Das Yoga System

Pratyahara oder das Zurückziehen der Sinne

Wir befinden uns immer noch an der Oberfläche des Yoga. Asana und Pranayama bilden die Oberfläche des richtigen Yoga. Die internen Zweige sind tiefer im Inneren zu suchen. Bei Pratyahara, dem Zurückziehen der Sinne, beginnt der innere Zirkel. So wie Asanas eine Hilfe für Pranayama sind, so ist Pranayama eine Hilfe für Pratyahara. Asana ist die feste körperliche Haltung; Pranayama ist das innere Regulieren bzw. Harmonisieren der Energien durch eine richtige Manipulation des Atems. Pratyahara ist das Zurückziehen der Sinneskräfte von ihren Objekten. Pratyahara bedeutet ‚Wegnehmen‘ oder ‚Zurückbringen‘. So wie ein Reiter die Bewegungen seines Pferd mit dem Zügel in seinen Händen kontrolliert, so kontrolliert der Yogi seine Sinne durch die Pratyahara-Praxis. Um ein Verstehen von der Bedeutung des Pratyaharas zu bekommen, müssen wir zu unserer ersten Lektion im Yoga zurückkehren. Warum müssen wir überhaupt unsere Sinne unter Kontrolle bringen? Yoga ist die Technik zur Verwirklichung des Universalen. Das Individuum muss mit dem Kosmos in Einklang gebracht werden, und dies ist das wesentliche Ziel im Yoga. Die Sinne sind bei diesem Bemühen ein Hindernis. Während das Individuum sich mit dem Universalen zu vereinen sucht, versuchen die Sinne durch eine Vervielfältigung der Interessen von diesem Vorhaben abzulenken. Die Hauptaktivität der Sinne liegt darin zu beweisen, dass es eine äußere Welt gibt, wohingegen die Yogaanalyse bestätigt, dass in Wahrheit nichts außerhalb des Universalen existiert. Wenn wir versuchen würden, wie das Universale zu denken, dann würden die Sinne versuchen, uns daran zu hindern, und würden uns ein Gefühl von Mannigfaltigkeit vermitteln und uns veranlassen, in einer Vielfältigkeit zu agieren. Aus diesem Grunde haben viele Menschen Probleme in der Meditation. Wenn wir versuchen zu meditieren, verhalten sich die Sinne nicht still. Die Sinne lenken vielmehr die Kräfte im Inneren ab und behindern eine Konzentration des Bewusstsein. Die Sinne ermöglichen eine Energieentladung über verschiedene Kanäle; die Hauptkanäle sind das Sehen, das Hören, das Riechen, das Tasten und das Schmecken. So lange wir uns nur um etwas Bestimmtes kümmern, können wir nicht in universaler Bahn denken. Niemand würde an die Existenz des Universalen denken, denn niemand hat es je gesehen. Die Sinne scheinen daran gebunden, einen Unterschied zwischen dem Seher und dem Gesehenen zu schaffen. In Wirklichkeit existiert dieser Unterschied jedoch nicht. Der scheinbare Unterschied wurde durch die Sinne hervorgerufen. Wir sind durch die Sinne in dieser irrigen Erkenntnis wie hypnotisiert. Obwohl wir allmächtig sind, geben sie uns das Gefühl ohnmächtig zu sein, und wir müssen die Schmerzen der Individualität durchlaufen. Ein Millionär kann im Traum die Schmerzen der Armut erleben. Nach einem üppigen Mahl kann man in der Traumwelt Hunger verspüren. Während wir auf unsere vier Wände eingeschränkt sind, erfahren wir im Traum einen ausgedehnten Raum. Während wir in unserem eigenen Zuhause sind, träumen wir, in ein fernes Land geflogen zu sein. Eine eigene psychologisch erschaffene Welt verursacht die unterschiedlichen Erfahrungen. Wenn der Geist die unterschiedlichen Reiche des Bewusstseins betritt, verändern sich der Ort, die Zeit und die Umstände. Die Sinne erzeugen im Traum die Illusion einer äußeren Welt, die ‚draußen‘ nicht existiert. Dies bedeutet, dass wir Dinge sehen können, obwohl sie nicht vorhanden sind. Es ist für uns nicht notwendig, dass es eine wirkliche Welt draußen zu sehen gibt. Der Traum lässt den Einzelnen als Viele erscheinen. Auf diese Weise kommen hier zwei Wahrheiten ans Licht: das Eine kann Viele werden; und wir sehen eine Welt, die es nicht gibt.

Dies genau geschieht selbst im Wachzustand mit uns, - dasselbe Gesetz, dieselben Regeln der Wahrnehmung und dieselben erfahrenden Strukturen. Dass wir eine Welt sehen, heißt nicht, dass sie wirklich existiert, obwohl sie als Wirklichkeit wahrgenommen wird. Nur wenn wir aufwachen erkennen wir, was mit uns im Traum geschieht, doch wir merken es nicht, wenn wir träumen. Die Sinne spielen uns bei den Erfahrungen im Traum und im Wachzustand denselben Streich. Wenn die Sinne aus dem Traum zurückgezogen werden, erwachen wir; wenn die Sinne aus dem Wachzustand zurückgezogen werden, treten wir in die universale Wirklichkeit ein. Aus diesem Grund müssen wir im Yoga Pratyahara erreichen, was der Weg zur Verwirklichung der Universalität ist. Wenn wir die Sinne nicht zurückziehen, wären wir in einer Traumwelt. Wenn wir die Sinne zu ihren Wurzeln zurückbringen, zerplatzt das Luftschloss der Individualität und löst sich im Ozean des Absoluten auf. Wir werden nicht von der Natur der Welt einverleibt, genauso wenig, wie wir das sind, was wir im Traum glauben zu sein. Pratyahara ist wichtig, um den Menschen von dem langen Traum der weltlichen Wahrnehmungen zu erwecken. Dieses sind feine Wahrheiten, über die man meditieren sollte, bei denen wir selbst durch das Hören dieser Dinge gereinigt werden. Selbst wenn man diese Wahrheiten hört, werden die Sünden getilgt. Dieses ist für die Praxis der Sinneskontrolle notwendig. Solange, wie die Sinne an ihren Objekten verhaftet sind, sind wir in einer Welt. Yoga erhebt sich über die weltlichen Wahrnehmungen hin zum universalen Bewusstsein.

Es gibt viele Pratyahara-Methoden. Die Texte behandeln deren Bedeutungen wie große Geheimnisse. Niemand sollte, um zu meditieren, danach forschen, ohne dass er ein reines Herz hat. Man sollte diesen Pfad nicht betreten, solange die Vorbedingungen nicht erfüllt sind. Man sollte seinen Geist nur mit reinem Gewissen in die Meditation führen. Unerfüllte Wünsche sind eine große Gefahr. Den Yogapfad mit heimlichen Wünschen zu betreten, ist wie ein Spiel mit dem Feuer. Sei reinen Herzens, denn das Herz und nicht nur der Kopf muss meditieren. Die Gedanken können nichts erreichen, wenn das Herz irgendwo anders ist und die Gefühle auf ein anderes Ziel gerichtet sind.

