Sei ehrlich zu dir selbst

Tantra Sadhana

In einem Abschnitt der Tantra Shastra über Meditationstechniken wird eine andere Technik zum Erreichen des göttlichen Ziels beschrieben, als es gemeinhin bekannt ist. Man muss das Konzentrationsobjekt nicht unbedingt vor Augen haben. Der Wunsch nach einem sichtbaren körperlichen Objekt entspricht der niedrigsten Wunschebene. Ihr könnt auch mit einem gedanklichen, mentalen Objekt glücklich werden, und damit dieselben Gefühle im Inneren von euch erzielen, auch wenn sich das Objekt nicht augenscheinlich vor euch befindet.

Da sich die Empfindungen auf der psychologischen Ebene abspielen, geschieht mit euch dasselbe, was mithilfe eines körperlichen Objekts erreicht wird; vom Objektkörper vor euch erhaltet ihr nichts. Das vor euch befindliche körperliche Objekt tritt nicht in euren Körper ein. Es bleibt vor Ort. Das Objekt der Berührung befindet sich, selbst wenn es auf eurem Schoß sitzt, außerhalb von euch. Es ist nicht in euch eingetreten. Wie kann man sich dann glücklich fühlen?

Das Glücksgefühl ist eine Reaktion des Nervensystems im Inneren. Die innere Reaktion wird durch das äußere Objekt ausgelöst, wobei das Berührungsobjekt lediglich als Instrument dient. Das Objekt als solches bringt wirklich keine Zufriedenheit. Die Zufriedenheit liegt in dem Nervenkitzel, der mentalen Aktivität, der psychologischen Akzeptanz.

Wenn also der Geist selbst die Ursache ist, dann ist kein körperliches Objekt vor Augen notwendig, um innerlich glücklich zu sein. Selbst wenn ihr ein solches Objekt vor euch aufstellt, könnt ihr die Augen schließen und dessen Gegenwart spüren, wobei dasselbe Glücksgefühl von innen her aufsteigt. Ihr werdet in eurem Geist euer Nervensystem durchbrechen und dieselbe Glückseligkeit erfahren, so als würdet ihr das äußere Objekt mit offenen Augen sehen.

Nach einiger Zeit ist selbst der Gedanke an das Objekt nicht mehr notwendig. Es entsteht eine höhere Form der Konzentration, denn der Objektkern wird als untrennbar vom eigenen Kern erfahren. Das Glücksgefühl hierbei, das man in der Gegenwart seines geliebten Objektes erfährt, geschieht durch die Offenbarung des Atman. Wir sind verwirrt, wenn wir feststellen müssen, dass ein Sinnesobjekt uns Zufriedenheit gibt. - Was geschieht eigentlich, wenn ihr nach einem Objekt strebt? Der Geist verlässt das Selbst und ihr seid zu diesem Zeitpunkt außerhalb des Glücks. Ihr habt euch selbst in das Objekt transferiert. Da ihr außerhalb von euch seid, habt ihr euch selbst verloren. Durch den Transfer in das äußere Objekt wurde die eigene Identität von eurem so genannten Selbst getrennt. Dann seid ihr nicht mehr ihr selbst; ihr seid irgendwo in dem äußeren Objekt. Obwohl ihr zu Hause sitzt, könnt Ihr durch den Transfer eures Geistes sogar bei eurem Objekt in London sein.

Die Traurigkeit im Geist wird durch die Trennung des Objektes vom Atman hervorgerufen. Wenn das Objekt erreicht wird, vermindert sich der Wunsch auf Grund der Aussicht es zu bekommen. Je näher es kommt, desto größer wird die Freude. „Oh ich bekomme es!“ Wenn man es körperlich in Besitz nimmt, kommt eine immense Freude auf. Der Geist hört auf, sich nach außen zu bewegen. Er begibt sich zu seinen eigenen Wurzeln. Durch die Empfindung des Geistes, dass er nicht mehr an das Objekt denken muss und nicht mehr nach außen wandern muss, pflanzt ihr euch selbst in euch selbst ein. Ihr seid dadurch glücklich, weil sich das Objekt scheinbar in eurem Besitz befindet. Das Glücksgefühl kommt nicht vom Objekt, sondern es kommt nur aus euch selbst heraus!

Seid darum vorsichtig bei eurer Objektauswahl. Das Meditationsobjekt sollte euch in jeder Hinsicht beglücken und nicht nur als erregendes Medium oder Sinnesobjekt dienen, sondern es sollte als vollkommener Segen, wie ein Füllhorn, über euch ausgeschüttet werden. Meint ihr nicht, dass ihr auf ein Objekt meditiert, weil es Gott selbst repräsentiert? Betrachtet ihr Gott als ein Sinnesobjekt? ER ist alles. ER ist überall, ER ist Beine und Füße, aller Augen, jede vishvarupa [9] , das Universale. Wie wollt ihr IHN als ein Sinnesobjekt betrachten? Dieses große Sein, das das Kosmische einschließt, war auf eine Person, nämlich Krishna, konzentriert, den die gopis verfolgten. Warum waren sie hinter ihm her? ER war in der Lage, sich selbst wie alle Menschen zu offenbaren, weil das konzentrierte Ganze mit der Kraft des Ganzen aufgeladen war, die ihre Aufmerksamkeit fesselte. In dem Augenblick, wo euch alle lieben, empfindet ihr, dass ihr für sie alles seid; ansonsten kann niemand wirklich lieben. Wenn ihr nur ‚irgendetwas‘ seid, dann wird auch eure Liebe nur ‚irgendetwas‘ sein. Sie kann nicht die allumfassende Angelegenheit sein, die sie wirklich ist.

Seid euch bei der Auswahl eures Meditationsobjektes sicher, sodass es eurem aufrichtigen Gefühl und nicht nur einer Einbildung entspricht. Der Geist kann mit der Konzentration wirklich alles auf einen Punkt bringen. Jnaneshvar Maharaj schaute auf eine Wand; er berührte sie nur und sie begann sich zu bewegen.

Euer Gefühl, eure Liebe, euer Verlangen nach Gott in der Form eures auserwählten Objektes ist keine Vorstellung des Geistes. In Wahrheit hat es sich vor euch in der Form dieser kleinen ‚Gelegenheit‘ der kosmischen Macht offenbart. Euer Herz meditiert und nicht nur das Gehirn oder die Sinnesorgane. Das meditierende Bewusstsein ist eure Seele. Wenn ihr wollt, dass die Seele des Objektes zu euch spricht und euch erleuchtet, dann muss sich bei der Gelegenheit eure Seele erheben und sich selbst auf die Seele der Sache konzentrieren, die wie ein Objekt aussieht.

Wer meditiert? Eure Seele meditiert auf die Seele des Objektes. Wenn ich euch liebe, liebe ich eure Seele, eure Größe, die Schönheit in der Tiefe der Persönlichkeit und nicht euer körperliches Äußeres. Und wenn ich euch liebe, dann ist es weder mein Körper noch mein Geist. Mein ganzes Sein, meine Wurzel ergießt sich auf euer Zentrum. Meine tiefste Wurzel liebt eure tiefste Wurzel. Die Seele liebt die Seele. „Niemand liebt irgendetwas Anderes als die Seele“, sagt Yajnavalkya in der Brihadaranyaka Upanishad.

Die Seele des Meditierenden ergießt sich mit all ihrer Macht auf die Seele des Objektes, damit sie sich mit der Allseele des Universums vereinigen möge. Dieses ist der Hintergrund, den man benötigt, bevor man mit der Yogapraxis in der Form von Meditation beginnt.