wobei sich auch die Fähigkeiten des Verstehens bzgl. der äußeren und inneren Welt immer weiter ausdehnen. Je mehr die äußere Wirklichkeit durch das Verstehen in das individuelle Sein absorbiert wird, desto mehr Macht wird über diese absorbierten Ebenen gewonnen. Macht wird nicht nur über den Einzelnen ausgeübt, sondern sie erhebt sich auch mehr und mehr dadurch, dass man mit der äußeren Wirklichkeit eins wird.

Aus diesem Grund wird gegenüber Narada der Kraftgewinnung soviel Gewicht beigemessen, wobei eben diese Form der Kraft durch das Einswerden mit den Meditationsobjekten erzeugt wird. Durch die Anwendung dieser jeweils erworbenen Kraft, wird man erfolgreich und von diesem Bereich der Kontemplation befreit. „Und doch gibt es noch etwas anderes“, sagte Sanatkumara, „denn Wasser steht über der Nahrung.“ Die Absicht des Lehrers war es aufzuzeigen, dass Nahrung nicht gleich Nahrung ist, sondern Nahrung umfasst den gesamten materiellen Inhalt des Universums. Das ganze Erdelement wird durch das Wort ‚Nahrung’ repräsentiert. Darum heißt es, das Wasserprinzip steht über dem Nahrungsprinzip. Alles, was fest ist, entstand ursprünglich aus Wasser bzw. aus Flüssigkeit. Die ganze Erde entstand ursprünglich aus Flüssigkeit. Dieser Umstand bezieht sich nicht nur auf die Erde, sondern generell auf Materie, denn alles, was im Universum von fester Natur ist, stammt letztendlich aus Flüssigkeit. Diese Form der Flüssigkeit bestand vor Urzeiten aus heißen Gasen usw. Immer feinstofflichere Ursachen gingen den nachfolgenden gröberen Stoffen voraus.

„Oh Narada, die Nahrung steht über allem, was ich zuvor erwähnt habe. Es geht dabei um Materie, um das ganze objektive Universum in seiner festen Form. Darüber steht das Wasserprinzip“, sagte Sanatkumara. Die Identifikation des Wasserprinzips mit der letztendlichen Wirklichkeit der Dinge ist die allgemeine Art und Weise, wie Dinge in den heiligen Schriften erklärt werden. Sanatkumara sagte, dass alle originären Dinge ursprünglich aus Wasser entstanden seien. Man muss nicht betonen, dass es sich bei diesem ‚Wasser’ eigentlich um die Flüssigkeit als solches handelt. Diese Beschreibung diente auch dazu, um auf den nächsten Punkt dieses Abschnitts überzuleiten.

10. Wasser

Ein Leben ohne Wasser wäre undenkbar. Ohne Regen gäbe es keine Früchte und damit auch keine Nahrung. Die Erde wäre verwüstet, unbewohnbar. Die Fähigkeit der Erde Nahrung hervorzubringen, wäre gleich Null, wenn es kein Regen und damit kein Wasser gäbe. Die Zusammenarbeit der flüssigen mit den festen Elementen ist darum notwendig, um Nahrung zu erzeugen. Die Menschen begännen zu weinen und zu klagen, wenn der Regen ausbliebe und alles vertrocknete. Immer wieder hört man von Hungersnöten und dem Sterben von Tieren in südlichen Ländern, wenn der Regen ausbleibt. Die Lebewesen sind dann verzweifelt, wenn es keine Nahrung mehr gibt. Sie sagen dann: ‚Es gibt nichts zu essen. Alles ist vertrocknet.’ Wenn Regen fällt, freuen sich Mensch und Tier gleichermaßen, die gesamte Natur atmet auf und freut sich über den Luxus. Alles, was zuvor über die ‚Nahrung’ gesagt wurde, taucht hier in der Upanishad wieder auf, denn alles hängt vom Wasser ab, und alles beruht auf das Vorhergehende. Alle Lebewesen leben von Wasser und Nahrung.

Dieses ist nun offensichtlich eine subtilere Form der Meditation, die hier vom Meister beschrieben wird. Es geht nicht um eine Meditation auf den Ozean, die Flüsse oder das Wasser, das man in der Welt sieht, sondern um das subtilere Element, das über der festen Materie steht, und das nicht sichtbar ist. Man muss sich in die Lage versetzen, dieses subtilere Prinzip hinter dem Erdelement wahrzunehmen. Man muss auf dieses höher stehende Prinzip, dass über allen festen Materialien steht, kontemplieren. Dieses bedeutet, dass man sich schrittweise von der physischen Ebene zur konzeptionellen und psychologischen Ebene der Meditation erhebt. Als nächstes folgt eine Meditation auf ein noch subtileres Konzept, das Konzept von Feuer, das im nächsten Kapitel behandelt wird.

11. Feuer

Subtilere Prinzipien stehen immer über gröbere, denn sie sind von einem mehr durchdringenden Charakter. So wie das Wasser über der Erde steht, so steht das Feuer über dem Wasserprinzip.

„Oh Narada“, sagte der große Meister Sanatkumara, „das Feuerelement steht über dem Wasserelement, das wiederum über allen zuvor erwähnten Elementen steht, d.h. über Namen, Sprache, Geist, Willen, Kontemplation, Verstehen, Stärke und Nahrung.“ Daher ist es die Hitze des Feuers, die durch ihre Funktion die Luft trocknet und dabei eine Atmosphäre der Wärme im ganzen Raum oder am Himmel erzeugt, sodass man das Gefühl hat, es wäre keine Luft mehr vorhanden. In der Atmosphäre kann sich das Feuer noch derart verstärken, sodass die Luft scheinbar vollständig aufhört zu existieren. Dann sagen die Leute: ‚Oh, es ist so heiß, so unerträglich heiß. Hoffentlich wird es bald regnen.’ Wenn es sehr heiß wird, hofft man, dass es bald regnen möge. Darum folgt der Hitze der Regen. Zuerst brennt schier die Luft, und dann folgt der Regen, wie zu Beginn der Regenzeit in Indien, wenn alle Menschen aufatmen. So verhält es sich auch in all den anderen Extremsituationen verbunden mit Hitze. Gleichgültig, ob innerlich oder äußerlich, auf Grund von Hitze kommt die Wasserproduktion ins Spiel. Am Ende einer extremen Hitzeperiode gibt es starke Gewitter mit Blitz und Donner in der Atmosphäre, bevor es dann zu regnen anfängt. Der Regen kündigt sich mit Blitz und Donner an. Damit steht das Feuerprinzip über dem Wasserprinzip. Zuerst offenbart sich das Feuer und danach kommt das Wasser. Wenn man diese Reihenfolge erkannt hat, muss man sich auch eingestehen, dass das Feuer subtiler als Wasser sein muss. Dieses ist wichtig für die Meditation.

„So verhält es sich auch mit der Luft und dem Raum. Über dem Feuerprinzip steht das Luftprinzip, und darüber wiederum der Raum, der alles beinhaltet. Alle Elemente können letztendlich zu Raum reduziert werden. Wenn sich irgendwann das Universum auflöst, wird die ganze Welt im Raum absorbiert. Nur diese letzte ‚Hülle’ bleibt zurück. Die Erde löst sich in Wasser auf, das Wasser wird durch das Feuer getrocknet, das Feuer wird durch Luft ausgelöscht und die Luft wird im Raum absorbiert. Dann bleibt nur der Raum als sichtbare Wirklichkeit, weit ausgedehnt, alles beinhaltend, scheinbar allgegenwärtig, was man jetzt als Meditationsobjekt heranziehen sollte.

12. Äther

Die Bedeutung des Raumes kann solange nicht beurteilt werden, wie kein Raum existiert. Es ist das wichtigste lebensnotwendige Element. Alles beruht auf den Raum. Sonne, Mond und Sterne, das Licht, und was nicht noch alles, alles in der Atmosphäre existiert auf Grund des Raumes. Man kann auf Grund des Raumes hören. Echos werden produziert. Vergnügen und Schmerz existieren auf Grund der Gegenwart des Raumes. Es gäbe ohne den Raum keine Objekte. Ohne Objekte gäbe es von den Lebewesen keine Reaktionen darauf. Man könnte keine Erfahrungen machen, weder positive noch schmerzhafte. Jegliche Freude, Vergnügen und Zufriedenheit, in welcher Form auch immer, beruhen auf den Raum, der es möglich macht, Dinge voneinander zu unterscheiden. Selbst Kummer und Sorgen gibt es nur in der Gegenwart von Raum. Die seltsame Ortung der Sinnesobjekte durch das erfahrende Subjekt ist die Ursache für Schmerz und Freude des Subjekts, was durch das eingreifende Element, d.h. den Raum, geschieht. Aus dem Raum heraus kommt alles. Dinge entstehen im Raum. Nichts könnte ohne den Raum von den Menschen geschaffen werden. Eine Wirkung kann nicht erzielt werden, wenn es keinen Unterschied zwischen Ursache und Wirkung gäbe. Dieses ist nur im Raum möglich. Selbst Bäume und Pflanzen erheben sich von der Erde und wachsen in den Raum. Jetzt ist es klar, was Raum bedeutet. Je mehr man darüber nachdenkt, desto weniger muss man ihn definieren. Der Raum ist möglicherweise das letzte Objekt, das man als solches in dieser Welt betrachten kann. Jenseits davon kann sich der Geist nichts wirklich vorstellen oder darüber hinaus denken. Der Raum ist offensichtlich das höchste physische Objekt.