Pratyahara behandelt die Grenzbereiche des Yoga. Wer sich mit der Pratyahara-Praxis befasst, befindet sich im Grenzland des Unendlichen, und hier erfährt man übernatürliche Wahrnehmungen. Hier wird meistens der Wunsch nach einem Guru laut. Hier wiederum erfährt man das Zittern des Körpers, einen sprunghaften Geist, Müdigkeit und eine Überaktivität der Sinne. Wenn wir Pratyahara erreichen, werden die Sinne wacher. Ein größeres Hungergefühl, Leidenschaft, mehr Irritationen und Übersensibilität sind einige der frühen Folgen dieser Yogapraxis. Um diese Situation besser zu veranschaulichen, hier ein Beispiel: wenn wir unseren Körper mit einem Stock oder Eisenstange berühren, fühlen wir gar nichts. Doch unsere Augen können auf Grund der Feinheit der Struktur der Augäpfel selbst die Berührung eines seidenen Fadens nicht ertragen. Der Geist wird so feinfühlig, dass er für die leiseste Provokation, für die simpelste Auseinandersetzung empfänglich ist. In Pratyahara sind wir in einer Situation, wo wir im direkten Zugriff der Sinne sind, so wie die Polizei in eine direkte Konfrontation mit Verbrechern gerät, die sich in einem Hinterhalt verborgen hielten und jetzt ohne Rücksicht auf das eigene Leben mit der Polizei kämpfen. In der tödlichen Auseinandersetzung steigert sich die Kampfkraft blitzartig. Wenn eine Schlange im Todeskampf einen Menschen beißt, gibt es kein Gegengift mehr, denn ihr Gift wird in Rage höchst intensiv. Eine Flamme schießt empor, bevor sie austritt. Das Gleiche geschieht mit den Sinnen, wenn sie in Pratyahara gepackt werden. Sie werden überaktiv, überempfindlich und außerordentlich mächtig. Hier kann der unvorsichtige Schüler einen Reinfall erleben. Was kann man dagegen unternehmen, wenn die Sinne derart aktiv und wild werden? Zu diesem Zeitpunkt, in dieser inneren Aufruhr kann man in der unmittelbaren Umgebung die Gegenwart von Objekten nicht ertragen. Während man ein gesellschaftlich normales Leben führt, scheint nichts mehr besonders zu interessieren. Doch nun in der Pratyahara-Stufe wird man derart empfindlich, dass sich die Sinne jeden Augenblick geschlagen geben können. Es ist so, als würde man auf einer Rasierklinge, die kaum wahrnehmbar ist, marschieren. Eine kleine Unaufmerksamkeit kann böse Folgen nach sich ziehen. Subtil, für die Augen unsichtbar und schwer auszumachen ist der Yogapfad. Die zuvor praktizierten Yamas und Niyamas sind in diesem Zustand sehr hilfreich. Die Disziplin der Yamas und Niyamas, denen man sich hier unterwerfen muss, helfen uns gegen die Attacken der Sinne. Auf Grund der Aufrichtigkeit eines Schülers, wird Gott ihn aus der Situation heraushelfen. Dieses ist der Mahabharata-Krieg der Praxis, wo man gegen die Verbeugung der Sinne gegenüber den Objekten und Freuden ankämpft.

Pratyahara sollte Hand in Hand mit Vichara oder einer sorgfältigen Untersuchung aller psychologischen Bedingungen in dem Prozess einhergehen. Die Sinne verkennen sehr leicht die Dinge. Samsara oder die Existenz der Welt ist nichts weiter als ein Gemisch von Fehlbewertungen. Die Sinne sind nicht in der Lage, die Wahrheit zu erkennen; und nicht nur das: sie sehen die Unwahrheit. Sie verwechseln, sagt Patanjali, das Endliche mit dem Unendlichen, das Unreine mit dem Reinen, den Schmerz mit dem Vergnügen und das Nicht-Selbst mit dem Selbst. Dieses sind die schwer wiegenden Fehler, auf die sich der Geist und die Sinne festgelegt haben. In dieser Welt gibt es nichts Dauerhaftes. Alles vergeht, eine Wahrheit, die allen gut bekannt ist. Jeder weiß, dass der nächste Augenblick ungewiss ist, und doch können wir beobachten, wie viel Vertrauen die Menschen in die Zukunft setzen, und welche Vorbereitungen sie für ihr Leben in fünfzig Jahren treffen. In dieser Welt kann nichts auf Grund der Endlichkeit des ganzen Kosmos stabil sein, denn der Kosmos ist in dem Evolutionsprozess gefangen. Und doch nehmen die Menschen die Gegebenheiten als etwas Fortdauerndes hin. Die Sinne können nicht richtig erkennen, was vor ihnen stattfindet. Sie verhalten sich wie Menschen, die mit verbundenen Augen nicht sehen können, was vor ihnen ist. Buddha verkündetet die Doktrin, dass alles vergänglich sei, obwohl die Dinge permanent scheinen, d.h., dass man nicht die Wirklichkeit sehen kann. Es kommt niemals dasselbe Wasser den Fluss hinunter. Es gibt keine fortlaufende Existenz einer brennenden Flamme im Feuer. Es sind alles kleine Teilbewegungen. Jede Zelle des Körpers verändert sich ständig. Jedes Atom schwingt. Alles neigt zu etwas anderem. Alles ist überall Veränderungen unterworfen. Doch für die Sinne gibt es nirgendwo Veränderungen; und alle Dinge erscheinen den Sinnen als etwas Festes. Diesen Sinnen verhaftet zu sein bedeutet, dass der Mensch nicht darauf vorbereitet ist, seinen eigenen bevorstehenden Tod zu akzeptieren. So hoch steht die Weisheit der Sinne im Kurs.

