Yoga als eine universale Wissenschaft

  Kapitel 4:

   Einleitende Anweisungen zur Yogapraxis

Die Modifikationen des Geistes, die als ‘Nicht-Schmerzhaft’ bekannt sind, sind so etwas wie organische Fehler, und die anderen ‘Schmerzhaften’ sind so etwas wie eine funktionale Unordnung, wobei diese letzteren den vorhergehenden folgen. Eine funktionale Unordnung kann eine unmittelbare Folge eines Organfehlers sein. Es gibt ein Grundübel in unserem Lernprozeß, so daß unser Wissen keinen direkten Bezug zur Wirklichkeit hat. Diese Welt beruht auf eine auf Wissen basierende Existenz, auf Prozessen von Vergänglichkeit, mehr Erscheinungen als bloße Gedanken. Diese Beschreibungen und Erfahrungen von der Welt trifft auf die meisten Philosophen in der Welt zu. Wir leben nicht in einer Welt der Wirklichkeit. Unsere Erkenntnisse und Wahrnehmungen führen zu falschen Darstellungen, und beruhen deshalb auf unkorrekten Wahrnehmungen der Wirklichkeit. Patanjali hält daran fest, daß letztendlich das, was normalerweise mit Pramana oder ‘richtigem Wissen’ ausgedrückt wird, auch aufgrund dessen, weil es einer besonderen Modifikation des Geistes entspricht, eine Fehlinterpretation der Wahrheit ist. Wenn der Geist durch Yoga gezügelt werden soll, dann muß jede Modifikation gezügelt werden, selbst wenn es sich dabei um die sogenannte ‘richtige Wahrnehmungen’ handelt. Es ist nur von unserem Standpunkt aus richtig, doch nicht vom Absoluten Standpunkt der Wirklichkeit aus gesehen. Unser Wissen ist richtig, nur weil dieses in der Erscheinungswelt anwendbar ist. Es hat lediglich einen Gebrauchswert, doch ist es letztendlich nicht gültig, wenn es der Wahrheitsprüfung standhalten soll. Die sonstigen Denkprozesse, wie Deduktion (Erkenntnis des Einzelnen), Induktion (Schlußfolgerung), Inferenz (Ableitung) und weitere gut bekannte Methoden des ‘richtigen Wissens’ in dieser Welt, entstehen aus Wahrnehmungen. Die Wahrnehmung durch die Sinne ist die Hauptstraße unserer Wissensaufnahme. Alles Weitere folgt der Sinneswahrnehmung. Auf diese Weise führt Logik, egal ob induktiv oder deduktiv, weder zu einer letztendlich gültigen Erkenntnis, noch zu einer reflektierten Absoluten Wahrheit, da sie von der Wahrnehmung abhängt. Wahrnehmung geschieht durch die Sinne, und ist darum nicht in der Lage, die Wirklichkeit darzustellen. Darum sind alle Wahrnehmungen, welcher Natur auch immer, und alle Modifikationen in ihrem Wesen psychologische Transformationen. Und genauso wie Yoga den Geiststoff unterdrückt, muß selbst unser Wissen über eine ‘äußere Welt’ zum Gegenstand der Transformation durch die Yogapraxis werden.

Yoga ist keine individuelle Angelegenheit

Das Wissen, das wir uns von der äußeren Welt durch die Sinne aneignen, ist durch die weltliche Struktur beeinflußt, von der auch wir ein Teil sind. Und ein Wissen, das von bestimmten Bedingungen abhängt, kann nicht ohne jede Vorbedingung als letztendlich gültig betrachtet werden. Aufgrund dieser Situation verursacht die fehlerhafte Wahrnehmung des Menschen oder irgendeines anderen Individuums, Schmerzen in Form der Klishta Vrittis. Unsere Sorgen entstehen durch unsere falschen Vorstellungen. Wenn wir falsch wahrnehmen, falsch denken und falsch verstehen, werden die Folgen in uns selbst geboren, weil unsere Freuden und Sorgen praktisch den Weg weisen wie unser Denkorgan auf die äußeren Umstände reagieren muß. Psychologische Aktionen und Reaktionen sind die Freuden und Sorgen des Lebens. Daher müssen wir, wenn wir den Bereich der Yogapraxis betreten, gegenüber Fehlern, die sich beim Üben einschleichen, doppelt vorsichtig sein, da bereits das Vorurteil in uns steckt, daß wir Individuen sind, und eine beharrliche Vorstellung, die sich vehement behauptet, will uns bis zum Jüngsten Gericht nicht loslassen, nämlich die, daß wir auf eine Welt außerhalb von uns bestehen, und daß jene Erkenntnisobjekte vollkommen vom erkennenden Subjekt getrennt sind. Diese falsche Vorstellung, daß Yoga eine individuelle Angelegenheit ist, und daß es nichts mit der äußeren Welt oder menschlichen Gesellschaft zu tun hat, ist der Nährboden für andere Zweifel, die sich bei Anfängern der Yogapraxis in die Köpfe einschleicht. Es überrascht, daß selbst sogenannte Fortgeschrittene im Yoga, diese falschen Vorstellungen in sich tragen, und soziales Wohlergehen sowie die Zukunft der Welt werden von den Werten, die durch die Yogapraxis errungen werden, getrennt.

