Wege zum Unendlichen

 

4. Das Verwirklichen des spirituellen Alleinseins

Seit Kaivalya als Ziel des Lebens in spirituellem Alleinsein genannt wird, ist die spirituelle Praxis oder Sadhana auf das Erreichen dieses spirituellen Alleinseins gerichtet und beinhaltet auch eine Art von Alleinsein mit dem eigenen Selbst. Gott selbst ist mit sich allein.

Ist man allein oder ist man nicht allein in dieser Welt? Es gibt zwei Formen des Alleinseins. Zum einen handelt es sich um einen desolaten Zustand, d.h. Depression durch den Ausschluss von der Gesellschaft, und wird dadurch zu psychologischer Einsamkeit verurteilt, als wäre man in einem Zuchthaus gefangen. Dieses ist eine Form des Alleinseins, wo eine äußere Macht zum Alleinsein führt.

Es gibt eine andere Form des Alleinseins, die man sich selbst auferlegt, weil man mit der Gesellschaft um sich herum unzufrieden ist. Man möchte sich von diesen Bedingungen der Gesellschaft entfernen und mit sich allein sein.

Wer verärgert ist, möchte häufig mit niemanden sprechen. „Sag nichts!“ lautet seine scharfe Antwort. Sie wollen nichts essen. Sie wollen, weil sie Angst haben, nur mit sich allein sein. Dieses ist auch eine Form des Alleinseins, das sich derjenige aus negativen Gründen selbst auferlegt.

Es gibt vielfältige Gründe für den Wunsch allein zu sein, z.B. wenn jemand fühlt, alles verloren zu haben: allen Besitz, alle Verwandten, die Geschäfte gehen schlecht, die Aktienkurse sind im Keller. Es ist wie ein Erdbeben, ein Erdrutsch; ein Gefühl von Unglückseligkeit.

Ein Börsenmakler zum Beispiel, der von heut auf morgen alles verliert, ist derart unglücklich, dass er vielleicht einen Herzinfarkt erleidet, eben weil man ihm die Existenzgrundlage genommen hat, den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Das Gleiche gilt für Menschen, die viele Jahre in ein und derselben Firma gearbeitet haben, und im Alter von 50 Jahren plötzlich ihren Arbeitsplatz verlieren, weil die Firma Konkurs anmelden musste. Solche Menschen fühlen sich einsam, als wären sie ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Doch bei Kaivalya, was Alleinsein bedeutet, handelt es sich nicht um psychologisches Alleinsein. Es ist nicht das geistige Gefühl, sondern es ist ein Alleinsein des Spirits im Menschen. Die Seele ist allein mit sich selbst.

Allein in dieser Welt zu sein, ist in Wahrheit leicht zu verstehen. All die Bindeglieder, wie Geld, Macht und soziale Bindungen sind künstlich und an bestimmte Umstände gebunden. Wenn ein Kind geboren wird, ist es völlig allein. Es hat weder Besitz noch ein Bewusstsein für irgendwelche Beziehungen. Es weiß von keiner Zugehörigkeit.

Das Leben dauert eine gewisse Zeitspanne. Wenn diese Zeitspanne des Lebens zu Ende geht, wenn man also diese Welt verlässt, beschleicht den Menschen ein anderes Alleinsein. Der Sterbende fühlt dann ein Alleinsein im Todeskampf. Es ist so wie eine Sekunde in der Kindheit. Der Sterbende verhält sich wie ein Kleinkind, wobei der Geist vor sich hinbrabbelt und alles mögliche unverständliche Zeug sagt. Im Geist entstehen sprunghafte Gedanken. Obwohl ein kindliches Bewusstsein längst der Vergangenheit angehört, stellt sich eine andere Form des Alleinseins ein, d.h., als wäre man im hohen Alter von allen Menschen verlassen worden.

