Wege zum Unendlichen

 

6. Die Umkehr des Schöpfungsprozesses

Egal, ob man den Schöpfungsprozess in Verbindung mit der spirituellen Schöpfung besser versteht oder lieber im Licht der modernen Wissenschaft sehen möchte, die Konsequenzen sind ähnlich. Im Kosmos herrscht eine Kraft, die alles im Kosmos immer weiter auseinander streben lässt. Über alles hinweg herrscht eine Gravitationskraft, gegen die sich nichts und niemand zu stemmen vermag. Dieser nach außen strebende Gravitationszug der Schöpfungsaktivität schließt alle Bewegungen des individuellen Geistes aller Wesen ein, die meist körperlicher Natur sind. Damit ist jedes dieser Individuen auf das Denken unter körperlichen Bedingungen gebunden und nicht in der Lage, sich in seiner Gedankenstruktur vom Körper zu lösen.

Der Organismus des physischen Körpers beeinflusst den Geist so weit, dass der Mensch auf Grund dieser Konstitution, mit einem zwanghaft nach außen gerichteten Geist, nicht in der Lage ist, unabhängig von seiner Körperlichkeit zu denken. In modernen Abhandlungen über den Schöpfungsprozess heißt es, dass hier etwas sehr merkwürdiges stattfindet. Die eine unsichtbare Kraft teilt sich, d.h. in eine positive und eine negative Schöpfung. In allen Schriften ist darüber zu lesen, auch in modernen Abhandlungen ist von dieser Teilung des originären Einen in zwei Charakteristiken (positiv und negativ) die Rede.

Wenn aus dem Einen offensichtlich zwei werden, entsteht eine parallele Doppel-Aktivität: die bewusste Trennung einer Sache von einer anderen; dem Bewusstsein scheint es dabei unmöglich, eine Hälfte zu sein, ohne eine Verbindung zur anderen zu haben.

Das ganze kosmische Dilemma spiegelt sich bis in die kleinste Aktivität menschlichen Daseins wider. Einerseits will man mit sich allein sein und gleichzeitig ist es, im wahrsten Sinne des Wortes, unmöglich, ohne irgendwelche Kontakte mit anderen Dingen, allein zu sein. Das liegt an der Aktivität des Einen und gleichzeitig des Vielen, wobei alles gleichzeitig wirkt. Wenn aus dem unsichtbaren Einen zwei werden, aus den Zweien vier, aus den Vieren acht usw., nimmt die Geschwindigkeit der Teilung immer weiter zu, wobei sich mit der zunehmenden Teilung auch der Druck nach außen hin verstärkt, da ES sich selbst zwingt, die kleinstmögliche Ebene, bis hin zu den Atomkernen, Elektronen, kleinsten Partikelchen usw., beizuwohnen. Der Anstoß zur objektartigen Diversifikation scheint in der Neigung zu liegen, sich selbst völlig zu zerstören, sodass diese beschriebene Situation unweigerlich zum kosmischen Tod und zur Beendigung des Schöpfungsprozesses führt.

Das nennt man Pravritti Dharma, die natürliche Neigung der Schöpfung, sich in die nach außen gerichtete Aktivität zu engagieren. Es handelt sich dabei um die natürliche Neigung von allem, im Sinne des Gesetzes des Abstiegs zu agieren, wobei alle Dinge und Lebewesen in die nach außen strebenden Schöpfungskräfte eingebunden sind.

Doch wenn es dem Einzelnen gelingt, diesen nach außen strebenden Kräften zu widerstehen, wird es ihm besser gehen, er wird gesegnet sein. Im Tantrischen heißt es oft falsch interpretiert, Vama Achara, der Umkehrprozess. Damit ist nicht der linke Pfad gemeint, sondern es ist der Umkehrprozess, der der nach außen strebenden Schöpfung zuwider läuft.

Niemand kann sich der Bewegung des Schöpfungsprozesses entgegenstellen, so wie Baumstämme wie von einem schnell dahinfließenden Fluss einfach mitgerissen werden und nicht gegen den Strom schwimmen können.

