Das Yoga System

Moralische Selbstbeschränkungen (Yamas)

Wenn Pramana, Viparyaya, Vikalpa, Nidra und Smriti in der Psychologie als die schmerzfreien Funktionen von Antahkarana bezeichnet werden, so handelt es sich bei Avidya, Asmita, Raga, Dvesha und Abhinivesa um die schmerzhaften, denn diese verursachen bei allen Individuen den Seelenschmerz und bilden den Inhalt der unnormalen Psychologie.

Die schmerzhaften Funktionen verursachen nicht nur bei uns selbst, sondern auch bei anderen Menschen Seelenschmerz, denn wir haben die Neigung, unsere Schmerzen auf andere zu übertragen. Eine persönliche Angelegenheit wird zu einem gesellschaftlichen Problem, und der persönliche Egoismus führt zu Recht- haberei in der Gesellschaft. Die eigenen Zu- und Abneigungen können andere Menschen in der Gesellschaft beeinflussen. Die Yogapsychologie bezieht diesen Umstand in ihre Betrachtung mit ein. Bevor wir irgendeine Methode zur Befreiung des Geistes von seinen schmerzhaften Funktionen näher betrachten, muss er zunächst von der Gesellschaft befreit und von seiner Orientierung nach außen zurückgebracht werden. Der Geist muss, wie ein Dieb, der zuerst eingesperrt wird, und dann ordentlich behandelt wird, von seiner Verfilzung mit der äußeren Welt weggebracht und dann sorgfältig analysiert werden. Das gesellschaftliche Leiden hat seine Ursache in der gegenseitigen psychologischen Beeinflussung von Individuen, die durch den Umgang miteinander ausgelöst wird. Gesellschaftliche Spannungen werden durch das Aufeinandertreffen individueller psychologischer Verwicklungen erzeugt. Dieses ist der Grund für das Leiden der Menschen in der Welt. Niemand ist darauf vorbereitet, sein Ego zu opfern, doch jeder möchte, dass der Andere sein Ego opfert. Yoga hat ein Rezept gegen das Leiden der Menschen im Allgemeinen und für diese psychische Krankheit der Menschheit. Es bittet uns, den Geist zur Quelle seiner Aktivitäten zurückzubringen, und wenn alle Menschen dies täten, würde dies, wie eine Medizin, gegen die gesellschaftliche Krankheit wirken. Auf diese Weise befasst sich Yoga in erster Linie mit dem Individuum. Es bietet eine Lösung für alle gesellschaftlichen Spannungen und Fragen. Yoga allein kann Frieden in der Welt stiften, denn es taucht tief in den Menschen ein. Yoga hat darum nicht nur eine Bedeutung für die persönliche Befreiung, sondern auch für die gesellschaftliche Solidarität.

