Erläuterungen zur Mandukya Upanishad

 

Das universale Vaisvanara

Dieser vierfache Atman, Brahman, kann durch einen vierstufigen Prozess der Selbstüberwindung erreicht werden. Dieses kann mit Hilfe von Analyse und Synthese geschehen. Die erste Stufe befasst sich mit den Dingen, die sich vor unseren Sinnen / Augen auftun. Was sehen wir? Dieses ist die erste Frage, und was wir sehen wird sofort zum Gegenstand unserer Untersuchungen. Wir sehen die Welt, den Körper. Wir sehen aber weder Gott noch Ishvara oder Brahman. Wir sehen weder Omkara noch Pranava, den Schöpfer, Erhalter oder Zerstörer. Das wird nicht gesehen. Wir akzeptieren die Predigten über das Unsichtbare solange nicht, wie keine zufrieden stellende Erklärung über das Sichtbare vorliegt. ‚Wenn mir jemand sagen kann, was sich hier vor mir befindet, dann kann ich diesbezüglich akzeptieren, was sich über mir befindet.‘ Dieser Gedanke, der uns in unserer täglichen Erfahrung ständig bewegt, muss verstanden werden, was als Jagrat-avastha bekannt ist. Unser ganzes Dasein beschränkt sich auf die Erfahrungen aus dem Wachzustand. Wir befassen uns weniger mit den Traumerfahrungen oder Schlafzustand. Für uns sind Jivas, Sterbliche, Individuen, Menschen oder was auch immer Sichtbares, wirklich, sonst nichts. Darum beginnen wir in unserer Betrachtung mit diesem Zustand.

Was ist das Besondere an diesem Zustand? Bahihprajnah: Es ist nur Äußeres bewusst, nichts Inneres. Wir können normalerweise nicht einmal unseren Magen sehen, es sei denn, der Arzt kommt mit dem Endoskop. Aber wie sollten wir unseren Geist erkennen? Wir sind extrovertiert. Dieses ist die Eigentümlichkeit des wachen Bewusstsein. Saptanga ekonavimsatimukhah: dieses Bewusstsein hat sieben Glieder und neunzehn Münder. Es frisst alles. Und wie lautet sein Name? Vaisvanara! Dieses ist der erste ‚Fuß‘ des Atman. Dieses ist das äußerste Erscheinungsbild Atmans.

Die Mandukya Upanishad vermittelt uns eine Vorstellung vom Atman in diesem wachen Leben, nicht nur aus der Sicht des Mikrokosmos, sondern auch vom Standpunkt des Makrokosmos. Darum ist es nicht nur eine Analyse des Selbst, sondern auch eine Synthese von Subjekt und Objekt. Aus Sicht der Upanishad existiert letztendlich keine unüberbrückbare Kluft zwischen Individuum und Kosmos, Jiva und Ishvara, Mikrokosmos und Makrokosmos, Pindanda und Brahmanda. Auf diese Weise trägt die Upanishad zur Harmonie zwischen uns und der Welt, Jiva und Ishvara, Atman und Brahman bei. Die sieben Glieder des Atman beziehen sich auf die Definition des Kosmos und die neunzehn Münder auf die Funktion des Selbst als Individuum, isoliert vom Kosmos. Das wache Bewusstsein ist gleichermaßen auf das Individuum wie auch den Kosmos und, mit einem kleinen Unterschied, auf Jiva und Ishvara anwendbar. Jiva und auch Ishvara sind bewusst auf Äußerliches gerichtet. Beide sind mit kleinen Unterschieden Bahihprajjna (nach außen gerichtet). Darauf wird später noch eingegangen.

Bezogen auf die sieben Glieder (Saptanga) gibt die Upanishad folgendes Mantra:

Agnir murdha, cakshushi candra-suryau, disah srotre, vak vivritasca vedah;
vayuh pranah, hridayam visvamasya, padbhyam prithivi; esha sarva-bhutantaratma.