Die Yogapraxis ist sicherlich keine individuelle Angelegenheit. Es ist nicht bloß ein individuelles Sitzen in einer Ecke, wo man vorgibt, irgend etwas im Namen von Yoga zu tun. Die ‘individuelle Existenz’ selbst ist eine falsche Bezeichnung. Diese Bezeichnung ist in ihrem Kern falsch, und wenn mit dieser falschen Behauptung die Yogapraxis aufgenommen wird, kann man sich gut vorstellen, was dabei herauskommt. Nichts kommt dabei heraus. Man verschwendet bloß seine Zeit. So ergeht es Tausenden von Menschen, die sich der Yogapraxis unterziehen, und sich möglicherweise in einem Zustand der Verzweiflung befinden, niedergeschlagen sind, nichts erreicht haben und dabei in noch größere mentale Schwierigkeiten geraten als zuvor. Es muß uns immer wieder durch alte Meister eingehämmert werden: ‘Solange man mit den Vorbedingungen nicht vertraut ist, sollte man sich Yoga nicht ernsthaft widmen. Ein unreiner Geist, der von groben Wünschen und Vorurteilen im Überfluß besessen ist, sollte nicht einmal an Yoga denken. Anderenfalls wird es wie Dynamit explodieren, das von jemandem unsachgemäß behandelt wurde. Während Yoga der Trost der ganzen Menschheit ist, und es kein besseres Allheilmittel für die Krankheiten des Lebens gibt, so kann es sich doch auch als gefährliche Sache erweisen, wenn nicht vernünftig damit umgegangen wird. Wir können verrückt bzw. geisteskrank werden oder am Ende gar nichts erreichen, wenn unsere Begeisterung für Yoga in die falsche Richtung geht, Vorurteilen unterliegt und in alten Wünschen verwurzelt ist, die selbst dann weiter bestehen, wenn wir den Tempel Gottes betreten.

Die philosophischen Grundlagen sind ebenso wichtig wie die Technik oder die tatsächliche Yogapraxis. Das ist der Grund, warum die Yogapraxis immer auf die Grundlage der Samkhya Kapila’s oder auf die Vedanta gestellt wird. Für jemanden, der keine Kenntnis über die philosophischen Yogagrundlagen hat, würde es lediglich ein mechanisches, routinemäßiges Üben sein. Er würde sich wie eine Maschine bewegen und glauben, daß es Yoga sei. Insofern, als das Universum als Ganzes nicht in der Lage ist, sich aufzuteilen, kann es nicht so etwas wie ‘individuelle Yogapraxis’ geben. In dem Augenblick, wo wir in das Yogareich eintreten, wird eine ozeanweite Wasserfläche betreten, wo man alle Freunde und Brüder der Welt erkennt. Den größten Dienst, den man der Menschheit, der Welt oder dem Universum als Ganzes, erweisen kann, ist in Yoga einzutreten; und dabei können wir das gesellschaftliche Wohl oder die weltlichen Güter nicht von der Yogameditation abtrennen, denn sie sind so ziemlich ein und dasselbe. Die Hingabe zu Yoga ist der größte aller Dienste, den man ausüben kann, da man hier oder aber zumindest zu diesem Zeitpunkt beabsichtigt, in die Herzen der Dinge einzutreten, anstatt lediglich an der äußerlichen Oberfläche, im Namen der Nächstenliebe zu arbeiten. Die Welt wird sich nicht bloß deshalb ändern, weil wir eine Vorstellung davon haben, und dann aufgrund dieser Vorstellung, die Probleme angegangen werden. Nicht ein Problem dieser Welt wurde bis zum heutigen Tag gelöst. Sie sind immer noch da, weil niemand wirklich weiß, wodurch diese Probleme wirklich entstanden sind. Sie sind ein Ergebnis einer völlig falschen Vorstellung des individuellen Geistes.