Der Geist wird zu seinen Anfängen zurückgeführt. Unglücklicherweise wissen wir solange nicht, wo sich der Geist befindet, wie er noch untätig ist, wie ein Dieb, den man erst bei seinen Aktivitäten wahrnimmt. Die äußeren Probleme sind die Offenbarungen der inneren fünffachen Komplexität. Die Unwissenheit ist die erste Ursache dieser Komplexität. Doch handelt es sich um einen negativen Grund. Die Menschen hören nicht auf, diesen Umstand hinzunehmen. Er möchte seine Unwissenheit zur Schau stellen, und hier liegt die Wurzel allen Übels. Der Egoismus (die Selbstbehauptung) ist die Erste zur Schaustellung. Wenn der Mensch jemanden seinem Ego unterwerfen will, der sich ihm widersetzt, stoßen die Interessen aneinander, und dies bringt Unglück über die Familien, die Gesellschaft und in der Welt. Yoga analysiert die Situation. Avidya, die sich selbst als Ahamkara (Egoismus) behauptet, und die mit anderen zusammenstößt, ruft Himsa oder ein Verletzen hervor. Da Himsa ein Übel ist, das der Gesellschaft verschiedene Kümmernisse bereitet, so wird Ahimsa oder das Nichtverletzen zur Tugend. Ahimsa ist ähnlich der christlichen Ethik, die uns lehrt, dem Übel standzuhalten. Wenn sich nur ein Ego zurückziehen würde, dann würden sich die Reibereien in der Gesellschaft entsprechend vermindern. Himsa ist aus Asmita, Raga und Dvesha hervorgegangen, und doch ist Ahimsa eine moralische Grundregel. Ahimsa oder die Praxis des Nichtverletzens ist nicht nur eine Regel des Umgangs, sondern bezieht sich auch auf das Denken und Fühlen. Man sollte nicht einmal daran denken, jemanden irgendwelchen Schaden zufügen zu wollen. Sich auf Übles zu konzentrieren, ist genauso schlimm, wie eine üble Handlung zu begehen. Die Kontemplation ist nicht nur eine Vorbereitung für das Handeln, sondern die Saat für die späteren Aktionen. ‚Möge immer Freundschaft anstatt Feindschaft vorherrschen, Liebe an Stelle von Hass‘, dieses ist das Motto im Yoga. Durch Liebe ziehen wir Dinge an, und durch Hass stoßen wir sie ab. Die Liebe zieht die Liebe an, und der Hass zieht Hass an. Diese große Regel der Yogaethik dehnt sich vom Nichtverletzen bis hin zur positiven selbstlosen Liebe gegenüber Allem aus, mit unparteiischer Sicht und Liebe, ohne zu klammern (Raga) oder zu hassen (Dvesha). Ahimsa wurde als die Königin aller Tugenden angesehen, und jede andere moralische Grundregel wird an dieser absoluten Charakternorm und Führung gemessen.