„Oh Narada, nun nimm diesen Raum als Meditationsobjekt, auf das man als das Absolute meditiert, danach gibt es nichts mehr. Der ungebundene Raum, der unbegrenzte ausgedehnte Himmel, ist nun das Objekt deiner Meditation.“

Wenn man seinen Geist so weit wie den Raum in der Meditation ausdehnt, wird man in gleicher Ausdehnung auch Freiheit, Erfolg, Macht in der Welt erlangen. Die Fähigkeiten eines solchen Menschen, der derart zu meditieren versteht, wären wundervoll. Helligkeit wäre das Objekt der Meditation eines solchen Menschen, da der Raum durch die Gegenwart der Sonne erhellt ist. Ein solcher Mensch würde durch das im Raum enthaltene Bewusstsein erleuchtet. Unbegrenzt wäre sein Besitz, da der Raum, das Meditationsobjekt, unendlich ist. Unermesslich wären für denjenigen die Früchte, der in dieser Form meditiert. Soweit wie die Ausdehnung des Raumes ist, soweit ist auch die Freiheit desjenigen, der auf diese Ausdehnung meditiert.

Narada sagte: „Nun, dieses ist großartig. Ich kann aber über den Raum hinaus keinen Gedanken fassen. Ich möchte gern wissen, ob der Raum die letztendliche Wahrheit ist, oder gibt es noch etwas, was darüber hinausgeht?“ „Es gibt noch etwas jenseits des Raumes. Es gibt etwas, ohne dass selbst der Raum nicht einmal wahrnehmbar wäre, und ohne dass er auch nicht existieren könnte. Der Raum wäre bedeutungslos, wenn dieses Etwas, was über ihm steht, nicht existieren würde“, antwortete Sanatkumara. „Dann gibt es also etwas Höheres als den Raum! Was ist das? Bitte unterweise mich, oh großer Meister“, sagte Narada.

13. Selbst-Bewusstsein

In dem Originaltext wird der Begriff Smara verwendet. Smara ist ein seltsamer Begriff, der als die Macht des Bewusstseins interpretiert wird, was wiederum als Selbst-Existenz erkannt wird. Das Bewusstsein der eigenen Existenz steht über der Funktion des Bewusstseins, damit der äußere Raum erkannt werden kann. Man muss zuerst existieren, wenn Raum da sein soll. Darum steht das Bewusstsein der Selbst-Existenz über dem bestimmenden Faktor des Bewusstseins bzgl. der weiten Ausdehnung des so genannten Raumes. Darum ist Smara nicht nur, nach allgemeiner Lesart, irgendeine Art von Gedächtnis bzw. Erinnerung, sondern es ist etwas, was darüber steht. Diese Selbst-Existenz, dieses Selbstbewusstsein, das man fühlt, ist mit dem eigenen Bewusstsein identisch; und das ist mit dem Wort Smara gemeint, und das steht zweifelsohne über dem Raum. Wenn man nicht existent wäre, würde sich die Frage bzgl. des Raumes nicht stellen. Darum steht Smara über ihm. Wenn jemand sein Bewusstsein bzgl. der eigenen Existenz verloren hat, gibt es weder eine Frage bzgl. eines Raumes noch des Hörens, Denkens oder Verstehens. Wenn es kein Bewusstsein gibt, dann stellt sich auch keine Frage nach irgendeiner der zuvor erwähnten Funktionen. Wenn man sich der eigenen Existenz nicht bewusst ist, wo läge dann der Sinn, über Raum, Feuer usw. nachzudenken? Darum ist das Selbst-Bewusstsein über den Raum anzusiedeln. Außerdem bestimmt es den Charakter des Raumes. Wo immer es eine Offenbarung des Selbstbewusstseins gibt, ist das ‚Ich’ gegenwärtig und es erhebt sich jegliche Form des Wissens. Es findet Denken, Verstehen, Hören usw. statt. Außerdem gibt es alle Formen des Wünschens. Alle Aktivitäten im Leben eines Menschen entspringen dem Bewusstsein individueller Existenz. Ohne dieses Existenz-Bewusstsein wäre die Welt nichts.

Dieses ist eine übergeordnete Form der Meditation, wo das Selbstbewusstsein als Meditationsobjekt angenommen wird. Langsam wendet man sich jetzt von der objektiven zur subjektiven Seite. Man muss allerdings noch höher hinauf, zu noch höheren Ebenen, mit denen man sich in dem folgenden Text dieses Abschnitts befasst. Jemand, der auf diese Weise auf das alle Objekte, inkl. Raum, übersteigende Selbstbewusstsein meditiert, steigt ebenfalls höher hinauf und erreicht auf dieser Ebene die entsprechende Freiheit.

Dieses stellt einen Wendepunkt im Meditationsprozess dar. Im Allgemeinen meditiert man auf alle möglichen Objekte im Raum, außerhalb von sich selbst. Es scheint unvorstellbar, dass die Objekte mit der Selbst-Existenz in Verbindung stehen. Die Beziehung zwischen dem Bewusstsein der Objekte und den Objekten des Bewusstseins wird nicht wahrgenommen. Es wird hingenommen, dass die Objekte unabhängig sind, außerhalb von einem selbst stehen, im Raum stehen, keine Verbindung zu anderen Dingen haben und ihr eigenes Selbst einschließen. Diese Sichtweise ist falsch. Objekte haben Beziehungen. Eine Beziehung des Seins ist bei allen Objekten offenbar, und ihre Natur, ihr Charakter, ihre Reaktion befindet sich im Einklang mit der Natur, wo sie sich selbst befinden, und wo deren Charakter durch die wahrnehmenden Subjekte erfahren wird.

Dieses ist ein höheres Wissen, das für den Laien kaum verständlich ist, da er die Objekte als äußerliche unabhängige Dinge sieht, sich auf sie einlässt, als würden sie ihm alles geben, ohne zu ahnen, dass er selbst die Schuld für ihre Existenz trägt. Es ist großartig, wenn man von den äußeren zu den inneren Objekten kommt, was jedoch für den einfachen Menschen nicht leicht ist.

Jetzt ist die Stufe erreicht, wo man vom Äußeren zum Inneren kommt, als Sanatkumara sagte, dass das Selbstbewusstsein über allem steht, was zuvor erwähnt wurde, inkl. den Raum, d.h. die ganze Welt ist äußerlich.

„Gibt es noch etwas Höheres als Smara, Selbst-Existenz?“ fragte Narada. „Ja, es gibt selbst darüber noch etwas. Diese Selbst-Existenz, dessen du dir bewusst bist, ist nicht die absolute Wahrheit, denn sie ist auch eine Folge von noch etwas Höherem“, kam die Antwort von Sanatkumara. „Was ist das? Unterrichte mich,“ bat Narada.