Dieses ist der all-durchdringende Paramatman, der in allem Sein existiert, - esha sarva-bhutantaratma. Wer / was ist das Sein? Agnir murdha: die leuchtenden Regionen des Himmels kann man als seinen Kopf betrachten, die höchste Region als Seine Krone. Cakshushi candra-suryau: Seine Augen sind die Sonne und der Mond. Disah srotre: die Viertel des Himmels sind Seine Ohren, mit denen ER hört. Vak vivritasca vedah: die Vedas sind Seine Sprache. Vayuh pranah: Sein Atem ist die ganze Luft des Kosmos. Hridayam visvamasya: das ganze Universum ist Sein Herz. Padbhyam prithivi: diese irdischen Regionen kann man als Seine Füße ansehen. Dieses ist der universale Atman aus Sicht des wachen Bewusstseins. Dieses ist Virat, die universale Persönlichkeit, die in der Purusha-Sukta der Veda besungen wird. Dieses ist Virat, wie Arjuna ihn sah, und wie er im elften Kapitel der Bhagavad-Gita beschrieben wurde. Dieses ist Virat, wie ihn Sri Krishna dem Kaurava Gericht vorstellte, als er sich um Frieden bemühte. Dieses ist Virat, den Yashoda im Mund des Krishna-Baby sah. Dieses ist der kosmische Geist, Mahapurusha, Purushottama, Virat-Purusha. ER wird auch Vaisvanara genannt, was dem Begriff visva-nara entstammt. Visva ist der Kosmos; nara ist der menschliche Geist. ER wird Vaisvanara genannt, weil ER der menschlich beseelte Kosmos ist, das einzige Beseelte des ganzen Kosmos. Es gibt nur eine Seele, und ER ist ES. Wir werden hier an den Heiligen Mira erinnert, der sagte, dass es nur eine Purusha gibt.

Dieses ist die Beschreibung der Virat-Purusha. Virat ist ein Name für das Bewusstsein als beseelendes Element für das physische Universum. So wie es ein Bewusstsein für den physischen Körper gibt, so gibt es auch ein Bewusstsein für das physische Universum. Der weite Kosmos mit all seinen Stern- und Planetensystemen, der Milchstraße, mit seiner Raumzeit und seinen kausalen Gesetzen ist der physische Kosmos, und der wird durch ein Bewusstsein belebt bzw. beseelt, so wie unser Körper. Dieses lebendige Bewusstsein ist das Antaryamin. Es wird so bezeichnet, weil sein Sein in allen Dingen lebendig ist. Es ist in allem verborgen und geheimnisvoll in allem gegenwärtig, sei es bewusst oder unbewusst. Für diesen Virat-Purusha gibt es keinen Unterschied zwischen lebendigem Sein oder toter Materie. Für IHN existiert weder anorganische Substanz noch biologischer Stoff. Diese Unterschiede werden erst von den Wissenschaftler vorgenommen. Solche Unterschiede kennt Virat nicht. ER ist im Lebendigen wie Nichtlebendigen durch die Gunas der Prakriti gegenwärtig, - d.h. Sattva, Rajas und Tamas (Gleichmut, Aktivität und Trägheit). Wenn ER sich durch Tamas allein offenbart, nennt man es lebendige Existenz, wie z.B. im Stein oder Fels, die aus unserer Sicht keine lebendiges Bewusstsein besitzen, so wie es in Rajas und Sattva verborgen ist. Wenn Rajas und Sattva sich allmählich offenbaren, schleicht sich langsam Leben in die Existenz. Die erste Offenbarung des Lebens geschieht durch Prana , - die lebenserhaltende Kraft in allem lebendigen Sein. Während Prana nicht in toten Objekten wie Steinen wirkt, arbeitet es in der Welt der Pflanzen, Früchte usw. Pflanzen atmen im Gegensatz zu Steinen. Doch Pflanzen denken nicht wie die Tiere. Die Funktion des Denkens gehört zu einer höheren Entwicklungsstufe, wie der Tierwelt mit all ihren Instinkten und Gefühlen. Auf der menschlichen Ebene findet eine weitere Angleichung an Sattva statt, wo es nicht nur Atmen und Denken, sondern auch ein rationales Verstehen und logische Unterscheidungsfähigkeit gibt, was die Vorbedingung für Vijnana ist, die sich von Manas unterscheidet. Manas gehört zur Tierwelt. Prana ist die Vorbedingung für die Pflanzenwelt und Anna bezieht sich auf die tote Materie. Mit der menschlichen Ebene, Vijnana, als vierte Stufe der Offenbarung der Wirklichkeit ist noch nicht alles erreicht. Es gibt noch eine höhere Ebene jenseits von Vijnana, d.h. Ananda oder göttliche Freude.