Yoga ist mehr ein Zustand des inneren Seins, als des äußeren Handelns

Yoga bedeutet ‘Einheit’. Es sollte sich dabei um einen eigenen Zustand und nicht um ein Bildnis über die Erkenntnis oder Wahrnehmung eines anderen handeln. Dies ist ein sehr feinsinniger Punkt, der nur schwer zu verstehen ist. Die hintergründige Bedeutsamkeit übertrifft unsere Vorstellungen um ein Vielfaches. Uns wurde von Lehrern und bekannten Yogabüchern berichtet, daß wir die allgemeinen Routinen durchlaufen müssen, wenn wir religiös werden oder uns dem Yoga zuwenden wollen. Doch dann, insofern als Yoga mehr einer internen Einstellung als einer externen Praxis entspricht, erfordert es eine größere Selbstmühe, als die gewöhnlichen Routinen des Lebens abverlangen. Yoga ist mehr ein innerer Zustand des Seins als äußere Handlung. Eine Vielzahl äußerer Handlungen sind überhaupt kein Yoga. Wenn sich die Lebenseinstellung nicht verändert, bleibt man ohne jede Veränderung derselbe Mensch wie zuvor. Wenn der Geist auf derselben alte Denkweise beharrt, gibt es keinen Fortschritt. Aufrichtigkeit im eigenen Herzen ist wesentlich. Wir sollten uns nicht selbst betrügen. Häufig gehen die Leute zum Yoga, um selbst Yogalehrer zu werden. Dies ist gegenüber Yoga mehr eine Beleidigung als eine Wertschätzung, wenn es nur erlernt wird, um es zu unterrichten. Vor diesem Hintergrund sieht es so aus, als würde Yoga mehr zum Instrument für den eigenen Lebensweg mißbraucht, als für die innere Umwandlung des Geistes genutzt. In der Religionssprache kann man sagen, daß Yoga die Kunst ist, durch die man Gott erschauen kann. Es unwichtig, ob man Yoga unterrichtet. Man mag unterrichten oder es unterlassen. Dies ist ein anderes Thema. Das Ziel des Yogas ist: Die Vision von Gott, das Erkennen der Absoluten Wirklichkeit und die letztendliche Einheit mit dem Absoluten. Wenn dieser Sinn dafür fehlt, wird Yogapraxis zur Farce und zur bloßen Verschwendung. Der Punkt, wo Patanjali uns sagt, daß selbst die sogenannten ‘rechten Wahrnehmungen’ falsche Wahrnehmungen sind, sollte uns wachrütteln. Doch was machen wir in unserem Yoga? Unsere Praktiken sind nur in ‘falschen Wahrnehmungen’ verwurzelt. Wir kommen nicht über unsere alten psychologischen Vorurteile bezüglich des Äußeren hinweg. Doch, um über diese Vorurteile innerlich hinweg zu kommen, muß der eigene Geist gereinigt werden. Grobe Trümmer, in die der Geist eingesunken sein mag, müssen beseitigt werden, für die viele Methoden von den alten Meistern der Weisheit vorgeschlagen werden; d.h., hingebungsvolles Dienen bei den Meistern, Gurus oder demütigen Führern, eine innere Fähigkeit, die eigene Position richtig einzuschätzen, sich selbst nicht zu überschätzen und eine Klarheit, die frei von Wünschen ist, was die Folge von der ‘falschen Wahrnehmung’ der Welt als äußeres Objekt ist.

Vairagya (Leidenschaftslosigkeit) und ihre wahre Bedeutung

Das zuletzt in der Aufzählung von Patanjali erwähnte Wort ist nur ein Begriff, nämlich Vairagya. Wenn man nicht mit dieser herrlichen Disziplin wie Vairagya ausgestattet ist, wird Abhyasa oder Yogapraxis unmöglich. Solange man den falschen Werten des Lebens anhaftet, ist eine Hinwendung zum Absoluten unmöglich. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auf diesen Punkt lenken: ‘Nicht-Verhaftetsein’ oder mehr noch das Loslösen von den falschen Werten des Lebens, was wiederum ein Umkehren der Tatsache aufgrund unserer Vorstellungen sein mag, die wir in unserem Leben unterhalten. Mit Vairagya oder Loslösen von den falschen Werten, ist nicht eine physische Nähe der Dinge vor unseren Augen zu verstehen. Dieses wurde uns in solchen Schriften, wie der Bhagavad Gita und in den entsprechenden Texten, klar gesagt. Unser Problem besteht nicht in der Existenz der Dinge, sondern vielmehr in der Art unserer Vorstellung über deren Existenz. Wenn unsere vorherrschenden falschen Vorstellungen über die Existenz der Dinge in der Welt oder der Welt als Ganzes nicht transformiert wird, kann uns körperliches Abwenden von den Objekten nicht helfen. Patanjali definiert Vairagya in einer höchst psychologischen Art und Weise. Vairagya hat nichts mit unserer Sichtweise über das sogenannten Sannyasa (Entsagungsgelübde) zu tun. Es hat nichts damit zu tun, dem Mönchstum oder einer Kirche beizutreten. Kein äußeres ‘Zur-Schaustellen’ der Lebensführung ist mit Vairagya gemeint. Vairagya bedeutet ‘Abwesenheit des Geschmacks an den Dingen’, wobei unter diesem ‘Geschmack an den Dingen’, das Wünschen zu verstehen ist. Die Abwesenheit des Wünschens wird Vairagya genannt. Raga ist Wünschen oder Verhaftung, und Vairagya ist das Gegenteil davon. Der Geschmack an den Dingen, der Wunsch nach Objekten muß in einer höheren Wahrnehmung verfeinert werden. Unsere Probleme liegen im Geschmack an den Dingen selbst, und nicht an der Existenz der Objekte, denn Dinge wird es immer geben. Es gab sie in dieser Welt bereits vor unser Geburt, und selbst, wenn wir nicht hier wären, wären sie trotzdem vorhanden. Dieses auf den Geschmack kommen, entsteht aufgrund unserer falschen Kenntnis der Dinge. Wir lieben oder hassen Dinge, weil wir überhaupt nichts verstehen. Das Verlangen nach Objekten, der Wunsch nach Dingen geschieht aufgrund der ersten Fehleinschätzung unserer Position im Universum und einer konsequenten Fehleinschätzung unserer Beziehung zu den äußeren Objekten. Letztendlich läuft all dieses zusammen darauf hinaus, daß die Wünsche sofort verschwinden, wenn wahres Verstehen dämmert.