Das Ego versucht seine Zu- und Abneigungen auf verschiedene Art und Weise zu entwickeln. Die eine Methode ist die Flucht in die Falschheit, um Widerständen zu entgehen. Die Unterstellung von Falschheit in der Gesellschaft wird als Laster angesehen. Satya oder Aufrichtigkeit ist die Tugend, die dem entgegensteht. Aufrichtigkeit mindert bis zu einem gewissen Grad den Egoismus. Unehrlich zu sein, ist eine Behauptung des Egos, um zum eigenen Vorteil in der Welt voranzukommen, obwohl dies zu Lasten anderer Menschen gehen kann. Aufrichtigkeit bildet den direkten Gegenpol. Yoga legt ganz besonderen Wert auf Ehrlichkeit im Leben. Manchmal kommen wir durch bestimmte Umstände in schwierige Situationen. Manchmal kann Aufrichtigkeit zu einem Dilemma führen, und man wird dazu verleitet, unehrlich zu sein. Die Schriften haben zu dieser Frage viele Antworten. Aufrichtigkeit, die verletzt, ist genauso wie Unwahrheit. Bevor wir tugendhaft handeln, müssen wir die Konsequenzen in unsere Betrachtungen und Handlungen mit einbeziehen. Doch sind wir dann der Unwahrheit ausgeliefert? In der Mahabharata finden wir dazu ein ungewöhnliches Beispiel. Arjuna und Karna standen sich in einer Schlacht von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Krishna erwähnte gegenüber Arjuna, dass Yudhishthira an diesem Tag über seinen Zweikampf und dessen Ausmaß mit Karna sehr bekümmert wäre, denn er musste schwer verletzt in seine Unterkunft zurückkehren. Krishna und Arjuna gingen zu Yudhishthira und begrüßten ihn. Yudhishthira war sichtlich erfreut Arjuna zu sehen, denn er glaubte, er käme, um ihm zu sagen, dass er (Arjuna) Karna in der Schlacht getötet hätte. Er brachte seine Freude über die gute Tat zum Ausdruck, doch als Arjuna ihm offenbarte, dass Karna noch nicht getötet worden sei, und dass sie nur gekommen seien, um ihn zu sehen, erzählte Yudhishthira Arjuna kurz, dass Arjuna seinen Gandiva- Bogen besser hätte jemand anderen geben sollen. Daraufhin zog Arjuna sein Schwert. Krishna hielt ihn zurück und fragte ihn, was denn los sei. Arjuna offenbarte ihm ein Gelübde, wonach jemand, der seinen Bogen beleidigen würde, getötet werden müsse. Krishna war über die Unbedarftheit von Arjuna erstaunt und sagte ihm, dass beleidigende Worte gegenüber Älteren, wie ein Todesstoß wären, und Arjuna täte gut daran, Yudhishthira nicht noch mehr für seine respektlosen Bedingungen zu missbrauchen, denn damit würde er sich eine ruchlose Sünde aufladen. Dementsprechend beschimpfte (beleidigte) Arjuna Yudhishthira mit harschen Worten. Daraufhin zog Arjuna nun wieder sein Schwert, und Krishna fragte ihn nach dem Grund. Arjuna sagte, er würde sich selbst töten, denn er hätte noch ein anderes Gelübde, wonach er, bei einer Beleidigung gegenüber älteren Menschen, sich selbst töten müsse. Krishna lächelte über das Verhalten Arjunas und meinte, sich selbst zu loben, bedeutet genauso viel, wie sich selbst umzubringen, und darum solle er lieber nach einem Ausweg suchen, als sich für einen Selbstmord zu entscheiden. Daraufhin lobte sich Arjuna mit großspurigen Worten selbst. Man kann sich sehr gut die Konsequenzen für Yudhishthira vorstellen, der durch das Versprechen Arjunas ans Messer geliefert wurde. Moral ist keine starre mathematische Formel. Es gibt keinen Standard, den man auf bestimmte Situationen anwenden kann. Selbst wirkliche Experten auf diesem Gebiet, wie Bhishma, hatten keine passenden Antwort auf das Dilemma, das von Draupadi dargelegt wurde. Was wäre gewonnen, wenn man entsprechend Satya an dem Gelübde fest gehalten hätte, indem man auf Grund einer Vereinbarung, den eigenen Bruder getötet hätte oder umgekehrt, oder entsprechend Ahimsa, Selbstmord begangen hätte? Die Schriften halten daran fest, dass Wahrhaftigkeit, nicht ein Verletzen zur Folge haben darf. Manu sagt in seiner Smriti, dass man die Wahrheit sprechen muss, aber sanft, und man sollte Wahrheiten weder mit dem ‚Holzhammer‘ überbringen, noch sollte man Unwahres, wenn auch sanft, von sich geben. Die wirkliche Regel besteht jedoch darin, dass Wahrheit, die die Gefühle anderer verletzt, als Unwahrheit angesehen werden muss, obwohl sie oberflächlich betrachtet, wahr ist. Unsere Handlungen und Gedanken sollten eine Beziehung mit dem absoluten Ziel des Lebens haben. Nur dann werden sie zur Wahrheit. Zwischen dem Sinn und dem Ende sollte Harmonie herrschen. ‚Existiert irgendeine direkte oder indirekte Verbindung mit dem Ziel des Universums?‘ Wenn die Antwort positiv beschieden wird, dann kann dies als ein Schritt betrachtet werden, der mit der Wahrheit konform ist.

