Das Yoga System

Asana oder Haltung

Die Asanas bilden die dritte Sprosse auf der Leiter des praktischen Yoga. Während die Yamas und Niyamas die Grundlagen zum Yoga bilden, so kann man die Asanas als die Schwelle zum Yoga betrachten. Asana bedeutet wörtlich ‚Sitz‘. Hier ist weder ein Kissen noch eine Sitzunterlage gemeint, sondern hier versteht man darunter die Körperhaltung, die man als Beginn der Praxis ansieht. Sie wird als ‚Sitz‘ bezeichnet, denn es handelt sich um Sitzhaltungen und nicht um Standhaltungen. Obwohl es viele Asanas, wie zum Beispiel ‚Sirsha‘ (Kopfstand) usw. gibt, so existieren nur wenige Haltungen, die sich als Meditationshilfe eignen. Sitzhaltungen sind Asanas, weil Standhaltungen dazu führen, dass man während der Meditation umfällt, und dass man bei Haltungen im Liegen zum Einschlafen neigt. Sitzhaltungen sind darum am Besten dazu geeignet, um sich auf den Geist zu konzentrieren. Dass es noch viele andere Asanas, wie z.B. Sirsha, Sarvanga (Schulterstand) usw. gibt, muss uns nicht davon abhalten, eine Asana zur Meditation auszuwählen. Hatha Yoga beschreibt viele Haltungen zu verschiedensten Zwecken. Die Asanas des Hatha Yoga werden mit bestimmten anderen Praktiken verbunden, die, ergänzend zu Pranayama, als Bandhas, Mudras und Kriyas bekannt sind. Während Asanas Haltungen sind, sind Bandhas Verschließungen von Gliedmaßen, in der Absicht, Prana (Lebensenergie) in bestimmte Kanäle zu lenken und in bestimmten Körperregionen zu konzentrieren. Mudra ist ein Symbol. Dies bedeutet auch Versiegeln (Abschließen) von Gliedmaßen, wobei Prana in eine bestimmte Richtung (z.B. zum Kopf) befördert wird. Es gibt zwei Mudra-Arten, die Prana in eine bestimmte Richtung (zu Gott) aufsteigen lassen, und durch die bestimmte Körperhaltungen oder Gestiken symbolisiert werden, wobei äußere Handlungen mit spirituellen Vorstellungen verbunden werden, wie z.B. beim Falten der Hände zum christlichen Gebet. Kriya ist ein Reinigungsprozess, sodass der Körper für Asanas und Anderes vorbereitet wird. Kriya soll den Körper gesund machen und so weit wie möglich von Trägheit befreien. Im Folgenden die wichtigsten Kriyas im Hatha Yoga: Neti oder die Reinigung der Nasengänge, Bastrika zur Darmreinigung, Dhauti zur Magenreinigung, Nauli zum Durchwalken des Unterleibes, Trataka ist zum Fixieren des Blickes, um die Augen für die Konzentration zu trainieren und Kapalabhati wirkt auf das Gehirn und den Schädel ernüchternd. Der physische Körper ist durch Dumpfheit, Trägheit usw. charakterisiert, was zur Schläfrigkeit führt, bei der es keine Chance zur Meditation gibt. Die Bhandas befreien den Körper von Tamas, machen ihn flexibel, leicht regulierbar und gesund. Dieses sind die allgemeinen Wirkungen durch Asanas, Bandhas und Mudras. All dies sind vorbereitende Übungen, und Hatha Yoga ist eine Vorbereitung auf Raja Yoga. Während man im Hatha Yoga viele Übungen kennt, existieren nur wenige im Raja Yoga, und letztendlich kommen wir zu einer einzigen Asana, die übrig bleibt. Diese Asana wird Dhyana-Asana oder Meditationshaltung genannt.