Wenn jemand stirbt, scharen sich Freunde und Verwandte um den Sterbenden. „Weißt du, wer ich bin?“ fragen sie. „Erkennst du mich?“ Manchmal funktioniert die Erinnerung nicht mehr. Selbst wenn der Sterbende noch mit den Augen sehen kann und den Fragenden auch erkennen kann, so kann er doch keinen Bezug mehr herstellen. Auch das Gehör versagt irgendwann seinen Dienst. Ebenso verhält es sich mit dem Geist. Am Ende bleibt nur die Lebensenergie. Wenn die Lebensenergie am Ende ist, verlässt sie den Körper. Dieses Verlassen der Lebensenergie ist für denjenigen, der ein soziales Leben gewohnt war und in der Öffentlichkeit seinen Mann gestanden hat, das schlimmste, was man sich vorstellen kann.

Man muss wissen, und dieses gilt insbesondere für den spirituellen Sucher, dass dieser Zustand des Alleinseins beim Eintreten und beim Verlassen dieser Welt vorherrscht. Warum geschieht das nicht in der Lebensmitte? Außerdem gibt es ein völlig anderes Verständnis in Bezug auf so viele Dinge, die nicht bekannt waren, als man in diese Welt eintrat und die man auch nicht mitnehmen kann, wenn man diese Welt verlässt.

Alle Beziehungen, welcher Art auch immer, haben sich über den sozial ausgerichteten Geist eingeschlichen. Wenn dieses Alleinsein vom Lebensanfang und Lebensende sich auch über den gesamten Lebenszeitraum in der Mitte erstrecken würde, dann würde man allein aus Kummer frühzeitig das Zeitliche segnen.

Die Natur sorgt jedoch dafür, dass das Individuum stirbt, wenn die Zeit reif dafür ist. Darum erzeugt sie eine illusionäre Zufriedenheit im Menschen: „Ich habe so viel Land erworben.“ Das Land existierte bereits vor der Geburt des jetzigen Besitzers und wird auch nach seinem Ableben noch dort sein. Doch jetzt glaubt dieser: „Dieses ist mein Land. Eintausend Quadratmeter gehören mir. Ich habe viele Freunde, Beziehungen und so viele Verwandte.“

So wie Fliegen einen Ort verlassen und zu einem anderen fliegen, verlässt in dem Augenblick den Sterbenden alles auf einmal. Das Sterben ist ein Naturgesetz, denn die Verbindungen sind künstliche, ersonnene Situationen, die nicht für immer und ewig bestehen bleiben.

Wenn die Erkenntnis über das Leben die Oberhand gewinnt, wird man feststellen, dass man eigentlich immer allein mit sich ist. Es gibt keine wirklichen Freunde, denn die Verbindung von Menschen untereinander beruht auf bestimmte Abmachungen. „Wenn du das für mich tust, bin ich dein Freund. Wenn du es nicht machst, will ich nicht dein Freund sein.“ Selbst über einer Freundschaft liegt ein ‚Wenn’. Wenn dieses ‚Wenn’ entfernt wird, kann niemand mehr ein Freund eines anderen sein. Es ist wie ein Vertrag, den man eingeht, als würde man einem Verein oder einer Organisation beitreten. Es könnte kein Verein oder keine Organisation gegründet werden, gäbe es keine Vereinbarung darüber, wie man sich unter bestimmten Bedingungen verhalten wollte oder sollte. So funktioniert eine Gesellschaft, Gemeinschaft, ein Staat, eine Nation usw. Wenn eine Vereinbarung aus irgendwelchen Gründen von jemand gebrochen wird, steht derjenige allein da.

Ein spiritueller Sucher muss dieses Alleinsein mit sich selbst kennen. Es ist nicht gut, Alleinsein nur zu fühlen, wenn man den Körper verlässt, denn sonst kommt es wie ein plötzlicher Schock über den Sterbenden. Man muss rechtzeitig darauf vorbereitet sein, dass man am Ende seines Lebens alles verlieren wird.