Brahmacharya oder Enthaltsamkeit ist genauso schwer zu verstehen wie Satya oder Ahimsa. In allen Fällen der moralischen Beurteilung sind ein gesunder Menschenverstand und eine verständnisvolle Sichtweise erforderlich. Viele Yogaschüler glauben, Brahmacharya bedeute Ehelosigkeit. Obwohl dies als eine der Definitionen angesehen werden kann, so bedeutet dies nicht viel, denn Yogamoral hat in seiner reinsten Form eine tiefere Bedeutung. Yoga betrachtet Brahmacharya aus allen Blickwinkeln, und nicht nur aus Richtung der Soziologie. Sie verlangt eine Reinigung aller Sinne. Übermäßiges Schlafen und Essen sind Verstöße im Brahmacharya. Brahmacharya wird nicht nur durch das Eheleben gebrochen, sondern durch ein Übermaß (Luxus) in allen Dingen, - auch bei Unverheirateten, die gefräßig sind, zu viel reden und, über allem, über Sinnesobjekte brüten. Während einerseits Energien konserviert werden, so können sie andererseits unkontrolliert abfließen. Übermäßiges Schlafen ist ein Trick des Geistes, wenn wir uns weigern, ihn zufrieden zu stellen. Gefräßigkeit und zu viel Gerede sind ein Ergebnis der Übermacht untrainierter Energien. Die Kontemplation von Sinnesobjekten kann sich fortsetzen, auch wenn man weit von den Objekten entfernt ist. Brahmacharya bedeutet die Kräfte für die Meditation zu konservieren. Die Frage lautet: „Fühlst du dich durch das Konservieren von Energien stark?“ Brahmacharya wird über die inneren Kräfte geprüft. Die Tugend ist nicht dazu geeignet, um nach außen zu treten, sondern um Kräfte für einen höheren Zweck zu konservieren. Unnütze Aktivitäten der Sinne vergeuden Energien. Die Chhandogya Upanishad sagt, dass in der Reinheit der Aufnahme der Dinge, die Reinheit des Seins liegt. Im Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Berühren sollten wir uns nur mit reinen Dingen beschäftigen. Jede einzelne unkontrollierte Sinneswahrnehmung vernichtet in der Folge die Kontrolle über die anderen Sinne. Wie die Mahabharata es ausdrückt, werden wir zu dem, womit wir uns abgeben, wen wir über längere Zeit dienen und wen wir durch permanentes Denken nacheifern. Brahmacharya bedeutet darum: „Handeln in völliger Selbstkontrolle“. Der Brahmachari ist immer hellwach. Und niemand sollte von sich glauben, er sei immer rein und sicher.

Brahmacharya ist in psychologischer Hinsicht wie ein Gelübde der Abstinenz gegenüber allem Nachgeben von Sinnesgewohnheiten und ein striktes Fixieren auf persönliche Reinheit. Dieses erzeugt eine Vereinigung mit den Körperschwingungen, dem Nervensystem und dem Geist. Der Brahmachari erreicht, worauf er schaut, was selbst für ihn, wie ein Wunder erscheint. Brahmacharya wird häufig als die Perle der Prinzipien angesehen, die in sich alle anderen Tugenden oder moralischen Werte vereint. Bei seiner Befolgung muss man jedoch Sorgfalt walten lassen, da beim Brahmacharya nicht nur Sinnesgewohnheiten und mentale Träumereien gemieden werden, sondern auch von den nachfolgenden Komplexen ebenso wie von Zufriedenheiten befreit wird, denen man sich in konsequenter Weise, frustriert auf Grund von unerfüllten Wünschen, zugewendet hat.

Das Yogasystem kennt zwei weitere Grundregeln, d.h. Asteya oder Nichtstehlen und Aparigraha oder die Freiheit von Begierden. Diese beiden sozialen Einschränkungen, die dem Menschen neben den Werten der Yogapraxis auferlegt werden, werden zu Gesundungsfaktoren gegenüber den sozialen und politischen Umfeldern im Leben. Die Natur nimmt alle äußeren Zwänge übel, und dieses erklärt das Unglück der Menschheit trotz seiner legalen Gesetzesbücher und Gerichtsbarkeiten. Niemand kann zu dem veranlasst werden, was er nicht will. Gesetze müssen aus dem eigenen Herzen geboren werden, bevor sie zu Recht oder Regierung führen. In der Yogamoral, wie bei Asteya und Aparigraha, wirken beide gleichzeitig in Richtung auf spirituellen Fortschritt und gegen menschliche Gier und Selbstsucht. Der Yogaschüler wird aufgefordert, einfach zu sein.