Die Sinne verwechseln auch die Wahrheit mit der Unwahrheit. Wir glauben, dass unser Körper schön und liebevoll ist, und dass andere Körper, die mit unserem Körper verbunden sind, ebenfalls liebevoll sind. Wir umarmen Dinge als wundervolle Formationen, ohne zu wissen, dass ihnen eine wesentliche Unreinheit anhaftet. Um die so genannte Schönheit und Reinheit des Körpers zu erhalten, unterziehen wir uns dem täglichen Bad, waschen und parfümieren uns usw. Und wenn wir diese Reinigungszeremonien nicht durchführen, würden wir erkennen, was der Körper wirklich ist. Wenn man sich einige Tage lang nicht um seinen Körper kümmert, würde seine wahre Natur offenbart. So verhält es sich mit allen Dingen in der Welt. Alle Dinge offenbaren ihre Naturen, wenn man ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt. Wenn der Körper krank ist und verhungert, zeigt er seine wahre Form. Im Alter wird seine wahre Natur sichtbar. Das ist die Schönheit des Körpers, - entliehen, künstlich und trügerisch. Warum erkennen wir nicht dieselbe Schönheit im Körper, wenn er im Sterben liegt oder tot ist? Wohin geht dann unsere Zuneigung für den geliebten Körper? Der verwirrte Geist sieht Dinge, wo keine sind, und konstruiert Werte aus seiner Vorstellung heraus. Dem Hässlichen haftet etwas Schönes an, dass aus einer anderen Quelle stammt und dem Ganzen erst seine Schönheit verleiht, die wie ein Spiegelbild von einem entliehenen Licht durchschimmert, - es ist ein Licht und kein Spiegelbild, obwohl wir normalerweise behaupten, dass der Spiegel scheint. Wir missbrauchen etwas für etwas Anderes. Die Schönheit gehört nicht zum Körper. Sie gehört in Wahrheit zu etwas Anderem, das weder der Geist noch die Sinne visualisieren oder verstehen können. Auf diese Weise beschreiben die Yogaschriften, wie unrein der Körper ist. Woher ist der Körper gekommen? Geht zu seinem Ursprung, und ihr werdet erkennen, wie rein dieser Ort ist. Was geschieht mit ihm, wenn er nicht beachtet wird oder ernsthaft krank ist und wenn er seiner Pranas beraubt wird? Wo bleibt seine Schönheit, wenn die Pranas ihn verlassen haben? Warum sehen wir keine Schönheit in einem Körper? Was hat uns an dem lebendigen Körper gereizt? Den Berichten der Sinne kann man nicht trauen.

Wir verwechseln auch das Vergnügen mit dem Schmerz. Wenn wir leiden, glauben wir, dass es uns Vergnügen bereitet. In der Psychologie ist das mit Masochismus vergleichbar, wo man sich über sein Leiden freut. Man ist derartig in seine Sorgen verstrickt, dass eine kummervolle Situation wie Befriedigung erscheint. Die Menschen haben nie gelernt, was wirkliche Glückseligkeit oder Freude ist. Er wurde in Kummer und Sorgen hineingeboren, lebt und stirbt darin. Diesen Kummer sieht er fälschlicherweise als normale Situation an. „Als Folge der Befriedigung eines Wunsches, wird die Angst, die mit dem Wunsch einhergeht, das Gefühl der Freude bei der Wunscherfüllung im ständigen Fluss der Veränderungen der Gunas der Prakriti zu verlieren, als schmerzhaft empfunden“, sagt Patanjali. Nur der unterscheidende Geist kann diesen Fehler, der in der Struktur der Welt enthalten ist, entdecken.

Um die Freude bei einer Wunschbefriedigung zu wiederholen, werden konsequenterweise weitere Wünsche generiert. Ein Wunsch löst eine Feuersbrunst aus, wenn er durch immer neue Wünsche angefüttert wird. Der Wunsch dehnt sich aus. Das Wunschgefühl kann nicht durch deren Erfüllung besiegt werden: dieses ist eine große Wahrheit, die in den Yogatexten immer und immer wieder wiederholt wird. Die Folge der Befriedigung eines Wunsches ist nicht wirklich die Freude, obwohl man dies glaubt, sondern, es werden nur neue Wünsche erzeugt. Niemand kann sagen, wie lange sich das fortsetzt; denn dies kennt kein Ende. Niemand will sterben, denn das Sterben in dieser Welt bedeutet, dass man die Zentren der Freude verliert. Der Mensch ist schockiert, wenn er von seinem nahen Tod erfährt. Wünschen ist die Ursache für seine Todesängste. Die Konsequenzen aus einer Wunschbefriedigung sollte jedem zu denken geben.

Wenn wir von einem Wunschobjekt besessen sind, dann sind wir im Kern nicht wirklich glücklich. Wir fühlen eine innere Unruhe. Wenn wir rundum zufrieden sind, schlafen wir trotzdem nicht besser. Reiche Menschen sind nicht glücklich. Ihre Verwandten könnten ihnen ihr Hab und Gut stehlen, Diebe könnten sie berauben und die Regierung könnte sie enteignen. Es heißt nicht, dass wir glücklicher sind, wenn wir das Objekt unserer Begierde letztendlich besitzen. Wir waren unglücklich als wir das Objekt noch nicht besaßen, und wir sind auch nicht glücklicher, wenn wir es besitzen.
Es gibt einen anderen Grund der Unzufriedenheit. Befriedigungen erfüllter Wünsche erzeugen unbeabsichtigt feine psychische Eindrücke. Wenn wir vor einem Mikrofon sprechen oder singen und eine Platte (Tonträger) aufnehmen, erzeugen wir Rillen, und der Klang kann später wieder gegeben werden. Das Gleiche geschieht durch die Freuden der Objekterfahrungen in unserem unterbewussten Geist, die nach gewisser Zeit in unseren Kopf zurückkehren können, selbst wenn man nicht mehr an sie denkt oder gar nach vielen Geburten, wenn längst alle Ereignisse vergessen wurden, und wenn sie nicht mehr erwünscht sind. Die Eindrücke, die durch freudige Ereignisse entstanden sind, können uns in der Zukunft zur Qual werden.

Es gibt noch einen vierten Grund: die Drehung des Rades der Gunas der Prakriti. Prakriti ist ein Name, der für die Matrix aller Substanzen steht, als da sind: Sattva, Rajas und Tamas. Sattva steht für Transparenz, Reinheit und die Ausgewogenheit der Kräfte. Rajas bedeutet Ablenkung, Teilung und Aufsplittung der Dinge. Tamas bedeutet Trägheit, weder Licht noch Aktivität. Dies sind die drei Arten der Prakriti, und unsere Erfahrungen beruhen auf die Verbindung mit diesen Arten. Wir sind dumpf, wenn Tamas in uns vorherrscht, wir sind bekümmert, wenn Rajas in uns aktiv ist, und wir sind glücklich, wenn Sattva die Oberhand hat. Wir können nur glücklich sein, wenn Sattva aufsteigt. Wir können nicht immer glücklich sein, denn Sattva steigt nicht immer auf. Das Rad von Prakriti dreht sich beständig und kommt niemals zur Ruhe. Sattva steigt gelegentlich auf und geht wieder unter. Wenn es aufsteigt, fühlen wir uns glücklich, und wenn es sinkt, sind wir unglücklich. Bei einem sich drehenden Rad kann keine Speiche angehalten oder immer an derselben Position fixiert werden. Mit dem Glück verhält es sich in dieser Welt so: es ist nicht beständig, sondern kommt und geht. Die ganze physische und psychische Welt ist für den unterscheidenden Geist eine Quelle des Schmerzes. Selbst die kurzlebige Freude der Welt ist, wie man herausgefunden hat, nur ein Zeichen der Offenbarung biologischer Spannungen, ein Nervenkitzel und eine Täuschung des ungebildeten Geistes.