Die große Verwirrung im Geiste Arjunas, wie es im ersten Kapitel der Bhagavad Gita beschrieben wurde, entstand gemäß Shri Krishna als Folge der Abwesenheit des Verstehens, einer Abwesenheit von Samkhya-Buddhi, wie im zweiten Kapitel ausgeführt wurde. Uns fehlt Samkhya-Buddhi oder ‘rechtes Verstehen’. Wir können die Dinge nicht sehen wie sie sind, und darum haben wir zu ihnen eine falsche Beziehung. Wir kleben an ihnen oder wir versuchen vor ihnen wegzulaufen. Es gibt weder einen Grund an ihnen zu kleben, noch gibt es Grund vor ihnen wegzulaufen. Beide Verhaltensweisen unsererseits sind in Bezug auf die Objekte, so wie sie sind, ungerechtfertigt. Die Welt ist ein Königreich des Endlichen. Der Atman (das Absolute) ist die Wirklichkeit aller Objekte in der Welt. In allen Dingen ist die Absolute Subjektivität gegenwärtig. Es gibt hier nichts Objektartiges. Alles ist Subjekt im Zustand seiner selbst. Insofern, wie alles ein endliches Subjekt in sich selbst darstellt, und es nicht möglich ist, etwas anderes zu sein, kann niemand in dieser Welt als Instrument von jemand anderem mißbraucht werden. Darum ist niemand ein Objekt. Daher kann niemand im Sinne einer Sache zur Befriedigung anderer benutzt werden, - ein Verlangen nach Zufriedenheit, das entweder aus Liebe oder aus Haß entsteht.

Die vollständige Abwesenheit des Geschmacks an Gesehenem, Gehörten oder gar im Geiste Vorgestelltem, wird als Vairagya bezeichnet. Drishtanusravika-vishaya-vitrishnasya vasikara-samjna vairagyam: so lautet der Vers (I-15) von Patanjali. Wir sehen und wir hören Dinge. Wir sehen diese Welt der Objekte, die tatsächlich sehr schön, häufig sehr anziehend oder manchmal auch abstoßend sind. Wir hören auch von den Freuden des Himmels, dem Paradies, dem Garten Eden, Indra-Loka. Man möchte dorthin gehen und sich des Lebens erfreuen. Dies ist ein Wunsch, der nur von dem Gehörten und nicht von dem Gesehenen kommt. Wünsche gehen auch von gesehenen Objekten aus, was unserer praktischen Erfahrung entspricht. Wenn es aufgrund der Erkenntnis der wahren Umstände in der Beziehung aller Dinge mit dem gesamten Universum keinen Geschmack mehr an Gesehenem, Gehörtem oder eigenen Gedanken gibt, hört auch das Wünschen auf. Man wird zum Meister. Meisterschaft über den eigenen Verstand bedeutet Meisterschaft über die Wünsche.

In gewissem Sinne, kann man sagen, daß der Geist ausschließlich aus Wünschen besteht. Wünsche bilden den Geist. Liebe und Haß im Leben bilden das Gewebe des Geistes. Wenn Liebe und Haß durchdrungen wird, wird der Geist automatisch bezwungen. So wie Fäden die Grundlage der Kleidung bilden, so sind Wünsche die Grundlage des Geistes. Das Wünschen und der Geist sind nicht verschieden. Aus diesem Grund haben religiöse Handlungen nichts mit Yoga zu tun, denn Yoga ist überhaupt nicht religiös. Yoga ist eine systematische, wissenschaftliche Annäherung an die Dinge (Objekte), wie sie wirklich sind. Es hat nichts mit Hinduismus, Christentum oder irgendeiner anderen Religion zu tun. Yoga ist wie Mathematik oder Logik, weder hinduistisch, islamistisch noch christlich. Yoga entspricht einer völlig wissenschaftliche Weltanschauung, wie sie von jedem in diesem Kosmos lebenden Individuum erwartet wird. Es ist weit wichtiger, diese Anschauung und dieses Verständnis zu entwickeln, als unvorbereitet in eine unausgegorene Routinepraxis hineinzugehen; sonst bedarf es großer Mühe und nimmt sehr viel in Zeit in Anspruch, die Technik der Praxis wirklich zu verstehen. Wenn die Praxis von Grund auf durch falsches Verstehen in die falsche Richtung führt, kommt selbst nach Jahren der Praxis kein meßbares Ergebnis heraus. Wir sind nicht hier, um Wünsche zu erfüllen. Es ist nicht das Ziel des Lebens, die Sinne zufriedenzustellen oder das eigene Ego zu verhätscheln, sondern wir sind hier als Auszubildende in einer großen Schule oder einem Ausbildungsinstitut. Wir schreiben uns nicht in ein Ausbildungsinstitut ein, um unsere Wünsche zufriedenzustellen, denn dieses Leben, unsere Existenz auf Erden, ist ein Trainingsplatz für alle. Wir sind wie Schüler in der Schule, die sich unter der Führung des Absoluten Selbst, einem Ausbildungsprozeß unterziehen.