„Erschaffe!“ sagt Brahma in der Srimad Bhagavata Mahapurana. „Lass mich die Welt erschaffen!“ sagt Gott im Himmel laut Bibel. Wie kommt es überhaupt zu diesem Wunsch der Schöpfung? Warum sollte ER erschaffen? Es ist das unbeschreibliche Potenzial eines Nach-Außengerichtetseins, das irgendwie gegenwärtig ist. Niemand kann erklären, warum die Schöpfung stattfindet. Es ist eine Neigung zu zerstören, eine Selbstvernichtung durch materielle Existenz, die sich total nach außen wendet. Darum sucht man in dieser Welt nur nach materiellen Objekten, materiellem Erfolg und nach dem Glück in materiellen Dingen. Nicht-materielle Dinge ziehen den Menschen naturgemäß nicht an.

Es wird sich nur noch wie ein Geschäftsmann verhalten, der in all seinen Handlungen nach dem Profit bzw. nach seinem persönlichen Vorteil sucht. Die ganze Sprache ist danach ausgerichtet. Nur materieller Erfolg beherrscht das Denken der Menschen, alles Andere ist uninteressant. Man schaut nicht auf ein besseres Verständnis für das Leben an sich oder auf spirituelles Wissen, als wäre es heutzutage wertlos, denn der Versuch dieses Wissen darüber zu vertiefen, ist ein nach innen gerichteter Prozess des Geistes, wohingegen die Suche in materieller Befriedigung sich nach außen richtet. Da der Mensch selbst nur aus einem Haufen materieller Elemente besteht, ist er gezwungen, ausschließlich in körperlichen Regionen zu denken. Materie fragt nach Materie.

Der materielle Körper sucht materiellen Kontakt, und nichts anderes. Dieses nennt man pravritti dharma oder die Neigung der Schöpfung, sich nach außen zu richten. In der indischen Philosophie spricht man von der universalen Ausdehnung, jenes allgegenwärtige absolute Brahman wird zur Schöpferkraft, Ishvara genannt, als würde eine Leinwand zur Bemalung vorbereitet werden. Die Bemalung beginnt mit einem sauberen, klaren Hintergrund. Der nach außen gerichtete Schöpfungsprozess beginnt, indem eine fleckenlose Leinwand gespannt und grundiert wird, damit diese später die Farbgebung aufnehmen kann.

Wenn man in ein Kino geht und sich einen Film anschaut, bleibt die Projektionsleinwand verborgen. Wenn man die Welt sieht, kann man Gott nicht sehen; wenn man Gott sieht, kann man die Welt nicht sehen. Wenn man sich auf die Leinwand allein konzentriert, ist die gezeigte Show nicht von Interesse, denn der Geist richtet sich auf den Hintergrund und nicht auf die Darstellungen, die auf die Leinwand projiziert werden. Umgekehrt, wenn man sich auf Darsteller und Darstellungen konzentriert, vergisst man die Projektionsfläche im Hintergrund.

So verhält es sich im täglichen Leben. Je mehr man in der Lage ist Materielles wahrzunehmen, desto mehr tritt der Hintergrund zurück. Wenn man sich Virat anschaut, sieht man den Kosmos, das farblich wunderschön gestaltete Bild der Schöpfung. Der Kosmos war ursprünglich kein sichtbares Objekt, denn niemand konnte es anfänglich sehen. Das Prinzip des Sehens ist in dem Offenbarungsprozess der Schöpfung eingebunden und trat erst später zutage.

Je grobstofflicher der Offenbarungsprozess wird, desto größer wird die Neigung zur Trennung, d.h. Subjekt vom Objekt, den Seher vom Gesehenen, das Innere vom Äußeren, die Spitze vom Boden, das Rechte von der Linken; alles strebt immer weiter auseinander, sodass man die Welt mit den eigenen Augen nicht mehr richtig erkennen kann, nicht mehr sehen kann, was überhaupt ist.

Diese ablenkende Vielzahl von Darstellungen in der Schöpfung ist die Ursache für den ruhelosen Geist, der in seinen Gedanken ständig hin und her springt. Niemand kann sich auf eine Sache allein konzentrieren, denn alles sieht gleichermaßen schön aus. Darum kann auch niemand an einem Ort verharren. Alle sind ständig in Bewegung. Niemand ist mit irgendeiner Art von Bemühung zufrieden. Man fühlt sich ständig angetrieben, will ständig neues erfahren, mit neuen materiellen Komponenten in der Welt in Berührung kommen.