14. Hoffnung

Dieses seltsame Ding, genannt Smara, Selbst-Bewusstsein oder Selbst-Existenz, wie zuvor behandelt, ist in sich unvollkommen. Seine Existenz hängt von einem inneren Drang ab. Man lebt nach einem Prinzip, das ‚Hoffnung’ heißt. Man lebt nicht nur auf Grund von Erfahrungen. In jedem Menschen steckt etwas, was dieses Selbstbewusstsein bindet. Und das ist der Wunsch nach einem besseren Leben, nach einer besseren Zukunft, was in der Upanishad als Asa, Hoffnung oder Streben, bezeichnet wird. Es ist das Streben nach Selbst-Transzendenz.
Die menschliche Existenz ist nur auf Grund der Neigung im Selbst-Bewusstsein sinnvoll, sich in immer höhere Ebenen des Seins empor zu entwickeln. Man ist nur deshalb glücklich, weil man die Hoffnung hegt, dass man morgen glücklich sein wird, und nicht, weil man vielleicht heute glücklich ist. Dieser Wunsch ist von außen nicht sichtbar. Es handelt sich nicht um eine direkte
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Erfahrung, doch er arbeitet im Inneren. Der Wunsch zu existieren ist etwas Seltsames. Es fehlt eine Begründung für diesen Wunsch zu existieren. Es ist ein überlogisches Mysterium.
Der Wunsch oder die Hoffnung zu existieren ist das, was Sanatkumara mit Asa meinte. Es geht dabei nicht um den Wunsch, als Körper zu existieren. Niemand will wirklich sterben. Jeder möchte so lange wie möglich leben. Die Menschen beten für ein langes Leben, doch niemand versteht wirklich, was damit gemeint ist. Es ist nicht damit gemeint, für immer in diesem Körper zu leben. Unbewusst wird nach einer Natur gefragt, die dem individuellen Geist nicht klar ist. Man fragt nach einer selbsttranszendenten Existenz. Es geht nicht um den begrenzten Körper. Wer möchte schon in diesem Körper für ewige Zeit bleiben? Welches Lebensalter sollte unsterblich sein? Das hohe Alter, die Jugendjahre oder die Kindheit? Man möchte sich nicht auf einen bestimmten Teil seines Lebens festlegen, der unsterblich sein sollte. Man ist ein wenig verwirrt, wenn man um ein langes Leben bittet. Doch die versteckte Absicht hinter dieser Bitte ist, dass man das Wesentliche der Existenz aufrechterhalten möchte. Nun, bei dieser Existenz handelt es sich nicht um die körperliche Existenz. Obwohl man fälschlicherweise die Existenz mit dem Körper identifiziert, besteht ein subtiler Drang, sich über die Grenzen körperlicher Existenz auszudehnen. Das ist der Grund, warum man nach immer neuen Dingen fragt, mehr und mehr Objekte sammelt und sich immer weiter ins Äußerliche ausdehnt. Darum wünscht man sich die Langlebigkeit. Man möchte seine Lebenszeitspanne und seinen Lebensraum immer weiter ausdehnen. Dieses ist der geheime Wunsch. Man hat nur zwei Wünsche, die einerseits die räumliche und andererseits die zeitliche Ausdehnung des Lebens betrifft. Dieses ist der Grund für all unsere Aktivitäten. Man will mehr und mehr Besitz anhäufen, d.h. so viel wie möglich, und dann den gesamten Raum. Man will seine Persönlichkeit in eine räumliche Dominanz ausdehnen, und diese Dominanz solange wir möglich erhalten, nicht nur heute und morgen, sondern bis in alle Ewigkeit. Darum gibt es diesen Wunsch nach Unendlichkeit und Ewigkeit, der in jedem Einzelnen gegenwärtig ist, und dessen man sich nicht bewusst ist. Dummerweise wird dieser Wunsch als Existenz in diesem Körper interpretiert. Dieses Streben ist Asa. Auf diese Weise ist das Streben nach einem besseren Leben in Wahrheit ein Streben nach Selbsttranszendenz, was über der Selbst-Existenz steht.
Darum sagte Sanatkumara zu Narada: „Asa muss zu deinem Meditationsobjekt werden, nicht nur deine begrenzte Selbst-Existenz. Es gibt etwas, was in deinem Bewusstsein der Selbst-Existenz enthalten ist. Dieses sollte zum Inhalt deines Bewusstseins werden und darum zum Objekt deiner Meditation.“
Dieses Streben sollte erfüllt werden. Kein Wunsch sollte unerfüllt bleiben. Wenn dieses Streben einer höheren Sache gilt, sollte man sie auch verwirklichen. Darum sollte man die niederen Gründe verlassen, sich über die körperliche Existenz erheben und die höheren Verwicklungen dieser Selbst-Existenz erreichen. Bis zu diesem Punkt wird man dann erfolgreich und frei sein.
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„Das ist großartig. Gibt es jenseits davon noch etwas?“ fragte Narada. Die Fragen von Narada gingen ins Uferlose. Die Antworten waren unbegrenzt. „Es gibt noch etwas, was über diesem Streben nach Selbst-Transzendenz steht, und das ist das Lebensprinzip“, antwortet Sanatkumara. „Dann bitte unterweise mich in dieses Lebensprinzip“, sagte Narada.

15. Das Leben

Niemand kann verstehen, was Leben wirklich ist. Wir benutzen dieses Wort immer wieder, doch können nicht erklären, was es bedeutet. Es geht nicht um die täglichen Aktivitäten. Wenn man das Leben mit seinen Aktivitäten in Verbindung bringt, so ist das ein Fehler. Das Leben ist irgendwie geheimnisvoll. Das Leben ist das, was man ist. Hier wird es als Prana, Lebensenergie, bezeichnet. Es handelt sich dabei nicht um den Atemprozess, denn ohne das Lebensprinzip gäbe es weder das Streben noch Selbst-Bewusstsein noch irgendetwas anderes dieser Art. Der Eintritt des Universalen in das Einzelne ist das, was man als das operierende Leben in der individuellen Persönlichkeit bezeichnet. Das Grenzland des Unendlichen, wohin sich das Individuelle in das Unendliche hinein ausdehnt und das Unendliche in das Endliche hinein verengt. Diese besonderen Umstände werden als Leben bezeichnet. Diese Situation vereint die Charakteristik beider Ebenen in sich. Darum ist das Leben unergründlich. Es ist weder individuell noch universal. Man weiß nicht, was es ist. Man kann ‚Leben’ nicht definieren. Doch, was auch immer es ist, dieses Lebensprinzip steht über allem andern. Das ist die Realität des Lebens. Es geht dabei nicht um die Aktivitäten im Leben, die Funktionen des Lebens, das gesellschaftliche oder persönliche Leben oder sonst irgendeine Form von Offenbarung des Lebens, sondern um das Leben schlechthin. Dieses steht über allem. Die Upanishad beschreibt nun, wie unergründlich dieses Leben ist.

„Jenseits all der Dinge, von denen ich bisher sprach, steht das Leben“, sagte Sanatkumara. So wie die Speichen auf die Radnabe fixiert sind, so ist alles auf das Lebensprinzip fixiert. Was auch immer in der Welt ist, Lohnendes, Bedeutungsvolles, es ist nichts weiter als Prana, das Leben. Ohne Leben wäre alles ohne Bedeutung. Was ist damit gemeint, wenn jemand als Vater, Mutter, Bruder oder Schwester gesehen wird? Man weiß es nicht. Man bezieht sich nicht auf den Körper von Vater, Mutter, Bruder oder Schwester. In ihnen ist noch etwas anderes, was aus ihnen Vater, Mutter, Bruder oder Schwester macht. Man weiß nicht, wer man ist, wenn man spricht. Die individuelle Bedeutung verschwindet, wenn das Lebensprinzip entzogen wird. Man ist nur solange wertvoll, wie man lebt. Wer ist man, wenn man nicht lebt? Niemand. In weltlicher Ausdruckweise, d.h. im Sprachgebrauch, ist man der Körper, doch der macht noch nicht die Persönlichkeit aus.

Warum heißt es: das Leben steht über allem, und ohne das Leben ist alles bedeutungslos? Wenn jemand z.B. respektlos zu seinem Vater spricht, dann sagen die Leute: ‚Wie dumm dieser Mensch ist, er spricht respektlos zu seinem Vater’. Die Leute verurteilen solche Ausdrucksweise. Man verehrt große Persönlichkeiten, bewertet die Menschlichkeit und respektiert das Leben in dieser Welt. Das ist jedem bekannt und bewusst. ‚Schande über dich’, sagen die Leute, wenn sich jemand älteren Menschen gegenüber respektlos verhält, (was in vielen Gesellschaft bis heute nicht geduldet wird). Wenn man sich dennoch so verhält, dann heißt es, man wollte sie vernichten oder richten. Es heißt: ‚Verletze niemanden’. Was ist damit gemeint? Wer wird verletzt? Leute? Doch wer sind diese ‚Leute’? Damit sind sicherlich nicht deren Körper gemeint. Die Upanishad schließt daraus, dass man nicht das Leben in ihnen verletzen sollte. Das Lebensprinzip in einem Menschen wird durch die Reaktion gegenüber diesem Menschen berührt. Die Offenbarung des Lebensprinzips in der Verkörperung eines einzelnen Menschen wird als Persönlichkeit angesehen. Mit einer Persönlichkeit ist nichts anderes als das Leben in dem betreffenden Menschen gemeint, nicht bloß ein Menschenmuster in Form eines Körpers. Wenn es heißt, jemand hätte sich gegenüber seinem Vaters oder seiner Mutter, seinem Bruder oder seiner Schwester, gegenüber diesem oder jenem, so oder so verhalten, dann bedeutet es, dass er sich gegenüber dem innewohnenden Lebensprinzip so verhalten hat, nicht bloß gegenüber dem Körper. Angenommen, dieses Lebensprinzip hätte den Vater verlassen, den wir verehrt haben. Was geschieht dann? Man verbrennt seine sterblichen Überreste auf dem Scheiterhaufen. Dann sagen die Leute nicht: „Oh, der Sohn verbrennt seinen Vater.“ Niemand behauptet so etwas. Was geschieht mit demselben Vater vor uns, den man jetzt auf dem Scheiterhaufen verbrennen lässt? Es kann sich auch um die Schwester, den Guru oder sonst irgendjemand handeln. Es könnte sich auch um einen Fürsten handeln, den man sehr verehrt hat. Und alle werden sagen, ‚sehr gut’. Man verbrennt den geliebten Menschen. Wie ist das möglich? Nun, es ist auf Grund eines großen Rituals möglich. Doch wenn er noch am Leben wäre, wäre es ein schändlicher Mord. Wie lautet also die Definition der Menschheit oder anderer wertvoller Dinge in dieser Welt? Sicherlich nicht ‚Körper’. Wenn allein der Körper den Vater ausmachen würde, würde man ihn sicherlich nicht verbrennen und beerdigen. Selbst der wundervollste Freund oder die Freundin wird irgendwann beerdigt, wenn aus ihm oder ihr das Lebensprinzip entwichen ist. Darum ist das, was man liebt, nicht der Körper, sondern das Leben im Körper. Doch man versteht diesen Punkt nicht. Man sagt: ‚Mein Vater ist dahingegangen’. Wohin ist er gegangen? Ist er irgendwie immer noch da, wo er war? oder hat man ihn nur für etwas anderes gehalten. Das Lebensprinzip ist das Wertvolle in dieser Welt, und nicht das, was als Name und Form offenbar ist.