Wenn diese Situation eintritt, weiß man, wie man damit umgehen muss, denn es gibt nichts Schlimmeres als den Tod, wenn alles genommen wird, von dem man glaubte, man würde es besitzen. Auf Beziehungen zu Besitztümern, Verwandten und Freunde kann man sich letztendlich nicht verlassen, denn alles kann sich ins Gegenteil verkehren. Man muss einfach den Frieden in sich selbst suchen und finden. Wenn der Frieden von äußeren Bedingungen abhängig ist, so wie der Besitz und die Freundschaften, werden dieses geborgte Glück und der Frieden ebenso zerrinnen, wie das Geld eines Kreditors. Niemand kann auf Dauer mit einem geborgten Frieden leben.

Man muss in sich selbst eine innewohnende Kraft und Disziplin entwickeln. Es handelt sich nicht um etwas von außen Auferlegtes, wie z.B. Autorität, Macht usw. Die innewohnende Kraft ist etwas, was man in sich fühlt, selbst wenn alles andere vergeht. Doch welche Art von Kraft kann das sein, wenn alles andere vergeht? Man wird sich wundern, wie man sich innerlich stark und zufrieden fühlt, wenn alles andere vergeht und zusammenbricht. Was ist das für eine innere Stärke? Diese innere Kraft entwickelt sich durch Freundschaft, nicht durch die Freundschaft mit anderen Menschen oder durch finanzielle Mittel, sondern durch die Freundschaft mit der Natur als Ganzes.

Normalerweise sind die Menschen keine Naturfreunde, sondern häufig eher Gegner, da man glaubt, völlig unabhängig von ihr zu sein. Tatsache ist jedoch, dass das menschliche Dasein nur eine geborgte Existenz ist, die aus den geborgten Substanzen der Natur besteht. Der Mensch existiert nicht unabhängig von Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther, aus denen der Körper zusammengebaut ist. Doch der Mensch dankt es der Natur nicht. Man erkennt die Umstände nicht und will sie auch nicht wahrhaben, dass man nur lebt, weil die Natur mit dem Menschen kooperiert.

Wenn dieser Schutz durch die Natur klar wird, dehnt sich das Alleinsein von selbst in die unermessliche Natur aus. Das ganze Universum ist in irgendeiner Weise Natur. Woraus besteht das Umfeld des Menschen? Es ist der gleiche Stoff aus dem der Mensch gemacht wurde. Kosmische Bewegungen bewirken die menschliche Individualität. Kosmische Substanzen bewegen sich in alle Richtungen, konzentrieren sich selbst aus irgendwelchen Gründen an bestimmten Punkten und erschaffen eine Situation, die letztendlich eine menschliche Individualität hervorbringt.

Wenn diese Umstände, die zur eigenen Existenz führen, klar werden, und wenn man unter diesen Bedingungen denkt, die die Persönlichkeit geformt haben, dann hängt die menschliche Existenz nicht mehr von zerbrechlichen menschlichen Beziehungen und vergänglichen Besitztümern in der Welt ab, sondern wird sich auf den vertrauenswürdigen Freund, die Natur, stützen. Das ist die vertrauenswürdige Verbindung des menschlichen Selbst, die ihn/ uns niemals verlassen wird. Der Wind, die Sonne und die Atemluft, die alle kosmisch wirken, sind die Finger Gottes, die überall aktiv sind.

Philosophen und Mystiker glauben, dass das spirituelle Leben ein Bewegungsablauf des Individuums hin zum Alleinigen ist; es ist die Bewegung des kleinen ‚Einen’ hin zum höchsten ‚Einen’. Alles ist in dieser Welt allein. Die Beziehung von einem zum anderen ist künstlich. Zwei Dinge können unter keinen Umständen zusammenkommen. Das Naturgesetz bedeutet letztendlich Alleinsein. Die Natur ist unteilbares Einssein, und das heißt, mit sich selbst allein zu sein.