In der Bhagavadgita heißt es, wenn Materie mit Materie in Berührung kommt, kommen nicht wirklich zwei Substanzen miteinander in Kontakt, sondern es treffen zwei unterschiedliche Kräfte aufeinander. Materielle Objekte sind konzentrierte Energieformen. In Sanskrit werden sie als Gunas bezeichnet: Sattva, Rajas und Tamas. Die Kräfte, die die Objekte der Welt bilden, nehmen materielle Formen an, die drei Bedingungen unterliegen: statische, dynamische und gleichgewichtige Kräfte. Wenn keine Aktivität vorliegt, ein Status quo erreicht ist, nennt man diesen Tamas. Wenn dieser Zustand vollkommen inaktiv ist, wird er durch die Aktivität von Rajas zerstört, eine Streuung des Bewusstseins tritt ein und der Geist bewegt sich in unterschiedlichste Richtungen, mit einer Vielzahl von Wünschen.

Es gibt einen dritten Zustand, den die Wissenschaft nicht kennt. In der Wissenschaft kennt man nur den Status quo und die Dynamik; ein Gleichgewicht der Kräfte ist der Wissenschaft unbekannt. Wenn der Impuls, der nach außen strebenden Kräfte, und die stabilisierende Kraft in Harmonie zusammentreffen, entsteht ein Gleichgewicht der Kräfte, was man in Sanskrit Sattva nennt.

Auf diese Weise sind die Kräfte eines Objekts wie Fäden, die den Kern eines Seils bilden. Der Härteste Felsen ist ein Bündel intensiver Schwingungen. Auf Grund der Intensität der Schwingung kann man die Poren des Objektes nicht erkennen, so wie ein laufender Ventilator ein statisches Aussehen abgibt, als würde er nicht in Bewegung sein. Wenn man die Geschwindigkeit des Ventilators auf Maximum schaltet, sieht es so aus, als würde er überhaupt nicht in Bewegung sein, denn das Auge ist nicht in der Lage, die Bewegung der Ventilatorflügel wahrzunehmen.

Warum sieht man Leute in einem Film stehen? Niemand steht wirklich. Die Bilder bewegen sich nämlich mit min. 24 Bildern pro Sekunde, und diese Bewegung vermittelt die Illusion von einer Statik bestimmter Objekte. Alles ist in Bewegung, doch die Augen können diese Bewegung nicht erfassen. Daraus entsteht vor den Augen die Illusion einer Form von Stabilität. Die Augen sind ein trügerisches Medium, durch das man Sinnesobjekte versucht einzuschätzen. Da die Augen nicht in der Lage sind, den hohen Schwingungsgrad der Objekte visuell richtig zu erfassen, entsteht die Illusion, dass alles in der Welt seinen Platz hat und nirgendwo anders sein kann.

Objekte sind in Wirklichkeit nur konkretisierte Formen dieser dreifachen Energie, die sich auf einer wesentlichen Grundebene berühren. Wenn man die Objekte näher betrachtet, wird man feststellen, dass sich die Objekte auf ihrer bestimmten Grundebene berühren. Hinter der Festigkeit der Objekte gibt es auch eine Flüssigkeit, doch diese kann nicht von den Sinnesorganen erfasst werden, denn der Schwingungsgrad dieser Flüssigkeit ist derartig hoch, dass sie für das wahrnehmende Auge verborgen bleibt. Wenn das Auge mit dem gleichen Schwingungsgrad der Retina arbeiten würde, könnte man die Welt überhaupt nicht sehen, so wie zwei fahrende Züge, die parallel nebeneinander herfahren und die Illusion einer Stabilität vermitteln. Man kann nicht erkennen, welcher Zug sich wirklich bewegt. Jeder, der beiden Züge hinterlässt einen statischen Eindruck, obwohl sich beide schnell voran bewegen.

Diese Illusion wird durch die nach außen strebende Kraft der Schöpfung erzeugt, aus einem wird vieles. Man wird hilflos angesichts der menschlichen Vorstellung von der Isolation dieses kosmischen Dramas, das stattfindet. Wenn man zu einem Teil der bewegenden Bilder dieses Films wird, Teil der Szenerie ist, erkennt man die Bewegung der Bilder selbst nicht. Stellt man sich außerhalb der sich bewegenden Bilder, scheint sich etwas zu bewegen.

Wenn man diesen Gravitationsimpuls überwindet bzw. umkehrt, der den Menschen vom Zentrum des Universums davonträgt, er sich also umwendet und die Bedingung der wahren Struktur der Objekte erkennt, dann sieht er die Objekte nicht mehr. Dann sieht er sich selbst. Wenn der Mensch sich selbst sieht, wird er erkennen, welcher Art von Ding er ist.