Das ganze Leben ist nichts weiter als diese geheimnisvolle Sache, die man Prana nennt. Dieses ist die Wirklichkeit, die sich selbst in verschiedenen Formen und Namen offenbart. Man verkennt diese Formen und Namen als absolutes Sein, das in den Sinnesobjekten verborgen ist, die man mit eigenen Augen erkennt. Die absolute Wirklichkeit aller sichtbaren, existierenden Formen ist das Leben. Es wird in gewisser Weise in den Pflanzen, mehr noch in den Tieren, noch viel mehr im menschlichen Sein und in noch höheren Ebenen weitaus intensiver offenbart. An diesem Punkt wird es außerordentlich schwierig zu verstehen, wo man sich als Mensch einordnen soll. Es ist ein geheimnisvolles Reich. Man glaubt, man hätte verstanden, was Leben eigentlich ist, doch, wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass man nicht verstanden hat, was es wirklich ist. Es ist ein Mysterium, was in allen Namen und Formen wirkt. Derjenige, der dieses Mysterium als die allumfassende Wirklichkeit versteht, die über allen Namen und Formen steht, die in allen Namen und Formen irgendwie eingeflößt scheint, die sogar die Wirklichkeit dieser so genannten Namen und Formen, alle Menschen eingeschlossen, darstellt, ist ein Meister des Wissens. Dieser Jemand wird in der Upanishad als Ativadi bezeichnet. Ativadi bedeutet, dass jemand über ein außerordentliches Wissen verfügt, und dass er von übertrefflicher Wahrheit spricht.

Das größte Wissen ist die Kenntnis vom Leben, und nicht nur das Wissen über die Sinnesobjekte. Wer auch immer diese Wirklichkeit, wie sie ist, sieht, wer auch immer derart denken kann, wer auch immer sie auf diese Weise versteht, übersteigt alles, denn er hat das Wissen aller Sinnesobjekte überwunden. Der Verstand hat sie in ihrem eigenen Sein begriffen. Und darum wurde er mit der Wahrheit eins. Es ist nicht nur ein Verfolgen der Wahrheit, auf das man sich hier bzgl. des Wissens bezieht, sondern die Wahrheit, die mit dem Wissen eins geworden ist. Derjenige, der über ein solches Wissen verfügt, hat wirklich die Wahrheit begriffen, und was dieser jemand, der sich auf einer solchen Ebene befindet, spricht, wird als Ativada bezeichnet. Dieser Begriff Ativada bedeutet: transzendentierte Sprache, die durch die Wahrheit geprägt ist, eine Sprache, die sich im Leben als wahrhaftig materialisiert bzw. in Erfüllung gehen wird. Was auch immer ein solcher Mensch mit einem solchen Wissen spricht, wird sich im Leben erfüllen, denn die Wahrheit oder Wirklichkeit aller Dinge ist in dem Wissen solcher Menschen enthalten. Und, was diese Persönlichkeit von sich gibt, ist ein Ausdruck seiner Gedanken und seines Wissens. Alles, was er sagt, wird in dieser Stufe der Erfahrungen wahr. Wenn die Leute ihn nicht verstehen können, dann sagen sie: „Du sprichst für uns in Rätseln.“ Er wird antworten: „Es stimmt, ihr könnt mich vielleicht nicht verstehen, aber, dass was ich sagte, war auch nicht für euch bestimmt, denn ihr könnt es nicht verstehen.“ Dieses Reich ist nicht die Ebene der Sinnesobjekte, sondern die Ebene des Seins mit den Dingen. Wenn man also in der Lage ist, sich auf das Sein der Objekte einzustimmen, kann man verstehen, was die Wahrheit dieser Ausführungen bedeutet. Es ist wahr, was in dieser Upanishad zum Ausdruck gebracht wird, doch es scheint unverständlich. Es ist nicht beabsichtigt, dass Laien dies verstehen, deren Geist sich nicht darauf einstellen kann, da man schrittweise von den Gefühlen und Wahrnehmungen, vom Verstand und Verstehen hin zur Intuition der Objekte geführt wird, wo die Objekte eins mit dem wahrnehmenden Wissenden werden, der die Wirklichkeit, das Subjekt, kennt.

An dieser Stelle war Narada unfähig zu sprechen. Ihm stockte der Atem. Er verstand nicht, was er da von seinem Meister hörte. Dieser Meister beobachtete die Stille seines Schülers, der nicht mehr fragte: ‚bitte, gib mir weitere Anweisungen.’ Er blieb stumm, sein Mund geschlossen und sein Geist hatte aufgehört zu denken. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Als der Meister dieses sah, fuhr der Meister im Thema weiter fort, ohne durch seinen Schüler aufgefordert worden zu sein.

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17. Wahrheit und Verstehen

Das hin und her der Argumente ging immer noch weiter. Du möchtest wissen, was Wahrheit ist. Die Wahrheit muss erkannt sein, wie sie ist, und nicht wie sie erscheint oder sein könnte. Es gibt verschiedene Formen der Wahrheit. Der eine sagt: ‚dieses ist wahr’, ein anderer: ‚jenes ist wahr’ und dann heißt es: ‚alles ist wahr’ usw. Ist denn alles letztendlich wahr? Über die letztendliche Wahrheit muss man eine klare Vorstellung haben. „Oh, Narada,“ sagte Sanatkumara, „man kann nur wahr sprechen, wenn man weiß, was wahr ist. Wie sollte man sonst ‚wahr’ sprechen können? Kennst du die Wahrheit? Die Wahrheit ist nicht, was man in dieser empirischen Welt wahrnimmt. Die ganze Welt ist nicht wahr. Sie ist nicht die letztendliche Wahrheit. Wie kann man behaupten, dass irgendetwas in dieser Welt wahr ist? Was auch immer du sagst, ist nicht wahr. Du musst erkennen, was wirklich wahr ist. Wenn man weiß, was wahr ist, dann sagt man auch die Wahrheit.“ Narada wurde auf diese Weise eingeweiht.

Ein Unwissender kann nicht wahr sprechen. Darum ist die Wahrheit sehr wichtig. Man muss das Wissen selbst kennen, denn es ist das Wissen, das die Wahrheit begreift. Doch, was ist Wissen und was ist Wahrheit? Man kommt hier zu dem schwierigen Punkt des absoluten Prinzips des eigentlichen Lebens, Wissen und Wahrheit. Was Wahrheit und was Wissen ist, das muss erkannt sein. Ohne das kann man nicht weiterkommen.

18. Gedanke und Verstehen

Der Begriff mati und ähnliche Begriffe, die an dieser Stelle der Upanishad verwandt werden, führen dem Sinne nach viel tiefer hinein als es zunächst den Anschein hat, denn man betritt eigentlich verbotenes Land, wo der Geist nicht mehr so ohne weiteres folgen kann, und wo sich die Dinge jenseits des Begriffvermögens bewegen. Man weiß nicht mehr so richtig, wovon die Rede ist. Diese Situation wird an dieser Stelle erklärt. In solch einem Zustand befand sich auch Narada, der von Sanatkumara, dem großen Meister, eingewiesen wurde.

Es gibt etwas, dass über diesem Wissen oder dem Streben nach Wahrheit steht. Es ist die Neigung, sich zur Wirklichkeit hinzubewegen. Dieses ist der eigentliche Grund für das Streben nach der Wirklichkeit. Woher weiß man, dass die Wirklichkeit erkannt werden muss? Wer hat diesen Gedanken in den Kopf gesetzt? Es heißt: ‚Ich muss Gott kennen. Ich muss nach der Wirklichkeit suchen. Ich muss nach dem Absoluten streben.’ Wie kommt diese Idee in den Kopf? Im Menschen ist eine Neigung, sich zur Wirklichkeit hinzubewegen. Diese Neigung steht über dem individuellen Bewusstsein im Menschen. Man ist sich nicht dieses Dranges bewusst, denn er steht über allem anderen, selbst über allem, was bewusst wird. Niemand weiß, was dieser Drang ist und woher er kommt. Man weiß nicht, woher dieses Streben kommt. Es entsteht nicht auf Grund irgendwelchen Bemühens, denn Mühe findet nicht ohne Wissen statt. Doch die Frage ist: ‚Wie ist dieses Wissen entstanden?’ Bhagavan Dattatreya sagte dazu: ‚vielleicht ist es die Gnade Gottes, des Absoluten, oder eine mysteriöse Folge des Evolutionsprozesses, oder vielleicht beruht es auf irgendeinem Prinzip, von dem niemandem etwas bekannt ist, und dessen Sinn weit jenseits des menschlichen Verstehens anzusiedeln ist’.

„Darum verbirgt sich, Narada“, sagte Sanatkumara, „jenseits und über allem in dir, inklusive der Kenntnis der Wirklichkeit, inklusive des Strebens danach, hinter alle dem, die Neigung, sich zu IHM hinzubewegen. Der Geist würde zu denken aufhören, denn er wüsste überhaupt nicht, was er ohne diese Neigung anfangen sollte. Nur wenn diese Neigung hin zur Wirklichkeit da ist, kann dieses Streben danach stattfinden, ansonsten nicht. Dieses ist jetzt dein Meditationsobjekt.“ „Das wollte ich. Wie ist es möglich? Ich wollte dieses Wissen über das Mysterium, über das wir sprechen“, sagte Narada.