Alle Menschen stehen in einer gemeinschaftlichen Zusammensetzung für sich allein, die sich aus dem Zusammenwirken der gesamten Natur in jedem Einzelnen ergibt. Obwohl viele Menschen auf der Erde leben, so sind sie doch alle wie kleine Chips eines einzigen Klotzes von universaler Substanz, die alle ähnlich aussehen lässt, wie Statuen, die von einem Bildhauer aus ein und demselben Marmor gehauen wurden.

Die geistige Sammlung während des Alleinseins in der Meditation hat eine tiefere Notwendigkeit. Man sollte sich hin und wieder Zeit nehmen, um mit sich allein zu sein. Viele fühlen sich jedoch nicht wohl, wenn sie mit sich selbst allein sind. Wenn es nichts mehr zu tun gibt, wenn die täglichen Pflichten erfüllt wurden, das Abendessen eingenommen wurde, niemand auf ein Schwätzchen vorbeischaut, dann geht man zum Marktplatz, einem Sportclub, um irgendwelche Menschen zu treffen und über Gott und die Welt zu sprechen. Mit dem Alleinsein können viele Menschen nichts anfangen. Es macht sie unzufrieden, unwirsch usw.

Erst die Begegnung mit der Ehefrau, den Kindern oder Besuchern lässt viele Menschen wieder erstrahlen. Ein wirkliches Alleinsein führt bei diesen Menschen zu einer inneren Leere, als wären sie verlorene Seelen. Für einen spirituellen Sucher ist es unbedingt notwendig, dass er oder sie niemals eine verlorene Seele ist. Die Seele ist in sich immer vollkommen. Dieses erfordert lediglich das Erkennen des Alleinseins.
Wenn man sich also zur Meditation hinsetzt oder nicht einmal im Zustand einer solchen Meditation ist, d.h. ohne jegliche Gesellschaft, kann man sicher sein, dass man von den Mächten des Himmels bewacht wird. „Derjenige, der mit sich selbst zufrieden ist, wird vom Himmel bewacht“, heißt es in den Schriften. „Alle acht Teile des Himmels verneigen sich vor dir“, sagen die Upanishads. „Sei davon überzeugt, dass du in der ewig freundlichen Gesellschaft mit den permanenten Kräften der Natur bist. Sie können dich niemals verlassen.“

Zu diesem Zweck muss man lernen, sich mit dem Alleinsein vertraut zu machen und damit Zufriedenheit erlangen. Eine intensive Praxis ist dafür erforderlich. Man muss sein eigenes Selbst hinterfragen: „Was bin ich wert? Gibt es in mir, unabhängig von äußeren Verbindungen, irgendwelche wichtigen Werte?“ Wenn man mit sich allein ist, sollte man die wahre Bedeutung seiner äußerlichen Bindungen betrachten: „Wie wichtig bin ich wirklich für diese Welt?“

Wenn man sich aufrichtig selbst befragt, wird man feststellen, dass es keine wirklich wichtige Bindung für das persönliche Selbst gibt. Ist es notwendig, sich als unbedeutend zu empfinden? Es gibt jedoch etwas Wesentliches, das mit jedem Einzelnen verbunden ist; was man vergessen hat. Man fühlt sich aufgrund der äußerlichen, scheinbar wichtigen, künstlichen Bindungen irgendwie schlecht, unwichtig, endlich, beschränkt, örtlich gebunden, in eine Ecke gedrängt und unvollkommen. Eine bewusste psychologische Loslösung von Dingen, die nicht unbedingt wichtig sind, wird den Menschen zu seiner wahren wesentlichen Natur führen.