Gott spielt in diesem Schöpfungsprozess ein Drama. ER bleibt wer ER ist, so wie in des Menschen Traumwelt, wo verschiedenste Aktivitäten im unteilbaren Geist stattfinden, die nach dem Aufwachen wieder verschwinden, doch der Geist bleibt immer derselbe, unverändert; aus seiner Sicht verändert er sich nicht, er erschafft nichts, löst nichts auf. Dieses ist der Grund, warum es heißt, dass in der Wahrnehmungsaktivität der Welt ein Illusionspotenzial verborgen ist.

Der Schöpfungsimpuls richtet sich nach außen. Man kann ihn im weitesten Sinne auch als Gravitation betrachten. Niemand kann sich dieser Anziehungskraft, dieser Flut widersetzen. Der Geist wird vom Körper angezogen. Er kann nicht unabhängig vom Körper denken, denn die materiellen Komponenten des Körpers üben ihren Einfluss auf den Denkprozess aus, d.h., wenn man denkt, denkt man wie der Körper, und wenn man etwas wünscht, möchte man nur etwas Körperliches. Weil der Mensch in diesen nach außen gerichteten Schöpfungsprozess (pravritti dharma) eingebunden ist, ist der Mensch kaum in der Lage, sich auf sein Meditationsideal zu konzentrieren.

Es ist unmöglich, den Geist zu kontrollieren; der ungestüme, turbulente Geist will sich immer wieder dem Körper oder materiellen Komponenten zuwenden, die mit dem Körper in irgendeiner Verbindung stehen. Turbulent ist die Welt, ungestüm der Geist. Widerstand scheint zwecklos, und doch ist es die einzige Möglichkeit, den Geist zu seinem Ursprung zurückzubringen. Der nach außen gerichtete Impuls ist wie eine Flutwelle, der sich nicht einmal Elefanten entgegenstemmen können.

Darum ist jede Form eines körperlich bedingten Denkens nicht der richtige Weg für die Meditation. Man muss in sich eine Beziehung zum Kosmos entwickeln, um sich vom körperlich betonten Denken zu lösen. Solange wie man das Element ‚Gott’ nicht einbezieht, wird es schwierig, in dieser Welt voranzukommen. Mit irgendwelchen Götzen kommt man nicht weiter. Selbst in tiefster Dunkelheit muss noch ein Funken Licht vorhanden sein. Das erfordert höchste Disziplin des Geistes und ein Zurückziehen des Geistes von den immer weiter fortschreitenden Dingen dieser Welt. Es erfordert ein Denken weg von den nach außen gerichteten Objekten, und hin zum Ausgangspunkt des Schöpfungsprozesses, wo all die Objekte und der Mensch selbst eingeschlossen sind.

Für sein Dasein auf Erden sollte der Mensch, psychologisch natürlich, immer einen kosmischen Bezug in sein Denken integrieren, sonst kommt der Geist nicht zu sich selbst. Nur wenn der Geist im kosmischen Einklang ist, wird er auf einen Rat hören und ihn annehmen. Er ist nicht in der Lage zu ermessen, wie vorteilhaft es ist, kosmisch orientiert zu sein. Der Geist glaubt, dass er körperlich, sozial, finanziell und politisch bedingt sei und in jeder Weise durch körperlich bedingtes Denken eingeschränkt wäre.

Wie kann man seine Denkweise in Richtung auf das Kosmische ändern? Es erfordert ein außerordentliches Umdenken. In den Schriften heißt es, dass dieses Umdenken bezogen auf den Kosmos derart schwierig sei, dass es dazu vieler Geburten bedarf.

Man sollte nicht bezogen auf sich selbst oder allein bezogen auf Objekte denken, die den Betrachter in ihre Richtung ablenken. Man sollte auch nicht nur bezogen auf den eigenen Körper denken, was den Menschen einschränkt. Man sollte seinen Körper mit all seinen Bedingungen, der Selbstbehauptung usw. in das schier endlose Meer der Objekte transferieren, so dass man zu einem Mitglied, zu einem Teil des Kosmos wird, und nicht nur ein Betrachter des nächtlichen Sternenhimmels sein. Es ist besser, außerhalb dieses Waldes von Individuen zu stehen, als außerhalb des weiten Kosmos mit all seinen Planetensystemen zu sein; das soll heißen, man sollte die ganze Welt betreten und sie nicht nur von außen betrachten. Man sollte sich die Welt zu eigen machen und sie nicht nur als ein Objekt der Wahrnehmung betrachten.