19. Vertrauen

Sraddha, Vertrauen in die Existenz der Wirklichkeit, und das Wirken dieser Neigung des individuellen Seins, sich auf die Wirklichkeit hinzubewegen, gehen Hand in Hand. Woher weiß man, dass die Wirklichkeit existiert? Das ist ein Vertrauen, dass im individuellen Geist verborgen ist, durch dessen Neigung der Wirklichkeit man zur Selbst-Verwirklichung drängt. Dieses Vertrauen steht über den Gedanken und dem Verstehen. Dieses hat nichts mit blindem Vertrauen zu tun, sondern ist ein unerschütterliches Gefühl, dass die Wirklichkeit existiert. Sie muss vorhanden sein. Es gibt keinen Zweifel über deren Existenz. Mati und Sraddha gehen Hand in Hand. Darum wird Narada gesagt, dass das Vertrauen in die Wirklichkeit über dem Bewusstsein und seiner Neigung hin zur Wirklichkeit steht, die im Geist wirkt, wenn dieses Vertrauen gegenwärtig ist. Dieses übergeordnete Vertrauen darf man nicht mit dem allgemeinen Vertrauen verwechseln, denn es ist benahe eine Art von Verwirklichung. Nichts ist ohne dieses Vertrauen möglich, dass aus einer höheren Erfahrung geboren wurde. Narada sagte: „Ich möchte, dass sich dieses Vertrauen in mir einpflanzt, großer Meister.“

20. Standhaftigkeit

Wenn jemand fest an die Wirklichkeit glaubt, dann steigt auch dieses übergeordnete Vertrauen auf. Er wird eins mit der Wirklichkeit. Dieses wird als nishtha bezeichnet. Sanatkumara sagte: „Dort wo nishtha ist, ist auch sraddha, und wenn sraddha da ist, ist auch mati vorhanden, die innere Neigung hin zur Wirklichkeit.

Was ist genau mit dieser Standhaftigkeit in diesem Abschnitt gemeint? Es ist die Unfähigkeit des Geistes, auf etwas anderes als die Wirklichkeit zu kontemplieren. Wenn man etwas denkt, dann denkt man nur DAS, ansonsten nichts. Diese Funktion des Geistes wird so grundlegend mit der Natur der Wirklichkeit in Einklang gebracht, sodass man zu dem wird. Dieses ist die Ursache für das innere Vertrauen und das Wirken der Neigung hin zur Wirklichkeit, die zuvor erwähnt wurde.

„Ich möchte gern wissen, was dieses Nishtha ist“, großer Meister, „bitte, gib mir weitere Instruktionen“, sagte Narada.

21. Aktivität

All dieses ist eine Folge eines anderen wichtigen Faktors, d.h. kriti, Selbstkontrolle, die entweder von dem Schüler praktiziert wird/ wurde oder sich aus irgendeinem Grund von selbst eingestellt hat. Mit anderen Worten, es handelt sich um ein Zurückziehen des Bewusstseins von jeder Art äußerlicher Wahrnehmung. Dieses ist eine übergeordnete Aktivität, die hier ausgeübt wird. Die Einstellung der individuellen Natur mit der Wirklichkeit geschieht auf Grund von Selbstkontrolle, die ausgeübt wurde, d.h. die Sinne haben sich von den äußeren Objekten zurückgezogen, und man nimmt die Sinnesobjekte nicht länger als außerhalb des Wissens befindlich wahr. Durch die Selbstkontrolle wird kein Druck auf die Sinne ausgeübt, sondern es handelt sich um ein spontanes Zurückziehen des Bewusstseins von dem Wunsch, sich auf Grund eines höheren Vertrauens, und auf Grund des Strebens nach dem Wissen, nach außen zu den Dingen hinzubewegen. Das Individuum, das Ich, die individuelle Persönlichkeit, das Subjektive, das für die Wahrnehmung der Sinnesobjekte verantwortlich ist, bedeutet nichts mehr und stellt seine Arbeit automatisch in Bezug auf die Wahrnehmung der Sinnesobjekte ein. Wenn die äußeren Sinnesobjekte aufhören, dann hört auch das Subjekt auf bewusst zu existieren. Wenn eine Sache verschwindet, verschwindet auch sein Gegenspieler. Wenn die Welt gegangen ist, dann verschwindet auch das ‚Du’ und das ‚Ich’. Auf beiden Seiten existiert nichts mehr, weder auf der Objektseite noch auf der Subjektseite. Dieses Erreichen steht über allem und übersteigt alles.

„Worin liegt das große Ziel der menschlichen Persönlichkeit in Bezug auf das letztendlich Absolute? Wird man kurz nach dem Erreichen dieses Ziels erleuchtet? Wie kann ich es überhaupt erreichen? Ist diese Aktivität in Form der Selbstkontrolle, die du mir auferlegt hast, und die allen anderen Aktivitäten vorausgeht, wahrnehmbar?“ fragte Narada.

22. Glück

„Nun, oh Narada, werde ich dir erzählen, dass man nichts machen kann, solange es nicht durch das Glück angetrieben wird. Das Glück findet man überall als ein erstrebenswertes Objekt, als ein Objekt der Aktivität, des Wunsches oder als ein Objekt von Unternehmergeist. Über allem Wahrnehmbaren steht das Glück. Jeder versucht, unabhängig von seinem Charakter, glücklich zu sein und entsprechend zu handeln. Man muss das Glück kennen. Es ist die treibende Kraft hinter allem in der Schöpfung“, sagte Sanatkumara.

Der ganze Schöpfungsprozess, die Offenbarung und die Auflösung, die Evolution, alle Aktivitäten des Kosmos sind von Glück getrieben. Es ist das Glück, das versucht, sein eigenes Bewusstsein wiederherzustellen und sich selbst in seiner eigenen ursprünglichen All-Universalität zu etablieren. Dieses ist die Aktivität, der Unternehmergeist und das Streben, die kosmische Evolution. Das Glück ist der Hintergrund von all dem. Es ist das Glück allein.

Schrittweise kommt man zu der Schlussfolgerung, dass alles Bemühen durch das Glück motiviert ist. Dieses ist nicht nur eine praktische Tatsache, sondern eine psychologische Wahrheit. Doch nur diese Erkenntnis über die Voraussetzung von Glück hinter all den Aktivitäten, löst nicht das Problem darüber, wo das Glück zu suchen bzw. zu finden ist, und auch nicht seine Bedeutung hinsichtlich des Bemühens darum. Unter den normalen Lebensumständen denkt man, dass das Glück ein erstrebenswertes Ziel bezüglich eines Objekts ist, das möglicherweise als ein Ort des Glücks gesehen wird. Es klingt zweifellos seltsam, dass verschiedene Subjekte im Bemühen um Glück verschiedenen Objekten in der Annahme nachjagen würden, dass sich in ihnen das Glück verbergen könnte. Dieses bedeutet nicht, dass ein und dasselbe Objekt oder jedes wahrnehmende Subjekt eine Heimstatt des Glücks ist. Dieses wäre eine Ironie der ganzen Angelegenheit. Das Glück scheint insoweit in den Objekten enthalten zu sein, wie sie entsprechend gesehen werden, obwohl es auch wahr ist, dass in dieser Hinsicht kein einzelnes Objekt für alle Subjekte gleichermaßen und zur selben Zeit anziehend wirken muss. Dieses ist der Hintergrund des Zweifels, der sich im Geist bzgl. der ‚Örtlichkeit’ des Glücks erheben mag.

Befindet es sich in mir, in irgendjemand oder in irgendetwas anderem? Wenn es nur im Geist des Subjekts vorhanden wäre, wie es manchmal von Psychologen behauptet wird, dann gäbe es im Geist nichts, was sich zu den Sinnesobjekten hinbewegen würde, um nach Vergnügen zu suchen. Die Tatsache, dass der Geist mit sich selbst unzufrieden ist und sich nach außen orientiert, sollte Indiz genug sein, dass dem Geist irgendetwas fehlt. Diese Lücke im Geist ist der Grund für seine Bewegung nach etwas Äußerlichem. Er sucht nach etwas, was er in sich selbst nicht findet. Es gibt offensichtlich einen Fehler in der Doktrin, dass der Geist allein die Quelle für das ganze Glück sei, denn diese Doktrin wird durch die Aktivität des Geistes widerlegt, die man täglich erleben kann, wenn er sich den Dingen zuwendet, die er nicht in sich selbst findet.

Doch die andere Doktrin, dass die Welt die Quelle des Glücks sei, ist ebenfalls durch eine tiefergehende Analyse widerlegbar, d.h., kein Objekt wäre in der Lage, die Aufmerksamkeit von allen Subjekten zur gleichen Zeit auf sich zu ziehen, nicht einmal von ein und demselben Subjekt für alle Zeiten. Es scheint sich ein Mysterium selbst hinter dieser Annahme einer Gegenwart von Glück in den äußeren Objekten zu verbergen. Doch es muss irgendwo sein. Es kann weder hier noch dort sein, denn die ganze Welt der wahrnehmenden Aktivität ist ein Zusammenspiel von Subjekt und Objekt. Darum muss es auf diesem oder jenem Weg liegen. Mit empirischer Analyse kommt man nicht weiter, wenn man herausfinden will, wo das Glück wirklich ist, denn eine mathematische Analyse führt zwangsläufig zur Analyse der inneren Geistes und der äußeren Objekte. Nichts anderes kann man wirklich entdecken. Das Glück ist weder im Geist noch in den Sinnesobjekten zu finden.