Einfaches Leben und hohes Denken sind sein Motto. Er sammelt nicht viele Dinge um sich herum an. Dieses ist Aparigraha oder Begierdelosigkeit. Im fortgeschrittenen Stadium wird ein Vollzeit-Sadhaka nicht einmal etwas für den nächsten Tag vorhalten. Es muss nicht erwähnt werden, dass man nicht nach dem Besitz anderer trachten sollte. Man muss dies einfach verstehen, und dieses ist Asteya oder Nichtstehlen. Überflüssiges sollte nicht nur vermieden werden, sondern man sollte auch nicht den Dienst anderer in Anspruch nehmen. Manche, die an mehr fest halten, als notwendig ist, sind Diebe. Dieses sind fundamentale Tugenden in der Yogaethik. Die Lebensführung, die nicht mit dem Universalen konform ist, kann letzten Endes nicht gut sein.

Yoga ist in dem absolut Erreichbarem und über seinen Nutzen hinaus eine Suche nach der Wahrheit. Entsprechend müssen die Vorbereitungen für dieses Abenteuer sein. Wir müssen im Angesicht der Wahrheit ehrlich zu uns selbst und nicht nur in den Augen unserer Freunde sein. Diese Öffnung gegenüber dem Absoluten und die Bedeutung, die hinter den Yama-Regeln des Yoga stehen, sind wie ein Kursus zur Selbstdisziplin, die man sich auferlegt, um die moralische Natur der Wahrheit zu erreichen und damit, den Anforderungen der Wahrheit gerecht zu werden. Die Yogamoral hat mehr Tiefgang als die gesellschaftliche Moral oder als die religiöse Moral der meisten Menschen. Unsere Natur muss mit der Wahrheit konform werden. Da die Wahrheit universal ist, sollten Charakterschwächen, die nicht zu dem Wesen der Wahrheit passen, schrittweise verworfen werden. Jegliche Führung, die nicht mit dem Universalen harmoniert, kann nicht wirklich moralisch sein, so wie der Sinn des Yoga es erfordert. Kämpft das Universale mit Anderen? Nein. Das Nichtkämpfen und das Vermeiden von Konflikten oder Ahimsa ist darum eine Tugend. Kennt das Universale irgendwelche Leidenschaften? Wird es den Besitz von irgendjemanden wegnehmen wollen? Verheimlicht es irgendwelche Tatsachen? Die Antwort ist Nein. Darum sind Sinnlichkeit, Diebstahl und Falschheit unmoralisch. Wenn wir uns an den universalen Standard halten, werden wir feststellen, was wahre Moral bedeutet. Halte dich mit deiner Führung an das Universale, und wenn sie in diesem Sinne geeignet erscheint, ist sie moralisch einwandfrei. Das, was das Universale ablehnen würde, steht der Wahrheit entgegen. Ahimsa, Satya, Brahmacharya, Asteya und Aparigraha sind die Yamas zur Befreiung von Unbarmherzigkeit, Falschheit, Sinnlichkeit, Begehrlichkeit und Gier in jeder Art.

Sinnenlust und Gier sind die größten Hindernisse in der Yogapraxis. Diese Neigungen machen zornig, wenn sie dem Bemühen entgegenwirken. Darum können diese fünf Grundregeln insgesamt als die moralische Lehre des Yoga betrachtet werden.