Dieses Ananda entspricht chit oder sat, dem Bewusstsein und Sein. Alle niederen Stufen sind in Ananda aufgelöst. Welche Bedeutung wir auch immer der leblosen Ebene, der Ebene der Pflanzen, der Tierwelt und der menschlichen Ebene beigemessen haben, all das findet sich in der Ebene der Wirklichkeit wie Ananda; wobei hier die Existenz, das Bewusstsein und die Glückseligkeit eins werden, während dieses sich in den niederen Ebenen auftrennt. Die Existenz (Sat) gibt es nur im Fels, jedoch gibt es hier weder Chit noch Ananda. Fels existiert, doch er kann weder denken noch Freude empfinden. Ein langsamer Prozess der Denkfunktion offenbart sich erst in den höheren Ebenen, bis sie die Vollkommenheit im menschlichen Bewusstsein erreicht. An dieser Stelle herrscht Sattva vermischt mit Rajas und Tamas vor. Aus diesem Grund sind wir einerseits sehr aktiv, andererseits manchmal lethargisch und für einen Bruchteil empfinden wir sogar Freude (Sattva). Doch eine zeitweilige Freude, die von allem losgelöst ist, ist nutzlos.

All unsere Mühe im Leben gilt einer ständigen Freude, was dem Ziel von Ananda entspricht. Aus diesem Grund müssen wir reines Sattva, ohne die Begleiterscheinungen von Rajas und Tamas, erreichen. Unterschiede herrschen nur im Reich der Jivas vor. Wir sehen diese Unterschiede. Virat kennt diese Unterschiede nicht. Für Virat ist alles ‚Ich‘, ohne ‚er‘, ‚sie‘ oder ‚es‘. „Aham asmi“, - ‚Ich bin‘ ist das Bewusstsein von Virat, während mein und dein Bewusstsein ein Teil von IHM sind. „Ich bin und die Welt ist außerhalb von mir“, ist unser empfinden. Doch für Virat stellt es sich anders dar: „Ich bin, und außerhalb von mir existiert keine andere Welt.“ Die ganze Welt bin ‚Ich‘. Darum wird ER als Vaisvanara, kosmisches Sein und als die fühlende Person angesehen, wobei ER das Bewusstsein des Gesamtkosmos hat. Entsprechend der Upanishad hat ER sieben Glieder. ER hat tatsächlich unendlich viele Glieder oder unzählige Gesichter. Die ‚sieben‘ soll lediglich eine Vielzahl symbolisieren.