Es bleibt immer noch die Frage: wo ist das Glück? Damit kommt man in dieser Frage nach dem Glück zu einer sehr anregenden Antwort von Sanatkumara. Es befindet sich weder im Geist noch in den Objekten, selbst wenn man sie unabhängig voneinander betrachtet. Glück ist nicht nur auf einige bestimmte endliche Dinge der Schöpfung beschränkt. Wenn es als Besitz des Geistes betrachtet würde, würde das Glück zu einem endlichen Inhalt. Wenn es als das Innere von Sinnesobjekten gesehen würde, wäre es wiederum von endlicher Natur. Angenommen das Glück wäre eine Beimengung zu den Objekten. Da Subjekt und Objekt von endlicher Natur sind, ergäbe die verbindende Aktivität zweier endlicher Naturen nicht mehr als die Summe von etwas Endlichem. Zwei ‚Endlichkeiten’ können nicht mehr als etwas Endliches hervorbringen. Etwas Größeres, physisch oder räumlich, muss der verbindenden Aktivität von Subjekt und Objekt hinzugefügt werden, doch deshalb hört das Endliche in dem Produkt der beiden nicht auf zu existieren. Glück darf letztendlich nicht als etwas Endliches begriffen werden, denn man ist nicht wirklich mit endlichem Vergnügen zufrieden gestellt. Es handelt sich dabei immer nur um Ersatzbefriedigungen. Niemand fragt nach begrenztem Glück, obwohl es logisch nicht als etwas Unendliches definiert werden kann. Der innere Impuls, der nach Glück sucht, ist eine Antwort auf diese Frage. Er beantwortet seine eigene Frage, indem er sagt, dass niemand mit einer bestimmten Fülle von Glück zufrieden ist, das an irgendetwas Endliches gebunden ist. Es ist deshalb weder im endlichen Objekt noch im endlichen Subjekt enthalten, da der innere endliche Container nichts beherbergen kann, was sein Volumen übersteigt.

Darum sagte Sanatkumara: „Oh Narada, Glück ist nirgendwo und doch ist es überall; im vollkommenen Sein kann man das Glück finden.“ Man kann es nicht in irgendeiner Ansammlung von individuellen Dingen finden, auch nicht in Endlichem. Vergängliche Begegnungen oder Situationen werden nicht von endlichen Dingen bestimmt. Selbst wenn Millionen und Abermillionen von endlichen Objekten zusammenkämen, würde daraus letztendlich nichts Unendliches entstehen. Der endliche vergängliche Charakter ist Bestandteil von Endlichem oder Vergänglichem. Selbst die ganze Welt zusammengenommen ist endlich, denn sie ist durch Raum und Zeit, und durch die Gegenwart ihrer inneren Diskrepanz begrenzt. Was ist in dieser Welt nicht begrenzt? Nichts. Wo ist dann das Glück? Es ist nicht in irgendetwas, was durch den Geist oder die Sinne wahrgenommen werden könnte. Glück kann nicht in irgendetwas von dieser Welt sein, denn alles in dieser Welt ist endlich. Seine Definition erfordert eine allgemeingültige mentale Erkenntnis. Die Philosophen bezeichnen das Absolute als ‚spirituelle Fülle’, was die religiösen Anhänger als Gott und was die Psychologen als den ‚absoluten Spirit’ ansehen. Nur die unendliche Wirklichkeit allein, die in allem Endlichen verborgen ist, kann als in sich selbst vollkommen angenommen werden, denn nur DAS allein ist über jeden Kontakt mit dem Endlichen erhaben. Dieses Unendliche ist die Quelle des Glücks; dessen Reflexion in den endlichen Sinnesobjekten ist in gewisser Weise für den Glauben verantwortlich, dass das Glück in den äußerlichen Objekten zu finden sei.

23. Das Unendliche

„Glück ist Vollkommenheit, Glück ist das Absolute“, erklärte Sanatkumara. Der Begriff Bhuma aus dieser Upanishad ist ein neues Wort, das nicht so einfach übersetzbar ist. Es hat seine besondere Bedeutung, denn es beinhaltet etwas Absolutes in Menge und Qualität, ist von einem unverdorbenen Charakter, hat etwas Ewiges, Unsterbliches und schließt Unendliches ein. All diese Vorstellungen sind in dem Begriff Bhuma eingebettet, d.h. man muss es als ‚Absolutes Sein’ übersetzen. Das/ der Brahman aller Upanishads ist dasselbe wie dieser Bhuma aus der Chhandogya Upanishad. Das allein ist Glück.

Wenn nur das allein Glück ist, warum fühlt man Glück mit den Sinnesobjekten? Wenn es wahr ist, dass in den weltlichen Objekten kein Glück enthalten ist, muss sich hinter der Suche nach Glück etwas Geheimnisvolles verbergen. „Die endlichen Dinge beinhalten kein Glück“, sagte Sanatkumara. Wenn nur das Unendliche Glück beinhaltet, wie lässt sich die Entdeckung von Glück in den Sinnesobjekten erklären? Wenn es unmöglich wäre, es in den Objekten zu finden, würde niemand sich um irgendein Objekt scheren. Der Grund liegt vielmehr darin, dass die Gegenwart dieses Bhuma auf eine mysteriöse Weise in jedem Objekt fühlbar ist. Die Existenz der Objekte, heißt es, ist der Grund für die Entdeckung von Glück in ihnen, wobei sie letztendlich nichts weiter als Namen und Formen darstellen. Hinter den Objekten steckt ein Anschein für dieses Reservoir von Glück. Dieses Indiz liegt darin, dass sie eine Situation scheinbarer Vollkommenheit erschaffen, wenn sie mit dem subjektiven Geist in Berührung kommen. Wo immer ein Gefühl von Vollkommenheit vorhanden ist, entsteht Glück. Diese Vollkommenheit mag künstlich entstanden sein. Es ist ein Gefühl von Ganzheit, das in Wirklichkeit nicht oder vielleicht doch vollkommen ist. Was auch immer es ist, selbst der Anschein von Vollkommenheit wird zur Quelle der Erfahrung des Glücks. Die Vereinigung, von welcher Art sie zwischen dem suchenden Subjekt und dem gesuchten Objekt auch immer sein mag, erschafft im wahrnehmenden, erkennenden und suchenden Geist ein Gefühl, dass der Zweck erfüllt wurde. Und dieses Gefühl, dass von dem Gedanken begleitet wird, dass das Ziel erreicht wurde, führt zur inneren Erregung, die von dem Gefühl der Vollkommenheit gekennzeichnet ist. Ein Gefühl der Vollkommenheit, wonach gesucht und was erfüllt wurde, ist dem Geist bewusst geworden. Dieses Gefühl dauert nur einen kurzen Moment, denn der Geist kann sich nicht mit dem Gedanken zufrieden geben, dass der Zweck dadurch erreicht wurde, dass eine Berührung mit einem Objekt stattgefunden hat. Er wurde nur in einen falschen Gefühlszustand versetzt, d.h., dass der Zweck wurde erfüllt. Und dieser Zustand ist nur von kurzer Dauer. Der Geist erkennt, dass unbewusst eine Fehleinschätzung stattgefunden hat, befreit sich von dieser Berührung, löst sich selbst aus dem Kokon, sucht nach einer neuen Quelle des Glücks und empfindet in diesem Augenblick tiefes Elend. Auf diese Weise zieht jede Erfahrung von Glück in dieser Welt vorbei, ist flüchtig, vorübergehend und findet nur für einen Augenblick statt. Es hält nicht einmal fünf Minuten an. Niemand hat Glück länger als fünf Minuten erfahren, denn innerlich entsteht eine Angst, ein Misstrauen, das sich zusammen mit dem Objekt in der Berührungserfahrung erhebt. Dieses Misstrauen entsteht durch die Erkenntnis, dass die Berührung keine wirkliche Vereinigung darstellt, denn wahre Vereinigung zwischen Subjekt und Objekt unterscheidet sich von bloßer physikalischer oder gar psychologischer Berührung. Jeder Berührung haftet ein Makel an. Jedes Zusammenkommen endet mit einer Trennung, was auch immer es sei, sei es in dieser oder in einer anderen Welt. Darin liegt der Grund, warum es nur ein scheinbares Glück bei der Berührung mit den Dingen in dieser Welt gibt. Selbst dieses scheinbare auf einen Augenblick beschränkte Glück wird auf Grund der Gegenwart dieses Bhuma erfahren.

Die Vollkommenheit des Seins ist die Quelle des Glücks. Doch wo ist diese Vollkommenheit des Seins? Sie ist nicht in den Sinnesobjekten, nicht in der Vereinigung von eins und zwei oder in der Vereinigung von Vielem zu finden. Soziale Vereinigung ist überhaupt keine Vereinigung. Menschen kommen zweifellos in einem physischen, psychologischen oder sozialen Sinne zusammen, doch sie sind nicht wirklich vereinigt. Vereinigung ist eine wirkliche Vermischung in ein einzelnes Sein. Worin auch immer die Absicht von Subjekten bei der Berührung mit Objekten liegen mag, sie werden niemals ein Sein. Wenn zwei Menschen zusammenkommen, wird daraus kein Einzelner. Eine Gesellschaft von Menschen wird auch nicht zu einer einzelnen Persönlichkeit. So etwas gibt es nicht, noch hat man je davon gehört. Es wäre auch nicht praktikabel. Wenn es nicht praktikabel ist, dann ist auch das Glück nicht praktikabel.