Diese Sinneswahrnehmung verhindert, dass sich der Geist auf irgendetwas von universaler Natur konzentrieren kann. Die Sinne wissen nicht, was Universalität ist. Sie sind mit der Individualität, dem Besonderen, dem Getrenntsein und der Isolation vertraut. Um es noch schlimmer zu machen: der Mensch ist mit fünf Sinnesorganen ausgestattet, d.h. gleichzeitig finden fünf verschiedene Bestätigungen statt. Man stelle sich einmal vor, man wird bei einer Entscheidung in fünf verschiedene Richtungen gezogen und jede Ausprägung will zu ihrem Recht kommen.

Wenn man etwas sieht, ist das nicht genug, sondern man muss es auch hören. Ein Tauber, kann sich nicht an der Welt erfreuen, obwohl er sie sehen kann. Jemand, der nicht riechen kann, kann sich nicht des Geschmacks seines Essens erfreuen. Wenn auf Grund einer Erkältung die Nase verstopft ist, kann man sich nicht am Essen erfreuen. Man ist bei derartiger Aussage sicherlich verwundert, denn man isst doch mit der Zunge. Warum mischt sich die Nase ein? Sie sind miteinander verbunden. Man muss das Essen berühren, hören, wie es gekocht wird, es riechen, sehen und schmecken. Alles findet parallel statt. Wenn eines dieser Sinne nicht richtig funktioniert, schmeckt das Essen nicht. Man kann sich nicht daran erfreuen.

Darum findet eine fünffache Attacke der Sinne statt. Dieses geschieht auch bei der Berührung eines einzigen Objektes. Es gibt den bewussten Versuch, bei einem Teil dieser fünffachen Öffnung der Sinne, in der Wahrnehmung zu betrügen. Ständig findet dieser Betrugsversuch statt, denn die fünf Sinnesorgane kommen bei demselben Objekt immer wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Glücklicherweise verfügt der Mensch nur über fünf Sinnesorgane. Angenommen, man hätte zehn oder gar fünfzehn; das wäre noch schlimmer, beinahe unvorstellbar. Auf Grund der fünf Sinnesorgane sieht der Mensch fünf verschiedene Objekte: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Diese fünf Elemente bilden die Gegenstücke der fünf Gefühle, Sinne. Angenommen man hätte 100 unterschiedliche Gefühle. Dann würde man 100 Elemente sehen, und es ergäben sich daraus endlos viele Schöpfungsmöglichkeiten.

Das bedeutet nicht, dass man alle Kreationen mit bloßem Auge sehen könnte. Auf Grund der Einschränkungen der Sinnesaktivitäten sieht man nur eine begrenzte Anzahl. Wenn man über alle Augen, Ohren, Geschmäcker verfügen würde, dann könnte man endlos viele kosmische Variationen von erschaffenen Auflösungen wahrnehmen, und man wüsste nicht mehr, wo man ist. Mit den fünf Sinnesorganen ist man bereits überfordert, denn sie verursachen genug Unsinn.

Es heißt, man müsste die Sinne zum Zweck der Meditation kontrollieren. Was ist mit der Sinnenkontrolle gemeint? Heißt das, man schließt die Augen, die Ohren und die Nase? Nichts dergleichen. Man mag die Löcher der Sinnesorgane verschließen, doch damit hat man die Sinne nicht zurückgezogen. Die Sinne sind nicht das, was man äußerlich von ihnen sieht. Die Augäpfel sind nicht das, was man unter dem Sehen oder der Sicht versteht.

Es gibt einen inneren Impuls, eine Energie, um sich nach außen zu orientieren; das macht die Sinnesorgane aus. Ob es sich um Augen oder Ohren, oder was auch immer handelt, man bekommt ein Gefühl durch diesen Apparatismus der Sinnesorgane. Das Gefühl macht die Sinnesorgane, nicht die physische Substanz des jeweiligen Organs. Darum ist das Verschließen von Augen, Ohren, Nase usw. wenig hilfreich, denn selbst ein Blinder hat den Wunsch zu sehen, ein Tauber zu hören usw. Der Wunsch für ein bestimmtes Gefühl bleibt bestehen, auch wenn das betreffende Organ nicht funktioniert.