Während nun Virat als das Bewusstsein des universalen Wachzustandes gelten kann, sind wir beim mikrokosmischen Aspekt bzgl. des Bewusstseins in der ersten Phase des Zustandes des Individuums. An dieser Stelle, nehmen wir an, existieren neunzehn Münder. Durch den Mund wird konsumiert, Objekte oder geeignetes Material in den Körper aufgenommen und verdaut. Dieses ist die Aufgabe eines Mundes. Zur eigenen Wahrnehmung dient der Mund. In gewisser Weise sind auch die Augen und die Ohren jeweils Münder, denn sie nehmen wahr und absorbieren bestimmte Schwingungen in ihrer Funktionsweise. Schwingungen treffen uns durch die aufnehmenden Sinnesorgane. Auf dieses Weise geschehen alle Sinneswahrnehmungen wie durch Münder (Kanäle) auf uns. Alles, was wir mit Hilfe der Sinne konsumieren, ist ahara. Ahara-suddhau sattva-suddhih: wenn wir reine Nahrung zu uns nehmen, haben wir ein Gefühl der inneren Erleuchtung, heißt es in der Chhandogya Upanishad. Das bedeutet nicht, dass wir täglich nur Milch und Früchte zu uns nehmen dürfen, die als Sattvika Nahrung bezeichnet werden, während wir Übles denken, Hässliches mit unseren Augen wahrnehmen oder schlechten Nachrichten lauschen. Sattvika ahara ist die gereinigte Schwingung, die von den Sinnen wahrgenommen und ständig mit der ganzen Persönlichkeit kommuniziert wird. Auf diese Weise können die Sinnesorgane als Münder bezeichnet werden. Es gibt neunzehn unterschiedliche Funktionen, mit denen das wache Bewusstsein Schwingungen aufnimmt und mit der Außenwelt kommuniziert. Welche Funktionen sind das? Wir kennen die fünf Sinne oder Jnanendriyas: Srotra (die Ohren), Tvak (die Haut), Chakshus (die Augen), Jihva (die Zunge) und Ghrana (die Nase). Dieses sind die fünf Sinne des Wissens. Außerdem besitzen wir fünf Organe der Handlung: Vak (die Sprache), Pani (die Hände), Pada (die Füße), Upastha (die Genitalien) und Payu (den Anus). Dann unterscheidet man fünf aktive Steuerungselemente, durch die der subtile sowie der physische Körper agieren, d.h. die Pranas: Prana (die Lebensenergie), Apana (die Steuerung zur Ausscheidung des Körpers), Vyana (die Steuerung zur Blutzirkulation), Udana (die Förderung der spirituellen Entwicklung) und Sama (die Steuerung der Nahrungs- aufnahme). Diese fünfzehn Funktionen zusammen werden als der äußere Kern individueller Funktionen angesehen. Doch es gibt auch einen inneren Kern dieser Funktionen, der aus dem vierfachen psychologischen Organ besteht, d.h. Antahkarana-catushtaya mit Manas (der Geist, der denkt und abwägt), Buddhi (der Intellekt, der versteht und entscheidet), Ahamkara (das Ego, das Dinge auf sich selbst bezieht) und Citta (das Gedächtnis, das vergangene Eindrücke in das Unterbewusstsein auf der Ebene der Psyche speichert). Alles ist mit allem verbunden und zusammen bilden sie die neunzehn Münder. Damit stehen wir mit der Außenwelt in Kontakt, absorbieren Qualitäten und Charaktere. Wir sind uns damit nicht nur einer Außenwelt bewusst, sondern werden auch, bedingt durch die Samsara-Prozesse, beeinflusst. Es heißt, dass selbst Maha-Purushas bzw. Jivanmuktas die Welt wahrnehmen, auch wenn sie nicht mehr im Samsara-Prozess eingebunden sind, oder von der Welt berührt werden. Diese Maha-Purushas bzw. Jivanmuktas sind mit der Welt zufrieden, wie sie ist und von Ishvara, Virat oder Vaisvanara erschaffen wurde.

All unsere Körperfunktionen sind über die neunzehn Münder mit der physischen Welt verbunden. Selbst die Gedanken drehen sich um die physischen Objekte. Wir sind nicht in der Lage, ausschließlich an subtile Dinge zu denken, auch wenn wir es uns wünschen, denn selbst die subtilen Dinge beruhen auf Eindrücke physikalischer Objekte. Unsere Gedankenwelt ist davon abhängig. Darum sind wir auf Erden, in einer physischen Welt, in einem physischen Universum. Unser Bewusstsein ist an den physischen Körper gekettet, und das kosmische Gegenstück dieses physischen Bewusstseins ist Vaisvanara. Dieses ist Jagaritasthana, die wache Heimstatt des Bewusstseins, das in den Sinnen wacht, das sich der physischen Welt bewusst ist und nichts Anderes kennt.