Wie hilft die Asana in der Meditation? Man muss sich bei dieser Verbindung die Beziehung zwischen dem Individuum und dem Universalen vergegenwärtigen. Es existiert ein organisches Band zwischen dem Individuum und seiner Umgebung, und der Sinn des Yoga liegt darin, diese innewohnende Harmonie ins Bewusstsein zu holen. Dieser Gedanke muss im fortgeschrittenen Stadium einbezogen werden. Wer auch immer man ist, was auch immer man besitzt, sollte zum Universalen in Bezug gesetzt werden. Dieses ist letztendlich Yoga. Wenn die eigene Persönlichkeit mit dem universalen Sein in Beziehung gesetzt wird, so handelt es sich um Yoga. Das Individuum beginnt mit dem Körper, doch es gibt noch viele andere Dinge, die sich im physikalischen Kosmos befinden. Da gibt es Prana, die Sinne, den Geist, den Intellekt usw., die im Körper eingeschlossen sind. All diese inneren Dinge müssen schrittweise mit dem Universalen in Verbindung gebracht werden. Wenn der Körper rebelliert, kann der Geist nicht mit dem Universalen in Einklang gebracht werden. Yoga erfordert eine Vereinigung der ganzen Persönlichkeit mit dem Universalen. Die Asana bildet dabei die Eingangsstufe, wobei die körperliche Struktur mit dem Kosmos vereint wird. Wenn das Individuum in den Begriffen des Egos denkt, was Selbstbehauptung mit einem selbstsüchtigen Verhalten hinsichtlich der Dinge in der Welt bedeutet, entsteht innerlich ein Missklang. Je selbstloser jemand ist, desto mehr lebt er in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, und je selbstsüchtiger jemand ist, desto unharmonischer verläuft sein Leben. Yoga ist ein systematischer Prozess, um auf allen Ebenen mit der Natur eine andauernde Freundschaft herzustellen, d.h. Freundschaft im Körperlichen, in der Lebendigkeit, im Gefühl, im Intellekt und auf der spirituellen Ebene. Alles ist Liebe und Freundschaft. Es gibt keine Gegnerschaften. Dieses ist Yoga. Das Yogasystem ist eine genaue Wissenschaft, die in einem langsamen Prozess der Entfaltung jeden Aspekt des Lebens berücksichtigt. Die körperliche Persönlichkeit ist die niedrigste Offenbarung.

Eine Asana sollte leicht und fest sein. Sie sollte statisch einwandfrei sein und kein Unbehagen verursachen. Sie sollte durch ihre Festigkeit, Spannung usw. dem Schüler körperlich nicht bewusst werden. Es sollte eine normale Haltung sein, in der er längere Zeit sitzen kann. Im Yoga werden bestimmte Minimalanforderungen bzgl. Asanas beschrieben, obgleich es viele detaillierte Anweisungen gibt, ist damit nur gemeint, dass sie fest und komfortabel sein sollten. Innerhalb der Grenzen der Regeln hat man in der Asana-Ausführung viele Freiheiten. Wo liegen die Grenzen? Die Extremitäten des Körpers sollten geschlossen sein, und Kopf, Nacken und Wirbelsäule sollten aufrecht sein. Bei diesen Extremitäten handelt es sich um die Finger und Zehen. Wenn man sie sichtbar lässt, kann die in der Meditation erzeugte Elektrizität / Energie in den Raum unerwünscht abfließen. Man sollte sich auch nicht auf einen blanken Fußboden setzen, denn die Erde leitet die Energie ab. Ein schlechter Energieleiter sollte als Unterlage auf den Boden gelegt werden. In früheren Tagen hat man Grasmatten verwendet, bekannt als Kusha Asana (Asana-Kissen), über die ein Tierfell bzw. ein Kleidungsstück gebreitet wurde, beide aus einem nicht-leitenden Material. In der Gita steht geschrieben, dass der Sitz weder zu hoch noch zu niedrig sein sollte. Es kann passieren, dass der Schüler herunterfällt, wenn der Sitz zu hoch ist, und wenn der Sitz zu niedrig ist, kann es in Indien passieren, dass sich Insekten oder kleine Reptilien in den Sitz verirren. Die Wirbelsäule sollte aufrecht sein. Sie sollte im rechten Winkel zum Fußboden gehalten werden. Man sollte sich weder irgendwo anlehnen noch vorwärts beugen. Wenn die Wirbelsäule aufrecht gehalten wird, entspannen sich die Nervenbahnen und kein Körperteil beeinflusst irgendeinen anderen Teil. Der Prana-Strom kann sanft durch die Nerven fließen. Wenn der Körper verdreht wird, hat Prana mühe, durch die Gliedmaßen zu fließen. Wenn das ganze System sich in einem Zustand von Entspannung befindet, kann sich die Energie im Körper frei bewegen.