Die Suche nach dem Glück gleicht einer Suche nach einem Irrlicht. Es ist eine Suche nach einer Fatahmorgana, eines Gebräus des eigenen Geistes. Glück ist nicht im Endlichen zu finden. Das Absolute, die Fülle allein ist Glückseligkeit. „Darum wiederhole ich“, oh Narada, „dieses ist die Wahrheit. Die vollkommene Vereinung des Seins als solches, das ich als Bhuma bezeichne, ist die wirkliche Glückseligkeit. Darum sage ich noch einmal, Bhuma, die Fülle, ist Glückseligkeit. Wie kann man in Bhuma eintreten, wenn man nicht weiß, was Bhuma ist. Darum musst du wissen, was Fülle ist“, sagte Sanatkumara.

„Oh großer Meister, bitte erzähl mir, was dieses Bhuma ist. Weihe mich in das Geheimnis des Seins ein, was Bhuma ist. Was ist Bhuma? Was ist diese Fülle? Was ist diese Vollkommenheit? Wenn diese Vereinigung nicht in dieser Welt gefunden werden kann, wo kann man sie dann finden?“ fragte Narada.

24. Das Unendliche und das Endliche

„Möchtest du wissen, was Vollkommenheit ist? Und möchtest du wissen, was Endlichkeit ist? Hier ist die Definition“, sagte Sanatkumara. „Wo jemand nichts anderes sieht als das eigene Selbst, wo jemand nichts anderes als das eigene Selbst hört, wo jemand nichts anderes als das eigene Selbst versteht, das ist Bhuma, das Absolute; und wo jemand etwas außerhalb davon sieht, hört, denkt oder versteht, das ist das Endliche.“

Das ist es, zusammengefasst in einem einzigen Satz, was Fülle und was Nichtfülle ist. Das Unsterbliche ist Bhuma allein, wohingegen das Vergängliche oder Sterbliche endlich ist. „Oh großer Meister, wo befindet sich Bhuma?“ fragte Narada. „Du fragtest, wo sich dieses große Ewige, Allgegenwärtige, befindet? ES ruht in seiner eigenen Herrlichkeit oder ES ist nirgendwo“, antwortete der Meister. „Es kann nicht sein, dass ES sich in irgendetwas anderem befindet, dass ES von irgendetwas abhängig ist, dass ES irgendetwas zu seiner Unterstützung benötigt, so wie die weltlichen Menschen in einer Gesellschaft. Wie sollte das All-Sein durch irgendetwas anderes unterstützt werden können! ES ist unterstützt alles. Was ist das für eine merkwürdige Frage. ES wird durch sein Selbst unterstützt. ES bedarf keiner Unterstützung, denn ES unterstützt alles. Was sollte diese Frage: ‚wo befindet sich ES?’ Narada, du hast eine falsche Vorstellung, denn du denkst in einer objektiven Begriffswelt.“

Die Menschen betrachten Vieh als etwas Großes. In Indien oder anderswo wird jemand als gut situiert angesehen, wenn er viel Vieh besitzt, Pferde, Elefanten und Gold, wenn er viele Diener um sich hat, große Besitzungen sein Eigen nennt. Dieses nennt man, ein gutes Leben führen. Doch so wird Bhuma nicht unterstützt. ES bedarf all dieser Unterstützung nicht. ES ist nicht abhängig von dieser weltlichen Unterstützung bzw. diesen weltlichen Annehmlichkeiten.

„Ich spreche nicht in dem Sinne von dem Absoluten, wie du ES im Augenblick verstehst, als würde ES etwas zu seiner Unterstützung benötigen“, sagte der Meister. Die Beziehung der Dinge ist die Unterstützung der Dinge in dieser Welt. Alles hängt irgendwie voneinander ab. Doch so etwas gibt es bzgl. Bhuma nicht. ES ist sich selbst genug, ES ist selbstunterstützt, selbstvollkommen und selbstexistent. ES ist kein relatives Sein. ES ist absolutes Sein. Während alles in dem Sinne in dieser Welt irgendwie relativ ist, sodass alles irgendwie sich gegenseitig stützt, alles wird durch etwas anderes definiert, alles wird durch die Existenz von etwas anderem bestimmt, in diesem Sinne existiert Bhuma nicht. ES ist absolut unabhängig. Darum ist ES in jeder Hinsicht unabhängig. ES ist überall. Es ist schwierig zu sagen, wo ES ist, denn das ‚Wo’ setzt die Existenz des Raumes voraus.

„Oh mein lieber Narada, deine Frage ist unberechtigt, ungerechtfertigt. Warum fragtest du, wo ES ist, so als wäre ES in einem Raum! Doch, wenn man einen räumlichen Zusammenhang herstellen möchte, muss man sagen, ES ist in jeder Ecke, überall im Raum. Es gibt keinen Raum, wo ES nicht ist. Es gibt keinen Raum, den ES nicht für sich in Anspruch nimmt.“

25. Das Ego und das Selbst

„Wenn tief hinabsteigt, wird man ES finden. Wenn man hoch hinaufsteigt, wird man ES dort finden. Wenn man sich umdreht, wird man ES finden. Man wird ES auch vor sich, rechts oder links von sich finden. Der gesamte Kosmos ist von ES erfüllt. Es ist nicht nur so ein Gefühl, dass ES alles ist. ES ist alles. Alles, was man sieht, ist nichts weiter als Seine eigene Konfiguration. Bist du nun zufrieden?“
Nun, es mögen bei einigen Leuten leichte Zweifel aufkommen. Grammatikalisch setzt das Wort ‚ES’ eine dritte Person voraus. Ist ‚ES’ denn eine dritte Person, die sich von mir unterscheidet? Nein! Nur das Subjekt zweifelt auf diese Weise. Das Subjekt, das sich vorstellt, ES sei vielleicht eine dritte Person, ist ebenfalls in ES mit eingeschlossen. Bei dem denkenden Subjekt handelt es sich ebenfalls um ES, das als Bhuma bezeichnet wird. ES ist nicht allein das Erhabene. So wie man sagen kann: ‚ES ist alles’, ES ist hier’, ‚ES ist dort’, ‚ES ist überall’, genauso kann man vom Subjekt behaupten, überall zu sein: ‚Ich bin hier’, ‚Ich bin dort’ und ‚Ich bin überall’.

Doch auch hier können Zweifel aufkommen. Was ist dieses ‚Ich’? Ist es das individuelle ‚Ich’, das Ego? Ist es das empirische Subjekt, das sich als ‚Alles’ behaupten will? Nein! Der Atman im Subjekt ist das, was mit Bhuma, dem Kosmos, identisch ist. Darum muss man zwischen dem individuellen Subjekt und der subjektiven Universalität, die hinter den Individuellen steckt, unterscheiden. Das wird als Atman bezeichnet. Darum wird nicht der Jiva als Bhuma identifiziert, sondern der Atman, obwohl es heißt, dass der Raum in einem Gefäß mit dem Raum im äußeren Universum identisch ist. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Raum im Gefäß und anderen Räumen außerhalb, denn der Unterschied, der gemacht wird, findet nur in unserer Vorstellung statt. In Wahrheit gibt es keine zwei verschiedenen Räume, innerhalb und außerhalb. Darum sind Atman und Bhuma identisch. Falls es irgendwelche Zweifel geben sollte, das Ahamkara, das individuelle Subjekt, hier die Voraussetzung ist, sagte der Meister folgendes, um dieses zu widerlegen:

„Das Universale ist auch der Atman in allen Dingen. Es ist das wesentliche Subjekt in Allem. Darum ist das, was kosmisch als Objekt gegenwärtig ist, auch das vollkommene Subjekt. Es ist im universalen Sinne Subjekt und Objekt zur selben Zeit. Dieses verstehe ich unter Bhuma. Nur hier ist das Glück, nirgendwo anders. Was kann man noch dazu sagen? Es wurde bereits alles gesagt, oh Narada. Was möchtest du noch wissen? Jemand, der dieses verwirklicht hat oder weiß, jemand der die Dinge in diesem Licht sehen kann, der auf diese Weise denken oder verstehen kann, der kann als glücklich betrachtet werden. Solch ein Mensch empfindet Freude, der spielt mit seinem eigenen Selbst, der ist in seinem eigenen Selbst verwurzelt.“

Was ist dieses ‚eigene Selbst’? Es ist nicht mein Selbst. Es ist nicht dein Selbst. Es ist kein körperliches Selbst. Es ist kein individuelles Selbst. Es ist das universale Sein, das All-Sein, die All-Gegenwart, Bhuma. Dieses wird als Selbst bezeichnet. Und wenn jemand sagt, er ist selbstzufrieden, dann ist es das Absolute, das sich selbst erfreut. Darüber spricht man; dabei geht es nicht um Herrn Soundso, nicht um diesen oder jenen Menschen, der sich erfreut. Das ist der große Unterschied, wenn man diesen Abschnitt des mystischen Textes wirklich verstehen will. Jemand, der mit so einem Wissen gesegnet ist, dieses Wissen verwirklicht, wird zum Meister seiner selbst, zum Meister aller Dinge. Das Meistern des eigenen Selbst bedeutet das Meistern des Universums. Er wird zum Selbsteroberer, zum Selbstkönig, regiert über das Selbst. Über das Selbst zu regieren bedeutet, über alles zu regieren, was das Selbst in sich trägt, und dieses Selbst ist überall. Darum regiert er über alles überall. Es bedeutet kosmische Regentschaft, was mit dem Wort Selbstkönig gemeint ist, d.h. Atmasvarajya. Atmasvarajya bedeutet hier universale Herrschaft. Es ist die Erfahrung des Gottseins. Dieses ist die Erfahrung, mit dem die gesegnete Seele beschenkt wurde, die in dieses Wissen, diese Verwirklichung, diese Erfahrung eingetreten ist. Diese Persönlichkeit kann jeden Augenblick in jedes Reich eintreten. So wie man in seinem Haus von einem Raum in einen anderen Raum eintreten kann, ohne jedes Hindernis, denn man ist der Herr des Hauses. So kann auch diese befreite Seele, die dieses Wissen erreicht hat, in jede Ebene der Existenz eintreten. Jedes Reich des Seins wird für diese Seele zu einem freien Durchgang, freien Eintritt. Kosmische Freiheit hat von dieser befreiten Seele Besitz ergriffen.