Das Nicht-Selbst wird mit dem Selbst verwechselt, was ein sehr ernst zu nehmender Irrtum ist, zu dem wir uns täglich bekennen. Wenn wir irgendetwas lieben, übertragen wir das Selbst zum Nicht-Selbst und flößen dem Nicht-Selbst Charaktereigenschaften des Selbst ein. Das Selbst ist das, was erkennt, sieht und erfährt. Dies ist unser Bewusstsein. Dasjenige, was gesehen oder erfahren wird, und worauf wir uns als Objekt beziehen, ist das Nicht-Selbst. Das Nicht-Selbst hat kein Bewusstsein. Dass das Wesen, wie der Mensch, ein Bewusstsein hat, ist kein Argument gegen ihn als Objekt, denn das, was gesehen wird, ist die menschliche Form und nicht das Bewusstsein. Das Objektive in den Dingen ist das, was sie zu Objekten macht. Für die Objekte ist die Welt nicht bekannt; nur das ungebrochene Bewusstsein kennt die Welt. Nicht die Welt fühlt eine Welt, sondern nur das wissende subjektive Bewusstsein. Das Bewusstsein wird sich der Gegenwart eines Objektes durch eine mysteriöse Aktivität, die auf der psychologischen Ebenen stattfindet, bewusst. Wie wird es sich beispielsweise eines Berges bewusst? Dieses Phänomen ist nur sehr schwer zu verstehen, obwohl es uns täglich begegnet. Ein Berg, der sich vor dem Betrachter auftut, betritt nicht dessen Augen oder Geist. Der Berg ist weit entfernt, und doch scheint man sich seiner Existenz bewusst zu sein. Die Augen kommen nicht mit dem Objekt in Berührung; das Objekt betritt das Subjekt auch nicht körperlich. Wie kann das Bewusstsein dann Kenntnis von dem Objekt (Berg) erhalten? Man kann sagen, dass die vom Objekt permanent ausgesandten Lichtstrahlen auf die Netzhaut des (Subjektes) Betrachters treffen, wodurch das Subjekt Kenntnis von dem Objekt erhält. Doch weder das Objekt noch die Lichtstrahlen verfügen über ein Bewusstsein, und eine träge Masse kann keine bewusste Reaktion erzeugen. Wie wird ein Objekt dann erkannt? Das Geheimnis der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt scheint unterhalb der äußeren Form versteckt zu sein. Die Sinne berichten uns von ihrer Kenntnis eines Objektes, das sie durch die Lichtstrahlen erfasst haben. Die Augen können nicht von allein sehen, und die Lichtstrahlen können auch nicht von sich aus das Objekt offenbaren. Die Lichtstrahlen können vorhanden sein, das Objekt mag dort sein, doch, wenn der Geist umher wandert, kann das Objekt nicht erkannt werden. Allein der instrumentale Faktor der Sinne scheint für die Wahrnehmung notwendig zu sein. Ist nun der Geist ein Subjekt oder ein Objekt? Oder ist er intelligent? Das Minimum, das man für die Wahrnehmung erwarten kann, ist Intelligenz. Angenommen, der Geist sei so intelligent wie ein Spiegel, von dem man behauptet, dass er von sich aus strahlen würde. Wenn man nicht behaupten kann, dass ein Spiegel von sich aus scheint, dann kann man auch nicht sagen, dass ein Geist von sich aus intelligent ist. Ein Licht scheint, aber nicht der Spiegel selbst. Es ist ein höheres Bewusstsein, das selbst den Geist erleuchtet. Die Natur dieses Bewusstseins ist nicht einfach zu verstehen, denn ES versteht selbst. Wer könnte ES beschreiben, das hinter allen Erklärungen steht? ES ist das Wissen hinter allem Verständnis. Wer versteht das Verständnis? In uns ist eine mysteriöse Wirklichkeit, durch die wir alles erkennen, die jedoch niemand Anderen bekannt ist. Diese Intelligenz verfügt über den Geist, wie ein Lichtschein über den Spiegel. Der Geist (ES) reflektiert sich selbst in dem Objekt, so wie eine Wand durch einen im Spiegel reflektierten Lichtschein erhellt wird. Das Objekt wird durch die Aktivität des Geistes lokalisiert und die im Geist innewohnende Intelligenz nimmt es wahr. Die Intelligenz agiert nicht direkt, sondern sie wird durch den Geist als Medium ausgerichtet. Ein Lichtstrahl dringt durch die Linse des Geistes und konfrontiert das Objekt. Die Intelligenz erblickt das Objekt durch den Geist als Instrument.

Wie kommt Intelligenz mit unbewusster Materie, die wir als Objekte erkennen, in Berührung? Wie kann das Bewusstsein von einem Objekt Kenntnis haben, wenn es zwischen beiden keine verwandtschaftlichen Beziehungen gibt? Und doch muss es solch eine Verwandtschaft geben, denn es kann sich nicht nur um eine materielle Beziehung handeln, wie fest die Philosophien über Materialismus daran auch fest halten mögen, denn Materie hat kein Verstehen. Sie hat weder Augen noch Intelligenz. Wer sieht dann die Materie? Da Materie blind ist, kann sie keine andere Materie sehen. Ohne Intelligenz ist alles bedeutungslos, und sie unterscheidet sich von Materie. Die Intelligenz erkennt die Existenz von Materie. Wie kommt sie nun mit Materie in Berührung, wenn die Letztere nicht mit ihr verwandt ist, denn die Materie kann nicht mit Bewusstsein in Verbindung gebracht werden. Wenn das Bewusstsein nicht in der Materie verborgen ist, kann es die Materie nicht wahrnehmen. Wenn Wahrnehmungen irgendeine akzeptable Bedeutung haben sollen, dann muss Materie letztendlich bewusst sein. Wenn Wahrnehmungen möglich sind, dann muss das Selbst sogar im Nicht-Selbst vorhanden und das Bewusstsein muss universal sein. Doch die Sinne können das Universale Bewusstsein nicht sehen. Sie können nur äußere lokalisierte Objekte erkennen. Sie projizieren fälschlicherweise ein Phantom von etwas Äußeren und erschaffen ein Objekt aus der universalen Wirklichkeit. Das Objekt wird künstlich mit dem Subjekt verbunden. Wenn die Sinne ein äußeres Objekt erfassen, das wie ein materielles Etwas erscheint, findet eine Übertragung der Werte zwischen dem Subjekt und dem Objekt statt. Das innere Selbst, das universales Bewusstsein ist, bestätigt seine Verwandtschaft mit dem Objekt, doch, wenn dies mit Hilfe des Geistes stattfindet, herrscht Liebe für das Objekt vor. All diese Liebe, die universalen Ursprungs ist, fühlt die gemeinsame Schöpfung. Diese universale Liebe wird verzerrt, wenn sie durch die Sinne zu den Objekten übertragen wird. Anstatt alle Dinge gleichermaßen zu lieben, lieben wir nur bestimmte Dinge und schließen Anderes aus. Hierin liegt der Fehler des Geistes, der Fehler in der Zuneigung, wenn die Übertragung durch die Sinne ohne Kenntnis von seinem universalen Hintergrund stattfindet. Während spirituelle Liebe universal ist, ist die Liebe der Sinne differenziert und erzeugt damit Hass und Angst. Individuelle Wünsche haben Bindungen in ihrem Schlepptau.