Abgesehen davon, dass die Wirbelsäule aufrecht ist und die Extremitäten verschlossen sind, so können die Beine auf drei oder vier verschiedene Arten verschränkt werden. Es gibt Padma-Asana, Siddha-Asana, Svastika-Asana und Sukha-Asana. Zur Meditation kann eine dieser vier Formen ausgewählt werden. Der Sinn einer festen Haltung liegt darin, dass der Geist auf diese Weise in der Lage ist, langsam seinen Körper zu vergessen. Der Körper möchte irgendwie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch in der Meditation kann der Geist dem Körper keine dauerhafte Aufmerksamkeit schenken. Der Schüler verliert schritt-weise ein Gefühl für seine Gliedmaßen. Er vergisst, dass er sitzt, dass er einen Körper hat, und dass er Glieder besitzt. Das erste Zeichen für eine erfolgreiche Asana-Praxis ist ein Gefühl von Leichtigkeit. Der Körper fühlt sich so leicht an, dass er sich scheinbar vom Boden erheben könnte. Dieses Gefühl steigt auf, wenn die Haltung fest ist. Dieses ist der Test. Zu Anfang hat man ein Gefühl, als würden Ameisen über den Körper krabbeln. Das zeigt, dass der Schüler bereit ist, über das Körperbewusstsein hinauszugehen. Gepaart mit diesem Gefühl, empfindet er eine Art von Zufriedenheit, Glück und Freude, die der Leichtigkeit aus der Körperhaltung entspringt. Wenn man auf diese Weise zwei oder drei Stunden lang sitzt, verliert man jegliches Gefühl für den Körper, auch wenn er von jemandem berührt wird. Die Lebensenergie (Prana) ist so voller Harmonie, dass sie keine Neigungen mehr im Körper erzeugt. Nur eine Disharmonie weckt ein Verlangen nach anderen Dingen. Wenn die höchste Harmonie erreicht ist, gibt es keine nach außen gerichteten Gefühle mehr. Mit verschlossenen Extremitäten; mit übereinander gelegten oder gefalteten Händen; mit einer aufrechten Wirbelsäule; Kopf, Nacken und Wirbelsäule in einer Linie und in einem rechten Winkel zum Boden ist die Asana perfekt.

Die Asana sollte mühelos sein. Im Körper oder im Geist sollte jedwede Anstrengung vermieden werden. Absolute Leichtigkeit oder Entspannung sind ein Zeichen für eine perfekte Asana. Der Schüler sollte in der Asana ein ganz natürliches Empfinden an den Tag legen, bei dem er sich nicht einmal der Atmung bewusst ist. Wenn irgendein Schmerz, eine ruckartige Bewegung oder ein Kneifen verspürt wird, wird die Asana nicht richtig ausgeführt. Patanjali gibt eine Beschreibung, wie man eine Beständigkeit der Haltung beschleunigen kann, nämlich, indem man die ‚Aufmerksamkeit auf das Unendliche‘ richtet. Eine Beständigkeit findet man nirgendwo in der Welt. Man findet überall nur Schwingungen und Dinge, die im Fluss sind. Festigkeit ist unbekannt, da alles in der Welt in Bewegung ist. Es gibt nur eines, das fest ist, nämlich das Unendliche. Alles Endliche ist in Bewegung und verändert sich. Wenn sich der Schüler auf das Unendliche konzentrieren kann, saugt er davon bestimmte Qualitäten auf, zuerst aber eine Festigkeit. Hier richtet sich die Konzentration nicht auf etwas Bestimmtes, sondern auf Alles auf einmal. Obwohl sich niemand das Unendliche vorstellen kann, wie es ist, so kann man einen Gedanken in dem Sinne fassen, der alles einschließt, was einem in den Kopf kommt. Dieses ist die psychologische Unendlichkeit. Diese im Kopf des Schülers konstruierte Unendlichkeit hilft ihm, sich in seiner Asana zu festigen und seine Emotionen zu stabilisieren. Auf diese Weise hilft die Kontemplation auf das Unendliche die Asana zu perfektionieren.