Doch, was ist mit den Menschen, die dieses Wissen nicht haben? Sie werden von anderen Menschen dirigiert. Sie sind nach allen Seiten hin eingeschränkt. Sie werden auf Grund der Umstände wiedergeboren. Wer immer glaubt, dass es Dinge außerhalb von ihm selbst gibt, wird durch diese äußeren Dinge kontrolliert und bezwungen. Wenn jemand in einer Welt von Äußerlichkeiten lebt, wird durch diese Äußerlichkeiten nach deren Gesetzen zu leben gezwungen. Dem kann man nicht entkommen. Ihre Welten sind vergänglich. Was diese bedauernswerten gebundenen Seelen bekommen, ist Staub und Asche. Sie ernten nur Sorgen in dieser Welt. Sie werden nicht glücklich sein, denn sie leben in einer vergänglichen Welt, einer endlichen Welt. Sie bleiben in ihren Erfahrungen eingeschränkt. Dieses sind die Jivas, die gebundenen Seelen, die keine Chance auf dieses große Wissen haben.

26. Der Vorrang des Selbst

Derart gesegnet wird alles, das sich aus seinem eigenen Selbst erhebt. Man braucht weder hier noch dort zu suchen, denn man weiß es. Man muss den Dingen nicht nachlaufen, sondern die Dinge fließen einem zu. Der Ozean kommt nicht zum Fluss, sondern der Fluss zum Ozean. Wer durch diese große Erfahrung, dieses Wissen, diese Weisheit gesegnet wurde, für den ergibt sich alles automatisch aus sich selbst heraus, ausgehend vom eigenen Selbst, in den zuvor erwähnten Schritten: vom ‚Namen’ bis zu diesem Punkt, denn die absolute Ursache beinhaltet alles Folgende in sich selbst. All diese Welten, Raum, Zeit und die fünf Elemente, alles erschaffene Sein, alles, was bis zu diesem Zeitpunkt betrachtet oder durchdacht wurde, muss zur Befriedigung nicht getrennt erarbeitet werden. Alles erhebt sich gleichermaßen aus dem einen eigenen Selbst, dem wahren Selbst, Bhuma, denn das Selbst, was alles ist, beinhaltet alles, und darum kommen all diese Dinge auf den Menschen zu, der aufgehört hat individuell zu sein. Er ist eine Hausmacht, die wie ein Mensch in dieser Welt ausschaut. Er ist ein Jivanmukta. Er ist eine Widerspiegelung des Absoluten, den er verwirklicht hat. Alles kommt auf ihn zu, alles fließt von seinem eigenen Sein, denn er ist das Alles.

Das Kapitel endet hier. Bhuma-Vidya wurde dargelegt. Wer dieses verwirklicht hat, ist frei von jeder Form von Leid, sei es physisch, mental oder andersartig. Für ihn gibt es weder Tod noch Seelenwanderung oder Sorgen. Nichts kann diese Persönlichkeit erschüttern. Indem dieser Mensch zu Allem wird, sieht er alles. Indem er alles erkannt hat, weiß er alles, denn er ist das Alles. Alles wird auf einmal erreicht, nicht wie bei den weltlichen Erfolgen. Alles kommt auf jede Weise auf ihn zu. Dinge kommen nur auf bestimmte Weise, nicht auf allen Wegen. Nicht alle Dinge kommen auf dieselbe Weise. Bestimmte Dinge kommen allein, nicht alle Dinge. Nicht einmal bestimmte Dinge kommen zu bestimmten Zeiten und nicht immer. Zu diesen Zeiten kommen sie nicht in jeder Weise, sondern auf bestimmte Art und Weise. Doch in diesem Fall kommt alles auf einmal, in jeder Weise. Das ist das große Ergebnis, das dieser Verwirklichung folgt.

Von jeder Art der Offenbarung, von jedem möglichen Muster der Existenz oder des Seins fließen die Dinge einer solchen Persönlichkeit zu, denn solch ein Mensch trägt jedes Muster des Seins in sich. Das ist die Bedeutung von sarvam apmoti sarvasah. Die Upanishad wiederholt es auf die gleiche Weise, indem es heißt, dass er zu Allem wird, d.h. von einfach bis zu tausendfach, vielfach usw., was auch immer man sich ausdenken mag. All diese Dinge sind in einer einzigen Erfahrung enthalten. Das ist die Schönheit der Schöpfung. Die Sonne hat einen Lichtstrahl, sieben oder Millionen von Lichtstrahlen.

In den Interpretationen der Upanishad suchen Schriftgelehrte nach einer Absicht hinter diesen Zahlenangaben. Es heißt, dass ES ‚einfach’ eins, ein nicht-duales Sein ist. ES ist dreifach, ES ist Adhyatmika, Adhibhautika und Adhidaivika oder die drei Elemente des Feuers, des Wassers und der Erde. ES ist fünffach, wie die fünf Sinne, und siebenfach, wie die Bestandteile des Körpers. ES ist neunfach, wie die fünf Sinnesorgane und die vier Untergliederungen des Geistes. ES ist elffach, wie die zehn Organe und der Geist. ES ist hundertzehnfach plus eintausend und zwanzigfach, wenn es viele andere Kategorien einschließt. All diese Dinge befinden sich innerhalb dieses einzigen Seins. Das Vielfache, das hier erwähnt wird, dient nur eine Kategorisierung dieser Einzigartigkeit des Seins durch die Kanäle der Wahrnehmung und Erfahrung in den verschiedenen Offenbarungen, den Menschen, den Himmelswesen usw. So wie die Natur in den Inkarnationen, so ist die Natur der Wahrnehmungen und Erfahrungen. Darum werden all die Kategorien in dieses einzige Sein einbezogen. Was man als unbelebte Welt, Pflanzenwelt, Tierwelt bezeichnet, was man als menschliche Ebene und Überwelt der Himmelswesen bis hinauf zu Brahma-Loka ansieht, wird zusammen als eine einzige Wirklichkeit begriffen, in der es keine verschiedenen Ebenen des Seins gibt. ES hat keine unbelebte oder belebte Kategorien. ES kennt keinen Unterschied von Subjekt und Objekt, und ES ist der Seher und das Gesehene zugleich. Dieses Wissen steigt auf, wenn das Bemühen zielgerichtet in die richtige Richtung geht. Es fällt nicht plötzlich vom Himmel, wie eine Frucht, die von einem Baum fällt. Es bedarf großer Anstrengung, um dieses Wissen zu erreichen.

Die Reinheit der Gedanken ist eine Folge der Reinheit der Nahrung. Einige Leute glauben, dass man reine Nahrung zu sich nehmen muss. Doch andere meinen, wenn man falsche und üble Gedanken hegt, selbst wenn man reine Nahrung zu sich nimmt, d.h. Früchte, Milch usw., hilft das keineswegs. Darum wies Sankaracharya besonders darauf hin, dass man über alle Sinnesorgane Reines aufnehmen muss. Man muss Reines sehen, hören, berühren, denken und fühlen. Und was ist Reinheit? Reinheit ist das, was mit der Natur des Absoluten im Einklang ist. Nur das allein ist rein. Was auch immer man wahrnimmt, erkennt, usw. muss mit dem Absoluten harmonieren können. Wenn das Gefühl/ Bewusstsein von Reinheit im Geist aufsteigt, kann sich der Geist konzentrieren und sein Bewusstsein an Bhuma bewahren. Dieses ist das ständige Festhalten, was in der Smriti auch bzgl. Mantras erwähnt wird. Damit kann man niemals das Sein vergessen, das Absolute des eigenen Seins.

Damit lösen sich alle Knoten des Herzens. Die Knoten des Herzens, die Bindungen des Geistes, die psychologischen Knoten sind Unwissenheit, Wunschdenken und das Erfüllen von Wünschen, mit denen man an irdische Erfahrungen gebunden ist. Diese Knoten brechen sofort und man betritt den Ozean des Seins.

Auf diese Weise initiierte Sanatkumara, der große Meister Narada, der von allen Unreinheiten frei ist, ein reifer Schüler, der von einer Ausnahmeerscheinung von Meister instruiert wurde. Sanatkumara wird als Skanda bezeichnet, jemand der die phänomenale Existenz überquert hat. Es gibt auch eine Geschichte über Sanatkumara, der als Skanda oder Kartikeya, der 2. Sohn Sivas, zu dem Zweck geboren wurde, um den Willen der Götter zu erfüllen, wie es in den Puranas und Epen heißt. Was auch immer er war, ob als Gottheit geborener Skanda oder als jemand, der den Ozean der Sorgen überquert hat, in das Absolute hinein und über das Phänomen des Lebens hinweg sprang. Er ist ein Skanda, eine Gottheit, vor der man sich tief verneigen muss, und der uns auf den Weg zum Absoluten mitnimmt.