Wir wissen nicht, was in uns steckt, und wir wissen auch nicht, was sich in der Welt befindet. Wer wissen will, was sich innerhalb der Welt befindet, kann sie deshalb nicht in Stücke reißen. Wobei dieses innerhalb nicht wie ein Raum oder eine Halle zu verstehen ist, sondern es handelt sich um ein Innerhalb, das nicht physikalisch zu betrachten ist. Was ist z.B. das Innere eines Objektes? Dieses Innere ist das, was man als intern betrachtet. Es handelt sich dabei nicht um die physischen Einzelteile eines Ganzen, sondern um die Kraft bzw. Energie des physischen Körpers, durch die er offenbar wird. Unser subtiler Körper wird im Sanskrit als Linga-Sarta oder Linga-Deha bezeichnet. Linga bedeutet so viel wie ein Zeichen, ein Indiz oder ein Symptom. Der subtile Körper wird als Symptom, Indiz oder Merkmal bezeichnet, denn er bestimmt den Charakter des physischen Körpers, was seine Offenbarung ist. Der physische Körper ist nichts weiter als eine Form, die aus dem Wesen des subtilen Körpers entsteht. Der subtile Körper ist nicht sichtbar. Er befindet sich innerhalb des physischen Körpers. Sicherlich gibt es bestimmte Dinge, die sich selbst innerhalb des subtilen Körpers befinden, auf die wir im Laufe des Studiums der Upanishad noch kommen. Die interne Struktur des Körpers ist nicht mit der physischen Struktur zu vergleichen. Sie unterscheidet sich in ihrer Beschaffenheit völlig von der physischen Struktur. Sie wird als Tanmatras, Mans, Buddhi etc. bezeichnet. Tanmatras sind subtile Schwingungen, wie sie sich innerhalb aller physischer Dinge befinden. Diese Schwingungen materialisieren sich selbst in Formen. Und in diesem Sinne muss man Nama und Rupa verstehen.

Nama und Rupa der Vedanta oder den Upanishads entsprechen nicht den Namen und Formen aus dem normalen gesellschaftlichen Leben, sondern sie sind vielmehr mit dem System von Aristoteles vergleichbar, d.h. Form und Materie. Bei Aristoteles ist die Form die formierende Kraft eines Objektes, Materie ist das Muster (der Ausdruck) derselben Kraft. Der subtile Körper kann als Nama und der physische Körper als Rupa angesehen werden. In diesem Sinne lässt der Name einen Rückschluss auf die Form des entsprechenden Objektes zu. Die Linga-Sarira, unsere Sukshma-Sarira, ist unser Name. Das ist unser wirklicher Name. Falls wir uns Gopala, Govinda oder Krishna nennen, sollte jener Name, der uns verliehen wurde, unserem Charakter entsprechen. Er sollte nicht unserem Wesen widersprechen. Der wirkliche Name ist in uns. Es handelt sich nicht nur um ein Wort.

Der subtile Körper, der voller unerfüllter Wünsche ist, formt einen Körper, um seine Wünsche zu erfüllen. Die Annahme des Körpers wird als Geburt bezeichnet. Die Geburt oder das körperliche Dasein kann so lange nicht beendet werden, wie der subtile Körper nicht erloschen ist. Auf diese Weise erfolgen unendlich viele Geburten und Tode, Prozesse von Samsaras, Seelenwanderungen. Dieses ist nichts weiter als ein immer neues Bemühen des Körpers auf immer neuen Kanälen die Wünsche zu erfüllen, die bislang unerfüllt blieben. Eine Unzahl von Jivas füllt den Kosmos. All diese Jivas werden durch ein Bewusstsein belebt, dass allen gemeinsam ist. Dieses Bewusstsein ist Vaisvanara, doch individuell betrachtet, wird dieses Bewusstsein unter der Bedingung des Körpers als Jiva bezeichnet.

Während das Bewusstsein aller physischen Körper, seien sie lebendig oder nicht, als Vaisvanara oder Virat angesehen werden kann, so wird dasselbe Wachbewusstsein in einem lebendigen Körper als Visva bezeichnet. Visva ist der Atman, der dem physischen Körper innewohnt; Vaisvanara ist der Atman, der den absoluten Kosmos regiert. Dieses ist die doppelte Lebendigkeit, einerseits individuell und andererseits kosmisch; - Jagaritasthana.