Das Selbst wird in dem Sinne mit dem Nicht-Selbst und umgekehrt verwechselt, so wie das Universale vergessen und auf bestimmte Objekte projiziert wird, und die Sinne bestätigen diesen Unsinn auch noch, indem sie das Nicht-Ewige für das Ewige, das Unreine für das Reine und den Schmerz für die Freude annehmen. Dem Pratyahara wird durch diese Analyse geholfen, denn die Sinne ziehen sich durch dieses Verstehen von den Dingen, denen sie anhaften, zurück. Die Verwicklung der Sinne in ihre Objekte und ihre organische Verbindung mit den Objekten ist derart tief und kraftvoll, dass es nicht leicht ist, das Bewusstsein von der Materie zu befreien. Genauso wenig, wie man die Haut vom eigenen Körper lösen kann, genauso schwierig ist es, die Sinne den Dingen zu entwöhnen. Die organische Verbindung, die zwischen den Sinnen und den Objekten künstlich erschaffen wurde, sollte durch Vichara oder philosophische Untersuchungen durchtrennt werden. Dieses ist die Stufe in Vairagya oder Leidenschaftslosigkeit für Etwas, was nicht wirklich ist.

In Pratyahara ist es nicht immer notwendig, dass die Sinne aktiv sein müssen. Häufig genug scheinen sie sich ruhig zu verhalten, und doch verursachen sie beim Schüler große Unruhe. Wenn sie im positiven Sinne aktiv sind, ist sich der Schüler ihrer bewusst, wenn sie sich jedoch zurückziehen, ist es schwierig, sie wahrzunehmen. Die Aktivitäten haben Stufen oder Formen der Offenbarung. Ein Mensch, der Böses im Schilde führt, mag sich ruhig verhalten, doch das bedeutet nicht, dass er inaktiv ist, denn er kann über irgendwelche Winkelzüge nachdenken, die er zu gegebener Zeit in Angriff nehmen wird. Im Augenblick mag sein Aktionsradius auf Grund einer wachsamen Polizei, und wenn er von verschiedenen anderen Seiten verfolgt wird, eingeschränkt sein. Wenn er überarbeitet und erschöpft ist, ist er kaum aktiv. Doch das muss nicht heißen, dass er von seinen subtilen Absichten ablässt oder frei von allen Aktivitäten bleibt. Manchmal kann es geschehen, dass er auf Grund einer Heirat, der Geburt eines Kindes oder der Krankheit seines Sohnes, seine Aktivitäten aufgibt. Diese Einstellung der Aktivitäten muss nicht unbedingt bedeuten, dass er alle Pläne aufgibt. Erst wenn alle Umstände zu Ende gekommen sind, wird er seine Absichten aufgeben.

Genauso verhält es sich mit der Arbeitsweise der Wünsche. Sie mögen eingeschlafen sein, sich dünne gemacht haben, aufgehalten worden sein oder anderweitig beschäftigt sein. Wenn wir schlafen, schlafen auch die Wünsche; sie erwachen am nächsten Tag zu neuer Stärke. Sie werden ebenfalls müde und stellen ihre Aktivitäten eine Zeit lang ein. Sie mögen ruhen, wenn sie auf Grund gesellschaftlicher Gesetze frustriert sind, wenn ihnen der Sinn nach Erfüllung abhanden gekommen ist oder die Gegenwart von irgendetwas die Zufriedenheit behindert. Wenn sie frustriert sind, sind die Aktivitäten vorübergehend unterbrochen. Wenn man sich in einer Umgebung befindet, die nicht zur Wunscherfüllung einlädt, dann wird ihre Willenskraft unterdrückt, und dies geschieht auch durch den Schlaf. In der kosmischen Pralaya oder der letztendlichen Auflösung, wenn alle Individuen sich in ihren ursächlichen Zustand des Universums auflösen, verbleiben die Sinne mit ihren latenten Wünschen in Samenform. Die Wünsche sind nicht völlig blind, denn sie wissen, wie man die Umstände für das Wachstum und deren letztendliche Erfüllung erzeugen kann. Selbst Instinkte haben Intelligenz. Manchmal wird die Intelligenz durch Instinkte erdrückt. Intelligenz rechtfertigt häufig Instinkte und vertieft ihre Arbeit.

Obwohl dies für die Wünsche im Menschen das Normalste in der Welt ist, so werden diese Wünsche bei Yogaschülern allmählich ausgedünnt. Sadhana dünnt sie aus, schwächt sie, obwohl sie nicht so ohne weiteres zerstört werden können. Die Wünsche verlieren in Gegenwart eines spirituellen Gurus, in einem Tempel oder an einem Ort des Gebets ihre Kräfte, denn das ist nicht die Atmosphäre für ihren Auftritt. Dies ist für die Wünsche eine andere Situation, wo sie dünn (Tanu) und schwach bleiben.

Bzgl. der Wünsche gibt es eine dritte Ebene, auf der sie in ihren Aktivitäten gelegentlich unterbrochen (Vichhinna) werden. Man liebt seinen eigenen Sohn, doch über einen Fehler oder über sein unschönes Verhalten, wird man ärgerlich. An dieser Stelle hört die Liebe nicht auf, sondern wird durch die aufgetretenen Umstände vorübergehend unterbrochen. Dies geschieht manchmal auch zwischen Eheleuten. Liebe wird durch Hass unterdrückt und umgekehrt, wie es sich ergibt. Für gewisse Zeit kann ein Objekt der Zuneigung wie ein Gegenstand des Hasses aussehen. Wir können beobachten, wie eine Affenmutter ihr Baby daran hindert zu essen, indem es dem Kind selbst vor dem Maul ein Stück Brot wegschnappt. Dies heißt nicht, dass die Mutter ihr Baby hasst. Wir können auch die ausgedehnte Anhänglichkeit der Affenmutter für ihr Baby beobachten. Liebe und Hass sind mysteriöse Bedingungen, und wir wissen solange nicht, wo wir stehen, bis wir durch gegensätzliche Kräfte zurückgedrängt werden. Manchmal ist man Himmel hoch jauchzend und manchmal zu Tode betrübt. Häufig empfindet man Niedergeschlagenheit und Melancholie. Kleine unerfreuliche Ereignisse werfen uns aus der Bahn, obwohl wir kurz zuvor noch glücklich waren. Andererseits sind wir, wie aus heiterem Himmel, auf Grund freudiger Nachrichten erregt. Dieses sind die Auslöser, die auf dem ruhigen See des Geistes durch die wechselnden Winde der Wünsche, Höhen und Tiefen hervorrufen können. Der Geist tanzt im Rhythmus der Sinne.