Die Selbstkontrolle erfordert große Kraftanstrengungen. Wenn man auf die Kontrolle der Sinne beharrt, können sie bestimmte Taktiken entwickeln und sich dem Zugriff entziehen. Man kann fasten, Mauna beobachten und sich in die Einsamkeit flüchten. Doch die Sinne bleiben ungestüm. Jeder hastige Schritt zieht eine Reaktion nach sich. Diesem Aspekt nicht zu verstehen oder gar zu missachten, wäre fatal. Reaktionen können sich auf Grund von langer Abstinenz von normalen Vergnügen einstellen. Dies gilt insbesondere für das Hungern und die Sinnenlust. Es ist nicht ratsam bzgl. der Sinne zu extremen Maßnahmen zu greifen, denn sie können nicht bis in alle Feinheiten unterjocht werden. Nach Jahren eines in Einsamkeit geführten Lebens befanden sich die Menschen auf Grund ihres taktlosen Verhaltens in der Praxis immer noch in demselben Zustand wie zu Anfang. Das heißt nicht, dass man über die Unterdrückung der eigenen Wünsche ständig nachdenken muss, sondern dies geschieht ohne eigenes Wissen. Sorgfalt ist bei der Verfolgung des ‚goldenen bzw. des Mittelweges‘ zu jeder Zeit angebracht. Wie uns die Bhagavadgita warnt: Yoga ist weder für jemanden, der zu viel isst, noch für denjenigen, der gar nichts isst; Yoga ist weder für jemanden, der zu viel schläft, noch für denjenigen, der überhaupt nicht schläft, weder für jemanden, der immer aktiv ist, noch für denjenigen, der überhaupt nicht arbeitet. Die Sinne sollten schrittweise unter Kontrolle gebracht werden, wie beim Zähmen wilder Tiere. Gewähre ihnen ein wenig ihrer Notwendigkeiten, doch nicht zu viel. Am nächsten Tag schränke die Notwendigkeiten noch ein wenig mehr ein. Eines Tages beschränke sie völlig, und dann behandle sie wiederum gut. Letztendlich bändige sie vollkommen und nimm sie zur Meditation auf die Wirklichkeit ins Geschirr.

Die Sinne revoltieren und springen nach vielen Jahren der Stille zum Ausgangspunkt zurück. Manchmal verfallen sie in einen Zustand der Stagnation. Man kommt in eine neutrale Situation ohne jeden Fortschritt. Es kann sogar einen Rückfall geben, wie auf einem schlüpfrigen Untergrund. Eine dritte Form vermittelt dem Schüler den Eindruck, dass er in eine bestimmte Richtung aktiv ist, aber auf Grund eines Missverständnisses etwas völlig Anderes macht. Die Sinne führen den Schüler hinters Licht, er wird abgelenkt, und er merkt es erst, wenn es zu spät ist. Eine vierte Taktik liegt im Frontalangriff. Buddha kannte all diese Erfahrungen aus seiner Meditation. Versuchungen, Oppositionen, Stagnationen und Ablenkungen sind die vier Hauptgefahren, mit denen ein Schüler konfrontiert wird. Die Upanishaden nannten es Apramatta, Wachsamkeit, um diesen Zustand der besonderen Aufmerksamkeit zu bezeichnen. Der Yogaschüler beobachtet jeden Schritt, wie ein Seiltänzer. Die eigenen Gedanken bedürfen einer außergewöhnlichen Balance. Keine Handlung ohne sorgfältiges Abwägen. Bevor man einen Schritt macht, wird zunächst die Richtung der Bewegung sichergestellt.

Die Yamas sind die moralischen Disziplinen (Selbstbeschränkungen). Wenn die moralische Natur des Schülers nicht mit dessen Bemühungen Schritt halten, kann es für ihn im Yoga keinen Fortschritt geben, weil die Moral ein Zeichen der eigenen Natur ist. Wenn wir uns weiterhin konträr zu dem verhalten, wonach wir suchen, werden wir nichts erreichen. Moralisch zu sein bedeutet, eine Verbindung zwischen der eigenen Natur und der absoluten Natur herzustellen, nach der wir im Leben suchen. Yoga ist unser Interview mit dem Absoluten Sein, und hier korrespondiert unsere Natur mit ihrer höchsten Sphäre. Die Moral hat nichts mit geistiger Beschränktheit oder Unfähigkeit zu tun, sondern sie bedeutet Wachsamkeit und vielseitige Annäherung. Es ist keine schleppende Bewegung, sondern ein aktiver Aufstieg. Eine moralische Natur lässt auf ein feines Gedächtnis und auf einen Auftrieb des Spirits schließen.