Vrittis sind die fundamentale Quelle aller Schwierigkeiten im Leben

Vairagya und Abhyasa sind die beiden wesentlichen Begriffe, mit denen wir uns beim Studium von Patanjali’s Yoga vertraut machen müssen. Vairagya wird auf vielfache Weise definiert und auf verschiedene Art und Weise übersetzt. Entsagung, Selbstverleugnung und die Aufgabe vergänglicher Werte im Leben sind normalerweise mit dem Begriff Vairagya verbunden. Sich im Zustand des Yoga zu befinden heißt, die weltlichen Objekte so zu betrachten, wie Gott selbst sie sieht. Wenn jemand die Dinge so sieht wie Gott selbst, befindet er sich im Zustand des Yoga. Obwohl kaum zu verstehen ist, was das für ein Zustand sein könnte, kann man sich sehr wohl vorstellen, daß dies ein Zustand vollkommener Unpersönlichkeit, ohne jedes Gewahrsein der Dinge, die von einem selbst untrennbar sind. Bei den meisten Religionen wird das ganze Universum als der Körper Gottes betrachtet. Und niemand schaut mit Zuneigung auf den eigenen Körper als Objekt. Darum sollte man eine unpersönliche Anschauung als Respekt gegenüber Dingen entwickeln, die aufgrund ihrer scheinbaren Position als etwas Äußerliches in Raum und Zeit erscheinen. Gott kennt weder Raum noch Zeit. Würde man Raum und Zeit durchdringen, bedeutet dies, die Dinge wie Gott zu betrachten. Diese Technik, zur Überwindung der Grenzen von Raum und Zeit, wird Dhyana genannt. Dies führt zu Samadhi, was der Höhepunkt des Yoga ist.

Am Anfang kann Raum und Zeit nicht durchdrungen werden. Die Yogalehrer sagen uns, daß es selbst in der Praxis von Vairagya oder Entsagung eine Stufenleiter gibt, weil man nicht sofort den Gipfel von Vairagya erreichen kann. Die ‘Abwesenheit des Geschmacks’ an den Dingen ist in der Praxis nicht einfach. Der Geschmack bleibt selbst dann erhalten, wenn man sich von den Objekten der Zuneigung entfernt hat. Obwohl wir die Objekte nicht mit den eigenen Augen sehen können, lieben wir sie. Vairagya kann nur erreicht werden, wenn man sich selbst stufenweise auf den richtigen Weg begibt. Man sollte sich in gefaßter Art und Weise niedersetzen und analysieren: anfangs scheint es, daß die Probleme sich in der äußeren Welt befinden. "Die Leute um mich herum bereiten mir Schwierigkeiten", so spricht jeder, der sich über seine Umstände beklagt. Niemand sieht sich selbst als Quelle der Probleme. Dies ist das erste Ergebnis als Folge einer Analyse der Lebensprobleme. Doch später, wenn man mehr philosophisch und mit weniger Voreingenommenheit an die Sache herangeht, wird man feststellen, daß es nicht die anderen Menschen oder äußerlichen Dinge sind, die Probleme bereiten, sondern vielmehr die eigene Beziehung zu jenen Menschen und Dingen. Die Erfahrungen im Laufe des Lebens, seien es gute oder schlechte, zeigen die Beziehungen zwischen den Dingen auf. Wenn es keinerlei Beziehung zwischen Subjekt und Objekt gäbe, würden Objekte auch nicht erfahren. Darum beruhen schmerzhafte und freudige Erfahrungen oder das Gefühl von Problemen, auf einer besonderen Art von Beziehung, die zwischen einem selbst und anderen besteht. Auf diese Weise steigen wir von der gröberen Stufe der Klage gegenüber Personen und Dingen, als Quelle unserer Schwierigkeiten, ein wenig höher zu der Erkenntnis von subtileren Gründen unserer Schwierigkeiten, nämlich, zur Raum- und Zeitbeziehung. Menschen und Dinge sind nicht wirklich unsere Probleme, sondern unser Problem liegt in der Beziehung zu ihnen. Wir sind auf die Beziehung nicht richtig eingestellt. Es handelt sich um eine mangelhafte Einstellung in jener Beziehung. Diese Kenntnis ist ein wenig höher, verglichen mit dem früheren Gefühl einzustufen, wo es hieß, daß die Dinge als solches die Quelle unserer Schwierigkeiten sind. Doch Beziehungen sind nichts weiter als psychologische Vorgänge. Unsere Beziehung zu anderen ist nichts weiter als ein mentaler Vorgang des Vorangegangenen in Bezug auf das Nachfolgende. Darauf beruhen die Schwierigkeiten aufgrund mentaler Vorgänge eines Menschen hinsichtlich eines anderen bzw. dieser oder jener Dinge.

Erinnern wir uns: die Dinge in der Welt sind nicht die Quelle unser Schwierigkeiten; sie sind nicht wirklich das Problem. Die Beziehung zu den Dingen ist die Quelle, und die Beziehung ist nichts weiter als die mentale Aktivität. Nun kommen wir zu der wirklichen Wurzel der Angelegenheit. Die Vrittis des Geistes sind die Probleme hinter all den Schwierigkeiten unserer Lebensordnung. Wenn die Geistesaktivitäten nicht gezügelt und nicht richtig kanalisiert werden, besteht die Möglichkeit falscher Einstellungen gegenüber anderen und die damit konsequenterweise verbundenen Probleme. Der Geist ist die Quelle allen Übels. Darum muß Vairagya durch Stufen der Selbstreflexion und Selbstanalyse erreicht werden.