Es gibt immer wieder Beispiele, wo Suchende über lange Zeit ihre Sinne im Griff zu haben schienen, und dann doch unerwünschten Aktivitäten nachgaben. Wenn es manchmal keinen Fortschritt zu geben scheint, hat man das Gefühl, dass alle Mühe vergeblich sei; doch dann plötzlich verspürt man große Freude. Dies widerfuhr auch Buddha. Er verlor alle Hoffnungen, selbst einen Tag vor seiner Erleuchtung. Er glaubte, sein Ende sei gekommen. Doch die Blase platzte am nächsten Tag und die Erleuchtung dämmerte. Suchende steigen, wie auf einem Bergpfad, immer wieder hinauf und hinunter. Der Yogaschüler sollte wachsam sein und sollte weder voreilige Entscheidungen treffen noch aus seiner tagtäglichen Stimmungslage voreilige Schlüsse ziehen. Heute kann alles wundervoll ausschauen; doch es kann auch ein Sturm der Gefühle nachfolgen, der die Hoffnungen und Erwartungen erschüttert. Dieses ist die Guerillataktik, der Lohn die wunscherfüllten Sinne, wenn man versucht, dieselben zu kontrollieren oder ihre Aktivitäten zu zügeln. Wenn wir die Sinne ständig beobachten, grollen sie und wollen sich unser bemächtigen. Niemand möchte in seiner Freiheit eingeengt werden.

In welcher Situation sich die Wünsche auch immer befinden mögen, - schlafend, ausgedünnt oder unterbrochen, - sie sind immer noch vorhanden und nicht vergangen. Bei günstiger Gelegenheit können sie wieder erstarken. Wir können Wasser auf ein Feuer gießen, um es zu ersticken, doch wenn ein Funke zurückbleibt, obwohl das große Feuer verloschen ist, so kann dieser Funke einen riesigen Flächenbrand entfachen. Dieses geschieht häufig in Wäldern, wo ein kleiner Holzstoß vor sich hin schwelt. Der zurückgelassene Funke offenbart sich bei günstiger Gelegenheit. Obwohl die Wünsche ausgedünnt sind, sind sie nicht zerstört, und können bei günstiger Gelegenheit wieder mächtig werden.

Wünsche, die unter sehr günstigen Umständen platziert werden, entwickeln ihre ganze Aktivität (Udara), und dann verursachen sie einen Flächenbrand, den niemand mehr löschen kann. Die kleine Unterscheidungsfähigkeit eines Schülers wird durch die Macht der Wünsche ausgelöscht. Buddha sagt: Die ganze Welt besteht aus Feuer. Erfahrungen sind das Feuer der Wünsche; die Augen sind das brennende Feuer; die Ohren und die anderen Sinne brennen mit den Wünschen. Die geistigen Fähigkeiten wurden in diesem Feuer gefangen. Gemäß Buddha ist die Welt leibhaftig eine brennende Kohlengrube. Die vier zuvor beschriebenen Situationen zeigen nur eine weitere Aufteilung der Wirkungsweise der Wünsche. Doch die Wünsche nehmen viele unterschiedliche Facetten an, seien sie verdeckt oder aktiv. Der Geist erschafft zu seiner Verteidigung eigene Mechanismen gegen den Angriff von Yoga. Er verdrückt sich aus dem Rampenlicht, wo er beobachtet werden kann und der Schüler kann sein Ziel verfehlen. Und er kann sich hinter jeder der vier zuvor erwähnten Techniken verstecken. Er kann all seine Aktivitäten in andere Kanäle umleiten. Dieses ist eines der Verteidigungssysteme des Geistes. Wenn ein Schüler im höheren Stadium des Geistes beobachtet, dass der niedere Geist an ein Objekt gebunden ist, dann wird er die Situation besonders im Auge behalten. Doch es bedarf einer scharfsinnigen List, um dieses Objekt zu überwinden und sich sicher etwas Anderem zuzuwenden, indem er sich ein Bild erschafft, wo die Bindung überwunden ist. Die Liebe wird von einem Punkt auf einen anderen übertragen. Der Schüler mag sich wie in einer Irrenanstalt vorkommen, wenn man bei dieser Übung nicht alle Sorgfalt walten lässt. Er mag glauben, dass ihm die Zuneigung entzogen wurde, denn er hat das Gefühl, dass alles so schwierig wie zuvor ist, nur dass er sich jetzt auf etwas Anderes konzentriert. Der Fluss hat eine andere Richtung eingeschlagen und überschwemmt jetzt ein anderes Dorf. Wenn ein Tiger verfolgt wird, weiß man nie, wen er sich als nächstes Opfer wählt.

Der Geist kann von seiner normalen Technik abweichen und einen anderen Weg einschlagen. Wenn man beharrlich die Wünsche verfolgt, wo auch immer sie sich hinflüchten, kann dies deren Wanderung zu irgendwelchen äußeren Objekten aufhalten; doch sei bis zum Ende der Wünsche auch innerlich auf der Hut. Wenn alle Kanäle zerstört sind, kann man sich auch innerlich immer noch über ein Objekt erfreuen. Wenn alle Kanäle zerstört sind, kann man sich die Objekte vorstellen und auf diesem Wege eine psychologische Zufriedenheit anstreben. Wenn das Beste für den Geist nicht erreichbar ist, wählt er sich das Nächstbeste aus, und wenn nichts zur Verfügung steht, erfreut er sich seiner gedanklichen Objekte. Wenn die Wachsamkeit selbst diese Situation einbezieht, wird der Geist versuchen, sich selbst zu manipulieren, indem er seinen negativen Charakter auf andere Personen oder Objekte projiziert. Wenn ein kleinerer Affe von einem Größeren verfolgt wird, fängt der Kleinere an zu krakeelen und lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Affen in der Nähe, und dann wird die ganze Gruppe diese dritte Partei angreifen wollen, sodass die ursprüngliche Rangelei darüber vergessen wird. Es gibt Menschen, die sich rechtschaffen fühlen, wenn sie auf die Fehler anderer hinweisen. Kleine Leute werden groß, wenn sie große Seelen mit „Schmutz“ bewerfen. Dieser Trick des Geistes ist wunderbar. Der wunschvolle Geist findet eine üble Lücke, den wachsamen Geist anzuekeln. Auf diese Weise findet er ein Ventil für seine Aktivitäten. Man mag hier sich der Fehler in seiner äußeren Umgebung bewusster zu werden, aber dabei vergessen, was in einem selbst vorgeht. Inzwischen tut der niedere Geist seine Arbeit. Träume, Fantasien, Luftschlösser sehen die äußeren Fehler und sind der Verteidigungsmechanismus, damit sich der Geist dem Zugriff der wachsamen Intelligenz entziehen kann. Welcher Mühen man sich auch immer unterzieht, um den Geist zu unterwerfen, diese Mühen werden niemals für die Impulsivität der Sinne ausreichen. Die Bhagavadgita warnt uns, dass die Kräfte der Sinne uns und unser Verstehen wie einen Wirbelwind davontragen können. Die Manusmriti sagt, dass die Sinne die Macht haben, selbst den Geist eines Weisen vom rechten Weg abzubringen. Die Devimahatmya sagt, dass Maya (Illusion) selbst durch ihre Kraft, Wissende beeinflussen kann.