Wenn der Körper unter Kontrolle ist, holen die so genannten ‚Oppositionspaare‘ zum Gegenschlag aus, d.h. Hitze und Kälte, Hunger und Durst, Kummer und Freude usw. Alles, was Spannungen erzeugt, wird als ‚Oppositionspaare‘ bezeichnet. Diese ‚Oppositionspaare‘ können durch perfekte Asanas überwunden werden. Wenn Prana rastlos wird, werden diese Paare aktiv. Die Rastlosigkeit von Prana verursacht Hunger und Durst. Wenn Prana zur Ruhe kommt, vermindert sich auch das Gefühl für diese ‚Oppositionspaare‘. Prana wird nicht nur durch Pranayama, sondern auch durch Asanas beruhigt. Wenn der Körper ausgeglichen wird, neigt auch Prana zur Harmonie, so wie der Geist zur Ruhe kommt, wenn die Gefühle harmonisiert werden. Ein unruhiges Gefühlsleben erzeugt unharmonische Gedanken. Was die Sinne für den Geist sind, ist der Körper für Prana. Ebenso wie harmonisierte Gefühle harmonische Gedanken hervorrufen, bringt auch ein harmonisierter Körper ein harmonisches Prana hervor. Es existiert immer eine Verbindung zwischen dem Äußeren und dem Inneren.

Wir werden dazu aufgefordert, unser Gesicht in der Meditation in Richtung Osten oder Norden zu wenden, weil aus diesen Richtungen auf Grund des Sonnenaufganges einerseits und der Ausstrahlung des Nordpols andererseits bestimmte Magnetfelder ausgehen. Der ausgewählte Platz sollte frei von störenden Geräuschen sein, frei von Stechmücken und Moskitos und auch frei von Vogelgezwitscher usw. Es sollten angenehme Temperaturen herrschen, d.h. es sollte auf Grund der Veränderungen im Körperbewusstsein nicht zu kalt oder zu heiß sein. Wenn der Schüler mit einem harmonischen Energiefluss in den Nervenbahnen in der Asana sitzt, hat er bereits das Tor zur Meditation betreten. Die Asana hat eine spirituelle Bedeutung. Man klopft dabei an das Tor der Unsterblichkeit. Während man sich bei Yama und Niyama in der Vorbereitung befindet, wird in der Asana das Tor zur Wirklichkeit erreicht, obwohl es noch nicht geöffnet wurde. Die Seele ist bereit, dem Herrn des Universums zu begegnen. Dieses ist der erste Schritt im wirklichen Yoga.

Es heißt, wenn man letztendlich drei Stunden lang in einer Haltung verharrt hat, wurde die Asana gemeistert. Der Körper beherbergt die Nerven, die Nervenbahnen sind die Kanäle der Lebensenergie, die Lebensenergie findet seinen Ausdruck im Geist, und der Geist praktiziert am Ende die Meditation. Es gibt eine Verkettung, sodass im Augenblick einer harmonischen Haltung der Geist eine Mitteilung darüber erhält. Auf diese Weise wird direkt der Stoffwechselprozess, und das Gefühl für Hunger und Durst beeinflusst. Der Drang nach Hunger und Durst sind ein Symptom für die Erregung durch die Lebensenergie. Wenn die Lebensenergie harmonisiert wird, sollte sich die Erregung verringern. Daher reduzieren sich beim Schüler letztendlich Hunger und Durst. Die Zellen des Körpers haben mehr Zeit zum Aufbau als sich durch Energieverbrauch zu verringern, und dies wird durch ein abgeklärtes Gefühlsleben beschleunigt. Selbst die Gefühle können durch Asanas unter Kontrolle gebracht werden, denn während der Übungen wird sanft ein- und ausgeatmet, und auf diese Weise werden die Zellaktivitäten verringert, die Nervenbahnen sind für den rhythmischen Energiefluss geöffnet, und der Rhythmus setzt sich überallhin fort. Yoga ist ein Rhythmus. Dafür bilden die Asanas den Anfang, wo der Schüler beginnt, sich auf den Kosmos einzustellen.