Die Essenz der Brahma Sutras



Auf dem Weg zur Befreiung

Was ist Geburt? Geburt findet statt, wenn alle Elemente zusammenkommen, um ein neues Gebilde herzustellen. Doch angenommen, jemand hat viel Gutes vollbracht, - das Gute übersteigt das Schlechte, - 75 % sind außerordentlich gut und 25% sind nicht gut, solche Menschen werden zum Mond gehen und sich des Nektars der Götter erfreuen. In dem Augenblick, wo die guten Taten ausgeschöpft sind, gibt es eine Rückkehr vom Mond und eine Wiedergeburt in dieser Welt.

Es wird in der Chhandogya Upanishad ein anderer interessanter Aspekt erwähnt. Was geschieht mit den schlechten Taten, die 25% ausmachen? Die 75% hat sich die Seele für die Chandraloka genommen und sich dabei glücklicher Zeiten erfreut, und in dem Augenblick, wo die segensreichen Erfahrungen erschöpft waren, musste sie wieder zurückkehren. Wird der Mensch auch von den schlechten Taten (25%) befreit? Nein, es gibt keine Befreiung. Die nächste Geburt wird durch diese 25% Karma bestimmt.

Doch angenommen du bist in erster Linie ein Devotee Gottes und nicht nur ein reicher wohltätiger Mann, der Häuser und Tempel baut, Alleebäume pflanzt usw., sondern ein begeisterter Anhänger Gottes. Solch eine Seele geht nicht zum Mond. Gereinigte Seelen, die voller Licht in ihrer Handlungsweise sind, reisen über die Strahlen zur Sonne. Die Sonnenstrahlen sind der Weg, den die Seele immer höher hinauf führt und die Sonne erreichen lässt. Um die Sonne erreichen zu können, muss die Seele leuchten, machtvoll und so rein wie die Sonne sein. Die Seele wird in Surya Loka (der Sonnenregion) gereinigt.

Surya Upasana (Sonnenverehrung) ist ein sehr bedeutungsvolles Sadhana, denn früher oder später, vorausgesetzt du bist reif für die Befreiung (Moksha), musst du zur Sonne gehen. Anderenfalls gehst du irgendwohin und kommst wieder zurück; ungezählte Geburten können stattfinden. Die Upanishaden fahren fort, viele Stufen des Aufstiegs zu beschreiben. Es gibt keinen plötzlich Sprung in das Absolute Bewusstsein. Die Seele durchquert die darüberliegenden Welten, die fünf Elemente, die Verkörperung der vierzehn Lokas, - Bhu-loka, Bhuvar-loka, Suvar-loka, Mahar-loka, Jana-loka, Tapo-loka, bis hinauf zum Satya-loka. Sie bewegt sich direkt auf das Grenzland des Universalen Seins zu, Brahma-loka. Das individuelle Bewusstsein wird für einige Zeit beibehalten. Die Seele weiß, dass sie sich in eine Richtung bewegt. Doch ab einem bestimmten Punkt verliert sie das Bewusstsein.

Je näher man der Grenze des Universalen Bewusstseins kommt, desto weniger ist man sich seiner Individualität bewusst. Zu diesem Zeitpunkt fühlt man sich wie verbrannter Kampfer verdorren und auflösen. Doch die Individualität bleibt in einer sehr verfeinerten Form bestehen. Nur Rajasika (irritierte) und Tamasika (dunkle) Individualitäten haben ein eigenes Bewusstsein. Reine Sattva dominierte Seelen sind sich nicht ihres Selbst bewusst, denn sie sind zu diesem Zeitpunkt vollkommen transparent. Wenn wir uns ein Glas als Bewusstsein vorstellen, können wir erkennen, dass diese Form des Bewusstseins - auf Grund der Transparenz - sich seiner Existenz nicht mehr gewahr ist. Das Glas erreicht die Transparenz höchster Sattva-guna und verliert sein individuelles Selbst-Bewusstsein. In diesem Augenblick, sagen die Upanishaden, schickt der Schöpfer einen Boten. Eine Gestalt, die nicht mehr menschlicher Natur ist, kommt und führt die Seele auf den Pfad des Absoluten Schöpfers. Dies ist die Ebene des kosmischen Bewusstseins, doch ist noch keine vollkommene Befreiung erreicht, denn für das kosmische Bewusstsein bedarf es eines Objektes, dessen man sich bewusst ist. Darum handelt es sich hier immer noch um eine niedere Ebene.