In Pratyahara können die häufigen Rückschläge dem Schüler Furcht einflößen. Patanjali hat in seinen Sutras die Schwierigkeiten ausführlich beschrieben. Neben den zuvor beschriebenen positiven Veränderungen, gibt es auf dem Weg auch Probleme. Krankheiten (Vyadhi) können sich auf Grund der veränderten Essweise einstellen; Übertreibungen können sich negativ auswirken, die durch die Praxis auf die Pranas ausgeübt werden. Krankheiten sind im Yoga ein großes Hindernis. Die Krankheiten können eine physische oder psychische Ursache haben und durch eine Unachtsamkeit gegenüber der eigene Natur oder als Reaktion auf die eigene Praxis verursacht worden sein. Auf diese Weise kann der Schüler nach der Praxis einiger Jahre der ganzen Sache überdrüssig werden und zu dem Schluss kommen, dass alles nutzlos gewesen wäre. Er verfällt in eine Niedergeschlagenheit (Styana). Er fühlt sich völlig allein gelassen und niemand kann ihm helfen. Dieser Gedanke wird derart übermächtig, dass er darüber das vor ihm liegende Ideal vergisst. Er kann sich schwach fühlen, wiederkehrende Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit stören sein Gemüt. Im Körper können sich Schmerzen entwickeln und er kann unter Appetitlosigkeit leiden. Die Verdauung verliert ihre Kraft. Dieses sind vorübergehende Reaktionen des Prana und des Geistes, die beide kontrolliert werden. Diese Phasen gehen vorüber; man muss deshalb nicht besorgt sein. Auf Grund der bewussten Konzentration des Geistes (keine spirituelle, sondern eine besondere Wachsamkeit) können dem Schüler gelegentlich lästige Gefühle widerfahren. Diese äußerlichen Symptome können den Schüler eine beträchtliche Zeit lang ärgern. Pratyahara ist irgendwie ein Gerangel zwischen der inneren und der äußeren Natur. Dieses sollte die Hintergründe aufklären. Der innere Krieg ist ebenso kompliziert wie der äußere, wobei es genauso viele Richtungsänderungen, wie im richtigen Krieg gibt. Die inneren Schlachten sind schwieriger als die äußeren zu gewinnen, denn auf dem Schlachtfeld draußen stehen viele Menschen und Hilfsmittel zur Verfügung, wohingegen im Inneren diese Unterstützungen nicht vorhanden sind. Die innere Schlacht geht ohne Pause ständig weiter. Nur im Schlaf, in der Ohnmacht oder im Tod scheint es einen Waffenstillstand zu geben. Es kann sich auch ein Zustand der Mattigkeit einstellen, wobei man nicht einmal in der Lage ist, in einer Asana zu sitzen. Der Schüler ist zu müde, um zu meditieren. Eine Dumpfheit stellt sich ein, verlangsamt alles, und er beginnt, alles auf die leichte Schulter zu nehmen, behandelt alles lustlos. Dies geschieht nach einigen Jahren der Mühe. Styana ist die Schwerfälligkeit von Körper und Geist. Ein Anflug von Zweifel (Samsaya) kann auf Grund des fühlbaren Fortschritts in der Sadhana den Geist befallen. Der Schüler weiß nicht, wie weit es noch bis zum Ziel ist. Der Schüler trottet voran, doch er kennt die Entfernung zum Ziel nicht. Es gibt keine Karte, um die Entfernung auszumachen. Die Unfähigkeit, die noch verbleibende Entfernung zu bestimmen, erzeugt Unsicherheit. Zweifel können auch auf Grund des Studiums zu vieler unterschiedlicher Schriften entstehen, wobei sich die Aussagen widersprechen mögen. Es ist mit Schwierigkeiten verbunden, ein guter Richter über die verschiedenen bzw. gegensätzlichen Schriften zu werden. Die Unwissenheit über die eigene Situation bringt Zweifel und führt zum Ortswechsel, zum Wechsel des Gurus, des Mantras, die Form der Meditation usw. Diese Veränderungen werden in der Hoffnung vorgenommen, dass daraus positive Resultate zu erzielen sind. Doch unter den veränderten Bedingungen findet man heraus, wo man stand, und nimmt weitere Veränderung vor. Der wirkliche Fehler ist nur schwer zu erkennen. Solch ein zweifelhafter Charakter ist ein Hindernis im Yoga. Die Reaktionen, die der Geist und die Sinne produzieren, können unterschiedlichste Formen annehmen, und der instabile Geist, durch den man weder an einen Ort noch an einer Sache klebt, ist nur ein Beispiel dafür. Das Verhaftetsein beinhaltet eine hohe konzentrierte Aufmerksamkeit, und doch liegt die Schwierigkeit in der Praxis. Der Geist wird überdrüssig, wenn er immer wieder dieselben Menschen, denselben Ort oder dieselben Dinge vor sich hat. Es entsteht der Wunsch nach Veränderungen, um die Monotonie zu überwinden. Daraus entwickelt sich der Zweifel, wodurch der Schüler einen Verlust an der Wildheit des Lebens erleidet. Der Geist, der durch Unachtsamkeit (Pramada) unstet und verwirrt ist, ist ein weiteres Hindernis. Zweifel entstehen auf Grund von Gedankenlosigkeit. Der Schüler erlaubt seinem Gegner während des Schlafes einzutreten, und wenn er aufwacht, hat sein Gegner bereits Besitz von ihm ergriffen. Der Wunsch nach Wachsamkeit hat ihn befallen. Warum sollten wir etwas ändern, wenn wir einmal von dieser Praxis und der Kompetenz des Guru überzeugt sind? Wie konnte es dazu kommen? Es geschah deshalb, weil wir zuvor keine eigene Überzeugung hatten. Ein Vertrauen, das erschüttert werden kann, kann man nicht als Überzeugung bezeichnen; es ist lediglich eine vorübergehende Akzeptanz ohne richtiges Urteil. Ohne die richtige Einschätzung ist kein richtiges Vorgehen im Leben möglich. Es wäre dumm voranzuschreiten, ohne alle Eventualitäten, mit ihren Vor- und Nachteilen, zu betrachten. Es ist nicht gut, mit einer Gefühlslage mit Yoga zu beginnen, denn Yoga ist keine Gefühlslage. Yoga ist eine zuverlässige Praxis, in der das ganze Sein einbezogen ist. Der Schüler sollte in seinen Sichtweisen und in seinem inneren Kern fest verankert sein. Er sollte sich selbst nicht zu einer dummen Person erniedrigen, die durch eine hohle Logik verändert werden kann. Das Verstehen des Schülers muss kraftvoll genug sein, um der Argumentation der Sinne zu widerstehen und diese zu überwinden. Wenn er einmal dem Geplärre der Sinne zu viel Aufmerksamkeit schenkt, wird er in der Wirklichkeit mehr den äußeren Umständen als der inneren Schönheit des Yoga trauen. Der Heilige Sanatkumara sagt zu Dhritarashtra: Pramada oder Unachtsamkeit ist wahrlich der Tod. Unachtsamkeit ist der Tod; Wachsamkeit ist das Leben. Dieses ist für spirituelle Sucher die größere Wahrheit. Ein weiteres Hindernis ist die Lethargie (Alasya). Es wird nicht mehr meditiert, sondern nur mit hängendem Kopf und ohne jeden Hang zur Aktivität herumgeirrt. Dieses ist Mohana-Astra oder die trügerische Waffe gegen den suchenden Geist, in dessen Kampf gegen das Wünschen. Lethargie paralysiert die Aktivitäten des Geistes so weit, dass er nicht einmal mehr in der Lage ist zu denken. Die Denkfähigkeit verschwindet, Tamas schleicht sich ein und man wird träge. Die Yogavasistha sagt: ‚Auch wenn Müßiggang nicht die größte Katastrophe wäre, wer wäre dennoch nicht gern erfolgreich beim Erringen von Werten oder Wissen? ‘ Noch einmal, die Lethargie sollte nicht bloß als Untätigkeit von Körper und Geist verstanden werden. Sie ist vielmehr eine destruktive Aktivität, die sich nach einiger Zeit der Übung einstellen kann. Man kann es mit den schwarzen Wolken unmittelbar vor einem Gewitter vergleichen. Ebenso wie Appetitlosigkeit ein Anzeichen für eine bevorstehende Krankheit ist, so ist Lethargie ein Zeichen dafür, das etwas Ungünstiges eintreten wird. Still, untätig und wortlos zu sein, ist für den Yogaschüler gefährlich. Niemand weiß, wann die Bombe platzen wird. Trägheit ist ein Nährboden für die üblen Streiche der Sinne und ihresgleichen. Zuerst werden die Schüler durch Lethargie paralysiert und dann wird ihnen durch sinnliche Erregungen (Avirati) ein Schlag versetzt. Es ist leichter einen Menschen zu töten, wenn er nicht bei Bewusstsein ist. Der Schüler wird durch Tamas in einen Schlaf versetzt, und dann gibt es eine heftige Aktion der Sinne. Der Zyklon hat sich aus einer von Staub vernebelten Straße erhoben. Der Geist übt in jeder Hinsicht Nachsichtigkeit, und dies nennt man im Yoga einen tiefen Fall. Wenn man in diese Gemütsverfassung kommt und dies als ein ‚erreichtes Ziel‘ im Yoga missversteht, dann steht es schlimm. Diesen Fehler der Zerstörung für einen Erfolg zu missdeuten, ist ein weiteres Hindernis, - diese Illusion des Fortschritts, während man eigentlich gefallen ist, wird als Bhrantidarsana bezeichnet. Die Sinne lassen den Schüler nach ihrer Pfeife tanzen. Die Schüler werden durch die Sinne hypnotisiert. Selbst wenn man durch einen Zufall aus diesem Zustand erwacht und das Bewusstsein wiedererlangt, so ist es nicht leicht, den einst verlorenen Boden wieder zu gewinnen. Den Boden unter den Füßen zu verlieren (Alabdhabhumikatva) ist ein weiteres Hindernis im Yoga. Es ist auf Grund der erzeugten Samskaras (Eindrücke), bedingt durch die Heimsuchung der Sinne in ihrem Zustand der Genugtuung, nicht leicht, die früher gepflegte Praxis wieder aufzunehmen. Die Unfähigkeit, den Konzentrationspunkt (Anavasthitatva) zu finden, selbst wenn die Basis mit Schwierigkeiten wieder hergestellt wurde, ist wiederum ein ernsthaftes Hindernis.