Was ist Vairagya? Was ist Entsagung? Entsagung bedeutet nicht, sich von Menschen und Dingen zurückzuziehen, da sie nicht die Quelle des Übels sind. Die Quellen des Übels sind falsche Beziehungen; und Entsagung bedeutet das Zurückziehen falscher Beziehungen. Und genauer gesagt, sind Beziehungen nichts weiter als Verhaltensweisen des Geistes. Darum ist Vairagya eine mentale Bedingung. Es handelt sich nicht um eine körperliche Aktivität. Es ist nicht etwas, was jemand draußen in der Gesellschaft macht. Die Handlung besteht allein in den Gedanken. Das, was der Mensch denkt, das ist er. Daher ist die vollkommene Meisterschaft, von der Patanjali in seinen Versen bezüglich Vairagya spricht, ein abgestufter Prozeß der Verwirklichung, den man - ohne daß eine Stufe ausgespart werden kann - mit dieser täglichen, ja stündlichen Praxis durchlaufen muß.

Vairagya und Abhyasa gehören zusammen

Vairagya und Abhyasa sollten gem. Patanjali zusammen ausgeübt werden: Abhayasa-vairagyabhyam tannirodhah. Die Veränderungen des Geistes, egal ob schmerzhaft oder nicht, werden durch Vairagya und Abhyasa kontrolliert. Diese Veränderungen des Geistes, seien sie schmerzhaft oder nicht, sind die Ursache aller Verdrehungen im Leben, die als Samsara bekannt sind. Vairagya und Abhyasa wirken zusammen und häufig fühlen wir, daß sie nicht voneinander trennbar sind. Ein beharrliches Bemühen in Richtung auf das eigene Loslösen von falschen Werten im Leben, ist das Wesen spiritueller Praxis oder Abhyasa, obwohl dies auch sein Positives hat. Bei der Behandlung von Krankheiten hat dies eine Doppelbedeutung, nämlich, zum einen die Heilung und zum anderen das Wachstum guter Gesundheit. Die Medizin hat bei kranken Patienten eine doppelte Wirkung, nämlich, die Krankheit zu heilen und auch die Gesundheit zu verbessern. Eine Konzentration unserer Aufmerksamkeit, unseres Bewußtseins auf die Wirklichkeit in Ihrem eigenen Zustand, mag als Abhyasa oder wahre Praxis bezeichnet werden. Doch wird es auch von dem Loslösen falscher Vorstellungen bzw. Wahrnehmungen begleitet. Die beiden gehören genauso zusammen, wie die beiden Beine, die zum Laufen erforderlich sind, - anstelle von nur einem Bein! Da der Vogel mit beiden und nicht nur mit einem Flügel fliegt, müssen auch beide Prozesse zusammen ablaufen. Das ist wichtig. Wir müssen uns gleichzeitig, einerseits von falschen Beziehungen zurückziehen und andererseits auch unser Bewußtsein konzentriert auf die Natur der Wirklichkeit richten. Doch diese Fragen müssen im Einzelnen in der Gegenwart eines Guru geklärt werden, denn im Yoga kann die Allgemeinheit nicht über jede kleine Einzelheit eine allgemeine Anweisung erhalten. Man kann nur eine allgemeine Übersicht über die Prozesse oder dem Samanya Dharma des Yoga geben, doch die Visesha Dharma oder die besonderen Einzelheiten unterscheiden sich von einem Menschen zum anderen. Jeder Mensch hat seine besonderen Schwierigkeiten, die jeder oder jede Suchende neben den allgemeinen Lebensproblemen, in sich trägt. Darum sprechen wir über die allgemeinen Aspekte und nicht über die Detailaspekte des Yoga. Die Detailaspekte werden nicht in der Öffentlichkeit gelehrt und können auch in keinem Buch nachgelesen werden, denn sie sind rein persönlicher Natur und sind - je nach Persönlichkeit - völlig verschieden. Darum müssen genaue Anweisungen immer persönlich, unter Berücksichtigung eines jeden Falles, wie bei einer individuellen Medizin für einen kranken Patienten, sein. Denn in der Praxis von Vairagya und auch in der positiven spirituellen Praxis von Abhyasa muß die Praxis den jeweiligen Bedingungen und dem psychologischen Zustand des Suchenden angepaßt werden. 

Yoga erfordert unser ganzes Leben

Patanjali hat in seinen Versen eine sehr bedeutsame Warnung abgegeben: Wir können Yoga nicht halbherzig und in schludriger Art und Weise handhaben. Yoga bedarf auf Seiten des Suchenden eines hingebungsvollen Geistes und einer vollkommenen Hingabe der individuellen Persönlichkeit auf das große Ziel des Yoga. Man kann sein Leben nicht halb Yoga und halb etwas anderem widmen. Yoga erfordert unser ganzes Leben und nicht nur einen Teil davon. Es gibt keinen Anlaß zur Furcht, daß sich jemand wegen seiner vollkommenen Hingabe zum Yoga von seiner Familie trennen und seine Pflichten aufgeben muß. Dieses Mißverständnis sollte man sich aus dem Kopf schlagen, wenn man Vairagya richtig verstehen will. Yoga begleitet unser ganzes Leben und nicht nur einen Teil davon, denn wo immer wir Beziehungen haben, sind diese Beziehungen vollkommen und nicht nur halbherzig. Unser Leben ist ein ständiges Begegnen des Bewußtseins in Bezug auf Dinge im Allgemeinen. Die Sichtweise kann und muß vollkommen sein, obwohl uns unterschiedliche Aktivitäten in Bezug auf die einzelnen Objekte abverlangt werden. Darum können wir nicht einfach vor ihnen weglaufen oder sie ignorieren.