Wenn man das eigene Innere diszipliniert hat. Eine Disziplin, die aus der Überzeugung des Einschließens aller und der vollkommenen Ordnung der Gedanken gewachsen ist, gibt es auch keine Schwierigkeiten mehr, mit sich allein zu sein. Es ist tatsächlich ein ausgedehntes Alleinsein, darunter ist keine soziale Ausdehnung zu verstehen, sondern eine metaphysische, spirituelle Ausdehnung. Die eigene Seele berührt die Allseele aller äußeren Dinge. Dann fühlt man Alleinsein als spirituelles Alleinsein, eine Reflexion des alleinigen Gottes, wie es ist.

Zu Anfang fühlt man sich mit dem Alleinsein unwohl, empfindet Kummer. „Niemand will mich.“ Doch wer alles möchte, ist überall erwünscht. Die Welt reagiert in der Weise, wie man auf sie reagiert. Doch es fehlt das Gefühl für die Dinge der Natur, denn man achtet nur auf die eigene Stellung in der Gesellschaft.

Die innewohnende Kraft hängt nicht von sozialen Beziehungen ab, denn diese sind brüchig. Gesellschaftliche Beziehungen mögen vorhanden sein, doch sie sind hier nicht von Belang und man kann sich auch nicht auf sie verlassen. Eigentlich ist man nirgendwo wirklich erwünscht. Zu irgendeinem unwillkommenen Anlass offenbart sich diese Tatsache. Man kann davon ausgehen, dass es nicht nur günstige Situationen im Leben gibt.

Die so genannten positiven Lebensumstände sind ein Zeichen eines guten Karmas, das man in einem vorhergehenden Leben erzeugt hat. Vielleicht hat man etwas Gutes getan, anderen Menschen geholfen. Ein positives ‚Konto’ aus früherem Leben ist verantwortlich für ein zufriedenes Dasein mit vielen Freunden, Verwandten und guten Beziehungen in der Gesellschaft hier und heute. Doch ein gutes Karma mit seinen positiven Früchten ist auch irgendwann aufgebraucht.

Die Mahabharata macht dazu folgende Angabe: „Jede Art von Anhäufung, welcher Natur auch immer, wird sich irgendwann auflösen. Alle angehäuften Dinge in der Zersplitterung der Sammlung. Aller Aufstieg, all die Macht in der Gesellschaft wird irgendwann mit einem Rückfall auf die niedrigste Stufe enden. Alle Beziehungen enden mit Trauer.“

„So wie sich Baumstämme auf dem Ozean zufällig durch die Unbilden von Strömung und Wind begegnen, zum Freund werden, doch von ihrer Freundschaft nichts wissen, werden wieder auseinandergedriftet und die Freundschaften vergehen wieder“, sagt Sri Krishna abschließend in der Mahabharata.

Menschen begegnen sich zufällig, werden zu Freunden und entwickeln Beziehungen, so wie die beschriebenen Baumstämme auf dem Ozean zuvor. Die Stämme verfügen über keine unabhängigen Gedankenprozesse. Sie können ihre Richtung nicht kontrollieren. Der Wind treibt sie mal hierhin, mal dorthin. Im Menschen findet eine übernatürliche Aktivität statt, die ihn mit bestimmten Dingen in der Welt zusammenbringt. Doch diese Aktivität der Natur könnte den Menschen genauso gut in eine entgegen gesetzte Richtung führen, denn die Natur kennt weder Freund noch Feind.

Ein kalter Winter lässt den Menschen erschauern. Ein kleines Sonnenbad wäre jetzt sehr willkommen, doch kann man nicht sagen, dass die Sonne deshalb des Menschen großer Freund wäre, weil sie Wärme spendet, wenn man friert. Im heißen Sommer, wenn man einen Sonnenstich erleidet, vielleicht kollabiert, kann man nicht behaupten, dass die Sonne nun unfreundlich wäre. Die Sonne ist in beiden Fällen weder besonders freundlich noch unfreundlich zu nennen. Es findet etwas statt, das sich außerhalb des menschlichen Einflusses befindet, ihn kontrolliert. Er wird irgendwie geführt, und es scheint, die Dinge hätten eine ganz bestimmte Natur.