Jetzt betrachten wir Bahihprajna, d.h. das nach außen gerichtete Bewusstsein. Während beide, Jiva und Ishvara, als nach außen bewusst betrachtet werden, so gibt es doch zwischen beiden einen feinen Unterschied. Jiva ist sich in dem Sinne nach außen bewusst, als es sich Dingen, Objekten oder Substanzen äußerlich bewusst ist. Das Vaisvanara-Bewusstsein ist eine universale Selbstbehauptung von ‚Ich bin‘, ‚Aham-asmi‘. Dieses ist die erste Offenbarung des Selbstbewusstseins, - das kosmische Ahamkara. Darum hat es keine opponierenden Objekte vor sich. Dieses Ahamkara hat keine Kriege abzuwägen, Missverständnisse mit anderen zu klären und kennt darum überhaupt keinen Schmerz. Es kennt auch keine Abmachungen mit anderen Menschen, denn es ist Vaisvanara und nicht Visva. Man kann sich diesen Zustand eines solchen ‚Ichgefühls‘ nicht vorstellen. Es heißt, dass man diese Bedingung bis zu einem gewissen Grad mit dem eigenen Bewusstwerden, unmittelbar nachdem man aus dem Schlaf erwacht, vergleichen könnte. Normalerweise denken wir nicht daran, wenn wir aus dem Schlaf erwachen. Wir bleiben jedoch in einem Zustand des Halbschlafs, bis wir wieder unserer normalen Geschäftigkeit nachgehen. Wir meditieren auch nicht über diesen Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen in Bezug auf die äußere Welt. Wir fühlen unser Sein auf ganz subtile Art und Weise, bevor wir uns unserer Außenwelt wirklich bewusst werden. Dieser Zustand des Bewusstseins, wo es sich selbst gewahr wird und nicht den anderen Dingen bewusst ist, ist der Zustand von einem ‚Ich-sein‘, Asmitva, Aham-asmi, was eine schwache Entschuldigung für die Wirklichkeit sein könnte. Ein anhaltender Aufenthalt in diesem Bewusstseinszustand würde uns den Kosmos erfahren lassen. Wenn dieses Bewusstsein sich auf andere Objekte oder Lebewesen bezieht wird es individuell (Jiva). Bahihprajnata oder das nach außen gerichtete Bewusstsein des Ishvara ist für IHN kein bindender Faktor, denn Sein Bewusstsein befasst sich nicht mit äußeren Dingen, während das nach außen gerichtete Bewusstsein des Jiva sich an Samsara bindet. Diese Bindung dient nicht nur dazu, sich der äußeren Welt bewusst zu werden, sondern um sie gewollt oder ungewollt einzuschätzen oder zu beurteilen. In Virat gibt es keine Wünsche, während der Jiva Wünsche hat. Dieses ist der einzige Unterschied zwischen Jiva und Ishvara. Ein Jiva ohne Wunsch wird zu Ishvara; und Ishvara mit Wunsch wird zu Jiva.

Auf diese Weise ist dieses Wachbewusstsein, Jagaritasthana, was ein äußeres Bewusstsein, Bahihprajna, hat, kosmisch Saptanga mit sieben Gliedern und individuell Ekonavimsatimukha mit neun Mündern ausgestattet. Es kennt beide Richtungen, individuell und kosmisch. Im Fall von Virat handelt es sich nur um ein Bewusstsein des physischen Kosmos. Im Fall des Jiva ist es der Wunsch nach physischen Objekten des Kosmos. Dieses ist eine Richtung. Während bei Virat das ganze Universum im Bewusstsein erfasst wird, kann der Jiva es nicht begreifen. Jiva ist nur auf bestimmte Dinge in der Welt fixiert. Virat kennt weder Mögen noch Nichtmögen, insoweit wie ER alles in Seinem Bewusstsein erfasst, doch bei Jiva findet Mögen und Nichtmögen statt, da er auf einzelne Dinge fixiert ist. Wir haben keinen universalen Wunsch in uns. Wir kennen keinen Wunsch, der alles im Kosmos umfasst. Wann immer wir etwas wünschen, handelt es sich immer um etwas irgendwo, das sich von anderen Dingen woanders unterscheidet. Wir erschaffen uns immer eine Aufsplittung der Dinge. Wir können nicht alle Dinge in unserem täglichen Leben in Betracht ziehen; selbst unsere Beurteilungen sind durch diese Aufsplittungen beeinflusst. Ein unparteiisches Beurteilen ist nicht so leicht möglich, d.h., dass wir nicht alles bei unseren Beurteilungen in Betracht ziehen können. Bestimmte Dinge werden immer wieder außer Acht gelassen, was unser Beurteilungsvermögen beeinträchtigt. Auf diese Weise ist das Urteil von Jivas voller Irrtümer. Darum ist der Jiva an die Welt gebunden.