Saguna Brahma Upasana und Nirguna Brahma Upasana sind zwei Meditationsarten. Im dritten Kapitel der Brahma Sutra werden verschiedene Meditationsarten der Upanishaden beschrieben. Dies ist ein eigenes Kapitel.

Die Verehrung Gottes kann von unterschiedlicher Natur sein. Diese Verehrung kann sich auf einen bestimmten Gott an einem Ort beziehen, es kann sich um Hingabe zu vielen Gottheiten oder um die Hingabe zur Schöpferkraft an sich handeln, wie auch immer man es bezeichnet will. Wir können uns nicht vorstellen, was der Schöpfer wirklich ist. Saguna Upasana ist auch keine so einfache Angelegenheit, denn dies ist Konzentration auf den Schöpfer schlechthin. Wer kann sich schon ein Bild vom Schöpfer machen? Man kann nicht einmal die Welt als Ganzes erfassen; sie ist so groß und so vielfältig. Doch durch die Reinheit deiner Absicht, und wenn dir es möglich ist, deine Liebe zum Absoluten Schöpfungsprinzip auszudehnen, bist du der am meisten gesegnete Mensch.

Die Upasaka unterscheidet sich von Upasya Devata, und darum wird sie Saguna genannt. Was bedeutet Saguna? Saguna bedeutet ‘mit Eigenschaft’; wir belegen Gott mit Eigenschaften. Wir können als menschliche Geschöpfe nur wie Menschen denken. Um uns die Existenz Gottes besser vorzustellen können, denken wir an eine riesige Ausdehnung Gottes.

‚Allwissenheit, Allmacht, Absolute Freiheit, Absolute Glückseligkeit’, - sind die Charakteristiken, die wir in der Lage sind, uns als die Allmacht Gottes vorzustellen. Allmächtiger Gott! Einige Religionen betrachten Gott als Allmächtig. In allen Religionen, seien sie im Westen oder Osten, wird Gott als Allmächtiges Sein betrachtet. Dieses Gefühl ist allen gleich.

Doch es gibt auch andere Wege, sich Gott vorzustellen. Gott kann ein höchst wundervolles Wesen sein. Der Aspekt von Sadhana betrachtet Gott als höchst mächtige Glückseligkeit, - ‚Aishvarya-Pradhana’ Bhakti genannt, was die Macht und Herrlichkeit, und die Kraft Gottes zur Meditation einschließt. ‚Oh Allmächtiger! Oh großer Gott! Oh Allmächtiger!’ - du bist selbst durch dieses Wort ‘Allmächtiger’ benommen. Die Betonung liegt hier auf der Macht und Herrlichkeit Gottes.

Doch es gibt in Gott auch eine Schönheit. Im Allgemeinen können wir uns Gott nicht als einen schönen Menschen vorstellen. Wenn wir nur an einen alten Mann mit Rauschebart usw. dächten, käme ER niemals in unser Herz. Doch die Schönheit Gottes ist unbegreiflich; sie kann dein Herz dahinschmelzen lassen. Gibt es etwas Schöneres in der Welt? Vielleicht hast du schöne Dinge gesehen. Doch dies sind - im Vergleich zur Schönheit Gottes - nur verzerrte Tropfen; sie sind nicht einmal wirklich schön, sondern sie sind entstellt, Schatten, vielschichtige Tropfen; und doch sind sie so schön; ‚Oh, wie wundervoll!’, sagst du manchmal. Es gibt viele Dinge in der Welt, von denen du das Gefühl hast: ‚Oh, wie schön!’ Von welcher Schönheit ist erst das Absolute Sein!

Die Macht betäubt, die Schönheit betäubt auch! Wir können keine ausufernde Macht tolerieren, wir können auch keine exzessive Schönheit tolerieren. Unser Geist ist sterblich; er ist dumm; er kann sich nicht einmal der Schönheit erfreuen; er kann sich nur gebrochener Schönheiten erfreuen, denn der Geist ist von gebrochener Substanz! Darum reflektiert er nur gebrochene Schönheiten.

Auf Gott kann als die größte Macht und die größte Schönheit meditiert werden. Wahrheit, Schönheit und Güte werden als die höchsten Eigenschaften Gottes angesehen. Wahrheit bedeutet nicht bloß aufrichtig im Sprechen zu sein, sondern hier handelt es sich um ein ewig währendes Grund¬prinzip. Etwas, was eines Tages wieder vergeht, kann nicht als Wahr¬heit angesehen werden; dieses ist eine verhältnismäßige Wahrheit. Die Güte Gottes, die Macht Gottes und die Schönheit Gottes sind zusammen genom¬men, nur schwierig zu betrachten!