Niemand kann dem Tod entrinnen. Der Tod kann jederzeit eintreten, nicht notwendigerweise erst nach zwanzig, dreißig, vierzig oder gar nach siebzig oder achtzig Jahren. Die Lebenslänge eines Menschen, die Erfahrungen, die er durchmachen muss, alles Positive wie Negative, was er erlebt, und das Leid oder die Freude, die damit verbunden ist, sind bereits in seinen Genen verankert worden als er noch im Mutterleib war. Die Möglichkeit zur so genannten Selbstbestimmung im Leben wurde ebenfalls zur selben Zeit in den Veranlagungen festgeschrieben. Des Menschen Zukunft, wie riesig, wertvoll oder armselig sie auch immer sein mag, wie sich die Gesundheit im Laufe des Lebens entwickelt wird, welche Verwandten er haben wird, wurde bereits vor seiner Geburt festgelegt. Im Mutterleib wird alles festgeschrieben, was im Nachhinein nicht mehr änderbar ist, denn alles ist ein Ergebnis aus früheren Geburten. Man bekommt nichts, was man sich nicht wirklich verdient hat.
All die Freuden im Leben und alles Leid wurden bereits mit in die Welt gebracht. Man hat die Saat für Freud und Leid in früheren Leben gesät, und diese Saat geht in Form der Erfahrungen nun auf. Klagen sind nutzlos und helfen nicht. Freud und Leid dieses Lebens wurden durch günstige bzw. ungünstige Aktivitäten in früheren Geburten erzeugt. Jeder verdient, was er empfängt.
Man erhält weder eine Gnade noch ein Geschenk von irgendjemand. Man empfängt keine Wohltaten von der Natur. Es gibt weder Wohltaten noch Geschenke oder irgendetwas, ohne Handlungen. Das findet nicht statt. Man bekommt immer, was man verdient.

Die Zusammenarbeit mit der Natur, mit Gott selbst und die innere Kommunikation des eigenen Selbst mit dem absoluten Sein machen offensichtlich den Segen für den Menschen aus, und alles zusammen genommen ist auch für die Ausdehnung dieses Segens verantwortlich.

In der Bhagavadgita heißt es: „So wie du von mir denkst, so denke ich über dich. So wie du mich beschreibst, so werde ich dich beschreiben. Was auch immer du mir gegeben hast, werde ich dir zurückgeben. Das einzige ist, was du an Güte in geringer Menge der Natur Gottes gibst, erhältst du auf Grund der all-durchdringenden Natur Gottes in vielfacher Weise zurück.“ Man mag wenig geben, doch es kommt immer als etwas Großes zurück.

Knauserig, wie Sudama war, verbarg er eine Handvoll Körner unter seiner Achselhöhle, in einem hübschen Tuch gewickelt, um sie Sri Krishna in Dewaraka zu opfern. Beschämt, auf Grund der vielfachen Verehrungen um ihn herum, wollte er das kleine Bündel nicht öffnen, doch man stellte vor ihm einen kleinen golden Teller hin. Sri Krishna bat ihn: „Mein Freund, was hast du mir mitgebracht?“ Ihm war nicht wohl zumute, denn er konnte schlecht sagen, dass er nur ein Bündel eingeklemmter Körner mitgebracht hätte. Das wollte er Sri Krishna nicht antun. Doch Sri Krishna sagte: „Du hast doch etwas mitgebracht!“ Er zog das Bündelchen hervor, nur eine Handvoll. Als das Bündel nun auf den goldenen Teller fiel, begann es sich vor allen Augen wie ein Berg auszudehnen.

Man mag nur ein Körnchen geben, doch man erhält von Gott Berge davon zurück. Gib, und es wird dir gegeben, und nicht in der knauserigen Form, wie man selbst vielleicht gegeben hat.