Da wir die Welt nicht verstehen und mit ihr aus diesem Grund falsch umgehen, fällt dieses Fehlverhalten in Form des Karma auf uns zurück und wir leiden darunter. Der Rückschlag der Welt ist unser Karma. Dieses würde nicht geschehen, wenn wir ihr mit einem richtigen Verstehen gegenüber ihre Natur begegnen würden. Doch wir begegnen ihr mit einer vorgefassten Einstellung, d.h. dem subtilen Wunsch sie zu benutzen, um unsere Wünsche zu erfüllen. Wir sollten in der Welt kein Instrument sehen, um uns zufrieden zu stellen, sonst wird uns das gleiche widerfahren, - wie du mir so ich dir. So wie wir mit der Welt umgehen, so geht die Welt mit uns um. Wir sollten uns nicht als Zentrum der Welt ansehen. Wir können uns nicht als Meister aufspielen und die Welt als unseren Diener betrachten. Wenn wir uns derart verhalten, so geschieht mit uns umgekehrt dasselbe. Dieses geschieht nicht nur in diesem Leben, sondern setzt sich in vielen Leben fort. Dieses ist Samsara, in das wir eingebunden sind. Dieses ist Jiva’s Bahihprajnata mit all ihren Konsequenzen.

Ishvara’s Bahihprajnata ist ein befreiter Zustand. ER ist in der Lage, sich aller Schöpfungen gleichzeitig bewusst zu sein, während wir uns nur weniger Dinge nacheinander bewusst sind. Wir können nicht einmal an zwei Dingen gleichzeitig denken. Wie sollten wir dann an alle Dinge gleichzeitig denken? Virat ist sich aller Existenzen gleichzeitig bewusst, - darum ist ER allwissend, Sarvajnatva, - der Jiva hat ein Folgebewusstsein, das von einem zum anderen Gegenstand springt, d.h. er kann nicht alles gleichzeitig begreifen. Es handelt sich um Alpajna, kleines Wissen. Während Virat überall gleichzeitig ist, Sarvantaryamin, ist der Jiva, Aikadesika, örtlich begrenzt. Wir können zwei Sitze nicht gleichzeitig besetzen, wohingegen Ishvara alle Sitze zur selben Zeit besetzen kann. Während Virat, Sarvasaktim, auf Grund Seiner Verbindung mit allem allmächtig ist, ist der Jiva ohnmächtig, Alpasaktman, denn er ist mit keinem Ding verbunden. Der Virat ist nicht mächtig, weil ER nach allem greift, sondern weil ER allgegenwärtig ist. Sein Wissen ist innerhalb und beruht nicht auf Wahrnehmungen. Das Bewusstsein oder Wissen des Virat ist die Intuition des gesamten Kosmos, während das Bewusstsein des Jiva im Wachzustand auf die Sinneswahrnehmung von Objekten angewiesen ist, was nicht innerhalb ist. Wir kennen kein Inneres der Dinge und wir haben auch keine Intuition der Objekte. Auf Grund dieser Tatsache haben wir auch keine Macht über die Dinge.

Wir sind schwach in unserem Willen und unserem Körper. Wir wünschen, aber wir können unsere Wünsche nicht erfüllen, weil wir schwach sind. Unsere Wünsche sind unsere Schwäche, und die Stärke des Virat ist Seine Wunschlosigkeit. Je mehr man wünscht, desto schwächer wird man und umgekehrt. Darum ist der höchste Stand der Wunschlosigkeit der Zustand von Virat oder Vaisvanara. An dieser Stelle wird der Jiva zu Ishvara, wunschlos und ohne Hass. Dieses Mantra der Mandukya Upanishad ist eine Beschreibung des ersten Viertels des Atman, die erste Stufe der Betrachtung des Bewusstsein in Bezug auf das Leben im Wachzustand, individuell und kosmisch, Visva und Vaisvanara oder Jiva und Virat genannt.