Darum müssen wir ganz klar verstehen, was es heißt: Yoga ist eine vollkommene Hingabe, eine Aufgabe mit ganzer Seele und eine vollkommene Haltung. Jeder hat seine Sichtweise der Dinge im Allgemeinen. In diesem Sinne hat jeder seine Philosophie. Es gibt niemanden ohne diese Philosophie. Die individuelle Einstellung gegenüber den Dingen im Allgemeinen bzw. der ganzen Welt, ist diese Philosophie; und auf der Grundlage dieser Sichtweise in Bezug auf die Dinge wird gehandelt. In diesem Sinne kann man von einer vollkommenen Sichtweise sprechen. Und im Yoga sollte diese Sichtweise im Einklang mit der wahren Natur der Dinge stehen. Dies ist wiederum eine philosophische Analyse.

Diese Praxis muß nicht nur jeden Tag, sondern jeden Augenblick ausgeübt werden. Patanjali sagt: Dirgha-kala-nairantarya.. Man bekommt nur durch harte und unerbittliche Praxis, die über einen langen Zeitraum ausgeübt wird, einen festen Platz im Yoga. Der Geist muß andauernd in ihm sein. Der Suchende muß sich fortdauernd der Tatsache bewußt sein, ein Schüler des Yoga zu sein, und er muß andauernd im Zustand des Yoga verbleiben. Was ist das Evangelium der Bhagavad-Gita anderes, als die große Lehre vom beständigen Ruhen im Zustand des Yoga, selbst in Ausübung der unbedeutendsten Handlungen im Leben? Das ist Karma Yoga. Karma Yoga ist nicht nur der Gottesdienst in der Kirche oder irgendeine Tätigkeit für nur einen bestimmten Zeitraum. Karma Yoga bedeutet, daß man bei jeder Art von Aktivität die rechte innere Haltung bewahrt, selbst bei der niedrigsten Tätigkeit. Darum ist die Einstellung oder innere Haltung im Yoga eine fortdauernde mentale Angelegenheit. Diese Haltung muß für einen längeren Zeitraum beibehalten werden. Um welchen Zeitraum handelt es sich? Das ganze Leben, Dirgha-kala bedeutet ‘lange Zeit’, und die Yogapraxis muß über einen langen Zeitraum ausgeübt werden, - bis zum letzten Atemzug. Und, wenn man Yoga andauernd jeden Tag praktiziert, sollte das ohne Unterlaß geschehen, d.h., es sollte keine Unterbrechung in der Praxis und kein Abweichen von der inneren Haltung geben. Es sollte kein Abriß oder keine Lücke im fortlaufenden Prozeß der Praxis geben, - das ist Yoga.

Yoga sollte mit Liebe und Hingabe praktiziert werden

Und der allerwichtigste Rat, der uns von dem großen Gelehrten Patanjali gegeben wurde, ist, daß wir zu Yoga eine aufrichtige Liebe haben sollten. Man praktiziert nicht Yoga, um Lehrer zu werden oder Ruhm und Ehre zu erlangen, sondern, um nach Vollkommenheit zu streben. Yoga wurde von den früheren Meistern als weitaus höher erachtet, als die Zuneigung von Tausenden von Kindern zu ihren Müttern und Vätern. Yoga beschützt uns, wenn wir Yoga beschützen. Yoga liebt uns, wenn wir Yoga lieben. Worin liegt die Bedeutung dieser Liebe im Yoga? Yoga ist weder Person noch Gegenstand. Wie kann man so etwas lieben? Yoga ist kein abstraktes Denken. Es ist eine Sichtweise, eine Haltung, die wir in Bezug auf alles und überall einnehmen. Alles wird freundlich. Yoga zu lieben bedeutet nicht, das Wort ‘Yoga’ zu lieben. Es ist nicht einmal eine gedankliche Vorstellung. Yoga ist von der Existenz der Dinge untrennbar. Der Gedanke ist letztendlich Sein, und Sein ist Gedanke. Liebe ist dasselbe wie das Objekt, das wir lieben und umgekehrt. Beides ist nicht voneinander trennbar. Der Yogi wird zum Liebhaber aller Wesen - sarva bhuta hite ratah - und alle Wesen lieben ihn. "Sarva diso balim asmai haranti", so steht es in der Upanishad. Der Yogaschüler muß alles lieben, so wie es ist, sich selbst und weit darüber hinaus. Und dann liebt alles ihn. Dies muß aufgrund weltlicher Erfahrungen geschehen, die auf Aktion und Reaktion beruhen. Die Haltung, die wir gegenüber Dingen einnehmen, ist die Haltung, die uns entgegengebracht wird. Was auch immer wir über andere denken, wird auch über uns gedacht. Was auch immer wir anderen antun, wird uns widerfahren. Welche Vorstellung wir von anderen haben, ist die Vorstellung anderer uns gegenüber. Dieses ist sehr wichtig zu wissen. Darum muß Yoga mit außerordentlicher Hingabe und einem Gefühl tiefgreifender Liebe, die alles an vergänglicher Liebe dieser Welt übersteigt, und die jede Art von Liebe verschlingt, praktiziert werden. Es ist nicht eine von vielen Lieben. Nein. Es ist nur die eine Liebe, die ein Suchender empfinden kann. Wenn ein Suchender Yoga liebt, dann umfaßt und umgibt diese Liebe alles, denn alles ist in Yoga. Darum sagt Patanjali, daß Yoga mit großer Zuneigung praktiziert werden muß, so als wäre es die eigene Mutter oder der eigene Vater. Wenn wir Yoga über einen langen Zeitraum beharrlich, mit großer Mühe und Hingabe praktizieren, werden wir im Yoga unseren Platz finden. Dieses sind die einleitenden Anweisungen des großen Yogalehrers Patanjali.