Dieses ist das innere Geheimnis spiritueller Handlungen, durch die man seinen wahren Freund erkennt. Humane Handlungsweise ist der wahre Freund, der Sicherheit gibt und ein Helfer in der Not ist. Gibt es irgendjemand auf der Welt, der bereit ist, Schutz zu gewähren, wenn man leidet? Man kann immer wieder beobachten, wie zuvor hochgestellte Persönlichkeiten plötzlich niedergeknüppelt werden und in der Gosse landen. Viele dieser inhumanen Elemente werden abgelehnt, sind unerwünscht. Kann man solchen Subjekten trauen?

Heute sind sie König und morgen sind sie das Ziel von Angriffen der eigenen Freunde. Man möge sich an die Worte von Shakespeare erinnern: „Doch gestern, nur gestern, stand das mächtige Wort Cäsars gegen die Welt. Ein Wort Cäsars genügte, um die ganze Welt erzittern zu lassen. Doch heute würden ihm nicht einmal arme Leute irgendeine Reverenz erweisen.“ Ein König kann innerhalb einer Minute zum Bettler werden. Wer glaubt, ein König zu sein, sollte immer auf ein Bettlerleben vorbereitet sein. Es wird Gott gegenüber selbst die kleinste Güte oder Reverenz verweigert und darum sind viele Menschen auch so armselig geworden.

Hier nun eine humorvolle Geschichte, warum Sudama so arm wurde. Er war ein Kamerad und Mitschüler von Sri Krishna. Sie studierten gemeinsam die Schriften unter Guru Sandipani. Mit vielen anderen Schülern war es ihre Aufgabe von Zeit zu Zeit im Wald Holz zu schlagen. Das war in alter Zeit ein System der heiligen Gurus. Die Schüler mussten dieses Holz für die heiligen Feuerzeremonien schlagen bzw. sammeln. Die Frau des Gurus gab Sudama gebratene Reispuffer mit auf den Weg und sagte: „Wenn es regnet, wird dir vielleicht kalt und du wirst hungrig. Wenn du dann am Abend heimkehrst, mag es dir schwer fallen, darum nimm die Reispuffer als Wegzehrung.“

In tiefer Ermüdung legten sich die Schüler nieder, unter ihnen auch Sri Krishna, um auszuruhen. Sudama fühlte sich hungrig. Er aß von den gebratenen Reispuffern. Sri Krishna hörte ihn essen und sagte: „Oh du isst wohl gern allein.“ „Nein, ich esse nicht. Nur meine Zähne klappern von Kälte,“ kam seine Antwort. Diese trügerische Haltung gegenüber Sri Krishna ließ ihn für den Rest des Lebens in tiefe Armut stürzen. Er führte fortan ein armseliges Leben. Irgendwann bat er sogar denselben Sri Krishna um Hilfe, mit dem er nicht einmal bereit war, einen kleinen Reispuffer zu teilen. Dieses ist eine Geschichte aus den Puranas.

Man wird von mächtiger Hand geführt. Dessen sollte man sich erinnern. Man ist nicht ohne Freunde und Verwandte, doch sie befinden sich originär im Himmel und nicht als Sterbliche in dieser Welt. Freundschaften in dieser Welt sind vergänglich, Verbindungen und Werte sind vergänglich. Alle vergänglichen Dinge vergehen im wahrsten Sinne des Wortes. Sie können nicht bleiben.

Man wünscht sich unsterbliche Zufriedenheit und Sicherheit, - nicht nur für wenige Minuten. Unendliche Sicherheit scheint jedoch nur möglich, wenn die eigene unsterbliche Natur sich mit der unsterblichen Quelle der Sicherheit verbindet. Nur die unsterbliche Quelle der Sicherheit allein kann unsterbliche Sicherheit geben. Doch wer an vergängliche Zufriedenheit und Sicherheit klebt, wird eines Tages erfahren müssen, wie sie vergeht, und was auch immer sie gegeben haben mag, wird mit ihr verschwinden.