Dieses muss zuerst verstanden werden, bevor man über Sinnenkontrolle nachdenkt. Man muss zu dem Wünschen von Dingen zurückkehren, d.h. zu dem Wünschen des Bewusstseins durch die Sinnesorgane, und dieses universalisieren. Die Neigung der Sinnesorgane zu individualisieren muss aufgelöst und durch die Neigung in der Wahrnehmung zu universalisieren ersetzt werden. Man sollte vielmehr mithilfe eines reinen Geists richtig denken als mithilfe der Sinne im Einzelnen wahrnehmen wollen. Reines Denken, ein klarer Verstand, sollte den Menschen leiten, und nicht das Denken, das durch den Einfluss von Gefühlen befleckt ist.

Doch wo ist der klare Verstand? Er funktioniert nicht mehr, denn er ist bereits tot. Normalerweise bestätigt der Verstand die Berichte der Sinnesorgane. Wenn ihm berichtet wird, dass es sich so oder verhält, dann wird dieses mit einem ‚o.k.’ bestätigt. Der Verstand arbeitet in der Regel nicht unabhängig. Zu bestimmten Gelegenheiten fungiert er jedoch unabhängig, wenn man sich z.B. besser fühlen möchte als man sich fühlt. Dieses ist eine rationale Operation, denn die Sinne vermitteln so etwas nicht. Kein Sinnesorgan erzählt einem, dass man etwas Besseres sein sollte als man ist. Nur der reine Verstand kann einem z.B. sagen, dass man ein endliches Individuum ist und man diese Endlichkeit durchbrechen möchte. Die Sinne können das nicht. Sie sind mit dem Endlichen zufrieden. Im Menschen befindet sich ein höheres Licht, eine höhere Intelligenz, ein höheres Selbst, unabhängig von den Sinnen, was einem sagt, dass man nicht so wichtig ist, wie man glaubt. Man ist etwas hoffnungslos Endliches. Auf Grund der Kooperation vieler endlicher Dinge ist man auch nur etwas Endliches.

Der Verstand ist noch wach, nur ist er in viele unsinnige Aktivitäten der Sinnesorgane verwickelt, obwohl er sich immer weiter nach oben bewegt. Der Verstand bewegt sich insoweit nach oben, wie er den Menschen überzeugt, dass es noch etwas Höheres gibt. Das Endliche existiert notwendigerweise, und diese Überzeugung erfolgt, weil man akzeptiert hat, dass man durch den Körper beschränkt und an einen Ort gebunden ist. Man ist nicht besonders erbaut, nur an einen Ort gefesselt zu sein. Man ist sich nicht bewusst, nur ein Tom, Walter oder Hans unter vielen anderen Menschen zu sein, denn man möchte viel mehr sein.

Der Wunsch nach mehr entspringt dem höheren Verstand. Man ist sich bewusst, dass man eines Tages stirbt, doch dieser höhere Verstand sagt einem, dass es gut wäre, nicht zu sterben, und darum muss man irgendwie einen Weg finden sich in Ewigkeit zu erhalten. Dieses ist der Wunsch des Verstandes. Doch die Sinne mischen sich ein: „Sei still! Du wirst eines Tages sterben. Du kannst nicht unsterblich sein!“ Der höhere Verstand, des Menschen Freund, und die turbulenten Sinne prallen aufeinander. Die Sinne wissen, dass der Körper eines Tages sterben muss, doch der Verstand im Menschen sagt, dass es etwas in ihm gibt, das unsterblich ist.

Wie kann solch ein Wunsch nach ewigem Leben in einer vergänglichen Welt überhaupt entstehen? Jeder muss sterben, niemand lebt ewig. Wie ist es in einer solchen Welt der Zerstörung möglich, eine Neigung zu ewigem Leben zu entwickeln?

Im Menschen wirkt eine universale Kraft, Ishvara Brahman, die wie ein Unterton im nach außen gerichteten Schöpfungsprozess wirkt. Man weiß, dass man wie alles Andere irgendwann wieder vergeht, doch im Stillen hegt man die Hoffnung nach etwas Besserem: „Wenn ich wiedergeboren werde, möchte ich ein besserer Mensch sein.“ Das ist der Wunsch. Niemand glaubt wirklich daran, bei
einer erneuten Geburt schlechter zu sein oder dazustehen. Wenn möglich, so wird geglaubt, wird man es auf jeden Fall besser haben. Das sagt einem dieser höhere Verstand, die innere Stimme. Dieses ist Atma Shakti, das sich in des Menschen scharfsinniger Intelligenz widerspiegelt.