Die neun zuvor genannten Probleme stehen in Verbindung mit den psychologischen Schwierigkeiten und stellen die Haupthindernisse im Yoga dar. Sie verursachen ein Hin und Her im Kopf und eine Abkehr von dem eingeschlagenen Weg. An dieser Stelle muss der Schüler Vorsicht walten lassen. Doch es gibt noch viele kleinere Hindernisse, von denen fünf erwähnenswert sind. Eines davon sind Schmerzen (Duhkha) im Allgemeinen, die von dem Suchenden Besitz ergreifen. Ein anderes Problemfeld ist die innerlich nagende Frage: „Wo bin ich, was tue ich?“ Alles ist dunkel und es gibt keinen Silberstreifen am Horizont. Dieses Gefühl kann zu Depressionen (Daurmanasya) führen und man wird melancholisch. Man verliert allen Mut, sieht keine Zukunft mehr, nichts Gutes und keinen Sinn oder Wert mehr im Leben. Das Leben verliert seinen Sinn und man fühlt, als würde man einem Phantom nachjagen. Dieses ist die Folge nach so mühevoller Praxis im Yoga. An diesen Punkt kommt der Suchende nach einiger Zeit, eine Situation, die sehr gut im ersten Kapitel der Bhagavadgita beschrieben wird: ‚Alles ist hoffnungslos‘, scheint der Hilferuf Arjunas zu sein. Dieses ist auch der Schrei aller Arjunas, aller Menschen, Männer wie Frauen, in der Welt, die durch das Rad des Lebens rotieren. Während man versucht, Kräfte zu entwickeln, indem man allen Mut zusammen nimmt, stellt sich Nervosität (Angamejayatva) ein. Der Körper zittert und man kann nicht einmal meditieren. Der Schüler reagiert nervös, wenn jemand irgendetwas über ihn sagt usw. Es entwickelt sich gleichzeitig eine Toleranz gegenüber allen Dingen, die in der Welt geschehen. Man entwickelt eine derartige Feinfühligkeit, dass kleinste Ereignisse wie gewichtige Berge ausschauen. Prana fließt ungleichmäßig. Die Ein- und Ausatmung ist unregelmäßig und unrhythmisch (Svasaprasvasa) und damit wird das Nervensystem und indirekt den Geist gestört.