Es ist im Interesse aller Suchenden, im Yoga langsam voranzuschreiten und nicht zu eilen. Jeder Schritt sollte behutsam gemacht werden, und man sollte sich nicht auf unsichere Pfade begeben. Man sollte seine Schritte nicht aufgrund irgendwelcher Fehler in früherer Praxis zurückverfolgen müssen. Es ist viel besser, langsam voranzuschreiten und damit jede Stufe erfolgreich zu meistern, als zu eilen, und dann möglicherweise dieselbe Stufe noch einmal aufgrund von fehlerhaften Verhaltens zu wiederholen.

Innere Reinigung durch Karma, Upasana und Jnana

Meditation ist die Essenz der Yogapraxis. Doch um diesen Zustand zu erreichen, muß man verschiedene reinigende Stufen meistern. Yoga- und Vedantalehrer haben uns unermüdlich erklärt, daß die Höhen - als Früchte - des Yoga nur durch beharrliches Bemühen bei der inneren Reinigung erreicht werden, was durch Dienen und Hingabe bewirkt wird. Uns wurde häufig genug gesagt, daß Karma, Upasana und Jnana die drei zu spiritueller Verwirklichung erforderlichen Stufen sind. Karma, Upasana und Jnana stehen als Begriffe für Dienst, Anbetung und Wissen. Wir sind unfähig, uns im täglichen Leben selbst von unserer Selbstsucht zu befreien. Ein Hauch von Selbstsucht ist selbst noch bei den fortgeschrittenen spirituellen Persönlichkeiten vorhanden. Man kann Selbstsucht nur durch eine selbstlose Haltung gegenüber anderen Menschen überwinden, was man einfach als ‘Dienst’ bezeichnet. Es bedarf eines selbstlosen Dienstes als Reinigungsprozeß zur Vorbereitung auf die Yogapraxis. Dieser selbstlose Dienst ist sehr bedeutsam; und man sollte nicht glauben, man sei bereits in einem höheren Zustand, so daß man auf diese notwendige Praxis selbstlosen Dienstes verzichten könnte. Dienst liefert dem Ausübenden nicht notwendigerweise Annehmlichkeiten, obwohl dies auch ein Teil des Dienstes ist. Eine wohltätige Einstellung gegenüber anderen ist das Wesen des Dienstes. Ein Gefühl der Nächstenliebe ist die größte Wohltätigkeit. Die Spende einiger Dollars ist nicht notwendigerweise Wohltätigkeit. Dies ist lediglich ein äußeres Zeichen innerer Erkenntnis über den Wert der Menschen draußen. Die Entdeckung großer spiritueller Werte in allen Dingen dieser Welt ist das Wesen einer Lebenseinstellung des Dienens. Wir dienen nicht den Menschen, weil sie uns unterstellt sind, oder weil sie Bettler und wir wohlhabend sind. Deshalb dienen wir nicht, sondern Dienst ist der Ausdruck unseres Gefühls des Strebens, das in unseren Herzen, wie auch bei allen anderen pocht. Gesellschaftliche Umstände haben andere Menschen in ihre jetzige Lage gebracht, doch das entspricht nicht ihrem wahren Wesen. Das Gefühl der Wohltätigkeit, was das Wesen des Dienens ist, erhebt sich mehr noch aufgrund der Erkenntnis des Göttlichen in allem, als aufgrund dessen, daß andere Menschen arm oder Bettler bzw. unerwünschte Personen der Gesellschaft sind. Es gibt keinen Grund, sich im selbstlosen Dienst herablassend zu verhalten. Wir werden deshalb nicht wichtiger, wenn wir Dienst am Nächsten üben. Es wäre ein Fehler, wenn wir so dächten. Möglicherweise tut sich jemand, aufgrund des Dienstes an anderen Menschen, selbst den größten Gefallen. Er ist der letzte in der Reihenfolge, ja - der allerletzte, und nicht der erste. Dieses wiederum sind subtile Punkte, die man bei sich selbst täglich genau prüfen muß.

Ein Gebet aus der Tiefe unseres Herzens zum Wohlergehen aller Wesen ist ebenfalls ein großer Dienst. Dies ist einer der größten Dienste, den jemand ausüben kann. Gebete können Wunder bewirken, was selbst die mächtigste Atomproduktion nicht erreichen oder bewirken könnte. "Es wurden mehr Dinge durch Beten erreicht, als die Welt erträumen kann", lautet das große Orakel eines Dichters. Für das Wohlergehen aller zu beten, ist der größte Dienst, und wir können den Schmerz der Menschen vermindern, indem wir um die Einmischung der göttlichen Hände bitten. Bei der Anbetung sollten wir darauf achten, daß es aus tiefstem Herzen und nicht bloß von unseren Lippen kommt: "Oh Herr, hilf uns." Lippenbekenntnisse sind keine Gebete. Wenn der Aufschrei nicht aus unserer tiefen Seele kommt, kann man es nicht als aufrichtiges Gebet bezeichnen.