Wie kann man sich den außerordentlich machtvollen Gott gleichfalls als mitleidsvoll, gütig und liebevoll vorstellen? Dies ist der Grund, warum wir Gott nicht vollkommen sehen können. Doch versuchen wir Gott, indem wir diese Qualitäten voneinander trennen, in unserer Meditationen zu betrachten, denn all diese Dinge werden unserem Geist nicht auf einmal klar.

Madhurya-pradhana bhakti ist die Art der Hingabe, wo die Schönheit und die Glückseligkeit Gottes zum Objekt der Meditation wird. ‚Wundervoll! Wundervoll! Wundervoll! Oh! Wie geschmackvoll! Süß wie Honig, süß wie Honig, süß wie Honig!‘ Es gab einige Heilige, die Gott als Honig bezeichnet haben, ‚Oh, süß wie Honig! Oh Honig! Oh Honig!‘ Was kann man dazu sagen? Wie sprichst du Gott an? Denn es scheint, dass Honig die schönste Sache der Welt ist: - darum betrachtest du Gott auf diese Weise. ‚Honig! Mächtiger Honig! Komm, komm, komm!‘ ‚Oh! Mein Lieber‘, rufen die Menschen, - so wie eine Mutter nach ihrem Kind ruft -, ‚Oh! Mein Lieber! Oh, mein Liebes!‘ Es gibt keine Worte, die Gott beschreiben können.

Man kann Gott als Heiligen Vater betrachten. Bei den meisten Religionen wird Gott als Vater betrachtet; ‚Vater im Himmel! Geheiligt sei DEIN Name; DEIN Reich komme.‘ Einige betrachten Gott als ihre Mutter; - ‚Devi Bhagavati, Mutter Maria‘. Gott ist also Vater und Mutter. ER ist der beschützende Vater und ER ist die liebende Mutter.

ER ist auch dein Freund; Arjuna und Krishna hatten eine derartige Beziehung. Du kannst ihn darum bitten, etwas für dich zu tun, und ER wird es für dich tun. ‚Mein lieber Freund! Würdest du mir diesen Dienst erweisen?‘ Der Freund wird es für dich tun. Du wirst dich vielleicht wundern: Kann ich mit Gott so umgehen? Wenn du willst, wird ER auch deinen Fußboden aufwischen. Sei über diese Dinge nicht amüsiert.

In Maharashtra lebte ein Heiliger, dem Krishna als kleiner Junge diente, indem er Seine Kleidung wusch, den Fußboden reinigte, die Gefäße säuberte usw. Ein anderer Heiliger ging nach Pandharpur, um an einem Darshan teilzunehmen. Eine Stimme sagte ihm: ‚Vitthala ist nicht hier! Er dient heute einem anderen Heiligen und säubert dessen Gefäße; er heißt Srikhandiya.‘ Der Heilige wollte nun herausfinden, wer Srikhandiya war. Gleichzeitig verließ der Junge jenen Ort. Du kannst Gott als deinen Freund betrachten, als deinen Geliebten, als deinen Vater, deine Mutter oder als deinen Meister.
In dem Lied der Lieder der Bibel und der ‚Gita Govinda‘ über Jayadeva und in der ‚Rasapanchadhyaya‘ von der Srimad Bhagavata, wird eine andere Art von Hingabe beschrieben. Es ist die Beziehung zwischen zwei Liebenden, was unmöglich zu beschreiben ist. Sie bedürfen keiner Beschreibung, wie eine mathematische Gleichung, ein Haus oder das Projekt eines Ingenieurs. Schönheit kann man nicht mathematisch logisch beschreiben. Dieser Schönheits- und Gefühlsaspekt von Gottes Liebe ist unvergleichlich.

Dies alles gehört zu Saguna Bhakti. Dies ist in gewisser Weise etwas Andersartiges im Vergleich zu Gott. Ob ER nun Vater, Mutter, Geliebter ist oder was auch immer ER sein mag, ER ist anders als du selbst. ES gibt einen Unterschied. Du erreichst mit dieser Art der Hingabe Brahma Loka, und doch bist du nicht der Schöpfer oder Brahma selbst.

Wenn sich das Universum auflöst, wird alles absorbiert, und die gereinigte Seele, die als Geistesblitz (Funken) in Brahma Loka lebte, vermischt sich mit dem Absoluten.