Vertrauen in Gott ist nicht einfach zu bewerkstelligen. Es ist etwas, das von innen her akzeptiert wird, dass alles in Ordnung ist und bleibt: „Selbst wenn mir alles genommen wird, geht es mir gut, denn alles Unsichtbare wird kommen und mich beschützen.“

Das spirituelle Leben ist anfangs auf Grund der harten psychologischen Disziplin äußerst schwierig. Die wirklichen Disziplinen finden innerlich statt, sind gefühlsmäßig, psychologisch und organisch. Äußere Disziplinen können den Menschen nicht zu Gott führen. Man mag nur einmal pro Tag essen oder gar mehrere Tage lang überhaupt nichts zu sich nehmen; man schläft nicht; man badet vielleicht mehrmals am Tag oder lässt die Mala durch die Hand kreisen. All dieses sind äußere Disziplinen, die man sich auferlegt. Doch die inneren Disziplinen sind jene, von denen man nur selbst Kenntnis hat und sonst niemand.

Gesellschaftlich orientierte Disziplinen sind unzureichend. Man braucht spirituell orientierte Disziplinen, d.h. die Disziplin des Bewusstseins. Man sollte darauf achten, dass man unter allen Umständen völlig in Ordnung ist: „Lass alles fließen. Mir wird nichts geschehen. Ich werde mit niemand sprechen.“ In bestimmter Hinsicht fühlt man sich gut aufgehoben, doch man muss wirklich völlig in Ordnung sein. Man benötigt daher folgende Überzeugung: „Wo auch immer ich bin, mir wird es gut gehen.“ Warum sollte in dieser Sache irgendein Misstrauen aufkommen? Wo auch immer man sich gedanklich befindet, man bleibt immer auf der Erde. Wo auch immer man sich gedanklich bewegt, man bleibt in der Atmosphäre und unter dem Einfluss von Sonne und Sternen. Wo auch immer man geistig ist, man ist im Inneren des Universums; dies sollte Sicherheit und Zufriedenheit geben, die von allen Seiten dem Beobachter zufließt.

Spirituell ist man allein, obwohl man Teil der menschlichen Gesellschaft ist. Die Seele hat keine Gesellschaft. Sie kann zu niemand anders gehören. Eine Seele gehört nicht zu einer anderen Teilseele, denn Seelen sind nicht teilbar. Das unteilbare innere Selbstsein schützt vor jeglicher Art von unkalkulierbaren, scheinbar unerfüllten Gefühlen, die von äußerlichen Seelenverwandtschaften herrühren könnten.

Wenn man so denkt, kann man leicht von einem Unbehagen beschlichen werden, denn es kann der Eindruck entstehen, dass spirituelle Disziplin, ein Abkoppeln von den Lebensfreuden bedeuten könnte. Das liegt daran, dass man annimmt, sich auf den Trauerfall des Zufriedenseins vorbereiten zu müssen. Tatsache ist, eines Tages wird dieser Gedanke der weltlichen Zufriedenheit fallengelassen. Doch das, was zu einem Menschen gehört, wird ihn nie verlassen!

Das, was zu einem Menschen gehört, wird ihn nie verlassen, und dass, was den Menschen verlässt gehört nicht wirklich zu ihm. Wenn man diese Welt verlässt und in ein anderes Reich geht, nimmt man nur mit, was wirklich zu einem gehört. Was gehört dem Menschen wirklich? Es ist das, was man denkt, fühlt und worauf man im Geist kontempliert hat. Das wird eine unsterblich Folge erzeugen, den wahren Besitz, und mitteilen, dass es der wahre Besitz ist.

Man gehört nur sich selbst. Man muss sich selbst mitnehmen, wo immer man auch hingeht. Damit muss man glücklich sein. Dieses ist das große Alleinsein, von dem hier die Rede ist. Dieses innere spirituelle Alleinsein sucht Zuflucht im absoluten Alleinsein des allmächtigen Gottes.