Es gibt zwei Formen des Intellekts, Ashuddha Buddhi und Shuddha Buddhi. Shuddha Buddhi ist der klare Intellekt, der rationale, der die kosmischen Operationen in ihrer integrierten Form reflektiert, während die niedere Form die Vielheit der Dinge reflektiert, die durch die Sinnesorgane wahrgenommen werden.

Man lebt gleichzeitig in zwei Welten, d.h. der Welt der Phänomene und in einer Welt der Gedanken. Der Mensch ist in der Ewigkeit und der Welt der Zeit; der Welt der Vergänglichkeit und gleichzeitig in der Welt der Unsterblichkeit. Vivekat Shakti, Vichara Shakti, die Fähigkeit, die Wahrheit der Materie und ihre diversen Formen zu untersuchen, ist die Voraussetzung für die Meditation. Wenn der Geist nicht frei vom konfusen Denken ist, dann ist Meditation unmöglich. Viele Leute beklagen sich, dass sie sich nicht konzentrieren können. Wie will man sich konzentrieren können, wenn der Verstand tot ist, die Sinne das Sagen haben und der Körper wild und ungestüm ist?

Das innere Zurückziehen von diesen Kräften, die im Gegensatz zum höheren Verstand stehen, d.h. Tapas, muss praktiziert werden. Bei Tapas handelt es sich nicht um eine Tortur, sondern um einen Ausbildungsprozess. Wer Yoga lernt, die Schriften studiert, usw., dessen Bildung wird in dieser Hinsicht immer umfangreicher, und er entwickelt sich zu immer größerer Universalität. Wenn jemand gut ausgebildet ist, kann er auch in anderen Dimensionen denken. Doch jemand, der nicht trainiert ist, kann das eben nicht. Er bleibt bei den kleinen Dingen, die er erfassen kann. Solche Menschen reden nur von mein und dein, eben körperlich bezogen.

Doch jemand, der in größerer Dimension gelernt hat zu denken, gut ausgebildet ist, kann auch Schlüsse bzgl. einer universalen Natur ziehen, auch wenn er von Einzelheiten ausgeht. Dieser Jemand ist auch in der Lage, die mentalen Aktivitäten zu verallgemeinern, und dann ist es möglich, dass sich der Geist unterwirft. Solange der Geist nicht zufrieden gestellt ist, ist er auch nicht in der Lage, in irgendeine Richtung zu denken. Ein unzufriedener Diener kann nicht arbeiten. Man sollte darauf achten, dass der Geist nicht unzufrieden ist. Er sollte sich nicht als der Schwächere fühlen, bearbeitet werden oder unter Druck stehen; das funktioniert nicht.

Der Geist muss methodisch mithilfe des Verstandes in die Fähigkeit des Untersuchens und Forschens trainiert werden. Ständig sollte man sich, wie ein Wissenschaftler, mit der Struktur des Erfahrens befassen. Je mehr man herausfindet, desto unzufriedener wird man; man will immer mehr wissen. Scheinbar Unwichtiges wird wichtig und umgekehrt. Einzelne Dinge scheinen plötzlich überall zu sein usw.

Auf dieses Weise kommt man durch ständiges Bemühen über Tage, Monate und Jahre zu sich selbst. Doch dieser Teil ist am schwierigsten. Weit Entferntes kann man leicht ausmachen, doch Nahe liegendes, was einen selbst betrifft, ist nur schwer zu verstehen. Darum kann man sich auch nicht selbst kontrollieren.

Im eigenen Selbst befindet sich ein höchst turbulentes verdrängendes Element. Anderen Menschen zu sagen und anzuweisen, wie Yoga funktioniert, ist nicht schwer, doch ein Meister seiner Selbst zu sein, wo man Lehrer und der Belehrte zur selben Zeit in einem Geist, in einer Person ist, ist nicht ganz einfach. Der eigene Geist wird zum Untersuchenden und Lehrer, und er wird selbst zum Objekt, das untersucht wird. Der Geist ist zum Zeitpunkt der Selbstanalyse gleichzeitig Subjekt und Objekt. Da kaum jemand versteht, wie man gleichzeitig Subjekt und Objekt sein kann, ist es auch nicht so einfach den Geist richtig zu händeln ist notwendig.

Man sollte jeden Tag Gutes hören. Wohin man auch geht, sollte man immer gute Dinge hören. Wenn es nicht möglich ist, Gutes zu hören, geht man an Orte, wo man Gutes hören kann, denn die Gewohnheit, den Geist immer wieder mit Gutem zu füttern, stärkt ihn in Richtung universaler Wahrnehmung.

Folgenden Rat gab der Heilige Vasishtha an Ramachandra: „Glaube nicht, dass du dich selbst beherrschen kannst. Du kannst andere beherrschen oder kontrollieren, doch dich selbst nicht. Möglicherweise kannst du den ganzen Ozean austrinken oder die Himalajas in Schwingung bringen, Feuer trinken, aber nicht den eigenen Geist kontrollieren, denn wer will seinen Geist kontrollieren? Du selbst bist dein eigener Geist!“ Das Kontrollieren des eigenen Geistes ist unmöglich, denn Kontroller und das, was es zu kontrollieren gilt, sind ein und dasselbe.

Die Selbst-Analyse führt zu Selbst-Bewusstsein, mit dem Ziel der Selbstverwirklichung. Der höhere Verstand, der vom Abfall sinnlicher Wünsche gereinigt wurde, wird helfen. Das kann Jahre in Anspruch nehmen.

Man muss lernen, mit sich selbst allein sein zu können. Vergiss die anderen Menschen, denn man ist sich selbst genug. Man ist selbst für seine eigene Disziplin und für sein Fehlverhalten verantwortlich. Alles, was notwendig ist, ist in einem selbst verborgen. Man muss es nur hervorbringen. Diese Gewissheit, dass alle Kraft in einem selbst steckt, ist notwendig, um sich darüber klar zu werden, dass der eigene Geist die Fähigkeit hat, es selbst zu schaffen, und dass man sich dafür glücklich schätzen kann. Wenn man selbst davon überzeugt ist, kann man überall glücklich werden, unter allen Umständen, denn alles ist mit und in einem selbst. Man kann diese scheinbar verborgene Kraft jederzeit abrufen. Wenn man davon nicht überzeugt ist, und man glaubt, von anderen Menschen oder Dingen abhängig zu sein, dann macht der Geist, was er will und strebt mit der Schöpfung irgendwohin nach außen.

Die Befreiung des Spirits, Moksha genannt, kann den höchsten Preis fordern. Was kann Gott fordern? Es geht nicht um etwas Essbares, denn diese Dinge, die man Gott anbieten möchte, gehören einem nicht selbst.

Was einem wirklich selbst gehört, sollte geopfert werden, und nur das, was einem gehört, ist das eigene Selbst. Selbst-Opfer oder Selbst- Hingabe ist das, was das universale Sein entzückt. Kein Studium der Schriften, keine Disziplin, keine Wohltaten, keine Philanthropie und keine Güte im gesellschaftlichen Sinne können den Spirit berühren, wenn sie zusammenhanglos sind. ‚Bemühen ohne Zusammenhang’ ist hier das entscheidende Wort. Jeder Gedanke, der an irgendetwas Anderes verschwendet wird, schwächt den Geist. Man muss unabhängig von sich selbst (vom eigenen Ich) denken, wie eine allumfassende Kraft, die sich selbst genügt. Man ist vollkommen sich selbst; man will nichts Anderes; man ist glücklich mit sich selbst, was man ist, und nicht darüber, was man besitzt.

Man sollte nicht zufrieden sein mit dem, was man ist, doch mit dem, was man hat. Man sollte zufrieden sein, mit dem, was man hat, doch nicht so leicht mit dem, was man ist, denn man weiß nicht, wer oder was man ist. Man sieht vielleicht Vieles von dem, was man ist, gute Seiten, schöne Bilder, doch Bilder sind wie Chamäleons, und irgendwann wird man durch falsche Eindrücke in die Irre geführt. Ein wenig Bescheidenheit, Zurückhaltung sei angebracht, vielleicht stellt man seine Wünsche ein wenig zurück, geht mit mehr Selbstzufriedenheit durch die Welt und schaut nicht immerzu auf Andere. Der Glaube an die Vollkommenheit, die in einem selbst verborgen ist, wird den Geist in Richtung auf diese Vollkommenheit beugen.

OM TAT SAT